Rezeption und Wirkung von Medienberichten über Medizin und Medizinethik

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Ethik Med (2000) 12:171–176 Berichte aus der Praxis Rezeption und Wirkung von Medienberichten über Medizin und Medizinethik Uwe Hasebrink 1. Ausgangsfrage: In welcher Beziehung stehen Medienberichte und die medizinethischen Vorstellungen der Rezipienten? Die Vermutung ist naheliegend, dass für den medizinethischen Diskurs in unseren Gesellschaften auch die Medien eine erhebliche Rolle spielen. Sieht man einmal von den existenziellen Ausnahmesituationen ab, in denen Menschen durch eigene Krankheit oder die Krankheit nahestehender Personen unmittelbar mit ethischen Entscheidungssituationen konfrontiert werden, sind es doch erst die Medienbe- richte über neue Forschungsergebnisse und über daran anknüpfende fachliche und politische Debatten, durch die Menschen über dieses Thema informiert und auf es aufmerksam gemacht werden. Ergänzend zu den Beiträgen, die etwas über die Art der Darstellung medizinethischer Fragen sagen, gelten die folgenden Überlegungen der Frage nach der Beziehung zwischen Medienberichten einer- seits und den Rezipienten dieser Berichte andererseits. Denn um die Rolle der Medien für den medizinethischen Diskurs zu verstehen, reicht es nicht aus, sich mit den Angeboten der Medien zu beschäftigen: Es ist außerdem zu klären, von wem diese Angebote aus welchen Gründen überhaupt genutzt, wie sie interpre- tiert und in die Vorstellungen und Meinungen der Rezipienten integriert werden. 2. Die naheliegende Antwort: Direkte Wirkungen der Medienberichte auf die Rezipienten Den Zusammenhang zwischen Medienberichten und Rezipienten stellt man sich meist als Wirkungsprozess vor, also so, dass bestimmte Merkmale der Bericht- erstattung einen direkten Einfluss auf die Meinungsbildung der Rezipienten ha- ben. Als Beispiele aus dem Gesundheitsbereich werden dann etwa die Erfahrun- gen mit den groß angelegten Kampagnen zu Ernährungsfragen oder zu AIDS genannt, in deren Folge sich zum Teil erhebliche Verhaltensänderungen in der Bevölkerung ergeben haben. Das Wirkungsmuster ist in solchen Fällen einfach: Die Kampagnen haben eine einfache Botschaft (z.B. die Benutzung von Kondo- men), die sie mit möglichst hohem „Werbedruck“ an die Bevölkerung bringen. Wenn sich dann, wie im Falle dieser Kampagne geschehen, herausstellt, dass in Dr. Uwe Hasebrink Hans-Bredow-Institut für Medienforschung an der Universität Hamburg, Heimhuder Strasse 21, 20148 Hamburg, Deutschland © Springer-Verlag 2000

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Ethik Med (2000) 12:171–176

Berichte aus der Praxis

Rezeption und Wirkung von Medienberichtenüber Medizin und MedizinethikUwe Hasebrink

1. Ausgangsfrage: In welcher Beziehung stehen Medienberichte und die medizinethischen Vorstellungen der Rezipienten?

Die Vermutung ist naheliegend, dass für den medizinethischen Diskurs in unserenGesellschaften auch die Medien eine erhebliche Rolle spielen. Sieht man einmalvon den existenziellen Ausnahmesituationen ab, in denen Menschen durch eigeneKrankheit oder die Krankheit nahestehender Personen unmittelbar mit ethischenEntscheidungssituationen konfrontiert werden, sind es doch erst die Medienbe-richte über neue Forschungsergebnisse und über daran anknüpfende fachlicheund politische Debatten, durch die Menschen über dieses Thema informiert undauf es aufmerksam gemacht werden. Ergänzend zu den Beiträgen, die etwas überdie Art der Darstellung medizinethischer Fragen sagen, gelten die folgendenÜberlegungen der Frage nach der Beziehung zwischen Medienberichten einer-seits und den Rezipienten dieser Berichte andererseits. Denn um die Rolle derMedien für den medizinethischen Diskurs zu verstehen, reicht es nicht aus, sichmit den Angeboten der Medien zu beschäftigen: Es ist außerdem zu klären, vonwem diese Angebote aus welchen Gründen überhaupt genutzt, wie sie interpre-tiert und in die Vorstellungen und Meinungen der Rezipienten integriert werden.

2. Die naheliegende Antwort: Direkte Wirkungen der Medienberichte auf die Rezipienten

Den Zusammenhang zwischen Medienberichten und Rezipienten stellt man sichmeist als Wirkungsprozess vor, also so, dass bestimmte Merkmale der Bericht-erstattung einen direkten Einfluss auf die Meinungsbildung der Rezipienten ha-ben. Als Beispiele aus dem Gesundheitsbereich werden dann etwa die Erfahrun-gen mit den groß angelegten Kampagnen zu Ernährungsfragen oder zu AIDSgenannt, in deren Folge sich zum Teil erhebliche Verhaltensänderungen in derBevölkerung ergeben haben. Das Wirkungsmuster ist in solchen Fällen einfach:Die Kampagnen haben eine einfache Botschaft (z.B. die Benutzung von Kondo-men), die sie mit möglichst hohem „Werbedruck“ an die Bevölkerung bringen.Wenn sich dann, wie im Falle dieser Kampagne geschehen, herausstellt, dass in

Dr. Uwe HasebrinkHans-Bredow-Institut für Medienforschung an der Universität Hamburg, Heimhuder Strasse 21,20148 Hamburg, Deutschland

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der Bevölkerung das Bewusstsein für AIDS sowie die Akzeptanz der Verwen-dung von Kondomen gestiegen ist, ist die angestrebte Wirkung eingetreten, dieKampagne hatte Erfolg.

Allerdings lassen sich zahlreiche Beispiele für Kampagnen angeben, die ihreZiele nicht erreicht haben, obwohl sie ebenfalls mit hohem Aufwand versuchthaben, über die Medien die Bevölkerung zu erreichen. Ist bereits dies Anlass ge-nug, die Ausgangsfrage nach der Beziehung zwischen Medienberichterstattungund Rezipienten differenzierter zu betrachten, so kommt im Falle medizinethi-scher Fragen ein wesentlicher Faktor hinzu, der solche einfachen Wirkungszu-sammenhänge unwahrscheinlich macht: Medizinethische Themen und Frage-stellungen lassen sich in aller Regel nicht auf eine einfache Botschaft reduzie-ren, sie erfordern ein Abwägen zwischen verschiedenen Wert- und Zielvorstel-lungen und den mit ihnen verbundenen Risiken.

3. Differenzierung der Fragestellung: Welche Aspekte der Medienberichterstattung stehen mit welchen Rezipientenmerkmalen in Beziehung?

Die Forschung über Zusammenhänge zwischen Medienberichterstattung und derVorstellungs- und Meinungsbildung bei den Rezipienten führt klar vor Augen,dass es erforderlich ist, sehr sorgfältig zwischen verschiedenen Medien- und Re-zipientenmerkmalen zu unterscheiden. Welche Merkmale der Berichterstattungsind denn eigentlich von Interesse? Hier ist etwa zu fragen, wie zugänglich dasAngebot für die Rezipienten ist, ob es in einer hochauflagigen Publikumszeit-schrift bzw. in einem Fernsehvollprogramm zur besten Sendezeit platziert wirdoder in einer Fachzeitschrift oder einem Spartenkanal für Wissenschaft am Vor-mittag. Wichtig ist weiter die Frage des Themas und seiner Umsetzung: Wieglaubwürdig, wie anregend, wie alltagsnah, wie emotionalisierend und wie in-formativ wird ein konkretes Thema umgesetzt?

Und von welchen Voraussetzungen ist auf der Rezipientenseite auszugehen?Haben sie Interesse an medizinischen oder ethischen Fragen, verfügen sie be-reits über Vorwissen? Auch ein beruflicher Bezug zu diesem Themenbereichoder persönliche Betroffenheit kann für die Wahrnehmung der Medienberichter-stattung von großer Bedeutung sein.

Je nach Konstellation von Medien- und Rezipientenmerkmalen ergeben sichjeweils unterschiedliche Konsequenzen für die Rezeption. So bevorzugen Rezi-pienten mit hohem Vorwissen und starkem Interesse an medizinethischen Fra-gen eher Beiträge, die sich auf differenziertem und sehr informativem Niveaumit diesen Fragen auseinandersetzen. Andere Rezipienten, die dem Themafernstehen, könnten dagegen eher mit emotionalisierenden Darstellungen kon-kreter Einzelfälle auf das Thema aufmerksam gemacht werden. Diese Fülle dermöglichen Rezeptionsverläufe mag unbefriedigend erscheinen, da sie eindeutigeAntworten so gut wie unmöglich macht – an dieser Stelle soll der Hinweis aufdiese Fülle zunächst nur vorschnellen Wirkungsvermutungen vorbeugen undmotivieren, noch einmal genauer hinzuschauen.

4. Rezipienten wählen aus

Ein wesentlicher Aspekt, der vorschnellen Wirkungsvermutungen entgegenzu-halten ist, besteht darin, dass die Rezipienten aus dem Gesamtmedienangebot

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auswählen, sie sind Medienangeboten nicht ausgesetzt, sondern wenden sichganz bestimmten Berichten zu, während sie mit anderen gar nicht erst in Kon-takt kommen. Auswahlentscheidungen kommen auf der Basis einer Fülle vonKriterien zustande: weil die betreffenden Angebote aus der Sicht der Rezipien-ten für informativ, glaubwürdig, unterhaltsam oder orientierend gehalten wer-den, weil sie aus Gewohnheit genutzt werden oder aus vielerlei Gründen mehr.Die entsprechenden Auswahlkriterien sind keineswegs gleichmäßig in der Be-völkerung verteilt. Vielmehr zeigen sich Gruppen von Rezipienten, die sich inihren bevorzugten Angeboten deutlich unterscheiden, so dass einige Gruppenmit bestimmten Angeboten gar nicht erreichbar sind, während andere mit diesengerade besonders gut erreichbar sind.

Im Falle von Gesundheits- oder Medizinsendungen zeigt sich etwa, dassdiese weit überwiegend von älteren Zuschauern angesehen werden. So warenzum Beispiel 1997 mehr als die Hälfte der Zuschauer der traditionsreichen Ge-sundheitssendungen „Sprechstunde“ (Bayerisches Fernsehen) und „Visite“ (N3)65 Jahre und älter. In Markanteilen ausgedrückt: Während die „Sprechstunde“des Bayerischen Fernsehens im Durchschnitt einen Marktanteil von mehr als 20Prozent erreicht, sind es bei den Altersgruppen unter 50 Jahren jeweils nur ma-ximal vier Prozent. Außerdem werden Frauen von Gesundheitssendungen bessererreicht als Männer.

Solche Ergebnisse weisen zum einen darauf hin, dass jüngere Bevölke-rungsgruppen offenbar mit medizinischen oder medizinethischen Fragen nurschwer erreichbar sind – die Frage nach der Wirkung der Medizinberichterstat-tung lässt sich für sie etwas übertreibend so beantworten, dass sie gar nicht erstKontakt mit der entsprechenden Berichterstattung haben und diese entsprechendauch gar nicht wirken kann. Zum anderen ist aber darauf hinzuweisen, dassmedizinethische Fragen gerade nicht auf die ausgewiesenen Gesundheits- oderMedizinsendungen beschränkt bleiben. Vielmehr gelangen die in der Regel kon-fliktträchtigen Einzelfälle oft auch in die allgemeinen Nachrichten- und Infor-mationssendungen bzw. auf die allgemeinen Politikseiten der Tageszeitungen,so dass auch die normalerweise nicht an Medizin-Themen Interessierten mitihnen Kontakt bekommen. Doch auch dann, wenn die Berichterstattung soverschiedene Zuschauergruppen erreicht, heißt das noch nicht, dass diese Zu-schauer diese Angebot in gleicher Weise verstehen.

5. Rezipienten interpretieren

Abhängig vom Vorwissen, vom allgemeinen Interesse, von der persönlichen Be-troffenheit nehmen Rezipienten Medienberichte sehr unterschiedlich wahr, sieinterpretieren sie nach ihren Vorstellungen, nach ihren Schemata. Diese „All-tagsrationalität“ in der Medienrezeption kann nach Brosius (1995) mit den inTabelle 1 aufgeführten Thesen näher charakterisiert werden.

Aus der Sicht der Forschung sind also Annahmen über die Wirkung von be-stimmten Formen der Medizinberichterstattung deutlich zu relativieren. Einergezielten Aufklärung über konkrete medizinisch-ethische Problemstellungenüber die Medien sind enge Grenzen gesetzt. Diese ergeben sich zum einen ausder Tatsache, dass weite Teile der Bevölkerung für Themen dieser Art nurschwer zu interessieren sind. Zum anderen kann auch dann, wenn die Rezipien-ten mit den gewünschten Botschaften erreicht werden, nicht davon ausgegangen

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werden, dass diese Botschaften überall auf denselben Boden fallen, dass sie alsoin ein und demselben Sinne, womöglich noch genau in dem von der betreffen-den Kampagne beabsichtigten Sinne interpretiert werden und dann auch nochmit den gewünschten Verhaltensänderungen einhergehen. Dies ist dann noch umso unwahrscheinlicher, wenn es um ethische Fragen geht, also um Themen undProblemstellungen, die meist nicht mit einer einfachen Mitteilung zu klärensind, sondern mit denen die Vorstellungen und Meinungen der Rezipienten inganz tiefgreifender Weise berührt werden. Gleichwohl dürften Medien bei derBildung medizinethischer Vorstellungen eine erhebliche Rolle spielen – aller-dings nicht so sehr durch ihre Medizin-Berichterstattung im engeren Sinne.

6. Wichtiger als Medizin-Berichterstattung: das Bild der Medizin in Romanen, Serien und Filmen

Bei der Frage nach der Rezeption von medizinbezogener Berichterstattungdurch bestimmte Bevölkerungsgruppen ist entscheidend, die „Medien-Menüs“zu berücksichtigen, die sich die Zuschauer zusammenstellen. Einzelne Medizin-Berichte sind im Kontext der vielfältigen anderen Medienangebote und nicht-medial übermittelten Informationen zu sehen, denen sich die Rezipienten inihrem Alltag zuwenden. Im Falle medizinischer Themen und gerade auch imHinblick auf medizinethische Diskussionen sind auf jeden Fall die zahlreichenfiktionalen Angebote (Romane, Serien, Filme) zu berücksichtigen, die in Kran-kenhäusern oder Arztpraxen angesiedelt sind. Diese Sendungen sind im Pro-gramm des Fernsehens häufig vertreten und erreichen weitaus mehr Zuschauerals jede Gesundheitssendung. Zugleich werden in diesen Sendungen laufendethische Konflikte behandelt.

In der Forschung wurde in den 60er Jahren eine These entwickelt, die davonausgeht, dass die meist recht stereotypen Darstellungsmuster gerade der populä-ren unterhaltungsorientierten Fernsehserien bei denjenigen Menschen, die sichdiese Angebote besonders oft ansehen, das Bild der Realität mitprägen – dieswurde „Kultivierung“ genannt. Brisant wurde diese These dadurch, dass zu-gleich gezeigt wurde, dass das vom Fernsehen gezeichnete Bild der Gesellschaftund der Kultur in mehrfacher Hinsicht deutlich von der Realität abweicht und

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Tabelle 1. Thesen zur „Alltagsrationalität“ in der Medienrezeption (nach Brosius 1995)

– Rezipienten verarbeiten nicht alle ihnen zur Verfügung stehenden Informationen.– Rezipienten ziehen zur Urteilsbildung bevorzugt solche Informationen heran, die ihnen

zum Zeitpunkt des Urteils besonders leicht zugänglich sind.– Rezipienten überführen Einzelheiten der präsentierten Meldungen schon während der

Informationsaufnahme in allgemeine semantische Kategorien.– Rezipienten bilden ihre Urteile schon während der Rezeption und nicht erst im Anschluss

daran.– Rezipienten verkürzen und vereinfachen Probleme und Sachverhalte. Sie verwenden

Faustregeln, Verallgemeinerungen, Schlussfolgerungen und Stereotype, die sich bewährthaben.

– Rezipienten orientieren sich bei ihrer Beurteilung von Sachverhalten hauptsächlich an Informationen, die ihnen aus dem Alltag vertraut sind.

– Rezipienten wenden sich Nachrichteninhalten in der Regel mit geringer Involviertheit zu.

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sich dadurch bei den Vielsehern ein verzerrtes Bild der Realität ergibt. Beispielefür diese Verzerrungen bestehen etwa darin, dass Vielseher den Anteil der Men-schen, die als Polizisten, Rechtsanwälte, Detektive und auch Ärzte arbeiten, klarhöher einschätzen als Wenigseher: Offenbar führen die vielen Kriminal- undArztgeschichten dazu, dass die Welt für die Vielseher stärker durch diese Berei-che geprägt ist.

Ganz im Sinne dieser These haben Mediziner-Verbände in verschiedenenLändern gegenüber dem Fernsehen dafür plädiert, ein möglichst realistischesBild vom Arztberuf zu zeichnen: In der Praxis zeige sich, dass die Ärzte mit un-realistischen Erwartungen der Patienten konfrontiert würden, die, so die Vermu-tung, offenbar durch die „Halbgötter in Weiß“ und „Wunderheiler“ des Fernse-hens geprägt würden, die in 45 Minuten jeden noch so komplizierten Fall lösen.Und auch andere Berufsbilder, etwa im Bereich der Krankenpflege, werdenMühe haben, den durch „Schwester Stefanie“ und andere einschlägige Engelgeprägten Erwartungen gerecht zu werden.

Es scheint aber unangebracht, die fiktionalen Formen der Behandlung medi-zinischer und ethischer Fragen von vornherein als verzerrende Unterhaltungsfor-mate zu kritisieren und sich auf die Forderung nach seriösen Hintergrundberich-ten zu medizinischen Themen zu beschränken. Denn es kann unterstellt werden,dass der medizinethische Diskurs in der Öffentlichkeit durch die fiktionalen For-mate mitgeprägt wird – man denke an die gewollt alltagsnahe Behandlung ethi-scher Konfliktfälle in Serien wie der „Lindenstraße“. Die Möglichkeit, solcheethischen Konflikte im Rahmen einer Erzähldramaturgie zu behandeln, mit Figu-ren, in die sich die Zuschauer oder Leser hineinversetzen können und an derenStelle sie die jeweiligen Konflikte nacherleben können, kann den medizinethi-schen Diskurs, kann das Bewusstsein für diese Fragen erheblich fördern. Selbst-verständlich ist eine kritische Beobachtung dieser Angebote geboten. Dies istnicht in dem Sinne zu verstehen, dass darauf zu achten wäre, dass die „Moral vonder Geschichte“ stets in eine bestimmte, „richtige“ Richtung ginge – das würdeeinem Diskurs über Ethik bekanntlich nicht gerecht werden. Kritische Beobach-tung soll vielmehr heißen, dass sich alle Beteiligten aus Medizin, Medien, Politikund Gesellschaft darüber verständigen, ob die moralischen Botschaften, die diepopulären Geschichten erzählen, ihrerseits eingeschränkt oder zugunsten einerbestimmten – womöglich mit Werbeinteressen kompatiblen? – Botschaft verzerrtsind. Solche Debatten würden ihrerseits das Bewusstsein für medizinethischeFragen schärfen, und zwar auf einer Grundlage, die sehr breiten Bevölkerungs-gruppen Anknüpfungspunkte für eine Beteiligung an dem entsprechenden Dis-kurs bietet. Vielleicht gelingt es so am ehesten, mehr Menschen für die Fragestel-lungen zu interessieren, über die in den medizinbezogenen Informationssendun-gen berichtet und aufgeklärt wird. Einige Medizin- bzw. Gesundheitssendungennutzen entsprechend des öfteren populär gewordene Fallbeispiele als „Auf-hänger“ für die Behandlung der Hintergründe eines bestimmten Problems.

7. Schlussbemerkung

Angesichts der Omnipräsenz von Medien ist nicht mehr davon auszugehen, dassdie Menschen immer sauber unterscheiden, aus welcher Quelle sie nun welcheInformationen und Meinungen gewonnen haben; ihr Weltbild speist sich ausdem Ensemble aller möglichen Erfahrungsquellen, und neben Gesprächen mitVerwandten und Freunden, der Schule und Kontakten mit Medizinern sind dies

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eben auch zahlreiche Medienangebote. Im Hinblick auf ethische Fragen sindunter diesen Quellen diejenigen am wirksamsten, die der Person am nächstengehen: konkrete Einzelfälle im eigenen persönlichen Umfeld, aber eben auchkonkrete Fallbeispiele mit fiktionalen oder über die Medien vermittelten realenFiguren, an deren Beispiel die Rezipienten das jeweilige ethische Problem nach-erleben und begreifen können. Dies mag aus fachlicher Sicht unbefriedigendsein, da solche konkreten Einzelfälle die Gefahr bergen, unzulässig verallgemei-nert zu werden. Um eine möglichst breite Beteiligung der Bevölkerung an medi-zinethischen Debatten zu erreichen, wird es aber vermutlich keine Alternativedazu geben, auf einen möglichst breiten und vielfältigen Umgang der Medienmit der Thematik hinzuwirken, und zwar in allen Angebotsformen.

Literatur

1. Brosius HB (1995) Alltagsrationalität in der Nachrichtenrezeption. Ein Modell zur Wahr-nehmung und Verarbeitung von Nachrichteninhalten. Westdeutscher Verlag, Opladen

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