Rehabilitation und Gesundheitswesen III · •erforderlich für die Diagnose Schizophrenie ist...

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Rehabilitation und Gesundheitswesen III Rehabilitation bei psychischen Erkrankungen und Behinderungen relevante Konzepte in der Sozialpsychiatrie 4.Das Krankheitskonzept Schizophrenie

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Rehabilitation und Gesundheitswesen III

Rehabilitation bei psychischen Erkrankungen und Behinderungen – relevante Konzepte in der

Sozialpsychiatrie

4.Das Krankheitskonzept Schizophrenie

4. Das Krankheitskonzept Schizophrenie

• vieldimensional

• immer nötig: Beachtung der Begrenztheit der Gültigkeit je nach Beschreibungsebene

• nur Gesamtschau – wenn überhaupt –geeignet, Realität zu erfassen

• dennoch: Einzelaspekte erhellen Zusammen-hänge (auch für Betroffene wichtig)

• so vielleicht (hoffentlich) auch für Sie !

Diagnostische Leitlinien der Schizophrenie nach ICD 10 (F20)

Symptomgruppen 1-4

1. Gedankenlautwerden, -eingebung oder –entzug, Gedankenausbreitung

2. Kontroll-, Beeinflussungswahn, Gefühl des Gemachten, Wahnwahrnehmungen

3. Kommentierende oder dialogische Stimmen

4. Anhaltender, kulturell unangemessener und völlig unrealistischer Wahn

Diagnostische Leitlinien der Schizophrenie nach ICD 10 (F20)

Symptomgruppen 5-85. Anhaltende Halluzinationen jeder

Sinnesmodalität, begleitet von flüchtigen Wahngedanken oder überwertigen Ideen

6. Gedankenabreißen oder Einschiebungen in den Gedankenfluss, was zu Zerfahrenheit, Danebenreden oder Neologismen führt

7. Katatone Symptome wie Erregung, Haltungsstereotypien oder wächserne Biegsamkeit, Negativismus, Mutismus und Stupor

8. „Negative“ Symptome wie auffällige Apathie, verflachte oder inadäquate Affekte (dies hat meist sozialen Rückzug und ein Nachlassen der sozialen Leistungsfähigkeit zur Folge)

Diagnostische Leitlinien der Schizophrenie nach ICD 10 (F20)

• erforderlich für die Diagnose Schizophrenie ist

• ein eindeutiges Symptom der Gruppen 1-4

• oder mindestens zwei Symptome der Gruppen 5-8

• fast ständig während eines Monats oder länger (unbehandelt)

Untergruppen der Schizophrenie

• bestimmte Symptomschwerpunkte oder Verlaufscharakteristika

• z.B. Paranoide Schizophrenie F 20.0 (die häufigste) Wahn und Stimmenhören bes. ausgeprägt

• Hebephrene Schizophrenie F 20.1 Beginn im Jugendalter, Antriebsstörungen und Denkstörungen im Vordergrund

• Schizophrenes Residuum F 20.5 Überwiegen negativer Symptome, chronischer Verlauf

Plussymptomatik

• Denkstörungen

• Wahnerlebnisse

• Wahnstimmung

• Halluzinationen

• Zerfahrenheit

• Erregung und Anspannung

• Angst, Getriebensein

• Ich-Störungen und Fremdbeeinflussungs-erlebnisse

Minussymptomatik

• Sprachverarmung• Veränderung des Gefühlslebens (sog. flacher

Affekt)• körperliche Befindlichkeitsstörungen• Erschöpfbarkeit• Konzentrationsstörungen• Einbuße an sozialer Kompetenz• Innere Leere• Niedergeschlagenheit und Depression• Antriebslosigkeit• Mut und Hoffnungslosigkeit• Minderwertigkeitsgefühle• fehlende Spontanität

Jean Hermanns, Dipl. Psych., Dipl. Soz.päd.:Bewältigung der

Schizophrenie

Frühverlauf Schizophrenie (Mannheimer ABC-Studie, Häfner)

Jean Hermanns, Dipl. Psych., Dipl. Soz.päd.:Bewältigung der

Schizophrenie

Was wissen/vermuten wir bzgl. der Schizophrenie ? –Biologisch-neurowissenschaftliche Krankheitskonzepte

• Genese

• Verlauf und Prognose

• Neurobiologie

• Neuropsychologie

Schizophrenierisiko nach Verwandtschaftsgraden (Rey nach Gottesmann)

Jean Hermanns, Dipl. Psych., Dipl. Soz.päd.:Bewältigung der

Schizophrenie

Pathophysiologie der Schizophrenie

• generell: Gene wirken auf Hirnstruktur und -funktion, tragen also nur indirekt zu einer Krankheit bei

• Bedeutung der Epigenetik: Gene brauchen „Geburtshelfer“

• ob ein Gen an oder abgeschaltet und damit wirken oder nicht wirken kann, hängt von äußeren Einflüssen (z.B. Stress) ab

• unbewältigbarer Stress, z.B. Vernachlässigung, Traumata führt zum Abbau von Methylgruppen am Gen, die zuvor die Aktivität des Gen hemmten

• dies konnte z.B. für ein sog. Kandidatengen für Schizophrenie (DRD2) nachgewiesen werden

Ablauf Genaktivität I• DNA (Erbmolekül) im

Zellkern perlschnurartig aufgerollt (aus Platz-gründen)

• jede Perle (ein Nukleo-som) besteht aus dem DNA-Faden,

• der sich um einen Proteinkomplex aus 8 Histonen wickelt

• in dieser dicht gepackten Form kann die DNA nicht gelesen werden, die hier liegenden Gene bleiben inaktiv

Ablauf Genaktivität II

• chemische Anhängsel an den Histonen wie Azetylgruppen lockern die feste „Packung“ auf

• die Gene liegen frei

Ablauf Genaktivität III

• Zusätzlich können noch Methylgruppen an den Genen hängen

• die verhindern, dass der DNA-Doppelstrang enzymatisch geöffnet wird

• Transkriptionsfaktoren fördern das Ablesen eines Gens

Ablauf Genaktivität IV• jetzt kann das Enzym

RNA-Polymerase die DNA auf eine weitere RNA umschreiben

• die Boten-RNA

• diese verlässt den Zellkern…

• …und dient den Proteinfabriken der Zelle als Bauanleitung für Enzyme und andere Eiweißstoffe

Veränderung des Dopaminsystems bei

Schizophrenen - Steigerung im limbisches System

• limbisches System zuständig für affektive geleitete Wahrnehmungsfilterung und –interpretation

• gesteigerte Dopamin-Aktivität dort führt zu Fehlinterpretation harmloser äußerer Reize (Wahnbildung) und

• defekter Filterung von Wahrnehmungen (Halluzinationen)

Veränderung des Dopaminsystems bei

Schizophrenen – Verminderung im präfrontalen Kortex (PFC)

• PFC zuständig kognitive Funktionen, bes. Sprache, Handlungsplanung und Motivation

• Verminderung dort führt zu kognitiven Störungen

• Verarmung des Denkens und der Sprache

• Verminderung des Antriebs und der Motivation

Dopaminhypothese der Schizophrenie (n. Davison&Neale)

Jean Hermanns, Dipl. Psych., Dipl. Soz.päd.:Bewältigung der

Schizophrenie

Neurobiologische Entwicklungshypothese (Weinberger)

• gestört ist die sog. neuronale bzw. synaptische Plastizität

• Bsp.: Pianisten• wesentlichster adaptiver Mechanismus der Hirns,

generell auf Veränderungen zu reagieren• entscheidend für Lernen, bes. im sozialen Bereich• Bei Schizophrenie Neubildung von Synapsen behindert,

vorhandene funktionieren nicht schnell genug• bis zur Pubertät fällt dies angesichts eines

„Überangebots“ von Synapsen kaum auf (dann Reduzierung)

• In der Folge „Verbindungsstörung“ zwischen neuronalen Netzwerken (kognitive Störungen)

• Trainingsansatz der Therapie: Üben, üben…

Infektionshypothese der Schizophrenie

• Wahrscheinlichkeit einer Sch. steigt bei pränatalen Infektionen

• Menschen mit schizophrenen Psychosen werden (geringfügig) häufiger im Winter geboren

• Störung der Hirnentwicklung prädisponiert für spätere Manifestation der Erkrankung

• bes. Retrovirus-Infektionen in Verdacht • allerdings: bislang kein Nachweis entzündlicher

Reaktionen, ebenso nicht von Viruspartikeln• bei Pat. mit sehr negativem Verlauf fanden erhöhte

Konzentrationen von Interleukinen im Serum und Liquor

Psychosoziale (und mögliche epigenetische) Einflussfaktoren bzgl. der Genese der Schizophrenie

in Sozialepidemiologische Studien erhöhtes Schizophrenierisiko bei:

• MigrantInnen

• Stadt- vs. Landbewohnern

• traumatisierten Menschen

• genauer Verursachungsgang unklar

• ev. Epigenetik

• ev. negative Auswirkungen hinsichtlich Auslösefaktoren wie Stressbewältigung

Jean Hermanns, Dipl. Psych., Dipl. Soz.päd.:Bewältigung der

Schizophrenie

Differenzierung des „first-hit“

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Schizophrenie

…und nicht zu vergessen

Cannabis Insbesondere bei männlichen Erkrankten

einer der wichtigsten Auslösefaktoren für schizophrene Episoden !

Warum ? …

Spezifische Auswirkung auf dopaminergeTransmission

ATP

cAMP

G-Protein

cAMP

Ca ++

Ca ++

Ca ++

Ca ++

Transmitter cAMP-Kinasen

Cannabinoid rezeptor

THC

ATP

cAMP

G-Protein

Ca ++

Ca ++

Cannabinoid rezeptor

THC

Schizophrenie als seelische Behinderung

• Verlauf unterschiedlich, häufig schwer

• Risiko der seelischen Behinderung sehr groß

• bei Verlauf und Prognose psychosoziale Faktoren offenbar entscheidend

• kein nur krankheitsimmanenter Verlauf („Schub“)

Epidemiologie & Krankheitsverlauf

• Verlaufstypen

Jean Hermanns, Dipl. Psych., Dipl. Soz.päd.:Bewältigung der

Schizophrenie

Das Expressed-Emotion Konzept:(Vaughn und Leff, 1976)

• es gibt in Familien psychisch Kranker verschiedene kritische Verhaltensdimensionen in der familiären Interaktion, u.a.

• Kritik• Feindseligkeit• Emotionales Überengagement• Wärme• Anzahl positiver Bemerkungen• diese Verhaltensweisen stellen Reaktionen der

Umgebung/Eltern auf die Erkrankung dar• Und wirken sich erleichternd auf die Auslösung von

psychischen Krisen / Rezidive einer Schizophrenie aus

Niedriger EE-Wert 13 %

Rückfallraten expressed emotions und medikamentöse Behandlung

Hoher EE-Wert 51 %

Unter 35 Stunden Gesichtskontakt pro Woche 28 %

35 Stunden und mehr Gesichtskontakt pro Woche 71 %

12 % mit 15 % ohne Dauermedikation

15 % mit 42 % ohne Dauermedikation

55 % mit 92 % ohne Dauermedikation

Rückfallraten in % (125 schizophrene Pat. innerhalb von 9 Monaten)