Reger und »alte« Musik? Regers lateinisches Requiem · 2018-10-15 · Interview mit Lothar...

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Reger und »alte« Musik? Regers lateinisches Requiem Erinnerungen an Wolfgang Burbach Mitteilungen 25 (2014)

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Reger und »alte« Musik?

Regers lateinisches Requiem

Erinnerungen an Wolfgang Burbach

Mitteilungen 25 (2014)

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InhaltImpressumMax Reger und »alte« Musik? (Stefanie Steiner-Grage)Protokoll der Jahresmitgliederversammlung 2013 (Frauke May-Jones) 16. Weidener Max-Reger-Tage 2014Interview mit Lothar Zagrosek (Moritz Chelius)Regers lateinisches Requiem (Alexander Becker) Erinnerungen an Wolfgang Burbach (Susanne Popp)Rätseln mit Reger Nr. 5Aktuelle Veranstaltungen

Liebe Leser, das Jahr 2014 wird vielerorts zum Anlass genommen, sich der Ereignisse und der allgemeinen Stimmung im Jahr des Kriegsbeginns vor hundert Jahren zu erinnern. Auch diese Ausgabe der Mitteilungen schlägt den Bogen vom ganz jungen Reger zum Jahr 1914, in dem Reger seine beiden Requien kompo-nierte: das Hebbel-Requiem und das lateinische Requiem, das ein Fragment geblieben ist. Warum das so gewesen sein könnte, lesen Sie in diesem Heft.

Einmal mehr möchte ich Sie auffordern, mit Themenwünschen oder -vor-schlägen, möglicherweise auch eigenen Beiträgen, auf mich zuzukommen. Ich freue mich über Anmerkungen und Rückmeldungen Ihrerseits und wünsche viel Freude beim Lesen,

Ihre Almut Ochsmann

Geschäftsanschrift: Internationale Max-Reger-Gesellschaft e.V., Alte Karls-burg Durlach, Pfinztalstraße 7, D-76227 Karlsruhe, Telefon: 0721-854501, Fax: 0721-854502; elektronische Redaktionsanschrift - email: [email protected]: Commerzbank Siegen, BLZ 460 400 33, Kontonr. 8122343

(für Überweisungen aus dem Ausland: SWIFT-Code COBADEFF 460, IBAN: DE 32460400330812234300)ISSN 1616-8380

Herausgegeben im Auftrag des Vorstandes der Internationalen Max-Reger-Gesellschaft von Almut Ochsmann. Abbildungen: S. 1, 3, 5, 14, 20, 23, 25 Max-Reger-Institut, S. 15 Almut Ochsmann, S. 19 Christian Nielinger, S. 28 und 29 Jürgen Schaarwächter. S. 32 Hermann-Josef Bunte. Wir danken für freundliche Abdruckerlaubnis.

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Nachdem Max Reger 1893 beim Londoner Verlag Augener sein erstes Orgelwerk, die Drei Stücke für Orgel op. 7, in Druck gegeben hatte, befand ein anonymer englischer Re-zensent der Zeitschrift The Monthly Musical Record, die Stücke würden von der kompo-sitorischen Faktur und musikalischen Gestal-tung her direkt an Johann Sebastian Bach anknüpfen – wenn nicht gar bei Bachs Vor-läufern.1 Dieser Befund erscheint erstaunlich, bringt man Reger doch gemeinhin eher mit moderner, übersteigerter und hochexpressi-ver Chromatik in Verbindung als mit archaisch anmutenden Klängen.

Zwar distanzierte sich Reger später von all seinen vor der Choralphantasie „Ein’ feste Burg ist unser Gott“ op. 27 komponierten Ju-gendwerken2, doch verstand er sich bereits bei deren Entstehung als moderner Kompo-nist, immer am Puls der Zeit und in vorderster Front des Geschehens in Sachen musikalischer „Moderne“. Freilich verleugnen gerade die Drei Stücke für Orgel op. 7 nicht ihr unmittelbares Anknüpfen an alten Form- und Gestaltungsmodellen, wie Reger in einem Brief an den Kritiker Otto Leßmann, dem er ein Rezensionsexemplar des neuen Opus zusandte, auch unumwunden zugab: „Erschrecken Sie nur nicht, wenn ich Queselkopf in den Stücken gar ehrbar thun will, eine Perücke aufsetze u. sogar das klei-ne Zöpfchen nicht vergesse. (Auf Originalität will ich in diesen Sachen nicht im geringsten Anspruch erheben – wollte nur mal ein paar solide Orgelstücke schreiben![)]“3 Perücke und Zöpfchen als Attribute verweisen deutlich auf die »Alten Meister«, ein Begriff, den Reger zeitlebens als positiv besetzten Ge-1 Rezension in The Monthly Musical Record, 1. Januar 1894, S. 10: „all [pieces] are written, more or less, in the broad style of Bach, or rather, one might say, of the cantor’s immediate predeces-sors.“ – Zitiert in: Der junge Reger, Briefe und Dokumente vor 1900, hrsg. von Susanne Popp, Wiesbaden u.a. 2000 (= Schriftenreihe des Max Reger-Instituts Karlsruhe, Bd. 13), S. 169 f.2 Vgl. etwa Regers Brief an Theodor Kroyer vom 22. März 1904: „Alles, was bei Augener erschienen ist, ist Mist, ich selbst zähle von op. 27 ab“, Original: Staatliche Bibliothek Regensburg, Signatur: IP/4 Art.714. Zitiert im Vorwort der Reger-Werkausgabe Bd. 5: Orgelstücke I, hrsg. von Alexander Becker, Christopher Grafschmidt, Stefan König und Stefanie Steiner-Grage, Stuttgart 2013, S. XII.3 Brief Regers an Otto Leßmann vom 11. 12. 1893. Zitiert in: Der junge Reger (wie Anm. 1), S. 165.

Max Reger und »alte« Musik?Anmerkungen zu Regers Drei Stücken für Orgel op. 7

Max Reger im Jahr 1891

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genpart zu ultramodernen Richtungen verstand (über die neuen Klänge eines Arnold Schönbergs schrieb er etwa am 31. Dezember 1910 an August Stradal, ob so etwas „noch irgend mit dem Namen ‚Musik’ versehen werden kann, weiß ich nicht: mein Hirn ist dazu wirklich zu veraltet!“). Einiges ist über Regers Re-zeption von »alter« Musik geschrieben worden4, mehr oder weniger deutliche Spuren älterer Musik wurden in seiner Musik nachgewiesen (angefangen bei den fast durchwegs traditionellen Formen, die Reger den expressiven, chroma-tischen Klangballungen als tragendes Gerüst unterlegt), und natürlich wurde die alles überstrahlende Rolle Johann Sebastian Bachs als »Leitgestirn« in Regers musikalischem Kosmos herausgearbeitet5 – und doch bleibt Regers Verhältnis zur Musik vor Bach eigenartig diffus.

Gerade das erste Orgelwerk Opus 7 wirft in dieser Hinsicht Fragen auf. Zum Zeitpunkt seiner Entstehung studierte Reger noch in Wiesbaden bei Hugo Rie-mann. Das Verhältnis zum Lehrer war damals noch ungetrübt, Reger ging bei Riemanns ein und aus und war dort fast schon wie ein Familienmitglied integ-riert. Nur die von Riemanns Frau veranstalteten musikalischen Abende bei der »Gastfamilie« mit „Vorführungen des alten ‚Clavicymbalo’, wie sie Frau Rie-mann beliebten mit ‚historischem’ Programm“ strapazierten arg seine Geduld.6 Betrachtet man jedoch die Orgelstücke op. 7 näher, so kann man doch mit eini-ger Berechtigung nach Regers Rezeption von »alter Musik« um 1890, als noch nicht einmal 20-jähriger angehender Komponist, fragen. Schon in ihren Titeln nämlich verraten diese drei Orgelstücke ihre gänzliche Abkehr vom romanti-schen Charakterstück, das die der Neudeutschen Schule nahestehenden Kom-ponisten in den 1890er-Jahren noch eifrig pflegten: Mit Präludium und Fuge (Nr. 1), Phantasie über [Notenbeispiel: Te Deum – in Breven geschrieben!] bzw. Fuge (Nr. 3) wählte Reger Titel, die dem programmatischen Charakterstück geradezu entgegengesetzt waren und bewusst auf den als »kernig« und »alt-deutsch« empfundenen Bach-Stil rekurrierten. Regers Bach-Verehrung nahm zeitweilig geradezu religiöse Züge an: Bereits in einem Brief an den Lehrer Adal-

4 Vgl. etwa Martin Möller, „Max Reger und die alte Musik“, in: Max Reger in seiner Zeit. Max-Reger-Tage Bonn 1973 (Ausstellungskatalog), hrsg. von Siegfried Kross, S. 59–67 sowie Susanne Shigihara, „‚Symphonische Dichtungen en miniature’ – Zur Rezeption sogenannter ‚Alter Musik’ bei Max Reger“ in: Alte Musik im 20. Jahrhundert. Wandlungen und Formen ihrer Rezeption, hrsg. von Giselher Schubert, Mainz u.a. 1995, S. 39–52. Martin Möller sieht Regers Beschäftigung mit alter Musik im Zusammenhang mit der „langen und recht verzweigten Ausbreitung des Historismus“ (S. 59).5 Vgl. etwa Johannes Lorenzen, Max Reger als Bearbeiter Bachs, Wiesbaden 1982 (= Schriften-reihe des Max-Reger-Instituts Bonn, Bd. 3) sowie Wolfgang Rathert, „Bach, der ‚Allvater’ – Zu Max Regers Bach-Bild“, in: Bach und die Nachwelt, Bd. 3: 1900–1950, hrsg. von Michael Heinemann und Hans-Joachim Hinrichsen, Laaber 2000, S. 32–40.6 Brief Regers an Caesar Hochstetter vom 22. Juli 1898: diese Konzerte „schlugen den Boden des Fasses aus.“ Zitiert in: Der junge Reger (wie Anm. 1), S. 335.

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bert Lindner vom 29. September 1890 hatte Reger Bach als „Musikgottvater“7 bezeichnet; immer wieder folgt dann der viel zitierte Ausspruch Regers, Bach sei „Anfang und Ende aller Musik“8, wobei Reger jeder »verweichlichten« Bach-Auffassung entschieden entgegentrat (Bach sei doch kein „Schmachtlappen“9). Als Reger 1903 ein Exemplar der neu erschienenen 52 Choralvorspiele10 op. 67 an Josef Hofmiller sandte, verlieh er im Begleitbrief seiner Hoffnung Ausdruck, „daß Ihnen diese 3 Hefte gänzlich un-moderner Musik Spaß machen wird [sic]. In meinem festen Glauben an die Heiligkeit des deutschen Geistes je-doch hoffe ich, daß auch diese schein-bar ‚alte’ Musik mal recht gründlichst ‚modern’ werden wird. Die Rückkehr zu Bach kommt doch sicher!“11

Aber was genau verstand Reger unter der Bezeichnung »alte Musik«? Heute verstehen wir darunter vor al-lem die Musik vor Bach,12 doch galt dies auch für Reger? Welche (Orgel-)Musik von Bachs Vorläufern war in den 1890er Jahren, zur Entstehungs-zeit der Drei Stücke op. 7, eigentlich zugänglich und gedruckt in Umlauf? 1884, also neun Jahre vor Regers Opus 7 war eine einschlägige Publikation in zwei Bänden erschienen, nämlich Au-gust Gottfried Ritters Zur Geschichte des Orgelspiels, vornehmlich des deutschen, im 14. bis zum Anfange des 18. Jahr-hunderts.13 Der zweite Band enthält 7 Ebda., S. 77. 8 So etwa Regers Antwort auf eine Umfrage der Zeitschrift Die Musik nach der Bedeutung Bachs für die damalige Zeit, abgedruckt in: Die Musik, 5. Jg. 1905 (1. Oktoberheft), S. 74.9 Brief Regers an Theodor Kroyer, 3. Juni 1901. Original: Staatliche Bibliothek Regensburg, Signatur: IP/4 Art.714.10 Bereits die Wahl dieses Genres verweist auf Bach und seine Vorgänger.11 Postkarte Regers an Josef Hofmiller vom 20. April 1903. Original: Münchner Stadtbibliothek, Monacensia, Literaturarchiv, Signatur: A III/Konv. (Zugangsnummer: 821/61). [Fettdruck: St. St.-G.] Zitiert im Vorwort der Reger-Werkausgabe Bd. 4: Choralvorspiele, hrsg. von Alexander Becker, Christopher Grafschmidt, Stefan König und Stefanie Steiner-Grage, Stuttgart 2012, S. XVIII.12 Vgl. hierzu Susanne Shigihara, „‚Symphonische Dichtungen en miniature’…“ (wie Anm. 4), S. 39f.13 A. G. Ritter, Zur Geschichte des Orgelspiels, vornehmlich des deutschen, im 14. bis zum An-fange des 18. Jahrhunderts, 2 Bde., Leipzig 1884. Reprint in einem Band, Hildesheim 1969.

31. Mai 1916, Postkarte von E. Hoenisch

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einen äußerst reichen Fundus von vollständig abgedruckten Beispielstücken, etwa von Girolamo Frescobaldi (Toccaten und Capricci), Giovanni Pierluigi da Palestrina (Ricercare), Claudio Merulo (Toccaten), Jan Pieterszoon Sweelinck (Fantasia), Antonio de Cabezón (Tientos und Diferenzias), Johann Pachelbel (Choralvorspiele), Georg Muffat (Toccaten) und schließlich nicht zuletzt Johann Heinrich Bach, Dietrich Buxtehude (Präludium und Fuge, Magnificat), Samuel Scheidt (Tabulaturen) und Johann Jakob Froberger (Capriccio). Auch Johann Sebastian Bach ist mit dem Choralvorspiel Wie schön leucht’ uns der Morgen-stern manualiter BWV 764 in der insgesamt 136 Nummern umfassenden Bei-spielsammlung enthalten. Wer Anregungen über Stil, Form und Duktus „älterer“ Orgelmusik suchte, fand in Ritters Publikation sowohl Informationen (der erste Band beschäftigt sich ausführlich mit dem älteren Orgelstil und dessen histori-scher Entwicklung14) als auch musikalische Beispiele. Es ist gut möglich, dass Reger, der zur fraglichen Zeit ja noch bei Riemann studierte, mit dieser viel-beachteten Publikation in Berührung kam. Auch die „historischen“ Programme der Frau Riemann könnten ihm Kenntnis der Musik vor Bach geliefert haben; vielleicht bezog sich Regers Abscheu gegen das verhasste Clavicymbal eher auf den Klang desselben, nicht aber auf die damit gespielte Musik?

In Regers umfangreicher Korrespondenz sind stilistische und musikästheti-sche Aussagen zwar ohnehin eher spärlich, aber dennoch blitzt gelegentlich eine eingehende Kenntnis von früherer Musik auf: In einem Brief an Theodor Kroyer15 äußert sich Reger beispielsweise ausführlich über „Kirchentöne“ so-wie die Frage nach der „Durchbrechung der Periodensymmetrie“, die sich nicht etwa erst bei Johannes Brahms, sondern auch bereits bei Wilhelm Friedemann Bach finde. Und wenn Reger an den Kopenhagener Musikverlag Wilhelm Han-sen über die Frage der Musikauswahl für den von ihm mit dem Organisten Paul Gerhardt herausgegebenen Sammelband Nordische Musik schreibt: „Selbst-redend bringe ich Buxtehude! Buxtehude ist ein ganz, ganz großer Meister gewesen!“16, dann spricht aus dieser wie selbstverständlich hingeworfenen Bemerkung auch Vertrautheit mit der Musik Buxtehudes, selbst wenn man mit einrechnet, dass viele von Regers Äußerungen Verlagen gegenüber stets auch strategische Ziele verfolgten. Choralzitate durchziehen förmlich Regers

14 So wird dort etwa Girolamo Frescobaldi als »Kronzeuge« für einen freien Umgang mit dem Tempo angeführt (S. 34), wie er sich auch in Regers Orgelstücken op. 7 findet. Siehe hierzu auch: Stefanie Steiner-Grage, „Über ein orthografisches Rätsel in Regers Drei Stücken für Orgel op. 7“, in: Konfession – Werk – Interpretation. Perspektiven der Orgelmusik Max Regers. Kongressbericht Mainz 2012, hrsg. von Jürgen Schaarwächter (= Reger-Studien, Bd. 9), Stuttgart 2013, S. 321–336.15 Brief Regers an Theodor Kroyer vom 9. April 1902. Original: Staatliche Bibliothek Regensburg, Signatur: IP/4 Art.71/416 Brief Regers an den Musikverlag Wilhelm Hansen, 4. April 1910. Original: Kongelige Bibliotek Kopenhagen, Signatur: Acc. 1997/153.

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7Werk,17 im Dies Irae WoO V/9 wird der Beginn der alten gregorianischen Se-quenz verwendet, allerdings ganz in Reger’scher Manier umgeformt.18 Bereits im Jahr 1900 bearbeitet Reger auf Wunsch des Verlages Hug & Co. Madrigale von Hans Leo Haßler, Baldassare Donati, Thomas Morley, Jean-Baptiste Lully, Michael Praetorius, Thoinot Arbeau und Jacob Meyland für gemischten Chor (Madrigale-B1) und Männerchor (Madrigale-B2).19 In dem neun Jahre später entstandenen chorsymphonischen Werk Die Nonnen op. 112 wird das Gebet der Jungfrauen „bewusst in ganz alter Art so z.B. in einer alten Kirchentonart im Style des 14.–15. Jahrhunderts gehalten, was dem Werke einen ganz aparten Reiz geben muss!“20

Auch Regers häufig verwendeter Begriff der „Alten Meister“ kann anhand von Briefstellen genauer beleuchtet werden. Im Juni 1904 schrieb Reger an Karl Straube: „ich selbst ‚bade’ mich ja immer in alten Meistern!“21 – allerdings meint er mit dieser Aussage meist Komponisten wie Bach oder Beethoven.22 Gerade die Briefe Regers aus dem Sommer 1904, als er mit der Serenade op. 77a und dem Streichtrio op. 77b bewusst den geradezu avantgardistischen Stil der vorhergehenden Opera zugunsten einer neuen Einfachheit und Klarheit durch-brach, geben Aufschluss über sein Verhältnis zur Tradition. In dieser Zeit, als gleichzeitig einige der Schlichten Weisen op. 76, die Bach-Variationen op. 8123 sowie die wesentlich einfacheren24 Stücke Aus meinem Tagebuch op. 82 ent-standen, gewährte der Komponist verhältnismäßig oft Einblick in sein Denken und die neuen stilistischen Wege, die er einschlug. Insbesondere Wolfgang Amadeus Mozart wird nun als Ideal angeführt, etwa im Brief vom 5. Juni 1904 an den Verlag Lauterbach & Kuhn: „Mir ist’s absolut klar, was unserer heutigen

17 Vgl. hierzu etwa Susanne Shigihara, „‚Symphonische Dichtungen en miniature’…“ (wie Anm. 4), S. 49f.18 Ebda., S. 51: Reger verwende das „Alte“ als „gleichsam musikalisches Erinnerungsreservoir“, er pflege einen „eminent spielerische[n] Umgang mit allem musikalisch Vergangenen“, insbesonde-re in seinen Werken ab 1912.19 Vgl. hierzu: Thematisch-chronologisches Verzeichnis der Werke Max Regers und ihrer Quel-len (RWV), hrsg. im Auftrag des Max-Reger-Instituts von Susanne Popp, München 2010, Bd. 2, S. 1356–1360.20 Brief Regers an die Verleger Bote & Bock vom 28. Mai 1909. Zitiert in: Max Reger, Briefe an den Verlag Ed. Bote & Bock, hrsg. von Herta Müller und Jürgen Schaarwächter, Stuttgart 2011 (= Schriftenreihe des Max-Reger-Instituts Karlsruhe, Bd. 22), S. 85.21 Brief Regers an Karl Straube vom 25. Juni 1904. Zitiert in: Max Reger, Briefe an Karl Straube, hrsg. von Susanne Popp, Bonn 1986 (= Veröffentlichungen des Max-Reger-Instituts Bonn, Bd. 10), S. 57–59, hier: 57.22 Vgl. etwa den Brief Regers an Eugen Segnitz vom 5. Dezember 1910: Darin heißt es, nicht Strauss und Liszt, sondern vielmehr Bach und Beethoven hätten den Fortschritt gebracht.23 B a c h-Variationen – deren Thema wiederum einer Kantate des verehrten „Musikgottvaters“ entnommen ist…24 Reger war vertraglich verpflichtet, neben seinen als schwierig geltenden Hauptwerken stets auch einfache und leicht spielbare Werke als »Kompensation« zu liefern.

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Musik mangelt: ein Mozart!“25 Der mit Reger befreundete Geiger Waldemar Meyer erfährt am 24. August

1904 ebenfalls Grundsätzliches über Regers Selbstverständnis innerhalb der Musikgeschichte: „ich bin seit frühester Jugend Musiker, habe zu einer Zeit als ich noch nicht 10 Jahre alt war, den großen, großen Sebastian in seinen größ-ten Orgelschöpfungen ‚auf’ der Orgel gespielt, u. kurzum, daß ich meine eige-nen Wege gehe – das ist kein Fehler; ich bin nicht ‚Umstürzler’ aus Prinzip – es kann nicht leicht einen glühenderen Bewunderer für die alten Meister als mich geben – u. gerade die großen alten Meister, u. die Erkenntnis, daß seit Brahms’ Tode unsere Komponisten immer mehr im ‚Sumpf’ der symphonischen Dich-tung untergehen u sogar schöne Begabungen an diesem ‚Irrlicht’ zu Grunde gehen – gerade diese 2 Gründe haben mich zu dem gemacht, der ich heute bin! Glauben Sie mir, niemand wünscht mehr als ich das Wiedergeborenwer-den eines Mozart, der mit göttlich-leichter Hand aufräumt mit all dem Wust, den mißverstandener Wagner, Liszt u R. Strauss gezeitigt haben!“26

Der Organist Karl Straube wiederum gab zu dieser Zeit eine mit Alte Meister [!] betitelte Sammlung von Orgelstücken heraus, die er „dem jungen Meister Reger“ widmete.27 In seinem Dankschreiben antwortete Reger enthusiastisch, er habe „in diesem Bande mal wieder gesehen, wie groß, wie groß diese alten Meister waren, sind u. bleiben, wie gegen diese urgermanische Kraft (selbst in der Grazie) all unser moderner Schwindel verpufft“ und er könne „daraus noch kolossal viel lernen […] Ich empfinde also diese Dedikation nicht nur als eine ganz enorme Auszeichnung, die Du mir zutheil werden ließest, für die ich Dir zeitlebens aufrichtigsten Dank schulde, sondern vor Allem auch als einen Sporn, auf meinem Wege weiterzugehen d. h. nach Kräften bestrebt zu sein, auf der allein richtigen Basis der großen alten Meister Gutes zu bauen!“28

Stefanie Steiner-Grage

25 Brief Regers an die Verleger Lauterbach & Kuhn vom 5. Juni 1904. Zitiert in: Max Reger, Brie-fe an die Verleger Lauterbach & Kuhn, hrsg. von Susanne Popp, Bonn 1993 (= Veröffentlichungen des Max-Reger-Instituts Bonn, Bd. 12), Bd. 1, S. 324.26 Brief Regers an Waldemar Meyer vom 24. August 1904. Original: Privatbesitz, Kopie im Max-Reger-Institut Karlsruhe.27 Alte Meister. Eine Sammlung deutscher Orgelkompositionen aus dem 17. und 18. Jahrhun-dert, Leipzig 1904 (Verlag C. F. Peters), hrsg. von Karl Straube.28 Brief Regers an Karl Straube vom 11. September 1904, in: Straube-Briefe (wie Anm. 21), S. 66ff.

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9Protokoll der Jahresmitgliederversammlung 2013Internationale Max-Reger-Gesellschaft e.V.

Die Mitgliederversammlung fand am 22. September 2013 um 14:00 Uhr im Stadtmuseum/Kulturamt der Stadt Weiden (i. d. Oberpf.) Schulgasse 3a, im Rahmen der 15. Weidener Max-Reger-Tage, die unter dem Motto „Dreiklang - Reger-Wagner-Hindemith“ standen, statt.

Von Vorstand und Beirat waren anwesend: die stellvertretende Vorstandsvorsitzende Frau Prof. Yaara Tal (München), Frau Prof. Dr. Susanne Popp (Karlsruhe), Frau Frauke May-Jones (Denver/Köln), Herr Dr. Hans-Joachim Marks (Siegen) und Herr Andreas Groethuysen (München). Unser Vorstandsvorsitzender Herr Prof. Rudolf Meister (Mann-heim), ließ sich aufgrund von Meisterkurs-Verpflichtungen entschuldigen.

Als Mitglieder und Gäste waren erschienen: Oberbürgermeister Kurt Seggewiß (Wei-den), Frau Petra Vorsatz, Leiterin des Amtes für Kultur, Stadtgeschichte und Tourismus in Weiden, Herr Prof. Dr. Manfred Popp (Karlsruhe), Frau Almut Ochsmann (MRI Karls-ruhe), Herr Rolf Ibach (Schwelm), Frau Dr. Christiane Marks (Siegen), Herr Franz Lahm (Weiden), Dr. Harald Roth, Frau Elisabeth Roth (Weiden), Herr Sebald (Weiden), Herr KMD Hanns-Friedrich Kaiser (Weiden), Ehepaar Ruck (Karlsruhe), Frau Poscharsky-Ziegler (Weiden).

Frau Yaara Tal begrüßte alle Anwesenden im Namen des Vorstandes herzlich und übergab die Leitung der Sitzung an Frau May-Jones. Zunächst wurde in einer Schwei-geminute der verstorbenen Mitglieder und dem verstorbenen Vorstandsmitglied Herrn KMD Jörg Strodthoff gedacht. Frau May-Jones bedankte sich bei Yaara Tal und Andreas Groethuysen für das wunderbare Konzert in der Max-Reger-Halle am Abend zuvor.

1. Die Tagesordnung

Die Tagesordnung wurde um einen Punkt erweitert: Frau Ochsmann, Mitarbeiterin des Max-Reger-Instituts, werde sich als neue Redakteurin der Mitteilungen vorstellen. Die Tagesordnung wurde genehmigt.

2. Das Protokoll der Jahresmitgliederversammlung vom 07.10.2012 (Mitteilungen 23/2013, S. 16 - 20) in Weiden wurde genehmigt.

3. Tätigkeitsbericht des Vorstandes:

Frau Yaara Tal berichtete, dass der Grund ihrer Abwesenheit bei der letzten Mitglieder-versammlung die Einspielung ihrer neuen CD beim SWR zusammen mit Andreas Groe-thuysen war. Es handelt sich um eine CD mit Transkriptionen, die der Wagner-Verehrung an beiden Rheinufern gewidmet ist. Die französische Seite wird durch Transkriptionen von Claude Debussy und Paul Dukas vertreten, die deutsche Seite von jenen Alfred Pringsheims und Max Regers. Von Reger nahmen sie das Vorspiel zu Tristan und Isol-de und Isoldes Liebestod auf. Diese Transkriptionen zeichneten sich im Gegensatz zur sonstigen Klangopulenz Regers durch eine eher minimalistische Einstellung zu Text und

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Ausdruck im positivsten Sinne aus. Durch diese Reduktion und Konzentration werde die Essenz der Emotion ganz nackt, quasi „ohne Schminke“, sehr direkt und dadurch er-greifend vermittelt. Die Götterdämmerung betitelte CD gewann den Preis der deutschen Schallplattenkritik im Bereich Klaviermusik. GRATULATION!

In ihrem Konzertprogramm zu dieser CD, das „Die Berauschten“ heißt, steht Reger zwar nicht auf dem Programm, doch seine Transkription von Isoldes Liebestod spielt das Duo immer als Zugabe.

Susanne Popp merkte an, dass unser Vorstandsvorsitzender Prof. Meister jedes Jahr um diese Zeit einen Meisterkurs gebe und sich entschuldigen lasse. Deshalb solle der Termin der Mitgliederversammlung in diesem Jahr wieder im Oktober liegen, damit er wieder dabei sein könne.

Herr Marks kümmerte sich wie immer um die Finanzen und schaute auch gelegentlich nach der Internetseite der IMRG. Dort sind u.a. die PDF-Dateien der Mitteilungen zu finden, auf die es 2800 Zugriffe gab. Die Seite ist noch eine Interimslösung, trotzdem nehmen wir gerne Verbesserungsvorschläge entgegen. Auch können dort Termin und Ort der Mitgliederversammlung „nachgeschlagen“ werden.

Frau Popps Bericht war wie immer eng verknüpft mit dem Max-Reger-Institut. Aber es gebe auch Projekte, die besonders eng mit der IMRG zusammenhängen, so zum Beispiel die „Hauptbaustelle“, die wissenschaftlich-kritische Neuausgabe in der soge-nannten hybriden Form (gedruckter Band und DVD mit sämtlichen Quellen), an der ins-gesamt 18 Jahre gearbeitet werden wird – vier Jahre sind schon um! Die Technik dieser Ausgabe werde immer noch weiter von Informatikern vor Ort und in Detmold weiter entwickelt. Für jeden Band müssten 8500,-Euro „eingesammelt“ werden, was sich von Band zu Band etwas komplizierter gestalte. Glücklicherweise habe sich für den vierten Band die Maria Seltmann Stiftung in Weiden bereit erklärt, ihn zu finanzieren.

Die Präsentation dieses Bandes mit den Choralvorspielen sei deswegen nach Weiden gelegt und in sehr schönem Rahmen begangen worden. Herr KMD Kaiser habe im da-zugehörigen Gottesdienst wunderschön passend nur Reger-Choralvorspiele gespielt. Im neuen Rathaus habe die Präsentation stattgefunden, zu der Oberbürgermeister Herrn Seggewiß und viele Regerfreunde gekommen seien.

Nun stünde der fünfte Band an, für den sich die IMRG bereit erklärt habe, den Zu-schuss zu bewilligen. Der Band wird 2014 erscheinen. Die Kritiken zur Werkausgabe seien einhellig begeistert. So schreibt z.B. Musica Sacra: „Es gehören keine propheti-schen Gaben zu der Vorhersage, dass mit der Max-Reger Werkausgabe nicht nur eine neue Ära im Umgang mit dem Schaffen dieses Komponisten beginnen kann, sondern ein neues Zeitalter der Musikedition schlechthin eröffnet wird.“

Oder in Musik und Kirche: „Die nachgerade revolutionäre Edition ermöglicht es, fordernd und benutzerfreundlich zugleich, unser Wissen über Reger zu vertiefen oder sich neu an-zueignen. Wenn nicht alles täuscht, wird sie unser Verständnis von Musikedition nach-haltig verändern.“ Die guten Kritiken beschwängen Frau Popp dann auch dazu, neue „Bettelbriefe“ für die Finanzierung der weiteren Bände zu schreiben, so berichtete sie.

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Der Carus Verlag wolle nun Einzelausgaben ohne den wissenschaftlichen Begleitap-parat aus den bereits erschienenen Bänden herausgeben. Das nächste Modul werden die Lieder und Chorsätze Regers sein.

Ein weiterer Punkt seien die Vorbereitungen für das Reger-Jubiläumsjahr 2016. Seit September habe das Max-Reger-Institut einen Informatiker auf kleiner Basis angestellt, der eine Internetseite erstelle, auf der jeder Veranstalter seine Vorhaben kundtun solle. Das Institut werde gerne jede Hilfestellung für Programmhefte, Bilder und Texte anbie-ten, und somit koordinieren und informieren. Dieser überregionale Veranstaltungskalen-der werde jetzt erarbeitet.

Der Europäische Kammermusikwettbewerb, der 2013 auch von der IMRG mit 6000,- € unterstützt wurde, fand zum fünften Mal in Karlsruhe statt. Er wird an allen europäischen Musikhochschulen ausgeschrieben. Die Teilnehmerzahlen betreffend gebe es generell eine aufsteigende Kurve – aus allen, auch entlegenen Orten komme Interesse. Jedoch käme es dann doch immer kurz vorher zu etlichen Absagen aufgrund der Bewältigung des Reger-Pflichtstückes. Dieses Mal seien die Absagen noch zahlreicher gewesen, da die Wettbewerbsleitung Bearbeitungen ausgeschlossen habe. Nur 16 Ensembles woll-ten antreten, was schon eine Vorauslese bedeute, und man sei sehr gespannt auf die Darbietungen der jungen Künstler.

Weiterhin werden keine Preise vergeben, sondern bis zu 50 Folgekonzerte an ver-schiedensten Orten im In- und Ausland vermittelt. Dadurch, so Frau Popp, behielte man die jungen Künstler „im Auge“ und stelle oftmals fest, dass viele, wenn sie sich einmal durch die vielen schwarzen Noten und roten Vortragsbezeichnungen bei Reger „durch-gefressen“ haben, ihn auch weiterhin gerne spielen.

Frau Popp berichtete, dass sich ein spannender Manuskriptkauf anbahne durch den Verkauf des gesamten Verlagsarchivs des Schott Verlages. Mit diesen Summen werde die IMRG jedoch nicht belastet! Die Kulturstiftung der Länder habe von Anfang an alles in die Hand genommen und alle interessierten Institute und Bibliotheken nach Berlin ein-geladen, um gemeinsam nachzudenken, wie man vorgehen solle. In der Verlagsmasse befinden sich 15 Manuskripte von Reger, alles Jugendwerke zu einem Gesamtpreis von 346.000 €. Von diesen 15 sind sieben Lieder- und Chormanuskripte, die sehr wichtig für das nächste Modul der Werkausgabe, den Lieder-Band, sind. Die Kulturstiftung der Länder zahle dem Max-Reger-Institut als einzigem Spezialinstitut ein Drittel und nach zähem Ringen mit dem Land Baden-Württemberg werde auch von dort ein Drittel über-nommen – auch wenn Reger immer noch kein Baden-Württemberger ist... er sei eben international und nicht national!

4. Vorstellung von Frau Almut Ochsmann:Frau Ochsmann arbeitet seit 2008 regelmäßig im Max-Reger-Institut und wurde von

Frau Popp 2010 dem BrüderBuschArchiv zugeteilt, wo sie sich mit den Briefen Fritz Buschs beschäftigt. Die Redaktion der Mitteilungen übernahm sie 2012 von Herrn Dr. Schaarwächter. Das vierte Heft ist gerade erschienen. Sie freue sich über Rückmeldun-gen, dankte für die schon erhaltenen und forderte auf, mit Themenwünschen, eigenen Beiträgen oder Interviewpartnerwünschen gerne an sie heranzutreten.

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Die gerade veröffentlichte ARD und ZDF-Onlinestudie besage, dass auch die Genera-tion „60 plus“ mehr Zeit im Internet verbringe. So ist Frau Ochsmann zusammen mit dem Informatiker Frank Zalkow im Max-Reger-Institut dabei, besonders auch mit Blick auf 2016, ein Online-Angebot zu erstellen, bestenfalls in Verlinkung – wie auch immer diese gestaltet werden könne – mit der IMRG-Website. Als neue Idee ist die Erstellung eines Podcasts oder einer Downloadfunktion in Planung, wo in multimedialer Form Inhalte, Neuigkeiten, Dokumente und evtl. neue Aufnahmen den Mitgliedern zugespielt werden können. Die Mitglieder sollen diesen Podcast auf der Website abonnieren können. Frau May-Jones bedankte sich bei Frau Ochsmann für ihre interessanten Ausführungen.

5. Bericht des Schatzmeisters: Herr Marks erläuterte den nachstehenden Bericht und dankte Frau Ochsmann noch

einmal ausdrücklich für ihr Engagement für die Erstellung der Mitteilungen – nach sei-nem Verständnis die wichtigste Vereinsaktivität.

6. Bericht des Kassenprüfers und Entlastung des Vorstandes

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Herr Popp und Herr Ibach hatten sich dieser Aufgabe wieder angenommen. Die Prü-fung haben sie im September 2013 anhand der vollständig vorgelegten Buchungen und Kontoauszüge durchgeführt. Eine Barkasse des Vereins existiert nicht, deshalb ist alles sehr nachvollziehbar und transparent. Geprüft wurden die Einnahmen, die aus Mitglieds-beiträgen, Kapitalerträgen, und Spenden bestehen, und die Ausgaben, die sämtlich dem Satzungszweck der Gesellschaft entsprechen. In allen Bereichen fand man keine Bean-standungen und die Herren dankten dem Schatzmeister für die gute Buchführung der Gesellschaft und empfahlen die Entlastung des Schatzmeisters sowie des gesamten Vorstandes.

Der Vorstand wird einstimmig entlastet.

7. Wahl der Kassenprüfer:

Frau May-Jones fragte, ob sich die beiden bewährten Kassenprüfer, Herr Popp und Herr Ibach für diese Aufgabe erneut zur Verfügung stellen würden. Sie erklärten ihre Bereitschaft und wurden einstimmig gewählt.

8. Vorstandswahlen:

Wahl des 1. Beisitzers, Nachfolger für unser kürzlich verstorbenes Vorstandsmitglied Herrn KMD Jörg Strodthoff (Berlin), des 1. und 2. Vorsitzenden, des Schatzmeisters und des Schriftführers.

Herr KMD Hanns-Friedrich Kaiser stellte sich als Kandidat zur Wahl des 1. Beisitzers der Mitgliederversammlung vor. Er ist bekannt als Organist der St. Michaelskirche in Weiden, wo er seit nunmehr 32 Jahren das Kantorenamt inne hat. Seine ersten musikalischen Erfahrungen machte er im Windsbacher Knabenchor, dann folgte das Studium in München an der Staatlichen Hochschule für Musik. Mit der neuen Orgel in der St. Michaelskirche verfügt er nun über ein sehr schönes „Werkzeug“, auf dem sich besonders Regers Werke gut musizieren lassen. Es gab keine weiteren Kanditatenvorschläge für die Wahl des 1. Beisitzers.

Zunächst werden Frau Prof. Tal, Herr Dr. Marks, Herr Prof. Rudolf Meister (in Ab-wesendheit) und Frau Frauke May-Jones mit einstimmigem Ergebnis in ihren Ämtern bestätigt. Herr KMD Kaiser wir einstimmig zum neuen 1. Beisitzer gewählt und nimmt die Wahl an.

9. Termin und Ort der nächsten Mitgliederversammlung:

Der Ort bleibt Weiden und wir freuen uns, wieder dort zu Gast sein zu dürfen im Rah-men der Max-Reger-Tage. Der Termin könne eingegrenzt werden auf die ersten zwei Oktober-Wochen 2014 und wird in Kürze konkretisiert.

10. Verschiedenes:Frau Popp bestärkte noch einmal die Bitte von Frau Ochsmann, sich mit Vorschlägen

und Ideen für die Mitteilungen einzubringen und Frau May-Jones werde diese Bitte auch schriftlich im jährlichen Weihnachtsbrief anbringen.

Herr Dr. Roth berichtete von einem Konzert der letzten Weidener Musiktage, bei dem

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Herr Prof. Denis Rouger von der Musikhochschule Stuttgart das „Lateinische Requiem“ einstudiert hatte. Rouger ist zugleich an La Madeleine in Paris tätig, wo er auch Reger aufführen wolle. Sehr erfolgreich hat er bereits die Bearbeitung von Regers 100. Psalm für Chor und Orgel von Herrn KMD Kaiser in Stuttgart aufgeführt. Herr Kaiser hatte selbst der Aufführung beigewohnt und war begeistert.

Laut Herrn Roth gibt es auch Pläne für eine Rundfunkproduktion für Regers Requiem beim Bayerischer Rundfunk.

Herr Lahm stellte die Frage, ob das Max-Reger-Institut eine Idee für einen Verlag hät-te, wo er seine Reger-Choralbearbeitungen für Bläser-Ensemble herausbringen könne.

Frau May-Jones bedankte sich herzlich bei allen Anwesenden und man sah mit Freu-de dem Konzert der Hofer Symphoniker am Nachmittag mit Werken von Wagner, Reger und Hindemith entgegen.

Frauke May-Jones Schriftführerin

Das Rathaus in Weiden in der Oberpfalz, historische Postkarte

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1516. Weidener Max-Reger-Tage 2014Zeitenende - Zeitenwende: Max Reger und die Jahre um 1914

Allen Mitgliedern der Internationalen Max-Reger-Gesellschaft möchten wir den Besuch der diesjährigen Weidener Max-Reger-Tage ans Herz legen, die unter das Motto Zeitenende – Zeitenwende: Max Reger und die Jahre um 1914 gestellt sind und viele musikalische Highlights bereithalten.

Schon der Festivalauftakt am 14. September 2014 um 17:00 Uhr ist eine Reise in die Reger-Stadt wert: Unser Beiratsmitglied Prof. Julius Berger, Violoncello, wird mit Professorin Elisabeth Kufferath, Violine, und Nicholas Rimmer, Klavier, in bekannter Intensität die beiden Klaviertrios von Max Reger (1908) und Maurice Ravel (1914) spielen und die Hörer mitreißen.

Die 1. Preisträger des von der IMRG geförderten 5. Europäischen Kammer-musikwettbewerbs in Karlruhe, das Frankfurter Aris Quartett, wird am Dienstag, 16. September 2014, Streich-quartette von Bartók und Reger vorstellen,

Professor Siegfried Mauser, der frischgekürte Rektor des Mozarteums in Salzburg, wird in einem Soloabend am Mittwoch, 17. September 2014 um 19:30 Uhr Nachtstücke von Hindemith, Reger und anderen in seiner un-vergleichlichen Weise in Wort und Ton interpretieren,

und der bekannte Bariton und Preisträger vieler Wettbewerbe Peter Schöne wird am Dienstag, 23. September 2014 um 19:30 Uhr Max Regers Hymnus des Hasses aus Friedenszeiten mit seinem Hymnus der Liebe aus dem ersten Kriegsmonat kon-frontieren.

Das Weidener Rathaus im September 2013

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Nach vielen weiteren interessanten Konzerten wird der Festival-Abschluss am Sonntag, 5. Oktober 2014 um 17:00 Uhr einen besonderen Höhepunkt bie-ten, an den die diesjährige Mitgliederversammlung der IMRG gekoppelt wird:

Unser im letzten Jahr gewähltes Vorstandsmitglied KMD Hanns-Friedrich Kaiser wird in der Stadtkirche St. Michael ein Konzert mit Chören, Gesängen und Orgelstücken Regers aus den ersten Kriegsmonaten leiten und, mit un-serer Schriftführerin, der international bekannten Reger-, Wolf- und Mahler-Sängerin Frauke May-Jones, vereint, Regers Requiem (Friedrich Hebbel) op. 144b (1915) in einer Bearbeitung mit Orgelbegleitung aufführen.

Und damit sich die Anreise lohnt, bietet auch der Vortag neben der Mitglieder-versammlung (16:00 Uhr) den Regerfreunden der IMRG eine wunderbare Gelegenheit, Reger pur zu hören und miteinander ins Gespräch zu kommen: Der italienische Organist Professor Roberto Marini hat seine Einspielungen des gesamten Orgelwerks Max Regers soeben mit der 18. CD abgeschlossen, und die Stadt Weiden mit ihrer aktiven Kulturamtsleiterin Petra Vorsatz, der Freundeskreis der Weidener Max-Reger-Tage, die IMRG und das Max-Reger-Institut Karlsruhe wollen diese kulturelle Großtat am Samstag, 4. Oktober 2014, 18:00 Uhr, gebührend feiern: Die profanierte Augustinerkirche soll den schönen Rahmen einer Präsentation der in enger Zusammenarbeit mit dem Max-Reger-Institut entstandenen Gesamteinspielung geben, bei der auch Roberto Marini eine Kostprobe seiner hochgelobten Interpretation bieten wird.

Machen Sie sich ein schönes Wochenende in der Regerstadt Weiden, in das der Feiertag am 3. Oktober 2014 noch wunderbar mit einbezogen und zu Wanderungen an der Waldnaab und im Oberpfälzer Wald oder zu Ausflügen ins nahegelegene Marienbad in Tschechien genutzt werden kann! (Und von Regers geliebtem Schweinsbraten mit Knödelns wollen wir gar nicht erst sprechen).

Susanne Popp

Die Mitgliederversammlung der Internationalen Max-Reger-Gesellschaft findet am Samstag, dem 4. Oktober 2014 um 16:00 Uhr in Weiden in der Oberpfalz statt.

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Anfang März 2014 führte Lothar Zagrosek mit dem Radio-Sinfonieorchester Stuttgart Max Regers lateinisches Requiem-Fragment und das Hebbel-Requiem auf. Das Gespräch über Spiritualität und die Musik Regers fand zwei Tage vor der Aufführung statt.

Herr Zagrosek, was haben Sie gedacht, als Sie das erste Mal die Widmungen der beiden Regerschen Requien gelesen haben, „Dem Andenken der im Kriege 1914/15 gefallenen deutschen Helden!“?

Lothar Zagrosek: Dass Reger letztlich auch nur ein Kind seiner Zeit war. Die Heldenverehrung war ja damals typisch, das ganze Unrecht hat man gar nicht thematisiert. Ich lese gerade ein autobiographisches Buch des Schriftstellers Oskar Maria Graf, der beim Ersten Weltkrieg auch dabei war. Er beschreibt darin diesen unglaublichen Enthusiasmus aller jungen Leute, selbst kritische Intellektuelle haben sich spontan zur Front gemeldet. Und wie die alle nieder-gemäht worden sind, schrecklich! Die Metzelei des Ersten Weltkriegs muss auch Reger tief berührt haben, denn die Musik, die er hier geschrieben hat, ist geschwängert mit Trauer, eine ungeheuer schwermütige und trotzdem wunder-schöne Musik.

In Stuttgart dirigieren Sie in einem Konzert sowohl das lateinische Requiem-Fragment als auch das Hebbel-Requiem. Welches Stück geht Ihnen näher?

Eindeutig das Hebbel-Requiem. Durch das ganze Werk zieht sich diese typi-sche Stimmung, wie man sie nur in der Musik der Jahrhundertwende finden kann. Dieses Raunen, dieses Umherirren in den extremsten Modulationen, und dahinter immer diese erotische Farbe von Tristan, auch, wenn es um den Tod geht. Und im Hebbel-Requiem ist das in bewundernswerter Vollkommenheit dargestellt.

Und das Fragment?

Auch das ist ein sehr hörenswertes Stück mit wirklich guten Ansätzen, sonst würde ich es nicht dirigieren. Letztlich ist es aber doch unvollkommen. Dass Reger im Dies irae keine Tempi vorgeschrieben hat, keine dynamischen Werte und keine Nuancen, ist nicht so schlimm, die kann man sich ja überlegen. Auch, dass das Stück einfach nicht zu Ende komponiert ist, muss nicht unbedingt stören. Aber Reger deutet den lateinischen Text häufig nicht gut aus, manch-mal denke ich sogar, er hat ihn gar nicht richtig übersetzt, geschweige denn

„...das muss die Leute einfach von den Sitzen reißen!“Ein Gespräch mit dem Dirigenten Lothar Zagrosek

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ausreichend reflektiert. Nehmen Sie zum Beispiel das „Tuba mirum“: Das ist ei-gentlich ein Ruf, der die Leute aus den Gräbern wecken soll! Reger komponiert das völlig unpassend. Solche Dinge passieren ihm beim Hebbel-Requiem nicht. Hier kann er mit seiner Muttersprache arbeiten, und er nutzt sie, um eine große und kraftvolle Trauerode zu komponieren.

Wie wollen Sie in Ihrer Interpretation mit dem Ende des Fragments umgehen?

Reger hat am Ende eine richtig typische Kirchenmusikerkadenz komponiert, die dirigiere ich einfach ganz langsam, damit sich das Gefühl eines Endes ein-stellt. Ich bin aber noch nicht sicher, ob ich dabei das Orchester weglasse, das ohnehin ausfranst, und das nur a capella mache. Ich bin selbst gespannt auf die Wirkung.

Sie kamen mit neun Jahren zu den Regensburger Domspatzen und sind sehr katholisch erzogen worden. Welche Bedeutung hat Ihr eigener Glaube, wenn Sie die Requien aufführen?

Ich bin absoluter Atheist. Ich kann einfach nichts glauben, das ist vollkommen ausgeschlossen, nicht an einen Gott, nicht an ein Jenseits oder an was auch immer. Bei den Regensburger Domspatzen hat man mir den Katholizismus mit Stumpf und Stiel ausgetrieben. Das war für mich sieben Jahre lang ein klerika-les Terrorregime. Häufig durften wir nur zwei Stunden am Tag sprechen, lauter solche Dinge, und das als Kind! Die einzigen Momente, bei denen ich vor dieser ganzen bedrückenden und krank machenden Atmosphäre flüchten konnte, hat-te ich am Wochenende im Übezimmer beim Klavierspielen.

Wieso bringen Sie als Atheist überhaupt ein Requiem zur Aufführung?

Zunächst einmal sehe ich das Werk aus der Sphäre des Künstlerischen. Und dann glaube ich schon, dass ich ein starkes spirituelles Gefühl für diese Mu-sik besitze, auch weil ich so lange in dieser Sphäre gelebt und als Kind auch wahnsinnig viel Kirchenmusik gemacht habe. Ich bin überhaupt erst über die Kirchenmusik zur Musik gekommen, schon deswegen gibt es da eine starke Verbindung.

Sie haben in den 60er Jahren studiert, unter anderem bei Hans Swarowsky, Bruno Maderna und Herbert von Karajan. Hat Reger in Ihrer Ausbildung eine Rolle gespielt?

Überhaupt nicht. Damals wurden das erste Mal nach dem Krieg alle Mahler-Symphonien zyklisch aufgeführt, das war immens wichtig, darüber hat man ge-redet. Reger war für den musikalischen Diskurs dieser Zeit kein Thema, und

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das hat sich bis heute ja auch nicht wirklich geändert. Leider!

Woran könnte das Ihrer Meinung nach liegen?

Wissen Sie, es ist doch komisch mit diesem Reger: Vom Hörensagen weiß man, das ist ein großer Komponist, aber kaum jemand kennt seine Werke. Das gibt es so bei kaum einem anderen Komponisten. Viele verbinden mit Reger auch nur ungeheuerliche Fugen und brachiale Klangmassen, aber das ist ja nicht der ganze Reger! Ich habe ja durchaus selber meine Vorbehalte, nehmen Sie nur die Schlussfuge der Mozart-Variationen, das übersteigt für mich auch das Maß des Erträglichen. Aber gerade das Spätwerk finde ich genial und vollkommen, eine ganz originäre Schöpfung. Man wirft Reger oft vor, dass er so viele Stile mischt, Bach, Beethoven, Brahms, Schumann, Wagner, aber das war eben die Zeit des Historismus. Ich muss bei Reger an die Wiener Ringstraße denken: Da mischen sich auch viele Einflüsse, und dennoch ist es ein unvergleichliches Gesamtkunstwerk.

Was ist denn ihr liebstes Stück von Reger?

Die Romantische Suite. Dieses atmosphärische Denken und Komponieren, die-ses farbige Flirren, das auch bei Debussy so wichtig ist: Hier ist es wunderbar getroffen. Und trotzdem ist das keine Stilkopie, sondern das einzige wirklich au-thentische Stück von deutschem Impressionismus. Ich habe die Romantische Suite schon sehr früh gemacht, in allen möglichen Fassungen und mit vielen sehr guten Orchestern. Und immer, wenn mich ein Konzertveranstalter fragt, was ich dirigieren will, schlage ich dieses Stück vor – übrigens zum Leidwesen meines Agenten. Aus seiner Sicht hat er auch Recht, denn mit Reger können

Lothar Zagrosek zählt zu den be-kanntesten deutschen Orchester-leitern. In seiner annähernd 50-jäh-rigen Dirigentenkarriere leitete er europaweit die renommiertesten Orchester, dreimal erhielt er die Auszeichnung „Dirigent des Jah-res“ der Zeitschrift „Opernwelt“. In zahlreichen Uraufführungen und Einspielungen setzt sich Zagrosek besonders für zeitgenössische Musik ein. Er bezeichnet sich als Liebhaber der Reger‘schen Musik, nicht aber als Reger-Spezialist.

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Sie die Säle leerspielen. In England ist es ganz schlimm: Setzen Sie Reger aufs Programm, und die Hälfte der Zuschauer verlässt den Saal. Ich habe das schon erlebt.

Weil Reger dort als der Inbegriff des teutonisch-bajuwarischen Haudraufs gilt?

Vielleicht ja. Unverdientermaßen, wohlgemerkt! Gerade bei der Romantischen Suite verstehe ich das Publikum nämlich überhaupt nicht. Dieses Stück hat doch einen unglaublichen Schluss: Der ist so, wie wenn Sie jemandem den Kopf festhalten, damit er in die Sonne blickt, so hell und gleißend. Ich denke jedes Mal, das muss die Leute einfach von den Sitzen reißen, die müssen jetzt anfangen zu jubeln! Aber komisch, egal wo: Das berührt die Leute nicht. Immer-hin: Die Musiker überzeugt das Stück immer.

Das Gespräch führte Moritz Chelius

Ausschnitt aus dem Autograph des lateinischen Requiems von Max Reger: „Tuba mirum“

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Das Requiem WoO V/9 komponierte Reger ab Oktober 1914. Es gehört zu den Kompositionen, die unter dem Eindruck des soeben entfesselten Ersten Weltkriegs entstanden, und zählt zu Regers eindrucksvollsten und au-ßergewöhnlichsten Schöpfungen. Dennoch blieb es Fragment, denn er brach die Arbeit Mitte Dezember unvermittelt im zweiten Satz, dem Dies irae, ab: Eine Entscheidung, die ihn in eine Schaffenskrise stürzte und Wunden hinterließ – die aber auch Rätsel aufgibt und nach Erklärungen suchen lässt.1

Als Deutschland Anfang August 1914 Russland und Frankreich den Krieg er-klärt hatte, mochte Reger zunächst nicht an länger andauernde Kampfhand-lungen glauben: „Hoffen wir zu Gott, dass diese entsetzliche Kriegsgeschichte baldigst vorbei ist“,2 gab er sich noch am 3. August gegenüber seinem Ver-leger hoffnungsvoll und pflichtschuldig siegesgewiss. Eine kompositorische Reaktion auf die schon bald ungeahnt verlustreichen Kriegsereignisse stellen ab Mitte des Monats der Hymnus der Liebe op. 136, der laut Reger „sehr ver-nünftiger Weise […] die Menschenliebe d.h. Nächstenliebe“3 besingt, sowie eine ganze Reihe sakraler Werke dar: Zwölf geistliche Lieder op. 137, Acht geistliche Gesänge op. 138 und einige Choralvorspiele des Opus 135a – ein von nationalem Chauvinismus und Kriegsfreude getragenes „Augusterlebnis“ Regers lässt sich aus diesen Kompositionen sicher nicht ablesen.

Eher scheint die Vaterländische Ouvertüre op. 140, die Reger im September „Dem deutschen Heere!“ widmete, eine solche Haltung auszudrücken. Trotz seiner Abneigung gegen den Krieg und alles Militärische offenbar gewillt, An-schluss an die patriotische Stimmung seiner Umgebung zu halten, kombiniert Reger in diesem Werk das Deutschlandlied, Die Wacht am Rhein, Ich hab mich ergeben und Nun danket alle Gott. Gleichwohl entzieht er sich mit dem Rückgriff auf Melodien vaterländischer Gesänge und mit dem Herausstellen „bachisch-deutscher“ Kontrapunktik – Reger verwendet beide Zuschreibun-gen weitgehend synonym – letztlich doch einer weitergehenden politisch-

1 Am Eingehendsten hat sich Susanne Popp mit dem Requiem-Fragment auseinandergesetzt, zuletzt in Max Regers Weltkriegskompositionen und die Zwangsläufigkeit ihrer Rezeption, in „… dass alles auch hätte anders kommen können.“ Beiträge zur Musik des 20. Jahrhunderts, hrsg. von S. Schaal-Gotthardt et al., Mainz u. a. 2009 (= Frankfurter Studien, Bd. 12), S. 58–81.2 Brief vom 3. August 1914, in Max Reger. Briefe an den Verlag N. Simrock, hrsg. von S. Popp, Stuttgart 2005 (= Schriftenreihe des Max-Reger-Instituts Karlsruhe, Bd. 18), S. 102.3 Brief vom 19. Dezember 1914 an Anna Erler-Schnaudt, Max-Reger-Institut.

Regers lateinisches Requiem WoO V/9

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weltanschaulichen Positionierung. Durch seine private Korrespondenz zieht sich weiterhin die naive Hoffnung auf ein rasches Kriegsende.4

Demgegenüber darf das Requiem als unverstelltere Antwort auf die Zeitläufe gelten – zumal das Themenfeld „Sterben–Tod–Erlösung“ sich ohnehin durch sein Œuvre zieht.5 Die dynamische Anfangsoffensive der deutschen Armee im Westen war im September zusammengebrochen und nach einem Teilrückzug in den verheerenden Stellungskrieg übergegangen, der bis 1918 anhalten soll-te. Etliche vertraute Freunde und Schüler Regers waren als Soldaten im Feld – Fritz Stein, Hermann Poppen oder Fritz Busch, um nur einige zu nennen.

Gleichwohl verdankt das Requiem seine Entstehung einer Anregung von au-ßen. Reger hatte Mitte September 1914 ein Te deum ins Auge gefasst, ließ sich von seinem Freund Karl Straube aber nach und nach überzeugen: „Sehr gerne würde ich das Requiem schreiben – aber meinst Du wirklich mit dem katholi-schen Text! Wäre es nicht möglich da einen Text aus der Bibel zusammenzu-stellen, daß man da eine große zusammenhängende Sache als ,Trauerode‘ machen könnte!“6 Wegen der Gefahr zu großer Nähe zu Brahms’ Deutschem Requiem ließ er diesen Gedanken schließlich fallen und willigte ein: „Da Du mir aber versicherst, daß der lateinische Text so sehr populär ist, werde ich unverzüglich an das Requiem gehen, habe mich soeben schon mit dem hiesi-gen katholischen Geistlichen – einem prachtvollen Mann, der die einzig wahre Gedächtnisrede auf den verstorbenen Herzog hier gehalten hat – in Verbindung gesetzt.“7

Mit Pfarrer Kilian Josef Meisenzahl, den Reger durch im Juli und August ge-meinsam gestaltete Trauerfeiern für Georg II. von Sachsen-Meiningen bezie-hungsweise für Papst Pius X. kannte, traf er sich bereits am 28. September zu einer eingehenden Erörterung des Texts. Obwohl Reger des Lateinischen nicht mächtig war, ist mithin nicht ohne weiteres anzunehmen, er habe nur ei-nen oberflächlichen Eindruck von der Textgrundlage gehabt, als er sogleich an deren Vertonung ging. Jedenfalls schritt das Werk aber nun rasch voran. Mitte Oktober waren große Teile des ersten Satzes entworfen, sodass Reger an die Ausarbeitung der Partitur gehen konnte. Am 10. November kündigte er Straube

4 So erwartet Reger in einem Schreiben an Fritz Stein am 8. Dezember 1914 dieses noch vor dem Jahreswechsel (vgl. Max Reger. Briefe an Fritz Stein, hrsg. von S. Popp, Bonn 1982 [= Veröffentlichungen des Max-Reger-Instituts Karlsruhe, Bd. 8], S. 193f.).5 „Haben Sie noch nicht bemerkt, wie durch alle meine Sachen der Choral hindurchklingt: ,Wenn ich einmal soll scheiden?‘ “ (Brief o.D. [1913] an Arthur Seidl, Max Reger. Briefe eines deutschen Meisters. Ein Lebensbild, hrsg. von Else von Hase-Koehler, Leipzig 1928, S. 254).6 Brief vom 21. September 1914, in Max Reger. Briefe an Karl Straube, hrsg. von S. Popp, Bonn 1986 (= Veröffentlichungen des Max-Reger-Instituts Karlsruhe, Bd. 10), S. 241.7 Brief o.D. [Ende September 1914], ebda., S. 242.

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die fertige Niederschrift des Requiem aeternam-Satzes für ein Treffen andert-halb Wochen später an und hatte das Dies irae schon begonnen.

Im Nachgang dieses Treffens müssen Straube Bedenken gekommen sein. Denn er bat Reger, ihm bei der nächs-ten Begegnung Ende November die Partitur für einige Tage zu überlassen: „Ich bringe dann das Dies irae mit, so weit es eben fertig ist; auch bringe ich den 1. Satz des Requiems nochmals mit, damit Du ihn mit nach Hause neh-men […] und durchsehen kannst.“8

Bei der folgenden Besprechung der Freunde in Leipzig am 14. Dezember, war das Dies irae auf 41 Partiturseiten weit gediehen: Das Fragment endet nach der Vertonung von rund drei Vier-teln des Texts mit der Zeile „statuens in

parte dextra“, rote Vortragsbezeichnungen sind noch nicht eingetragen. Bis dato war die Komposition also rasch fortgeschritten. Nun sollte sich als

fatal erweisen, dass Straube nicht nur den Anstoß zum Requiem-Projekt gege-ben hatte, sondern offenbar auch konkrete Vorstellungen damit verband, die sich von Regers Intentionen unterschieden. „Deine Anregungen betreffs der verschiedenen Sätze des Requiems sind mir sehr wertvoll“, bedankte sich die-ser zwar im Vorfeld der Komposition und versicherte, er habe „übrigens genau dieselbe Auffassung betr. des Textes“ – doch schon die Einschränkung, „aber von der Idee, da evangelische Choräle einzuführen, will ich nichts wissen!“,9 offenbart die Zustimmung als vordergründige diplomatische Konzession Regers.

Nach der Unterredung mit Straube brach Reger das Werk ab. Seine Frau Elsa berichtet Fritz und Margarete Stein am 16. und 19. Dezember hierüber empört: „Straube hat ihm bewiesen, daß er dem Stoff nicht gewachsen ist u. nun kann er es nicht fertig schreiben.“10 „St. erklärte ihm nun, er habe den lateinischen Text nicht ausgeschöpft, er werde des Textes nicht Herr. Natürlich entschuldigt

8 Brief Regers vom 23. November 1914, ebda., S. 244.9 Brief o.D. [Ende September 1914], s.o.10 Brief vom 16. Dezember 1914, zitiert ebda., S. 245.

Max Reger im Jahr 1914

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St. sich immer bei Max, daß er ihm seine Meinung so offen sagt, aber er sagt sie halt. Es ist Max der Glaube genommen ein Requiem schreiben zu können u. damit die Freude an dem Werk. Er findet den Faden nicht mehr u. hat das ¾ fertige Werk St. geschenkt.“11

Die Entscheidung, das so zupackend begonnene Werk aufzugeben, bedeute-te für Reger eine Schaffenskrise, aus der er sich mehrere Monate nicht befreien konnte. Bis zu seinem frühen Tod im Mai 1916 sollte er keinen Anlauf mehr auf ein ähnlich ambitioniertes Projekt, zumal auf kein abendfüllendes oratorisches Hauptwerk, nehmen – doch griff er Gedanken aus dem Requiem im Hebbel-Requiem op. 144b wieder auf.

Die Manuskripte beider Sätze blieben bis 1954 im Besitz Karl Straubes bezie-hungsweise seiner Witwe und gehören heute zu den bedeutendsten Stücken der Sammlung des Max-Reger-Instituts. Erst 1938 konnte Fritz Stein Straube, der das Werk weiterhin „nicht für bedeutend genug“12 hielt, zur Freigabe des ers-ten Satzes bewegen und das Requiem aeternam zum Abschluss des „Deutschen Reger-Festes“ in Berlin uraufführen. Die Uraufführung des Dies irae in Hamburg durch NDR-Chor und -Orchester unter Roland Bader ließ weitere 41 Jahre auf sich warten – sie ging zurück auf die beharrliche Initiative Susanne Popps.

Letztlich wäre nur zu spekulieren, an welchen Punkten Straubes Kritik ange-setzt haben mag.13 Sicher ist, dass das Requiem-Fragment eine sehr persön-liche, teils fatalistisch anmutende, oft höchst erregte Auslegung handelt, die streckenweise geradezu apokalyptische Seelenzustände schildert.14 Zumal seit der Uraufführung des Dies irae ist dieser Eindruck immer wieder in Bezug zu den Kriegsereignissen der Zeit gesetzt worden. So resümiert der Musikwissen-schaftler Klaus Blum: „Wir haben es mit einem Zeit- und Personaldokument allerersten Ranges zu tun, das mich persönlich von einem Alptraum befreit. Im-mer wieder hatte ich mich nämlich gefragt: Hat denn jener Erste Weltkrieg […] in der Musik keinen direkten Niederschlag gefunden? Hier liegt er nun vor“.15

Alexander Becker

11 Brief vom 19. Dezember 1914, ebda., S. 246.12 Gemäß Brief Hellmuth von Haases vom 23. November 1937 an Fritz Stein, Max-Reger-Institut.13 Vgl. hierzu Susanne Popp, Die ungeschriebenen Oratorien Max Regers, in Reger-Studien 5, hrsg. von S. Shigihara, Wiesbaden 1993 (= Schriftenreihe des Max-Reger-Instituts, Bd. 10), S. 269–294, sowie Susanne Shigihara, Spannungsfelder – Max Regers Requiemkompositionen im Kontext der Gattungsgeschichte, ebda., S. 333–368.14 Vgl. hierzu auch S. Popp, wie Anm. 1, S. 76–7815 Klaus Blum, Plattenpremiere zweier Fragmente. Uraufführung des Dies Irae, in FonoForum, 1980 Heft 11, S. 75.

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Erinnerungen an Wolfgang BurbachGründer der Brüder-Busch-Gesellschaft

Am 16. Oktober 2013 ist Wolfgang Burbach ganz unerwartet gestorben. Wenige Tage zuvor hatte er noch seinen 85. Geburtstag in großer fröhlicher Runde ge-feiert und schien sich von den Folgen seines vor zwei Jahren erlittenen Schlag-anfalls weitgehend erholt zu haben. Nun versammelten sich seine traurigen Angehörigen und Freunde am 26. Oktober auf dem Friedhof in Dahlbruch, um ihm das letzte Geleit zu geben. Alle waren sich einig, dass Jean Pauls Spruch auf seiner Todesanzeige wie zugeschnitten auf ihn war: „Gehe nicht, wohin der Weg dich führen mag, sondern dorthin, wo kein Weg ist, und hinterlasse eine Spur.“

Spuren hat er nicht nur bei sei-nen Mitmenschen hinterlassen; nein, er hat auch das Sieger-länder Kulturleben entscheidend geprägt. Dass die Erinnerung an die Brüder Adolf, Fritz, Hermann und Willy Busch in ihrer Heimat heute so präsent ist, dass die Dahlbruchhalle zum Gebrüder-Busch-Theater wurde und die Kulturgemeinde zum Gebrüder-Busch-Kreis, geht allein auf seine Initiative zurück.

Der Hort der Erinnerung mit dem längsten Atem aber sind Archive, die das kulturelle Erbe über Ge-nerationen wahren; und hier hat er mit dem Brüder-Busch-Archiv unauslöschliche Spuren hinter-lassen. Dem Weg des Archivs in das Max-Reger-Institut in Karlsru-he möchte ich mit diesen Erinne-rungen nachgehen.Hermann Busch und Wolfgang Burbach

am 14.10.1972 in Hilchenbach-Dahlbruch zur Feier des 75. Geburtstages Hermann Buschs

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Schon bald nach der Gründung der Brüder-Busch-Gesellschaft im Oktober 1964 baute Wolfgang Burbach gute Beziehungen zum Bonner Max Reger-Institut auf, waren doch der Komponist und die jüngeren Interpreten gute Freun-de und speziell Fritz und Adolf Busch Garanten dafür gewesen, dass Regers Werk in der nächsten Generation nicht in Vergessenheit geriet. Das Institut wur-de Mitglied der Gesellschaft, mein Vorgänger, Dr. Ottmar Schreiber, nahm re-gen Anteil an deren Entwicklung, man besuchte wechselseitig Konzerte, emp-fahl sich Künstler und tauschte Publikationen aus.

Staunend konnte der Regersammler, der mit finanziellen Engpässen und schwierigen Autographenbesitzern zu kämpfen hatte, erleben, wie, allein von zwei begeisternden Radioreportagen mit Wolfgang Burbach ausgelöst, Paket über Paket mit Materialien zu den Busch-Brüdern aus aller Welt im Siegerland eintraf und sich eine riesige Dokumentensammlung förmlich über ihn ergoss. Dass künftig ein großer Teil der Freizeit geopfert werden musste, um der Pa-pierberge Herr zu werden und Stück für Stück zu inventarisieren, war eine Fol-ge, welche die ganze Familie – mit ihm auch seine Ehefrau Brunhilde und seine Kinder Susanne und Eckhard – auf sich nehmen musste.

Ende 1972 beschloss die Brüder-Busch-Gesellschaft, den in Bloomington/USA verwahrten schriftlichen Nachlass Fritz Buschs mit tausenden von Briefen von und an wichtige Zeitgenossen für das Brüder-Busch-Archiv zu erwerben. Zur großen Freude Ottmar Schreibers enthielt der Nachlass auch zwei wichtige Reger-Dokumente: das Autograph der Orchesterfassung der Beethoven-Variationen op. 86 und Korrekturabzüge von Regers letztem großen Or-gelwerk, der Phantasie und Fuge d-moll op. 135b. Auf Vermittlung Burbachs konnte das Max-Reger-Institut beide Stücke im August 1973 von Hans Busch als Rechtsnachfolger seines Vaters erwerben. Auf den Beethoven-Variationen befindet sich der Schenkungsvermerk: „Meinem lieben, lieben Fritz Busch in Dankbarkeit für meine von ihm geleiteten Regerfeste 1917. 1918. 1920 in Jena. Frau Max Reger.“ Wie unsere Provenienzforschungen zum Werkverzeichnis ergaben, erfolgte die Schenkung nicht etwa 1920, sondern erst 1937 bei einer späteren Begegnung in der Schweiz.

Als Nachfolgerin Schreibers hielt auch ich die Verbindung nur zu gerne auf-recht, denn wir sahen uns bei schönen Konzerten in Bonn und Siegen und ich konnte Wolfgang Burbachs großartigen Verbindungen nicht nur zur gesamten Busch-Familie sondern zur musikalischen Welt bewundern; wo immer er auf-tauchte, öffneten sich die Türen – etwa wenn er Fahrten für die Mitglieder sei-ner Gesellschaft in die Festspielhäuser in Bayreuth und Glyndebourne oder in die Wirkungsstätten des Stuttgarter Theaters und der Semperoper organisierte. Dass er die Fahrten dorthin mit schönsten Erzählungen aus einem unerschöpf-

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lichen Fundus begleitete, versteht sich von selbst.In den 90-er Jahren tauchten in Protokollen der Brüder-Busch-Gesellschaft

immer wieder Überlegungen über die Zukunft auf; Burbachs 65. Geburtstag wurde 1993 gefeiert, bei seiner Gesundheit und Aktivität zwar kein Alter, aber für den die Ewigkeit bedenkenden guten Archivar doch ein Einschnitt, der zur Planung auffordert. Seine in einem Rundschreiben an die Mitglieder der Brü-der-Busch-Gesellschaft vom 15. September 1993 geäußerten Überlegungen für eine künftige Regelung brachten mich auf die kühne Idee, ihm zwei Tage darauf in einem Brief unser Institut als guten Nachlasshüter ans Herz zu legen. Wir waren damals nur zu zweit, meine langjährige Kollegin Dr. Susanne Shigi-hara und ich, hatten aber in zehn zurückliegenden Jahren mit 15 Büchern, vier Symposien und neun großen Veranstaltungsreihen einen lebendigen Umgang mit dem Archivmaterial bewiesen: „wissenschaftliche Auswertung und künstle-rische Umsetzung wären also bei uns garantiert“, schrieb ich etwas kühn (denn wer nicht wagt, der nicht gewinnt). Nicht verhehlen konnte ich, dass die momen-tane Situation des Max-Reger-Instituts – in Bonn standen weder ausreichend Raum noch finanzielle Mittel zur Verfügung – entschieden gegen diese Ent-scheidung spräche, dass ich mich derzeit aber um eine Verbesserung dersel-ben bemühe, die leider noch nicht spruchreif sei und diplomatische Verschwie-genheit verlange. Es spricht für den Wagemut und die Entschlussfreudigkeit Wolfgang Burbachs, bei Erhalt meines Briefs sogleich anzurufen und mit dem einzigen Bedauern, nicht selbst auf die Idee gekommen zu sein, sogleich die Sache in die Hand zu nehmen: „Ich habe meinen Vorstand zusammengetrom-melt!“, schrieb er am 29. September, „Wir treffen uns am Donnerstag, dem 21. Oktober 1993, um 18.00 Uhr im Gasthof ’Stahlberg‘ in Hilchenbach-Müsen. Ich hoffe auf ein gutes Gespräch mit Ihnen und Frau Dr. Shigihara.“

Das Gespräch verlief in der Tat gut und der Vorstand beschloss, angesteckt vom notorischen Optimismus Wolfgang Burbachs und gegen viele verständ-liche Bedenken, sich auf das Wagnis einzulassen und die Verbesserung der Verhältnisse des Max-Reger-Instituts hoffnungsfroh abzuwarten. Diese traten Ende 1995 mit dem Umzug nach Karlsruhe tatsächlich ein, die Mitgliederver-sammlung der Brüder-Busch-Gesellschaft billigte am 7. Oktober 1995 einstim-mig die Entscheidung des Vorstand, die Schätze nach Baden-Württemberg zu geben. Doch erlaubte die Unterbringung des Instituts in einem Provisorium im folgenden Jahr zunächst nur die Übernahme des Briefmaterials: 17.000 Do-kumente in drei Stahlschränken wechselten in die Karlsruher Röntgenstraße und Alexander Becker, heute Dr. der Musikwissenschaft und Editor der Reger-Werkausgabe, konnte als studentische Hilfskraft mit ihrer wissenschaftlichen Auswertung beginnen.

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Die Übergabe des gesamten Materi-als als Dauerleihgabe folgte im Januar 1999: Das Max-Reger-Institut war in seiner endgültigen Bleibe in der Alten Karlsburg in Karlsruhe Durlach ange-kommen und hatte endlich ausreichend Platz, Tausende von Programmen, Zei-tungsartikeln, Fotografien und Tondo-kumenten unterzubringen.

Die Bewährungsprobe als Voraus-setzung zur Schenkung bestand das Institut gut. Die wissenschaftliche Er-schließung des Archivs ging voran, seine Inhalte wurden in Vorträgen und Ausstellungen der Öffentlichkeit ver-mittelt. Seit 2000 betreut auch Dr. Jür-gen Schaarwächter, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Max-Reger-Institut, das Archiv und seine Besucher, beant-wortet viele Anfragen und widmet sich mit besonderer Liebe dem Schallarchiv: Die Überspielungen alter Tonbänder sind abgeschlossen, neue CD-Aufnahmen wurden initiiert und ihre Booklets mit Texten und Bildmaterial versorgt, auch wurden manche Anstöße, Noten zu drucken, umgesetzt. Für die Auswertung der Briefe setzt sich weiterhin Almut Ochsmann M. A., die Herausgeberin dieser Mitteilungshefte, ein.

Wolfgang Burbach blieb uns allen nicht nur ein guter Ratgeber, er verfolgte auch die weitere Entwicklung „seines Kindes“ als guter Stratege: Auf der Kura-toriumssitzung des Max-Reger-Instituts am 3. April 2000 stellte er seine Pläne vor, zu seinem 75. Geburtstag im Oktober 2003 die Brüder-Busch-Gesellschaft, die ihre Aufgabe mehr als je erwartet erfüllt habe, aufzulösen und die Schen-kung des Archivs an das Max-Reger-Institut zu veranlassen. Wer ihn kennt, weiß, dass er von einem solchen Entschluss nicht wieder abzubringen war, so dass die Gesellschaft am 18. Oktober 2003 – „nach 39 Jahren und einem Tag“ – aufgelöst wurde; und dies nicht ohne Wehmut, denn Burbachs 2011 erschie-nenen Erinnerungen tragen nicht zu Unrecht den Titel Im Dienst der Brüder-Busch-Gesellschaft. Gleichzeitig wurde sein Lebenswerk Brüder-Busch-Archiv dem Max-Reger-Institut in einem Festakt zugestiftet. Die Nachfolge der Gesell-schaft trat der Freundeskreis der Busch-Brüder e. V. an, dessen Mitgliedern auf Veranlassung Wolfgang Burbachs zur Verfestigung der schon historischen Be-

Susanne Popp und Wolfgang Burbach besi-geln die Übergabe des BrüderBuschArchivs an das Max-Reger-Institut am 11. Juli 2003 in Hilchenbach. Hinten im Bild: Hans Christhard Mahrenholz.

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ziehungen zwischen den Buschs und Reger zugleich der Eintritt in die Internationale Max-Reger-Gesellschaft nahegelegt wurde, deren Ehrenmitglied er selbst wurde. Im März 2004 verabschiedete er sich nach getaner Tat aus dem Kuratorium des Max-Reger-Instituts; heute hält der Vorstandvorsitzende des Freun-deskreis der Busch-Brüder, der Sie-gener Altbürgermeister Ulf Stötzel, die Verbindung – laut Burbach „der erste Siegener Bürgermeister seit 1964, der sich intensiv für die Brüder Busch einsetzt.“

Im Sommer 2012 konnte ich Wolfgang Burbach besuchen, um mir bei ihm Rat für meine Recherchen zur Publikation Berufung und Verzicht. Fritz Busch und Richard Wagner zu holen und seine Meinung zu offenen Fragen zu erfah-ren; stundenlang konnte ich bewundern, wie lebhaft und engagiert er zu dem Thema sprach und wie er sich für alle künstlerischen und menschlichen Fra-gen begeistern konnte. Und dies war auch der Tenor aller Gespräche nach der Trauerfeier in Dahlbruch: Die Welt ist ärmer um einen unermüdlichen Sammler und Macher, einen Kulturbesessenen und fesselnden Geschichtenerzähler und nicht zuletzt um einen großen Menschen.

Susanne Popp

Wolfgang Burbach und Wolfgang Rihm in der Musikhochschule Karlsruhe im Jahr 2003 beim Konzert „RegeRihm“

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30Rätseln mit Reger

Nr. 5

WaagrechtAuch auf (7 Senkrecht) zu finden: „Man kann heute gar nicht mehr eine einfache Symphonie schreiben. [...] Ohne ... und Riesenchor zum Schluss geht es nicht.“Hat Reger Abertausende geschriebenEchte ...-Trommeln für Reger, die BrüderReger für musikalische Völkerverständigung: „Die amerikanischen ... sind doch etwa so gebaut wie die Deutschen.“Ein Fels in der Brandung für Reger, Freund Fritz

SenkrechtHeute hier, morgen dort. Reger im musikalischen DauerstressGoldene Pianistenregel: Erst ..., dann Regers Elefanten. Zauberhafte Attacke auf Regers Rücken. Morgens früh um sechs?S im Rock? Hat so manchen Reger aufs Papier gebrachtSal-, Reif-, Silber-, Bruch-, Korb-...? Wo Reger einst geweiltHat Reger keine einzige geschriebenVeggie-Day mit Reger: Zwei Pfund grüne ..., dazu Mineralwasser

Die Buchstaben in den schraffierten Feldern ergeben den Namen eines Reger-Dirigenten (Vor- und Nachname). Das Lösungswort senden Sie bitte bis zum 31. August 2014 an [email protected] oder per Postkarte an Almut Ochsmann, Werderstraße 31, 76137 Karlsruhe. Unter den richtigen Ein-sendern wird diesmal die jüngste Doppel-CD der Staatskapelle Dresden unter der Leitung von Christian Thielemann mit ihrer wunderbaren Interpretation der Romantischen Suite verlost. Der Gewinner wird in der nächsten Ausgabe der Mitteilungen genannt, der Rechtsweg ist ausgeschlossen.

Lösung des Reger-Rätsels aus den Mitteilungen Nr. 24 (2013):Waagrecht: 1 PFLAUME 5 PLUMPUDDING (Edvard Grieg 1906 an Henri Hin-richsen) 10 HAESSLICHKEIT (Rudolf Louis 1903 in den Münchner Neuesten Nachrichten) 12 WELTE (Reger spielte zehn Stücke für das Welte-Mignon-Re-produktionsklavier ein)Senkrecht: 2 Rudolf LOUIS (Louis = Münchnerisch für Zuhälter) 3 SPLITTER (durch Martha Rubens Eltern gelangt Reger an einen Splitter von Beethovens Sarg) 4 Martha RUBEN (im Reger’schen Haushalt beschäftigte Sängerin. Nach-

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dem sie Max die Haare gewaschen hat, kommt es zwischen Martha und Elsa zum Streit) 6 GEBURTSJAHR 7 ASTEROID 8 HEINRICHE (Reger 1914 an Karl Straube, Reger spielte 16 Orgelwerke für die „Welte-Philharmonie-Orgel“ ein) 9 Othmar SCHOECK (englische elf = Eleven = Schüler) 11 SAUSTALL (Reger 1905 an Lauterbach & Kuhn)

Das Lösungswort lautete MORTIMER WILSON. Leider ist die richtige Antwort diesmal nicht eingegangen.

Moritz Chelius

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Aktuelle Veranstaltungen:Unter dem Titel Das Glück in der Kunst. Expressionismus und Abstraktion um 1914 zeigt die Kunsthalle Bielefeld die Sammlung von Hermann-Josef Bunte. In der über 250 Werke zählen-den Sammlung befindet sich auch ne-ben stehend abgebildeter „Max Reger schreibend“ von Franz Nölken. Hun-dert Jahre nach Beginn des Ersten Weltkriegs erinnert die Kunsthalle Bielefeld damit an die im Krieg umge-kommenen Künstler wie August Ma-cke (1914), Franz Marc (1916), Franz Nölken (1918), Hermann Stemmler (1918), Hermann Stenner (1914) und Josef Alfons Wirth (1916). Die Ausstellung ist noch bis zum 3. August 2014 in Bielefeld zu se-hen: www.kunsthalle-bielefeld.de,

Di-So 11-18 Uhr, Mi 11-21 Uhr, Sa 10-18 Uhr, Montag geschlossen. Die Evangelische Weihnachtskirchengemeinde Berlin-Haselhorst feiert das 100-jährige Bestehen ihrer Reger-Orgel, die am 19. April 1914 von Karl Straube eingeweiht wurde. Am 4. Mai 2014 findet ein Konzert für Orgel, Sop-ran und Flöte statt. Die drei Siegener Musiker gestalten ein Gedenkkonzert für den im Jahr 2010 verstorbenen Professor Hermann J. Busch. Der Orgelfoscher Busch hatte 2006 vor der Restaurierung der Orgel ein Gutachten über die historische Bedeutung der Orgel verfasst und im Jahr seines Todes eines sei-ner letzten Konzerte in Haselhorst gegeben. Sonntag, 4. Mai 2014, 16 Uhr, Musik von Bach, Liszt, Reger und Langlais. Susanne Sobanski, Sopran; Sibylle Schwantag, Flöte und Jürgen Poggel, OrgelAm Sonntag, 11. Mai 2014 um 18 Uhr findet in der Christuskirche Karlsruhe ein Konzert mit Max Regers Dies irae WoO V/9 statt. Außerdem: Heinrich Schütz: Verleih uns Frieden gnädiglich und Frank Martin: In terra pax. Musikalische Lei-tung: Carsten Wiebusch, Chöre der Christuskirche und Kammerphilharmonie Karlsruhe. Konzert im Rahmen der 22. Europäischen Kulturtage in Kooperation mit dem Max-Reger-Institut: http://web1.karlsruhe.de/Kultur/EKT/EKT2014/de/programm/detail/29/Im nächsten Heft:Regers Hymnus der Liebe für Bariton op.136 und andere Reger-Themen

Redaktionsschluss für die Mitteilungen 26 (2014) ist der 31. August 2014

Franz Nölken: Max Reger schreibend (VI), 1916Öl auf Leinwand, 61,3 x 50,3 cm