RHEINISCHE - MGH-Bibliothek · 2014. 4. 1. · Spiegel realer politischer Gegensätze zwischen...

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RHEINISCHE VIERTELJAHRSBLÄTTER JAHRGANG66 2002 HERAUSGEBER: M. GROTEN TH. KLEIN· M. NIKOLAY-PANTER . N. N . SCHRIFTLEITUNG: M. NIKOL6..Y~·PANTER MITTEILUNGEN DES INSTITUTS FÜR GESCHICHTLICHE LANDESKUNDE DER RHEINLANDE DER UNIVERSITÄT BONN BOUVIER VERLAG· BONN cJ 9-. '/;JH 4-

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  • RHEINISCHEVIERTELJAHRSBLÄTTERJAHRGANG66 2002

    HERAUSGEBER:

    M. GROTEN

    TH. KLEIN· M. NIKOLAY-PANTER . N. N .

    SCHRIFTLEITUNG: M. NIKOL6..Y~·PANTER

    MITTEILUNGEN

    DES INSTITUTS FÜR GESCHICHTLICHE LANDESKUNDE

    DER RHEINLANDE DER UNIVERSITÄT BONN

    BOUVIER VERLAG· BONN

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  • DIE KAISERKRÖNUNG IM JAHR 800.EINE STREITFRAGE ZWISCHEN KARL DEM GROSSEN UND PAPST LEO Ill.

    Von Ma tthias Becher

    Am Weihnachtstag des Jahres 800 betrat Karl der Große St. Peter in Rom, uman der dritten Weihnachtsmesse teilzunehmen, die Papst Leo Ill. dort nach altemBrauch feierte; als Kaiser verließ er die Kirche wieder, darin ist sich die For-schung so einig wie selten. Doch bereits die naheliegende und wichtige Frage, obdie Krönung durch den Papst oder die Akklamation durch die Römer rechts-wirksam war, wird unterschiedlich beantwortet. Jüngst wurde dieses folgenrei-che Ereignis in all seinen Facetten im Rahmen der gelungenen Paderbomer Ka-rolingerausstellung von 1999 und weiteren durch das Jubiläum veranlassten Pu-blikationen gebührend gewürdigt'. Vor allem aber ist die Forschung über das Ge-schehen des Weihnachtstages 800 wieder in Gang gekommen, die nach dem ma-gistralen Überblick, den Peter Classen anlässlich der großen Aachener Karolin-gerausstellung von 1965 erstellt hat, weitgehend zur Ruhe gekommen schien',Classen und andere standen noch unter dem Eindruck des welthistorischen Ge-gensatzes zwischen Byzanz und dem Westen. In jüngster Zeit wird den Unstim-migkeiten zwischen den päpstlichen und den fränkischen Quellen, die von derälteren Forschung als Ausdruck verschiedener Auffassungen vom Kaisertum in-terpretiert wurden", größere Aufmerksamkeit gewidmet, und sie werden alsSpiegel realer politischer Gegensätze zwischen Papst und Frankenherrscher ver-

    1799 - Kunst und Kultur der Karolingerzeit. Karl der Große und Papst Leo Ill. in Paderborn. Ka-talog der Ausstellung Paderborn 1999,2 Bde, samt Beitragsbd., hrsg. v. Christoph Stiegemann -Matthias Wemhoff, Mainz 1999; De Karolo rege et Leone papa. Der Bericht über die Zusammen-kunft Karls des Großen mit Papst Leo Ill. in Paderborn 799 in einem Epos für Karl den Kaiser, hrsg. v.Wilhelm Hen tze (Studien und Quellen zur westfälischen Geschichte 36), Paderborn 1999; Krönun-gen. Könige in Aachen. Geschichte und Mythos, hrsg. v. Mario Kr a mp, 2 Bde. Mainz 2000; Karl derGroße und das Erbe der Kulturen. Akten des 8. Symposiums des Mediävistenverbandes, Leipzig15.-18. März 1999, hrsg. v. Franz-Reiner E r ken s, Berlin 2001; Am Vorabend der Kaiserkrönung. DasEpos .Karolus magnus et Leo papa' und der Papstbesuch in Paderborn 799, hrsg. v. Peter God m a n -Jörg ] arn u t - Peter] ohane k, Berlin 2001.

    2 Peter C Iass en, Karl der Große, das Papsttum und Byzanz. Die Begründung des karolingischenKaisertums (Beiträge zur Geschichte und Quellenkunde des Mittelalters 9), Sigmaringen 1985 (zuerstin: Karl derGroße. Lebenswerk und Nachleben, hrsg. v. Wolfgang Bra unfels, Bd. 1: Persönlichkeitund Geschichte, hrsg. v. Helmut Be u m ann, Düsseldorf 1965, S. 537-608); zum Gang der Forschungseither vgl. Lutz E. von Padberg, Das Paderborner Treffen von 799 im Kontext der GeschichteKarls des Großen, in: De Karolo rege et Leone papa (wie Anm. 1), S. 9-104.

    3 Genannt seien nur Albert Brackmann, Die Erneuerung der Kaiserwürde im Jahre 800, in:De r s., Gesammelte Aufsätze, 2. erw. Aufl. Köln - Graz 1967, S. 41-55; Erich Cas pa r, Das Papsttumunter fränkischer Herrschaft, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 54 (1935), S. 132-264, zit. nach demND, Darrnstadt 1956; Helmut Be u m ann, Romkaiser und fränkisches Reichsvolk. in: FS Edmund E.Stengel, Münster - Köln 1952, S. 157-180.

  • 2 Matthias Becher

    standen', Die folgenden Seiten sind ebenfalls diesem Zwist gewidmet, der daspolitische Geschehen der Jahre 799 bis 801 entscheidend bestimmt, aber in denQuellen nur punktuell Widerhall gefunden hat.

    Die Gelegenheit, Kaiser zu werden, verdankte Kar! der Große der politischenEntwicklung in Rom. Im Jahr 795 war Papst Hadrian gestorben. Sein NachfolgerLeo Ill. entstammte im Gegensatz zu seinem Vorgänger nicht den adligenFührungsschichten der Stadt Rom, sondern verdankte seinen Aufstieg aus-schließlich dem Dienst in der römischen Kirche", Schon bald kam es zu Span-nungen zwischen dem neuen Papst und der städtischen Aristokratie, über dieuns die zeitgenössischen Quellen im Unklaren lassen. An der Spitze der Unzu-friedenen standen Paschalis, ein Neffe Hadrians, und Campulus, beide hohepäpstliche Verwaltungsbeamte, die bereits Hadrian gedient hatten", Am Markus-tag, dem 25. April, des Jahres 799 nutzten die Aufrührer die letania maior, diegroße Bittprozession, um einen Umsturz herbeizuführen", Der Papst wurde er-griffen und misshandelt, ja man wollte ihn sogar blenden und ihm die Zungeherausschneiden. Solche Verstümmelungen dienten dem Ziel, das Opfer aufDauer amtsunfähig zu machen. Tatsächlich wurde dem Papst wohl auch einförmlicher Absetzungsprozess gemacht', doch konnte er schließlich aus der Haftentfliehen und bei fränkischen legati Schutz suchen, die mittlerweile bis nach St.Peter gelangt waren",

    Doch die Verschwörer wagten nicht, einen neuen Papst einzusetzen, ohne zu-vor Kar! konsultiert zu haben, der seit 774 auch Ober- und Mittelitalien be-

    4 Vor allem Jörg J a rn ut, 799 und die Folgen. Fakten, Hypothesen und Spekulationen, in: West-fälische Zeitschrift 150 (2000), S.191-209;Johannes Fried, Papst Leo III. besucht Kar! den Großen inPaderbom oder Einhards Schweigen, in: Historische Zeitschrift 272 (2001), S. 281-326; Matthias Be-eh er, Die Reise Papst Leos III. zu Kar! dem Großen. Überlegungen zu Chronologie, Verlauf und in-halt der Paderbomer Verhandlungen des Jahres 799, in: Am Vorabend (wie Arun. 1), S. 87-112; vg!.auch De n s., Kar! der Große und Papst Leo ill.Die Ereignisse der Jahre 799 und 800 aus der Sicht derZeitgenossen, in: 799 - Kunst und Kultur (wie Arun. 1), Bd. 1, S. 22-36.

    5 Zu Leo vg!. Peter Llewellyn, Le contexte romain du couronnement de Charlemagne. Letemps de I'Avent de l'annee 800, in: LeMoyen Äge 96 (1990), S. 209-225; Klaus Her be rs, Der Ponti-fikat Papst Leos ßI. (795-816), in: 799 - Kunst und Kultur, Beitragsbd. (wieArun. I), 5.13-18; Dens.,Papst Leo III. (795-816), der Koronator Karls des Großen - Möglichkeiten päpstlicher Politik an derSchwelle des 9. Jahrhunderts, in: Geschichte im Bistum Aachen 5 (1999/2000), S. 1-24.

    6 Vg!. Caspar, Papsttum (wie Anm. 3), S. 122; Classen, Karl (wie Anm. 2), S. 45f.; Llewel-Iy n, Contexte (wie Anm, 5), S. 218f.

    7 Hierzu und zum Folgenden vg!. die in Anm. 2 und 4 genannten Arbeiten und etliche Beiträgeder in Anm. 1 genannten Sammelbände.

    8 Kar! Heldmann, Das Kaisertum Karls des Großen. Theorien und Wirklichkeit (Quellen undStudien zur Verfassungsgeschichte des Deutschen Reiches in Mittelalter und Neuzeit 6/2), Weimar1928, S. 74; Harald Zimmermann, Papstabsetzungen des Mittelalters, Graz - Wien - Köln 1968,S. 27; Fr i e d, Leo III. (wie Anm. 4), S. 296£.; anders von Pad b erg, Treffen (wie Anm. 2), S. 52ff.

    9 Zu diesen vgl, Becher, Reise (wie Anm. 4), S. 93ff.

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  • Die Kaiserkrbnung im Jahr 800 3

    herrschte". Er hatte Leo förmlich anerkannt und konnte folglich bei dessen Ab-setzung nicht einfach übergangen werden, wenn die Verschwörer nicht eine un-freundliche Reaktion des Frankenherrschers provozieren wollten. Daher warenBoten zwischen Rom und Aachen unterwegs, und schließlich ließ Karl den Papstund eventuell auch einige seiner Gegner nach Norden geleiten, damit sie vor ihmihre Standpunkte darlegten und verteidigten. Am fränkischen Hof standen zeit-weise Leo selbst und seine Stellung als Papst zur Debatte, denn gegen ihn wur-den schwere Beschuldigungen erhoben: Ehebruch und Meineid", Doch schließ-lich setzten sich die ,Fürsprecher' des Papstes durch.

    Es kam in Paderbom also zu Verhandlungen, weniger über das Kaisertum alsvielmehr über die prekäre Situation des quasi-abgesetzten Papstes". Seine Stel-lung als Nachfolger des hl. Petrus stand zur Diskussion. Nach Abschluss der Ge-spräche entsandte der König Leo noch im Herbst 799 in Begleitung zahlreicherfränkischer Bischöfe nach Rom. Diese führten dort eine Untersuchung durch, de-ren Ergebnis allerdings aus Sicht des Papstes wohl enttäuschend war: Die Ver-schwörer wurden lediglich ins fränkische Exil geschickt und die Kritik an ihmnicht endgültig ausgeräumt". Nach wie vor war Leo von der Unterstützung Karlsabhängig, denn die gegen Leo erhobenen Vorwürfe blieben ein Faustpfand in derHand des Frankenkönigs, bis dieser ein Jahr später nach Rom kam und eine Sy-node abhielt, auf der sich Leo mittels eines Eides von den Vorwürfen reinigenkonnte. Die Erhebung Karls zum Kaiser schloss sich an. Wie aber standen die Zeit-genossen dazu? Um diese Frage zu beantworten, wollen wir zunächst zeitnähereerzählende Quellen fränkischer und päpstlicher Provenienz in den Blick nehmen,dann die Konstantinische Fälschung und schließlich auch die einzige Urkunde,die Kar! während seines Aufenthaltes in Rom ausgestellt hat. Darauf folgt eineAnalyse der Auseinandersetzungen zwischen Papst und Frankenherrscher umdas Kaisertum.

    Weitgehend außen vor bleiben dagegen die ablehnenden Bemerkungen, dieKart der Große seinem Biographen Einhard zufolge über die Kaisererhebung ge-macht haben soll, obwohl kaum eine Aussage eines mittelalterlichen Historio-

    10 Becher, Reise (wie Anm. 4), 5.99; anders Fried, Leo Ill. (wie Anm. 4), S. 297f., der in LeosFlucht den Hauptgrund sieht, aber die Dauer der Gefangenschaft Leos zu kurz ansetzt.

    11 Alkuin, Epistolae Nr. 179, ed. Ernst Dümmler, in: Epistolae Karolini Aevi II (MGH Epp. seI.IV), Berlin 1895, S. 1-481, S. 297; vgl. Becher, Ereignisse (wie Anm. 4), S. 28; Dens., Reise (wieAnm. 4), S. 104.

    12 Fried, Leo Ill. (wie Anm. 4), S. 316f.; Becher, Reise (wie Anm. 4), S. 102ff.

    13 Vgl. Classen, Karl (wie Anm. 2), S. 59; Becher, Ereignisse (wie Anm. 4), S. 30ff.; Fried,Leo Ill. (wie Anm. 4), S. 318f.; das fränkische Exil der Verschwörer ist auch als Schutzhaft zu inter-pretieren, vgl. Heldmann, Kaisertum (wie Anm. 8), S. 97; Peter Moraw, Kaiser gegen Papst-Papst gegen Kaiser. Prozesse und Quasiprozesse als Mittel der theologisch-politisch-rechtlichen Aus-einandersetzung von 800 bis 1350, in: Große Prozesse. Recht und Gerechtigkeit in der Geschichte,hrsg. v. Uwe Schultz,2.Aufl. München 1997, S. 55-64, S. 57;J arnut, Folgen (wie Anm. 4), S. 205.

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    graphen soviel Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat", Karl war sicherlich kein"Kaiser wider Willen"15 , aber auch der Bescheidenheitstopos als Erklärung greiftwohl zu kurz". Daher sollte man die wenigen und erhebliches Vorwissen voraus-setzenden Sätze Einhards vor allem als Kommentar zum Geschehen begreifen,nicht als Bericht im Wortsinne. In seinem Werk schildert er seinen Helden Karlsehr ausführlich als Frankenkönig, aber dessen Zeit als Kaiser handelt er nurkurz ab", Diese Zurückhaltung gegenüber dem Kaisertum war keine grundsätz-liche, sondern wahrscheinlich eine Reaktion auf die politische Situation, in der ersein Werk verfasste". Doch gerade die Entstehungszeit der Vita Karoli ist in jüngs-ter Zeit wieder umstritten". Solange dieses Problem nicht gelöst ist, bleibt auchdie Frage unbeantwortet, warum Einhard die negativen Bemerkungen Karlsüber dessen Kaisererhebung überhaupt kolportierte. Doch unabhängig von jederStilisierung bleibt zu diskutieren, ob Karl überhaupt Grund für eine kritischeHaltung gehabt haben könnte. '

    1) Die zeitnahen erzählenden Quellen

    Die Unterschiede in der Berichterstattung der zeitnahen erzählenden Quellenversprechen näheren Aufschluss über den Standpunkt des jeweiligen Autors unddamit auch der fränkischen und der päpstlichen Seite2'l.Dies gilt vor allem für dieReichsannalen, deren Jahresberichte um 800 nahezu zeitgleich am Hof Karls des

    14 Einhard, Vita Karoli c. 28, ed. Oswald Holder-Egger (MGH SS rer. Germ. [25]), Hannover1911 (ND 1965), S. 32: Ultimi adventus sui [Romae/ nan solum haefuere causae, rerum eiiam quod RomaniLeonem pontificem multis affectum iniuriis, erutis scilicet oculis linguaque amputata, fidem regis implorareconpulerunt. Idcirco Romam veniens propter reparandum, qui nimis conturbatus erat, ecdesiae staium ibi fo-tum hiemis tempus extraxit. Quo tempore imperatoris et augusti nomen accepit. Quod prima in tantum aver-satus est, ut adfirmaret se eo die, quamvis praecipua festivitas esset, ecclesiam non intraturum, si pontificis con-silium praescire potuisset; zur inhaltlichen Zugehörigkeit dieser Stelle zu c. 27 Heinz L ö we, "Religiochristiana". Rom und das Kaisertum in Einhards Vita Karoli Magni, in: Storiografia e Storia. Studi inonore di Eugenio Dupre Theseider, Rom 1974, S. 1-20, S. 9f.

    15 So Percy Ernst Schramm, Karl der Große als Kaiser (800-814) im Lichte der Staatssymbolik,in: Ders., Kaiser, Könige und Päpste. Gesammelte Aufsätze zur Geschichte des Mittelalters, Bd. 1:Von der Spätantike bis zum Tode Karls des Großen (814), Stuttgart 1968, S. 264-302, S. 267.

    16 Vgl. vorallem Heinrich Fichtenau, Karl derGroße und das Kaisertum, in: Mitteilungen desInstituts für ÖSterreichische Geschichtsforschung 61 (1953), S. 257-334 (ND Darrnstadt 1971), S. 269ff.;Classen, Karl (wie Anm. 2), S. 77; Fried, Leo m. (wie Anm. 4), S. 322f. •

    17 Vgl. Class en, Kart (wie Anm. 2), S. 77; Löwe, Religio (wie Anm. 14), S. 11ff.; Nikolaus {Staubach, ,Cultus divinus' und karolingische Reform, in: Frühmittelalterliche Studien 18 (1984), L5.546-581, S. 564ff.; von Pad berg, Treffen (wie Anm. 2), S. 96f. '

    18 Fichtenau, Kaisertum (wieAnrn. 16),S.274f.

    19 Zuletzt'dazu Karl Heinrich Krüger, Neue Beobachtungen zur Datierung von Einhards Karls-vita, in: Frühmittelalterliche Studien 32 (1998), S. 124-145, mit weiterer Literatun

    20 Vgl. bereits Ignaz von Döllinger, Das Kaisertum Karls des Großen und seiner Nachfolger,in: Ders., Akademische Vorträge, Bel. 3, München 1891, 5.63-174, S. 98ff., der freilich den fränki- I

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  • Die Kaiserkrönung im Jahr 800 5

    Großen abgefasst wurden". Eine etwas andere Sicht bieten die ebenfalls zeit-genössischen Lorscher Annalen", Ihr Verfasser stand dem Hof zwar ebenfallsnahe, vertrat aber durchaus seinen eigenen Standpunkt. Die päpstliche Sicht istdokumentiert in der im Liber pontificalis enthaltenen Vita Leonis. Dieser einschlä-gige Bericht zur Kaiserkrönung wurde vielleicht kurze Zeit danach, spätestensaber nach Leas Tod 816 fertiggestellf" ..

    Die Reichsannalen füllen die Zeitspanne zwischen der Verabschiedung desPapstes in Paderbom und Karls Erscheinen in Rom mit zahlreichen Einzelheiten:Da ist imAnschluss an Leas Abreise die Rede von einer Gesandtschaft des by-zantinischen Statthalters von Sizilien, von einem verlustreichen Aufstand derAwaren, von den Balearen, die sich dem fränkischen Schutz unterstellten, undvon der Unterwerfung der Bretagne. Weiter berichtet der Annalist von einemMönch aus Jerusalem, der imAuftrag des dortigen Patriarchen Reliquien va/rnhl.Grab überbrachte, und einem Gesandten des Präfekten von Huesca, der dem Kö-

    sehen Quellen zu sehr den Vorzug gab; Bra c k m ann, Erneuerung (wie Anm. 3), S. 42ff.; jüngst mitähnlicher Methode Becher, Ereignisse (wie Anm. 4); Ders., Reise (wie Anm. 4); Fried, Leo Ill.(wie Anm. 4), bes. S. 319 Anm. 122. '

    21 WUhelm Wattenbach - WUhelm Levison - Heinz Löw~, Deutschlands Geschichtsquel-len imMittelalter. Vorzeit und Karolinger, Heft 2: Die Karolinger vom Anfang des 8. Jahrhunderts biszum Tode Karls des Großen, Weimar 1953, S. 245ff.; vg!. auch Hartrnut Hoffmann, Untersuchun-gen zur karolingischen Annalistik (Bonner Historische Forschungen 10), Bonn 1958, S. 38ff.; eine neueSicht bietet Rosamond McKitterick, Constructing the Past in the Early Middle Ages: The Case ofthe Royal Frankish Annals, in: Transactions of the Royal Historical Society, 6th series, 7 (1997),5.101-129; nach Fried, Leo Ill. (wie Anm. 4), S. 285, seien die Reichsannalen eine nur annähernd,aber keine streng zeitgenössische Quelle, auf S. 311 bringt er ein Beispiel für eine spätere Verfäl-schung, das aber sehon Heinz L ö we, Eine Kölner Notiz zum Kaisertums Karls des Großen, in: Rhei-nische Vierteljahrsblätter 14 (1949), S. 7-34, S. 29f. mit Anm. 131, entgegengesetzt interpretierte.

    22 Vg!. F icht e na u, Kaisertum (wie Anm. 16), S. 297ff. u. 311ff., der Bischof Richbod von Trier fürden Verfasser hält, vg!. 0ens., Abt Richbod und die Annales Laureshamenses, in: Geschichtsblätterfür den Kreis Bergstraße, Sonderbd. 4, Heppenheim 1978, S. 277-304, S. 299ff. (Nachwort von 1978);von einer entscheidend späteren Abfassung geht Fr ie d , Leo Ill. (wie Anm. 4), S. 286 Anm. 11, aus;eine absolut gleichzeitige Aufzeichnung der Annalen stand in jüngster Zeit aber ohnehin nicht zurDiskussion; vg!. Cla s s en, Karl (wie Anm. 2), S. 58 Anm. 207: "ein fortlaufend, Jahr für Jahr geführ-tes Original" über die als Original geltende Handschrift (Österreichische Nationalbibliothek Wien,cod.lat. 515); Frieds weitergehende Thesen über diese ("Abschrift einer Vorlage") bedürfen einer ein-gehenderen Begründung.

    23 Classen, Karl (wie Anm. 2), S. 43, für die Frühdatierung; anders Becher, Reise (wieAnm. 4),S. 91f.; grundlegend für die Chronologie der Vita Leonis bleibt Herman Gee r t m an, More Veterum.n Liber pontificalis egli edifici ecclesiastici di Roma nella tarda antichitä e nell'alto medioevo, Gro-ningen 1975, S. 37ff.; vgl, auch Thomas EX. Nob le, A New Look at the Liber Pontificalis, in: Archi-vum Historiae Pontificiae 23 (1985), S. 347-358; Ders., Literacy and the Papal Government in LateAntiquity and the Early Middle Ages, in: The Uses of Literacy in Early Medieval Europe, hrsg. v.Rosamond McKitterick, Cambridge 1990, S. 82':'108, S. 96ff.; Klaus Herbers, Leo IV. und dasPapsttum in der Mitte des 9. Jahrhunderts. Möglichkeiten und Grenzen päpstlicher Herrschaft in derspäten Karolingerzeit (Päpste und Papsttum 27), Stuttgart 1996, S. 12ff.

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    nig die Schlüssel dieser spanischen Stadt überreichte", Anfang 800 habe Karldann den Jerusalemer Mönch in Begleitung des Priesters Zacharias entlassen,dem er auch Geschenke für die heiligen Stätten mit auf den Weg gab. Und nochmehr Details kennt der Reichsannalist: Mitte März zog der König von Aachen andie französische Küste und organisierte den Widerstand gegen die Normannen.Im Anschluss an das Osterfest in St-Riquier reiste Kar! nach Tours weiter, um imKloster des hI. Martin zu beten. Hier verstarb am 4. Juni seine Gemahlin Luit-gard. Über Orleans und Paris kehrte Kar! dann nach Aachen zurück. AnfangAugust kam er nach Mainz und befahl einen Heereszug nach Italien".

    Sicherlich dienten all diese Aktivitäten der Vorbereitung des Romzuges, ohnedass dies ausdrücklich zur Sprache käme. So dürfte Kar! sich in Tours einerseitsmit Alkuin beraten haben, andererseits teilte er dort der Chronik von Moissac zu-folge, während einer großen Versammlung das Reich unter seine Söhne auf undplante dem anonymen Biographen Ludwigs des Frommen zufolge seinen Zugnach Italien", Gerade dies vermerkte der Reichsannalist weder ausdrücklichnoch wollte er auch nur einen solchen Anschein erwecken. Vielmehr betonte erdie weitgespannten Beziehungen seines Königs zu Byzanz, nach Spanien, zu denBalearen und selbst nach Jerusalem und vermittelt so den Eindruck, dass Karlder Große bereits eine kaisergleiche Stellung eingenommen habe", Hier könnteder Wunsch nach Gleichberechtigung mit Byzanz durchschimmern, möglicher-weise sogar Karls Bestrebungen zur Übernahme des Kaisertums, die im Zusam-menhang mit dem byzantinischen Angebot von 798 zu sehen sind, ihm das impe-rium zu übergeben", sowie mit der Präsenz byzantinischer Gesandter in Pad er-

    24 Armales regni Franeorum a. 799, ed. Friedrich Kurze (MGH SS rer. Germ. [6]), Hannover1B95,5. lOB.

    2S Annales regni Francorum a. 800 (wie Anm. 24), 5. 110.

    26 Chronicon Moissiacense (Cod. Moiss.) a. 800, ed. Georg-Heinrich Pertz (MGH 55 I), Hanno-ver 1B26,5. 2B0-313, S. 304; Astronomus, Vita Hludowici imperatoris c. ID, ed. Ernst Tre m p (MGHSS rer. Germ. 64), Hannover 1995, S. 279-555, S. 308.

    27 Vgl. Hans Eberhard Mayer, Kaiserrecht und Heiliges Land, in: Aus Reichsgeschichte undNordischer Geschichte. FS Kar! Jordan zum 65. Geburtstag, hrsg. v. Horst Fuhrmann u.a. (KielerHistorische Studien 16), Stuttgart 1972, S. 193-20B, S. 207 mitAnm. 45; Michael Borgolte, Der Ge-sandtenaustausch der Karolinger mit den Abbasiden und mit den Patriarchen von Jerusalem (Mün-chener Beiträge zur Mediävistik und Renaissance-Forschung 25), München 1976, 5. 74; Aryeh Gra-bois, Charlemagne, Rome and Jerusalem, in: Revue beige de philologie et d'histoire 59 (19Bl),S. 792-809; Becher, Ereignisse (wie Anm. 4), S. 32f.; Herbers, Leo Ill. (wie Anm. 5), 5.11; zu denSiegesmeldungen der Reichsannalen in den Jahren vor und nach der Kaiserkrönung, die wohl indieselbe Richtung weisen, vg!. Michael McCormick, Eternal Victory. Triumphal Rulership in LateAntiquity, Byzantium and the Early Medieval West, Cambridge - Paris 1986, 5. 375f.

    28 Vgl. Lö we, Notiz (wie Anm. 21), passim; Paul 5 p ec k, Kaiser Konstantin VI. Die Legitimationeiner fremden und der Versuch einer eigenen Herrschaft, 2 Bde., München 1978, S. 329ff.; Ralph-Jo-hannes Lilie, Byzanz unter Eirene und Konstantin VI. (780-802). Mit einem Kapitel über Leon IV.von Ilse Rochow (Berliner Byzantinistische Studien 2), Frankfurt/M. 1996, S. 206£f.; Herbers,Leo Ill. (wieAnm. 5),5. 10f.; Fried, Leo m. (wieAnm. 4), S. 3OBff.

  • Die Kaiserkrönung im Jahr 800 7

    born 79919• Auf jeden Fall relativierte der Reichsannalist mit seiner Darstellungdie Bedeutung des anstehenden Romzuges und den Stellenwert der Problemedes Papstes für den Frankenkönig, die als ein Betätigungsfeld Karls unter vielenerscheinen", So erfahren wir aus dieser Quelle auch nicht, dass die beiden älte-ren Söhne und einige Töchter Karl begleiteten und damit dem Zug ein nochglanzvolleres Gepräge verliehen".

    Indie skizzierte Richtung deutet auch ein anderes Detail, das dem Annalistenstatt dessen bemerkenswert erschien. InRavenna habe Karl auf seinem Zug nachRom eine Pause von sieben Tagen eingelegt und seinen Sohn Pippin gegen dasunabhängige Fürstentum Benevent entsandt'", Erst jetzt kommt unser Bericht-erstatter auf das eigentliche Ziel der Reise zu sprechen: Rom. Am 23. Novemberwurde der Frankenkönig angeblich vom Papst und den Römern in Mentana weitvor der Stadt überaus demütig und feierlich empfangen". Nach einem gemein-samen Essen zog der Papst allein nach Rom zurück und schickte ihm zu seinemEinzug am nächsten Tag die Fahnen der Stadt entgegen. Mit Lobgesängen hießman Karl willkommen; vor St. Peter stieg er vom Pferd und wurde auf den Stu-fen der Kirche von Leo, der Geistlichkeit und den Bischöfen feierlich empfan-gen34•

    Die Reichsannalen heben besonders das gemeinsame Mahl in Mentana hervor.Wie zentral dieser Empfang für die fränkische Seite war, lehrt ein Vergleich mitder Vita Leonis, in der dieses Treffen ganz entfällt'", Die fränkische und die päpst-liche Seite bewerteten also diese Begegnung unterschiedlich. Während derPapstbiograph ihr keinerlei Bedeutung zumessen wollte, vermittelte derReichsannalist passend zu der in seinem bisherigen Jahresbericht herausgestell-

    19 Vg!. Fried, Leo Ill. (wie Anm. 4), S. 313f.; freilich muss offen bleiben, ob die von den AnnalesGuelferbytani a. 799, ed. Waiter Le n d i,Untersuchungen zur frühalemannischen Annalistik. DieMurbacher Annalen - mit Edition (Scrinium Friburgense 1), Freiburg/Schweiz 1971, S. 173, bezeug-ten Gesandten der Kaiserin von den Reichsannalen absichtlich zu Gesandten des Statthalters von Si-zilien herabgestuft wurden oder ob letztere schlicht über bessere Informationen verfügten und dieGesandtschaft daher genauer zuordnen konnten.

    30 Vg!. bereits Casp ar, Papsttum (wie Anm. 3), S. 130, im Hinblick aufKarl selbst .

    . 31 Zu ihnen und weiteren Teilnehmern Heldmann, Kaisertum (wieAnm. 8), S. 99.

    32 Armales regni Franeorum a. 800 (wie Anm. 24), S. 110; mit Recht weist Jar nut, Folgen (wieAnm. 4), S. 208, auf die vom Annalisten übergangene Symbolkraft dieses Besuchs hin, denn damalsbetrat Kar! zum ersten Mal in seinem Leben Ravenna, "den Inbegriff für spätantike Kaiserherrschaft" .

    33 Annales regni Franeorum a. 800 (wie Anm. 24), S. 110; vg!. Achim Thomas Hack, Das Emp-fangszeremoniell bei mittelalterlichen Papst-Kaiser-Treffen (Forschungen und Beiträge zur Kaiser-und Papstgeschichte des Mittelalters. Beihefte zu J. F. Böhmer, Regesta Imperii 18), Köln - Weimar-Wien 1999, S. 318 mit Anm. 137.

    34 Annales regni Franeorum a. 800 (wie Anm. 24), S. 110.

    35 Vita Leonis c. 21, Liber pontificalis, ed. Louis Duchesne, Bd. 2, Paris 1892,5.1-48,5.7.

  • 8 Matthias Becher

    ten kaisergleichen Stellung des Frankenherrschers den Eindruck, Leo habe Karlschon vorab die Rechte eines Kaisers eingeräumt, ja ihn sogar noch ehrenvollerempfangen. Einem Kaiser zog der Papst nämlich üblicherweise bis zum sechstenMeilenstein vor der Stadt entgegen und beteiligte sich damit an der feierlichenEinholung des Herrschers durch die Bevölkerung Roms", Leo zog Karl nun so-gar bis zum zwölften, nach neueren Erkenntnissen sogar fünfzehnten Meilen-stein entgegen", Karl selbst war bislang in seiner Eigenschaft als patricius Roma-norum, als Schutzherr Roms, am ersten Meilenstein und nicht vom Papst selberempfangen worden", Die Reichsannalen erwecken also den Eindruck, Leo habeKarl wie einen Kaiser behandelt, indem er ihm eine große Wegstrecke entgegen-zog, und unterstreichen dies noch durch ihre Wortwahl: Der Papst habe den Kö-nig mit höchster Demut und höchster Ehre empfangen, summa eum humiliiatesummooue honore suscepit. Die Absicht des fränkischen Geschichtsschreibers liegtalso offen zutage. Karl war vom ersten Moment seines Zusammentreffens mitLeo der Herr der Lage, ja wurde von diesem wie ein Kaiser empfangen, wobeider Reichsannalist freilich auf den vermutlichen Grund für Leas Entgegenkom-men - seine ungeklärte Position - nicht näher eingeht, da dies letztlich auch Kar!selbst beschädigt hätte.

    Aber gerade die große Distanz, über die Leo Ill. dem Frankenkönig entgegen-kam, irritiert, zumal wenn man das weitere Geschehen berücksichtigt: Leospeiste in Mentana zusammen mit Karl und kehrte anschließend in die EwigeStadt zurück, um den König am nächsten Tag auf den Stufen von St. Peter erneutzu empfangen. Wenn man nicht annehmen will, der Papst habe Karl tatsächlichzweimal hochoffiziell willkommen geheißen, bleibt nur der Schluss, dass bei St.Peter der eigentliche Empfang stattfand, während das Treffen von Mentana an-ders zu bewerten ist. Denn Leo hatte sich nicht, wie beim Empfang eines Kaisersüblich, diesem dort angeschlossen und sich so beim Einzug in die Stadt in dessenGefolge eingereiht, sondern war als gleichberechtigter Gastgeber aufgetreten, in-dem Kar! zunächst ganz Rom durchqueren musste, bevor er ihn auf den Stuferrvan St. Peter ehrenvoll begrüßte",

    36 [osef Deer, Die Vorrechte des Kaisers in Rom (772-800), in: Zum Kaisertum (wie Anm. 71),S. 30-115, S. 79; Classen, Karl (wie Anm. 2), S. 58f.; Hack, Empfangszeremoniell (wie Anm. 33),S. 32lf.; Fried, Leo III. (wie AnmA), S. 318; wenig begründet scheinen mir die jüngst von Dieter H ä-germann, Karl der Große. Herrscher des Abendlandes, Berlin - München 2000, 5. 419f., vorge-brachten Zweifel an der Kenntnis des einem Kaiser gebührenden Empfangszeremoniells im damali-gen Rom; dies lehrt auch ein Vergleich mit Karls früheren Besuchen in Rom; zudem geht Hägermannselbst an anderer Stelle seines Kapitels über die Kaiserkrönung davon aus, dass byzantinisches Zere-moniell damals zum Vorbild genommen wurde (5. 427).

    37 Vgl. Hack, Empfangszeremoniell (wieAnm.33), 5. 318 mitAnm.137.

    38 Deer, Vorrechte (wie Anm. 36), S. 79; Classen, Kar! (wie Anm. 2), S. 59; Hack, Empfangs-zeremoniell (wie Anm. 33), S. 31B.

    39 Vgl. Hac k, Empfangszeremoniell (wie Anm. 33), S. 302f., 322, der Leos Aufenthalt in Mentanatrotz dessen Rückkehr nach Rom als Beleg für dessen Beteiligung an der Einholung Karls wertet.

  • Die Kaiserkrönung im Jahr BOO 9

    Das Treffen von Mentana diente also vermutlich vorbereitenden Verhandlun-gen. Zum einen waren praktische Fragen zu klären. Sollte Karl überhaupt feier-lich in Rom einziehen? 774 etwa war das nicht geschehen, und Karl hatte für denAufenthalt in der Ewigen Stadt sogar die Erlaubnis Papst Hadrians einholenmüssen", Sollte er Ende November 800 in Rom selbst oder wie 774 bei St. Peteraußerhalb der Mauern sein Lager aufschlagen? Dort hatte sich Karl in der Zwi-schenzeit - entweder schon 781 oder im Zusammenhang mit dem aktuellen Be-such - ein palatium errichten lassen". Bei der Frage, ob Karl Ende 800 inner- oderaußerhalb der Stadtmauern residierte, ist zu bedenken, dass Leo ein Jahr zuvornur mit Hilfe fränkischer Abgesandter nach Rom hatte zurückkehren können,die sogar im Triclinium des Lateran eine erste gerichtliche Untersuchung desAufruhrs gegen Leo vorgenommen hatten=, Ganz selbstverständlich zählten dieLorscher Annalen daher Rom zum Herrschaftsbereich Karls des Großen'3. Selbstwenn dieser im Jahr 800 bei St. Peter residiert haben sollte, so wird er dochdarauf bestanden haben, dass ihm die Tore der Stadt jederzeit offenstanden.

    In diesem Kontext ist auch die Frage nach dem eigentlichen Grund für KarlsKommen zu sehen. Der Frankenkönig hatte trotz seiner Parteinahme für Leo imHerbst 799 dessen Stellung als Papst ja noch nicht wieder vollkommen gefestigtund legitimiert. Man wird daher annehmen dürfen, dass Leo ihm nach Mentanaentgegeneilte, um dessen weiteres Vorgehen in Rom in seinem Sinne zu beein-flussen. Einen Hinweis auf seine Absichten könnte der Tagesheilige des 23. No-vember geben, der hl. Papst Clemens. Dieser galt als Autor eines am Ende des1. Jahrhunderts abgefassten Briefes an die Christen von Korinth, in dem er aufdie Unabsetzbarkeit von Priestern hinwies". Mit der Wahl dieses Tages wollte

    40 Vgl. Hac k, Empfangszeremoniell (wie Anm. 33), S. 302; Rudolf Sc hie ff er, Charlemagne andRome, in: Early Medieval Rome and the Christian West. FS für Donald A. Bullough, hrsg. v. Julia M.H. Smith, Leiden- Boston- Köln 2000, S. 279-295, S. 286.

    41 Andreas von Bergamo, Historia c. 5, ed. Georg Wa i t z, in: MGH SS rer. Lang., Hannover 1878,S. 220-230, S. 224; vgl. Carlrichard Brühl, Die Kaiserpfalz bei St. Peter und die Pfalz Ottos III. aufdem Palatin, in: Der s., Aus Mittelalter und Diplomatik. Gesammelte Aufsätze, Bd. I, Hildesheim _München - Zürich 1989, S. 3-31; Schieffer, Charlemagne (wie Anm. 40), S. 285f.; vg!. auch LouisRe e k m ans, Le developpement topographique de la region du Vatican it la fin de I'antiquite et audebut du moyen äge (300-850), in: Melanges d'archeologie et d'histoire de l'art offerts au Professeur[acques LavaIleye, Louvain 1970, S. 197-235; Alain Stoclet, Les etablissements francs it Rome auVIII" siede, in: Haut Moyen Age. Culture, education et societe. Etudes offertes it Pierre Riche, hrsg. v.Michel Sot, Nante~ 1990, S. 231-247; Herbers, Leo IV. (wieAnm. 23), S. 224f.

    42 Vita Leonis c. 20 (wie Anm. 35), S. 6f.; vg!. C I ass en, Kar! (wie Anm. 2), S. 54f.; Mo raw, Kai-ser (wie Anm. 13), S. 57; Jar nut, Folgen (wie Anm. 4), S. 205.

    43 Armales Laureshamenses a. 800, ed. Georg-Heinrich Pertz (MGH SS I), Hannover 1826,S. 22-39, S. 38.

    "Vgl. Michael Sierck, Festtag und Politik. Studien zur Tagewahl karolingischer Herrscher (Ar-chiv für Kulturgeschichte, Beiheft 38) Köln - Weimar - Wien 1995, S. 402 mit Anm. 5, der die Tageswahlals Beleg dafür nimmt, daß der für Leo positive Ausgang von vornherein festgestanden habe; dazuauch Max Kerner, Der Reinigungseid Leos Ill. vom Dezember 800. Die Frage seiner Echtheit und

  • 10 Matthias Becher

    Leo auf den Grundsatz der syrnmachianischen Fälschungen hinweisen, dass derPapst von niemandem gerichtet und damit auch nicht abgesetzt werden könne",Möglicherweise konnte er Karl so davon abhalten, selbst über ihn zu richten, wiedies ein byzantinischer Kaiser getan hätte", aber auch eine Synode dürfte nicht inseinem Interesse gelegen haben. So war er wohl wenig davon angetan, dass Karleine Woche später, also am 1.Dezember oder am 30. November, eine solche Ver-sammlung einberief", .

    Die Reichsannalen erwähnen Karls wichtigstes Anliegen, die Untersuchurigder Vorwürfe gegen den Papst, eher beiläufig: Niemand habe die Richtigkeit die-ser Beschuldigungen beweisen wollen, deshalb habe der Papst die Kanzel von St.Peter bestiegenund sich durch einen Eid von allen ihm angelasteten Verbrechengereinigt. Am selben Tag, so der Annalist weiter, sei der Priester Zacharias ausdem Heiligen Land zurückgekehrt. Er wurde begleitet von zwei Mönchen, einemvom Ölberg und einem vom Kloster des hI. Sabas, die dem König im Auftrag desPatriarchen von Jerusalem die Schlüssel zum hI. Grab, zum Kalvarienberg, zurStadt und zum Berg Zion zusammen mit einer Fahne überreichten. Die üblichekurze Bemerkung über die Feier des Weihnachtsfestes und den Jahreswechselzum 25. Dezember schließt sich an", Den Bericht zum Jahr 801 beginnt der An-nalist direkt mit der Kaiserkrönung: Ipsa die sacratissima natalis Domini, cum rex admissam ante confessionem beati Petri apostoli ab oratione surgerei, Leo papa coronam ea-piti eius imposuit, et a cuncto Romanorum populo adc1amatum est: ,Carolo augusto, aDeo coronato magno et pacifico imperatori Romanorum, vita et victoria!' Et post laudesab apostolico more antiquarum principum adoratus est atque ablato patricii nomine im-perator et augustus est appellaius",

    frühen kanonistischen Überlieferung. Eine Studie zum Problem der päpstlichen Immunität im frühe-ren Mittelalter, in: Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 84/85 (1977/7B), 5.131-160, S. 134ff.

    45 Vgl. Salvatore Vacca, Prima sedes a nemine iudicatur. Genesi e sviluppo storico dell'assiornafino al Decreto Graziano (Miscellanea Historiae Pontificiae 61), Rom 1993.

    46 Vg!. Thomas F.X. Noble, The Republic of St. Peter. The Birth of the Papal State, 680-825, Phi-ladelphia 1984, S. 293.

    47 Zur Datierung BM2 =Die Regesten des Kaiserreichs unter den Karolingern 751-91B, eel. [ohannFriedrich Böhmer - Engelbert M ühlbacher - Johann Lechner,ND mit Ergänzungen von Carl-richard Brühl und Hans Kaminsky, Hildesheim 1966, Nr. 369£ (1. Dezember); Sierck, Festtag(wie Anm. 44), S. 402, der aus dem besonderen Bezug dieses Tages (30. November) zum hi. Petrus fol-gert, Kar! habe schon damals zu Gunsten Leos entschieden; dagegen spricht indes die lange Dauerder Synode. -

    48 Annales regni Franeorum a. 800 (wie Anm. 24), 5.112.

    49 Annales regni Franeorum a. 801 (wie Anm. 24), S. 112;mit adorare war die Proskynese gemeint,das Beugen des Knies bis zur Erde, so Heldmann, Kaisertum (wie Anm. B), S. 2B9ff.; G. Weiss, -Art. ,Proskynese', in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 7, München 1995, Sp. 265f.; dagegen interpretiertePercy Ernst 5 ch r a m m, Die Anerkennung Karls des Großen als Kaiser, in: Oe rs.,Kaiser (wie Anm.IS), S. 215-263. S. 261. den Vorgang als ein zu Boden Werfen; vg!. schon von D ö IIi n g e r, Kaisertum(wie Anm. 20), S. 135; die adoratio vermelden auch die AnnaIes Maximiniani a. BOI, eel. Georg Wa i tz(MGH SS XIII), Hannover 1881, 5.19-25, S. 23.

  • Die Kaiserkrönung im Jahr 800 11

    Dabei verschleiert der Geschichtsschreiber, dass dem König die Bereinigungder zerrütteten Verhältnisse in der römischen Kirche nicht auf Anhieb gelungenwar. Zwar erwähnt er den Beginn der römischen Synode am 30. November oder1.Dezember, aber er verschweigt, dass Leo seinen Reinigungseid erst am 23. De-zember leistete, also mehr als drei Wochen nach Beginn der Versammlung. Dieselange Dauer passte wohl nicht zum Bild des zupackenden und erfolgreichenHerrschers Karl, das der Annalist sonst vermittelt" und spricht im Übrigen auchgegen eine vorherige, etwa in Mentana getroffene Absprache über den Verlaufder Synode". Vollkommen bedeckt hält sich der Annalist, was die Gründe für dieKaisererhebung anbelangt: Fast könnte man den Eindruck gewinnen, dass er denBezug zur Untersuchung der gegen den Papst erhobenen Vorwürfe herunter-spielte, denn beide Sachverhalte werden in seiner Berichterstattung durch dieRückkehr der am Jahresbeginn nach Jerusalem gereisten fränkischen Gesandt-schaft voneinander geschieden.

    Bei der eigentlichen Kaisererhebung möchte der Annalist wohl einen be-stimmten Eindruck erwecken: Er spricht zunächst den Weihnachtstag an undkann bei seinen Lesern voraussetzen, dass sie gleichsam von selbst an eine Messedachten, die er auch kurz erwähnt. Dann schreibt der Annalist, Karl habe sichvom Gebet vor der confessio s. Petri erhoben und in diesem Moment habe ihm derPapst eine Krone aufgesetzt. Karl war dieser Version zufolge also mit dem Gebetbeschäftigt, während Leo die Initiative übernahm. Mit anderen Worten: Der Ge-schichtsschreiber wollte den Eindruck vermitteln, Karl habe von der Aktion desPapstes vorher nichts gewusst", Indiesem Sinne interpretierten auch die AnnalesMaximiniani den Bericht der Reichsarmalen'", Demnach hätte Karl also nichtselbst nach seiner Rangerhöhung gestrebt, sondern der Papst und die Römerwären dafür verantwortlich gewesen, wobei Leo eben auch die Konsequenzen

    50 Zur durchschnittlichen Dauer von Synoden [ohannes La u d a g e, Ritual und Recht auf päpst-lichen Reformkonzilien (1049-1123), in: Annuarium Historiae Conciliorum 29 (1997), S. 287-334,S. 305 mit Anm. 43; vgl, auch Heinz Wo I t er, Die Synoden im Reichsgebiet und in Reichsitalien von916 bis 1056 (Konziliengeschichte. Reihe A: Darstellungen), Paderbom u.a. 1987, S. 447ff.

    51 SoSierck, Festtag (wieAnm. 44), S. 402.

    52 Das widerspricht nicht zwangsläufig der Interpretation von Kar! Josef Benz, "Cum ab ora-tione surgeret". Überlegungen zur Kaiserkrönung Karls des Großen, in: Deutsches Archiv für Erfor-schung des Mittelalters 31 (1975), S. 337-369; zur confessio s. Petri vgl, auch Amold Angenendt,Mensa Pippini regis. Zur liturgischen Präsenz der Karolinger in Sankt Peter, in: Hundert Jahre Deut-sches Priesterkolleg beim Campo Santo Teutonico 1876-1976. Beiträge zu seiner Geschichte, hrsg. v.Erwin Gat z, Rom u.a. 1977, S. 52-68, S. 57ff.

    53 Armales Maximiniani a. 801 (wie Anm. 49), S. 23: Die sancta natalis Domini, nesciente domno Ca-rolo, cum ante missam ad Confessionem sancti Petri ab oratione surrexii, Leo papa ... ; nach Fie h ten a u ,Kaisertum (wie Anm. 16), S. 275, hätte der Annalist Karls (angebliches) Nichtwissen aus den Aus-führungen Einhards abgeleitet; aber seine Wortwahl erinnert doch sehr stark an die Reichsannalen.was vermuten lässt, dass er zumindest mittelbar aus ihnen schöpfte; zur Quelle vgl. Wa t ten b a c h-Levison-Löwe (wie Anm. 21), S. 257.

  • 12 Matthias Becher

    aus seiner Handlung zog und den neuen Kaiser mit der adoratio oder Proskyneseehrte und ihn dann Kaiser und Augustus nannte'", Aber die angeblich so passiveHaltung Karls ergab sich lediglich aus der Konzeption des Historiographen=,Denn dass es nicht möglich war, Karl den Großen derart vor vollendete Tatsachenzu stellen, darüber ist sich die Forschung einig. Warum also suchte der Reichs-annalist dennoch diesen Eindruck zu erwecken? Vielleicht wollte er seinen Herrntoposgemäß als bescheiden zeichnen, doch dürfte diese Erklärung wie im FalleEinhards nicht ausreichen. Möglicherweise geht die kryptische Berichterstattungdes Reichsannalisten auf die Meinungsverschiedenheiten zwischen der päpst-lichen und der fränkischen Seite zurück, die er nicht vollständig verschleiernkann ..

    Deshalb soll nun auch die päpstliche Geschichtsschreibung genauer in denBlick genommen werden. Der Bericht der Vita Leonis schließt unmittelbar an dieRückführung Leos durch eine fränkische Abordnung Ende November 799 undihre Untersuchung der Ereignisse an. Post modicum tempus, "nach kurzer Zeit" seider Frankenkönig in Rom erschienen und habe sich um diese Angelegenheitgekümmert. Bei St. Peter, so der Bericht recht einsilbig, sei Karl äußerst ehrenvollempfangen worden. Indieser Kirche hätten sich dann fränkische Bischöfe, Äbteund Adlige sowie der römische Senat unter dem Vorsitz des Königs und des Pap-stes versammelt, um die Vorwürfe gegen letzteren zu klären. Die versammelteGeistlichkeit habe sich geweigert, über den apostolischen Stuhl zu urteilen, weildieser nach altem Brauch von niemandem gerichtet werden könne. Diese Aus-sage und die Erklärung Leos, er sei zu einem Reinigungseid bereit, werden inwörtlicher Rede wiedergegeben, ebenso wie der Reinigungseid selbst, den er amnächsten Tag, dem 23. Dezember, vom Ambo der Peterskirche aus auf die Evan-gelien leistete". Die Kirchenversammlung sei, so der Bericht der Papstvita weiter,überaus erleichtert gewesen und habe sogleich einen Dankgottesdienst abgehal-ten". Am Weihnachtstag kamen der Vita Leonis zufolge dann "alle" erneut in St.

    54 Die Übersetzung von Reinhold Ra u , Quellen zur karolingischen Reichsgeschichte, erster Teil(Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters. Freiherr vom Stein-Gedächtnisaus-gabe 5), Darmstadt 1968, S. 75 ("Und nach den laudes erwies ihm der Papst nach der Sitte der altenPrincipes die Proskynese, und er wurde fortan unter Weglassen des Patricius-Titels Kaiser undAugustus genannt") verändert in unzulässiger Weise die Intention der Reichsannalen.

    55 Vg!. auch F ri e d , Leo Ill. (wie Anm. 4), S. 320; wegen dieser verschleiernden Darstellung bliebdie Suche der Forschung nach dem konstituierenden Akt bei der Kaisererhebung vergebens; zur Krö-nung vg!. etwa die gegensätzlichen Auffassungen von Ben z , Cum ab oratione (wie Anm. 52), undHans Hubert An ton, Beobachtungen zum fränkisch-byzantinischen Verhältnis, in: Beiträge zur Ge-schichte des Regnum Francorum. Referate beim Wissenschaftlichen Colloquium zum 75. Geburtstagvon Eugen Ewig, hrsg. v. RudoUSchieffer (Beihefte der Francia 22), Sigmaringen 1990, S. 97-119,S. 104ff.; zur Akklamation Classen, Kar! (wie Anm. 2),S. 65ff.

    56 Vita Leonis c. 21 (wie Anm. 35), S. 7; zum Eid vgl. Kerner, Reinigungseid (wie Anm. 44), S.141ff.

    57 Vita Leonis c. 22 (wie Anm. 35), S. 7.

  • Die Kaiserkrönung im Jahr 800 13

    Peter zusammen, wo der ehrwürdige und segenspendende Papst ihn", also Karl,mit seinen eigenen Händen mit einer überaus wertvollen Krone krönte. Daraufhätten alle treuen Römer eingedenk der Verdienste Karls um die römische Kircheund den Papst auf den WInk Gottes und des hl. Petrus, des Schlüsselträgers deshimmlischen Reiches, ausgerufen: "Karl, dem überaus frommen Augustus, demvon Gott gekrönten großen und friedenbringenden Kaiser, Leben und Sieg". Antesacram confessionem beati Petri apostoli hätten sie ihm unter Anrufung vieler Heili-ger dreimal akklamiert, und von allen sei er zum Kaiser der Römer bestimmt(constitutus) worden'", Noch am selben Weihnachtstag habe der Papst Karlsgleichnamigen Sohn mit dem heiligen Öl zum König gesalbt". Direkt im An-schluss an die Messe habe der neue Kaiser dem hl, Petrus reiche Opfergaben dar-gebracht, einen schweren Tisch aus Silber und zusammen mit seinen Söhnen undTöchtern wertvolle Schmuckstücke einschließlich einer Krone aus Gold, die er inder confessio der Peterskirche niederlegte. Weiter habe er St. Paul vor den Mau-em, die Lateranbasilika und Santa Maria Maggiare beschenkt",

    ImGegensatz zu den fränkischen Reichsannalen, die die Zeitspanne zwischenLeas Abreise aus Paderborn und Karls Ankunft in Rom sehr ausführlich schil-dern und mit vielen Aktivitäten füllen, erweckt der Papstbiograph den entge-gengesetzten Eindruck. Denn Karl erschien nicht etwa kurze Zeit später in Rom,sondern erst am 24. November 800, also fast genau ein Jahr nach der Rückkehrdes Papstes am 29. November 79962• Die Vorwürfe gegen Leo standen währenddieses Jahres weiterhin ungeklärt im Raum, und gerade dies ließ den päpstlichenBerichterstatter wohl den Kunstgriff der zeitlichen Verkürzung verwenden. Aberselbst er muss einräumen, dass der König am Sitz des Papstes in dessen Angele-genheit eine Synode einberief, der beide dann gemeinsam vorsaßen. ZwischenKarls Ankunft in Rom Ende November und Leos Reinigungseid am 23. Dezem-ber 800 vergingen weitere vier Wochen, und die Synode, auf der die Vorwürfe ge-gen Leo verhandelt wurden, tagte immerhin drei Wochen lang. Hatte aber derReichsannalist noch allein die Dauer der Synode bemäntelt, so dehnte der Papst-biograph dies auf die Zeitspanne bis zur Kaisererhebung aus. Beides sprichtnicht gerade für ein Einvernehmen zwischen Karl und Leo. Die Lorscher Anna-len berichten zudem, dass auch die stadtrömischen Verschwörer Gehör fanden".

    58 Waiter Mohr, Kar! der Große, Leo Ill. und der römischeAufstand von 799, in: Archivum Lati-nitatis medü aevi, Bulletin Du Cange 30 (1960), S. 39-98, S. 94, hielt das Wörtchen eurn an dieser Stellefür verdächtig, da Karl als Bezugsperson kurz zuvor nicht erwähnt werde, und folgerte, die Kapitel22 und 23 seien entweder verschiedenen Berichten entnommen worden oder zwischen ihnen seietwas ausgelassen worden.

    59 Vita Leonis c. 23 (wie Anm. 35), S. 7.

    60 Vita Leonis c. 24 (wie Anm. 35), S. 7.

    61 Vita Leonis cc. 24f. (wie Anm. 35), S. 7f.; zu diesen Gaben vg!. Classen, Kar! (wie Anm. 2),5.69f.

    62 Vgl. Classen, Kar! (wie Anm. 2), S. 58.

    63 Armales Laureshamenses a. 800 (wie Anm. 43), 5. 38.

  • 14 Matthias Becher

    Auch jetzt noch gab Karl das Faustpfand der gegen Leo erhobenen Vorwürfenicht aus der Hand. In diese Richtung weist auch eine vorsichtige Bemerkung Al-kuins in einem Brief von Anfang 801, die Versammlung sei lange Zeit uneins ge-wesen". Am Ende scheint ein Kompromiss gestanden zu haben: Einerseitswurde der Nicht-Judizierbarkeit des Papstes Rechnung getragen, andererseitsmit dem Reinigungseid aber ein Verfahren gewählt, das etwa Alkuin währendder Paderborner Verhandlungen noch als für den Papst untragbar deklarierthatte". In diesem Sinne wäre die sich anschließende Erhebung Karls zum Kaiserals Teil einer mühsam ausgehandelten Einigung zu verstehen.

    Interessant ist aber vor allem, wie die beiden Quellen die Geschehnisse desWeihnachtstages akzentuieren. Sowohl die Reichsannalen als auch die Vita Leonisbeginnen mit der Feier des Weihnachtsfestes in St. Peter, fahren dann mit derKrönung fort und schließen die Akklamation gefolgt von laudes bzw. einer drei-maligen Wiederholung der Akklamation an. Die Vita Leonis erwähnt allerdingsdas Gebet Karls nicht, gibt dafür aber andere Informationen: Alle, d.h. alle Teil-nehmer der Synode, hätten sich in St. Peter versa~elt und nach der Krönungnicht einfach nur akklamiert, sondern dies auch in Ubereinstimmung mit Gottund dem hi. Petrus getan sowie in Anerkennung der Verdienste Karls um die rö-mische Kirche und den Papst. Angesichts dieser helfenden, um nicht zu sagendienenden Funktion des Frankenherrschers ist es naheliegend, dass der Papst-biograph die Proskynese Leos vor dem neuen Kaiser verschweigt", Dafür hebt erdarauf ab, die Versammelten hätten Karl am Ende zum Kaiser bestimmt (consti-tutus). In der fränkischen Quelle ist es dagegen der Papst, der nach seiner Pros-kynese Karl mit dessen neuen Titel anredet. Sie stilisiert also Leo durchgängigzur Person, die zwar die Initiative ergreift, sich aber in allem dem neuen Kaiserunterordnet. Die Vita Leonis stellt den Papst ebenfalls als den anfangs Aktivendar, der dann im Verein mit dem römischen Klerus agierte. Vermieden wird da-bei aber jeder Anschein, Leo habe sich Karl unterstellt.

    Die offiziösen Geschichtswerke beider Seiten geben also auf Grund ihrer ge-genläufigen Interessenlagen entweder nur Ausschnitte des Geschehens wiederoder bewerten denselben Vorgang vollkommen verschieden. Eine weitere Per-spektive bieten die Lorscher Annalen: 799 habe die fränkische Abordnung Leoehrenvoll nach Rom geleitet und die Verschwörer zu Karl ins Frankenreich ge-schickt", Während der Mainzer Versammlung Anfang August 800, so betont der

    64 Alkuin, Epistolae (wie Anm. 11) Nr. 212, 5. 353; vg!. Heldmann, Kaisertum (wie Anm. 18),S. 103; Caspar, Papsttum (wie Arun. 3), S. 132f.; dagegen sucht Noble, Republic (wieArun. 46), S.294f., die lange Dauer der Verhandlungen mit sehr vielen verschiedenen Gegenständen zu erklären.

    65 Alkuin, Epistolae (wieArun. 11) Nr. 179, S. 297;vgl. Becher, Reise (wieAnm. 4), S.104.

    66 Vgl. von Döllinger, Kaisertum (wie Arun. 20), S. 135; Robert Folz, Le couronnementimperial de Charlemagne, 25 decernbre BOO,Paris 1964,5. 175f.; Pierre Riche, Die Karolinger. EineFamilie formt Europa, München 1991,5.154; Fried, Leo III. (wieAnm. 4), S. 319.

    67 Armales Laureshamenses a. 799 (wie Anm. 43), S. 37.

  • Die Kaiserkrönung im Jahr 800 15

    Annalist eigens, habe Karl festgestellt, dass sein gesamtes Reich befriedet sei. Da-mit, so wird man diese Feststellung vielleicht vorsichtig kommentieren dürfen,hatte er die wichtigste Aufgabe eines weltlichen Herrschers erfüllt und war nungleichsam zu Höherem berufen. Folgerichtig, so die Lorscher Annalen weiter, er-innerte sich Karl dann wieder an das Unrecht, das die Römer dem Papst angetanhatten, und beschloss, nach Rom zu ziehen. Dort versammelte er eine Synode,die zunächst in dem freiwilligen Reinigungseid des Papstes gipfelte. Dann aberhätten dieser, die Konzilsväter und das übrige christliche Volk beschlossen, "daßman Karl, den König der Franken, Kaiser nennen müsse?". Den Bitten derBischöfe und des gesamten christlichen Volkes habe Karl sich nicht verschließenkönnen und am Weihnachtstag den Kaisertitel zusammen mit der Weihe durchden Papst empfangen. Daraufhin habe er Frieden und Eintracht in der heiligenrömischen Kirche wieder hergestellt. Aufschlussreich sind die Motive, die derAnnalist für den Beschluss der Synode nennt, Karl das Kaisertum anzutragen:Zunächst sei das nomen imperatoris, der Kaisername oder -titel, bei den Byzanti-nern vakant, da dort seit 797 mit der Kaiserin Irene eine Frau herrschte. Dagegenhätte Gott .Rom, wo die Cäsaren immer zu residieren gepflegt hatten, und dieübrigen sedes in Italien, Gallien und Gerrnanien ... in Karls Gewalt gegeben'?".

    Als einzige Quelle sprechen damit die Lorscher Annalen den weltpolitischenKontext der Kaisererhebung an, denn Byzanz war der legitime Erbe des Römi-schen Reiches, ja es war das Römische Reich'", Dieser Alleinvertretungsanspruchwurde mit der Erhebung Karls zum Kaiser in Frage gestellt. Indern das Konzilund das christliche Volk nun den Lorscher Annalen zufolge der Kaiserin Irenewegen ihres Geschlechts die Herrschaftsberechtigung absprachen, schufen siedie argumentative Voraussetzung für die Erhebung Karls zum Kaiser. Mit demHinweis auf das nomen imperatoris schloss sich der Autor einem verbreiteten Ar-gumentationsmuster an, das letztlich auf Augustinus und Isidor von Sevillazurückgeht und von der modemen Forschung als Nomen- bzw. Namentheorie

    68 Armales Laureshamenses a. 800 (wie Anm. 43), S. 38.

    69 Armales Laureshamenses a. 800 (wie Anm. 43), S. 38: Et quia iam tunc eessebat a parte Graecorumnomen imperatoris, et femineum imperium apud se abebant, tune visum est et ipso apostolico Leoni et universissanctis patribus qui in ipso concilio adaant, seu reliquo christiano populo, ut ipsum Carolum regem Fran-chorum imperatorem nominare debuissent, qui ipsam Romam tenebat, ubi semper Caesares sedere soliti erant,seu reliquas sedes quas ipse per Italiam seu Gal/iam nee non et Germaniam tenebat; quia Deus omnipotens hasomnes sedes in potestate eius concessit, ideo iustum eis esse videbatur, ut ipse cum Dei adiutorio et universochristiano populo peiente ipsum nomen aberet; zu den sedes Fie h ten a u, Kaisertum (wie Anm. 16), S. 321u. S. X (Einleitung zum Nachdruck); Classen, Karl (wieAnm. 2), S. 61; Henry Mayr-Harting,Charlemagne, the Saxons, and the Imperial Coronation of BOO, in: The English Historical Review 111(1996), S. 1113-1133, S. 1122f., nimmt an, Paderbom habe zu diesen sedes gezählt.

    70 Zu Byzanz und zur byzantinischen Reaktion auf die Kaisererhebung Karls vgl, Speck, Kon-stantin VI. (wie Anm. 28), S. 326ff.; Oe n s., Zum Vollzug der Kaiserkrönung Karls des Großen, in: By-zantium and the North. Acta Byzantina Fennica 10 (1999/2000), 5.110-116; Peter Schreiner, By-zanz (Oldenbourg-Grundriß der Geschichte 22), München 1986, S. 15, 125; Li lie, Byzanz (wie Anm.28), S. 206ff.

  • 16 Matthias Becher

    bezeichnet wird". Demnach musste ein Herrscher die mit seinem TItel verbun-denen Pflichten auch erfüllen, wenn er diesen TItel, diesen Namen, zurechtführen wollte. Tat er das nicht, legitimierte dies die Erhebung eines neuen Königsoder Kaisers. Indiesem Sinne weisen die Annalen auch auf die Tatsache hin, dassKar! weite Teile des ehemaligen Römerreiches beherrschte und deshalb derwahre Nachfolger der antiken Cäsaren war, während der Kaisername von denGriechen gewichen sei.

    Ein weiterer Grund, den der Annalist aber nur als Folge anspricht, war die Be-reinigung des Zerwürfnisses innerhalb der römischen Kirche. Selbst wenn Kar!bereits zuvor als König und Patricius die Macht gehabt hatte, gegen die Ver-schwörer gerichtlich vorzugehen, so besaß er doch als Kaiser unzweifelhaft dieBerechtigung dazu72• Die ungenauen Bemerkungen der Lorscher Annalen wer-den von den Reichsannalen und der Vita Leonis konkretisiert: Kar! verurteilte we-nige Tage nach seiner Erhebung zum Kaiser die Attentäter vor Gericht zum Todeund begnadigte sie erst auf Bitten des Papstes zur Verbannung ins Frankenreich.Aber auch dieses Geschehen akzentuieren die beiden Quellen unterschiedlich,worauf noch einzugehen sein wird",

    Fast schon beredt schweigen unsere Quellen über die folgenden Monate, indenen Kaiser und Papst gemeinsam in Rom residierten?', Die Vita Leonis nimmtdie durch die Schilderung der Ereignisse vom 25. April 799 bis Anfang 801 un-terbrochene Aufzählung der Schenkungen Leos an die römischen Kirchen wie-der auf", Die Reichsannalen unterstreichen dagegen, Kar! habe nicht nur die öf-fentlichen, sondern auch die kirchlichen Angelegenheiten Roms, des Papstes undganz Italiens in Ordnung gebracht und seinen Sohn abermals gegen Benevententsandt", Auch die Lorscher Annalen betonen, die Krise innerhalb der römi-

    71 Vgl, Fichtenau, Kaisertum (wie Arun. 16), S. 259ff.; Helmut Beumann, Nomen imperato-ris. Studien zur Kaiseridee Karls des Großen, in: Historische Zeitschrift 185 (1958), S. 515-549, zit.nach dem ND in: Zum Kaisertum Karls des Großen, hrsg. v. Gunther Wo If (Wege der Forschung 38),Darmstadt 1972, S.174-215;Arno Borst, Kaisertum und Nomentheorie im Iahre BOO, in: FSfürPercyErnst Schramm zum 70. Geburtstag, Bd. 1, Wiesbaden 1964, S. 36-51, zit. nach dem ND in: Zum Kai-sertum S. 216-240; Class en, Karl (wieArun. 2), S. 70f.

    72 Vgl. Heldmann, Kaisertum (wie Arun. 8), S. 239f.; Caspar, Papsttum (wie Anm. 3), S. 136:Classen, Karl (wie Anm. 2), S. SIt.; Noble, Republic (wie Arun. 46), S. 294, der freilich zu sehr dasformale Kriterium betont, Karl hätte vorher weder über den Papst noch über die Römer urteilen kön-nen, da sie nicht seine Untertanen gewesen seien, denn dann hätten seine missi auch im November799 in Rom keine Voruntersuchung durchführen dürfen.

    73 Vgl, unten, S. 30.

    74 Nob le, Republic (wie Arun. 46), S. 295, konstatiert dieses Faktum lediglich mit Bedauern: "Ifonly more details survived about all of this acitivity by Charlemagne!"

    75 Vita Leonis ce. 27ft. (wie Arun. 35), S. 8ff.

    76 Armales regni Franeorum a. 801 (wie Anm. 24), S. 114.

  • Die Kaiserkrönung im Jahr 800 17

    sehen Kirche sei damals durch Karl allein bewältigt worden". Damit billigen diefränkischen Annalen dem Papst sogar nach seiner Rehabilitierung keinen Ver-dienst an der Besserung der Verhältnisse zu. Nur mühsam verdecken die er-zählenden Quellen also auch in ihren Berichten über die Geschehnisse nach KarlsErhebung zum Kaiser die Gegensätze zwischen ihm und Leo Ill. Am 25. April801 verließ Karl Rom, exakt an dem Tag, an dem sich das Attentat auf den Papstzum zweiten Mal jährte. An diesem Tag fand sicher wie in jedem Jahr die großeBittprozession statt, in deren Mittelpunkt selbstverständlich der Papst stand".Symbolisch wurde damit die Demütigung des Papstes durch die Attentäter imJahr 799 wieder gutgemacht. Wie wichtig Leo dieser Aspekt gewesen sein muss,wird etwa dadurch deutlich, dass er dem hl. Petrus eine goldbesetzte Altardeckedarbrachte, auf der die letania maior abgebildet war", Noch unmittelbar nach derKaiserkrönung hatte Karl der Lateranbasilika ein kostbares Kreuz geschenkt, dasfür diese Prozession gedacht wato, aber im Frühjahr 801 war er nicht dazu bereit,an ihr und damit an einer eindrücklichen Selbstdarstellung des Papstes teilzu-nehmen.

    Auf Spannungen verweist auch die Erwähnung des Osterfestes 801 in denReichsannalen, zu deren Standardberichten die Feier von Weihnachts- undOsterfest durch den Frankenherrscher gehören. 801 fiel das Osterfest auf den4. April, also indie Zeit, inder sich Karl inRom aufhielt. Aber eine Feier erwähntder Reichsannalist ausgerechnet zu diesem Jahr nicht. Lediglich Karls Aufbruchdatiert er mit Hilfe des Hochfestes: Nach Ostern, genauer am 25. April, sei Karlvon Rom nach Spoleto aufgebrochen. Da der Annalist Ostern erwähnte, kannman ein Versehen ausschließen. Vielmehr verzichtete er bewusst auf eine Erwäh-nung der Feierlichkeiten. An sich wäre eine Osterfeier in Rom und noch dazu ge-

    77 Annales Laureshamenses a. 801 (wie Anm. 43), S. 38.

    78 Vgl. Hartmann Grisar, Das Missale im Lichte römischer Stadtgeschichte. Stationen, Periko-pen, Gebräuche, Freiburg/Brsg. 1925, S. 87ff.;Wolfgang P a x I Art. ,Bittprozession', in:Reallexikon fürAntike und Christentum, Bd. 2, Stuttgart 1954, Sp. 422-429; John F. BaI d ov in, The Urban Characterof Christian Worship. The Origins, Development, and Meaning of Stational Liturgy (Orientalia Chris-tiana Analecta 228), Rom 1987; Bemhard Schimmelpfennig, Die Bedeutung Roms im päpstli-chen Zeremoniell, in: Rom im hohen Mittelalter. Studien zu den Romvorstellungen und zur Rompo-litik vom 10. bis 12.Jahrhundert. FS Reinhard Elze, hrsg. v. Dems. - Ludwig Schmugge, Sigma-ringen 1992, S. 47~1, S. 52£.;Joyce Hill, The Utaniae maiores and minores inRome, Francia and Anglo-Saxon England: terminology, texts and traditions, in: Early Medieval Europe 9 (2000), S. 211-246; zuden römischen Prozessionen ,.as another kind of representation of power and authority" ThomasF.X. Nob le, Topography, celebration and power: The making of papal Rome in the eighth and ninthcenturies, in: Topographies of power in the early Middle Ages, hrsg. v. Mayke de J ong - FransTheuws, Leiden- Boston- Köln, 2001, S. 45-91,S. 83ff.

    79 Vita Leonis c. 33 (wie Anm. 35), S. 10; vgl. J. Croquison, L'iconographie ehrenenne a Romed' apres le Liber pontificalis, in:Byzantion 34 (1964), S. 535-606, S. 597; L. Edwards Ph illips, A Noteon the Gifts of Leo m to the Churches of Rome, ,.Vestes cum storiis", in:Ephemerides Liturgicae 102(1988), S. 72-78, S. 77, jedoch ohne Kommentar über den Bezug zum Attentat.

    eo Vita Leonisc. 25 (wieAnm. 35),S. 8;vgl. den Kommentarvon Duchesne, S. 38 (Anm. 37).

  • 18 Matthias Becher

    meinsam mit dem Nachfolger des Apostels Petrus eine Nachricht wert gewesen,es sei denn, sie hätte nicht stattgefunden oder wäre von einem Eklat überschattetgewesen". Der Verzicht auf ein gemeinsames Osterfest aber kann ebenso wie dieAbreise KarIs am Jahrestag des Attentates nur mit Spannungen zwischen ihmund Leo erklärt werden, die ihrerseits auf Meinungsverschiedenheiten über De-finition und Inhalt von KarIs neuer Stellung zurückgehen dürften.

    2) Die Konstantinische Fälschung, KarIs Urkunde für Arezzound Papst Leos III. Selbstverständnis

    Was aber hatte der Papst mit der Verleihung der Kaiserwürde zu tun? Als Vor-bild des Geschehens in St. Peter gilt das byzantinische Erhebungszeremoniell,auch wenn es nicht vollständig nachgeahmt wurde", Der Hinweis des LorscherAnnalisten auf die angebliche Thronvakanz am Bosporus legt ebenfalls den Ge-danken an eine angestrebte Imitierung des Erhebungsbrauches in Byzanz nahe.Dort war die Wahl bzw. Akklamation durch das Volk imHippodrom konstitutiv,während die folgende Krönung durch den Patriarchen von Konstantinopel in derHagia Sophia zunächst Beiwerk war, aber im Verlauf des 7. Jahrhunderts sowichtig wurde, dass "Kaiser im vollen Sinne (... ) nur der Gekrönte" warBl. ImFalle eines Mitkaisers nahm öfters auch der Hauptkaiser selbst die Krönung vor,auf die dann "die Polychronia-Rufe [folgten], die wohl bei der Erhebung einesMitkaisers eine eigenständige Akklamationszeremonie ersetzen konnten'?', Ent-sprechend erhob Karl im Jahr 813 seinen Sohn Ludwig den Frommen zum Mit-

    81 Immerhin erwähnen die Annales Laureshamenses a. 801 (wie Anm. 43), S. 38, die Feier desOsterfestes 801 in Rom, ohne den Papst zu nennen.

    82 Vgl. Eduard Ei c h m ann, Die Kaiserkrönung im Abendland. Ein Beitrag zur Geistesgeschichtedes Mittelalters mit besonderer Berücksichtigung des kirchlichen Rechts, der Liturgie und derKirchenpolitik, Bd. 1, Würzburg 1942, S. 29ff.; Classen, Karl (wie Anm. 2), S. 62£f.; skeptisch:Schramm, Anerkennung (wie Anm. 49), S. 261 Anm. 141; CarIrichard Brühl, Fränkischer Krö-nungsbrauch und das Problem der "Festkrönungen", in: Historische Zeitschrift 194 (1962),S. 265-326, S. 308 Anm. 6; zur Erforschung des kaiserlichen Zeremoniells in Byzanz allgemein vg!.auch Michael McCormick, Analyzing Imperial Ceremonies, in: Jahrbuch der österreichischen By-zantinistik 35 (1985), S. 1-20.

    83 Peter Classen, Der erste Römerzug in der Weltgeschichte, in: Historische Forschungen fürWaIter Schlesinger, hrsg. v. Helmut Beumann, Köln - Wien 1974, S. 325-347, S. 332ff., das ZitatS. 336;vg!. Dens:, KarI (wieAnm. 2), S. 67;OttoTreitinger, Die Oströmische Kaiser- und Reichs-idee nach ihrer Gestaltung im höfischen Zeremoniell, Jena 1938, S. 71ff.; Ei c h m ann, Kaiserkrönung(wie Anm. 82), S. 14ff.; Kurt-Ulrich Jä s ch k e , Frühmittelalterliche Festkrönungen? Überlegungen zuTerminologie und Methode, in: Historische Zeitschrift 211 (1970), S. 5~558, S. 571ff.

    84 CIassen, Karl (wie~. 2), S. 67; vgl, Jäschke, Festkrönungen (wie Anm. 83), S. 578ff.;Wolfgang We n d I i n g, Die Erhebung Ludwigs d. Fr. zum Mitkaiser im Jahre 813 und ihre Bedeutungfür die Verfassungsgeschichte des Frankenreiches, in: FrühmittelaIterliche Studien 19 (1985),s. 201-238,5. 212ff.

  • Die Kaiserkrbnung im Jahr 800 19

    kaiser, indem er ihn in Aachen entweder persönlich krönte oder ihm befahl, sichselbst eine Krone aufs Haupt zu setzen". Wieder rückten die Krönung und derKoronator in den Mittelpunkt des Erhebungsaktes, nur dass 813 Karl selbst derHandelnde war. Dies bestätigt indirekt Karls Unbehagen an seiner eigenen Krö-nung im Jahr 800, auch wenn er damals sicherlich nicht überrascht worden war",wie aus den Larscher Annalen deutlich hervorgeht. Nur hatte er vermutlich er-wartet, zunächst zum Kaiser ausgerufen und erst dann gekrönt zu werden. DerPapst hätte bei einem solchen Zeremoniell eine nachgeordnete Rolle gespielt.Aber Leo war nicht gewillt, sich nach seiner Rehabilitierung wie eine Marionettebehandeln zu lassen. Wollte er sich für die vorher erlittenen Demütigungen re-vanchieren?" Jedenfalls durfte er es als Nachfolger des hl, Petrus nicht zulassen,in Rom eine Nebenrolle zu spielen. Daher hat er sich wohl am Weihnachtstag desJahres 800 in den Vordergrund gedrängt und als Herr der römischen Kirche wieein Hauptkaiser gehandelt, der einen Mitkaiser ernannte".

    Die Vorstellung von einer kaiserlichen Stellung des römischen Bischofs illus-triert am besten das Constitutum Constantini", Demnach hätte Kaiser Konstantinder Große zu Beginn des vierten Jahrhunderts dem damaligen Papst Sylvesteraus Dankbarkeit für seine Heilung vom Aussatz die wichtigsten Symbole desKaisertums überlassen: den Lateran, den vornehmsten Palast des gesamten Erd-kreises, sodann sein Diadem bzw. seine Krone sowie alle übrigen kaiserlichen

    85 Vgl. Eichmann, Kaiserkrönung (wieAnm. 82), S. 34ff.;Classen, Kar! (wieAnm. 2), S.100£.;Wend ling, Erhebung (wieAnm. 84), S. 206.

    86 Vg!. auch Brühl, Krönungsbrauch (wie Anm. 82), S. 309ff., der eine Beikrönung (zusätzlichzur Krönung KarIs des Jüngeren) annimmt, die wegen des hohen Feiertages zugleich den Charaktereiner Festkrönung haben sollte; erst die vom Papst inszenierte Akklamation Karls zum Kaiser habeden Akt zur Kaisererhebung urnstilisiert; zur Kritik an Brühls Methodik und Ergebnissen J ä s c h k e,Festkrönungen (wie Anm. 83), S. 569ff., 584ff.

    87 So Ric h e, Karolinger (wieAnm. 66), S. 153f.; vg!. Fo l z , Couronnement (wieAnm. 66), 5.171.

    88 Vg!. Fo l z , Couronnement (wie Anm. 66), S. 172ff., anders etwa Eugen Ewig, Das ZeitalterKarIs des Großen (768-814), in: Handbuch der Kirchengeschichte, hrsg. v. Hubert Jedin, Bd. 3,1,Freiburg 1966, S. 108 Anm. 6; Classen, Kar! (wie Anm. 2), 5.66 Anm. 238, unter Verweis auf dieProskynese des Papstes, die aber nur von den Reichsannalen gemeldet wird; vg!. unten, S. 30.

    89 Vg!. Horst Fuhrmann, Das frühmittelalterliche Papsttum und die Konstantinische Schen-kung. Meditationen über ein unausgeführtes Thema, in: Problemi dell'Occidente nel secolo VIII (Set-timane di studio del Centro italiano di studi sull'alto medioevo 20), Spoleto 1973, S. 257-292; De n s.,Art. ,Constitutum Constantini', in: Theologische Realenzyklopädie, Bd. 8, Berlin-New York 1981, S.196; Dens., Art. ,Konstantinische Schenkung', in: Lexikon für Theologie und Kirche, 3. Aufl, Bd. 6,Freiburg/Schweiz u.a. 1997, Sp. 302-304; Raymond-]. Loenertz, Constitutum Constantini. Destina-tion, destinataires, auteur, date, in: Aevum 48 (1974), 5.199-245; Wilhelm Po h l k a m p , Privilegiumecclesiae Romanae pontifid contulit. Zur Vorgeschichte der Konstantinischen Schenkung, in: Fälschun-gen im Mittelalter, Bd. 2 (MGH Schriften 33/2), Hannover 1988, S. 413-490; anders vor allem hin-sichtlich der Datierung, aber keineswegs überzeugend Hans Constantin Faussner, AnastasiusBibliothecarius und die Konstantinische und Pippinische Schenkung, in: Grundlagen des Rechts. FSfür Peter Landau zum 65. Geburtstag, hrsg. v. Richard H. Hel mho Iz u.a., Paderbom 2000, S. 25-41.

  • 20 Matthias Becher

    Gewänder und Herrschaftsinsignien. Darüber hinaus hätte er dem Papst dasRecht eingeräumt, Patrizier und Konsuln zu ernennen und weitere kaiserlicheÄmter zu verleihen. Er hätte dem Papst auch die Stadt Rom und alle ProvinzenItaliens und der übrigen westlichen Regionen übergeben". Und schließlich hätteKonstantin seine Residenz in den Osten nach Byzanz verlegt, "weil es nicht rechtwäre, wenn der weltliche Kaiser dort Herrschaftsgewalt habe, wo vom himmli-schen Kaiser der priesterliche Prinzipat und das Haupt der christlichen Religioneingesetzt worden war"". Kurz: Das Constitutum Constantini basierte weitge-hend auf dem Grundsatz: "Kein Kaiser inRom"92. Es war wohl in der zweitenHälfte des 8. Jahrhunderts in der päpstlichen Kanzlei entstanden und sollte vorallem die Loslösung des Papsttums von Byzanz rechtfertigen, aber auch gegen-über der neuen Schutzmacht, den Franken, erwies es sich als nützlich.

    Einem solchen Anspruch konnte sich Karl kaum unterordnen, zumal er ganzandere Auffassungen zur Rollenverteilung zwischen weltlicher und geistlicherGewalt hatte. Im Jahr 796 hatte Alkuin in seinem Auftrag ein Schreiben an denneu gewählten Papst Leo Ill,verfasst. Darin reklamierte Karl für sich die Aufgabe,die Kirche Christi zu schützen und sie gegen Heiden und Ungläubige zu vertei-digen, während der Papst wie einst Moses mit erhobenen Händen für den Erfolgder fränkischen Waffen zu beten habe'", Ein Papst, der das höchste weltliche Amt

    90 Constitutum Constantini c. 14, eel. Horst F uhr m ann (MGH Fontes iuris Germ. ant. 10), Han-nover 1968, S. 86ff., c. 15, S. 88f., c. 17, S. 93f.; vg!. Loenertz, Constilutum (wie Anm. 89), S. 222ff.,224ff., 230f.

    91 Constitutum Constantini c. 18 (wie Anm. 90), S. 94f.; vgl, Lo e n e rt z , Constilutum (wie Anm.89), S. 231£.; Schieffer, Charlemagne (wie Anm. 40), S. 286, der die Beachtung dieses Grundsatzes(nicht zwangsläufig der Konstantinischen Fälschung) bereits im Jahr 774 diskutiert.

    92 Johannes Fr i e d , Römische Erinnerung. Zu den Anfängen und frühen Wirkungen des christli-chen Rommythos. in: Studien zur Geschichte des Mittelalters. FS für Jürgen Petersohn zum 65. Ge-burtstag, hrsg. v. Matthias Thumser u.a., Stuttgart 2000, S. 1-41, S. 32; vg!. schon Wemer Oh n-so r g e , Die Konstantinische Schenkung, Leo ill.und die Anfänge der kurialen Kaiseridee, in: Der S.,Abendland und Byzanz. Gesammelte Aufsätze zur Geschichte der byzantinisch-abendländischen Be-ziehungen und des Kaisertums, Darmstadt 1959, S. 79-110, S. 87; "Das Conslilutum Constantini ist dieTheorie des Doppelkaisertums im päpstlichen Sinne"; zu den Thesen Ohnsorges vgl. aber Fuhr-m ann, Papsttum (wie Anm. 89), S. 269ff.; zum Zusammenhang zwischen der Konstantinischen Fäl-schung und der damaligen päpstlichen Programmkunst vg!. Christopher Waiter, Papal PoliticalImagery in the Medieval Lateran Palace, in: Cahiers Archeologiques 20 (1970), 5.155-176, S. 170ff.;Ingo Herklotz, Der Campus Lateranensis im Mittelalter, in: Römisches Jahrbuch für Kunstge-schichte 25 (1985), S. 1-43, S. 36ff.

    93 Alkuin, Epistolae (wie Anm. 11) Nr. 93, S. 137f.; vgl. Klaus Scha tz, Königliche Kirchenregie-rung und römische Petrus-Überlieferung imKreise KarIs des Großen, in: Das Frankfurter Konzil von794. Kristallisationspunkt karolingischer Kultur, hrsg. v. Rainer Bernd t (Quellen und Abhandlun-gen zur mittelrheinischen Kirchengeschichte SO),Mainz 1997, S. 357-71, S. 358f., mit weiteren Bei-spielen aus dem Umkreis des fränkischen Hofes, in denen Karl bis zu einem gewissen Grad sogar dieLeitung der Kirche zugebilligt wird.

  • Die Kaiserkrbnung im Jahr 800 21

    vergab, passte kaum zu dieser WeItsicht. Aber nicht nur dieser Brief kann als zu-mindest indirektes Zeugnis für die hochfliegenden Pläne dienen, die Leo Ill. seitseinem Pontifikatsantritt verfolgte. Gleich nach seiner Wahl übersandte er demFrankenkönig neben Geschenken die Schlüssel vom Grab des hi. Petrus und dasBanner der Stadt Rom94• Schramm interpretiert die Schlüssel als Heiltümer, dieFahne dagegen als Herrschaftszeichen über Rom95• Aber vor allem verpflichtetenbeide Gaben ihren Empfänger auf den hi. Petrus". So gesehen, wären Karls Aus-führungen über die Beschränkung der Rolle des Papstes auf die Pflicht, für denSieg der fränkischen Waffen zu beten, bereits als Teil eines Disputs um die ideelleVorherrschaft zwischen Papst und Frankenkönig zu interpretieren.

    Leo scheint von Beginn seines Pontifikats an seine herrscherliehe Positionnoch stärker herausgestellt zu haben als sein Vorgänger Hadrian, was womög-lich auch die Widerstände gegen ihn provoziert hat". Noch vor dem Attentat von799 begann er mit großartigen Baumaßnahmen, wie sie Rom in den Jahrzehntenzuvor nicht gekannt hatte und mit denen er an kaiserliche Traditionen an-knüpfte". Mit Santa Susanna, wo er vor seiner Wahl Presbyter gewesen war, er-richtete er gleich zu Beginn seines Pontifikats eine neue Titelkirche?', Auch denLateranpalast gestaltete er um und erbaute zudem ein neues Triclinium, das auchals päpstlicher Thronsaal diente und nach der Vita Leonis größer als die übrigenTriclinia warloo• Dieser Bau, u.a. ausgestattet mit Porphyr- und weißen Säulen,besaß drei Konchen und damit eine Form, die in Byzanz damals zur Sphäre derkaiserlichen Repräsentation gehörte, zu verstehen lIas a kind of achitectural ,sign

    94 Annales regni Franeorum a. 796 (wie Arun. 24), S. 98.

    95 Schramm, Anerkennung (wieArun. 49), S. 240f., im Anschluss an Carl Erdmann, Kaiserli-che und päpstliche Fahnen des hohen Mittelalters, in: Quellen und Forschungen aus italienischen Ar-chiven und Bibliotheken 25 (1933/34), 5.1-48, S. 11ff.

    96 Herbers, Leo III. (wie Arun. 5), S. 4; en passant bereits auch Schramm, Anerkennung (wieArun. 82), S. 241 Anm. 81.

    97 L1ewellyn, Contexte (wie Arun. 5), S. 21Sf.; vgl. T. S. Brown, Urban violence in early me-dieval Italy: the cases of Rome and Ravenna, in: Violence and Society in the Early Medieval West,hrsg. v. Guy Ha Is a l l, Woodbridge 1998, S. 76-89, S. 81; allgemein zu Rom um 800 auch Klaus Her-be r s,Die Stadt Rom und die Päpste von der Spätantike bis zum 9. Jahrhundert, in: 799 - Kunst undKultur, Bd. 2 (wie Anm, 1), S. 59~6; Thomas F.X.Noble, Paradoxes and possibilities in the sour-ces for Roman society in the Early Middle Ages, in: Early Medieval Rome (wie Arun. 40), S. 55-83.

    98 Vgl. Herbers, Pontifikat (wie Anm. 5), S. 14; Franz Alto Ba ue r, Die Bau- und Stiftungspoli-tik der Päpste Hadrian I. und Leo Ill., in: 799 (Kunst und Kultur, Beitragsbd. (wie Anm. 1), S. 514-528,5.523.

    99 Vita Leonis c. 9 (wie Anm. 35), S. 3.

    lOO Vita Leonis c. 10 (wie Anm. 35), S. 3f.; vgl. Manfred Lu c h t e r h and t, Famulus Petri. Karl derGroße in den römischen Mosaikbildem Leos Ill., in: 799 - Kunst und Kultur, Beitragsbd. (wie Anm. 1),S. 55-70, S. 67£.; Dens., Päpstlicher Palastbau und höfisches Zeremoniell unter Leo Ill., ebd.,S. 109-122, S. 116ff.

  • 22 Miltthills BechLr

    of sovereignty'

  • Die Kaiserkrönung im Jahr BOO 23

    eigenen Pontifikatsjahre angegeben'?', Ganz anders Leo Ill.: Er unterließ denHinweis auf Christus und zählte seit spätestens 798 zunächst nach seinen eige-nen Pontifikatsjahren und dann zusätzlich nach dem Jahr domni Caroli excelleniis-simi regis Franeorum et Langobardorum et patricii Romanorum, a quo cepit ltaliam'",Josef Deer meinte, dies entspreche der in Italien bis in die zweite Hälfte des8. Jahrhunderts üblichen Datierung nach dem byzantinischen Kaiser und demExarchen von Ravenna, wobei der Papst an die Stelle des Kaisers trat, der Fran-kenkönig an die des Exarchen'P. Wichtiger ist jedoch, dass die italienischen Re-gierungsjahre Karls des Großen in den Urkunden Leas nicht mit der Datierungder königlichen Kanzlei übereinstimmen. Diese zählte Karls Herrschaft über dieLangobarden von der Eroberung Pavias Anfang Juni 774 anlO9, während, wie Wil-helm Heil gezeigt hat, die Zählung der päpstlichen Kanzlei auf einen früherenTermin zwischen Ende April und zweiter Hälfte Oktober 773 führt und damit ineinen Zeitraum, in dem Papst Hadrian sein Hilfegesuch an Karl richtete (Früh-jahr 773) und die gegnerischen Parteien zunächst ergebnislos miteinander ver-handelten, bis Karl im Spätsommer 773 den Krieg begann'", Demnach und nachder möglichen Übersetzung von capere mit ,erhalten' hatte Karl nach päpstlicherAuffassung Italien 773 von Papst Hadrian empfangen und anschließend gleich-sam im Auftrag des hl. Petrus erobert!". Schließlich betonte der Papst mit dem

    106 VgI. Heinrich F ich ten au, "Politische" Datierungen des frühen Mittelalters, in: Intitulatio II.,hrsg. v. Herwig Wo Ifra m (Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung, Er-gänzungsbd. 24) Wien - Köln - Graz 1973, S. 453-548, S. 492f.; vg!. auch Noble, Topography (wieAnm. 78), S. 78f.

    107 Regesta pontificum Romanorum, ed. Philipp j aff e , 2. Aufl. ed. Simon Loewenfeld - Fer-dinand Kai tenbrunner - Paul Ew aid, Bd. 1, Leipzig 1885, Nr. 2498 (20. April 798), datiert in das25. Jahr, 2503 (11.AprilSOO), in das 27. Jahr nach dem Erhalt Italiens; dazu Concilia Aevi Karolini Nr. 23(23. Oktober 798), ed. Albert Werminghoff (MGH Cone. 11/1), Hannover - Leipzig 1906, S. 202,datiert in das 26. Jahr; JE Nr. 2497 (8. März 798) und 2499 (27. Mai 798) mit entsprechender bzw. ähn-licher Datierung in das 25. Jahr sind wohl nicht echt; vgI. Fichtena u, Datierungen (wie Anm. 106),S.493f.

    108 Deer, Vorrechte (wie Anm. 36), S. 40f.; dagegen hielt Schramm, Anerkennung (wie Anm.82), S.224Anm. 21, diese Reihenfolge unter Verweis auf die fränkischen Laudes für "selbstverständlich".

    109 Zur Datierung der Eroberung Pavias und von Karls Herrschaftsantritts über die LangobardenvgI. Sierck, Festtag (wie Anm. 44), S. 83f.

    110 Classen,Karl(wieAnm.2),S.17.

    111 Wilhelm He i I, Alkuinstudien I.Chronologie und Bedeutung des Adoptianismusstreites, Düs-seldorf 1970, S. 18ff., der den genannten Zeitraum unter Bezugnahme auf JE Nr. 2499 mit Ende Maibeginnen lässt, vgl, aber Anrn. 117;A. M en zer, Die Jahresmerkmale in den Datierungen der Papst-urkunden bis zum Ausgang des 11. Jahrhunderts, in: Römische Quartalschrift 40 (1932), S. 27-103,S. 48, hielt dagegen die Eroberung Pavias für den Bezugspunkt dieser Zählung; so auch Sc h r a m m,Anerkennung (wie Anm. 82), S. 224, und noch Nob 1e, Topography (wie Anm. 78), S. 81; vgl, dage-gen Fichtena u, Datierungen (wie Anm. 106), S. 494 mit Anm. 101, der allerdings lediglich auf Pa-rallelen zur Datierung langobardischer ,Privaturkunden' verweist, vgl. dazu auch ebd., S. 505f.; mög-licherweise enthalten die verworrenen Nachrichten des Andreas von Bergamo, Historia c. 4 (wieAnm. 41), S. 224, über die Eroberung Italiens durch Karl den Großen in diesem Punkt einen echten

  • 24 Matthias Becher

    Verweis auf Italien, dass Rom keineswegs Karls Herrschaft unterstand'P, Leo ill.beanspruchte also den ersten Platz in der irdischen Hierarchie und verwies Kar!den Großen auf den zweiten. Nach der Kaiserkrönung änderte sich das zwar vonGrund auf, aber wir wissen nicht, wann genau, denn die erste einigermaßenunverderbt überlieferte päpstliche Urkunde stammt vom 21. März 803113; sie istallein nach den Jahren des neuen Kaisers datiert - genau in der Art, wie bis in die770er Jahre hinein nach dem byzantinischen Kaiser gezählt worden war.

    Die Krönung des Jahres 800 musste sich aber auch auf die Urkunden Karls desGroßen auswirken, die hier in erster Linie als Selbstaussagen zu betrachten sind.Karl verließ die Ewige Stadt erst am 25. April801, also volle vier Monate nach derKaiserkrönung. Man sollte annehmen, dass der neue Kaiser seiner neuen Würdeauch durch das Ausstellen zahlreicher Urkunden Ausdruck verliehen hätte, unddennoch hat sich nur eine einzige Urkunde aus diesem Zeitraum erhalten, dieKarl am 4. März in St. Peter für die Kirche von Arezzo ausstellte, um ihren altenStreit mit Siena zu entscheiden'!', Hielt Karl sich damals etwa absichtlich wegender gegensätzlichen Interpretation des Papstes zurück? Freilich, man könnte dengenannten Befund auch mit einem Hinweis auf den Überlieferungsschwund er-klären. Auf der anderen Seite führte Kart in dieser Urkunde einen ebenso eigen-artigen wie außergewöhnlichen Titel, der zwar seine Herrschaft über Rom bzw.die Römer betont, aber keinen Hinweis auf seine neue Würde enthält: Carolus Deigratia rex Franeorum et Romanorum adque Langobarderum.

    Der Titel eines rex Romanorum ist in der Staatssprache dieser Zeit einzlgartig'P,Da die Urkunde zudem lediglich in einer Abschrift des 9. Jahrhunderts erhaltenist, hat die Forschung es größtenteils vorgezogen, bei der Analyse der Kaiserer-

    Kern: Papa vero, probata gens Franeorum astuti et nobiles, consilium eorum dedit, ut super lAngubardos ee-nireni, Italiam possiderent.

    112 Nob le, Topography (wie Anm. 78), S. 81.

    113 JE Nr. 2512;vgl. Fichtenau, Datierungen (wieArun.l06),S.495f.; Noble, Topography (wieArun. 78), S. 81; ungenau hinsichtlich des veränderten Datierungsbrauchs etwa F 0 I z, Couronnement(wie Arun. 66), S. 178 ("A partir de 801 ... "').

    114 MGH DD Karol.1, 00. Engelbert Mühlbacher, Hannover 1906, Nr. 196 (4. März 801); BM'Nr.371.

    115 An eine Nachlässigkeit oder gar Verwirrung über die korrekte Übersetzung des offiziellengriechischen Kaisertitels basileus vermag ich nicht zu glauben, benutzte die fränkische Kanzlei ab Mai801 doch konsequent den TItel imperator ebenso wie auch die erzählenden Quellen; andererseitswurde auch erwogen, ob in den Libri Carolini der Titel basileus nicht mit rex übersetzt wurde, um dembyzantinischen Kaiser seinen Vorrang zu nehmen und die Ebenbürtigkeit des fränkischen Königs zubetonen, Opus Caroli regis contra synodum (Ubri Carolini), 00. Ann Freeman (MGH Cone. 2-Supplementum 1), Hannover 1998, S. 99 mit Arun. 11; Heinz Löwe, Die karolingische Reichsgrün-dung und der Südosten. Studien zum Werden des Deutschtums und seiner Auseinandersetzung mitRom (Forschungen zur Kirchen- und Geistesgeschichte 13), Stuttgart 1937, S. 154ff.; vgl. aber PaulSpeck, Die Interpolationen in den Akten des Konzils von 787 und die Libri Carolini (Poikila Byzan-tina 16), Bonn 1998, S. 28.

  • Die Kaiserkrönung im Jahr 800 25

    hebung auf ihre Auswertung zu verzichten'". Doch wurde das Diplom immer-hin von dem auch aus anderen Urkunden Karls bekannten Notar Genesius auf-gesetzt und ist damit in der fränkischen Kanzlei entstanden!". Noch wichtigerist, dass Heinrich Fichtenau den in Frage stehenden Titel auch in zeitgenössi-schen toskanischen Privaturkunden nachweisen konnte'", Er dürfte daher kaumAusdruck einer vorübergehenden Verlegenheit gewesen sein, solange Karl nochkeinen passenden Kaisertitel gefunden hatte'", Dies sei ihm erst Monate späterin Ravenna, dem alten Verwaltungsmittelpunkt des byzantinischen Italien, ge-lungen. Soll man also annehmen, Karl habe den Kaisertitel in Rom nicht geführt,weil er fest damit rechnete, später einen geeigneteren zu finden? Verwaltungs-technische Schwierigkeiten sollten den neuen Kaiser also daran gehindert haben,seiner soeben erworbenen Würde Ausdruck zu verleihen? Das klingt wenigwahrscheinlich, zumal Karl eben kein Kaiser wider Willen war, sondern dieseWürde gezielt angestrebt hatte. Es bleibt daher zunächst einmal die einfacheFeststellung, dass Karl mit dem Kaisertitel vorsichtig umging, solange er noch inRom weilte.

    Karlließ die Urkunde für Arezzo ausstellen, um ein Urteil Leos zugunsten die-ser Kirche zu bestätigen. Der Papst wurde in dem Schriftstück überaus ehr-furchtsvoll angesprochen: pater noster Leo summus pontifex et universalis papa unddies gleich drei Mal. Das Epitheton universalis erinnert an eine alte Auseinander-setzung der Päpste Pelagius n. und Gregor der Große mit dem Patriarchen vonKonstantinopel vom Ende des 6. Jahrhunderts, in deren Verlauf sie diesem dasRecht auf den TItel eines ökumenischen (also universalen) Patriarchen bestritten

    116 50 etwa Paul K ehr, in: Neues Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde 49(1932), S. 702f.; Caspar, Papsttum (wieAnm. 3), 5.176; Schramm, Karl (wie Anm. IS), S. 266 mitAnm. 9; anders Max Kössler, Karls des Großen erste Urkunde aus der Kaiserzeit (Veröffentlichun-gen des Historischen Seminars der Universität Graz 8), Graz - Wien - Leipzig 1931; Leon L ev illa in,Le couronnernent imperial de Charlemagne, in: Revue d'histoire de l'Eglise de France 18 (1932), S.5-19, S. 16 Anm. 23; Franceis Louis Ga n s hof, La fin du regne de Charlemagne. Une decomposition,in: Zeitschrift für Schweizerische Geschichte 28 (1948), S. 533-552, S. 533 Anm. 1; Wemer Oh n-sorge, .Renovatio regni Francorum", in: Ders., Abendland (wieAnm. 92), 5.111-130, S.115f.; Her-wig Wolfra m, Intitulatio I.Lateinische Königs- und Fürstentitel bis zum Ende des 8. Jahrhunderts(Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung Ergänzungsbd. 21), Graz - Wien-Köln 1967, 5.235; unentschieden Classen, Kar! (wie Anm. 2), S. 73 Anm. 282.

    117 Vg!. Heinrich Fich tena u, Genesius, Notar Karls des Großen (797-803), in: Folio DiplomaticaI, Brünn 1971, S. 75-87 (ND in: Ders., Beiträge zur Mediävistik. Ausgewählte Beiträge, Bd. 2: Urkun-denforschung, Stuttgart 1977, 5.100-114).

    118 Fichtenau, Datierungen (wieAnm.106), S. 51Of£.

    119 Vg!. etwa 0h n sorg e, Renovatio (wie Anm. 116), S. 116f., der immerhin von langwierigen Be-ratungen, allerdings imHinblick auf Byzanz, ausgeht; Nob le, Republic (wie Anm. 46), S. 295, meint,den Grund für den Verzicht auf den Kaisertitel in der Lage von Arezzo und Siena im italienischenRegnum (also nicht im römischen Machtbereich) erkennen zu können, übersieht aber den sich aufRom beziehenden Königstitel Karls; skeptisch gegenüber einer vorübergehenden Verlegenheit derFranken bereits Heldmann, Kaisertum (wieAnm. 8), S. 345.

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    und diese Bezeichnung auch für sich selbst ablehnten'P, Doch bereits die PäpsteMartin und Agatho akzeptierten ohne Protest universalis papa als Anrede in kai-serlichen Schreiben. Sie wurde auch in das Eidformular der suburbikarischenBischöfe aufgenommen'", Papst Hadrian schließlich tadelte den Patriarchen Ta-rasius, weil dieser mit seinem TItel in den Akten des Konzils von Nicaea seineuniversellen Ansprüche zur Geltung gebracht hatte, und verwies in diesem Zu-sammenhang auf die Stellung der prima sedest22•

    Selbst in den fränkischen laudes regiae erscheint der unioersalis papal23• Aber da-von abgesehen, besitzt der TItel im fränkischen Bereich, besonders in den Ur-kunden und Briefen Karls des Großen, keine Parallele. Auch die päpstliche Kanz-lei gebrauchte ihn in den von ihr um 800 ausgestellten Urkunden nichtl24• Den-noch taucht dieser TItel an wichtigen Stationen der damaligen Papstgeschichteauf: In jener römischen Synode von 769, die zum ersten Mal nicht nach dembyzantinischen Kaiser datiert war, wohl aber nach dem damaligen PapstStephan Ill.: summus pontifex huius Romanae urbis ecclesiae et uniuersaliier tertiopapal25• Auch in einer Urkunde Herzog Hildebrands von Spoleto für das KlosterFarfa wurde eine ähnliche Wendung gebraucht, und zwar 773/75 unter PapstHadrian, als es so aussah, als ob Spoleto dem päpstlichen Machtbereich zuge-schlagen werden könnte'P, Leo Ill. griff die Formulierung erstmals im Oktober

    120 V~l. etwa Erich Cas par, Geschichte des Papsttums. Von den Anfängen bis zur" Höhe derWeltherrschaft, Bd. 2: Das Papsttum unter byzantinischer Herrschaft, Tübingen 1933, S. 366f., 452ff.;Stephan Ku ttner, Universal Pope or Servant of God's Servants: The Canonists, papal titles and In-nocent III, in: Revue de droit canonique 31 (1981), S. 109-149, S. 109ff.

    121 Liber Diurnus Romanorum Pontificum ex unico codice Vaticano, ed. Theodor von Sickel,Wien 1889, Nr. 73, S. 69f.: Domino mea sanäissimo et ter beatissimo ill. summa pontifici seu universalipape ...

    122 J;hannes Dominicus Mansi, Sacrorum conciliorum nova et amplissima collectio, Bd"12, Pa-ris 1901 (ND Graz 1960), 5.1074; JE Nr. 2448.

    123 Opfermann, Herrscherakklamationen (wie Arun. 105), S. 10Hf.; Kantorowicz, Laudes(wie Anm. 105), S. 15f.; Classen, Karl (wie Arun. 2), S. 66; Speck, Vollzug (wie Arun. 70), S. 113f.

    124 Fich tena u, Datierungen (wie Anm. 106), S. 496f.; die Kanzlei verwandte jenen Titel erst seitdem letzten Viertel des 9. Jahrhunderts ausgesprochen häufig und zwar bei der Angabe der Pontifi-katsjahre; vgl. Menzer,Jahresmerkmale (wieArun.lll),S. 71.

    125 M ans i (wie Anm. 122), S. 713.

    126 Codice diplomatico longobardo IV/I, ed. Carlrichard Br ü h I (Fonti per la storia d'Italia 65),Rom 1981, Nr. 23, S. 67; ähnlich: Codice diplomatico longobardo V,ed. Herbert Z i e I ins k i (Fonti perla storia d'Italia 66), Rom 1986, Nr. 64, S. 226; vgL Carlrichard Brühl, Chronologie und Urkundender Herzöge von Spoleto im 8. Jahrhundert, in: Quellen und Forschungen aus italienischen Archivenund Bibliotheken 51 (1971), S. 1-92, S. 72 mit Anm. 426; Herbert Z i e lin 5k i, Studien zu den Spoleti-nischen "Privaturkunden" des 8. Jahrhunderts und ihrer Überlieferung im Regesturn Farfense(Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom 34), Tübingen 1972, S. 148 Anm. 27;Fichtenau, Datierungen (wieArun. 106), S. 490,496. '

  • Die Kaiserkrönung im Jahr BOO 27

    798 auf, als er die adoptianistische Lehre als Häresie verurteilte!". Auch nach 800in der Umgebung Roms ausgestellte Privaturkunden weisen diese Wendungauf128• Am bedeutsamsten aber ist wohl, dass diese auch in der KonstantinischenFälschung begegnet: Papst Sylvester wurde hier dreimal genau so und zwei wei-tere Male ganz ähnlich tituliert'P.

    Kurzum: summus pontifex et universalis papa wird der Papst in der während derzweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts entstandenen Konstantinischen Fälschunggenannt, die dem Papst eine kaisergleiche Stellung und die Herrschaft über Romund die westlichen Provinzen einräumt. Seit 769lässt sich der Titel zusätzlich inSchriftstücken nachweisen, in denen die politisch unabhängige Stellung des Pap-