Repressive Toleranz - Antimuslimischer Rassismus - Hannes Bode

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von Hannes BodeDie Neulektüre zentraler Texte der Kritischen Theorie im Rahmen heutiger Debatten der emanzipatorischen antifaschistischen und antirassistischen Linken erscheint sinnvoll und lange überfällig. Herbert Marcuses Aufsatz zur Toleranz in der fortgeschrittenen Industriegesellschaft kann etwa den Blick schärfen, wenn Debatten über „critical whiteness“ oder Rassismus geführt werden.Was emanzipatorische Kritik und Praxis zum Gegenstand hat, ist laut Marcuse nicht unmittelbar einsichtig: „es muß enthüllt werden, indem das gegebene Material »durchschnitten«, »aufgespalten«, »zerbrochen« (discutio) wird – wodurch Recht und Unrecht, Gut und Schlecht, Richtig und Falsch auseinandergehalten werden.“ Die materialistische Analyse und Kritik des Rassismus muss diesen als ideologische Konsequenz einer entmenschlichenden gesellschaftlichen Organisation entlarven. Der Soziologe Albert Memmi sagte, Rassismus entstehe durch die „verallgemeinerte und verabsolutierte Wertung tatsächlicher oder fiktiver Unterschiede zum Nutzen des Anklägers und zum Schaden seines Opfers, mit der seine Privilegien oder Aggressionen gerechtfertigt werden sollen“. Mit der „Andersartigkeit“ der anderen konstatiert man zugleich die (biologische, kulturelle, geistige) Überlegenheit der eigenen Gruppe. Kernelement des Rassismus ist dabei die Zwangskollektivierung der Einzelnen, die Leugnung oder Ablehnung der Universalität des Mensch-Seins. Einzelne werden nicht als Persönlichkeit mit spezifischen Anlagen und Begabungen aufgrund ihrer spezifischen Sozialisation und Lebenssituation angesehen, sondern als Mitglieder eines bestimmten „ethnischen“, heute oft auch „kulturellen“ Kollektivs.Identität als AusschlussDas Soziale wird also biologisiert bzw. ethnisiert. Gesellschaftliche Verhältnisse werden für „natürlich“, also nicht veränderbar erklärt. Ein Grundmerkmal von Ideologie ist, dass sie die auf konkreten historischen gesellschaftlichen Prozessen und Machtverhältnissen beruhende Realität als unmittelbar Gegebenes, als sinnenfällige Erscheinung betrachtet. Dabei steht Identität im Zentrum des Denkens der Menschen, die sich in modernen Gesellschaften, in denen alte, traditionelle, auch religiöse Autoritäten an Verbindlichkeit und sinnstiftender Kraft verloren haben, zurechtfinden müssen. Der Schriftsteller Amin Maalouf kommentiert treffend die ausschließende Vorstellung von Identität, die „unterstellt, daß es im 'tiefsten Innern' jedes Menschen eine alles entscheidende Zugehörigkeit gibt, einen 'Wesenskern', etwas, das mit der Geburt ein für alle Mal festgelegt worden ist und sich nicht mehr ändert; so, als würde alles übrige – seine Entwicklung zu einem freien Menschen, seine erworbenen Überzeugungen, seine Vorlieben, seine Art der Wahrnehmung, seine Wahlverwandschaften, sein Leben insgesamt – nicht zählen.“Unter kapitalistischen Verhältnissen begegnen sich Menschen als warentauschende. Wer nur seinen Körper besitzt, muss sich als Arbeitskraft auf dem Markt anbieten und verkaufen, um zu überleben. Er ist im Produktionsprozess vereinzelt und steht mit jedem anderen in Konkurrenz. Ideologien helfen den Einzelnen, ihre Selbstwidersprüchlichkeit und Zerrissenheit zu verschleiern und erträglich zu machen. Sie stiften Gemeinschaft und stabilisieren die Identität. Es dreht sich in Zeiten von endgültig globalisiertem Kapitalismus und immer stärkeren Mobilität(sanforderungen) um das Gemeinsame mit Anderen im Unterschied zu den ganz Anderen, den „Fremden“, auf der Basis von vorgefundener und zugleich reproduzierter „Tradition“ bzw. ethnischer, religiöser oder nationaler Abstammung oder Zugehörigkeit. Aufgrund der Tabuisierung des Rassismus auf biologischer, offener „Rassegrundlage“ nach der Niederlage Nazideutschlands standen bald die Ethnie und ihre Kultur bzw. die kulturelle Identität im Mittelpunkt.

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