REPORTAGE...

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109 Einwohner. Vier Brief- kästen. Die Leerung ti- deabhängig. Keine Auslieferung etwa bei Eisgang. Das Le- ben auf einer Hallig folgt einem anderen Rhythmus, und wer wüsste es besser als Hauke Ketelsen, Postbote auf Hooge. Er sagt: „Wir Halligbewohner leben nicht in vier Jahreszeiten, sondern in zwei.“ Ein Takt in zwei Jahreszeiten also, nach Winterfahrplanzeit und Sommerfahr- planzeit, und mitunter geht dabei eini- ges durcheinander. Wie bei Sturm Xa- ver 2013, als die Fähre von Mittwoch bis Sonnabend ausgerechnet während der Vorweihnachtszeit ausfiel und als er am Ende der Tage vor der Lieferung vom Festland stand und dachte, „mich trifft der Schlag“. Zwei Tage war er damit be- schäftigt, die Sendungen zu verteilen. Hauke Ketelsen, 43, freundliche Au- gen, spitzbübisches Lächeln, ist Hooger vom alten Schlag. Auf der Hallig aufge- wachsen, hier zur Schule gegangen, auf dem Festland Landmaschinenschlosser gelernt, nach dreieinhalb Jahren zu- rückgekehrt. Er ist der Jüngste von vier Geschwistern, er gehört zu der Generati- on, die im Sommer für Touristen ihre Zimmer räumen musste, weil die Hoo- ger zu der Zeit nicht viel Geld hatten; zu- sammen mit den Eltern schlief er im am Haus angrenzenden Schutzraum, im Wohnzimmer nahmen die Gäste ihre Mahlzeiten ein, und wenn es dann abends Fußball im Fernsehen gab, teilte er sich das Erlebnis mit Fremden. Jetzt sitzt er beim Kaffee in eben je- nem Haus, in dem sein Vater eines Ta- ges die Kinder um den Tisch versammel- te und ihnen die Frage nach der Zukunft stellte, „wer will übernehmen?“ Hauke war der einzige, der sich das vorstellen konnte, mit 19 wurde er also selbstän- dig. Noch heute ist er Landwirt, er ist ei- ner von gerade noch zehn, er ist es mit Herz und Seele, nur, die Landwirtschaft hat sich verändert, und wenn sie früher die Familie ernährte, reicht das nun al- lein nicht mehr. Vor drei Jahren ging der alte Postbote in Rente, er trat er an seine Stelle. Für 22 Stunden in der Woche wird Hauke Ketelsen als Postbote bezahlt; im Sommer arbeitet er jeden Tag, im Winter drei Tage die Woche, jeden Dienstag und Donnerstag vor der Fährfahrt leert er die Briefkästen. Früher gab es auf der Hallig eine Postfiliale mit Schalterstun- den, und heute steht die Einrichtung oder das, was nach dem Ende der Filiale vor zwei Jahren davon übrig blieb, bei ihm im Stall. Wer ein Paket oder ein Ein- schreiben aufgeben möchte, macht es jetzt an seinem Auto, mobiler Service nennt sich das. Zu den meisten Einheimi- schen geht Hauke Ketelsen direkt ins Haus, die wenigstens haben einen Brief- kasten, „da husch ich schnell rein, leg’ die Post ab und schon bin ich wieder weg“, hin- und wieder liegt für ihn ein Zettel mit Wünschen nach Briefmarken und Geld dabei, „so läuft das hier“; im- mer gern im Einsatz, nur, nach 18 Uhr, da ist für ihn „daddeldu“, da ist er konse- quent, man müsse Grenzen ziehen. Er ist Landwirt. Er ist Postbote. Zwei Leben in einem; unterwegs sein, drau- ßen sein, „das ist mir wichtig“. e Mehr über das Hallig-Leben von Autorin Marion Hahnfeldt in ihrem Blog unter www.threemonths.de – und kommende Wo- che wieder an dieser Stelle. Nach 18 Uhr ist „daddeldu“ Hauke Ketelsen ist Postbote auf Hallig Hooge. Die Briefe und Pakete bekommt er mit der Fähre – manchmal auch nicht. Von Thomas Olivier S chon seit Wochen stehen sie in den Kaufhaus-Rega- len Spalier: Schoko-Oster- hasen, millionenfach. Ihre Wiege: die oberbayerische Ge- meinde Glonn. Kaum ein Scho- ko-Nager zwischen Rio und Tokio, der in dem kleinen Erholungsort nicht Modell gestanden hat. Hier entstehen die Kunststoff-Formen für fast alle Schoko-Hasen welt- weit. Ihr Geburtshelfer: Ein Desig- ner, der früher beim Landeskrimi- nalamt Phantombilder von Verbre- chern gezeichnet hat. In der Schnute von Meister Lam- pe steckt eine Blume. Zu dünn darf der Stengel nicht sein. „Sonst bricht er entzwei“, sagt Anton Asanger, 50. Mit einem Modellier- holz gibt der Schoko-Künstler dem Mümmelmann aus Plastilin den letzten Schliff. Asanger entwirft beim Schokoformen-Hersteller Hans Brunner im oberbayerischen Erholungsort Glonn Gussformen für Osterhasen und Ostereier. Aus den Bleistift-Entwürfen und den Modellen des Meisters entstehen Millionen Schoko-Nager für die ganze Welt. „Ein Traumjob“, fin- det Asanger. Bis vor ein paar Jahren hat er beim Landeskriminalamt in Mün- chen noch Phantombilder gezeich- net. Irgendwann haben ihm die Verbrecher-Visagen gereicht. Statt Mörder zu skizzieren, kreiert der ehemalige Porzellan-Maler von der Königlichen Manufaktur Nymphenburg heute lieber die Kör- per süßer Schoko-Häschen. „Nun schaut mich täglich ein fröhliches Gesicht an.“ Ohne Formen keine Schokolade Kaum ein Schokohasen-Zoo im Su- permarkt-Regal, dessen Wiege nicht im 4500-Seelen-Nest Glonn steht: Aus Meister Lampes Kreis- saal wackeln Hasen-Formen durch ganz Europa und containerweise bis nach Japan und Südamerika. Dank Asangers Kreationen laufen millionenfach süße Häschen, Niko- läuse und viele andere Gestalten vom Band. Ohne Formen kein Wer- den: Mit einem Marktanteil von mehr als 40 Prozent bei den Scho- ko-Hohlfiguren ist das weltweit operierende Unternehmen mit sei- nen hundert Mitarbeitern der inter- nationale Platzhirsch. Nur eine Handvoll Konkurrenten versucht Schritt zu halten. „Wir arbeiten in einem Nischenmarkt“, sagt Ge- schäftsführer Markus Gebhart. Der Herr der Hasen strotzt vor Zu- versicht: „Genascht wird im- mer!“ Gerade in Krisenzeiten. Selbst die Billiglohnländer Asiens sind für den kleinen Global-Player mit dem riesi- gen Marktanteil keine ernst- hafte Bedrohung: „Schoko- lade spielt in China nur eine untergeordnete Rolle“, er- klärt Gebhart. In Brasilien, einem der wichtigsten Absatzmärk- te, sei sie aber der „Luxus des klei- nen Mannes“. Bis Meister Lampes Löffel aus Zartbitter, Nougat und Vollmilch auf der Zunge zerschmelzen, ist es ein langer Weg. Aus der Hand des Illustrators hoppelt der Hase als ein- gescanntes Modell in 3D-Compu- terprogramme. High-Tech für den Schoko-Spaß: Am Bildschirm be- kommen die digitalisierten Nager ihren Feinschliff. Danach fräsen Hochgeschwindigkeits-Maschi- nen mit tausend Umdrehungen pro Sekunde die Rohlinge aus Kunst- stoff. Diese so genannten „Stem- pel“ landen in Spritzgussmaschi- nen und Hochdruckpressen, die mit einer Riesenpower von bis zu 2300 Tonnen Druck die Hasen-Hül- len aus Polycarbonat formen. Geschäftsführer Markus Geb- hart blickt auf eine stolze Bilanz: Mehr als 25 000 For- men haben die De- signer, Werk- zeugmacher und Feinwerkmecha- niker bis heute entwickelt. „Täg- lich kommen im Schnitt zwei neue Formen hinzu.“ An den altbekann- ten Gestalten muss ständig gefeilt, gegossen und gepresst werden. Die mächtige Kundschaft von Mil- ka bis Lindt will immer wieder neue Trends in Schokolade gießen. Eine Zeit lang sollten die Häs- chen so aussehen, als seien sie Ver- wandte von Donald Duck oder Bie- ne Maja. Derzeit ist Retro-Look der „dernier cri“. Vollbusige Hasenda- men oder Mümmelmänner mit Walkman? Nichts für die empfind- same deutsche Seele. Bloß kein mo- discher Schnickschnack! Am be- liebtesten sind immer noch die lila- und goldfarbenen Häschen im spinnwebfeinen Alufolien-Kleid. Häufig gewünscht, so Gebhart, sei- en „Hasen mit Rückenkörbchen“ wie man sie aus alten Kinderbü- chern kennt. Nicht nur Klassiker wie Hasen und Nikoläuse beschäftigen Scho- ko-Designer Anton Asanger. Kaum ein Gegenstand des täglichen Le- bens, den er nicht schon nachgebil- det hat: Handys und Trachtenschu- he, Baumstämme und Bohrmaschi- nen, Nilpferde und Elche, Autos und Smartphones. Selbst eine Scho- koversion des welthöchsten Wol- kenkratzers „Burj Khalifa“ und For- men für Kamelmilch-Schokolade in Dubai schafften es schon in die Auftragsbücher. Zartes Knabbern an langen Löffeln Eine Scheune, zwei Menschen, vie- le Ideen und wenig Geld: So be- schreibt Firmeninhaber Rudi Schwaiger die Anfänge des Famili- en-Unternehmens 1935. Anfangs wurden die Formen für die Scho- ko-Hohlkörper noch aus Metall her- gestellt. Erst in den sechziger Jah- ren setzte sich Kunststoff durch. Heute verlassen jährlich nahezu ei- ne Million Schokoformen die Ma- nufaktur. Nicht nur Schablonen für die süßen Brauchtumsfiguren, auch Hohl- Formen für Pralinen, Schoko-Riegel und Lollies. Das Ostergeschäft ist für den 47-jährigen Markus Gebhart welt- weit der Renner: „Deutlich vor Weihnachten und Muttertag.“ Schon seit Jahren ist die süße Vari- ante von Meister Lampe ein Export- schlager: Etwa 44 Prozent der jähr- lich 190 Millionen Schokohasen aus deutscher Produktion reisen ins Ausland. Wie der süßen Versuchung am besten zu Leibe gerückt werden sollte, fand letztes Jahr ein Schwei- zer Schokoladen-Hersteller per Umfrage heraus. Danach bereite- ten mehr als die Hälfte der Befrag- ten dem Schoko-Tierchen einen langsames Ende: Sie nagten ihrem süßen Opfer zunächst die Ohren ab, ehe sie sich am Rumpf delektier- ten. Nur 15 Prozent hielten sich erst gar nicht lange auf und killten ih- ren Schoko-Mümmelmann mit ei- nem einzigen Hammerschlag. Lepus europaeus nennen die Biolo- gen den Feldhasen, den die Schutzge- meinschaft Deutsches Wild nach 2001 in diesem Jahr abermals zum „Tier des Jahres“ gekürt hat. Das Vorbild des Osterhasen steht als „gefährdet“ auf der Roten Liste bedrohter Tierarten. Die Lebensgrundlagen der Nager sind in Gefahr. Der Feldhasen-Bestand ist dramatisch rückläufig. Im Frühjahr 2007 wurden noch etwa 1,7 Millionen Tiere ermittelt. An Ostern 2015 dürf- ten laut Wildtierschutz Deutschland nur noch etwa 800 000 Hasen über die Felder hoppeln. Das ist die niedrigste Bestandszahl in den letzten 15 Jahren. Die Ursache des Problems sehen Jä- ger ebenso wie Tierschützer in der Landwirtschaft. „Was den Bestand der Population neuerdings wieder drückt, ist der Wegfall von Flächenstilllegun- gen, zu denen die Bauern vor 2007 ver- pflichtet waren“, erläutert Andreas Kin- ser von der Deutschen Wildtier Stif- tung in Hamburg. Jetzt fehlten diese Brachen, auf denen die Hasen die Wild- kräuter finden, von denen sie sich be- vorzugt ernähren. Die Flächen würden für die Produktion von Bioenergiepflan- zen genutzt, meist Mais. Jetzt, in der Paarungszeit, werden die eigentlich scheuen Hasen immer unvorsichtiger: Sie wagen sich aus ihrer Deckung heraus und hoppeln der Häsin ihrer Wahl hinterher. Die Fortpflanzungszeit dauert bis in den Oktober. Bis dahin bringt die Häsin nach 42 Tagen Tragzeit drei- mal bis zu vier Junge zur Welt – „Nestflüchter“, die Haare haben und sehen können. Anders als Kaninchen leben die Hasen nur oberirdisch. Sie sind auch sonst nicht mit den kleine- ren Kaninchen zu verwechseln: Hasen haben lange, an der Spitze schwarz ge- färbte Ohren und ein Körpergewicht von bis zu sechs Kilo. Im Kreißsaal der süßen Häschen Im oberbayerischen Glonn bringt der ehemalige Phantomzeichner des LKA, Anton Asanger, Meister Lampe in österliche Topform für den Schokoguss. Ein Besuch beim Schöpfer der Schoko-Hasen. Meister Lampe Neues Heißer Hase: Unter hohen Temperaturen verlässt die Hasenform aus Polycarbonat die Presse. Fotos: Olivier/Braun 2015 Hooges Postbote Hauke Ketelsen (43) ist wetterfest und bringt die Sendungen auch bis ins Haus. Foto: Marion Hahnfeldt Zunächst entwirft der gelernte Porzellan-Maler Anton Asanger mit dem Bleistift eine Hasen- Form. Nach der Skizze wird das Modell aus Plastilin angefertigt. von Hallig Hooge REPORTAGE 50 5./6. April 2015 Sonntag/Montag, < >

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109Einwohner.Vier Brief-kästen.DieLeerung ti-deabhängig. Keine

Auslieferung etwa bei Eisgang. Das Le-ben auf einer Hallig folgt einem anderenRhythmus, und wer wüsste es besser alsHauke Ketelsen, Postbote auf Hooge. Ersagt: „Wir Halligbewohner leben nichtin vier Jahreszeiten, sondern in zwei.“Ein Takt in zwei Jahreszeiten also, nachWinterfahrplanzeit und Sommerfahr-planzeit, und mitunter geht dabei eini-ges durcheinander. Wie bei Sturm Xa-ver 2013, als die Fähre von Mittwoch bisSonnabend ausgerechnet während derVorweihnachtszeit ausfiel und als er amEnde der Tage vor der Lieferung vomFestland stand und dachte, „mich trifftder Schlag“. Zwei Tage war er damit be-schäftigt, die Sendungen zu verteilen.

Hauke Ketelsen, 43, freundliche Au-gen, spitzbübisches Lächeln, ist Hoogervom alten Schlag. Auf der Hallig aufge-

wachsen, hier zur Schule gegangen, aufdem Festland Landmaschinenschlossergelernt, nach dreieinhalb Jahren zu-rückgekehrt. Er ist der Jüngste von vierGeschwistern,er gehört zuder Generati-on, die im Sommer für Touristen ihreZimmer räumen musste, weil die Hoo-ger zu der Zeitnicht viel Geld hatten; zu-sammen mit den Eltern schlief er im amHaus angrenzenden Schutzraum, imWohnzimmer nahmen die Gäste ihreMahlzeiten ein, und wenn es dannabends Fußball im Fernsehen gab, teilteer sich das Erlebnis mit Fremden.

Jetzt sitzt er beim Kaffee in eben je-nem Haus, in dem sein Vater eines Ta-ges die Kinder um den Tisch versammel-te und ihnen die Frage nach der Zukunftstellte, „wer will übernehmen?“ Haukewar der einzige, der sich das vorstellenkonnte, mit 19 wurde er also selbstän-dig. Noch heute ist er Landwirt, er ist ei-ner von gerade noch zehn, er ist es mit

Herz und Seele, nur, die Landwirtschafthat sich verändert, und wenn sie früherdie Familie ernährte, reicht das nun al-lein nicht mehr. Vor drei Jahren ging deralte Postbote in Rente, er trat er an seineStelle. Für 22 Stunden in der Woche wirdHauke Ketelsen als Postbote bezahlt; im

Sommer arbeitet er jeden Tag, im Winterdrei Tage die Woche, jeden Dienstagund Donnerstag vor der Fährfahrt leerter die Briefkästen. Früher gab es auf derHallig eine Postfiliale mit Schalterstun-den, und heute steht die Einrichtungoder das, was nach dem Ende der Filiale

vor zwei Jahren davon übrig blieb, beiihm im Stall. Wer ein Paket oder ein Ein-schreiben aufgeben möchte, macht esjetzt an seinem Auto, mobiler Servicenennt sich das. Zuden meisten Einheimi-schen geht Hauke Ketelsen direkt insHaus, die wenigstens haben einen Brief-kasten, „da husch ich schnell rein, leg’die Post ab und schon bin ich wiederweg“, hin- und wieder liegt für ihn einZettel mit Wünschen nach Briefmarkenund Geld dabei, „so läuft das hier“; im-mer gern im Einsatz, nur, nach 18 Uhr,da ist für ihn „daddeldu“, da ist er konse-quent, man müsse Grenzen ziehen.

Er ist Landwirt. Er ist Postbote. ZweiLeben in einem; unterwegs sein, drau-ßen sein, „das ist mir wichtig“.

e Mehr über das Hallig-Leben von AutorinMarion Hahnfeldt in ihrem Blog unterwww.threemonths.de – und kommende Wo-che wieder an dieser Stelle.

Nach 18 Uhr ist „daddeldu“Hauke Ketelsen ist Postbote auf Hallig Hooge. Die Briefe und Pakete bekommt er mit der Fähre – manchmal auch nicht.

Von Thomas Olivier

Schon seit Wochen stehensie in den Kaufhaus-Rega-lenSpalier: Schoko-Oster-hasen, millionenfach. Ihre

Wiege: die oberbayerische Ge-meinde Glonn. Kaum ein Scho-ko-Nager zwischen Rio und Tokio,der in dem kleinen Erholungsortnicht Modell gestanden hat. Hierentstehen die Kunststoff-Formenfür fast alle Schoko-Hasen welt-weit. Ihr Geburtshelfer: Ein Desig-ner, der früher beim Landeskrimi-nalamt Phantombilder von Verbre-chern gezeichnet hat.

In der Schnute von Meister Lam-pe steckt eine Blume. Zu dünn darfder Stengel nicht sein. „Sonstbricht er entzwei“, sagt AntonAsanger, 50. Mit einem Modellier-holz gibt der Schoko-Künstler demMümmelmann aus Plastilin denletzten Schliff. Asanger entwirftbeim Schokoformen-HerstellerHans Brunner im oberbayerischenErholungsort Glonn Gussformenfür Osterhasen und Ostereier. Ausden Bleistift-Entwürfen und denModellen des Meisters entstehenMillionen Schoko-Nager für dieganze Welt. „Ein Traumjob“, fin-det Asanger.

Bis vor ein paar Jahren hat erbeim Landeskriminalamt in Mün-chen noch Phantombilder gezeich-net. Irgendwann haben ihm dieVerbrecher-Visagen gereicht.Statt Mörder zu skizzieren, kreiertder ehemalige Porzellan-Malervon der Königlichen ManufakturNymphenburg heute lieberdie Kör-per süßer Schoko-Häschen. „Nunschaut mich täglich ein fröhlichesGesicht an.“

Ohne Formenkeine SchokoladeKaum ein Schokohasen-Zoo im Su-permarkt-Regal, dessen Wiegenicht im 4500-Seelen-Nest Glonnsteht: Aus Meister Lampes Kreis-saal wackeln Hasen-Formen durchganz Europa und containerweisebis nach Japan und Südamerika.Dank Asangers Kreationen laufenmillionenfach süße Häschen, Niko-läuse und viele andere Gestaltenvom Band. Ohne Formen kein Wer-den: Mit einem Marktanteil vonmehr als 40 Prozent bei den Scho-ko-Hohlfiguren ist das weltweitoperierende Unternehmen mit sei-nen hundert Mitarbeitern der inter-nationale Platzhirsch. Nur eineHandvoll Konkurrenten versuchtSchritt zu halten. „Wir arbeiten ineinem Nischenmarkt“, sagt Ge-schäftsführer Markus Gebhart.DerHerrder Hasenstrotzt vorZu-versicht: „Genascht wird im-mer!“ Gerade in Krisenzeiten.

Selbst die BilliglohnländerAsiens sind für den kleinenGlobal-Player mit dem riesi-gen Marktanteil keine ernst-hafte Bedrohung: „Schoko-lade spielt in China nur eineuntergeordnete Rolle“, er-klärt Gebhart. In Brasilien,

einemder wichtigsten Absatzmärk-te, sei sie aber der „Luxus des klei-nen Mannes“.

Bis Meister Lampes Löffel ausZartbitter, Nougat und Vollmilchauf der Zunge zerschmelzen, ist esein langer Weg. Aus der Hand desIllustratorshoppelt der Hase als ein-gescanntes Modell in 3D-Compu-terprogramme. High-Tech für denSchoko-Spaß: Am Bildschirm be-kommen die digitalisierten Nagerihren Feinschliff. Danach fräsenHochgeschwindigkeits-Maschi-nen mit tausend Umdrehungen proSekunde die Rohlinge aus Kunst-stoff. Diese so genannten „Stem-pel“ landen in Spritzgussmaschi-nen und Hochdruckpressen, diemit einer Riesenpower von bis zu2300 Tonnen Druckdie Hasen-Hül-len aus Polycarbonat formen.

Geschäftsführer Markus Geb-hart blickt auf eine stolze Bilanz:

Mehr als 25 000 For-men haben die De-

signer, Werk-

zeugmacher und Feinwerkmecha-niker bis heute entwickelt. „Täg-lich kommen im Schnitt zwei neueFormen hinzu.“ An den altbekann-ten Gestalten muss ständig gefeilt,gegossen und gepresst werden.Die mächtige Kundschaft von Mil-ka bis Lindt will immer wiederneue Trends in Schokolade gießen.

Eine Zeit lang sollten die Häs-chen so aussehen, als seien sie Ver-wandte von Donald Duck oder Bie-ne Maja. Derzeit ist Retro-Look der„dernier cri“. Vollbusige Hasenda-men oder Mümmelmänner mitWalkman? Nichts für die empfind-same deutsche Seele. Bloß kein mo-discher Schnickschnack! Am be-liebtesten sind immer noch die lila-und goldfarbenen Häschen imspinnwebfeinen Alufolien-Kleid.Häufig gewünscht, so Gebhart, sei-en „Hasen mit Rückenkörbchen“wie man sie aus alten Kinderbü-chern kennt.

Nicht nur Klassiker wie Hasenund Nikoläuse beschäftigen Scho-

ko-Designer Anton Asanger. Kaumein Gegenstand des täglichen Le-bens, den er nicht schon nachgebil-det hat: Handys und Trachtenschu-he, Baumstämme und Bohrmaschi-nen, Nilpferde und Elche, AutosundSmartphones.Selbst eine Scho-koversion des welthöchsten Wol-kenkratzers„Burj Khalifa“ und For-men für Kamelmilch-Schokoladein Dubai schafften es schon in dieAuftragsbücher.

Zartes Knabbernan langen LöffelnEine Scheune, zwei Menschen, vie-le Ideen und wenig Geld: So be-schreibt Firmeninhaber RudiSchwaiger die Anfänge des Famili-en-Unternehmens 1935. Anfangswurden die Formen für die Scho-ko-Hohlkörpernoch ausMetallher-gestellt. Erst in den sechziger Jah-ren setzte sich Kunststoff durch.Heute verlassen jährlich nahezu ei-ne Million Schokoformen die Ma-nufaktur. Nicht nur Schablonen für

die süßen Brauchtumsfiguren,auch Hohl- Formen für Pralinen,Schoko-Riegel und Lollies.

Das Ostergeschäft ist für den47-jährigen Markus Gebhart welt-weit der Renner: „Deutlich vorWeihnachten und Muttertag.“Schon seit Jahren ist die süße Vari-ante von Meister Lampe ein Export-schlager: Etwa 44 Prozent der jähr-lich 190 Millionen Schokohasenaus deutscher Produktion reisenins Ausland.

Wie der süßen Versuchung ambesten zu Leibe gerückt werdensollte, fand letztes Jahr ein Schwei-zer Schokoladen-Hersteller perUmfrage heraus. Danach bereite-ten mehr als die Hälfte der Befrag-ten dem Schoko-Tierchen einenlangsames Ende: Sie nagten ihremsüßen Opfer zunächst die Ohrenab,ehe sie sich am Rumpf delektier-ten. Nur 15 Prozent hielten sich erstgar nicht lange auf und killten ih-ren Schoko-Mümmelmann mit ei-nem einzigen Hammerschlag.

Lepus europaeus nennen die Biolo-gen den Feldhasen, den die Schutzge-meinschaft Deutsches Wild nach 2001in diesem Jahr abermals zum „Tier desJahres“ gekürt hat. Das Vorbild desOsterhasen steht als „gefährdet“ aufder Roten Liste bedrohter Tierarten.

Die Lebensgrundlagen der Nagersind in Gefahr. Der Feldhasen-Bestandist dramatisch rückläufig. Im Frühjahr2007 wurden noch etwa 1,7 MillionenTiere ermittelt. An Ostern 2015 dürf-ten laut Wildtierschutz Deutschlandnur noch etwa 800 000 Hasen über dieFelder hoppeln. Das ist die niedrigsteBestandszahl in den letzten 15 Jahren.

Die Ursache des Problems sehen Jä-ger ebenso wie Tierschützer in derLandwirtschaft. „Was den Bestand derPopulation neuerdings wieder drückt,ist der Wegfall von Flächenstilllegun-gen, zu denen die Bauern vor 2007 ver-pflichtet waren“, erläutert Andreas Kin-ser von der Deutschen Wildtier Stif-tung in Hamburg. Jetzt fehlten dieseBrachen, auf denen die Hasen die Wild-kräuter finden, von denen sie sich be-vorzugt ernähren. Die Flächen würdenfür die Produktion von Bioenergiepflan-zen genutzt, meist Mais.

Jetzt, in der Paarungszeit, werdendie eigentlich scheuen Hasen immerunvorsichtiger: Sie wagen sich ausihrer Deckung heraus und hoppelnder Häsin ihrer Wahl hinterher. DieFortpflanzungszeit dauert bis inden Oktober. Bis dahin bringt dieHäsin nach 42 Tagen Tragzeit drei-mal bis zu vier Junge zur Welt –

„Nestflüchter“, die Haare haben undsehen können. Anders als Kaninchen

leben die Hasen nur oberirdisch. Siesind auch sonst nicht mit den kleine-ren Kaninchen zu verwechseln: Hasenhaben lange, an der Spitze schwarz ge-färbte Ohren und ein Körpergewichtvon bis zu sechs Kilo.

Im Kreißsaal der süßen HäschenIm oberbayerischen Glonn bringt der ehemalige Phantomzeichner des LKA, Anton Asanger,

Meister Lampe in österliche Topform für den Schokoguss. Ein Besuch beim Schöpfer der Schoko-Hasen.

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Heißer Hase: Unter hohen Temperaturen verlässt die Hasenform aus Polycarbonatdie Presse. Fotos: Olivier/Braun 2015

Hooges Postbote Hauke Ketelsen (43)ist wetterfest und bringt die Sendungenauch bis ins Haus. Foto: Marion Hahnfeldt

Zunächst entwirft der gelernte Porzellan-Maler Anton Asanger mit dem Bleistift eineHasen- Form. Nach der Skizze wird das Modell aus Plastilin angefertigt.

von Hallig Hooge

REPORTAGE50 5./6. April 2015Sonntag/Montag,

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