Rezital Master Specialized Performanceäche.ch/files/Programmheft.pdf · Menschen aus verschiedenen...

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Rezital Master Specialized Performance Salome Böni Flöte mit Vertiefung künstlerische Musikvermittlung Studierende der Klasse von Martin Fahlenbock und Barbara Balba Weber Montag, 29. Mai 2017 18.00 Uhr im Kulturlokal ONO Kramgasse 6, 3011 Bern

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  • Rezital Master Specialized PerformanceSalome Böni Flöte mit Vertiefung künstlerische Musikvermittlung

    Studierende der Klasse von Martin Fahlenbock und Barbara Balba Weber

    Montag, 29. Mai 201718.00 Uhr im Kulturlokal ONOKramgasse 6, 3011 Bern

  • «Solche Musik würde ich normalerweise nicht hören, es bräuchte eine sehr spezielle Stimmung. Ich höre Musik, um mich aufzuheitern oder in Schwung zu bringen, Tempo zu machen, damit der Haushalt schneller erledigt ist, da würde ich eine solche Yun-Musik nicht hören. In Be zie - hung zu diesen Geschichten, ist diese Musik aber ‹100-pro-super›, genau das Richtige.»

  • Programm

    Tōru Takemitsu (1930 – 1996)Toward the sea, for Alto flute and Guitar (1981)

    The NightMoby DickCape Cod

    Aitor Ucar Gonzalez Gitarre

    Klaus Huber (*1924)Plainte, Lieber spaltet mein Herz II, für Altflöte solo (1990 – 1993)

    Salome Böni (*1990)FluchtgesprächeEin Musikvermittlungsprojekt für Isang Yun, für Flöte und vier SprecherInnen (2017)

    Musik: Isang Yun (1917 – 1995)Etüden 1 – 3, für Flöte solo (1974)

    Moderato für FlöteAdagio für AltflöteAllegro für Piccolo

    Texte: Luise Rinser und Isang Yun aus Der verwundete Drachen und Statements aus Lebensgeschichten von aktuell geflüchteten Menschen aus Hoi. Ich erzähle meine Geschichte (AutorInnen: SchülerInnen der BVS Biel, unveröffentlicht)

    Julian Schneider SprecherKathi Kessler SprecherinLara Marian SprecherinSophie Bock Sprecherin

    Giacinto Scelsi (1904 – 1988)Hyxos, pour flûte en sol, petite cloche-à-vache et deux gongs (1955)

    TranquilloCon motoTranquillo

    Yves Ryser Schlagzeug

  • Vorwort

    Im März des Jahres 2016 besuchte ich Veranstaltungen der Aktionswoche Bern gegen Rassismus und wurde von einer Darbietung besonders berührt: Ein Benefizabend gegen Rassismus, in dem Tanz auf Text traf. Zu sehen und zu hören waren Tänze aus verschiedenen Kulturen, Ausschnitte aus dem Theaterstück Die Schutzbefohlenen von Elfriede Jelinek, dazu Statements aus Lebensgeschichten von Menschen mit Migrationshintergrund.

    Der Wunsch, einen Beitrag zu diesem Thema zu leisten, war plötzlich sehr stark. An diesem Abend fasste ich den Entschluss, mein Abschlusspro-jekt dem Thema Flucht zu widmen!

    Bald stiess ich auf das bewegte Leben des südkoreanischen Komponis-ten Isang Yun. Auf der Flucht zu sein, anzukommen und sich zurechtzufin-den in einer neuen Kultur und musikalischen Heimat sind zentrale Themen in seinem Leben. Die Tatsache, dass seine Geschichte gerade heute sehr viel zu sagen hat, bewegte mich dazu, ihn zu der Hauptperson meines Stückes Fluchtgespräche zu machen.

  • Ost – West

    Alle Werke, die heute Abend gespielt werden, stammen von Komponisten, die ihre (musik alische) Heimat zwischenzeitlich verlassen haben und Neu land aufsuchten, entweder aus Neugierde für das Unbekannte oder aus Not.

    Da mein Yun–Musikvermittlungsprojekt im Zentrum des Programmheftes stehen soll, möchte ich die anderen Komponisten und deren gespielte Werke nur kurz beleuchten und dann zu Yun und meinem Stück übergehen.

    Klaus Huber (*1924), Schweizer Komponist, experimentierte ab 1970 mit aussereuropäischen Musik.1 1990 schrieb er: «Unmittelbar ausgelöst durch den Golfkrieg hatte ich das starke Bedürfnis, mich einer Kultur zuzuwenden, die in den Augen der Neuen Weltordnung zur Vertreterin des Bösen schlechthin ge-worden war.» 2 Gemeint ist damit die Kultur des Islams. «Eine für mich neue Welt nicht chromatisch temperierter Intervalle führte mich Schritt für Schritt zu einem neuen Verständnis meiner Musikkultur, meine eigene Musik eingeschlos-sen.» 3 Das Stück Plainte, Lieber spaltet mein Herz II komponierte Huber im Dritteltonsystem. Damit möchte er das Sanfte, Zarte, Fliessende ausdrü-cken.4 Er bemerkt: «In Hinblick auf Farbe und Timbre ermöglichen Dritteltöne einen grossen Reichtum und eine grosse Feinheit der Abstufungen.» 5 Huber schrieb Plainte in Erinnerung an seinen lieben Freund Luigi Nono, der 1990 verstorben war.6

    Wie Huber beschäftigte sich auch der italienische Komponist Giacinto Scelsi (1904 – 1988) intensiv mit der musikalischen Sprache des Orients. Scelsis Reisen nach Indien und in andere asiatische Länder veränderten seine Wahrnehmung von Klang und Zeit und beeinflussten seine Suche nach ei-nem neuen musikalischen Ausdruck.7 Ich vermute, der Titel Hyxos könnte auf das Volk der Hyksos anspielen, das Unterägypten und weite Teile Paläs-tinas und Syriens während der zweiten Zwischenzeit ca. 1648 – 1550 v. Chr. fremdregierte.8, 9

    1 Keller, 2007, S.1212 Ebd., 2007, S.1223 Ebd., 2007, S.122

    4 Ebd., 2007, S.1285 Ebd., 2007, S.1256 Huber, 1990, S.1

    7 www.nzz.ch/umsturz-und-ekstase-1.124237768 www.performativ.de/nomaden-hyksos.html9 de.wikipedia.org/wiki/Zweite_Zwischenzeit

    To- ru Takemitsu (1930 – 1996), japanischer Komponist, interessierte sich für die Berührungspunkte zwischen den neusten Tendenzen der zeitgenössi-schen europäischen Musik und den Elementen der japanischen Musiktradi-tion.10 Miyamoto schrieb in seiner Dissertation über Takemitsu: «Elemente wie Stille, heterogene Tempostrukturen und Klangdifferenzierungen sowie Klangverräumlichung spielen eine grosse Rolle in [Takemitsus] Verständnis japanischer Tradition.» 11 Diese Komponenten sind in Toward the sea, das er 1981 für Green Peace schrieb 12, offensichtlich zu erkennen.

    Was bei Huber, Scelsi und Takemitsu eine frei- willige Entscheidung war, war bei Yun ein überlebenswichtiger Akt: Er musste sich mit der westlichen Musik und Kultur ausein-andersetzen, um Heimat zu finden in Europa.

    Yun beschrieb seine Situation zwischen Ost und West folgendermassen: «Ich bin weder ein typischer Ostasiate noch ein vereuropäisierter. Ich bin von zwei Kulturen geprägt. Es ist ganz anders bei mir als bei modernen europäi-schen Komponisten, die in der westlichen Kultur aufgewachsen sind und sich von diesem festen Fundament aus mit östlicher Musik beschäftigen und etwas von der östlichen Musik in ihre westliche hineinnehmen, ohne eine tiefere Ver-schmelzung zu wollen, Debussy, Boulez, Messiaen und andere. Aber alle diese Komponisten sind physisch und geistig in ihrem Kulturraum verblieben und haben den fremden Raum nur gelegentlich berührt. Bei mir ist das ganz anders, ich habe meinen Heimatraum physisch verlassen, ich bin eingetaucht in die westliche Welt, ich lebe dort ständig, und ich fing im Westen noch einmal von vorne an. […] Und ich blieb in der westlichen Welt. Ich musste mich sozusagen künstlerisch auf Leben oder Tod auseinandersetzen mit der gesamten westli-chen Kultur und westlichen Musik.» 13

    10 Miyamoto, 1996, S.45 11 Ebd., 1996, S.5412 www.ex-tempore.org/takemitsu/takemitsu.htm13 Rinser & Yun, 2016, S.219

  • Isang Yun wurde 1917 in Südkorea geboren. Aus einer antijapanisch einge-stellten Familie stammend, erlebte er die Unterdrückung des koreani-schen Volkes durch die Japaner. Er studierte Komposition in Seoul, Osaka und Tokio. Unmittelbar vor Ausbruch des zweiten Weltkrieges kehrte er nach Korea zurück und wurde bald darauf verhaftet, gefoltert und einge-sperrt. Bei einer Hausdurchsuchung hatte man von ihm komponierte ko-reanische Lieder gefunden. Zwei Monate später wurde er freigelassen und lebte fortan als «Widerstandskämpfer gegen die japanische Fremdherrschaft im Untergrund». 14 Nach Ende des zweiten Weltkrieges und dem Abzug der Japaner begannen sich in Korea verschiedene politische Richtungen scharf gegeneinander abzugrenzen. Yun, der mithelfen wollte, das Land wieder aufzubauen, zog sich bald zurück, enttäuscht ab der feindseligen Stimmung im Land. Im Juni 1950 marschierten die Nordkoreaner in Süd-korea ein. Yun schrieb dazu: «Das Leben wurde unerträglich schwierig. Die Schulen wurden geschlossen, wir hatten kein Geld mehr, und [meine Frau] Su Ja erwartete unser erstes Kind.» 15 1956 gewann Yun den grossen Kultur-preis der Stadt Seoul:

    «Ich freute mich, aber ich wusste, dass mir kompo-sitorisch vieles fehlte. Mir war klar, dass ich nach Europa gehen musste. Nur in Europa konn te ich lernen, was ich lernen wollte.» 16

    Yun studierte Komposition in Paris und Berlin. Die zunehmenden Erfolge hielten ihn ab, wie geplant nach Korea zurückzukehren. Er liess erst seine Frau, später auch seine Kinder nach Deutschland kommen.

    Am 17. Juni 1967 wurde Isang Yun vom südkoreanischen Geheimdienst nach Seoul entführt und gefoltert. Ohne dass es Beweise gab, wurde er von der Park-Diktatur der Spionage im Dienste Nordkoreas bezichtigt. In erster Instanz bekam Yun «lebenslänglich», in zweiter Instanz wurde das Urteil auf fünfzehn Jahre Zuchthaus revidiert, in der dritten Instanz schliesslich auf zehn Jahre. Yun komponierte im Gefängnis: «[Ich] vergass […] Schmerzen und Verzweiflung und fühlte mich frei. […] Was mich trieb zu arbeiten, war die Arbeit selbst. Und ich wollte auf diese Art auch zeigen, dass man einen freien Geist zwar einsperren kann, aber nicht töten.» 17 Auf internationalen Druck hin wurde er im Jahr 1969 freigelassen und verbrachte den Rest seines Lebens im Exil in Deutschland.18

    Nach seiner Rückkehr lehrte er an der Musikhochschule Hannover und hatte von 1970 bis 1985 eine Kompositionsprofessur an der Hochschule der Künste Berlin inne. Isang Yun starb 1995 in Berlin.19

    Nach der Freilassung und Rückkehr nach Europa entstanden 1974 die Fünf Etüden für Flöte(n) solo, die als musikalisches Ausgangsmaterial für Flucht-gespräche dienen. In mein Konzeptstück eingebunden habe ich die erste Etüde Moderato für Flöte, die zweite Etüde Adagio für Altflöte und die dritte Etüde Allegro für Piccolo, wobei sich die italienischen Titel auf das Grund-tempo, aber nicht auf die Charakteristik der Sätze beziehen. 20

    «Jeder Ton (in der ostasiatischen Musik) ist vom Ansatz bis zum Verklingen Wandlungen unter-worfen, er wird mit Verzierungen, Vor schlägen, Schwebungen, Glissandi und dynamischen Veränderungen ausgestattet, vor allem wird die natürliche Vibration jedes Tones bewusst als Gestaltungsmittel eingesetzt.» 21

    Yuns Musik hat nichts Statisches, Gleichbleibendes an sich. Von zentraler Bedeutung sind die sogenannten «Haupttöne». 22 Sie sind «jenes charakteris-tische Mittel der Gestaltung, das [der] Musik [von Isang Yun] die ostasiatische Klangfarbe gibt». 23 Oft sind dies Liegetöne, wie sie in allen drei Etüden zu hö-ren sind (in der 3. Etüde mit Triller verziert), die mit kleinen schnellen um den Hauptton kreisende Figuren beginnen, unterbrochen oder beendet werden.

    Hört man den Klang der Bambusquerflöte Daegeum und die für sie ge-schriebene traditionelle koreanische Musik, sind Parallelen zu Yuns Etüden offensichtlich: Yun sucht auf der westlichen Böhmflöte Klangfarben und Ausdruck, die der koreanischen Querflöte nahekommen.

    Yun setzte sich mit der westlichen Zwölftontechnik auseinander, schrieb Skalen und Reihentabellen, benutzte diese aber nur ab und zu: «Das war für mich immer nur ein Gerüst. […] Wenn meine Klangphantasie stark genug floss, habe ich ihr freien Lauf gelassen, frei natürlich nach strengen, aber eigenen Gesetzen.» 24

    14 Yun, 1975, S.215 Rinser & Yun, 2016, S.6216 Ebd., 2016, S.6517 Ebd., 2016, S.177

    18 Ebd., 2016, S.15 – 18019 Yun, 1975, S.2 20 Ebd., 1975, S.321 Rinser & Yun, 2016, S.93

    22 Ebd., 2016, S.9323 Ebd., 2016, S.9324 Ebd., 2016, S.92 – 93

  • Mit dem Ziel eine Brücke von Isang Yun ins 21. Jahrhundert zu schlagen, habe ich mich auf die Suche nach Geschichten von Menschen begeben, die in der heutigen Zeit Ähnliches erlebt haben wie Yun vor sechzig Jahren. Dabei bin ich auf Texte von jugendlichen Geflüchteten gestossen, die vor zehn Jah-ren in die Schweiz migriert sind und das Berufsvorbereitende Schuljahr (BVS) in Biel besucht hatten. Der Schriftsteller Francesco Micieli motivierte die Schülerinnen und Schüler damals, ihre Lebensgeschichten aufzuschrei-ben. Aus diesen Texten entstand das Buch Hoi. Ich erzähle meine Geschichte.

    In Fluchtgespräche verband ich Ausschnitte aus dem eben erwähnten Buch mit autobiografischen Texten des Komponisten Isang Yun aus Der verwundete Drachen zu einer Art Gedicht. Neben, über und unter diesen neu entstandenen Text setzte ich die ersten drei Etüden von Yun. Es ent-stand ein Teppich, gewoben aus Statements und Lebenssituationen von Menschen aus verschiedenen Ländern, die in unterschiedlichen Zeiten lebten / leben und verschieden alt sind. Angaben wie Orte, Zeit, Alter sind in diesem Stück nicht von Belang

    Die Geschichte von Yun steht im Zentrum. Die anderen Figuren respek-tive Stimmen sind eine Art Echo auf die Texte von Yun. Sie beleuchten und verdeutlichen Yuns Schicksal mit Erfahrungen aus der heutigen Zeit. Das Weltgeschehen wiederholt sich…

    Den Titel Fluchtgespräche wählte ich in Anlehnung an Bertolt Brechts Flüchtlingsgespräche. Dazu ein Gedanke von Brecht zum Wert des Menschen mit oder ohne Pass, der mich sehr beschäftigt:

    «Der Pass ist der edelste Teil von einem Menschen. Er kommt auch nicht auf so einfache Weise zu - stand wie ein Mensch. Ein Mensch kann über all zustandkommen, auf die leichtsinnigste Art und ohne gescheiten Grund, aber ein Pass niemals. Dafür wird er auch anerkannt, wenn er gut ist, während ein Mensch noch so gut sein kann und doch nicht anerkannt wird.» 25

    25 Brecht, 2016, S.7

    Vermittlerische Aspekte

    Es braucht einen Effort des Hörers oder der Hörerin, die Ohren zu spitzen und sich mit der Musik von Isang Yun und den ungewohnten, teilweise unange-nehmen und schrillen Klängen auseinanderzusetzen und sich darauf einzu-lassen. Auf der Erzählebene passiert etwas Ähnliches: Fremde, geflüchtete Menschen kommen aus einem fremden Land, einer anderen Kultur hierher auf der Suche nach Sicherheit und einer neuen Heimat. Auch in diesem Fall braucht es Neugierde, Offenheit und eine gewisse Anstrengung unsererseits, sich auf diese Menschen und ihre Bedürfnisse einzulassen, sich mit ihnen zu beschäftigen und sie als Teil unserer Gesellschaft wahrzunehmen.

    Isang Yun ist in meinem Konzept sowohl Vermittlungsgegenstand als auch Vermittlungsrahmen. Der Zugang zu seiner Musik ist nicht ganz ein-fach zu finden, oft «befremdet, beunruhigt oder schockiert» 26 sie zunächst. Zudem hat er eine spannende Lebensgeschichte, die erschreckend aktuell ist und mit dem Thema Flucht eng verbunden ist.

    Isang Yun ist Musik und narrativer Rahmen. Isang Yun hält mein Stück im Innersten zusammen.

    Ansprechen möchte ich mit diesem Konzept Menschen, die sich bisher noch nicht oder nur wenig mit Neuer Musik beschäftigt haben oder die dem Thema «Flüchtlinge» gegenüber vielleicht eher kritisch eingestellt sind. Des Weiteren könnten auch Museen und andere Veranstalter aus programmati-schen Gründen am Stück interessiert sein.

    Fluchtgespräche kann in verschiedenen Formaten aufgeführt werden: Es funktioniert a) als Hörspiel, b) als Liveperformance mit allen fünf Perfor-merInnen und c) als Ein-Frau-Stück mit Liveflöte und Stimmen ab Tonband.

    26 Rinser & Yun, 2016, S.98

  • Ich testete Fluchtgespräche in zwei unterschiedlichen Settings mit je zwei verschiedenen Zielgruppen: Einerseits in einem ländlichen Umfeld mit einer gemischten ländlichen Zuhörerschaft und andererseits in einem schulischen Umfeld in stadtnaher Umgebung mit Gymnasiastinnen und Gymnasiasten und deren Lehrpersonen.

    Zuerst führten wir das Stück am 27.2.2017 in Vollbesetzung in einer Waldhütte im Berner Oberland auf. Die ursprüngliche Idee war: Ein ein-facher Holzunterstand im Wald, jede/r bringt seinen Klappstuhl, Schirm, Wolldecke selber mit, es brennt ein Feuer. Angesichts der eisigen Kälte im Februar sind wir auf das Forsthaus Ringgenberg ausgewichen.

    Des Weiteren machte ich drei Schulbesuche an verschiedenen Berner Gymnasien in den Unterrichtsfächern Musik und Geschichte.

    Um das Stück alleine aufführen zu können, programmierte der Ton-techniker Beat Müller eine Software, worüber die Einsätze der SprecherIn-nen via Computertastatur, die von meinem Fuss bedient wird, gesteuert werden können.

    Bei allen Tryouts befragte ich das Publikum nach der Performance über ihre Gefühle, Bilder beim Hören des Stückes, ihre Rückmeldungen und Verbes-serungsvorschläge für die Aufführung als Gesamtes. Ich versuchte fortlau-fend, die erhaltenen Feedbacks in die nächste Aufführung einzubauen.

    Als erste Bemerkung wurde oft gesagt, dass das Stück einen nachdenk-lich stimme. Elena, 16-jährige Gymnasiastin, meinte:

    «Es berührt einen, weil man die Atmosphäre des Alleinseins, des ‹Nicht-gut-Habens›, ‹Traurig-sein›, ‹Verlassen-sein› deutlich spürt. Die Musik ver- deutlicht diese Gefühle. Manchmal schau derte es mich.»

    Helene (Pflegefachfrau, 40) sagte: «Es bewirkte ein ‹Sich-gegen-Innen-kehren›. Es hat mich sofort an Menschen erinnert, die ich kenne, an Menschen, die eben-falls einen Fluchthintergrund haben.» Katrin (Hausfrau, 79) bemerkte:

    «Es wird einem bewusst, wie sorglos wir hier leben und eigentlich keine Ahnung haben, dass wir uns wegen Kleinigkeiten beschweren.»

  • Ein 9-jähriges Kind gab mir folgende Rückmeldung: «Also das waren keine schönen Geschichten. Ich fände es schlimm, in dieser Situation zu sein. Wo wäre ich dann? Ich würde meinen Vater nicht sehen, ich müsste denken, er sei viel-leicht gestorben, das Zuhause wäre kaputt und man weiss nicht, wo man hin-gehört. Ja, wir haben es wirklich gut hier.»

    Das Publikum setzte sich mit der Lage der geflüchteten Menschen ausei-nander und bezog deren Situation auf die eigene. Mindestens bei den zitier-ten Leuten scheint es mir gelungen zu sein, die Reflexion zum Thema Flucht anzustossen.

    Was mich überraschte, war, dass die beiden 9-jährigen Kinder, die bei der Premiere dabei waren, so stark auf die Geschichten reagierten. Die Kin-der gehörten bei meiner Planung nicht zu der Zielgruppe. Helene (bereits zitiert) sagte:

    «Thematisch hat das Projekt den Nerv der Zeit ge- troffen. Es ist ein endloses Thema. Der Mensch ist immer irgendwo auf der Flucht, auf der Suche nach einem sicheren Ort.»

    Doris, die auf einem Bauernhof im Berner Oberland lebt und arbeitet, führte den Gedanken weiter:

    «Heimat ist ein Gefühl, das man immer und überallhin mitnehmen kann.»

    Dieser Satz zeigt aus meiner Perspektive eine Distanzierung vom Thema, ein «Sich-nicht-konfrontieren-wollen / können» mit den Schicksalen dieser Menschen. Fred, 30-jähriger Polizist, für den eine gewisse Abgrenzung im Beruf wichtig ist, damit er ihn auf längere Zeit ausüben kann, sagte:

    «Ich habe als Polizist keine Entscheidungs- fähigkeit, wer ins Land kommen darf und wer nicht. Wir haben eine Vorlage, an die wir uns halten müssen. Was ich beitragen kann, ist, diese Menschen mit Respekt zu behandeln und ihnen als Mensch zu begegnen und nicht als ‹Polizeiorgan› zu einem ‹Flüchtling›.»

  • Spannend war, dass sich praktisch alle Leute von Jung über Alt einig waren, dass der Begriff «schön» nicht auf diese Musik zutreffe, dass diese Art von Mu-sik aber gut zu den Geschichten passe. Fred (bereits zitiert) meinte: «Bei der Piccoloflöte bin ich innerlich richtig aggressiv geworden. Die Töne waren sehr hoch, es tat weh in den Ohren. Im Zusammenhang mit den Geschichten, die auch schmerzhaftsind für die jeweiligen Schicksale, war die Musik absolut identisch.» Ein 20-jähriger Schüler aus dem Gymnasium Seefeld konnte sich nicht auf die Geschichte konzentrieren, wegen diesen «verstörenden Geräuschen». Katrin (bereits zitiert) dazu: «Yun in der Folterkammer war es auch nicht wohl.» Eine Schülerin aus dem Gymnasium Kirchenfeld sagte: «Das Piccolo zeigte, welche Angst und Schmerzen diese Menschen hatten. Die hohen Töne waren für mich die Gefahr. Die Altflöte machte auch Angst, aber weniger, weil da nicht diese hohen Töne waren.» Peter, pensionierter Mathelehrer, bemerkte:

    «Die langen scharfen Töne, die man sich nicht gewohnt ist von der Flöte, verursachten fast Schmerzen in den Ohren, einen physi - schen Schmerz. Das passte unwahrscheinlich gut zum Text! Das hat für mich einfach ge stimmt so, auch wenn Musik hören etwas anderes ist (lacht)!»

    Auch Doris (bereits zitiert) sagte: «Solche Musik würde ich normalerweise nicht hören; es bräuchte eine sehr spezielle Stimmung. Ich höre Musik, um mich aufzuheitern oder in Schwung zu bringen, Tempo zu machen, damit der Haus-halt schneller erledigt ist; da würde ich eine solche Yun-Musik nicht hören. In Beziehung zu diesen Geschichten ist diese Musik aber ‹100-pro-super›, genau das Richtige.» 27

    27 Anmerkung: Auch die zeitgenössischen Spieltechniken wurden erwähnt. Ein Schüler aus dem Gym - nasium Kirchenfeld sagte: «Dort wo man zwei Töne gleichzeitig hörte, das hat mir mega gefallen! Es war ‹scary›. Es lief mir kalt den Rücken herunter.» Ein anderer Schüler meinte, dass er gar nicht wusste, dass die Flöte so «perkussiv» sein könne (Slap). Eine er wachsene Frau bemerkte, dass sie es toll fand, «alle drei Flöten zu hören».

  • Salome Böni FlöteDie 26-jährige Flötistin wuchs in Brienz auf. Ab 2006 besuchte sie die Talent-förderungsklasse Musik am Gymnasium Hofwil und wurde gleichzeitig als Jungstudentin in die Flötenklasse von Christian Studler an der Hochschule der Künste Bern (HKB) aufgenommen. Nach dem Abschluss des Bachelor of Arts setzte sie ihre Studien in Zürich in der Klasse von Philippe Racine fort. Aktuell studiert sie im Master Specialized Music Performance an der HKB in der Flötenklasse von Martin Fahlenbock mit Vertiefung künstlerische Musikvermitlung bei Barbara Balba Weber. Sie gewann mehrere Förderpreise, u.a. Lyra Stiftung, Pestalozzi, Erna & Burgauer, Fritz Gerber Stiftung, Studi-enpreis der Werner und Berti Alter-Stiftung (2014) sowie erste Preise am Schweizerischen Jugendmusikwettbewerb (2010) und Concours International de musique «Léopold Bellan» in Paris (2012).

    Aitor Ucar Gonzalez GitarreDer Spanier studierte klassische Gitarre in San Sebastian bei Marco Socias. Ab 2013 setzte er seine Studien an der Hochschule der Künste Bern in der Gitarrenklasse von Elena Càsoli fort. 2015 schloss er den Master Performance ab und studiert momentan im Master Music Pedagogy. Er ist Preisträger ver-schiedener Wettbewerbe wie Guitarras Admira de Zarautz und José Tomás – Villa de Petrer. Aitor Ucar Gonzalez hat grosses Interesse an zeitgenössi-scher Musik und arbeitet eng zusammen mit Komponisten wie José María Sánchez Verdú, Ramón Lazkano, Leo Brouwer und dem Ensemble Ciklus.

    Yves Ryser SchlagzeugYves Ryser, geboren 1994 in Winterthur, begann im Alter von 13 Jahren Schlagzeug zu spielen. Er wurde von Willi Forster an der Jugendmusikschu-le Winterthur und Umgebung unterrichtet. Zur selben Zeit gründete er eine Rock-Band. In den folgenden Jahren gelangte er über die Blasmusik als Mitglied der Stadtharmonie Winterthur-Töss zur klassischen Musik. Er sam-melte Orchestererfahrungen im Schweizer Jugend-Sinfonie-Orchester und Orchester Animato. Als Solist erzielte er zahlreiche Erfolge an Wettbewerben. So erreichte er den 3. Platz im Finale des Prix Musique und wurde im Ost-schweizer Solisten und Ensemble Wettbewerb 2015 als Solochampion ausge-zeichnet. Seit September 2015 studiert Yves Schlagzeug an der HKB bei Jochen Schorer, Christian Hartmann und Brian Archinal.

  • Sophie Bock SprecherinSophie wurde 1990 in Bamberg, Oberfranken geboren. Bereits in jungen Jah-ren spielte sie als Kinderdarstellerin im Sommertheater der Fränkischen Schweiz sowie in Schulgruppen und im Jungen Theater Bamberg. Nach dem Abitur studierte sie an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg, spielte am Ballhaus Naunynstrasse in Berlin sowie in der Jugendgruppe der Volksbühne Berlin und studierte in Giessen Angewandte Theaterwissen-schaften. Jetzt beendet sie ihren Master in Schauspiel an der Zürcher Hoch-schule der Künste.

    Julian Anatol Schneider SprecherJulian wurde 1993 in Basel geboren. Er sammelte erste Theatererfahrungen im Jungen Theater Basel. Es folgten Engagements am Theater Basel, dem Luzerner Theater, im Tojo Theater Bern, in der Produktion Sturm in Patum-bah im Rahmen der Zürcher Festspiele und am Schauspielhaus Zürich. Nach dem Bachelorabschluss an der HKB nahm er den Master Expanded Theater in Angriff und schloss diesen im Februar 2017 mit der Abschlussinszenierung Glück ist ein warmes Gewehr erfolgreich ab. Julian ist Förderpreisträger der Friedl-Wald Stiftung.

    Lara Marian SprecherinLara wurde 1987 in Achim geboren. Nach dem Abitur studierte sie Sportma-nagement und Kommunikation in Köln. Nach Aufenthalten in Sydney, Mos-kau und Kapstadt begann sie ihre Schauspiel ausbildung an der HKB, wo sie derzeit ihren Master abschliesst. An der Berlinale 2016 feierte sie ihr Leinwanddebüt. Im selben Jahr spielte sie in den Kinoproduktionen Lasst die Alten sterben und Der Läufer. 2017 war sie in der Rolle der Camille aus Im Sommer wohnt er unten an der Komödie am Kurfürstendamm in Berlin und am Fährhaus Winterhude in Hamburg zu sehen. Lara ist Preisträgerin von Migros Kulturprozent.

    Katharina Kessler SprecherinKatharina wurde 1991 in Bad Kreuznach geboren. Nach dem Abitur war sie 2012 Ensemblemitglied der Studiobühne Köln. Es folgte ein Studium an der Kunsthochschule Kassel. Nach Abschluss der Basisklasse wechselte sie 2013 an die HKB, wo sie 2016 den Bachelor des Schauspielstudiums abschloss und nun im Master weiterstudiert. Während des Studiums war sie in ver-schiedenen Hochschulproduktionen, Kurzfilmen und mehrmals am Luzer-ner Theater zu sehen. Katharina ist Stipendiatin der Armin Ziegler Stiftung und Mitglied des Ensemble Netzwerks.

  • Herzlichen Dank an Simone Carlo Surace, meine lieben Musiker und Schau-spielerInnen, die Schulklassen und das Publikum, die mir Rückmeldung zu meinem Stück gaben, Martin Fahlenbock, Barbara Balba Weber, Francesco Micieli, Beat Müller, Christian Henking, Angela Bürger, Vera Capol und all die anderen, die mich unterstützt und ermutigt haben.

    LiteraturverzeichnisBrecht B. (2016). Flüchtlingsgespräche. Berlin: Suhrkamp.

    Huber K. (1990). …Plainte… I für Altflöte. Berlin: Ricordi.

    Keller K. (2007). Impulse aus dem Orient auf Klaus Hubers musikalisches Schaffen.Aus: Musik-Konzepte 137/138, Klaus Huber. Memmingen: edition text + kritik.

    Miyamoto K. (1996). Klang im Osten – Klang im Westen. Der Komponist To -ru Takemitsu… und die Rezeption europäischer Musik in Japan. Saarbrücken: Pfau.

    Rinser L. & Yun I. (2016). Der verwundete Drache. Dialog über Leben und Werk des Komponisten. Frankfurt am Main: Fischer.

    SchülerInnen aus der BVS Biel (2007). Hoi. Ich erzähle meine Geschichte. Biel: unveröffentlicht.

    Yun I. (1975). Etüden für Flöte(n) solo. Berlin: Bote & Bock.

    Internet Abgerufen am 17.3.17 von https://www.nzz.ch/umsturz-und-ekstase-1.12423776 Abgerufen am 18.3.17 von http://www.ex-tempore.org/takemitsu/takemitsu.htm Abgerufen am 18.3.17 von http://www.performativ.de/nomaden-hyksos.html Abgerufen am 21.3.17 von https://de.wikipedia.org/wiki/Zweite_Zwischenzeit

    Impressum Text: Salome BöniFotografie: © 2017, Simone Carlo Surace, suracephoto.comGestaltung: Vera CapolDruck: copytrend

  • www.fluchtgespräche.ch