Ring erzählen - Bayerische Staatsoper · Hommage an Die Simpsons im Jahr 199ß ausgewählt, als...
Transcript of Ring erzählen - Bayerische Staatsoper · Hommage an Die Simpsons im Jahr 199ß ausgewählt, als...
VomRing
erzählen
Neu in szenier ung Der Ring des Nibelungen
Andreas KriegenburgKent Nagano
Erzählungen vonHändl KlausChristine Pitzke
Helmut KrausserAnn CottenRobert Hültner
MAX JOSEPH
Bayerische staatsoper
Max Joseph 2 2011–2012
Das Magazin der Bayerischen Staatsoper
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Das Erzählen ist ein ungeheuerlicher Vorgang. Etwas erweckt unsere Aufmerk-
samkeit, eine Figur, eine Begebenheit, vielleicht auch die Stimme eines Erzählers.
Folgen wir diesem Reiz, erwacht eine ganz eigene Landschaft, in der wir, den roten
Faden des Erzählers ertastend, Bewohner neuer Welten werden. Zugleich sind wir
selbst oft Erzähler, um zu unterhalten, zu überzeugen, um etwas preiszugeben von
uns oder um Geschehenem einen Sinn zu verleihen.
Im kommenden Halbjahr wird die Bayerische Staatsoper Richard Wagners
Ring des Nibelungen neu auf die Bühne bringen. Für Regisseur Andreas Kriegen-
burg ist die gemeinschaftliche Erzählung dieses Mythos der zentrale Denkansatz.
Daher haben wir für diese Ausgabe von MAX JOSEPH Literaten gebeten, uns
eine Geschichte zu erzählen, deren Ausgangspunkt im Kosmos des Ring liegt, an
deren Ende aber etwas völlig Neues steht. Entstanden sind Erzählungen in den
unterschiedlichsten Farben, jede mit ihrer eigenen fantastischen Welt. Um die ru-
hende Waffe des Vaters etwa spinnt Helmut Krausser seine Erzählung, um ein
Rinnsal aus Wasser, das in eine Achselhöhle laufen darf, Christine Pitzke ihre.
Händl Klaus setzt an bei einem Vater, zu groß für eine Wohnung, und die Lyrikerin
Ann Cotten bei einer Wette um das eigene Haupt.
Die Bilder zwischen diesen Erzählungen haben internationale Künstler ent-
worfen, die ebenfalls ganz eigene Darstellungen für bekannte Gestalten aus dem
Ring gefunden haben. Anmutig und doch bedrohlich tritt bei Alex Simpson der
Rhein über die Ufer, und Thais Beltrame lässt am Ende Siegfried von einem Lei-
chenzug aus Kindern zu Grabe tragen.
Zunächst aber kommen die Hauptpersonen der Ring-Inszenierung zu
Wort. Andreas Kriegenburg spricht ausführlich über den zentralen Gedanken des
Lagerfeuers, und Kent Nagano erzählt von seiner eigenen Erfahrung mit Erzäh-
lung und der Sprache der Musik. Solisten auf der Bühne schließlich verraten uns
in überraschenden und oft berührenden Antworten, was sie persönlich mit dem
Erzählen verbinden.
Was in all diesen Facetten des Erzählens deutlich wird, ist der Reichtum
einer guten Geschichte. Wir möchten Ihnen Lust machen, sich auf jede einzelne
Erzählung einzulassen wie auch auf jene große, die alle Kräfte der Bayerischen
Staatsoper mit Andreas Kriegenburg neu erzählen werden.
Nikolaus Bachler, Staatsintendant
Editorial 3
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ErzählungEn
Ann Cotten – Willkür
helmut Krausser – Die Familie der Verlorenen (Bronn)
Christine Pitzke Die Pause nach dem Dritten Akt und kein Ende
händl Klaus – Mädi
Silke ScheuermannDie Rheintöchter
robert hültner – Die Ablehnung
Yusuf Özgüney (12 Jahre) Sigurds Rettung Vom weiteren Schicksal Sigurds,
dem Helden aus der
Kinderoper Sigurd der Drachentöter
Zur NeuiNsZeNieruNg
8Das Vergnügen am irrationalenRegisseur Andreas Kriegenburg über seinen Zugang zu Wagners Ring
16Den Worten nachspürenGeneralmusikdirektor Kent Nagano über die Sprache der Musik
Von einer liegen gebliebenen Waffe
des Vaters, die Bronn gebraucht, um
sich Lust zu verschaffen
Von der Rache des Sohnes an seinem zu großen Vater
Von Magda, die an der Gewöhnlichkeit
ihrer Töchter leidet, und eines Tages doch
ihr Hörkränzchen beeindruckt
Von einer fiktiven Erklärung des
Dramaturgen an den Autor, der die Vertonung
des Nibelungenliedes eingereicht hat
Von einer Wette um das eigene Haupt,
wenn es nicht gelänge, sechs jungen Männern
Spaß zu bringen
Der amerikanische
Fotograf Blake
Andrews ist
Auto didakt. Ausge-
rüstet mit einer
Kleinbildkamera
fängt er täglich das
ein, was ihm
direkt in den Blick
kommt. Das Kind
auf dem Foto ist
sein jüngster Sohn
Emmett, auf-
genommen im Alter
von drei Jahren,
als er den zauber-
wald in Salem/
Oregon besuchte
(www.blakeandrews.
blogspot.com).
Zum Cover
26
36
Von einem so rauschhaften wie poetischen Musikerlebnis 48
56
64
74
von Literaten zu einem Motiv aus dem Kosmos des RingDer Ring des Nibelungen
84
Als ZugAbe
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Seite 2
FOTOArBEiT
von nina Canell & robin Watkins
Seite 3
EDiTOriAl
von nikolaus Bachler
Seite 6
BilDKünSTlEr / imPrESSum
Seite 89
AgEnDA
Seite 90
SPiElPlAn
Seite 96
PlAKATKünSTlEr
Collage von Dennis rudolph
Seite 100
VOrSChAu
BilDEr
Elsa Voß (9 Jahre)
Brecht Vandenbroucke
Alex Simpson
lili Scratchy
Thais Beltrame
Elvis Studio
Wie die Riesen Freia rauben
(Schwarzstift, CMYK-Colorierung)
Wie die Rheintöchter das Gold wiedererlangen und wie
Siegfried die Stimme des Vögleins versteht (Aquarellfarbe)
Wie Fafner Fasolt erschlägt und wie die Rheitöchter
sich unter Wasser vergnügen (Filzstift)
Wie Siegfried zu Grabe getragen wird
(Chinatinte und Pinsel)
Wie man den Ring in jeder Welt finden kann
(Buntstift)
Wie Fafner sich in einen Drachen verwandelt,
und mehr (Filzstift) 22
32
44
5462
72
80
gestaltet von Künstlern, inspiriert von Szenen aus dem Ring
säNgerantworten auf Fragen zum Erzählen
Klaus Florian Vogt 34SiegmundJuha uusitalo 42Wotan, Der WandererNina stemme 43 Brünnhildeulrich reß 52MimeCatherine Naglestad 53 BrünnhildeCatherine Wyn-rogers 61ErdaOkka von der Damerau 70 FloßhildeJohan reuter 71Wotaneri Nakamura 83Woglindesophie Koch 86Frickastephen gould 87Siegfried
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die diese MAX JOSEPH -Ausgabe gestaltet haben
Alex Simpson
Seite 44
Aquarelle sind das Herzstück
der Arbeit der Londoner
Künstlerin Alex Simpson.
Sie lädt das Ungezwungene
und Spontane dazu ein, ihre
feingliedrigen Figuren in
verwässerte Tinte ausbluten
zu lassen. Für diese Ausgabe
hat sie eindrucksvoll
Siegfried diesen Weg gehen
lassen, als er plötzlich die
Sprache des Vögleins
verstehen kann, und den
mächtigen Moment, als der
Rhein über die Ufer tritt und
die Rheintöchter den Ring
zurückgewinnen. Ab S. 44.
Elsa Voß (9 Jahre)
Seite 22
Elsa geht in die Klasse 4f
der Münchner Astrid-Lind-
gren-Grundschule. Sie malt
sehr gern und denkt sich
selbst Geschichten aus, die
sie entweder aufschreibt
oder zeichnet. Ihre eigenarti-
gen und besonderen Welten
beschäftigen sie oft wochen-
lang. Wer Mühe hat, sich im
Geflecht der Wagner’schen
Figuren zurechtzufinden,
dem seien Elsas Zeichnun-
gen empfohlen, die erstaun-
liche Klarheit darüber
bringen, was wirklich zählt
im Ring. Ab S. 22.
Brecht Vandenbroucke
Seite 32
Bunt, laut, roh und farben-
froh sind die Arbeiten des
belgischen Künstlers Brecht
Vandenbroucke. Der frisch
diplomierte Illustrator
gestaltet auch Plattencover
und Plakate, veröffentlicht
in Magazinen und Ausstel-
lungen und zeichnet Comics.
Entsprechend spannend ist
das Bild des Moments, als
Wotan mit der Bezahlung
zögert, und daraufhin die
Riesen Freia rauben und
noch vor Sonnenuntergang
Bezahlung verlangen.
Zu sehen auf S. 32/33.
Thais Beltrame
Seite 72
Thais Beltrame hat schon
als Kind Buntstifte gehasst
und stattdessen mit
Kugelschreibern endlose
Linien und Muster gezeich-
net. Mittlerweile schafft die
in São Paolo lebende
Künstlerin daraus Schwarz-
Weiß-Zeichnungen zu
existenziellen Themen, die
das Dunkle in unseren
Kindheitserinnerungen
wachrufen, aber auch die
glühende Entdeckerfreude
darin. Für diese Ausgabe
sind die gezeichneten
Linien zu Siegfrieds Leichen-
zug geworden (S. 72/73).
Elvis Studio
Seite 80
Helge Reumann und Xavier
Robel arbeiten als Elvis
Studio seit 1998 in Genf.
Ihre Zeichnungen quellen
über vor tausenderlei bunten
Figuren, Widersprüchen
und Wesen, einer Vielfalt am
Rande des Wahnsinns. Ihr
Bilderkosmos entsteht,
indem jeder Künstler
abwechselnd ein neues
Fragment hinzufügt, dem
Eigenleben ihrer Figuren
folgend. Hier liegt nicht die
Schönheit, sondern die
Geschichte im Auge des
Betrachters. Zu erfahren
auf S. 80/81.
Lili Scratchy
Seiten ß4/62
Ihr Pseudonym hat die
Französin Lili Scratchy als
Hommage an Die Simpsons
im Jahr 199ß ausgewählt, als
ihr erstes Kinderbuch Lulu
Magazine veröffentlicht
wurde. Ihre Arbeit – in
Illustrationen, in Comics, in
ihrem Laden in Paris –
strahlt einen fröhlichen und
lauten Optimismus aus. Ist
dieser bei der Darstellung
der Rheintöchter (S. 62/63)
noch gut vorstellbar, wirkt
er verblüffenderweise auch
im Bild der kämpfenden
Riesen Fafner und Fasolt
(S. ß4/ßß).
Impressum
magazin derBayerischen staatsoper
www.staatsoper.de/maxjoseph
max-Joseph-platz 2 / 80539 münchenT 089 – 21 85 10 20F 089 – 21 85 10 23www.staatsoper.de
Herausgeberstaatsintendant Nikolaus Bachler
(V.i.s.d.p.)
Redaktionsleitungmaria märz
GesamtkoordinationChristoph Koch
Redaktionmiron Hakenbeck, rainer Karlitschek,
Olaf A. schmitt, Andrea schönhofer, martina stütz, Bettina Wagner-Bergelt
BildredaktionYvonne Gebauer, Julia schmitt
GestaltungBureau mirko Borsche
mirko Borsche, Johannes von Gross, reinhard schmidt, Felix Wetzel
AutorenJörg Böckem, Ann Cotten, Händl Klaus, robert
Hültner, Helmut Krausser, Yusuf Özgüney, Christine pitzke, silke scheuermann
Fotografen & IllustratorenBlake Andrews, Thais Beltrame, Nadja
Bournonville, Nina Canell & robin Watkins (mit bestem Dank an die Galerie Barbara
Wien), elvis studio, Gian Gisiger, Till Janz, Jörg Koopmann, Dennis rudolph, Lili
scratchy, Alex simpson, Brecht Vandenbroucke, elsa Voß, patrick Widmer
MarketingLaura schieferle
T 089 – 21 85 10 27 / F 089 – 21 85 10 [email protected]
SchlussredaktionChristiane Fritsche
VerlagHOFFmANN uND CAmpe VerLAG GmbH,
ein unternehmen der GANsKe VerLAGsGruppe
Harvestehuder Weg 42 / 20149 HamburgT 040 – 44 18 8-457 / F 040 – 44 18 8-236
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Imogen LenhartT 089 – 21 85 10 06 / [email protected]
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LithografiemXm Digital service, münchen
DruckGotteswinter, münchen
ISSN 1867-3260
Nachdruck nur nach vorheriger einwilligungAlle rechte vorbehalten
Die Bildkünstler
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WienAm Kohlmarkt 401 535 30 53
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Das Vergnügen am Irrationalen
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9
Richard Wagner hat
mit dem Ring des Nibelungen ver‑
sucht, aus mehreren mythologischen
Quellen und zeitgenössischen
Einflüssen ein in sich geschlossenes
Weltgebäude zu errichten, in dem
alles miteinander in Beziehung steht.
Was reizt daran, dieses Weltgebäude
neu zu errichten, oder was ist daran
auch suspekt?
Wagner
hat sicherlich versucht, ein musikali‑
sches, gedankliches, ästhetisches
Werk mit einer großen Geschlossen‑
heit und Wucht zu schaffen. Ob seine
Intention tatsächlich dahin ging,
eine Welt zu miniaturisieren, um sie
dann innerhalb eines Bühnenkontex‑
tes wiedergeben zu können, weiß ich
nicht. Das wäre mir vom Gedanken
auch zu groß. Unser Ansatz in der
Neuinszenierung wird sein, nicht zu
versuchen, Welt abzubilden, sondern
das Motiv der Entstehung von Welt
durch Erzählung wiederzugeben.
Diese Erzählung ist bei Wagner
unglaublich komplex, wodurch der
Eindruck einer großen Realität
entsteht. Über die Verwerfungen, die
Ausfransungen, über die Unwahr‑
scheinlichkeiten wird es merkwürdi‑
gerweise wahrscheinlicher, dass sie
eine ganze Welt abbilden soll. Ich
glaube, dass man Wagner und sich
selbst zu sehr unter Druck setzt,
wenn man sagt: Ich muss eine oder
gar seine Welt abbilden. Deshalb
auch unser Versuch, den Interpre‑
tationsballast herunterzubrechen
und sich auf das soziale Motiv des
Erzählens zu konzentrieren.
Die Figuren des Ring erzählen
immer wieder, und das aus den
unterschiedlichsten Gründen: um an
Informationen zu kommen, um die
Vergangenheit zu erinnern. Was aber
meint Erzählen als soziales Motiv?
Das Erzählen ist auch der
Ausgangspunkt Wagners. Er unter‑
scheidet nicht strukturell zwischen
Erzählung und Kunstwerk, zwischen
Rezitativ und Arie, die sich letztlich
wie ein Zeitloch in die Handlung
drückt. Ich glaube, es gibt Werke,
die mehr oder weniger stark erzäh‑
lend sind, ein Werk von Mozart oder
Händel ist sicher weniger erzählend.
Die Behauptung von Erzählung
funktioniert dort nur als Vehikel: auf
der einen Seite für die Ausstellung
von Kunstfertigkeiten und auf der
anderen Seite zur Widerspiegelung
von inneren Zuständen. Manche
Erzählungen geben nur vor, Erzäh‑
lung zu sein, sind aber Traum oder
Angstvision. Sie bewegen sich
nirgendwohin und haben keine
Interaktion mit der Wirklichkeit. Da
entsteht ein dramatischer Moment
auf der Bühne, und man bewegt sich
lange um ihn herum – mit Arien und
Koloraturen. Das ist beim Ring ganz
anders. Die Intention zu erzählen ist
ein wesentlicher Motor für die
Geschichte. Wagner ist hier viel
unerbittlicher, drängender, treiben‑
der, ist auch musikalisch fortlaufend
am Erzählen, mit Ahnungen und
Deutungen, die sich überschneiden.
Er gibt den Figuren untereinander
viel Zeit und Raum, etwas von sich
preiszugeben, Rätselhaftes als
rätselhaft zu bemerken und eben
nicht entschlüsseln zu können.
Merkwürdigerweise hat man auf der
anderen Seite das Gefühl, dass
gleichzeitig die Geschichte in
gigantischem Tempo auf die nächst‑
mögliche schlimme Wendung zurast.
Vor allem aber wollen wir versuchen,
den Ring wieder als eine unsere
Kultur stiftende Erzählung zu
verstehen und als ein soziales
Ereignis: Man teilt einander Ge‑
wusstes, Erlebtes oder auch Erfun‑
denes mit.
Und wer erzählt da wem etwas?
Wenn man es ganz utopisch
formuliert, dann erzählt die Gesell‑
schaft sich selber etwas. Es gibt
nicht den einen Erzähler, sondern
der gesamte Apparat der Oper
fungiert als Erzähler, bündelt die
Fantasiekräfte. Weniger um ein
ästhetisches Überrumpelungswerk
zu entwerfen, sondern vielmehr setzt
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Links: Andreas Kriegenburg,
Regisseur des
neuen Ring an der
Bayerischen Staatsoper
Eine Gesellschaft sitzt um ein Lager feuer und erzählt sich vom Ver schwindender Götter und wiesie Macht‑ undmaterielle Gier über wunden hat – welch Utopie. Regisseur Andreas Kriegenburg erläutert für MAX JOSEPHden zentralenDenk ansatzseiner Neuin‑szenierung vonRichard Wagners Ring des Nibelungen.
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sich die Gesellschaft mit ihren
Wurzeln auseinander, indem sie
sich von ihnen erzählt.
Welche Funktion hat eine solche
kollektive Erzählung? Definiert oder
erschafft sich diese Gesellschaft
damit neu?
Vielleicht schafft sie sich sogar
neu, aber in einem fortwährenden
Prozess, indem sie sich ihrer Wurzeln
versichert. Kollektive Erinnerung
stiftet immer Identität. Das ist eine
der wesentlichsten Aufforderungen,
die uns die Zeit stellt: Bleibt starr‑
sinnig im euch Erinnern! Auch in der
Auseinandersetzung mit Wagner
taucht die Aufforderung auf, sich an
ihn, sein Werk, aber auch an das zu
erinnern, was mit ihm manipulativ
geschehen ist. Für mich ist allerdings
das soziale Ereignis wichtiger als der
Nebeneffekt, dass eine kulturelle
Identität entsteht oder sich bestätigt.
Wo setzt die Erzählung dann an?
Wir haben es ja mit einem doppelten
Mythos zu tun. Da ist einerseits das
scheinbar Ursprüngliche, das
„Urgewand“, wie Wagner es nennt:
mehrere Stoffe, die im 19. Jahrhun‑
dert überhaupt erst wieder auftauch‑
ten – die Nibelungensaga, die Edda
usw. Dann gibt es Wagners spezifi‑
sche Erzählweise. Sie haben sich mit
dem Nibelungenstoff in der Inszenie‑
rung von Friedrich Hebbels Version
an den Münchner Kammerspielen
schon auseinandergesetzt. Liegt nun
der Ansatzpunkt zu dieser Erzählung
nur bei Wagner, oder wollen Sie
durch Wagner auch zu den Quellen
stoßen?
Vielleicht führt uns Wagner selbst
zu den Quellen. Mein Gedanke ist,
die Geschichte von ihrem Ende her,
aus einer Perspektive nach der
Götterdämmerung zu erzählen. Ich
bin jemand, der starrsinnig nach
Utopien sucht und bis zum Selbst‑
widerspruch an diesen Utopien
festhält. Wir versuchen, die Behaup‑
tung aufzustellen, dass es nach dem
Niedergang der in der Götterdämme-
rung beschriebenen Gesellschaft
eine neue Gesellschaft gab, die ihren
Ursprungsmythos lebendig hält und
ihn sich immer wieder erzählt. Es gibt
von uns aus die Projektion einer
friedlichen, sich ihrer selbst bewuss‑
ten Gesellschaft, die sich immer
wieder trifft, um diesen Mythos des
Verschwindens der Götter, der
Machtgier und der materiellen Gier
zu erleben.
Wenn sich viele Menschen
gemeinsam ihre Geschichte erzäh‑
len, dann müsste es auf diese
Geschichte auch viele Perspektiven
geben, die alle wahr sind. Wie kann
es funktionieren, dass Erzählen eine
Gemeinschaft stiftet, wenn man
akzeptieren muss, dass es die eine
Wahrheit der Geschichte nicht gibt?
Ich glaube, dass man sich im
philosophischen Sinne vom Ziel des
Findens verabschieden muss.
Gleichzeitig stellt einem die gemein‑
same Suche auch bestimmte Fragen
wie: Warum ist trotz unserer sich
stets wiederholenden Erfahrungen
die Sehnsucht nach Liebe größer als
die Sehnsucht nach Geld? Warum ist
die Sehnsucht nach Gerechtigkeit
größer als der Egoismus? Warum,
trotz aller Unwahrscheinlichkeit,
sind wir Menschen zur Humanität
fähig? Diese Fragen sind für mich
sinnstiftender als die Antworten. Und
in dieser Vielstimmigkeit der Suche
spiegelt sich wider, dass nicht das
gemeinsame Finden einer gültigen
Antwort das Ziel ist, sondern die
Gemeinsamkeit als solche.
Findet sich diese Offenheit in
Wagners Werk auch? Über 100 Jahre
Rezeption hinweg wurde er immer
wieder kategorisch ausgelegt, bis hin
zur Demagogie.
Das kann ich nur sehr persönlich
beantworten. In den letzten zwei
Jahren musste ich mir eine Nähe zu
Wagner mehr oder weniger mühsam
erhören. Er ist mir in seiner musikali‑
schen Vehemenz eher fremd. Indem
er mir aber über seine fast manische
Dringlichkeit abstruseste Begegnun‑
gen mit einer unglaublich hohen
Leidenschaftlichkeit vor den Latz
knallt – ob das Betrug oder Begierde
ist, ob Inzest –, konfrontiert er mich
mit Kategorien, die meinen alltägli‑
chen Horizont sprengen, und zwingt
mich zu einer persönlichen Ausein‑
andersetzung. Wagner zwingt mich
stärker als andere Komponisten,
denen ich mich näher fühle – eine
Vorbereitung zu einer Händel‑Oper
fällt mir scheinbar leichter –, in ganz
andere Denkkonsequenzen. Ich muss
mich mit der Zeit der Komposition,
mit der vielfältigen Interpretations‑
geschichte auseinandersetzen, auch
der Zeit des Nationalsozialismus. Er
zwingt mich auch zu einer Auseinan‑
dersetzung mit den Wurzeln meines
Liebesbegriffs, meines Humanitäts‑
begriffs, bis dahin, dass er mich
auffordert, darüber nachzudenken,
welche Art von Ereignistheater ich
denn eigentlich kreieren und selber
erleben möchte. Was setzt man höher
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„Warum, trotz aller Unwahr‑scheinlichkeit, sind wir Menschen zur Humanität fähig? Diese Fragen sind für mich sinn‑stiftender als die Antworten.”
Der Regisseur Andreas Kriegenburg
begann seine Theaterarbeit als Tischler
und Techniker am Theater seines Geburts‑
ortes Magdeburg. Nach ersten Inszenie‑
rungen in Frankfurt/Oder wurde er Anfang
der 1990er Jahre Hausregisseur an der
Volksbühne Berlin. Später inszenierte er
regelmäßig am Staatstheater Hannover
und am Burgtheater Wien, von 2001 bis
2009 als Oberspielleiter am Thalia Thea‑
ter Hamburg und seit 2009 am Deutschen
Theater Berlin. Immer wieder kehrt er
auch an die Münchner Kammerspiele zu‑
rück, wo er über Jahre hinweg eindrucks‑
volle Inszenierungen schuf. Schon für die
Münchner Inszenierung von Friedrich
Hebbels Die Nibelungen beschäftigte er
sich mit jenem Mythos, der Richard
Wagner als Ausgangspunkt für seine
Ring‑Tetralogie diente. Diese wie auch
zahlreiche andere Inszenierungen Krie‑
genburgs wurden zum Berliner Theater‑
treffen eingeladen. Mit Alban Bergs
Wozzeck gab er 2008 sein bemerkenswer‑
tes Debüt an der Bayerischen Staatsoper.
Hier bringt er nun mit seinem Team in
einer Spielzeit alle vier Teile von Richard
Wagners Der Ring des Nibelungen auf
die Bühne. In seiner theaterfreien Zeit
tanzt der selbsterklärte Utopist Tango
und fährt leidenschaftlich gern Motorrad.
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an: das „Spektakel Wagner“, die
unglaublich provozierend potente
Geste, oder das Schicksal der
Figuren, das Berührende der Begeg‑
nung?
Seinen Theaterbegriff überden‑
ken – das hat Wagner permanent
getan. Er hat den Stoff in seinem
Kosmos erweitert und dabei letztlich
bemerkt, dass er ihn an einem
normalen Opernhaus nicht aufführen
kann und sein eigenes Theater bauen
muss. Das Werk ist von einem
zeitlichen Ausmaß, das es bis dato
nicht gab. Fordert dieser Stoff in
seinen in vielerlei Hinsicht überbor‑
denden Ausmaßen dazu auf, das
Theater zu sprengen?
Wagner lässt einen für sich selber
wieder wachrufen, dass Theater
immer anmaßend sein muss, dass
Theater immer als eines seiner Ziele
formulieren muss: Ich lasse mich
nicht einsperren, nicht in meinem
Denken, nicht in meiner Fantasie und
auch nicht in meiner Ökonomie,
weder in der finanziellen noch in der
Kondition der Zuschauer. Ich folge
dem eigenen Impuls, meinetwegen
auch dem genialischen Impuls.
Wagner bringt mich an den Punkt,
mich auch meinem eigenen Wunsch
nach Maßlosigkeit zu stellen.
Gleichzeitig möchte ich mich nicht
mit ihm in Konkurrenz begeben. Es
war eine der ersten Entscheidungen
des Teams, Wagner nicht noch einmal
zu vergrößern. Nicht zu versuchen,
der Rezeptionsgeschichte einen noch
größeren Wagner hinzuzufügen, und
das Theater mit sich selber prahlen
zu lassen. Wir versuchen, Wagner vor
allem über die Maßlosigkeit seiner
Leidenschaft zu verstehen. Indem wir
die Intensität des Erlebens nicht an
der Dauer und der Lautstärke der
Musik und Szenen messen, sondern
daran, wie er Menschen einander
begegnen lässt und sie in größte
Verwirrung und Ängste stürzt. Und
diese unglaublich kraftvolle, mani‑
sche Dimension, die Dringlichkeit
und Schmerzhaftigkeit von Szenen
erlebbar zu machen, ist mir als
Neuorientierung wichtiger als eine
gigantische Materialschlacht.
Hinter sehr vielen Begegnungen
im Ring tauchen also archetypische
Erfahrungen auf. Wie kann man
einerseits eine Identifikation mit
Figuren und Situationen stiften und
andererseits in dieser Haltung
bleiben – „wir sind eigentlich dabei,
uns gemeinschaftlich etwas Größeres
zu erzählen“?
Das ist in der Tat im Theater in
vielen Stücken strukturell wider‑
sprüchlich. Auch im Ring erleben wir
Figuren auf der Bühne, die sich
unserer Realität entziehen. Nicht nur,
weil sie Opernfiguren, sondern weil
sie Götter sind. Das heißt, wir haben
einerseits immer die Aufgabe, sie zu
vermenschlichen, sie absurderweise
zu psychologisieren, damit wir uns
emotional an sie binden können.
Gleichzeitig müssen wir sie aber auch
von uns distanzieren, das heißt, wir
müssen Insignien von Macht finden,
die keinem Menschen zustehen. Die
Gewalt über andere Menschen
beispielsweise, die sich im Motiv des
Gottes widerspiegelt. Die Götter sind
letztlich in sich moralisch, aber den
Menschen unserer Welt gegenüber
total moralfrei. Ich kann nicht sagen
amoralisch, weil wir uns gar nicht als
ihnen ebenbürtig wahrnehmen. Das
auszubalancieren ist letztendlich
auch eine Form, mit dem eigenen
Sadismus und natürlich auch mit der
eigenen Liebesbedürftigkeit umzuge‑
hen. Welche Motive lassen mich
einen Wotan, der mit einer mir
fremden Macht ausgestattet ist, in
seiner Gefangenheit miterleben, und
welche Motive zeigen mir anderer‑
seits diese unglaubliche Ferne seiner
Macht? Seinen permanenten selbst‑
verständlichen Übergriff auf die
körperliche Autonomie des anderen?
Mit Wagners Ideengeber Ludwig
Feuerbach kann man sagen: Es gibt ja
doch keine Götter, sondern sie sind
von Menschen gemacht. Wenn ich an
den Göttern eine menschliche Seite
zeige und dann die übersteigert
götterhafte, ist die götterhafte dann
die Darstellung von etwas fast
Unvorstellbarem, wovon der Mensch
dennoch weiß, dass er selbst dazu
fähig ist? Steigert der Mensch sein
Wesen in der Erzählung noch einmal,
um es sich so zu vergegenwärtigen?
Wir kommen da mit Feuerbach
nicht weiter, weil wir uns in der
Autonomie einer Aufführung bewe‑
gen und darin Verwirrungen schaf‑
fen, die sich quasi nur über das
Göttliche erklären lassen: Verhal‑
tensmechanismen, in die wir das
Motiv des Göttlichen, also des uns
Fremden einlagern. Natürlich
können wir aus unserer Perspektive
der Vernunft sagen, dass es keine
Götter gibt, aber in der Mechanik
der Aufführung gibt es sie. Und
innerhalb dieser Mechanik funktio‑
niert es auch nicht, das Göttliche in
den Figuren zu ignorieren und zu
sagen: Das sind halt Industrielle!
Weil man sich dann innerhalb der
Logik des Stücks fragt, was der
Industrielle mit dem Speer will. Das
erfordert auf der einen Seite, eine
Psychologie zu ermöglichen, indem
ich den dort oben auf der Bühne für
mich als Zuschauer nacherlebbar
mache, dabei aber nicht völlig in der
psychologischen Erkennbarma‑
chung der Figur versinke. Er ist kein
Mensch. Es offenbaren sich in ihm
aber Zwänge, Prozesse, Ängste und
Verwerfungen, die ich auch kenne.
Jeder erlebt seinen eigenen Drachen 11
„Die Götter sind letztlich insich moralisch, aber den Menschen unserer Welt gegenübertotal moralfrei.”
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„Wir versuchen, Wagner überdie Maßlosig‑keit seinerLeidenschaftzu verstehen.“
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ist, dass sie sich nie erklären müs‑
sen. Kein Kind fragt danach, woher
der Drache kommt. Es zeigt sich eine
Grundangst und gleichzeitig eine
Sehnsucht, dieser Angst zu begeg‑
nen, sodass ich sie an keinem Punkt
rationalisieren muss. Ähnlich die
Engel: Jedes Kind freut sich in einem
bestimmten Alter, Engelsfiguren an
der Wand zu haben. Das sind Dinge,
die sich nie rationalisieren, als
würden die Menschen einen Teil von
„Das Tolle am Theater ist, dass es in seiner tiefsten Struk‑tur ein soziales Ereignis ist, aber trotzdem jeder Einzelne die Geschichte hört unddurch seine Fan‑tasie ergänzt.”
heiten zu sein: „Die Wirtschaft läuft
schlecht, die Banken sind böse,
keiner liebt mehr den anderen.“ Aber
die Bestätigung von Gewissheiten
stiftet überhaupt keine Gemeinschaft,
sondern zermürbt Identität, weil man
nur darin bestätigt wird, dass alle
gleich denken und alles in einen
starren und unkreativen Zustand
gerät.
Sie haben gerade vom Lagerfeuer
gesprochen ...
Für mich ist das Lagerfeuer der
zentrale Denkansatz für den Ring.
... und von seinen modernen
Formen. Funktioniert das Prinzip
Lagerfeuer noch heute, oder gibt es
diese kollektive Form des Erzählens
in einer ausdifferenzierten Gesell‑
schaft nicht mehr?
Natürlich gibt es auch außerhalb
des Theaters Rituale der sozialen
Organisation, in denen sich das
Gemeinsame ausdrückt, angefangen
vom Clubabend bis hin zum Tango‑
Tanzen. Für mich ist aber das, was im
Theater an Kraft aus Gemeinschaft‑
lichkeit sowohl auf der Probe als
auch im Ereignis der Aufführung
entsteht, fast mit nichts vergleichbar.
Auch Großveranstaltungen, von den
Gladiatorenkämpfen bis zum Fußball‑
spiel oder den Kirchentagen, agieren
mit den Ritualen des Theaters.
Eigentlich spiegelt sich darin nur die
Sehnsucht der Menschen nach der
Bedeutung eines Momentes wider,
der über sich selbst und die Triviali‑
tät des eigenen Daseins hinausweist
– Überwältigung!
Wagner überwältigt uns auch
heute noch mit ganz einfachen
Bildern. Warum hat etwa ein Drache
als Zeichen immer noch eine solche
Kraft?
Weil wir in einem bestimmten
Zeitraum unseres Lebens, gerade in
der Jugend, innerhalb einer Kultur
determinierend erzogen wurden.
Bestimmte mythologische Figuren
tauchen in ganz vielen Kulturen auf:
das geschuppte Wesen, das hinkende
Wesen oder das gehörnte Wesen.
Mythen begegnen uns und der
nächsten Generation wieder, weil sie
eine so starke emotionalisierende
Kraft haben. Das Faszinierende daran
Könnten wir heute so eine
mythische Erzählform auf der Bühne
auch mit neuen Stoffen kreieren?
Natürlich. Es gibt Wunschkonstel‑
lationen, die sich in uns nicht verän‑
dert haben. Der Wunsch nach Gerech‑
tigkeit: Wenn wir Dinge sehen, in
denen dieser Wunsch angegriffen und
der Angriff abgewehrt wird oder
meinetwegen auch auf tragische
Weise siegreich ist – das sind Ge‑
schichten, die man auch heute noch
erfinden kann oder im Alltag findet.
Ob im kleinen Kontext der Familie
oder global: Kontinente können im
Prinzip Götterpositionen einnehmen,
wenn der eine Kontinent den anderen
dominiert, bis dieser den Unterdrü‑
cker niederwirft. Ich glaube, dass
Theater als Ort sozialer Realität
unsere Sehnsucht nach Empathie
nicht gerade befriedigt, aber doch
immer wieder anspricht. Das ist vom
Lagerfeuer bis zu modernen Formen
des Lagerfeuers erhalten geblieben.
Unser Dilemma ist nur, dass das
Theater immer stärker Markt‑ und
Beschleunigungsmechanismen
unterworfen ist und die Künstler
demgegenüber zynisch reagieren,
indem sie die Erzählung verweigern.
Wenn es diese Zeiträume für Erzäh‑
lung und für die Nähe von Bühne und
Zuschauerraum nicht mehr gibt, läuft
das Theater Gefahr, nur noch eine
Bestätigungsmaschine für Gewiss‑
„Mein Gedanke ist, die Geschichte aus einer Per‑spektive nach der Götter-dämme rung zu erzählen. Ich bin jemand, der starrsinnig nach Utopien sucht und bis zum Selbstwider‑ spruch daran festhält. Wir versuchen, die Behauptung aufzustellen, dass es nach dem Niedergang in der Götter-dämmerung eine neue Gesell‑ schaft gab, dieihren Ursprungs‑mythos lebendighält und ihn sich immer wieder erzählt.“
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Der Ring des Nibelungen
Bühnenfestspiel für drei
Tage und einen Vorabend
von Richard Wagner
— Das Rheingold
Premiere am Samstag, 4. Februar 2012
— Die Walküre
Premiere am Sonntag, 11. März 2012
— Siegfried
Premiere am Sonntag, 27. Mai 2012
— Götterdämmerung
Premiere am Samstag, 30. Juni 2012
Vorstellungen jeweils
im Nationaltheater
Weitere Termine im Spielplan
ab S. 90
sich, das Irrationale, beschützen
wollen. Bestimmte Fragen werden
ganz konsequent verweigert, was
Hollywood auch aufnimmt. Filme, in
denen Drachen auftauchen, liefern
nur ganz fadenscheinige Gründe für
deren Existenz, hauptsächlich
spielen sie mit dem Motiv des
Erlebens von Angst.
Nun hat aber Hollywood die
Potenz zu einer perfekten Illusion,
die keine Bühne darstellen kann und
vielleicht auch nicht will.
Aber das ist doch toll, dass ich im
Kino davon erlöst bin, mir selber mein
Bild zu machen. Dass ich die verding‑
lichte Adaption meiner Angst erleben
muss, verlangt das Theater von mir.
Das ist mitunter viel intensiver, weil
sich nicht das Abbild, sondern das
innere Wesen dieser Angst zeigt. Das
Theater darf nicht die Hülle des
Drachens darstellen, sondern es
muss einen Überrumpelungsmoment
erfinden, der mich in einer ähnlichen
Weise emotional bedrängt, und sei es
mit Ekel. Es lässt mich etwas, wovon
ich weiß, dass ich seit meiner
Kindheit davor Angst habe, noch
einmal genussvoll erleben.
Aber es wirft mich auch wieder
auf meine Angst und meinen Ekel
zurück, vollkommen irrational, denn
ich weiß ja, dass es keine Drachen
gibt.
Das Tolle am Theater ist, dass es
in seiner tiefsten Struktur ein
soziales Ereignis ist, aber trotzdem
jeder Einzelne die Geschichte hört
und durch seine Fantasie ergänzt.
Das zeigt sich auch im Drachen:
Jeder erlebt seinen eigenen Drachen.
Bei dem einen ist der Ekel gegenüber
dem Blut, das von dessen Gesicht
heruntertropft, größer als bei dem
anderen, der daran vielleicht sogar
ein Vergnügen hat, weil er eine Lust
verspürt, sich mit dieser Angst
auseinanderzusetzen. Das Vergnü‑
gen am Irrationalen! Es ist spannend
zu fragen, warum Wagner diese
vielen unglaublich naiven Momente
benutzt. Er hat einerseits große Lust
an der Vehemenz der theatralen
Geste, andererseits traut er sich, in
eine Szenerie größter Bedrängnis
Märchenmotive einzubauen. Der
Trick Wotans im Rheingold, Alberich
zu überrumpeln, hätte auch raffinier‑
ter und gewalttätiger sein können.
Warum tauchen hier Schlange und
Kröte auf? Warum traut sich Wagner,
diese scheinbar fernliegenden
Momente zu verknüpfen? Warum
verweist er in diesem Punkt, der in
sich so grausam ist, auf eine ganz
bestimmte Naivität der Erzählung?
Wenn man genauer hinsieht, verweist
dies aber genau darauf, dass sich
diese Erzählung auch in unserem
persönlichen Ursprung wiederfindet.
Die Höhle, die Dunkelheit, die
Gefahr, die Zauberei und der Trick
des Schlauen gegenüber dem
Dummen – mit all dem schafft Wagner
einen Verweis auf die für ihn so
wichtige Naivität für das Wahrneh‑
men der Szene und seiner Musik.
Wir wollen johlen, wenn der Gute
den Bösen überwindet. Jedes Kind,
jeder Erwachsene will irgendwann
einmal verschwinden oder sich
kleinmachen, jeder hat einmal Angst
vor einem Unwesen. Und diese Dinge
benutzt Wagner sehr affirmativ. Er
fährt alle textlichen, musikalischen
und szenischen Mittel auf, um diesen
irrationalen Moment im größtmögli‑
chen Ausmaß zu erzeugen.
Und in der größtmöglichen
visuellen und akustischen Bildhaf‑
tigkeit! Er schafft eine Möglichkeit
des höchst Unwahrscheinlichen: der
Verwandlung eines Wesens in ein
anderes oder des Wunsches danach,
unsichtbar oder unverwundbar zu
werden. Er stellt sich nie infrage oder
sichert sich ironisch ab, sondern
nimmt diesen Bereich einfach als Teil
der Erzählung an und gestaltet ihn
musikalisch ungeheuer kraftvoll.
Unterscheidet sich die theatrale
kollektive Erzählung von der persönli‑
chen Erzählung, die ich beispielswei‑
se meinem Kind vorlese? Die Groß‑
mutter sitzt am Bett und schlüpft für
einen Moment in die Rolle des Wolfs.
Das Kind weiß, dass es sich etwas
erzählen lässt, aber für den Moment
akzeptiert es, dass die Großmutter
das Monster ist, das ihm den Schreck
einjagt.
Ja, wenn man diesen Gedanken
zu Ende denkt, dann funktioniert das
über das Vergnügen der Großmutter,
diese Geschichte für das Enkelkind
zu theatralisieren. Ein gemeinsames
Vergnügen, bestimmten Emotionen
ausgesetzt zu sein!
Jeder erlebt seinen eigenen Drachen 15
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Den Worten nachspürenMAX JOSEPH Herr Nagano, hat
der Ring uns heute noch etwas zu
erzählen, über den Menschen, die
Gesellschaft und über uns?
KENt NAGANO Sicher. Wagner ist
es mit dem Ring gelungen, eine neue
Perspektive für die Oper aufzuzeigen
und gleichzeitig eine Referenz
an traditionelle Erzählformen zu
schaffen. Legenden und Mythen
sind mehr als schöne Geschichten.
Früher wurden sie von Mund zu
Mund weitergegeben – wohl die
stärkste Erzählform. Sie erzählen
von den Wurzeln einer Gesellschaft,
ihrer Struktur, verhandeln soziale
Regeln und tabus. Woran glauben
wir, welche Werte haben wir,
wie gehen wir miteinander um?
Wir brauchen eine Vorstellung
von der Vergangenheit für unser
Selbstverständnis, unsere Identität.
Wagner verbindet im Mythos des
Ring Vergangenheit und Gegenwart
und weist schicksalhaft in die
Zukunft. Deshalb ist er so bedeutend
für die Gesellschaft, bis heute.
MJ Wie kann man mit Musik
erzählen? Ist sie eher eine Art
Hintergrundgemälde, das Stimmung
und Emotionen, vielleicht
psychische Zustände illustriert,
oder kann Musik eine eigenständige
Erzählebene neben den Worten und
Bildern bieten?
KN Das ist nicht so einfach zu
beantworten. Wir wissen, dass Musik
die Fähigkeit hat, im Kopf Bilder,
Vorstellungen und Stimmungen
zu erzeugen. Deshalb waren
Stummfilme auch nicht still, sondern
wurden mit Musik begleitet. Auch
im Ring ist die Erzählebene der
Musik oft sehr direkt – wir hören
das Fauchen des Drachen, fühlen
in der Musik das Gewicht der
gigantischen Brüder. Da ist Wagner
sehr programmatisch. Doch ihm
gelingt viel mehr. Seine Motive sind
mit den Charakteren verbunden.
Die Idee ist nicht neu, aber Wagner
benutzt sie auf besondere Weise.
Die Motive werden wiederholt, wie
im Fluss, aber diese Wiederholung
ist nie gleich, immer ist das Motiv
leicht verändert, gekürzt, entwickelt,
in einer anderen Reihenfolge oder
tonalität oder Dynamik. Jede
dieser Veränderungen in der Musik
ist auch eine Veränderung in der
Geschichte der Figuren. Die Musik
transportiert das Außerzeitliche,
das Ewige und Schicksalhafte der
Erzählung – ewige Entwicklung
statt Wiederholung. Die wörtliche
Erzählung ist von der musikalischen
Substanz nicht zu trennen.
MJ Die großen Erzählungen und
Mythen der Moderne werden seit
Jahrzehnten im Fernsehen und Kino
verhandelt, den Lagerfeuern der
Neuzeit. Sie sind ohne Fernsehen
und Kino aufgewachsen.
KN Ja, das ist wahr – aber ich habe
natürlich trotzdem ferngesehen, bei
Freunden zum Beispiel, und ich war
auch ab und an in L.A. im Kino, ich
bin kein völliger Barbar!
Kent Nagano lacht, zum ersten Mal
in diesem Gespräch. Ein lautes,
ansteckendes und herzliches
Lachen, das seinen ganzen Körper in
Bewegung versetzt. Minuten vorher
hat er noch in der für ihn typischen
Art in sich selbst versunken
dagesessen, mit geschlossenen
Augen den Worten nachgespürt. Eine
Art Tempo- und Temperaturwechsel,
der sich durch das gesamte Gespräch
ziehen wird.
MJ Welche Erzählformen haben Ihre
Kindheitsgeschichten geprägt?
KN Unser Leben auf dem Land war
nicht vom Fernsehen beeinflusst,
eher von der Natur. tatsächlich
haben wir oft beisammen gesessen
und Geschichten erzählt. Manchmal
fiktive und auch japanische und
sogar amerikanische Legenden. Aber
oft war es auch eine Art mündliche
Familiengeschichtsstunde: Meine
Großeltern haben erzählt, wie sie
Generalmusik-direktor Kent Nagano wird die Neuproduk-tion des Ring des Nibelungen dirigieren.Im Interviewmit Jörg Böckem spricht erüber die Erzähl-tradition in seiner Familieund dasfaszinie rende Verhältnis zwischen Sprache undMusik.
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Der fünfte Stock im Ver waltungs-
gebäude der Bayerischen Staatsoper
in München. Ein geräumiges
Büro, gedämpftes Licht, weiche
Ledersessel. Vor Kurzem hat Kent
Nagano seinen 60. Geburtstag
gefeiert. Der Generalmusikdirektor
der Bayerischen Staatsoper ist
höflich und konzentriert. Er wägt
seine Worte genau, beugt den Kopf
zur Seite, hängt den Fragen und
Gedanken nach. Er sucht nach den
richtigen Antworten. Manchmal
auch nach solchen, die nicht zu viel
preisgeben.
16-20_INTERVIEW_NAGANO_korr_mxm_frei.indd 16 09.01.12 20:38
Der Generalmusikdirektor vor der elektronischen
Orgel der Bayerischen Staatsoper. Der Monitor
stellt den Kontakt zwischen dem Dirigenten im
Orchestergraben und dem Spieler am Orgeltisch her.
17Kent Nagano
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„Kann man in der Sprache der Musik lügen?“ — MAX JOSEPH
„Man kann die Wahrheitverschleiern.Dann wird es artifiziell oder manieriert. Das spürt jeder Musiker sofort.“ — Kent Nagano
Ende des 19. Jahrhunderts aus
Japan nach Amerika gekommen sind,
ohne Geld und Sprachkenntnisse.
Wie es war, mit einem asiatischen
Gesicht im Wilden Westen zu leben,
Amerika war damals zu weiten teilen
noch cowboy country. Meine Eltern
haben erzählt, wie sie im Zweiten
Weltkrieg nach dem Angriff auf Pearl
Harbor verhaftet und eingesperrt
worden sind, nur weil sie Japaner
waren. Für uns Kinder war das
toll! So haben wir eine Idee davon
bekommen, wo wir herkamen, neben
der tatsache, dass wir auch typische
US-Kids der 1960er Jahre waren. Für
uns war das keine Geschichtslektion
wie in der Schule, es war tolle
Unterhaltung, ein großer Spaß!
Die Begeisterung ist noch heute zu
spüren. Seine Stimme wird lauter
und lebhafter, er unterstreicht seine
Worte mit den Händen. Es ist, als
könne man den neugierigen Jungen,
der atemlos seinen Großeltern
lauscht, in seinem Gesicht erkennen.
MJ Haben Sie diese Erzähltradition
mit Ihrer tochter weitergeführt?
KN Ja, sogar ziemlich intensiv,
zumindest als sie noch kleiner
war. Heute ist sie 13, da ist es
schwieriger. Vor allem meiner Frau
war das sehr wichtig. Sie entstammt
zwei traditionellen Familien mit
einer Generationen überspannenden
Geschichte. Meine Frau hat die
Familiengeschichten hauptsächlich
von ihrer Urgroßmutter erzählt
bekommen, und genauso war es
dann auch bei unserer tochter.
Seltsamerweise hatte ich den
Eindruck, dass vor allem meine Frau
und ich davon besonders profitiert
haben. Die Geschichten noch einmal
erzählt zu bekommen, hat den
Eindruck immens vertieft.
Kent Nagano ist dafür bekannt, sich
sehr intensiv mit den Komponisten,
deren Werke er auf die Bühne
bringt, zu beschäftigen, mit deren
Lebensumfeld und deren Sprache.
Er spricht neben Japanisch
und Englisch auch Deutsch,
Französisch, Italienisch und etwas
Russisch.
MJ Sie sind Musiker, beschäftigen
sich aber intensiv mit Sprache.
Warum?
KN Es ist kein Geheimnis, dass
Sprache Grundlage jeder Kultur
ist. Kunst wird von der jeweiligen
Kultur gespeist, in der sie entsteht.
Also ist Sprache untrennbar mit
Kunst, mit Musik verbunden. Das gilt
besonders in der Oper: Wenn man
die Sprache des Komponisten nicht
Im mündlichen Gespräch durchziehen
tempi- und temperaturwechsel die
Sprache von Kent Nagano. Während er
oft mit geschlossenen Augen nach den
Antworten sucht, lacht er an anderer
Stelle laut, herzlich und ansteckend.
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Den Worten nachspüren 19
spricht, entsteht Distanz, die Arbeit
kann schnell artifiziell werden.
Für meinen Entwicklungsprozess
als Musiker ist es wichtig, die
jeweilige Sprache zu lernen und
in mein Denken zu integrieren.
Sprache schafft einen Kontext,
der hilft, das Wesen der Musik zu
verstehen. Das klingt so abgehoben
und intellektuell, ist es aber nicht.
Es geht auch um ganz praktische
Dinge: den Atemrhythmus, die
Sprechgeschwindigkeit, die
Satzmelodie. All das hat etwas mit
Musik zu tun.
MJ Können Sie ein Beispiel nennen?
KN Ich habe vor Jahren die West
Side Story gehört, gespielt von
einem sehr guten europäischen
Orchester, technisch perfekt,
wunderbar ausgeführt. Aber für
mich war ganz klar zu hören, dass
die Musiker nicht Amerikanisch
sprachen. Es klang nicht wie der
Leonard Bernstein, den wir in den
USA kennen. Das ist legitim, aber
es repräsentiert nicht die Kultur,
aus der es stammt. Ein anderes
Beispiel: In Kalifornien haben
wir zu Schulzeiten im Orchester
bayerische Volksmusik gespielt,
mein Musikprofessor stammte aus
Bayern. Als ich dann das erste Mal
auf dem Oktoberfest war und diese
Lieder dort gehört habe, war ganz
deutlich, dass wir in Kalifornien
weit davon entfernt gewesen waren,
diese Stücke auf die ursprüngliche
bayerische Art zu spielen. Deshalb
habe ich den Auftrag eines sehr
bekannten Komponisten aus Indien
abgelehnt. Aus technischer Sicht
wäre es kein Problem gewesen. Aber
es ist bedeutungslos, nur die töne
in der richtigen Zeit, dem richtigen
tempo und der richtigen Intonation
zu spielen. Die Frage ist doch, was
liegt dahinter?
MJ Welche Sprache sprechen Sie in
Ihrer Familie?
KN Wir sprechen meist Deutsch,
Englisch oder Französisch. Mein
Japanisch ist nicht besonders gut,
und meine Frau ist im Italienischen
nicht so zu Hause. Ich muss
zugeben, dass wir oft von einer
Sprache in die andere wechseln.
Wahrscheinlich, weil wir nicht
diszipliniert genug sind. Empfehlen
würde ich das niemandem!
MJ Ist die Sprache, die Sie
benutzen, abhängig vom Inhalt des
Gesprächs oder der Stimmung des
Sprechenden?
KN Nicht unbedingt. Es gibt
verschiedene Faktoren für
Sprachwechsel. Einmal spielt
natürlich die Umgebung eine Rolle
– wenn wir in München sind, ist
die Chance sehr hoch, dass wir
überwiegend Deutsch sprechen.
Zum anderen liegt es wohl daran,
dass meine Frau und ich zwar viele
Sprachen sprechen, aber in keiner
wirklich sicher sind. Der Hauptgrund
ist, dass ein bestimmter Sachverhalt,
ein Zustand oder eine Idee oft in
einer bestimmten Sprache leichter
oder effizienter auszudrücken ist
als in einer anderen. Zum Beispiel
gibt es im Englischen keine exakte
Entsprechung für „gemütlich“.
„Relaxed“ und „comfortable“
meinen nicht dasselbe. „Presto!“
hat eine andere Bedeutung, einen
anderen Charakter als „Schnell!“
oder „Sofort!“. Vielleicht haben die
Sprachwechsel auch damit zu tun,
das wir eine musikalische Familie
sind, wir sind nicht so gut darin, mit
Worten zu kommunizieren.
Auch im Interview spricht Kent
Nagano so. Immer wieder mischt
er englische Worte in seine Sätze,
manchmal auch französische oder
italienische. Trotzdem keine Spur von
babylonischer Sprachverwirrung,
Nagano spricht klar, überlegt
und verständlich. Das Bemühen,
verstanden werden zu wollen, ist
deutlich zu spüren.
MJ Welche Rolle spielt die
Kommunikation über die Musik in
Ihrer Familie?
KN Eine sehr große. Meine Frau und
meine tochter sind Pianistinnen, wir
arbeiten zusammen, unterstützen,
kritisieren einander und diskutieren
über die Musik.
MJ Das heißt, die Musik schafft
in Ihrer Familie emotionale
Verbundenheit?
KN Ja. In dem Klischee, dass wir
Menschen uns näherkommen,
je besser wir miteinander
kommunizieren, uns austauschen
können, liegt Wahrheit. Musik ist
eine direkte Art zu kommunizieren,
eine universelle Sprache. Wieder
ein Klischee, aber auch das trifft zu.
Wenn ein Baby nicht schlafen kann,
sagt die Mutter nicht „Schlaf ein!“,
sie singt ihm ein Wiegenlied vor.
Musik kommuniziert oft mehr als die
Worte. Sie ist eng mit demjenigen
verbunden, der sie spielt. Ich fühle
es, wenn etwas nicht stimmt, nicht
von innen kommt.
MJ Kann man in dieser Sprache lügen?
KN Man kann die Wahrheit ver-
schleiern. Dann wird es artifiziell
oder manieriert: Wenn ich versuche,
etwas zu sein, was ich nicht bin,
etwas vorzuspielen, das nicht aus
mir kommt. Das spürt jeder Musiker
sofort.
MJ In welcher Sprache träumen Sie?
KN Bis vor ungefähr zehn Jahren
habe ich auf Englisch geträumt,
heute träume ich in allen Sprachen,
die ich spreche. Das weiß ich, weil
ich manchmal im traum laut rede.
Letzte Woche zum Beispiel war ich
im traum in eine hitzige Diskussion
verwickelt, ich war sehr echauffiert
und habe in einem sehr aufgeregten,
lauten Italienisch gesprochen.
Davon bin ich aufgewacht. Das war
sehr lustig!
MJ Was, denken Sie, ist der Grund für
die Mehrsprachigkeit Ihrer träume?
KN Vielleicht, dass ich jetzt so
lange in Europa lebe und diese
Sprachen so häufig benutze.
Oder es liegt daran, dass sich
das amerikanische Englisch in
den letzten Jahrzehnten sehr
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verändert hat. Das Vokabular ist
immer kleiner geworden. Vielleicht
auch ein Grund dafür, dass ich
im Gespräch oft in einer anderen
Sprache Zuflucht suche. Wenn in
einer Sprache immer weniger Worte
benutzt werden, ist es schwierig,
komplexe Inhalte auszudrücken.
Diese Frustration, starke Emotionen
zu spüren, die nach außen drängen,
sie aber nicht in Worte fassen zu
können, erlebe ich häufig gerade
bei jungen Menschen.
MJ Wenn Sie ein tier auswählen
müssten, das Sie repräsentiert,
welches würden Sie wählen?
KN Im asiatischen Denken ist
der Unterschied zwischen tieren
und Menschen nicht so groß.
Die tradition, Menschen tiere
zuzuordnen, ist im Schintoismus
weitverbreitet. Viele alte Legenden
handeln von tieren, die sich
in Menschen verwandeln und
umgekehrt. Meine Großmutter
war Buddhistin, sie hat mich von
klein an einen Seeotter genannt.
Im Norden Kaliforniens, wo wir
gelebt haben, gibt es ein großes
Seeotter-Habitat. Als Junge habe
ich das Wasser geliebt, ich war
ständig im Meer, in Flüssen oder
Seen. Meine Großmutter glaubte an
Wiedergeburt, für sie war klar, dass
ich in einem vorherigen Leben ein
Seeotter ge wesen bin.
MJ Sehen Sie selbst sich denn
auch als Seeotter?
KN Darüber habe ich noch nie
nachgedacht. Seeotter sind sehr
interessante tiere – sie sind in
verschiedenen Umgebungen zu
Hause, an Land, im Wasser, sie
gelten als kreativ und lernfähig,
da sie zu den wenigen tieren
gehören, die zu problemlösendem
Denken fähig sind und Werkzeuge
einsetzen, um an ihre Nahrung
zu gelangen. Und sie lieben es zu
spielen, nur zum Vergnügen, das
tun nicht alle tiere. Ja, vielleicht
hatte meine Großmutter recht.
MJ Und wenn Sie eine Figur aus
der Ring-Welt auswählen müssten,
welche wäre Ihnen da am nächsten?
KN Das ist unmöglich zu
sagen, darin liegt ja gerade
Wagners Genie: Die gesamten
Personen dieser langen,
weitverzweigten Geschichte, all
diese verschiedenen Charaktere
machen uns Menschen aus, sie
alle sind teil von uns – Siegfried,
Brünnhilde, Freia, Hagen, sogar
Fafner. Wagner ist es gelungen,
die verschiedenen Aspekte des
Menschen in einzelne Figuren zu
gießen. Nur in der Summe sehen
wir uns selbst.
Jörg Böckem ist Journalist und Autor in
Hamburg. Er veröffentlichte u. a. die Bü-
cher Lass mich die Nacht überleben und
Freitags Gift.
Der Ring des Nibelungen
Bühnenfestspiel für drei
Tage und einen Vorabend
von Richard Wagner
– Das Rheingold
Premiere am Samstag, 4. Februar 2012
– Die Walküre
Premiere am Sonntag, 11. März 2012
– Siegfried
Premiere am Sonntag, 27. Mai 2012
– Götterdämmerung
Premiere am Samstag, 30. Juni 2012
Vorstellungen jeweils
im Nationaltheater
Weitere termine im Spielplan ab S. 90Wie
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Jetzt wo es wieder kalt wird, tragen die jungen Männer
schwarze kurze Mäntel. Sie stehen, ungeschmiedetes Eisen,
pig iron, wie wir sagen, und warten auf Grün,
gehen dann über die Ampel und verschwinden in dem Gebäude, wo sie wohnen.
Musen, steht mir bei.
Sechs von diesen Männern – sechs ist eine Zahl,
die ihnen irgendwie entspricht wie ein sechstüriger Wagen
(obsolet und großspurig zugleich,
anmaßend einfallslos und total verloren) –
umstanden mich an einem dieser Abende,
wo ich eine Kneipe suchte und nur Ecken fand.
Musen, steht mir bei! Dass ich euer nicht vergesse!
Euer Parfum leite mich! Lasst mich, durch euren Liebreiz,
die Schritte, die ich tue, nicht spüren!
Sie drücken mich später im Rücken
als Erschütterungen.
„Männer,“ sagte ich, blickte zu ihnen auf.
Kleine blaue Augen blickten unter den Rändern ihrer Mützen hervor.
Musen, lacht mir und tänzelt! Ich brauche eure schwebenden Waden,
sie sind das Bild des Schwerts, zu dem meine Zunge
schmelzen soll – weswegen ich schreibe.
Ich also: „Männer,“ sag ich, „wo finde ich hier in der Gegend den Spaß?“
Von den sechsen vier feixten und machten Gegrinse,
einer, der Kleinste, schwieg, der letzte aber hatte
die Weisheit mit Löffeln gefressen und sagte:
„Wo du bist, ist der Spaß – vorausgesetzt, freilich, du machst ihn.“
„Freilich machte ich ihn,“ so ich pikiert,
„hätte ich dazu die Mittel.“ „Was meinst du? Geld?“
„Ja, Geld.“ „Davon haben wir dicke.“
Willkür
26
Wie ich, Mime, die Welt umdrehen wollte, mir alles aneignend, von dem mir gesagt wurde, du kannst es nicht führen,und den Fehler machte, dies im Rahmen eines Auftrags zu tun, was mir nur Häme einbrachte, und meine Gefühle
so unbehaust ließ wie zuvor
von Ann Cotten
26-31_ERZAEHLUNG_COTTON_korr_mxm_frei.indd 26 09.01.12 20:02
Sagt nun, ihr Musen, die ihr da steht
und lächelt, und in die Brise kuckt,
was hättet ihr an meiner Stelle gefühlt und getan?
Ich sage euch, was ich fühlte: unwiderstehliche Lust
diese sechs gestopften Langweiler beim Wort zu nehmen.
„Was wollt ihr mir geben, verschaffe ich euch den größten, den schönsten
Spaß eures Lebens?“ „Das ... wirst du dann sehen.
Unvergesslich sei dein Werk, desto länger bleibst du im Gedächtnis.“
„Zahlt ihr mir alle bei der Beschaffung des Spaßes anfallenden Spesen?“
„Alles zahlen wir, solang es nur spaßt,“ sagte der Kleinste konzentriert.
„Wenn das so ist,“ so ich, „habe ich nur noch eine Bedingung,
diese aber müsst ihr mit Eiden mir schwören zu erfüllen:
Wenn, was ich mache, euch nicht gefällt, wenn ihr
den Spaß vor der Zeit beenden wollt, weil er nicht spaßt, wenn ihr
meinem Sinn für Schönheit und meinen Fähigkeiten
nicht mehr vertraut, müsst ihr mich töten. Schwört es!“
„Töten? Was soll das? Warum dich töten?“
„Ihr guten jungen Männer, hört und ich erklärs.
Es unterscheidet sich heutzutage das Leben
des schönen von dem des vernünftigen Geschlechts
durch Taten und Wünsche, weniger mehr durch die Geburt.
Und zwar die Taten entstehen vor allem
durch Messer im Rücken und Hingabe ohne Zurück.
Wenn ich scheitere, müsst ihr mich also töten.“
„Nein, das können wir nicht machen. Nicht möglich.“
„Hört mal: Ich habe keine Verwandte.
Vater und Mutter bin ich mir selbst. Ohne Spaß bin ich nichts.
Wenn ihr mich gut verscharrt, wird euch niemand behelligen.“
Sie nicken und beruhigen sich. Ich, Mime, bestelle für den Anfang,
um mich an die selbst bestimmte Arbeit zu gewöhnen,
mehrere Schläuche Wein, einen Heizpilz für die Kreuzung,
einen Eimer mit bestem Wisky und acht Huren auf Fahrrädern.
Eine davon kam auf Rollschuhen, ich sagte, das wäre ok.
Dann Samtvorhänge, die ich über die Kreuzung spannen ließ
von drei Bauarbeitern aus Polen und einem Dichter aus Split.
Die Achtschaft Polizei, die kam, konnte ich überreden, den Huren zu zeigen,
wie sie goldene Sicheln beim Fahren über ihre Häupter schwingen können.
Die Huren kannten ein Lied, das sie uns alle bald lehrten.
Darin ging es um Helden im Krieg, um Mütter und um Serbien.
Zwei Königskinder wandelten darin trunken einher
und entschliefen gegen Ende des Liedes, beim Einsatz des Pathos.
Fünf Zymbale, eine Tuba und eine Bassbalalaika
versammelten sich um das Lied herum, und als es schloss,
spielten sie lauter, umfassten die Kreuzung, wie Wolken von einem Brand
eines staats- oder für die Kultur wichtigen Gebäudes in einer großen Stadt
die Leute, die frisch aus dem Theater kommen, umschließen.
Bald wünschten zwei der Huren, ihre Fricsen dabeizuhaben,
ich schickte sie daher in die Oranienburger Straße und auch
zum Spätkauf, denn andere riefen bereits nach mehr Wein.
Nur die sechs dunkelblassen Männer standen und traten
von einem Bein auf das andere und wollten lieber Bier.
Musen, seid ehrlich, was hättet ihr hier an meiner Stelle getan?
Ich war kurz ratlos, aber dann kam, wie mir schien, mir der rettende Einfall.
„Hört alle her!“, rief ich. „Wir brauchen eine Geliebte!“
Willkür
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Die Huren sagten, sie kennten eine, sie arbeite
in einem Bistro auf der Touristenmeile, und gingen sie holen.
Von hinter der Volksbühne radelten modische Leute vorbei und hielten
auf ihren Rennrädern, mit ihren Bärten und Kleidern aus Baumwollstoff,
Gitarren, verstimmten Klavieren, hauchenden, demokratischen Stimmen.
Sie sprachen in Metaphern aus der Wühlkiste ihrer kapitalistischen Seelen,
hauptsächlich von Plüschanimalia, Moral und psychologischem Verhalten.
Sie fuhren, als wären sie gefährlich und elegant zugleich,
wie schwere Moskitos, die den Malariavirus tragen und geben,
um uns herum, versprühten „Like“s und jungenhaftes Grinsen,
das so aussah wie Wimpernzucken, das Spiegel zerbrechen kann.
Sie hungerten, es grollten in ihnen nordisch anmutende Horizonte.
So geistig schien uns ihr Hunger, dass wir ihnen ihr eigenes Klavier
zum Fraß anboten, dessen monotonische Melancholie uns störte.
Sie verkohlten das Elfenbein ihrer Tastaturen als Geste, die denen
der südamerikanischen Surrealisten nachgedichtet war.
Die Sterne gingen auf, und Bären kamen hervor.
Sie aßen die Hipster, die Animalia und die Reste der Klaviere.
Die Saiten in ihnen trugen ihre Sehnsucht nun weit über ihre Heimat hinaus.
Sie stießen die Fixies, die ja Übersetzung ablehnen, von ihren einfachen Rädern,
das Design nutzte ihnen nichts. Nun hatten die Bären die Räder.
Bei den Bären aber trugen die Bären die Räder.
All dies betrachtete ich schon mit Verwunderung.
Ungefähr zu dieser Zeit überquerte ein Idiot auf einem großen Dreirad
die Kreuzung. Das war das letzte
der selbstangetriebenen Fahrzeuge. Dann kamen die Huren
mit der Geliebten zurück. Sie leuchtete. Es war tatsächlich der Frühling,
den sie als seidenen Schal sich um die Schultern geschmissen.
Ihre Augen flogen, wie Schwäne, die stöhnen,
während sie fliegen, unter den kleinen Gesichtern
der Männer und ihren Mützen umher, der Panik nahe.
Nie hatte sie ein so sinnloses Beginnen gesehen wie meines hier.
Am Arm der Geliebten war der Scherzer. Er war
das Feuer und der sich ins Feuer legte, der sang und das Singen vergaß.
Er lebte nicht selbst, er lebte an anderen, und sein Protest
war seine Seele, ein Knüppel aus hellem Holz.
Er kam zu den Leuten, um ihnen zu zeigen, wo sie
Idioten waren, und ging, den Schwanz noch heil zwischen den Beinen.
Allein das war schon ein Wunder, es folgten darauf aber
Veränderungen in den Leuten, an ihren idiotischen Stellen.
Dem Scherzer folgte ein Schwarm von Vögeln, die nichts kosteten
und alles rühmten. Sie begrüßten fortwährend,
so dunkel es werden wollte, den kommenden Tag.
Oder sie machten ihre eigenen, teils kollektiven Flugwitze.
Einzig die sechs bekappten jungen Männer standen und schienen
in ihren Taschen nach etwas zu suchen, und fanden
weder Kleingeld noch Freigang noch Melancholie.
Darauf sagte ich: „Ihr holt, um euch voller zu fühlen,
am besten so schnell es geht aus der Pfalz eure Mütter herbei.“
Es kamen in einem kleinen Flieger bald sechs fünfzigjährige Frauen an.
Sieben davon waren seit kurzem Malerinnen und fingen unverlegen zu malen an.
Heiter, gerührt, und immer wacher werdend malten sie
Porträts von den Bauarbeitern und Karikaturen von den Huren.
Die Kinder der Huren, Hippies und zwei Bettler aus Gran Canaria
hatten die Sensen und die Fahrräder, die an die Apotheke gelehnt waren, gefunden,
und während die letzte Hure noch immer ihre Kreise auf Rollschuhen drehte,
verstand es ein leutseliger Kfz-Mechaniker, die Sicheln
an die Naben der Fahrräder perpendikular zu befestigen.
„Sehr gut! Wir brauchen Blut!“, sagte ich, „nur nicht zu viel gleich am Anfang.“
Die sechs jungen Mützen standen noch immer auf dem Bordstein
und schienen auf etwas zu warten. Ihre Mütter waren schon längst
ein Teil der Szenerie geworden und konnten ihnen keinen Blick mehr schenken.28
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Ungefähr zu dieser Zeit erwischte mich ein Blick meiner selbst in der Spiegelung
der Auslage der Apotheke, und ich versuchte, die Situation zu erfassen.
Der Gedanke und der Versuch stürzten ringend in die Tiefe
des Abgrunds, der klafft, wenn ein Autor sich selbst erblickt. Ich sah
mein blondes Haar, Krönung eines absurden Leibs, seine humoristische Fahne;
ich sah die Stummel meiner schnellen, abgebrochenen Bewegungen,
die ins Freie gehen wie ein wildes Tier am Rand einer Lichtung erscheint,
stehen bleibt, erschrickt, und verschwindet.
Ganz Vampir-bei-Tag, wäre ich eben gern davongeschlichen, hätte mich ganz
mit Hautcreme bedeckt, allein die Szenerie, die unter meiner fehlenden Kontrolle
sich zusammenbraute, begann mich doch mehr und mehr zu interessieren,
je mehr konfligierende Entwicklungen die Teile sehen ließen.
Nicht wollte ich mit dem Kopf den Algorithmus der Veränderungen finden,
hingegeben wie an eine Melodie folgte ich geneigt ihren Spuren.
Angelockt vom Blut, drängten sich immer mehr Künstler heran,
Feuerschlucker, Flaschensammler und ein Bildhauer,
der von Maurern eine ziemlich gute Tribüne nach seinen Entwürfen
errichten ließ, voll Falltüren und idyllischer Ecken.
Auch ein einsamer Wanderer näherte sich, einer von jenen
mit Hut, die nur darauf warten, um eine Kippladung modriger Maximen
loszulassen, die erklären, warum sie so schweigsam sind.
Er klopfte misstrauisch auf den Putz und entfernte sich,
da niemand ihn sonderlich beachtete.
„Musik!“, rief ich nun, denn die Kreuzung drohte zu verstummen.
Wie abgemagerte Prinzen hingen die Samtvorhänge schlaff auf den Asphalt.
Der Himmel ging nun auf und auch die Salsiccieria,
und die Musiker hatten sich gestärkt und wussten nun mehr auswendig als zuvor.
Strahlende Fließbänder flossen wie Öl,
und die goldene Sichel halbierte
drei Stunden später 300 ermüdete Philharmoniker,
Hobbymusiker, Stradivaris, Oboen, Kantinen und Harfen.
Die halben Instrumente, mit Pick-ups versehen, konnte
ein Tonmeister in seine Kabelsalate speisen und spielen lassen
die bezaubernden Interferenzen, wo die Vermutungen sich schönen
wie Lippen im Lippenstift, wie Wüstenmäuse in Sinustönen.
Und es ertönte in zierlicher Übersetzung der Herzschlag der Stadt,
die blaue Dämmerung kratzte weiche Gefühle auf, der Zweifel der Halben
vibrierte und sang. Und der Gesang formierte aus seinen Kreuzungen
ein Federballnetz und zwei Gladiatoren, und die russische Armee,
die so gut spielen kann, und ein Schwimmerteam, lauter Schwestern,
kam und verlangte nach sehr viel Wasser auf einmal. Also fuhren wir ans Meer.
„Für die jungen Männer eine Sänfte!“, rief ich, denn sie standen
an der Ecke und tuschelten unentschieden vor sich hin.
Zwei sollten drinnen sitzen und die anderen vier tragen,
als ob sie bald heiraten könnten. Ich dachte, das taugte ihnen.
Ich spazierte zum Meer Arm in Arm mit der Geliebten und ihrem Verlobten,
wir kamen hin, und ich vergaß meine Sorgen und befahl aus Spaß,
die sechs Männer bis zum Nabel im Sand zu begraben.
Die Huren bewegten sich und gruben, Sand auf den Wangen,
Sand auf der Oberfläche ihrer Korsette, im Nabel und
auf den Schenkeln. Die Schuhe hatten sie am Rand des Strandes
vergessen, sie dienten streunenden Hunden als Schlafstätte oder Pissoir.
Hinter den Dünen erschienen auch Indigene mit Federn,
Perlen, Windhunden und einem Kürbis, voll trüber Bowle aus Kräutern,
der herumgereicht wurde. Auf der Bowle schwamm ein Feuer,
es war ein vergangenes Feuer, und wer hineinsah,
erkannte in sich selbst nur mehr seine Ahnen wieder.
Schläuche kamen aus den Wolken, wo in Zeppelinen
längst verstorben geglaubte Industrielle und Bohemiens
saßen und den Saft aus den Kürbissen inhalierten. Sie atmeten auch aus.
So strömten Liebe und Ordnung, muffig riechend,
in die Atmosphäre über unserem Strand, und das Meer
Willkür
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ließ davon ab, die Geistespest davonzuspülen oder mit Winden
von seiner großen Oberfläche her pustend zu verscheuchen.
Ich rief: „Gedichte!“ Denn gegen solch irrealen Dünste
kannte ich nicht die wenigsten Waffen. War ich mir bei der
Herstellung von Atmosphären unsicher, konnte bei deren Klärung
keiner schneller als ich einen Horizont durch die Szene ziehen.
„Gedichte!“, rief ich also, um die verbliebenen Kräfte zu konzentrieren.
Außerdem war ich überzeugt, dass die sechs jungen Männer schliefen.
Es kamen Nobelpreisträger, versiffte Gewissen und junge Ambitionierte,
alle schleppten ihre Horizonte. Bei jeder Berührung
wippten die Horizonte wie Florette, glühten wie Abendrot.
Bei Abgesängen trafen sich diese Dichter selbst in die Brust,
und sinnloses Blut durchtränkte den Strand, bis alle verstanden,
was los war, was Freude bedeutete, was Sinken war. Die Toten
zogen Blusen und Hemden aus, sangen mit bloßem Oberkörper,
was sie zu singen wagten, und rezitierten den Rest in Versen,
umschlossen von brennenden Hulareifen, gehalten von den Huren,
sicher und professionell, bis ihnen die Hände, verkohlt,
abfielen. Es kamen, das Schauspiel zu sehen, noch mehr: zutrauliche
Flamingos, Wasserbüffel, kleine Krebse und Scharen von Quallen,
die immer trockener wurden, obwohl ich manche in den Wisky tat.
Erdwürmer steckten ihre augenlosen Häupter aus dem Gebüsch
und teilten sich selbst, um vor der Ewigkeit für die Dichter
deren misslungenen Verse zu büßen.
Die jungen Männer schliefen wirklich,
begraben in ihren sandigen schwarzen Mänteln.
Dunkel wurden die Himmel, längst war der Mond weg, die Sterne verschwanden,
doch statt des Lichts des Morgens kam über das Meer
ein größeres Dunkel, und die Flamingos begannen
zu stöhnen, und knickten ein, ihre Knie verschwanden und sie
flogen in Panik davon. Die unteren Teile ihrer Beine ließen sie
im Sand stecken, die Beine blickten auf,
den verhallenden Geräuschen der Flamingos nach.
„Flaschendrehen!“, riefen die einen aufgeregt,
vor Aufregung „Fischen!“ und „Ficken!“ die anderen,
„Blutsbruderschaft!“ und „Eine andere Musik!“
Bauern kamen mit einem Anwalt und errichteten eine Diskothek, Humanisten
kamen und strichen sie mit Bildern an, die verblichen, Schlosser kamen
und legten Techno auf, die Münder aufzusperren, in welche
die Feuerschlucker und Garnelen Feuer und Erbsen legten,
Erdbeeren und Schwerter. Es war Karaokezeit.
Die Lieder kamen vom Himmel – die Erzengel zeigten Tafeln,
die eine Schneiderin getreu auf Kartone abschrieb.
Sie träumte von einem guten Diktierprogramm und war
an der Entwicklung eines alternativen Systems
beteiligt gewesen, doch nach der Wende
wurde das Programm abgewickelt, sie umgeschult.
Es erfüllte sie mit einem geheimen, tragischen Schmerz,
die Arbeit manuell zu verrichten, die ihr Programm
gemacht hätte, und mit schaurigem Genuss
schrieb sie den Stoff der Trauer, als bauschte sie singend die Hände,
im Schimmer der Stimme badend, in minusbestirntem blauem Samt.
Das muss die Zeitumkehr bewirkt haben. Denn bald ging der Mond wieder auf,
den wir endgültig gesunken wähnten, und am Himmel
zeichneten sich die Umrisse von gläsernen Papageien,
Hotelketten, Kettenläden und gekauften Riesen
ab, Hinterseiten von Schildern und falsche Palmen.
Wölfe rissen die Papageien, Blauwale die Wölfe,
als ob sie die Kleinen rächten – eine Tat, der die Kleinen liebend gedachten.
Und Zebras zogen durch, die Bäuche voll Nadelöhren,
und Flugzeuge flogen tief, und Helikopter stahlen sich davon.
Meine Fantasie wogte gegen die Trauer. Vergessen waren die Männer,
der Spaß und mein Tod am Ende dieser Geschichte.
Nun, da ich sie schreibe, zieht sich die Verzweiflung zurück
und lässt mich mit meiner Vernunft an diesem grauen Strand
zurück. Ich scheine mir ganz alleine, und wie zum Hohn
blinkt mir der Mond zwischen falschen Palmen hindurch, zitiert Heine.
Alleine? Nein! Sechs Männer dösen noch immer im Dunklen,
scharren in ihrem Gefängnis und quengeln im Schlaf. Und ich sehe,30
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wie sich das Meer in die jüngere und immer fernere
Geschichte zurückzieht. Ich sehe Bismarck am Horizont,
eine Schar von Todesvögeln, neuerfunden, mit glänzenden Flügeln
und unerbittlichen Schnäbeln in Schönkurrent formulieren,
dann sehe ich schon die schweren Stifte der Legionen,
die spitzen Winkel dreimeterlanger Lanzen, die die Schweizer beinahe
unter Kontrolle haben, Todesquadrate, deren Gewicht aus dem Bewusstsein
seiner Bestandteile besteht, dass sie keinen Ausweg haben. Napoleons
kleine besorgte Fresse, und sterbende Pferde, und Frauen voll Schweiß.
(In ihnen stecken die schlichten Frisuren von Renaissancegelehrten,
mit Tinte schreibend, von Sorgfalt lebend, ein Blümlein zwischen den Fingern,
einem einzigen Rausch bereit sich hinzugeben mit bebender Seele
((wie eine Jungfrau die Blüten im Frühling, unter dem Schnee
dürftiger Sprache bleibend, mit Schaudern interpretiert)).)
Ich bin erschreckt von der Zerstreutheit, in der
meine Ahnungen erscheinen, mich selbst nur streifend.
Der Horizont unterstreicht mein Streifen, er seufzt,
erweicht sich und wird wieder heller und wird Abend.
Die Zeit hat begonnen, sich rückwärts zusammenzurollen,
sie zieht sich von unserer Welt zurück und lässt mich nackt,
Erinnerungen und Gedanken sind nur mehr getrennte Gespenster.
Ich schreie und will einen Busen, besinne mich und werde still.
Größeres Grauen habe ich noch nie gekannt als meine Entscheidung,
zu verstummen, doch es wird sofort übertönt von mehr Grauen,
der Fortsetzung des Grauens in seinen Anfang hinein. Es wird heller und heller,
und ich sehe uns klar, betrunkene Flamingos, wie Herbstzeitlosen
über den Sand gespleizt, das verschmutzte, verschaumte Meer,
sarkastische Kommentare murmelnd, während es ebbt
und lustlos flutet. Ich sehe die Quallen leiden. Die Kormorane,
aus Sehnsucht und Knochen bestehend, immer halb im anderen Element,
tauchend mit Luft nach Fisch, den sie nicht wollen.
Ich möchte mich nicht mehr rühren, bis ich erfriere,
denn ich meine, ich habe genug Unfug gemacht.
Doch eine graue Sonne, deren Schwingungen
alles nicht älter, sondern dümmer machen, geht auf
im Westen, und meine Moleküle bewegen sich
immer schneller, immer mehr wie die forcierten
Kinderzeichnungen von reichen Fauvisten, immer weniger
imstande, mich durch ihre Vernunft am Leben zu halten, doch noch
weniger imstande, mich in Ruhe zu lassen.
Sterben, merke ich, wäre nur ein Traum.
Plötzlich rühren sich hinter mir die jungen Männer,
und unter der feuchten Mütze eines von ihnen
schlängelt sich ein verquollener Blick hervor und trifft meinen.
Er sagt: „Du kannst ja genauso wenig feiern wie wir.“
„Was?“, schrie ich. „Sind doch alles Behauptungen!“
„Du reagierst auf Behauptungen. Mit Behauptungen.“
„Schlag mir den Kopf ab. Du hast recht. So will ich nicht leben.“
„Noch nicht.“ „Ihr spinnt!“ „Wir spinnen nicht mehr.
Wir suchen den Faden.“ „Und ich soll ihn haben.“
„Du musst ihn machen.“ „O eine Axt! Eine Axt!
Bei Gott, ich will eine Axt! Keinen Faden!“ Und ich begrub
mein Haupt in den sandigen Sand der Dünen
zwischen den verlorenen Messergriffen und den Schalen
von Generationen von toten Muscheln.
Willkür
Ann Cotten, geboren 1982 in Iowa, lebt seit 1987 in Wien, seit 2006 in Berlin. Zuletzt veröffentlichte sie die
Sammlung Florida-Räume im Suhrkamp Verlag. 31
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32-33_VANDENBROCKE_korr_mxm_frei.indd 32 09.01.12 20:03 32-33_VANDENBROCKE_korr_mxm_frei.indd 33 09.01.12 20:03
Klaus Florian Vogt Siegmund — Die Walküre
Welchen Faden aus Wagners Erzählung des
Nibelungen-Mythos verfolgen Sie am liebsten?
Die Geschichte um Siegmund und Sieglinde finde ich be-
sonders spannend. Sie ist konkret, lässt aber viel Raum für
Fantasie. Die Figuren handeln menschlich und sind deshalb
nachvollziehbar. Ich freue mich sehr darauf, den Siegmund
zu singen und zu spielen.
Wer hat Ihnen an welchen Orten
Geschichten erzählt?
Am besten erinnern kann ich mich an meine Großtante, die
mir abends am Bett vorgelesen hat.
Welche Geschichte hörten Sie in Ihrer
Kindheit am liebsten?
Märchen fand ich immer toll, spannende Geschichten mit
einem gutem Ende.
Wem erzählen Sie welche Geschichte gerne
immer wieder?
Meinen Kindern erzähle ich oft, wie ich mit meiner Mutter
und meiner Schwester nach einem Verwandtenbesuch in der
DDR einen Wellensittich in der Provianttasche über die
Grenze zurück in den Westen geschmuggelt habe.
Warum, glauben Sie, erzählen wir uns Geschichten?
Weil wir damit eine Verbindung zu unserem Gegenüber her-
stellen. Die erzählte Geschichte wird durch die Fantasie des
Zuhörers auch zu seiner eigenen, es ist also ein sehr persön-
licher Vorgang.
Fü
nf
Fra
ge
n a
n …
„Meinen Kindern erzähle ich oft, wie ich nach einem Verwandten- besuch in der DDR einen Wellen- sittich in der Provianttasche über die Grenze ge-schmuggelt habe.“
Fünf Fragen an …
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Küchenm
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Die
Familie
der
Verlorenen
(Bronn)
von Helmut
Krausser
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Bronn hatte keine Lust, sich zu erschießen, wusste spontan aber auch nichts Bes-
seres mit sich und dem Nachmittag anzufangen. Als ob eine Pflicht erfüllt sein
müsste, selbst noch das Merkwürdigste an- und weiterzudenken, dachte er kurz
darüber nach, während er die Pistole betrachtete, die er im Offizierskoffer seines
Vaters auf dem Dachboden gefunden hatte. Das lag nun schon etliche Jahre zu-
rück, und oft seither hatte er die Waffe ausprobieren wollen; jedes Mal hatte ihn
eine kindlich zu nennende Scheu daran gehindert. Seine Furcht galt nicht der
Waffe an sich. Er konnte Pistolen und Revolvern viel abgewinnen, registrierte
sogar eine fast erotische Affinität zu deren Mechaniken, insbesondere zu den
Klicklauten, die solche Mechaniken hervorrufen. Eher fürchtete Bronn sich davor,
etwas, das so eindeutig mit seinem Vater verbunden war, in die Hand zu nehmen,
also sah er die Waffe nur an, stundenlang an, als könne sie durch präzise Betrach-
tung von der Aura des Vorbesitzers gereinigt werden.
Mein Vater, der Gedanke war ihm in der gestrigen Nacht zum ersten Mal
gekommen, hat mir diese Pistole nicht ohne Absicht hinterlassen, ganz sicher
nicht, nein, ihn trieb die Hoffnung, dass ich sie brauchen könnte und irgendwann
gebrauchen würde. Er wollte, dachte Bronn, gleichermaßen von der Willkür sei-
nes Gedankengangs wie von dessen drastischer Logik erschrocken, dass ich mir
ihre Mündung an den Kopf halte und mit einem Projektil, seinem Projektil, sei-
nem letzten und unvollendeten Projekt, einen Schlussstrich durch mein Gehirn
ziehe. Der wohl niederträchtigste Versuch, doch noch einmal, nach so langer Zeit,
Besitz von mir zu ergreifen. Es würde seine späte, raffiniert konstruierte Rache
dafür sein, dass ich ihm fünfzehn Jahre lang entkommen konnte. Er soll meinen
Namen auf dem Sterbebett gerufen haben. Seine Frau, sein dressierter Gebär-
kanal, meine Erlebnisrutsche ins Leben, hätte mir die Information auch vorent-
halten, sprich: ersparen können.
Bronn hatte kein Schuldgefühl gehabt. Erst jetzt, mit dem zeitlichen Ab-
stand eines halben Jahrzehnts, stellte sich etwas, wenn auch nur sehr entfernt,
Ähnliches ein. Sentimentale Selbstrelativierungen, die eine Midlife-Crisis oft be-
gleiten, eine Art vorausgreifende Aussöhnung mit dem Kosmos, hin zur allumfas-
senden Vergebung. Urbi et Orbi. Requiescant in pace. Wenn er darüber nachdach-
te, bekam die Angelegenheit schnell etwas Zotig-Lächerliches. So vieles zu
verzeihen, dafür ist jeder Mensch zu klein. Das Ende des Zorns ist das Ende des
Lebens. Jeder vergibt sich selbst, und damit gut.
Warum rief mein Vater meinen Namen auf dem Sterbebett? Er wusste
doch, dass ich nicht kommen würde. Aber seine Gattin sollte die Anklage proto-
kollieren und an mich weiterreichen.
So der Plan. Das ist nicht eben versöhnlich gedacht für einen ver-
röchelnden Vater. Ich hätte in die Klinik fahren und ihn mit einem Schuss
aus dieser seiner Waffe abknallen sollen. Das wäre überraschend und logisch
gewesen. Stil- und würdevoll. Etwas pathetisch, aber mit Verve. Womöglich hätte
er es sogar begrüßt. Als aufgebauschte Form von Anteilnahme.
Wie anders sähen die Biografien vieler Menschen aus, ohne all die Hemm-
schwellen, die aus dem bloßen Wissen von der Existenz der Gefängnisse entste-
hen. Dabei sind Gefängnisse so banal. Wir leben zivilisiert, wir leben in Angst.
Leben banal. Dauernd hemmen uns Ängste vor einer verfrühten Vollendung. Vor
irgendeiner verfrühten Vollendung, als gäbe es jene eine, die zur rechten Zeit zu
uns käme – und richtiger wäre. Wir zögern hinaus, mit allen Mitteln, das Einzige,
was an uns nicht banal ist: aufhören zu können mit dem Sein.
Endlich nahm Bronn die Pistole in die Hand. Sie fühlte sich nicht an wie etwas
Böses, war ein willig handzahmes Ding, das fortan dem gehörte, der es nahm
und benutzte. Zweckgebundene Materie. Eine Nutte von Ding. Sein Vater
schrie und starb in diesem Moment ein zweites Mal, auf weit höherer Ebene.
Bronn wollte feiern. Gern ging er nachmittags durch die luxussanierte Markt-
halle am Marheinekeplatz, betrachtete ein Boule-Spiel oder aß ein Hühnerbein.
Viele schreckliche Mensch-Komparsen saßen auf den Bänken und tranken Bier.
37Die Familie
der Verlorenen (Bronn)
Waffe
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Neben dem Spielplatz verkauften Trödler knallbunte Tücher, Strohhüte, Gürtel,
altes Geschirr und sonstigen Plunder, auch gestohlene, zerlegte und neu zusam-
mengesetzte Fahrräder. Bei einer Gelegenheit wie dieser hatte er Elisabeth zwi-
schen den Ständen erblickt, das war nun auch schon wieder fast vier Jahre her.
Sie war aus den Himmeln gekommen, saß da, in einem cremefarbenen Kleid, mit
baumelnden Beinen, das Kinn auf ihren rechten Handrücken gestützt. Bronn sah
nicht irgendein Mädchen, er sah Elisabeth. Denn das war der Name, den er dem
Wesen gegeben hatte, lange, bevor er es zum ersten Mal zu Gesicht bekam.
Für Mitte Oktober war es recht warm. Ein klarer, sonniger Tag ging zu Ende.
Bronn mochte die Stunde, sehr früh am Abend, wenn es noch nicht ganz dunkel
ist, wenn der Flüsterteer schimmert und die Stimmung auf den urbanen Alleen
etwas Traumhaft-Jenseitiges gewinnt. Stunde, da die Farbpracht der Bäume
letztmals ins Bewusstsein tritt, bevor sie in die Nacht hinein versickert. Wenige
Farben konkurrieren: ein tiefes, selbstbewusstes Mittelblau, ein zart verwasche-
nes Rosa, und, weit hinten, der untergehenden Sonne entgegen, Flecken von
kränklichem Schwefelgelb. Herbstluft zeichnet Konturen schärfer und härter ge-
gen den Himmel. Zum Aufflackern der Straßenlaternen fehlen nur Sekunden,
während das letzte Licht am Horizont sich zwischen Tag und Nacht noch immer
nicht entscheiden will.
Bronn betrat, melancholisch bewegt, seine Fünfzimmerwohnung, ließ in
der Küche die Jalousien herab, floh vor der Jahreszeit unter ein Zelt aus dimm-
fähigen Lichtquellen. Er suchte sich von der Schwere seiner Gedanken, die an
Herbstabenden fast ausschließlich der Vergänglichkeit galten, der eigenen beson-
ders, abzulenken, blätterte mit der Fernbedienung im Teletext nach neuen Schlag-
zeilen und kochte, um einer Erkältung vorzubeugen, Hühnersuppe in einem ver-
krusteten, täglich benutzten Topf. Den regelmäßig zu reinigen, hielt er nicht für
nötig; die Flüssigkeit, auf hundert Grad erhitzt, müsste alle darin enthaltenen
Keime, dachte Bronn, abtöten. Danach legte er sich kurz zu Elisabeth und als er
gekommen war, nahm er ein Bad.
Seine oft bis übers Nagelbett hinaus abgebissenen Fingernägel spielten mit
dem Schaum, ließen schillernde Blasen platzen, und dass dabei kein Knall ertön-
te, wertete Bronn als Unvermögen seiner seit Tausenden von Jahren schamlos
verkümmerten Ohren.
Alles Unvollkommene muss sterben.
Er rasierte seine Hoden und Achselhöhlen, betrachtete sich im Spiegel.
Mein Antaios, dachte Bronn, ist schön, einer der schönsten, ich kann stolz auf ihn
sein, sogar Elisabeth empfindet ihn inzwischen, und ihr fehlt doch jeder Vergleich,
als angenehm und wohlgestalt. Bronn griff nach einem Handtuch, entstieg der
Wanne, stolz auf die kleine Pfütze, die sich um seine Füße in den Teppich grub.
Jetzt und hier ist alles da, eins zu eins, noch fern aller Legenden, ist wahr und am
Leben, ist echt, bis hin zur verschrumpelten Haut der aufgeweichten Zehen.
Bronn war begeistert. Ach, flöge nur ein großer Vogel von mir fort, aus mei-
ner Stirn heraus, mit allem, was ich denke, in ein geschütztes Nest, ein Reservat.
Er zog sich an, sehr langsam, verlieh sich jedes Kleidungsstück wie einen
Orden. Seine Gesten schienen selbst ihm bald kapriziös, übertrieben bewusst.
Über den Besitz einer gut gefertigten Socke ehrliche Freude empfinden zu kön-
nen – wann war das zuletzt möglich? Dazu benötigt es Kriege, dachte Bronn.
Verlorene Kriege. Ehrgeizige Völker müssen um verlorene Kriege dankbar sein,
nur in ihnen erfinden sie sich von Grund auf neu.
Kurz vor einundzwanzig Uhr flanierte er in einem beigefarbenen Leinen-
anzug zur nächstgelegenen U-Bahn-Station. Das Transportmittel widerstrebte
ihm; zu viel Tuchfühlung mit Gesindel wurde riskiert. Regelmäßiges Taxifahren
konnte er sich nicht leisten, er war kein vermögender Mensch, ging keiner Arbeit
nach. Was er an Ererbtem besaß, würde ihm, sparsam eingeteilt, noch etwa sie-
ben Jahre lang ein Auskommen sichern. Dann, an seinem fünfzigsten Geburts-
tag, wollte er Selbstmord begehen, hatte sich dazu bereits die nötigen Narkotika
Auff
lackern
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Plo
ppgeräusche
39Die Familie
der Verlorenen (Bronn)
besorgt. Sie konnten bis dahin an Wirkung eingebüßt haben, gewiss. Sah man es
so, war ihr Kauf voreilig gewesen. Doch besser, beruhigender ist es, sagte sich
Bronn, dergleichen im Haus zu haben. Sieben Jahre noch existieren. Und manch-
mal so leben, wie es mir zusteht.
Niemandem steht irgendetwas zu auf dieser Welt, dachte Bronn. Aber al-
les steht offen und bereit für den, der sich davon zu nehmen wagt. Er begriff sich
als einen Mann der Tat. Wo andere viele Worte machten, um mit ihrem Leben
ins Reine zu kommen, bevorzugte Bronn, und es kam ihm selbst oft kindisch
aufbegehrend vor, die Tat, gleichermaßen als Mutprobe und definitive Stellung-
nahme, als letztmöglichen Ausweg aus der grassierenden Unverbindlichkeit. Be-
denken will ich, was ich tu – der Satz des Feuergottes Loge, aus dem letzten Bild
der Oper Rheingold, wurde für Bronn oft zum lose gemurmelten Mantra. Ging
über in Tun will ich dann, was ich bedacht hab.
Lüge ist, wenn mein Denken sich vom Körper zu weit entfernt. Wir müssen
dieser an Äußerlichkeiten festgezurrten Welt mit unseren Körpern begegnen, nicht
mit unserem Denken. Wie lächerlich sind Sandkörner, die sich in einem Getriebe
einnisten, um fortan knirschend, wichtigtuerisch an Stimme zu gewinnen. Sie er-
zählen das ewige Lied doch nur – er machte Pause und suchte nach Worten – mit
der gequälten Stimme der Maschine.
All diese Sätze sprach Bronn flüsternd in sein Diktafon. Er schrieb sie
selten auf.
Wir, die Familie der Verlorenen, sind Körper, die Geschichten zerstören,
um neue zu erfinden.
Bronn bemerkte, dass einige der Menschen im Abteil ihn, während er
sprach, anstarrten, wozu sie keinerlei Recht besaßen. Doch wussten sie davon
nichts, und man musste ihnen verzeihen. Öffentlichkeit zwingt zu Kompromissen.
An der Haltestelle Kleistpark verließ Bronn den Zug, hetzte zur Rolltrep-
pe, angeekelt von Blicken, deren Interesse offenkundig, oder nur wenig verstellt,
seiner Vernichtung galt.
Von der frischen kühlen Luft beruhigt, ging er hundertachtundsechzig
Schritte nach Norden, zu einem Etablissement in der Goebenstraße, ein, wie er
selbst fand, widerlich versiffter Schuppen, der im Parterre DVDs, Dildos und
Pornohefte verkaufte und im ersten Stock ein Pornokino und Videokabinen be-
trieb. Jener Bereich wurde von Kameras nur teilweise überwacht, wie sich Bronn
bei vorherigen Besuchen vergewissert hatte. Der Eingang zum Kino bildete, in
diesem Sinne, eine Gefahrenzone. Da musste man durch, was aber kein großes
Risiko war, es gab keine Aufzeichnungen.
Ein wovon auch immer klebriger Boden entlockte den Sohlen seiner Turn-
schuhe bei jedem Schritt ekelhafte Ploppgeräusche. Der überheizte Raum mit
den neun Videokabinen schien menschenleer. Bronn fühlte sich zu seiner Schan-
de mehr erleichtert als enttäuscht. Auch seine Lust hielt sich in Grenzen. Eine
angelehnte Tür schwang auf.
Der junge Mann mit den kurzen weißblonden Haaren sah Bronn freundlich
lächelnd an. Ein hagerer Mensch, kaum zwanzig Jahre alt, in Jeans und gelbem
Polohemd. Sein Gesicht war einigermaßen hübsch, doch wenig interessant, es hat-
te noch einen weiten Weg vor sich. Smutjegesicht. Eine bleiche, der Akne längst
noch nicht entwöhnte Küchenmatrosenfresse. Bronn hob die rechte Hand zum
Gruß. Der junge Mann blinzelte ihm zu, und sein lasziver Griff in den eigenen
Schritt, verbunden mit einem auffordernd eindeutigen Grinsen, erregte Bronn. Er
tat ein paar Schritte auf den Jungen zu, lächelte, betrat die Kabine, schloss hinter
sich ab, öffnete Gürtel und Reißverschluss seiner Hose, schob sie mitsamt dem
Slip bis zu den Knien hinab. Bronn fühlte sich verehrt und sehr korrekt behandelt,
streichelte die Ohren seines Wohltäters mit beiden Zeigefingerspitzen und warte-
te, bis seine Erektion sich verfestigt hatte. Der blonde junge Mensch war unerfah-
ren, wenngleich er sich Mühe gab, mit den Zähnen die Haut nicht zu berühren.
Bronn stieß ihm sein Glied heftig in den Rachen, der Blondjunge schnaubte, seine
Nase klang verstopft und verursachte ein unangenehm rasselndes Geräusch.
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Tuchfühlu
ng
Das Projektil, das in sein rechtes Ohr eindrang, verließ sein zerwühltes Gehirn
durchs linke und blieb in der Wand stecken. Als sei es ein Gedanke gewesen, dem
man nur mit halber Aufmerksamkeit zugehört hatte. Der Schalldämpfer ist zwei-
fellos eine der zärtlichsten Erfindungen der Menschheit. Dachte Bronn, der große
Erregung daraus zog, dass die Kugel sich nur Zentimeter über seiner Eichel durch
die gallertartige Masse fremder Gedanken hindurchgebohrt hatte.
Der helle Anzug war eine zu kühne bis absurde Farbwahl gewesen, das
gestand er sich jetzt. Mit einem Taschenmesser pulte Bronn das kaum verformte
Projektil aus der Plastikwand. Roch daran. Steckte es in die Innentasche seines
Jacketts. Danach schob er den toten Körper mit Fußtritten unter den Sitz. Bronn
öffnete die Tür der Videokabine einen Spalt, sah sich um. Schnell glitt er zur Tür
hinaus und schloss sie von außen, hielt sich eine Hand vors Gesicht, als er den
Eingangsbereich zum Kino durchschreiten musste, ging, froh um die kühle
Abendluft, gemächlichen Schrittes die Potsdamer Straße entlang, fühlte sich de-
rangiert, wegen der wichtigtuerischen Blutspritzer auf seiner Hose. Er stoppte,
ausnahmsweise, ein Taxi, nahm im Rückraum Platz. Der Fahrer würde sicher
nichts bemerken. Agone? Hoc age! Um mit den römischen Priestern zu reden.
Tun, was bedacht ist.
Bronns Glied, der Begriff Antaios, den er selbst dafür gebrauchte, enthielt
eine Spur von Ironie, blieb während der Heimfahrt ständig steif. Er freute sich
sehr darauf, vor dem Fortdämmern noch einmal zu Elisabeth kriechen zu können.
Sieben große Jahre liegen vor mir, dachte er. Bevor die Welt von mir Abschied
nehmen muss. Eine Träne rollte ihm die Wange hinab. So glücklich, dachte Bronn,
bin ich schon lang nicht mehr gewesen.
Die Hoffnung, rechtzeitig vor meinem Tod unglücklich und depressiv zu
werden, gar vielleicht gerne zu sterben, scheint entmutigend unrealistisch. Ich
will aber auch nicht feig sein oder bequemlich. Nein.
Zu viel von allem ist zu viel. Marienkäfer sind niedlich. Millionen von Ma-
rienkäfern sind eklig. Es gibt Milliarden von Menschen. Zu Hause fand er Elisa-
beth schlafend vor. Nicht vom hellsten Licht erwachte sie auch nicht, als er ihren
Rücken mit Küssen liebkoste. Er legte sich neben das Mädchen, atmete ruhig und
bewusst, ließ sie in Ruhe und schlief ein. Bald würde er sie aus seinem Leben
entfernen müssen – und es brach ihm das Herz.
Helmut Krausser ist Autor von
Romanen, Gedichten und Bühnen-
stücken. Seine Romane Der große
Bagarozy und Fette Welt wurden
verfilmt. Im Wintersemester
2007/08 hatte er die Poetikprofes-
sur der Ludwig-Maximilians-Uni-
versität München inne. Zuletzt
erschien der Roman Die letzten
schönen Tage im Dumont Buchver-
lag. Der Autor lebt bei Berlin.
40Die Familie
der Verlorenen (Bronn)
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Juha Uusitalo Wotan — Die WalküreDer Wanderer — Siegfried
Fü
nf
Fra
ge
n a
n …
„Lustigerweise war meine Lieblings-figur früher die Zeichentrickfigur Donald Duck!Ich konnte es immer gar nicht erwarten, bis die Comics endlich in der Post waren.“
Welchen Faden aus Richard Wagners Erzählung des Nibe-
lungen-Mythos verfolgen Sie am liebsten?
Mich berührt der Faden von Wotans persönlichem Weg am
meisten, und wie der Ring seine Einstellung über die drei
Opern, in denen er auftaucht, verändert. In Wagners einzig-
artiger Komposition ist dies natürlich auch musikalisch in
die Figur hineingewoben, etwa in Wotans Monolog, den er an
Brünnhilde richtet. Natürlich mag ich auch die Rolle des
Wanderers sehr gern, sowohl musikalisch als auch als Figur
(vielleicht weil ich sie öfter gesungen habe).
Wer hat Ihnen an welchen Orten Geschichten erzählt?
Meine Mutter und mein Vater haben mir Geschichten er-
zählt, als ich noch klein war, aber auch meine älteren Brü-
der (acht und sechs Jahre älter als ich), denen ich vollkom-
men ergeben war.
Welche Geschichte hörten Sie in Ihrer Kindheit am liebsten?
Lustigerweise war meine Lieblingsfigur früher die Zeichen-
trickfigur Donald Duck! Ich konnte es gar nicht erwarten,
bis es endlich Dienstag oder Mittwoch war und die Comics
in der Post waren.
Wem erzählen Sie welche Geschichte gerne immer wieder?
Ich habe früher meinen eigenen Kindern alle möglichen
Geschichten erzählt – irgendetwas, damit sie einschliefen!
Am liebsten waren mir die Geschichten des finnischen
Autors Mauri Kunnas, vor allem seine Herra Hakkaraisen-
Geschichten [auf Deutsch Herr Schnorchelmütz, d. Red.],
und davon ganz besonders die, in der er schlafwandelt.
Warum, glauben Sie, erzählen wir uns Geschichten?
Wissen Sie, was wirklich sehr wichtig ist für Kinder, ist der
Klang der Stimmen ihrer Eltern. Ich erinnere mich tatsäch-
lich, dass ich es als Kind so beruhigend fand, sie zu hören,
und gleichzeitig war es auch eine großartige Erfahrung, eine
Geschichte von ihnen erzählt zu bekommen.
Fünf Fragen an …
Übersetzung Maria März
42-43_FRAGEBOGEN_2_3_UUSITALO_STEMME_korr_mxm_frei.indd 42 09.01.12 20:10
Nina Stemme Brünnhilde —Götterdämmerung
Fünf Fragen an … 43
„Meine Großmutterhat uns Schwesterngefragt, worum esin der Geschichtegehen soll, und dann wir sind in den Pausen eingesprungen und haben – nach unserer Meinung – die Geschichtebesser gemacht!“
Welchen Faden aus Wagners Erzählung des
Nibelungen-Mythos verfolgen Sie am liebsten?
Ich glaube, es gibt einen Grund jenseits der stimmlichen He-
rausforderung, der mich von Sieglinde zu den Brünnhilden
hat wechseln lassen … Obwohl ich die Wesenszüge der Sieg-
linde liebe – das Erwachen einer Frau, ihr Wachsen und, spä- Fü
nf
Fra
ge
n a
n …
ter, ihr Sterben für ein höheres Ziel –, ist dies kein Vergleich
zur Entwicklung der Brünnhilde! Die Geschichte einer Göt-
tin zu erzählen, die von ihrem Vater zur Menschlichkeit ver-
dammt wurde und damit zu allem, was das bedeutet, Bezie-
hungen, Liebe, Schwüre und Täuschungen, und die am Ende
schließlich ihr Leben opfert in der Hoffnung auf eine bessere
Welt – das ist schon etwas Besonderes.
Wer hat Ihnen an welchen Orten
Geschichten erzählt?
Meine Großmutter hat meinen Schwestern und mir Ge-
schichten erzählt, wenn sie uns zu Hause in Stockholm be-
sucht hat. Sie hat uns gefragt, worum es in der Geschichte
gehen soll, und hat dann mit dem Erzählen angefangen …
und wir Mädchen sind in den Pausen eingesprungen und ha-
ben – nach unserer Meinung – die Geschichte besser ge-
macht! Und so wurde es dann oft eine Geschichte aus dem
täglichen Leben, in der meine Schwestern und ich vorka-
men.
Welche Geschichte hörten Sie in Ihrer
Kindheit am liebsten?
Ich war, und bin immer noch, sehr bewegt von Astrid Lind-
grens Bröderna Lejonhjärta (Die Brüder Löwenherz). Davor
habe ich gern manche der volkstümlichen Erzählungen aus
Schweden gehört …
Wem erzählen Sie welche Geschichte gerne
immer wieder?
Ich erzähle jedes Mal Geschichten, wenn ich auf die Bühne
gehe und eine Oper singe, ein Lied oder sogar ein konzertan-
tes Stück. Das reicht mir ...
Warum, glauben Sie, erzählen wir uns Geschichten?
Um unterschiedliche Facetten des Lebens mitzuteilen. Um
die Vergangenheit mit der Zukunft zu verbinden. Und natür-
lich auch, um Moral, Ethik und Vernunft auf eine symboli-
sche oder universellere Weise zu vermitteln.
Übersetzung Maria März
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44-47_SIMPSON_mxm_frei.indd 44 09.01.12 20:11 44-47_SIMPSON_mxm_frei.indd 45 09.01.12 20:11
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Die Pause nach dem Dritten Aktund kein Ende
von
Christine Pitzke
Ob es sein könne, fragte sie, dass es nicht Vermittlung brauche zwischen den
Menschen und ihrem Göttlichen, sondern Vermittlung zwischen dem Wortlosen
und dem Wort? Er nickte nur. Sie wollten kleine Dinge sagen und tun und hiel-
ten sich an die Silben. Ob es sein könne, fragte sie, dass sie den Dingen unrecht
getan hätten, sie seien ja nicht so abgehärmt oder todverfallen oder ausgeliefert
wie die Menschen meinten, oder verstoßen oder in Eigenschaften gefangen, son-
dern jedes eine unbewohnte Insel, und sie stürzten die Menschen in ihre Frei-
heit, jedes gab Kleider und neues Unbehaustsein, Sammelstelle von weiteren
Elementen. Das Grün gab von seinem schwachen Grün, die Kalkfelsen von ih-
rem Weiß, Bilder, die in den geschlossenen Augen noch eine Weile stehen blie-
ben, manchmal im Kontrast. Jetzt wuchs die bewohnbare Erde wieder an, eine
strenge und von einem rauen Wind durchwehte Hochfläche, und dieser Wind
machte den Festkörper leicht. Unruhe, und es war auch in der Unruhe ein Wohn-
sitz zu finden für kurz. Dann brach etwas über Elaine herein, und sie zog dafür
ihr weißes Kleid aus und war eingeordnet in diese Sekundenwelt eine Sekunde
lang und verlor sich und wurde wiederhergestellt, und da war jetzt Ernst und
eine klare Sonne und weit draußen ein Wolkenvorrat. Und wie sie zueinander-
standen und wie sie sich ineinanderschlossen und offen wurden davon, so offen.
Sie kochten Tee mit ihrer blauen Campingkartusche, sie setzten den Topf
auf die Gasflamme, das Wasser perlte lange bevor es siedete, sie warfen Teeblät-
ter in das perlende Wasser, sie aßen Aniskekse zum Tee, es gab kein Ornament,
es gab nur die nackten Dinge, die Schlüssel waren von der Sonne heiß, der
Schlüssel für das ferne Haus, für das Hotelzimmer und der für das Auto hier,
und die Geräte waren noch lange nach dem Teekochen heiß. Sie blieben bis in
die Nacht, das Licht hatte die weißen Felsen mit neuer Unmöglichkeit bemalt
und flüsterte etwas erträglich Einsames in ihr Leben hinein, und vor allem flüs-
terte es: weitermachen. Sie machten kleine Dinge, sie lagen nackt auf der nack-48
48-51_ERZAEHLUNG_PITZKE_korr_mxm_frei.indd 48 09.01.12 20:11
ir sind nur musikalisch“, gab der Beifahrer zur Antwort, als jemand
gegen die Scheibe klopfte, und dann sagte auch Elaine, die sich zum
Fenster hinüberbeugte: „Das müssen Sie schon verstehen.“ Das
Auto war rubinrot und hatte ein weißes Dach, Elaine schloss das Schiebedach,
wenn sie ihre Musik hörte, sie machte das nur noch eine Stunde am Tag und fuhr
dorthin, wo sie niemanden zu stören glaubte. Der Wagen aus den 70er Jahren
wackelte im Gewitter nicht und blieb auch beim Fahren in der Spur und hatte
alle technischen Prüfungen bestanden. Was störte? Dass man auch hinten auf
den Sitzen tief in die Polster sank? Sie könnten sich dort sogar in einem Stachel
wiegen und die Gewichte neu verteilen und im Stachel unverwundbar sein.
Wovor hätte Elaine sich fürchten sollen? Manchmal stellte sie ihr Auto
absichtlich in den Regen, und sie blieben darin sitzen zu zweit, sodass ein
Schwall über sie rollte und auf ihnen trommelte und an dem ausgebleichten
Lack herunterlief, und durch den Fensterspalt lief Wasser ins Fahrzeug herein.
Dann streckte sie ihren Arm und ließ das Rinnsal in ihre Achselhöhle laufen, wo
es eine kleine Pfütze bildete. Sie gab davon Raymond, sie gab ihm viel, auch von
dem Geruch des Regens. Er gab ihr viel, auch von der größeren Gischt. Und von
außen gesehen waren die Reifen, auf denen das Auto stand, ganz schmal, und die
Klippe hätte abbrechen und stürzen können, aber noch nicht an diesem Tag. Sie
waren an diese fremde Küste geworfen und erkundeten das Landesinnere, und
Elaine war jetzt in einem Zustand, in dem sie überall Götter vermutete, den
Grashalmgott und den für die Disteln, und auch der Distelgott blieb wie immer
unsichtbar und besonders unsichtbar an den Stellen, wo die Wassertropfen jetzt
an den dornigen, geflügelten Stielen saßen. Sie wusste, es gab Zeigerpflanzen,
aber ob diese hier zu den Zeigerpflanzen gehörten, wusste sie nicht, sie sagten
nur: Schau wie schön. Und es war dafür gesorgt, dass kein Sterblicher zu lange
hier bleiben durfte, deshalb gingen sie weiter. Im Widerschein der Wasserpfüt-
zen zitterten sie, und nicht nur dort, aber auch in diesem Zittern durften sie
nicht lange bleiben und gingen und waren stabil, zwei Festkörper, aufrecht.
W49
Die Pausenach dem
Dritten Akt und kein Ende
48-51_ERZAEHLUNG_PITZKE_korr_mxm_frei.indd 49 09.01.12 20:11
ten Erde, sie steckten ihre Finger in die Grasbüschel, und es war in diesem
Augenblick nicht klar, wer wen festhielt. Elaine streckte sich, und sie streckte
sich so sehr, dass sie das Gefühl hatte, sogar ihre Knochen mitzudehnen. Aber
kein Mensch darf lange in einem solchen Zustand bleiben.
Sie fanden eine Hütte, sie krochen nicht hinein, lehnten sich nur gegen
die Außenwand, sie rochen an dem Holz und an den Rissen, sie fanden ein Stück
weggeworfene Wolle und legten es unter ihre Decke, die Wolle roch nach Erde
und nach Tieren und nach Farblasur. Sie konnten jederzeit zurück, ihren fri-
schen Bademantel aus dem Hotelschrank nehmen, mit dem Lift zur Sauna fah-
ren, sie fielen in einen kurzen Schlaf. Elaine wachte schon nach einer Stunde auf,
sie hielt eine Feder vor Raymonds Nase, um zu sehen, wie er atmete, sie sagte
ein Wort in sein Ohr, um zu sehen, ob er verstand, sie nahm das wilde Grün und
wollte es ihm schenken, sie streifte seinen Ärmel hoch, um den Arm zu fassen.
Die Dunkelheit zeigte ihre Sterne, und das war keine Mangelfläche, im Gegen-
teil. Ein Donner hatte eingesetzt, der aber kein Donner war, sondern ein Auf-
takt und dann ein Gesang, sie konnten fast jedes Wort aus diesem Gewitter
verstehen. Ein paar Zikaden ganz in ihrer Nähe sangen dazwischen, auch andere
nächtliche Tiere, unsichtbar. Es gab hier kein elektrisches Licht, sie hatten nur
ihre Taschenlampe. Elaine leuchtete auf das nächtliche Gewebe, sie sah die Aus-
rufezeichen in den kleinen Dingen, in der Gabelung der Halme, im Steinmoos,
in den Blättern und Gegenblättern und im ausgemergelten Stein. Sie hatten
vom Gewitter den Brennpunkt noch in sich. Elaine konnte nun jeden Satz mit-
buchstabieren, aber darum ging es nicht. „Sie geben schon den Dritten Akt, sie
haben vielleicht erst jetzt die Fenster aufgemacht? Und die jetzt mit der Stimme
spielen und mit dem Körper singen, sie sollen sich zeigen.“ Elaine sprang auf.
Weil sie glaubte, im Stehen deutlicher hören zu können. Sie ging auf und ab, weil
sie glaubte, im Gehen deutlicher hören zu können. Furcht hat feine Ohren, und
die Furchtlosigkeit hat noch feinere Ohren, weil sie auch durchhörig ist wie eine
Membran. Da war ein Straßenschild und eine Halterung, in der es befestigt war,
ein helles, fast klirrendes Geräusch, und durchhörig der Kopf für die Geräusche,
die alle zusammen und jedes für sich: Freude sind. Elaine hatte die aufnehmen-
den und weitergebenden Organe, sie blieb einen Augenblick stehen und war
gezogen, die ganze Person, dorthin.
Es war schön, dass in der Ferne Lichter standen, zu denen sie hinfahren
konnten, und die Lichter fassten Menschen ein. Eine Stunde lang war immer
wieder ein Donner in der Luft gewesen, die Musik, jetzt fuhren sie dorthin, zum
Flutlicht und Scheinwerferlicht und Leuchtstoff. Eintrittskarten hatten sie
nicht, aber es war jetzt die Stunde nach dem Dritten Akt, sie streiften die Rei-
hen entlang. Die Besucher waren geblieben, manche saßen noch auf ihren Stüh-
len und auf den Absperrbalken, und mit ihrem Bleiben wollten sie also sagen:
weitermachen. Die Stühle wurden nicht eingeklappt, die Scheinwerfer nicht ab-
geschaltet, ein Stück Seil lag am Bühnenrand, niemand fasste es an, manche der
Besucher wischten sich die Augen, einer öffnete seinen Kragen und knöpfte das
Hemd auf, aber er sagte nicht, ob die Brustsperre weiter war oder gelöst.
Keine weiteren Spuren, als sei die Vorstellung nicht gewesen und so als
hörte sie nicht auf. Noch immer waren die äußeren Mauern hell und die Bühne
auch, kein Dach außer dem großen. Die Zugangsbewacherinnen kamen und frag-
ten: „Worauf warten Sie?“, aber das konnte niemand sagen. Dass die Stunde
nach der Musik nur die Pause zwischen den Akten sei und kein Ende darin. „Sie
fangen gleich an mit dem Aufhören“, hieß es, aber wer hätte das glauben mögen.
Auch hier gab es den Widerschein in Wasserpfützen und darin eine zweite Büh-
ne. Jetzt still. Und der Stoff war noch ganz unverträumt, hier in seinen Bruchtei-
len. Und die Besucher machten, was man gerne macht, wenn man eine Sehnsucht
hat, sie kauften etwas zu essen und zu trinken und balancierten mit gefüllten
Tellern zwischen den Reihen.
Nur jetzt nicht diese Fülle beleidigen. Und weil sie so leicht waren, durf-
ten sie nicht den Boden verlieren, auch dafür war das Seil hingeworfen, verges-50
48-51_ERZAEHLUNG_PITZKE_korr_mxm_frei.indd 50 09.01.12 20:11
sen und bereitgelegt. Sie tauchten ihre nackten Füße in eine Wasserpfütze. Nie-
mand baute die Bühne ab, aber die Musiker kamen nicht wieder, sie fuhren dann
in einem offenen Jeep ganz nah an Elaine vorbei, sie hatten noch Schweiß auf
der Stirn und nasse Haare, sie wirkten erschöpft wie nach einem langen Lauf,
sie holten tief Luft und wollten also von der Stunde nach dem Auftritt auch
selbst einen Rest einatmen. Der Jeep fuhr sehr langsam, fast aus eigener Kraft.
Nur jetzt nicht die stille Stunde plündern, denn es könnte sein: Das einem un-
beirrbaren Zuspruch sich hingebende Herz gab sich hin. Elaine rannte schnell
davon, sodass sie nicht mehr wusste, ob sie das gesagt hatte oder nur gedacht.
Dann sanken ihr die Kniegelenke ein, sie schlug mit dem Kopf an etwas Hartes.
Jemand legte ihr ein kühles Tuch auf die Stirn und sagte das Wort Ohnmacht,
jemand schaute sie von weit draußen mit erstaunten Augen an. Jemand legte
ihre Beine auf einen Stuhl. Elaine nahm sich zusammen und stand. Sie hatte sich
für einen Augenblick in die Kniekehlen zusammengezogen, hatte ihre Sprung-
kraft gesammelt und stand fest. Zubehör für Idylle und Gerätschaften für Idyl-
le, aber Lücken darin, sonst hätte sie vielleicht sogar erschrecken müssen. Und
dann standen sie in den Stuhlreihen und Rillen, in ihren Umarmungen, in dieser
aufgewühlten Nacht, zusammengedrängt wie ein Stempel, und Menschen hinein-
gesunken, andere hervorgestellt, und morgen würde der Stempel anders sein
und übermorgen auch. Die Bäume waren nicht finster, weil es jetzt keine Fins-
ternis gab. Aufrecht und zugeneigt suchten sie einen Haltepunkt oben, zuge-
spitzt und biegsam, und in alle Richtungen zeigten sie mit ihren Büscheln.
„Ganz klar“, sagte der Taxifahrer, „der Reifen ist zerschnitten.“ Und er
stieß, wie um sich zu vergewissern, mit seinem Fuß gegen den Vorderreifen von
Elaines Wagen, und obwohl sie verärgert war, sogar sehr verärgert, musste sie
über diese Klarheit doch lachen. Sie ließ sich auf den Ledersitz des Taxis fallen,
taumelnd oder geohrfeigt oder beides. Sie öffnete die Lippen, Luft wurde im
Fahren durch das Fenster hereingeschleudert. „Eine Zumutung“, antwortete sie
am nächsten Morgen im Frühstückszimmer auf die Frage, wie es gewesen war,
„zuerst ein Gewitter, dann eine Ohnmacht, dann war an meinem Wagen ein Rei-
fen kaputt. Wunderschöne Zumutung, erlitten und erlebt. Heute Abend geht es
weiter, und Eintrittskarten haben wir auch.“ Dabei tupfte sie sich den Mund und
blickte versonnen zum Fenster hinaus und dann fest in die Augen ihres Gegen-
übers. Sie lachte, und ihre Augen füllten sich mit Tränen, sie war so schwach,
dass sie davon aufrecht stehen konnte. So schwach, dass sie davon kerzengerade
ging. Und es war jetzt eine Sekunde lang ohrenbetäubend leise im Zimmer.
51 Die Pausenach dem
Dritten Akt und kein Ende
Christine Pitzke ist freie Autorin
und lebt in München. Die Germanis-
tin und gelernte Krankenschwester
erhielt für ihr Prosadebüt Versuche,
den Morgen zu beschreiben (2004)
mehrere Auszeichnungen. 2010 er-
schien ihr dritter Roman Der
Sommer, in dem Folgendes geschah.
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Ulrich Reß Mime — Das Rheingold
Fü
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n …
„Meinen Kollegen erzähle ich gerne Geschichten, die ich in der Oper erlebt habe, zum Beispiel bei Siegfried in Florenz. Ich musste als Mime in 14 Metern Höhe auf meinen Auftritt warten. Einmal gab es Feueralarm, und ich musste fast eine halbe Stunde dort ausharren.“
Welchen Faden aus Wagners Erzählung des
Nibelungen-Mythos verfolgen Sie am liebsten?
Durch meine Rollengestaltung des Mime liegt es natürlich
nahe, dass mich dieser Faden am meisten interessiert und
begeistert.
Wer hat Ihnen an welchen Orten
Geschichten erzählt?
Die meisten Geschichten erzählte mir mein Großvater im
Park beim Spazierengehen und Spielen. Er war ein sehr guter
Geschichtenerzähler, denn es versammelten sich viele Kin-
der um ihn und hörten zu.
Welche Geschichte hörten Sie in Ihrer
Kindheit am liebsten?
Das ist schwer zu beantworten, aber eine Geschichte, die
mich begeisterte und mit der ich auch mein erstes richtiges
Theatererlebnis hatte, war Peterchens Mondfahrt.
Wem erzählen Sie welche Geschichte gerne
immer wieder?
Meinen vier Kindern erzähle ich oft Geschichten, die mich
noch heute mit meinem leider viel zu früh verstorbenen Vater
verbinden. Meinen Kollegen erzähle ich gerne Geschichten,
die ich in der Oper erlebt habe, zum Beispiel bei Siegfried in
Florenz. Ich musste zu Beginn der Vorstellung als Mime auf
eine Plattform steigen und in 14 Metern Höhe auf meinen
Auftritt warten. Bei einer Vorstellung gab es Feueralarm, und
ich musste fast eine halbe Stunde in der Höhe ausharren, bis
es endlich beginnen konnte. Obwohl ich schwindelfrei bin,
war das keine leichte Aufgabe.
Warum, glauben Sie, erzählen wir uns Geschichten?
Ich glaube, dass es eine gute Möglichkeit ist, unseren Kin-
dern, Freunden und Kollegen von unseren positiven und
negativen Erlebnissen zu berichten. Je nachdem, was man
erlebt hat, kann jeder die Geschichte nach seiner Lust und
seinem Talent gestalten.
Fünf Fragen an …
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53Blindtext
Catherine Naglestad Brünnhilde — Siegfried
Fü
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Fra
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Fü
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Fra
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n a
n …
„Die Geschichten, die mir immer und immer wieder erzählt worden sind, sind heute ein Teil von mir. Wenn ich sie nur gelesen oder nur einmal gehört hätte, hätte ich sie vielleicht interes-sant gefunden, aber sie wären nicht Teil meiner jetzigen Identität.“
Welchen Faden aus Wagners Erzählung des
Nibelungen-Mythos verfolgen Sie am liebsten?
Wagner webt ein verworrenes Netz aus all seinen Fäden – mir
gefällt es aber, darin die Parallelen, oder Verbindungen, zu
Mythen und Legenden aus anderen Kulturen und Zeiten zu
entdecken.
Wer hat Ihnen an welchen Orten
Geschichten erzählt?
Wie bei vielen Kindern hat meine Mutter mir abends vor dem
Einschlafen Geschichten erzählt. Ich habe auch gern zuge-
hört, wenn sie Familiengeschichten erzählt hat. Die Geschich-
ten, die mir immer und immer wieder erzählt worden sind, sind
heute ein Teil von mir. Wenn ich sie nur gelesen oder nur ein-
mal gehört hätte, hätte ich sie vielleicht interessant gefunden,
aber sie wären nicht Teil meiner jetzigen Identität.
Welche Geschichte hörten Sie in Ihrer
Kindheit am liebsten?
Meine liebsten Kindergeschichten sind:
The Chronicles of Narnia (C. S. Lewis)
Little Women (Louisa May Alcott)
The Secret Garden (Frances Hodgson Burnett)
Wem erzählen Sie welche Geschichte gerne
immer wieder?
Ich habe die Geschichten gern, die ich beim Singen „erzäh-
le”. Was gesprochene Geschichten angeht, ziehe ich das Zu-
hören vor.
Warum, glauben Sie, erzählen wir uns Geschichten?
Geschichten, Mythen und Legenden sind eine essenzielle
Hilfe dabei, zu definieren, wer wir sind, woher wir kommen,
und auch dabei, die universellen Wahrheiten zu finden, die
uns mit uns selbst verbinden, mit einander, mit Träumen und
mit dem Göttlichen. Mythen hat man in unserer Gesellschaft
abgewertet als etwas von der Wahrheit Separates. Ich glau-
be, dass mythische Wahrheiten im Grunde die Geschichte
hinter der Geschichte sind. Warum sonst existieren sie in je-
der uns bekannten Kultur?
Fünf Fragen an … 53
Übersetzung Maria März
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utz sah zu seinem Vater auf. Gernot war die Größe selbst. In der Wohnung, die sie
von den Schwiegereltern hatten, musste dieser starke Mann sich ständig ducken, um nicht an-zustoßen. Dabei war sie sehr geräumig. Doch er sprengte sie beinahe, so gewaltig trat er auf. Eigentlich glitt er dahin, so geschmeidig war sein Gang. Seine Schuhe fertigte man eigens für ihn an; im Handel fand man keine, die ihm passten. Als Kollege stieg man für gewöhn-lich in die Kluft des Vorgängers. Als er anfing, gab man ihm von vornherein die größte. Da krachten die Nähte, der Ausschnitt riss ein. Die Schneiderin kam und zitterte überm Ge-mächt, das auch viel zu groß war. Sie half ihm heraus. Er war ein Mann der Frauen. Und er war ein lustiges Haus, das ständig seine Witze riss. In der Runde bog man sich, wenn er die Kollegen parodierte. Zu ihrem Gaudium ließ er die Muskeln spielen. Die Brust konnte im Rhythmus eines Lieds, das sie erraten muss-ten, zucken. Er war der Schönste unter ihnen. Sie zogen ihn zwar damit auf, aber er stach sie aus. Im Polizeikalender, der sie alle halbnackt zeigte, war ihm der Dezember vorbehalten. Er war stolz auf sich, den Körper. Zuhaus warf er sich einen treuen Blick zu, wenn er durch den Flur ging, wo der Kleiderspiegel hing. Auf der Straße stutzte man, wenn man ihm begegnete. Er war ergreifend schön.
Mädi
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von Händl Klaus
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57ein Sohn, fünf Jahre alt, war zart, ein Mäd-chen fast, mit bleicher Haut und dünnem
Haar. Er piepste, wenn er sprach. Gernot lachte fast. Die Wut war doch zu groß. Das Kind war ihm zu schwach, ein Ärgernis, das er, wo es nur ging, schroff in seine Schranken wies. Ihm schwante, dass ein Unglück seinen Lauf nahm. Heimlich liebte Lutz den unge-rechten Vater, der ihn nicht verstand. Er war gebannt von Vaters weichem Mund. Er sah darin ein heimliches Versprechen. Der Vater wusste selbst nicht, was er stumm versprach, doch mit den Jahren käme es gewiss zu Zärt-lichkeiten für den großen Sohn, der dann ein Professor wäre, reich genug, den Vater zu be-schämen. Heute stand Lutz flennend da, weil er Fußball spielen sollte mit den groben Bu-ben aus der Nachbarschaft. Er wollte nicht. Er hatte Angst vor ihren Tritten. Heulend stand er vor dem fassungslosen Vater. Die Mutter nahm das Kind in Schutz. „Unser Lutz singt doch so schön.“ Gernot schwieg fassungslos. Lutz spürte, dass er ihn verlor. Um ihn zu er-freuen, um ihn für sich einzunehmen, bat er seine Eltern nach dem Abendessen feierlich ins Wohnzimmer: „Zur Sportveranstaltung!“ Die Mutter lächelte bereits. „Applaus!“, erbat das Kind. Gernot runzelte die Stirn. Die Mut-ter klatschte stürmisch in die Hände. Lutz trug die lange Unterhose für den Winter. Sie kam ihm athletisch vor. Mitten auf dem Tep-pich baute er sich auf. Er blickte seinen Vater zitternd an, verneigte sich, ging in die Hocke, zog die Arme an und ließ sich ängstlich nach und nach hintüber plumpsen. Mit den dünnen Beinchen ruderte er in der Luft. Er wollte eine Rolle rückwärts zeigen, doch es fehlte ihm an Schwung; so blieb er auf dem Rücken liegen,
S
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stemmte seine Hände in die Hüften, drückte das Becken in die Höhe und streckte halb die Beine: eine wackelige Kerze. Er stand auf. „Kerze!“, rief er schüchtern und verbeugte sich erneut. Die Mutter applaudierte. Der Va-ter verschränkte die Arme. Er schaute böse drein. Unverdrossen trippelte das Kind auf seiner weichen Bühne feierlich umher. Das Getrippel zeigte es als Kunst. Schließlich stand es schnaufend still und verneigte sich noch einmal. Wieder klatschte seine Mutter eifrig. Gernot schwieg. „Es war für dich, mein lieber Vater, als ein Gruß gedacht“, rief weich das Kind, „von deinem Sohn.“ Er verbeugte sich so tief, dass er das Gleichgewicht verlor und umfiel. „Sohn“, stieß Gernot aus. Das Kind stand wieder auf. Der Vater sprach sein Urteil eisig aus. „Mich hast du verloren, wei-bischer Bub. Es ist zum Schämen. Ein Mäd-chen bist du.“ Dem Kind wurde schwarz, es sank auf den Teppich. Die Mutter warf sich schluchzend darüber. „Du wolltest ein Mäd-chen, da hast du dein Mädchen!“, schrie Ger-not. „Dein Sohn ist ein Weib.“ Sie nickte, denn er hatte recht. Gernot brauchte eine Hure, um sich zu beruhigen. Die Mutter blieb mit Lutz allein. Sie schliefen wimmernd ein. Es gab kein Halten mehr. Der Vater sprach es offen aus, als er Lutz zum Schwimmkurs brachte: „Mädi!“ Vor den andern Kindern hielt er eine kleine Rede. „Geht mir mit dem Mädi sorgsam um!“ Auch die Eltern warn-te er: „Das Mädi ist empfindlich! Hört nur, wie verzagt es spricht. Gleich bricht es uns in Tränen aus, das weinerliche Ding.“ Die Nach-barn nickten mitleidig, Frau Kölbl strich dem Buben durch das dünne Haar. Lutz wurde dunkelrot vor Scham. Er war kein Bub, sie
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59sahen es. Es würgte den Buben. Er verging. Sein Leben hieß Mädi. Man äffte ihn nach, man piepste wie er. „Mädi, komm her. Braves Mädchen!“ Auch die Mutter gab klein bei. Es sei nicht schlimm, es sei doch schön, als Mäd-chen durch die Welt zu gehn, ermunterte ihn seine Lehrerin, als sie ihn einschulte. Er war ein Bub, zwar wehleidig, und ängstlich ging er durch sein zartes Leben, vorsichtig, ein Mäd-chen, das sich fürchtete. Er hatte dazu keinen Grund. Das Leben meinte es ja gut.
Den Vater traf es hart. Ein Husten schoss ihm ins Kraut. Schon lag er sterbens-
krank. Binnen zweier Wochen war aus dem großen Gernot ein hässlicher Alter gewor-den, hohlwangig und scharfkantig, eingefal-len insgesamt. Das Fleisch verschwand, die Haut hing schlaff und leichengrau von sei-nen Knochen, leere Säcke. Sein Gesicht war wie verkohlt, von schwarzen Flecken, die auf dem hinfälligen Gewebe schmerzlos spros-sen, gänzlich überwuchert. Diesen Schrecken verschwiegen sie ihm. Wer ihn sah, musste ihn für das Opfer eines Brandes halten; man stockte und belog ihn fromm: Noch immer sei er doch der schöne Mann, und nach wie vor sehe man berückt ihn an. Die Kollegen schluckten leer. Wer tapfer war, erzählte ei-nen Witz. Draußen weinten sie. Er wollte heim. Dem gab man nach. Er sollte friedlich sterben. Ein Pflegebett stand riesenhaft im Wohnzimmer. Die Frau und das verfluchte Kind versorgten ihn, sie pflegten ihn. Sie flöß-ten ihm die Nahrung ein und lagerten ihn um, sie schmierten seine Glieder ein, und sie re-deten mit ihm, leichthin, um ihn zu beruhigen. Weil der Vater Kopfweh hatte, musste man so
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leise sein, als stünde alles still. Lutz, das Mädi, musste sich auf Zehenspitzen nähern und den Vater sanft befragen. Es galt, ihm einen jeden Wunsch nach Kräften zu erfüllen. Mit seinen großen Augen, die tief in den Höhlen lagen, sah der Vater seinen Sohn flehentlich und dankbar an. Er bat um kalten Salbeitee. Der Hals war vollständig entzündet. Jetzt schämte sich der Sterbende vor seinem weichen Kind. Lutz reichte ihm die Schnabeltasse. Dankbar röchelte der Vater. Mädi nickte. War die Mut-ter in der Arbeit, lag es am Kind, den Vater zu pflegen. Die Mutter ermahnte noch einmal den Sohn, und Mädi hatte viel Geduld. Er war mit ihm allein. Heut sprach er nicht. Er freute sich. Sein Augenblick der Rache war gekom-men. Um den Vater zu erschrecken und am Ende auszulöschen, musste er ihn spiegeln. Lutz schob einen großen Stuhl aus der Küche in den Flur. Ihn erklomm er, um den Spiegel auszulösen, hob ihn an, rüttelte dran, zog ihn aus der Verankerung und, glücklich keuchend, an den Rändern, um das Glas nicht mit den Spuren seiner schweißverklebten Hände zu beschädigen, zu sich. Sein Vater lief ihm nicht davon. Er ließ sich Zeit, und es gelang: Er schob den schweren, großen Spiegel Schritt für Schritt ins Krankenzimmer, bis er Vaters Bett erreichte. Abgewandt lag er in trügeri-schem Schutz; Mädi ging ums Bett und hielt ihm jetzt das Ganze vor. Ein Wort noch, piep-send: „Schau.“ Gernot öffnete die Augen. Er sah alles. Doch im Spiegel lag ein Fremder, auch ein Kranker, den der Vater nicht erkann-te, wohl, weil er verbrannt war. Traurig wink-te er ihm zu, der ihm traurig zuwinkte.
Der österreichische Künstler
Händl Klaus verfasst Theaterstücke
und Opernlibretti. Seine Stücke
wurden vielfach ausgezeichnet,
ebenso sein erster Film März aus
dem Jahr 2008. In Zusammenarbeit
mit der Musicbanda Franui ent-
steht derzeit das Stück Meine
Bienen. Eine Schneise für die Salz-
burger Festspiele 2012.
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Fünf Fragen an … 61
Welche Geschichte hörten Sie in Ihrer
Kindheit am liebsten?
Ein Buch namens The Gauntlet [etwa „Der Fehdehand-
schuh“, d. Red.] von Ronald Welch – die Geschichte eines
Schuljungen aus der heutigen Zeit, der seinen Freund in
Wales besucht, der im Schatten der verfallenen Burg Carreg
Cennan lebt. Er schläft eines Tages am Straßenrand ein und
erlebt eine Zeitreise in die Blütezeit der Burg, den Zeiten der
Marcher Lords im 14. Jahrhundert, als die Waliser sich gegen
die englische Herrschaft auflehnten. Es ist eine wundervoll
lebhafte Wiedererschaffung dieser Zeit und spielt in einer der
romantischsten Burgen von Wales – einen Ort, den ich mitt-
lerweile besucht habe und der sehr genau das hält, was die
Beschreibung im Buch verspricht.
Wem erzählen Sie welche Geschichte gerne
immer wieder?
Geschichten aus früheren Tagen meines Vaters und meiner
Mutter, als sie Kinder waren, im Krieg, an der Universität und
im Krankenhaus, in dem meine Mutter gearbeitet hat; die Le-
bensgeschichten meiner Großeltern – die Eltern meines Va-
ters kamen aus Wales, der Vater meiner Mutter aus Birming-
ham, und ihre Mutter war gebürtige Russin. Wem ich die
Geschichten erzähle? Jedem, der mir zuhört! Und ich fürchte,
ich erzähle auch gern Witze …!
Warum, glauben Sie, erzählen wir uns Geschichten?
Um unsere Herkunft zu vermitteln und uns selbst stärker
begreiflich zu machen; um Beispiele zu geben, wie andere
Leute mit Problemen oder Situationen umgehen; um zu un-
terhalten und zu amüsieren, natürlich. Letztlich ist es das,
was wir als darstellende Künstler die ganze Zeit tun – wir
erzählen die Geschichte, die den Komponisten zu der Oper
inspiriert hat.
Welchen Faden aus Wagners Erzählung des
Nibelungen-Mythos verfolgen Sie am liebsten?
Brünnhilde – ihre Entwicklung von der dreisten jungen Krie-
gerin, die sich verliebt und dann diese Liebe durch Verrat
verliert, bis hin zu ihrem Ritt in die Flammen von Walhall ist
so kraftvoll und bewegend.
Wer hat Ihnen an welchen Orten
Geschichten erzählt?
Meine Großeltern und Eltern haben mir immer Geschichten
über sich und ihre Familien und Freunde erzählt. Wenn die Er-
wachsenen sich Anekdoten erzählten, habe ich immer ver-
sucht, unsichtbar im Raum zu sein, um ihnen zuhören zu kön-
nen. Mein Onkel kannte lauter lustige Geschichten aus seiner
Zeit in den USA, als er beim Fernsehen arbeitete, das damals
noch in den Anfängen war. Die Risiken einer Liveübertragung
führten zu viel unfreiwilliger Komik. Fü
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„Wenn die Erwachsenen sich Anekdoten erzählten, habe ich immer versucht, unsichtbar im Raum zu sein.“
Catherine Wyn-Rogers Erda — Das Rheingold
Übersetzung Maria März
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Wer nicht dabei sein konnte, kann dieses
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HELDEN
Er ist Bayreuths umjubelter Lohengrin
und überzeugt auch auf seiner ersten
Arien-CD, mit Arien aus Freischütz,
Zauberflöte, Walküre, Die Meistersinger
von Nürnberg und aus Lohengrin.
69 Anz Ludwig Beck.indd 69 09.01.12 20:18
Okka von der Damerau Floßhilde — Das Rheingold, Götterdämmerung
Fünf Fragen an …
Welchen Faden aus Wagners Erzählung des
Nibelungen-Mythos verfolgen Sie am liebsten?
Zunächst einmal den musikalischen Faden. Wenn sich ge-
sangliches Können mit Erzählkunst paart, ist das meiner
Meinung nach sehr packend, insbesondere bei Wagner.
Wer hat Ihnen an welchen Orten
Geschichten erzählt?
Meine Eltern haben meinen Geschwistern und mir Geschich-
ten erzählt, meistens zum Einschlafen oder um Wartezeiten
zu verkürzen, zum Beispiel auf langen Autofahrten.
Welche Geschichte hörten Sie in Ihrer
Kindheit am liebsten?
Mein Vater hat sich Geschichten ausgedacht. Ich empfinde
Geschichtenerzählen als etwas sehr Persönliches, es kann
dabei ein inniges Verhältnis zwischen Erzähler und Zuhörer
entstehen.
Wem erzählen Sie welche Geschichte gerne
immer wieder?
Abends erzähle ich meinem Sohn Geschichten am Bettchen.
Allerdings beruhigt es ihn nicht immer, manchmal greift er
ein Wort auf und beginnt selbst mitzuerzählen.
Warum, glauben Sie, erzählen wir uns Geschichten?
Es entsteht ein intimer Raum zwischen Menschen. Es ist
schön, diesen Moment miteinander zu teilen und eine lieb
gewonnene Tradition weiterzugeben.
Fü
nf
Fra
ge
n a
n …
„Beim Geschichten-erzählen entsteht ein intimer Raum zwischen Menschen. Es ist schön, diesen Moment miteinander zu teilen.“
70-71_FRAGEBOGEN_6_7_DAMERAU_REUTER_2_korr_mxm_frei.indd 70 09.01.12 20:18
Johan Reuter Wotan — Das Rheingold
Fünf Fragen an … 71
Welchen Faden aus Wagners Erzählung des
Nibelungen-Mythos verfolgen Sie am liebsten?
Wir Menschen sind darauf festgelegt, die Welt aus unserer
eigenen Perspektive zu erleben. Wir können zwar versuchen,
die Sicht der anderen zu verstehen, aber in Wirklichkeit kön-
nen wir nur durch unsere eigenen Augen sehen und mit un-
seren eigenen Gehirnen denken. Wenn ich auf der Bühne bin,
dann versuche ich, alles mit den Augen und dem Verstand
meiner Figur zu sehen, auch wenn das Einstudieren und Pro-
ben mir eine „Vogelperspektive“ auf das Stück gegeben
haben. Aus diesem Grund bin ich darauf festgelegt, Wotans
Faden zu folgen und die Geschichte aus seiner Perspektive
zu sehen.
Wer hat Ihnen an welchen Orten
Geschichten erzählt?
Die Kunst des Geschichtenerzählens stirbt aus in der westli-
chen Kultur. Zum Glück gibt es die Literatur. Die größten
Geister der Welt haben mir schon mein ganzes Leben lang
Geschichten erzählt; es hat angefangen, als meine Eltern mir
vorgelesen haben, ging weiter, als ich selbst lesen gelernt
habe, und hält an bis zum heutigen Tag. Letzte Nacht, als
ich nach einer Vorstellung nach Hause kam, hat Jonathan
Franzen mir vor dem Einschlafen von einer fiktiven Familie
im heutigen Amerika erzählt …
Welche Geschichte hörten Sie in Ihrer
Kindheit am liebsten?
Was den bleibendsten Eindruck bei mir hinterlassen hat,
war, als meine Mutter aus Dyrene i Hakkebakkeskoven von
dem norwegischen Autor Thorbjørn Egner vorgelesen hat,
und zwar die Stelle, als der Bäcker – ein Hase – von einem
Kunden – einem Wolf – Besuch bekommt, und dieser seinen
Kuchen nicht bezahlen will. Die Geschichte selbst ist groß-
artig, aber das Beste war die Stimme meiner Mutter, wenn
sie den Wolf spielte. Es war so herrlich unheimlich!
Wem erzählen Sie welche Geschichte gerne
immer wieder?
Die Geschichte, die ich am öftesten erzählt habe, ist ein
dummer Witz, den zu erzählen mich meine Söhne immer wie-
der genötigt haben. Es geht um die drei besten Hammerwer-
fer der Welt – einen Amerikaner, einen Russen und einen
Dänen –, die sich in einem Stadion treffen, um ein für alle
Mal zu entscheiden, wer der Beste ist. Es ist die Sorte Witz,
bei der man durch viele Wiederholungen und viele Erzähl-
schleifen muss, bevor man dann zum überraschenden Höhe-
punkt kommt. Wenn ich darüber so nachdenke … genau wie
in Wagners Ring!
Warum, glauben Sie, erzählen wir uns Geschichten?
Ich glaube, dass wir uns hauptsächlich aus drei Gründen Ge-
schichten erzählen: um mehr über uns selbst zu erfahren, um
mehr über die Welt zu erfahren, die uns umgibt, und um un-
terhalten zu werden.
Fü
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Fra
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„Das Beste war immer die Stimme meiner Mutter, wenn sie den Wolf spielte. Es war so herrlich unheim-lich!“
Übersetzung Maria März
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von
Robert Hültner
74
Die AbleHnung
Zeit und Ort:
Gegenwart.
Büro des Dramaturgen.
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75Die Ablehnung
Der Autor: „Das ist nicht ihr ernst. Man lehnt ab?“
Der Dramaturg: „Zu meinem größten bedauern, wie ich
ihnen versichere. Wie ich ihnen ebenfalls versichern darf,
dass ihr Projekt im haus ausführlichst diskutiert wurde.“
„Verbindlichsten Dank für diese Selbstverständlich-
keit. Wo standen Sie dabei?“
„Sagen wir: ich war hin- und hergerissen. nicht zu-
letzt deshalb, weil wir beide uns schließlich bereits
seit vielen Jahren kennen und Sie unserem hause
schon viele großartige erfolge beschert haben.“
„Was – Sie verzeihen – ein Argument für Krämerseelen ist.
Dem ich entnehmen muss, dass auch Sie in dieser experten-
runde alles andere als eine flammende Verteidigung ablie-
fern konnten, richtig?“
„Wenn Sie auf ‚flammend‘ bestehen, muss ich es bejahen. ich
habe für eine gründliche bearbeitung plädiert, konnte mich
aber leider nicht durchsetzen.“
„nun, dann habe ich wohl Anspruch auf eine ausführ-
liche begründung.“
„Selbstverständlich. bevor ich auf die Details kom-
me: Die entscheidenden Vorbehalte beziehen sich
sowohl auf Form und Dramaturgie wie auf eine ge-
wisse philosophische Prämisse ihres Werks. Kriti-
sche Anmerkungen gab es darüber hinaus zur Plau-
sibilität der handlungsmotive, kurz zur Psychologie
einzelner Figuren.“
„Mit anderen Worten, auf alles! – Sagen Sie: hatte ich in
meinen exposés nicht unmissverständlich darauf hingewie-
sen, dass ich ein experiment plane? nämlich jenes, das ni-
belungenlied, einen der ältesten Stoffe unserer literatur, zu
adaptieren? Woraus sich fast zwangsläufig ergibt, dass eini-
ge gewissheiten der klassischen Dramaturgie infrage ge-
stellt werden müssen.“
„Das mag sein, aber es muss doch zumindest reflektiert wer-
den, was, warum und wie in welcher epoche erzählt wird.“
„Wir sollen uns anmaßen, einen der bedeutendsten
Stoffe unserer literatur nach der Maßgabe heuti-
ger Moden zu bewerten? ihm womöglich eine billi-
ge hollywood-Rezeptur überstülpen?“
„ich bitte Sie, ja? – ich meine lediglich, dass wir
nicht das, was Sie als ‚heutige Mode‘ bezeichnen, als
zeitgeistigen Müll abqualifizieren sollten. Auch eine
erzählung, die erst in diesem Moment die Drucke-
rei verlässt, kann von epochaler Qualität sein.“
„ich widerspreche nicht. Aber wenn Sie jetzt bitte zu den
Details kämen?“
„gleich. Man muss sich doch bei diesem Vorhaben zu-
nächst den Stoff vor Augen führen, den Sie als grundlage
verwenden. er geht bekanntlich auf ein historisches ge-
schehen aus den Wirren der Völkerwanderung zurück. es
handelt sich also zunächst um etwas, was wir heute flapsig
als Reportage bezeichnen würden. um einen von unzähli-
gen berichten, die mit den damaligen instrumentarien der
sozialen Kommunikation – Memorierung und mündliche
Weitergabe – Verbreitung fanden. Mit wachsendem zeitli-
chen Abstand wandelte er sich zur Parabel, die sich den
gesellschaftlichen Veränderungen anpassen musste. Die
erzählung durchlief dabei umgewichtungen, ergänzun-
gen, sie integrierte neue personale und politische Konstel-
lationen, wurde mit anderen tradierten Stoffen verwoben.
Kurz gesagt: Was da im hochmittelalter schließlich zur
Schriftform fand, ist bereits weitgehend Kompilation. Da-
rüber, was den unbekannten Dichter damals bewogen hat,
den Stoff so zu gestalten, wie er es getan hat, warum er
etwa gerade diese und nicht andere heroen illuminiert,
können wir nur spekulieren. haben seine entscheidungen
unter anderem vielleicht auch damit zu tun, dass sich das
christliche europa zu dieser Zeit mit der islamischen ex-
pansion konfrontiert sieht? und dies nicht nur unter dem
Aspekt einer politisch-wirtschaftlichen, sondern auch ei-
ner religiös-weltanschaulichen Konkurrenz? Wird so bei-
spielsweise hagens ‚Trutz‘, der ja eher hilfloser Trotz ist,
verständlicher? ich weiß es nicht.“
„Sie springen viel zu kurz. Der Stoff ist wesentlich
älter.“
„bekannt. Aber warum schlummert er erst Jahr-
hunderte vor sich hin, wird noch im 18. Jahrhun-
dert mancherorts als unverständlicher Schund ab-
gekanzelt, um dann im 1ß. Jahrhundert plötzlich
zum deutschesten aller deutschen epen erhoben
zu werden?“
„Vielleicht, weil wir es hier tatsächlich mit einer universel-
len Substanz zu tun haben?“
„Der erkenntnis etwa, dass sich gewinnstreben und liebe
gegenseitig aufzehren müssen?“
„beispielsweise.“
„Das – Pardon – wäre weder eine nagelneue noch
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sollten das Alte nicht allein deshalb vergotten, weil
es alt ist. Wie es neue geschichten gibt, die uns ein-
mal mehr, einmal weniger berühren und interessie-
ren, so gilt das auch für alte. Aber, natürlich, müssen
wir unser urteil jeweils begründen.“
„Wovon ich aber bisher noch wenig gehört habe.“
„Dann will ich bei der Dramaturgie beginnen. ich vermisse
ein Zentrum in ihrem Werk.“
„und wenn das Wesen meines experiments gewesen
wäre, weder klassische Dramaturgie noch epik zu
bedienen? Wenn ich stattdessen versucht hätte, das
erzählen nicht auf ein mechanisches Strickmuster
von informationsvermittlung zu reduzieren? Son-
dern künstlerische Praxis wieder auf das zurückfüh-
ren wollte, was sie im Kern ist, nämlich eine kulti-
sche handlung?“
„gewagt.“
„Sie haben etwas gegen Wagnisse?“
„Keineswegs. ich bin nur nicht davon überzeugt, dass es die-
ser Rückführung überhaupt bedarf. ob Kunst nicht nach
wie vor eine Kategorie des Kultes ist und sie sich heute nur
anderer Formen bedient.“
„Die dann nicht mehr überprüft und nicht mehr in-
frage gestellt werden dürfen?“
originelle erkenntnis. und als Weisheit ungefähr so
tiefschürfend wie ein naiver Appell à la make love,
not war. Möglicherweise sogar eine insofern platte,
als sie nicht immer zutrifft. Auch der nach Macht
und gewinn Strebende kann lieben. und stellt sich
vermutlich dabei nicht geschickter oder ungeschick-
ter an als jener, der nicht von Machtwillen getrieben
wird. Vor allem aber frage ich mich, ob es genügt, in
einem Werk eine – wie Sie es nennen – universelle
Substanz wahrzunehmen. Sie ist schließlich in jeder
ernsthaften kulturellen äußerung enthalten. Der
Kern meiner Frage war vielmehr, warum sie einmal
wahrgenommen wird, dann wieder nicht. ist dieser
scheinbar monumentale Stoff möglicherweise nur
durch eine Reihe glücklicher Zufälle auf uns gekom-
men? Wir können davon ausgehen, dass es in dieser
epoche eine Fülle derartiger Stoffe gab, von denen
nur wenige überhaupt zur Schriftform gelangten.
und auch davon ist nur ein kleiner Teil übrig geblie-
ben, das meiste ist opfer von Kriegen, von kulturel-
len Verwüstungen oder schlichten materialen Verder-
bens geworden. Worauf ich hinaus möchte ist: Wir
„Das dürfen sie nicht nur, sondern müssen es sogar.
Sie müssen aber auch berücksichtigen, dass es heutzu-
tage zwischen Künstler und Konsument einen gewis-
sen Kontrakt gibt, der sich mit einem – sagen wir ein-
mal – eher kultisch-liturgisch konzipierten Ansatz
beißt. Außerdem werden Sie mir zustimmen, dass der
begriff ‚Kult‘ noch nichts über die inhaltliche Qualität
dessen aussagt, was er jeweils zelebriert. Auch die na-
zis ummäntelten schließlich ihre Ziele mit kultisch-
theatralischem Firlefanz, und das mit erfolg.“
„ich bemühe mich, ihnen zu folgen.“
„nun seien Sie nicht gekränkt. ich wollte lediglich darauf
hinaus, dass Form und inhalt zwar in beziehung zueinander
stehen, trotzdem aber zwei Paar Stiefel sind. Jeder Kult, so
rauschhaft und weihrauchvernebelt er sich uns auch darstel-
len mag, verfolgte stets sehr konkrete, sehr nachvollziehbare
lebenspraktische Zwecke. Daraus folgt meine Frage, was Sie
als ihren Zweck benennen würden.“
„Den, den alles erzählen hat, und damit Punkt. – Sie
deuteten an, dass es kritische Anmerkungen zur Dra-
matik gab?“
„So ist es. Sie wählten die Form der Parabel, über-
frachten diese aber am ende mit Metaphorik.“
„Wo bitte steht geschrieben, dass das unzulässig ist?“
„natürlich nirgends. Aber auch wenn sich eine erzählung
unterschiedlicher Formen bedient, so sollte sie sich doch
für eine tragfähige und durchgängige Architektur entschei-
den. es sollte erspürbar sein, was gerüst ist, und was Aus-
kleidung.“
„ich behaupte, diese Forderung sehr wohl eingelöst
zu haben. – Sie erwähnten eingangs auch das Stich-
wort Psychologie?“
„Damit ist gemeint, dass sich ihre Figuren statisch
darstellen, dass haltungen und Motive gesetzt und
behauptet sind, sie nicht wirklich geschichte, ge-
schweige denn Wandlung haben. Dass ich auf Zu-
schreibungen von Titanismus und ähnlich pathos-
triefenden überhöhungen eher allergisch reagiere,
mag meine Sache sein –“
„Ach! Sie wollen die helden auch einmal pinkeln sehen?“
„Das nun gerade nicht. Mich lassen lediglich die wie in
Marmor gemeißelten Konturen ihres Siegfried, ihres ha-
gen, ihrer brünnhilde und anderer eher kalt. Aber zugege-
ben: Wie Sie ihre Figuren modellieren, ist für eine Parabel
sogar konsequent entschieden. Allerdings erzeugt es einen
Mangel an Dynamik.“
„in ihrem persönlichen empfinden.“
„Richtig. So wie ich auch empfinde, dass diesem Mangel
eine geradezu überbordende Fülle von beeindrucken-
den, zuweilen gar rauschhaften Szenerien gegenüber-
steht. Die aber, bei aller bewunderung, bei mir einen
gewissen Abwehrimpuls auslöst. Welchem der Ver-
dacht folgt, dass Sie mit der Wucht, dem getöse ihrer
bilder und Aktionen nur überwältigen wollen.“
„Was ist daran verwerflich? ich will herz und Sinne packen,
keinen drögen Diskurs veranstalten. – ein sehr, sehr deut-
scher impuls übrigens, der sich da bei ihnen manifestiert.“
„Was ist daran verwerflich, überwältigen zu wollen? ich will herz und Sinne packen.“ — Der Autor
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„interessant. Was wäre denn ein nicht-deutscher?“
„einer, der keine Angst vor der Möglichkeit einer
überwältigung und Verführung hat, sie vielleicht so-
gar begrüßt und ersehnt. ich sage nicht, dass diese
Angst gerade vor dem hintergrund unserer ge-
schichte nicht auch ihre berechtigung hätte. Aber sie
richtet ihr Augenmerk nur auf ein vermeintlich
zwangsläufiges Verderben, das der überwältigung fol-
gen muss. Aber gibt es nicht auch eine Verführung zu
etwas, das uns bereichert? Zu etwas, was wir bisher
nicht zu denken wagten? Was uns die Sinne öffnet,
hemmnisse und Verstockungen beiseite fegt, Mut
und neue Perspektive schenkt? Warum versperren
wir uns dem schon von vorneherein? Diese als Skep-
sis getarnte Furcht ist verhängnisvoll. es mag eine
Weile funktionieren, die existenz eigener untiefen zu
ignorieren. Aber irgendwann kommen wir nicht mehr
umhin, uns ihnen zu stellen.“
„ich widerspreche nicht. Aber wir sind uns doch da-
rüber einig, dass umso entscheidender ist, welche
Prämissen einer Verführung zugrunde liegen, nicht
wahr?“
„Völlig d’accord. und welche Prämisse ist es, die Sie glauben
ausmachen zu können?“
„nun, lassen Sie mich dem so nähern: ihr Werk bietet eine
Anordnung von Personen und dramatischen Konstellatio-
nen auf. Sie tun dies aber nicht, weil Sie an diesen Personen
interessiert sind, sondern weil Sie damit ihre Sicht auf ent-
scheidende Probleme und Konflikte unserer gesellschaft il-
lustrieren möchten. um es auf die kürzestmögliche Formel
zu bringen, konstatieren Sie dabei ‚entfremdung‘ als letzte
ursache zunehmender sozialer, politischer und psychischer
Wirrnis, unter der lust zu gier verkümmern muss, Treue
zu todbringender beharrung, leidenschaft zu tollwütigem
eklat. Darum geht es ihnen. nicht um ihre Figuren. Was
sie sind, was sie begehren, erstickt völlig unter ihrem Wol-
len, das aus jedem Wort, aus jeder bewegung, jeder Szenik
quillt. Sie zeigen nicht, Sie behaupten. und Sie wollen be-
lehren. ihr Drama ist eines der ideen, nicht das des le-
bens, der Körper, der gefühle. nur folgerichtig ist, wenn
Sie sich bei nur wenigen Figuren länger aufhalten und auch
sie sofort verlassen, wenn diese abgeliefert haben, wozu sie
ins Spiel gestellt wurden. Darüber könnte man noch disku-
tieren. Wenn mich auch die Kälte frösteln macht, mit der
Sie ihre Fäden dabei ziehen. Wenn aber, wie Sie vorhin
erwähnten, das erzählen für Sie ein kultisches ereignis zu
sein hat, so frage ich Sie noch einmal, was im Falle ihres
Werks zelebriert und gewonnen wird. erzeugt es Weisheit?
neue erkenntnis? gar gedankliches Material, um den dar-
gestellten gesellschaftlichen Missstand lebenspraktisch zu
überwinden?“
„Verstehe. Sie vermissen die gebrauchsanleitung zur
Verbesserung der Welt. eine empfehlung, Attac bei-
zutreten oder die Wall Street zu okkupieren.“
„Sie machen Scherze.“
„Danach ist mir eigentlich nicht zumute.“
„Dann haben Sie mich gründlich missverstanden. Weshalb
ich es ihnen so erklären will: Was Sie in ihrem Werk thema-
tisieren, ist leider weder neu noch originell. Schon der junge
Marx hat das Problem der entfremdung benannt, ihren ur-
sprung und ihre Auswirkungen analysiert. Sie dagegen ana-
lysieren nicht, sondern belassen es beim großen lamento.
und sehnen sich, als wären Sie ein Autor des Fin de siècle,
nach der großen ‚Reinigung‘, der Rückkehr des vermeintlich
‚elementaren‘. Wie er machen Sie es sich in einem Atavis-
mus bequem, für den seit je billiger beifall einzuheimsen
war. Weil sich derart melancholische Posen folgenlos schlür-
fen lassen und niemandem wehtun. Damit aber wird jede
Kunst zur neckischen girlande, mit der umso geist- und
kunstloseres Agieren in der gesellschaftlichen Praxis ka-
schiert werden soll.“
„Das Totschlagargument des Atavismus musste ja
kommen. An dem, was Sie damit andeuten möchten,
stimmt lediglich, dass ich tatsächlich einer Rückbe-
sinnung auf die elementaren Konditionen menschli-
cher existenz das Wort rede. Auf die, wenn Sie so
wollen, ‚Tatsachen des lebens‘.“
„Das gestehe ich ihnen wie jedem ernsthaften Au-
tor zu. Auch der grundton des lamentos wäre
für mich noch akzeptabel, wenn dies nun einmal
Weltsicht und Temperament des Autors entspre-
chen sollte. nein, der Punkt ist, auf welche gedank-
liche und ästhetische conclusio ihre haltung zusteu-
ert. Alles mündet in ein apokalytisches Finale, das
„ist ‚Feuer‘ wirklich erlösend, reinigend? Die bewohner von guernica, von hamburg und Dresden oder hiroshima werden zu einem anderen ergeb- nis kommen als ein ernst Jünger, der, das champagnerglas schwenkend, sich an der Feuersbrunst einer bombardierten franzö-sischen Stadt delektiert.“— Der Dramaturg
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nicht nur dramatische Auflösung sein soll, sondern
sogar letztliche ‚erlösung‘. eine Art endgerichtlich
strafender und damit reinigender Vorgang als Voraus-
setzung eines Paradieses. Verzeihen Sie – aber damit
landen Sie, der als Kritiker der Moderne startete, im
Mief eines vormodernen Messianismus.“
„nun öden Sie mich auch noch mit nietzsche an! hören
Sie: ich setze dieses Finale nicht, weil mich die Welt zum
sauertöpfischen Frömmler gemacht hätte. Sondern weil
das Publikum dadurch erkennen soll, welches Denken und
handeln zu bestimmten Konsequenzen führt, ja führen
muss. Denunzieren Sie das ruhig als volkserzieherische At-
titüde. Jedes erzählen erzieht, nicht zuletzt den Autor. es
ist also legitim, was ich tue.“
„natürlich ist es das. Aber dabei bleiben Sie eben nicht. Al-
les in diesem Finale feiert den Tod, atmet den Seufzer ‚Dem
himmel sei Dank, es ist überstanden‘. Sie sprechen in ih-
rem Text unmissverständlich von ‚erlösung‘. Warum nicht
gleich: ‚es ist vollbracht?‘ Doch können Vernichtung und
Tod erlösen? – ich weiß, was ihnen auf der Zunge liegt. Der
Mann, werden Sie denken, hat weder das Wesen einer ge-
danklichen Abstraktion noch das einer Metapher begriffen.“
„einen ähnlichen Verdacht habe ich tatsächlich.“
„ich bezweifle schlicht die Stimmigkeit ihres bildes!
ist ‚Feuer‘ wirklich erlösend, reinigend? Von welcher
Warte aus definieren wir eigentlich, ob es erschre-
ckende Destruktion, überwältigend ästhetisches ge-
schehen oder eben erlösung ist? Die bewohner von
guernica, von hamburg und Dresden oder hiroshi-
ma werden zu einem anderen ergebnis kommen als
ein ernst Jünger, der, das champagnerglas schwen-
kend, sich an der Feuersbrunst einer bombardierten
französischen Stadt delektiert. Kurz: ich behaupte,
dass dieses bild wenig brauchbar ist, weil zu unpräzi-
se. es sei denn, Sie wären tatsächlich der überzeu-
gung, dass materielle Vernichtung die Voraussetzung
für wahrhaftes existieren wäre. gegen derartig idea-
listische und religiöse Schwurbeleien sperrt sich alles
in mir, der ich es eher mit jener indischen Weisheit
halte, die besagt: ‚es gibt nur eine gottheit, und ihr
name ist leben.‘ ihre Weisheit dagegen ist mir
schlicht zu unbesonnt, zu todesverliebt, zu freudlos.
Womit ich bei meinem letzten einwand angekommen
wäre: ihr Werk hat keinen Witz.“
„Sie beginnen wirklich, mich zu ermüden.“
„Der ‚Witzige‘ zeigt uns die Welt, wie sie ist, und nicht, wie
sie sein sollte. er lotet das Komische im Tragischen aus und
umgekehrt, unterläuft Pathos und Pose. und nur diese – im
ursprünglichen Sinn des Worts kluge, weise – Sicht ermög-
licht uns, in die gestaltung unserer, der wirklichen Welt
eingreifen zu können. Was, um wieder darauf zurückzukom-
men, Zweck jeder kultischen handlung war und ist.“
„ich fürchte, dass wir uns allmählich im Kreise dre-
hen. Sie nicht?“
„eigentlich nicht. Aber wie Sie meinen. – Dass ich Sie
zu meiner Sichtweise nicht verführen, geschweige
überwältigen konnte, sehe ich ihnen an. Aber habe
ich Sie wenigstens partiell überzeugen können?“
„Vor allem davon, dass mein Werk nach ihrer Meinung
im Papierkorb zu landen hat. Das also bleibt von jahre-
langer Arbeit?“
„nicht doch. ich bin mir sicher, dass man sie ihnen andern-
orts aus den händen reißen wird. Vor allem bleibt, was eben
geschehen ist. Denn auch wenn ich und andere sich gegen ihr
Werk ausgesprochen haben – gewirkt hat es bereits jetzt.“
„Soll das ein Trost sein?“
„nein. eine Tatsache.“ „Verstehe. Sie vermissen die gebrauchsanleitung zur Verbesserung derWelt. eine empfehlung, Attac beizutreten oder die Wall Street zu okku- pieren.“ — Der Autor
Robert Hültner ist Autor von
Romanen, Theaterstücken, Hör-
spielen und Drehbüchern, darunter
die preisgekrönten Kriminal-
romane um Inspektor Kajetan.
Die Verfilmung seines Romans
Der Sommer der Gaukler über das
Leben von Emanuel Schikaneder
läuft derzeit im Kino. Der Autor
lebt in München und den französi-
schen Cevennen.
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OSTERFESTSPIELESALZBURg 2012
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OPER Richard Wagner • ParsifalChristian Thielemann • Regie: Michael Schulz • Titelrolle: Johan Botha
ORCHESTER- UND CHORKONZERTEChristian Thielemann • Myung-Whun Chung
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Eri Nakamura Woglinde — Das Rheingold, Götterdämmerung
Fünf Fragen an … 83
„Kinder bekommen durch Ge schichten die Vorstellungs-kraft, um ihr anschließendes Leben fantasievoll zu meistern.“
Fü
nf
Fra
ge
n a
n …
Welchen Faden aus Wagners Erzählung des
Nibelungen-Mythos verfolgen Sie am liebsten?
An Götterdämmerung fasziniert mich besonders, dass hier
die Götter überhaupt nicht mehr vorkommen, sondern fast
nur Menschen auf der Bühne zu erleben sind, mit all ihren
Schwächen, Geheimnissen und Gemeinheiten.
Wer hat Ihnen an welchen Orten
Geschichten erzählt?
Meine Mutter erzählte mir zwar Geschichten, aber die meis-
ten habe ich selbst kennengelernt, weil ich schon sehr früh
vom Lesen begeistert war und seit meinem vierten Lebens-
jahr ein Buch nach dem anderen verschlungen habe.
Welche Geschichte hörten Sie in Ihrer
Kindheit am liebsten?
Ich habe in meiner japanischen Heimat zwar auch Märchen
wie Rotkäppchen oder Hänsel und Gretel gelesen, vor allem
aber japanische Geschichten. Ich erinnere mich besonders
an die Geschichte von Momotaro, der aus einem riesigen
Pfirsich schlüpft, sehr stark wird und beschließt, den bösen
Oger zu bekämpfen, der die Menschen bestiehlt. Von seinen
Zieheltern bekommt er Kuchen, den er mit einem Vogel, ei-
nem Hund und einem Affen teilt, und sie so als Kampfgenos-
sen gewinnt. Gemeinsam bezwingen sie den Oger und geben
den Menschen ihre Reichtümer zurück.
Wem erzählen Sie welche Geschichte gerne
immer wieder?
Ich erzähle Kindern am liebsten die Geschichten, die mich
selbst sehr beeindruckt haben, wie das Märchen Momotaro.
Warum, glauben Sie, erzählen wir uns Geschichten?
Vor allem Kinder werden mit Geschichten auf sanftem Weg
vertraut mit universellen Themen wie Liebe, Natur, Glauben,
Zuneigung der Familie, aber auch Verrat, und bekommen da-
durch auch die Vorstellungskraft, um ihr anschließendes
Leben fantasievoll zu meistern.
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Eine Fortsetzung der Kinderoper Sigurd der Drachentöter
von Yusuf Özgüney, Klasse 6a der Mittelschule Garching
Der junge Sigurd wächst bei dem Schmied Regin auf, der
ihn aber einzig und allein ausnutzen will: Mit seiner Hilfe
will er seinen Bruder Fafner besiegen, um an den Nibelun-
genschatz zu gelangen. Der Komponist Andy Pape hat mit
der Oper Sigurd der Drachentöter eine einstündige Version
des jungen Siegfried-Helden für Kinder geschaffen, die im
Dezember 2011 auf dem Spielplan der Bayerischen Staats-
oper stand. Kinder ab neun Jahren konnten erleben, wie
sich Sigurd mithilfe eines Raben von seinem Ziehvater Re-
gin löst, ihn und Fafner tötet und an den Goldschatz ge-
langt. Anschließend waren die Kinder eingeladen, sich eine
Fortsetzung der Geschichte auszudenken und an die Bayeri-
sche Staatsoper zu schicken. Die schönste stammt von Yusuf
Özgüney und ist auf der folgenden Seite zu lesen.
Sigurds Rettungvon
Yusuf Özgüney
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achdem Sigurds Stiefva-ter gestorben war, hatte
er nur noch den Raben bei sich. Der Rabe wurde ein Mensch und wurde Sigurds Freundin. Es war ein Mäd-chen.
Sie hatten viel Gold und fuhren in ihre Heimat und fingen ein neues Leben an. Sie fanden Freunde. Sie leb-ten fröhlich und sie hatten viel Spaß. Schon bald hatte Sigurd angefangen zur Arbeit zu gehen und verdiente Geld.
In dieser Zeit war Regin doch nicht gestorben, weil Sigurd mit dem Mund die Flasche berührt hatte. Regin hatte so Drachenblut geleckt. Deswegen hatte er sich in einen Drachen verwandelt. Er wollte Sigurd und seine Freundin töten und das gan-ze Gold nehmen. Regin lief umher und traf am Ufer eines Baches auf ein Orakel. Regin lief hin und fragte: „Wo ist Sigurd, der Wälsung?“ Das Orakel antwortete ihm, dass Sigurd in seiner Heimat wäre, und verschwand.
Regin flog nach Spanien, die Heimat von Sigurd. Sigurd und seine Freundin waren an einem schönen Tag auf einem
Feld. Sie spielten Spiele, sie liefen herum, doch dann kam ein kräftiger Sturm. Sie sagte: „Sigurd? Wo bist du?“ Sigurd schrie: „Hier!“ Regin erblickte Sigurd und landete auf dem Feld. Der Drache fragte Sigurd: „Weißt du, wer ich bin? Ich bin Re-gin!“ „Nein!“ „Dank dir lebe ich noch! Jetzt aber nehme ich Rache an euch und wer-de euch umbringen und euer Gold nehmen!“
Regin kam immer näher und näher. Gerade als er Si-gurd auffressen wollte, flog ein Wurfspeer in Regins Keh-le. Regin flog auf den Boden und bekam keine Luft.
Sigurd überlegte, wer das gewesen sein könnte. Da kam der berühmte Krieger herbei, Sigurds Vater. Sigurd lief zu seinem Vater und umarmte ihn. „Wo warst du so lange?“, fragte Sigurd. Sein Vater gab ihm keine Antwort. „Gehen wir nach Hause“, schlug Si-gurd vor, und sie gingen fröh-lich heim. Und niemand konn-te sie trennen.
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Sophie Koch Fricka — Das Rheingold,Die Walküre
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„Am spannendsten fand ich die Stelle, als Ali Baba den Zauberspruch ‚Sesam, öffne dich’ ausspricht und sich vor ihm die Höhle mit all den ver-steckten Schätzen öffnet.“
Welchen Faden aus Wagners Erzählung des
Nibelungen-Mythos verfolgen Sie am liebsten?
Alles, was mit Liebe und Verlangen zu tun hat, wie etwa in
der Szene der Götterdämmerung, wenn Brünnhilde gegen-
über Waltraute ihre Liebe zu Siegfried bekennt.
Wer hat Ihnen an welchen Orten
Geschichten erzählt?
Meine Mutter hat mir vor dem Einschlafen immer Geschich-
ten erzählt, und ich habe auch sehr viele aufgezeichnete,
mit Musik unterlegte Geschichten angehört.
Welche Geschichte hörten Sie in Ihrer
Kindheit am liebsten?
Eine meiner Lieblingsgeschichten ist aus Tausendundeiner
Nacht: Ali Baba und die vierzig Räuber. Am spannendsten
fand ich die Stelle, als Ali Baba den Zauberspruch „Sesam,
öffne dich“ ausspricht und sich vor ihm die Höhle mit all den
versteckten Schätzen der vierzig Räuber öffnet.
Wem erzählen Sie welche Geschichte gerne
immer wieder?
Ich erzähle meiner Tochter Geschichten, ein paar Klassiker
(Aschenputtel, Hänsel und Gretel) und ganz viele erfundene!
Warum, glauben Sie, erzählen wir uns Geschichten?
Wir erzählen uns Geschichten, weil wir mehr über die Men-
schen erfahren und ihre Seele verstehen wollen. Der Nibe-
lungen-Mythos, glaube ich, will uns sagen, dass die Men-
schen klüger sein und nicht immer nach noch mehr Macht
streben sollen, weil dies zur Katastrophe führt.
Fünf Fragen an …
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Stephen Gould Siegfried — Götterdämmerung
Fünf Fragen an … 87
„Ich erfreue die Leute mit Ge-schichten darüber, wie ich versuchte, Deutsch (Hochdeutsch) zu lernen – in meinen ersten Jahren in Oberösterreich.“
Welchen Faden aus Wagners Erzählung des
Nibelungen-Mythos verfolgen Sie am liebsten?
Obwohl ich die Partien des Siegmund und der beiden Sieg-
frieds singe, ist für mich das Motiv von Wotans Willen der
interessanteste Aspekt des Ring. Dieser doppelte Faden aus
Verlangen nach Macht, Kontrolle und Wissen und seiner ni-
hilistischen Reise auf der Suche nach ewigem Frieden ist
unglaublich fesselnd.
Wer hat Ihnen an welchen Orten
Geschichten erzählt?
Die meisten Geschichten aus meiner Kindheit habe ich na-
türlich von meinen Eltern und auch Großeltern gehört. Mei-
ne Schwester und ich haben beide ganz viele Geschichten
mit biblischen Gestalten und klassische griechische My-
then gehört. Das war natürlich das Ergebnis davon, mit ei-
nem methodistischen Pfarrer als Vater und einer Mutter, die
Lehrerin für Literatur war, aufzuwachsen.
Welche Geschichte hörten Sie in Ihrer
Kindheit am liebsten?
Nun, die meisten Geschichten, die mit „und sie lebten glück-
lich bis an ihr Lebensende“ aufhörten, waren natürlich sehr
beruhigend, als Kind. Seltsamerweise mochte ich immer den
Mythos des Sisyphos sehr, des Königs, der von den Göttern
dazu verdammt wurde, fortwährend den Felsbrocken den Hü-
gel hinaufzurollen, nur um ihn dann wieder herunterrollen zu
sehen. Es mag darin hauptsächlich um die Tragödie und
Sinnlosigkeit des Ganzen gehen, aber ich habe immer eher
das heroische Element gesehen, das darin besteht, immer
gegen das schier Unmögliche anzukämpfen. Vielleicht ist es
das, was mich eigentlich zu Wagner geführt hat ...
Wem erzählen Sie welche Geschichte gerne
immer wieder?
Ich erzähle keine Geschichten in epischer Breite. Ich bringe
die Leute gern zum Lachen, meistens jedenfalls, also erfreue
ich sie mit Geschichten darüber, wie ich versuchte, Deutsch
(Hochdeutsch) zu lernen – in meinen ersten Jahren in Ober-
österreich. Das ist immer ein großer Lacher.
Warum, glauben Sie, erzählen wir uns Geschichten?
Über Geschichten können wir nicht nur erfahren, was es im
Kern heißt, menschlich zu sein, sondern wir können auch ei-
nen kleinen Teil unserer eigenen menschlichen Reise mit
anderen teilen. So etwas schafft man nicht mit „Tweets”.
Fü
nf
Fra
ge
n a
n …
Übersetzung Maria März
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Hofbräu, mein München
Das Theateralphabet...
der Auftakt.
88 Anz Hofbräuhaus.indd 88 09.01.12 20:23
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Plakatkünstler96
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24.01.12bis
10.04.12
Soweit nicht anders angegeben, finden alle Veranstaltungen im Nationaltheater statt.
Karten
Tageskasse der Bayerischen Staatsoper
Marstallplatz 5
80539 München
T 089 – 21 85 19 20 www.staatsoper.de
89-95_SPIELPLAN_korr_mxmfrei.indd 90 09.01.12 20:25
Giuseppe Verdi
Musikalische Leitung Henrik Nánási
Inszenierung Günter Krämer
Marina Poplavskaya, Heike Grötzinger, Silvia Hauer, James Valenti, Leo
nucci, Francesco Petrozzi, Christian rieger, Peter Mazalán, Christoph
Stephinger, Dean Power, tim Kuyers, tareq nazmi
Di 14.02.12 19:30 Uhr
Fr 17.02.12 19:30 Uhr
Mi 22.02.12 19:30 Uhr
So 26.02.12 18:00 Uhr
Giacomo Puccini
Musikalische Leitung Stefano Ranzani
Inszenierung Wolf Busse
Svetla Vassileva, Okka von der Damerau, roberto alagna, Silvia Hauer,
Franco Vassallo, Ulrich reß, Christian rieger, Goran Juri,
tareq nazmi, Peter Mazalán
Sa 18.02.12 19:00 Uhr
Di 21.02.12 19:00 Uhr
Sa 25.02.12 19:00 Uhr
Do 01.03.12 19:00 Uhr
Gioachino Rossini
Musikalische Leitung Karel Mark Chichon
Inszenierung Ferruccio Soleri
antonino Siragusa, Donato Di Stefano, tara erraught, Fabio Maria Ca-
pitanucci, Lorenzo regazzo, tim Kuyers, rüdiger trebes, evgeniya
Sotnikova, Kenneth roberson
So 04.03.12 19:00 Uhr
Mi 07.03.12 19:00 Uhr
Fr 09.03.12 19:00 Uhr
Di 13.03.12 19:00 Uhr
Richard Wagner
Musikalische Leitung Kent Nagano
Inszenierung Andreas Kriegenburg
Klaus Florian Vogt, ain anger, Juha Uusitalo, anja Kampe, Katarina
Dalayman, Sophie Koch, erika Wueschner, Danielle Halbwachs, Golda
Schultz, Heike Grötzinger, roswitha C. Müller, alexandra Petersamer,
Okka von der Damerau, anaïk Morel
So 11.03.12 16:00 Uhr Premiere
Do 15.03.12 17:00 Uhr
So 18.03.12 16:00 Uhr
So 25.03.12 16:00 Uhr
sponsored by
Giuseppe Verdi
Musikalische Leitung Asher Fisch
Inszenierung Jürgen Rose
rené Pape, Jonas Kaufmann, Mariusz Kwiecien, eric Halfvarson,
Diogenes randes, anja Harteros, anna Smirnova, Laura tatulescu,
Francesco Petrozzi, Kenneth roberson, evgeniya Sotnikova,
tim Kuyers, Peter Mazalán, Levente Molnár, Christian rieger,
Christoph Stephinger, rüdiger trebes
Do 26.01.12 18:00 Uhr
So 29.01.12 17:00 Uhr
Gaetano Donizetti
Musikalische Leitung Friedrich Haider
Inszenierung Christof Loy
edita Gruberova, Fabio Maria Capitanucci, Carmen Oprisanu 01./05.02.,
Sonia Ganassi 09./13.02., Joseph Calleja, Francesco Petrozzi, Goran
Jurić, John Chest
Mi 01.02.12 19:00 Uhr
So 05.02.12 17:00 Uhr
Do 09.02.12 19:00 Uhr
Mo 13.02.12 19:30 Uhr
Richard Wagner
Musikalische Leitung Kent Nagano
Inszenierung Andreas Kriegenburg
Johan reuter, Levente Molnár, thomas Blondelle, Stefan Margita,
Wolfgang Koch, Ulrich reß, Diogenes randes, Phillip ens, Sophie Koch,
aga Mikolaj, Catherine Wyn-rogers, eri nakamura, angela Brower,
Okka von der Damerau
Sa 04.02.12 19:00 Uhr Premiere
Mi 08.02.12 19:30 Uhr
So 12.02.12 16:00 Uhr
sponsored by
Don Carlo
Il barbiere di Siviglia
Madama Butterfly
Oper
roberto Devereux
Das rheingold
La traviata
Die Walküre
aGenDa 91
89-95_SPIELPLAN_korr_mxmfrei.indd 91 09.01.12 20:25
Giuseppe Verdi
Musikalische Leitung Teodor Currentzis
Inszenierung Martin Kušej
Franco Vassallo, Christof Fischesser, tatiana Serjan, evgeniya Sotniko-
va, Francesco Demuro, Fabrizio Mercurio, Christoph Stephinger, rüdi-
ger trebes, Christian rieger, tareq nazmi, Iulia Maria Dan, Solist des
tölzer Knabenchors
Mi 14.03.12 19:00 Uhr
Sa 17.03.12 19:00 Uhr
Di 20.03.12 19:00 Uhr
Fr 23.03.12 19:00 Uhr
Peter I. Tschaikowsky
Musikalische Leitung Pietari Inkinen
Inszenierung Krzysztof Warlikowski
Heike Grötzinger, ekaterina Scherbachenko, alisa Kolosova, elena Zi-
lio, Simon Keenlyside, Pavol Breslik, ain anger, Ulrich reß
Mi 21.03.12 19:00 Uhr
Sa 24.03.12 19:00 Uhr
Mi 28.03.12 19:00 Uhr
Giuseppe Verdi
Musikalische Leitung Karel Mark Chichon
Inszenierung Francesca Zambello
Peter Seiffert, Juha Uusitalo, Pavol Breslik, Francesco Petrozzi, Dioge-
nes randes, Goran Juri, Peter Mazalán, Krassimira Stoyanova
Sa 31.03.12 19:00 Uhr
Di 03.04.12 19:00 Uhr
Sa 07.04.12 19:00 Uhr
Di 10.04.12 19:00 Uhr
Richard Wagner
Musikalische Leitung Kent Nagano
Inszenierung Peter Konwitschny
Michael Volle, Diogenes randes, Stephen Milling, Christopher Ventris,
Gerd Grochowski, Waltraud Meier, Kevin Conners, Levente Molnár, So-
list des tölzer Knabenchors, Ulrich reß, Kenneth roberson, anna Vi-
rovlansky, Laura tatulescu, tara erraught, eri nakamura, angela Bro-
wer, Okka von der Damerau
Do 05.04.12 17:00 Uhr
So 08.04.12 17:00 Uhr
John Neumeier
Musik Peter I. Tschaikowsky
Solisten und ensemble des Bayerischen Staatsballetts
Musikalische Leitung Valery Ovsianikov
Sa 28.01.12 19:30 Uhr
Simone Sandroni / Russell Maliphant / Kenneth MacMillan
Musik 48nord / Eric Satie / Frank Martin
Solisten und ensemble des Bayerischen Staatsballetts
Mo 30.01.12 19:30 Uhr Prinzregententheater Premiere
Di 31.01.12 19:30 Uhr Prinzregententheater
Mi 01.02.12 19:30 Uhr Prinzregententheater
Do 02.02.12 19:30 Uhr Prinzregententheater
Der Nussknacker
Das Mädchen und der Messerwerfer / AfterLight / Broken Falls / Las Hermanas
Otello
parsifal
BALLett
eugen Onegin
Macbeth
aGenDa 92
ein Mädchen, „nicht einmal jung“,
wie es in den Versen des Gedicht-
zyklus Das Mädchen und der
Messerwerfer von Wolf Wondrat-
schek heißt. es hat keinen
namen, scheint verwandt mit den
Figuren aus Carson McCullers
romanen über die Mädchen, die
ein Junge sein wollten: Sie haben
gemeinsam, dass sie sich nicht
wohl in ihrer Haut fühlen, verlo-
ren, allein, einsam. akribisch
beobachten sie Menschen und
Umgebung, ungnädig, unver-
söhnlich. Das Mädchen geht durch
das Leben, ohne Verbindung
aufzunehmen, ohne dazuzugehören,
sich trotzig behauptend. „alle
auf der Bühne sind allein“, schreibt
der autor, „das Mädchen sollte
das Herzstück sein, fragil, verletz-
bar, geheimnisvoll.“ Der Choreo-
graph Sandroni erzählt diese
Geschichte in seiner wilden, leisen,
dynamischen tanzsprache, mit
der Kanadierin emma Barrowman
in der Hauptpartie.
Folgen wird mit Las Hermanas
eine klassische erzählung der
1960er Jahre, nach dem Drama
Bernarda Albas Haus von
Federico García Lorca und nach
der Choreographie von Kenneth
MacMillan, einem der großen
englischen erzähler auf der Ballett-
bühne, psychologisch sezierend,
leidenschaftlich, expressiv. Der
Link zwischen beiden traditionen
ist russell Maliphant, royal
Ballet School-absolvent und ehe-
mals tänzer am royal Ballet Lon-
don. er kommt mit zwei heraus-
ragenden preisgekrönten Stücken,
seinem Solo AfterLight und
dem trio Broken Falls, ursprüng-
lich geschaffen für Sylvie Guillem
und die Ballet Boyz, in Mün-
chen interpretiert von ekaterina
Petina, erik Murzagaliyev und
Marlon Dino. Zeitgenössische eng-
lische Choreographie vom Feinsten.
–bwb
Starke Stücke –
Zur Premiere von Das Mädchen und der Messer werfer
89-95_SPIELPLAN_korr_mxmfrei.indd 92 09.01.12 20:25
Frederick Ashton / Kenneth MacMillan
Scènes de ballet / Five Brahms Waltzes in the Manner of Isadora Dun-
can / Frühlingsstimmen / Das Lied von der erde
Musik Igor Strawinsky, Johannes Brahms, Johann Strauß, Gustav
Mahler
Solisten und ensemble des Bayerischen Staatsballetts
Musikalische Leitung Ryusuke Numajiri
Do 29.03.12 19:30 Uhr
Fr 30.03.12 19:30 Uhr
So 01.04.12 18:00 Uhr
Der Choreograph Frederick ashton
Sa 17.03.12 20:00 Uhr Ballettprobenhaus, Platzl 7
Der Choreograph Kenneth MacMillan
Sa 24.03.12 20:00 Uhr Ballettprobenhaus, Platzl 7
Nacho Duato
Musik Johann Sebastian Bach
Solisten und ensemble des Bayerischen Staatsballetts
Mo 06.02.12 19:30 Uhr
Di 07.02.12 19:30 Uhr
Jörg Mannes / Terence Kohler
Musik Maurice Ravel
Solisten und ensemble des Bayerischen Staatsballetts
Musikalische Leitung Michael Schmidtsdorff
Fr 10.02.12 19:30 Uhr
Sa 11.02.12 19:30 Uhr
Mi 15.02.12 19:30 Uhr
Do 16.02.12 19:30 Uhr
Fr 24.02.12 19:30 Uhr
Marius Petipa
Musik Peter I. Tschaikowsky
Inszenierung und neue Choreographie Ivan Liška
Solisten und ensemble des Bayerischen Staatsballetts
Musikalische Leitung Myron Romanul
So 19.02.12 17:00 Uhr
Mo 20.02.12 19:30 Uhr
Fr 02.03.12 19:30 Uhr
Sa 03.03.12 19:30 Uhr
Mi 04.04.12 19:30 Uhr
Mo 09.04.12 18:00 Uhr
John Neumeier
Musik Peter I. Tschaikowsky
Solisten und ensemble des Bayerischen Staatsballetts
Musikalische Leitung Michael Schmidtsdorff
Sa 10.03.12 19:00 Uhr
Mo 12.03.12 19:00 Uhr
Fr 16.03.12 19:00 Uhr
Mo 19.03.12 19:00 Uhr
Do 22.03.12 19:00 Uhr
Mein ravel: Wohin er auch blickt ... / Daphnis und Chloé
Dornröschen
Illusionen – wie Schwanensee
Steps & times
Ballett extra
Vielfältigkeit. Formen von Stille und Leere
aGenDa 93
89-95_SPIELPLAN_korr_mxmfrei.indd 93 09.01.12 20:25
PARTNER DES BAyERISCHEN STAATSORCHESTERS
Joseph Haydn, Gheorghe Mustea, Dmitri Schostakowitsch
Violine Rita Rózsa, Immanuel Drißner
Viola Adrian Mustea
Violoncello Rupert Buchner
Di 24.01.12 20:00 Uhr Allerheiligen Hofkirche
Wolfgang amadeus Mozart
Christoph Well liest Bäsle-Briefe
Flöte Andrea Ikker
Violine Ulrike Collins
Viola Wolfgang Berg
Violoncello yves Savary
Di 14.02.12 20:00 Uhr Allerheiligen Hofkirche
Joseph Haydn, Louise Farrenc, George Crumb, Carl Maria von Weber
Flöte Katharina Kutnewsky
Violoncello Anja Fabricius
Klavier Fritz Schwinghammer
So 04.03.12 11:00 Uhr Allerheiligen Hofkirche
Di 06.03.12 20:00 Uhr Allerheiligen Hofkirche
nikolai rimsky-Korsakov, Paul Dukas, richard Strauss
Musikalische Leitung Kurt Masur
Mo 26.03.12 20:00 Uhr
Di 27.03.12 20:00 Uhr
Carl Loewe, robert Schumann, richard Strauss, Gustav Mahler
Bassbariton Thomas Quasthoff
Klavier Justus Zeyen
Fr 03.02.12 20:00 Uhr
rInGSeMInar: DaS rHeInGOLD
So 12.02.12 09:00 Uhr Capriccio-Saal
Mo 13.02.12 18:00 Uhr Capriccio-Saal
rInG-MatInee 2: arBeIt
So 26.02.12 11:00 Uhr
rInG-MatInee 3: MaCHt
So 04.03.12 11:00 Uhr Senatssaal des Bayerischen Landtags,
Maximilianeum
rInG-SeMInar: DIe WaLKüre
So 18.03.12 09:00 Uhr Capriccio-Saal
Mo 19.03.12 18:00 Uhr Capriccio-Saal
3. Kammerkonzert
Liederabendthomas Quasthoff
Faschingskammerkonzert
4. Kammerkonzert
4. Akademiekonzert
rUND UM DeN rING – DAS BeGLeItprOGrAMM
aGenDa 94
LIeDerABeNDKONzerte
89-95_SPIELPLAN_korr_mxmfrei.indd 94 09.01.12 20:25
engelbert Humperdinck / Frank rudhardt
Sa 28.01.12 14:30 Uhr Parkett, Garderobe
Sa 18.02.12 14:00 Uhr Ballettprobenhaus, Platzl 7
Sa 25.02.12 14:00 Uhr Ballettprobenhaus, Platzl 7
Modest Mussorgsky
Sa 10.03.12 14:30 Uhr Parkett, Garderobe
Sa 17.03.12 14:30 Uhr Parkett, Garderobe
Fr 16.03.12 15:00 Uhr Treffpunkt: Seitlicher Eingang
an der Maximilianstraße
Sprecher Dr. Günther Beckstein, Ministerpräsident a.D.
Do 29.03.12 19:30 Uhr Allerheiligen Hofkirche
Der Vorverkauf erfolgt über die Freunde des nationaltheaters e.V.:
t 089 – 53 10 48 oder [email protected]
HAUPTSPONSOR DER ORCHESTERAKADEMIE
Sitzkissenkonzert:Hänsel und Gretel
Spiel Ballett: es war einmal und ist noch nicht vorbei …
Sitzkissenkonzert:Die Kinderstube
Wovon erzählt uns richard Wagner?
passionskonzert
Illustration Gian Gisiger, Bureau Mirko Borsche aGenDa 95
CAMpUS
89-95_SPIELPLAN_korr_mxmfrei.indd 95 09.01.12 20:26
Der Berliner Künstler Dennis Rudolph, Jahrgang 1979,
gestaltet die Plakatserien für den Ring des Nibelungen
in der Spielzeit 2011/12. Dennis Rudolph arbeitet in
verschiedensten künstlerischen Medien wie Malerei,
experimentelle Druckgrafik, Zeichnung und Fotografie.
Dabei sind es immer die historischen Dimensionen, die
ihn interessieren und die er mit zeitgenössischem Stil
und zeitgenössischem Denken überlagert und ins Heute
spielt. Auf diese Weise tragen uns seine Arbeiten mitten
in die Auseinandersetzung.
96-100_PLAKATKUENSTLER_VORSCHAU_05_01_frei.indd 96 10.01.12 10:03 96-100_PLAKATKUENSTLER_VORSCHAU_05_01_frei.indd 97 10.01.12 10:03
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* Vlado Milunic & Frank Gehry: „Das tanzende Haus“ Foto
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Als eines der weltweit führenden Gase- und Engineeringunternehmen wissen wir: Technik, Erfahrung und Präzision sind die Voraussetzung für höchste Qualität. So auch in der Musik. Wir freuen uns, die Bayerische Staatsoper als Spielzeitpartner zu begleiten. Wir teilen den Anspruch, kontinuierlich neue Maßstäbe zu setzen. Ob musikalisch oder techno-logisch – hinter jeder hervorragenden Leistung stehen Menschen mit Ambition.