Ring erzählen - Bayerische Staatsoper · Hommage an Die Simpsons im Jahr 199ß ausgewählt, als...

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Vom Ring erzählen Neuinszenierung Der Ring des Nibelungen Andreas Kriegenburg Kent Nagano Erzählungen von Händl Klaus Christine Pitzke Helmut Krausser Ann Cotten Robert Hültner MAX JOSEPH

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VomRing

erzählen

Neu in szenier ung Der Ring des Nibelungen

Andreas KriegenburgKent Nagano

Erzählungen vonHändl KlausChristine Pitzke

Helmut KrausserAnn CottenRobert Hültner

MAX JOSEPH

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Bayerische staatsoper

Max Joseph 2 2011–2012

Das Magazin der Bayerischen Staatsoper

01_SCHMUTZTITEL_korr_mxm_frei.indd 1 09.01.12 19:37

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Das Erzählen ist ein ungeheuerlicher Vorgang. Etwas erweckt unsere Aufmerk-

samkeit, eine Figur, eine Begebenheit, vielleicht auch die Stimme eines Erzählers.

Folgen wir diesem Reiz, erwacht eine ganz eigene Landschaft, in der wir, den roten

Faden des Erzählers ertastend, Bewohner neuer Welten werden. Zugleich sind wir

selbst oft Erzähler, um zu unterhalten, zu überzeugen, um etwas preiszugeben von

uns oder um Geschehenem einen Sinn zu verleihen.

Im kommenden Halbjahr wird die Bayerische Staatsoper Richard Wagners

Ring des Nibelungen neu auf die Bühne bringen. Für Regisseur Andreas Kriegen-

burg ist die gemeinschaftliche Erzählung dieses Mythos der zentrale Denkansatz.

Daher haben wir für diese Ausgabe von MAX JOSEPH Literaten gebeten, uns

eine Geschichte zu erzählen, deren Ausgangspunkt im Kosmos des Ring liegt, an

deren Ende aber etwas völlig Neues steht. Entstanden sind Erzählungen in den

unterschiedlichsten Farben, jede mit ihrer eigenen fantastischen Welt. Um die ru-

hende Waffe des Vaters etwa spinnt Helmut Krausser seine Erzählung, um ein

Rinnsal aus Wasser, das in eine Achselhöhle laufen darf, Christine Pitzke ihre.

Händl Klaus setzt an bei einem Vater, zu groß für eine Wohnung, und die Lyrikerin

Ann Cotten bei einer Wette um das eigene Haupt.

Die Bilder zwischen diesen Erzählungen haben internationale Künstler ent-

worfen, die ebenfalls ganz eigene Darstellungen für bekannte Gestalten aus dem

Ring gefunden haben. Anmutig und doch bedrohlich tritt bei Alex Simpson der

Rhein über die Ufer, und Thais Beltrame lässt am Ende Siegfried von einem Lei-

chenzug aus Kindern zu Grabe tragen.

Zunächst aber kommen die Hauptpersonen der Ring-Inszenierung zu

Wort. Andreas Kriegenburg spricht ausführlich über den zentralen Gedanken des

Lagerfeuers, und Kent Nagano erzählt von seiner eigenen Erfahrung mit Erzäh-

lung und der Sprache der Musik. Solisten auf der Bühne schließlich verraten uns

in überraschenden und oft berührenden Antworten, was sie persönlich mit dem

Erzählen verbinden.

Was in all diesen Facetten des Erzählens deutlich wird, ist der Reichtum

einer guten Geschichte. Wir möchten Ihnen Lust machen, sich auf jede einzelne

Erzählung einzulassen wie auch auf jene große, die alle Kräfte der Bayerischen

Staatsoper mit Andreas Kriegenburg neu erzählen werden.

Nikolaus Bachler, Staatsintendant

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ErzählungEn

Ann Cotten – Willkür

helmut Krausser – Die Familie der Verlorenen (Bronn)

Christine Pitzke Die Pause nach dem Dritten Akt und kein Ende

händl Klaus – Mädi

Silke ScheuermannDie Rheintöchter

robert hültner – Die Ablehnung

Yusuf Özgüney (12 Jahre) Sigurds Rettung Vom weiteren Schicksal Sigurds,

dem Helden aus der

Kinderoper Sigurd der Drachentöter

Zur NeuiNsZeNieruNg

8Das Vergnügen am irrationalenRegisseur Andreas Kriegenburg über seinen Zugang zu Wagners Ring

16Den Worten nachspürenGeneralmusikdirektor Kent Nagano über die Sprache der Musik

Von einer liegen gebliebenen Waffe

des Vaters, die Bronn gebraucht, um

sich Lust zu verschaffen

Von der Rache des Sohnes an seinem zu großen Vater

Von Magda, die an der Gewöhnlichkeit

ihrer Töchter leidet, und eines Tages doch

ihr Hörkränzchen beeindruckt

Von einer fiktiven Erklärung des

Dramaturgen an den Autor, der die Vertonung

des Nibelungenliedes eingereicht hat

Von einer Wette um das eigene Haupt,

wenn es nicht gelänge, sechs jungen Männern

Spaß zu bringen

Der amerikanische

Fotograf Blake

Andrews ist

Auto didakt. Ausge-

rüstet mit einer

Kleinbildkamera

fängt er täglich das

ein, was ihm

direkt in den Blick

kommt. Das Kind

auf dem Foto ist

sein jüngster Sohn

Emmett, auf-

genommen im Alter

von drei Jahren,

als er den zauber-

wald in Salem/

Oregon besuchte

(www.blakeandrews.

blogspot.com).

Zum Cover

26

36

Von einem so rauschhaften wie poetischen Musikerlebnis 48

56

64

74

von Literaten zu einem Motiv aus dem Kosmos des RingDer Ring des Nibelungen

84

Als ZugAbe

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Seite 2

FOTOArBEiT

von nina Canell & robin Watkins

Seite 3

EDiTOriAl

von nikolaus Bachler

Seite 6

BilDKünSTlEr / imPrESSum

Seite 89

AgEnDA

Seite 90

SPiElPlAn

Seite 96

PlAKATKünSTlEr

Collage von Dennis rudolph

Seite 100

VOrSChAu

BilDEr

Elsa Voß (9 Jahre)

Brecht Vandenbroucke

Alex Simpson

lili Scratchy

Thais Beltrame

Elvis Studio

Wie die Riesen Freia rauben

(Schwarzstift, CMYK-Colorierung)

Wie die Rheintöchter das Gold wiedererlangen und wie

Siegfried die Stimme des Vögleins versteht (Aquarellfarbe)

Wie Fafner Fasolt erschlägt und wie die Rheitöchter

sich unter Wasser vergnügen (Filzstift)

Wie Siegfried zu Grabe getragen wird

(Chinatinte und Pinsel)

Wie man den Ring in jeder Welt finden kann

(Buntstift)

Wie Fafner sich in einen Drachen verwandelt,

und mehr (Filzstift) 22

32

44

5462

72

80

gestaltet von Künstlern, inspiriert von Szenen aus dem Ring

säNgerantworten auf Fragen zum Erzählen

Klaus Florian Vogt 34SiegmundJuha uusitalo 42Wotan, Der WandererNina stemme 43 Brünnhildeulrich reß 52MimeCatherine Naglestad 53 BrünnhildeCatherine Wyn-rogers 61ErdaOkka von der Damerau 70 FloßhildeJohan reuter 71Wotaneri Nakamura 83Woglindesophie Koch 86Frickastephen gould 87Siegfried

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die diese MAX JOSEPH -Ausgabe gestaltet haben

Alex Simpson

Seite 44

Aquarelle sind das Herzstück

der Arbeit der Londoner

Künstlerin Alex Simpson.

Sie lädt das Ungezwungene

und Spontane dazu ein, ihre

feingliedrigen Figuren in

verwässerte Tinte ausbluten

zu lassen. Für diese Ausgabe

hat sie eindrucksvoll

Siegfried diesen Weg gehen

lassen, als er plötzlich die

Sprache des Vögleins

verstehen kann, und den

mächtigen Moment, als der

Rhein über die Ufer tritt und

die Rheintöchter den Ring

zurückgewinnen. Ab S. 44.

Elsa Voß (9 Jahre)

Seite 22

Elsa geht in die Klasse 4f

der Münchner Astrid-Lind-

gren-Grundschule. Sie malt

sehr gern und denkt sich

selbst Geschichten aus, die

sie entweder aufschreibt

oder zeichnet. Ihre eigenarti-

gen und besonderen Welten

beschäftigen sie oft wochen-

lang. Wer Mühe hat, sich im

Geflecht der Wagner’schen

Figuren zurechtzufinden,

dem seien Elsas Zeichnun-

gen empfohlen, die erstaun-

liche Klarheit darüber

bringen, was wirklich zählt

im Ring. Ab S. 22.

Brecht Vandenbroucke

Seite 32

Bunt, laut, roh und farben-

froh sind die Arbeiten des

belgischen Künstlers Brecht

Vandenbroucke. Der frisch

diplomierte Illustrator

gestaltet auch Plattencover

und Plakate, veröffentlicht

in Magazinen und Ausstel-

lungen und zeichnet Comics.

Entsprechend spannend ist

das Bild des Moments, als

Wotan mit der Bezahlung

zögert, und daraufhin die

Riesen Freia rauben und

noch vor Sonnenuntergang

Bezahlung verlangen.

Zu sehen auf S. 32/33.

Thais Beltrame

Seite 72

Thais Beltrame hat schon

als Kind Buntstifte gehasst

und stattdessen mit

Kugelschreibern endlose

Linien und Muster gezeich-

net. Mittlerweile schafft die

in São Paolo lebende

Künstlerin daraus Schwarz-

Weiß-Zeichnungen zu

existenziellen Themen, die

das Dunkle in unseren

Kindheitserinnerungen

wachrufen, aber auch die

glühende Entdeckerfreude

darin. Für diese Ausgabe

sind die gezeichneten

Linien zu Siegfrieds Leichen-

zug geworden (S. 72/73).

Elvis Studio

Seite 80

Helge Reumann und Xavier

Robel arbeiten als Elvis

Studio seit 1998 in Genf.

Ihre Zeichnungen quellen

über vor tausenderlei bunten

Figuren, Widersprüchen

und Wesen, einer Vielfalt am

Rande des Wahnsinns. Ihr

Bilderkosmos entsteht,

indem jeder Künstler

abwechselnd ein neues

Fragment hinzufügt, dem

Eigenleben ihrer Figuren

folgend. Hier liegt nicht die

Schönheit, sondern die

Geschichte im Auge des

Betrachters. Zu erfahren

auf S. 80/81.

Lili Scratchy

Seiten ß4/62

Ihr Pseudonym hat die

Französin Lili Scratchy als

Hommage an Die Simpsons

im Jahr 199ß ausgewählt, als

ihr erstes Kinderbuch Lulu

Magazine veröffentlicht

wurde. Ihre Arbeit – in

Illustrationen, in Comics, in

ihrem Laden in Paris –

strahlt einen fröhlichen und

lauten Optimismus aus. Ist

dieser bei der Darstellung

der Rheintöchter (S. 62/63)

noch gut vorstellbar, wirkt

er verblüffenderweise auch

im Bild der kämpfenden

Riesen Fafner und Fasolt

(S. ß4/ßß).

Impressum

magazin derBayerischen staatsoper 

www.staatsoper.de/maxjoseph

max-Joseph-platz 2 / 80539 münchenT 089 – 21 85 10 20F 089 – 21 85 10 23www.staatsoper.de

[email protected]

Herausgeberstaatsintendant Nikolaus Bachler

(V.i.s.d.p.)

Redaktionsleitungmaria märz

GesamtkoordinationChristoph Koch

Redaktionmiron Hakenbeck, rainer Karlitschek,

Olaf A. schmitt, Andrea schönhofer, martina stütz, Bettina Wagner-Bergelt

BildredaktionYvonne Gebauer, Julia schmitt

GestaltungBureau mirko Borsche

mirko Borsche, Johannes von Gross, reinhard schmidt, Felix Wetzel

AutorenJörg Böckem, Ann Cotten, Händl Klaus, robert

Hültner, Helmut Krausser, Yusuf Özgüney, Christine pitzke, silke scheuermann

Fotografen & IllustratorenBlake Andrews, Thais Beltrame, Nadja

Bournonville, Nina Canell & robin Watkins (mit bestem Dank an die Galerie Barbara

Wien), elvis studio, Gian Gisiger, Till Janz, Jörg Koopmann, Dennis rudolph, Lili

scratchy, Alex simpson, Brecht Vandenbroucke, elsa Voß, patrick Widmer

MarketingLaura schieferle

T 089 – 21 85 10 27 / F 089 – 21 85 10 [email protected]

SchlussredaktionChristiane Fritsche

VerlagHOFFmANN uND CAmpe VerLAG GmbH,

ein unternehmen der GANsKe VerLAGsGruppe

Harvestehuder Weg 42 / 20149 HamburgT 040 – 44 18 8-457 / F 040 – 44 18 8-236

[email protected]

AnzeigenleitungBayerische staatsoper:

Imogen LenhartT 089 – 21 85 10 06 / [email protected]

Verlag: Doris Bielstein

T 040 – 27 17 20 95 / [email protected]

Vertrieb Zeitschriftenhandelpremium sales Germany GmbH

poßmoorweg 2-6 / 22301 HamburgT 040 – 27 17-23 43

LithografiemXm Digital service, münchen

DruckGotteswinter, münchen

ISSN 1867-3260

Nachdruck nur nach vorheriger einwilligungAlle rechte vorbehalten

Die Bildkünstler

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Das Vergnügen am Irrationalen

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Richard Wagner hat

mit dem Ring des Nibelungen ver‑

sucht, aus mehreren mythologischen

Quellen und zeitgenössischen

Einflüssen ein in sich geschlossenes

Weltgebäude zu errichten, in dem

alles miteinander in Beziehung steht.

Was reizt daran, dieses Weltgebäude

neu zu errichten, oder was ist daran

auch suspekt?

Wagner

hat sicherlich versucht, ein musikali‑

sches, gedankliches, ästhetisches

Werk mit einer großen Geschlossen‑

heit und Wucht zu schaffen. Ob seine

Intention tatsächlich dahin ging,

eine Welt zu miniaturisieren, um sie

dann innerhalb eines Bühnenkontex‑

tes wiedergeben zu können, weiß ich

nicht. Das wäre mir vom Gedanken

auch zu groß. Unser Ansatz in der

Neuinszenierung wird sein, nicht zu

versuchen, Welt abzubilden, sondern

das Motiv der Entstehung von Welt

durch Erzählung wiederzugeben.

Diese Erzählung ist bei Wagner

unglaublich komplex, wodurch der

Eindruck einer großen Realität

entsteht. Über die Verwerfungen, die

Ausfransungen, über die Unwahr‑

scheinlichkeiten wird es merkwürdi‑

gerweise wahrscheinlicher, dass sie

eine ganze Welt abbilden soll. Ich

glaube, dass man Wagner und sich

selbst zu sehr unter Druck setzt,

wenn man sagt: Ich muss eine oder

gar seine Welt abbilden. Deshalb

auch unser Versuch, den Interpre‑

tationsballast herunterzubrechen

und sich auf das soziale Motiv des

Erzählens zu konzentrieren.

Die Figuren des Ring erzählen

immer wieder, und das aus den

unterschiedlichsten Gründen: um an

Informationen zu kommen, um die

Vergangenheit zu erinnern. Was aber

meint Erzählen als soziales Motiv?

Das Erzählen ist auch der

Ausgangspunkt Wagners. Er unter‑

scheidet nicht strukturell zwischen

Erzählung und Kunstwerk, zwischen

Rezitativ und Arie, die sich letztlich

wie ein Zeitloch in die Handlung

drückt. Ich glaube, es gibt Werke,

die mehr oder weniger stark erzäh‑

lend sind, ein Werk von Mozart oder

Händel ist sicher weniger erzählend.

Die Behauptung von Erzählung

funktioniert dort nur als Vehikel: auf

der einen Seite für die Ausstellung

von Kunstfertigkeiten und auf der

anderen Seite zur Widerspiegelung

von inneren Zuständen. Manche

Erzählungen geben nur vor, Erzäh‑

lung zu sein, sind aber Traum oder

Angstvision. Sie bewegen sich

nirgendwohin und haben keine

Interaktion mit der Wirklichkeit. Da

entsteht ein dramatischer Moment

auf der Bühne, und man bewegt sich

lange um ihn herum – mit Arien und

Koloraturen. Das ist beim Ring ganz

anders. Die Intention zu erzählen ist

ein wesentlicher Motor für die

Geschichte. Wagner ist hier viel

unerbittlicher, drängender, treiben‑

der, ist auch musikalisch fortlaufend

am Erzählen, mit Ahnungen und

Deutungen, die sich überschneiden.

Er gibt den Figuren untereinander

viel Zeit und Raum, etwas von sich

preiszugeben, Rätselhaftes als

rätselhaft zu bemerken und eben

nicht entschlüsseln zu können.

Merkwürdigerweise hat man auf der

anderen Seite das Gefühl, dass

gleichzeitig die Geschichte in

gigantischem Tempo auf die nächst‑

mögliche schlimme Wendung zurast.

Vor allem aber wollen wir versuchen,

den Ring wieder als eine unsere

Kultur stiftende Erzählung zu

verstehen und als ein soziales

Ereignis: Man teilt einander Ge‑

wusstes, Erlebtes oder auch Erfun‑

denes mit.

Und wer erzählt da wem etwas?

Wenn man es ganz utopisch

formuliert, dann erzählt die Gesell‑

schaft sich selber etwas. Es gibt

nicht den einen Erzähler, sondern

der gesamte Apparat der Oper

fungiert als Erzähler, bündelt die

Fantasiekräfte. Weniger um ein

ästhetisches Überrumpelungswerk

zu entwerfen, sondern vielmehr setzt

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Links: Andreas Kriegenburg,

Regisseur des

neuen Ring an der

Bayerischen Staatsoper

Eine Gesellschaft sitzt um ein Lager feuer und erzählt sich vom Ver schwindender Götter und wiesie Macht‑ undmaterielle Gier über wunden hat – welch Utopie. Regisseur Andreas Kriegenburg erläutert für MAX JOSEPHden zentralenDenk ansatzseiner Neuin‑szenierung vonRichard Wagners Ring des Nibelungen.

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sich die Gesellschaft mit ihren

Wurzeln auseinander, indem sie

sich von ihnen erzählt.

Welche Funktion hat eine solche

kollektive Erzählung? Definiert oder

erschafft sich diese Gesellschaft

damit neu?

Vielleicht schafft sie sich sogar

neu, aber in einem fortwährenden

Prozess, indem sie sich ihrer Wurzeln

versichert. Kollektive Erinnerung

stiftet immer Identität. Das ist eine

der wesentlichsten Aufforderungen,

die uns die Zeit stellt: Bleibt starr‑

sinnig im euch Erinnern! Auch in der

Auseinandersetzung mit Wagner

taucht die Aufforderung auf, sich an

ihn, sein Werk, aber auch an das zu

erinnern, was mit ihm manipulativ

geschehen ist. Für mich ist allerdings

das soziale Ereignis wichtiger als der

Nebeneffekt, dass eine kulturelle

Identität entsteht oder sich bestätigt.

Wo setzt die Erzählung dann an?

Wir haben es ja mit einem doppelten

Mythos zu tun. Da ist einerseits das

scheinbar Ursprüngliche, das

„Urgewand“, wie Wagner es nennt:

mehrere Stoffe, die im 19. Jahrhun‑

dert überhaupt erst wieder auftauch‑

ten – die Nibelungensaga, die Edda

usw. Dann gibt es Wagners spezifi‑

sche Erzählweise. Sie haben sich mit

dem Nibelungenstoff in der Inszenie‑

rung von Friedrich Hebbels Version

an den Münchner Kammerspielen

schon auseinandergesetzt. Liegt nun

der Ansatzpunkt zu dieser Erzählung

nur bei Wagner, oder wollen Sie

durch Wagner auch zu den Quellen

stoßen?

Vielleicht führt uns Wagner selbst

zu den Quellen. Mein Gedanke ist,

die Geschichte von ihrem Ende her,

aus einer Perspektive nach der

Götterdämmerung zu erzählen. Ich

bin jemand, der starrsinnig nach

Utopien sucht und bis zum Selbst‑

widerspruch an diesen Utopien

festhält. Wir versuchen, die Behaup‑

tung aufzustellen, dass es nach dem

Niedergang der in der Götterdämme-

rung beschriebenen Gesellschaft

eine neue Gesellschaft gab, die ihren

Ursprungsmythos lebendig hält und

ihn sich immer wieder erzählt. Es gibt

von uns aus die Projektion einer

friedlichen, sich ihrer selbst bewuss‑

ten Gesellschaft, die sich immer

wieder trifft, um diesen Mythos des

Verschwindens der Götter, der

Machtgier und der materiellen Gier

zu erleben.

Wenn sich viele Menschen

gemeinsam ihre Geschichte erzäh‑

len, dann müsste es auf diese

Geschichte auch viele Perspektiven

geben, die alle wahr sind. Wie kann

es funktionieren, dass Erzählen eine

Gemeinschaft stiftet, wenn man

akzeptieren muss, dass es die eine

Wahrheit der Geschichte nicht gibt?

Ich glaube, dass man sich im

philosophischen Sinne vom Ziel des

Findens verabschieden muss.

Gleichzeitig stellt einem die gemein‑

same Suche auch bestimmte Fragen

wie: Warum ist trotz unserer sich

stets wiederholenden Erfahrungen

die Sehnsucht nach Liebe größer als

die Sehnsucht nach Geld? Warum ist

die Sehnsucht nach Gerechtigkeit

größer als der Egoismus? Warum,

trotz aller Unwahrscheinlichkeit,

sind wir Menschen zur Humanität

fähig? Diese Fragen sind für mich

sinnstiftender als die Antworten. Und

in dieser Vielstimmigkeit der Suche

spiegelt sich wider, dass nicht das

gemeinsame Finden einer gültigen

Antwort das Ziel ist, sondern die

Gemeinsamkeit als solche.

Findet sich diese Offenheit in

Wagners Werk auch? Über 100 Jahre

Rezeption hinweg wurde er immer

wieder kategorisch ausgelegt, bis hin

zur Demagogie.

Das kann ich nur sehr persönlich

beantworten. In den letzten zwei

Jahren musste ich mir eine Nähe zu

Wagner mehr oder weniger mühsam

erhören. Er ist mir in seiner musikali‑

schen Vehemenz eher fremd. Indem

er mir aber über seine fast manische

Dringlichkeit abstruseste Begegnun‑

gen mit einer unglaublich hohen

Leidenschaftlichkeit vor den Latz

knallt – ob das Betrug oder Begierde

ist, ob Inzest –, konfrontiert er mich

mit Kategorien, die meinen alltägli‑

chen Horizont sprengen, und zwingt

mich zu einer persönlichen Ausein‑

andersetzung. Wagner zwingt mich

stärker als andere Komponisten,

denen ich mich näher fühle – eine

Vorbereitung zu einer Händel‑Oper

fällt mir scheinbar leichter –, in ganz

andere Denkkonsequenzen. Ich muss

mich mit der Zeit der Komposition,

mit der vielfältigen Interpretations‑

geschichte auseinandersetzen, auch

der Zeit des Nationalsozialismus. Er

zwingt mich auch zu einer Auseinan‑

dersetzung mit den Wurzeln meines

Liebesbegriffs, meines Humanitäts‑

begriffs, bis dahin, dass er mich

auffordert, darüber nachzudenken,

welche Art von Ereignistheater ich

denn eigentlich kreieren und selber

erleben möchte. Was setzt man höher

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„Warum, trotz aller Unwahr‑scheinlichkeit, sind wir Menschen zur Humanität fähig? Diese Fragen sind für mich sinn‑stiftender als die Antworten.”

Der Regisseur Andreas Kriegenburg

begann seine Theaterarbeit als Tischler

und Techniker am Theater seines Geburts‑

ortes Magdeburg. Nach ersten Inszenie‑

rungen in Frankfurt/Oder wurde er Anfang

der 1990er Jahre Hausregisseur an der

Volksbühne Berlin. Später inszenierte er

regelmäßig am Staatstheater Hannover

und am Burgtheater Wien, von 2001 bis

2009 als Oberspielleiter am Thalia Thea‑

ter Hamburg und seit 2009 am Deutschen

Theater Berlin. Immer wieder kehrt er

auch an die Münchner Kammerspiele zu‑

rück, wo er über Jahre hinweg eindrucks‑

volle Inszenierungen schuf. Schon für die

Münchner Inszenierung von Friedrich

Hebbels Die Nibelungen beschäftigte er

sich mit jenem Mythos, der Richard

Wagner als Ausgangspunkt für seine

Ring‑Tetralogie diente. Diese wie auch

zahlreiche andere Inszenierungen Krie‑

genburgs wurden zum Berliner Theater‑

treffen eingeladen. Mit Alban Bergs

Wozzeck gab er 2008 sein bemerkenswer‑

tes Debüt an der Bayerischen Staatsoper.

Hier bringt er nun mit seinem Team in

einer Spielzeit alle vier Teile von Richard

Wagners Der Ring des Nibelungen auf

die Bühne. In seiner theaterfreien Zeit

tanzt der selbsterklärte Utopist Tango

und fährt leidenschaftlich gern Motorrad.

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an: das „Spektakel Wagner“, die

unglaublich provozierend potente

Geste, oder das Schicksal der

Figuren, das Berührende der Begeg‑

nung?

Seinen Theaterbegriff überden‑

ken – das hat Wagner permanent

getan. Er hat den Stoff in seinem

Kosmos erweitert und dabei letztlich

bemerkt, dass er ihn an einem

normalen Opernhaus nicht aufführen

kann und sein eigenes Theater bauen

muss. Das Werk ist von einem

zeitlichen Ausmaß, das es bis dato

nicht gab. Fordert dieser Stoff in

seinen in vielerlei Hinsicht überbor‑

denden Ausmaßen dazu auf, das

Theater zu sprengen?

Wagner lässt einen für sich selber

wieder wachrufen, dass Theater

immer anmaßend sein muss, dass

Theater immer als eines seiner Ziele

formulieren muss: Ich lasse mich

nicht einsperren, nicht in meinem

Denken, nicht in meiner Fantasie und

auch nicht in meiner Ökonomie,

weder in der finanziellen noch in der

Kondition der Zuschauer. Ich folge

dem eigenen Impuls, meinetwegen

auch dem genialischen Impuls.

Wagner bringt mich an den Punkt,

mich auch meinem eigenen Wunsch

nach Maßlosigkeit zu stellen.

Gleichzeitig möchte ich mich nicht

mit ihm in Konkurrenz begeben. Es

war eine der ersten Entscheidungen

des Teams, Wagner nicht noch einmal

zu vergrößern. Nicht zu versuchen,

der Rezeptionsgeschichte einen noch

größeren Wagner hinzuzufügen, und

das Theater mit sich selber prahlen

zu lassen. Wir versuchen, Wagner vor

allem über die Maßlosigkeit seiner

Leidenschaft zu verstehen. Indem wir

die Intensität des Erlebens nicht an

der Dauer und der Lautstärke der

Musik und Szenen messen, sondern

daran, wie er Menschen einander

begegnen lässt und sie in größte

Verwirrung und Ängste stürzt. Und

diese unglaublich kraftvolle, mani‑

sche Dimension, die Dringlichkeit

und Schmerzhaftigkeit von Szenen

erlebbar zu machen, ist mir als

Neuorientierung wichtiger als eine

gigantische Materialschlacht.

Hinter sehr vielen Begegnungen

im Ring tauchen also archetypische

Erfahrungen auf. Wie kann man

einerseits eine Identifikation mit

Figuren und Situationen stiften und

andererseits in dieser Haltung

bleiben – „wir sind eigentlich dabei,

uns gemeinschaftlich etwas Größeres

zu erzählen“?

Das ist in der Tat im Theater in

vielen Stücken strukturell wider‑

sprüchlich. Auch im Ring erleben wir

Figuren auf der Bühne, die sich

unserer Realität entziehen. Nicht nur,

weil sie Opernfiguren, sondern weil

sie Götter sind. Das heißt, wir haben

einerseits immer die Aufgabe, sie zu

vermenschlichen, sie absurderweise

zu psychologisieren, damit wir uns

emotional an sie binden können.

Gleichzeitig müssen wir sie aber auch

von uns distanzieren, das heißt, wir

müssen Insignien von Macht finden,

die keinem Menschen zustehen. Die

Gewalt über andere Menschen

beispielsweise, die sich im Motiv des

Gottes widerspiegelt. Die Götter sind

letztlich in sich moralisch, aber den

Menschen unserer Welt gegenüber

total moralfrei. Ich kann nicht sagen

amoralisch, weil wir uns gar nicht als

ihnen ebenbürtig wahrnehmen. Das

auszubalancieren ist letztendlich

auch eine Form, mit dem eigenen

Sadismus und natürlich auch mit der

eigenen Liebesbedürftigkeit umzuge‑

hen. Welche Motive lassen mich

einen Wotan, der mit einer mir

fremden Macht ausgestattet ist, in

seiner Gefangenheit miterleben, und

welche Motive zeigen mir anderer‑

seits diese unglaubliche Ferne seiner

Macht? Seinen permanenten selbst‑

verständlichen Übergriff auf die

körperliche Autonomie des anderen?

Mit Wagners Ideengeber Ludwig

Feuerbach kann man sagen: Es gibt ja

doch keine Götter, sondern sie sind

von Menschen gemacht. Wenn ich an

den Göttern eine menschliche Seite

zeige und dann die übersteigert

götterhafte, ist die götterhafte dann

die Darstellung von etwas fast

Unvorstellbarem, wovon der Mensch

dennoch weiß, dass er selbst dazu

fähig ist? Steigert der Mensch sein

Wesen in der Erzählung noch einmal,

um es sich so zu vergegenwärtigen?

Wir kommen da mit Feuerbach

nicht weiter, weil wir uns in der

Autonomie einer Aufführung bewe‑

gen und darin Verwirrungen schaf‑

fen, die sich quasi nur über das

Göttliche erklären lassen: Verhal‑

tensmechanismen, in die wir das

Motiv des Göttlichen, also des uns

Fremden einlagern. Natürlich

können wir aus unserer Perspektive

der Vernunft sagen, dass es keine

Götter gibt, aber in der Mechanik

der Aufführung gibt es sie. Und

innerhalb dieser Mechanik funktio‑

niert es auch nicht, das Göttliche in

den Figuren zu ignorieren und zu

sagen: Das sind halt Industrielle!

Weil man sich dann innerhalb der

Logik des Stücks fragt, was der

Industrielle mit dem Speer will. Das

erfordert auf der einen Seite, eine

Psychologie zu ermöglichen, indem

ich den dort oben auf der Bühne für

mich als Zuschauer nacherlebbar

mache, dabei aber nicht völlig in der

psychologischen Erkennbarma‑

chung der Figur versinke. Er ist kein

Mensch. Es offenbaren sich in ihm

aber Zwänge, Prozesse, Ängste und

Verwerfungen, die ich auch kenne.

Jeder erlebt seinen eigenen Drachen 11

„Die Götter sind letztlich insich moralisch, aber den Menschen unserer Welt gegenübertotal moralfrei.”

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13

„Wir versuchen, Wagner überdie Maßlosig‑keit seinerLeidenschaftzu verstehen.“

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ist, dass sie sich nie erklären müs‑

sen. Kein Kind fragt danach, woher

der Drache kommt. Es zeigt sich eine

Grundangst und gleichzeitig eine

Sehnsucht, dieser Angst zu begeg‑

nen, sodass ich sie an keinem Punkt

rationalisieren muss. Ähnlich die

Engel: Jedes Kind freut sich in einem

bestimmten Alter, Engelsfiguren an

der Wand zu haben. Das sind Dinge,

die sich nie rationalisieren, als

würden die Menschen einen Teil von

„Das Tolle am Theater ist, dass es in seiner tiefsten Struk‑tur ein soziales Ereignis ist, aber trotzdem jeder Einzelne die Geschichte hört unddurch seine Fan‑tasie ergänzt.”

heiten zu sein: „Die Wirtschaft läuft

schlecht, die Banken sind böse,

keiner liebt mehr den anderen.“ Aber

die Bestätigung von Gewissheiten

stiftet überhaupt keine Gemeinschaft,

sondern zermürbt Identität, weil man

nur darin bestätigt wird, dass alle

gleich denken und alles in einen

starren und unkreativen Zustand

gerät.

Sie haben gerade vom Lagerfeuer

gesprochen ...

Für mich ist das Lagerfeuer der

zentrale Denkansatz für den Ring.

... und von seinen modernen

Formen. Funktioniert das Prinzip

Lagerfeuer noch heute, oder gibt es

diese kollektive Form des Erzählens

in einer ausdifferenzierten Gesell‑

schaft nicht mehr?

Natürlich gibt es auch außerhalb

des Theaters Rituale der sozialen

Organisation, in denen sich das

Gemeinsame ausdrückt, angefangen

vom Clubabend bis hin zum Tango‑

Tanzen. Für mich ist aber das, was im

Theater an Kraft aus Gemeinschaft‑

lichkeit sowohl auf der Probe als

auch im Ereignis der Aufführung

entsteht, fast mit nichts vergleichbar.

Auch Großveranstaltungen, von den

Gladiatorenkämpfen bis zum Fußball‑

spiel oder den Kirchentagen, agieren

mit den Ritualen des Theaters.

Eigentlich spiegelt sich darin nur die

Sehnsucht der Menschen nach der

Bedeutung eines Momentes wider,

der über sich selbst und die Triviali‑

tät des eigenen Daseins hinausweist

– Überwältigung!

Wagner überwältigt uns auch

heute noch mit ganz einfachen

Bildern. Warum hat etwa ein Drache

als Zeichen immer noch eine solche

Kraft?

Weil wir in einem bestimmten

Zeitraum unseres Lebens, gerade in

der Jugend, innerhalb einer Kultur

determinierend erzogen wurden.

Bestimmte mythologische Figuren

tauchen in ganz vielen Kulturen auf:

das geschuppte Wesen, das hinkende

Wesen oder das gehörnte Wesen.

Mythen begegnen uns und der

nächsten Generation wieder, weil sie

eine so starke emotionalisierende

Kraft haben. Das Faszinierende daran

Könnten wir heute so eine

mythische Erzählform auf der Bühne

auch mit neuen Stoffen kreieren?

Natürlich. Es gibt Wunschkonstel‑

lationen, die sich in uns nicht verän‑

dert haben. Der Wunsch nach Gerech‑

tigkeit: Wenn wir Dinge sehen, in

denen dieser Wunsch angegriffen und

der Angriff abgewehrt wird oder

meinetwegen auch auf tragische

Weise siegreich ist – das sind Ge‑

schichten, die man auch heute noch

erfinden kann oder im Alltag findet.

Ob im kleinen Kontext der Familie

oder global: Kontinente können im

Prinzip Götterpositionen einnehmen,

wenn der eine Kontinent den anderen

dominiert, bis dieser den Unterdrü‑

cker niederwirft. Ich glaube, dass

Theater als Ort sozialer Realität

unsere Sehnsucht nach Empathie

nicht gerade befriedigt, aber doch

immer wieder anspricht. Das ist vom

Lagerfeuer bis zu modernen Formen

des Lagerfeuers erhalten geblieben.

Unser Dilemma ist nur, dass das

Theater immer stärker Markt‑ und

Beschleunigungsmechanismen

unterworfen ist und die Künstler

demgegenüber zynisch reagieren,

indem sie die Erzählung verweigern.

Wenn es diese Zeiträume für Erzäh‑

lung und für die Nähe von Bühne und

Zuschauerraum nicht mehr gibt, läuft

das Theater Gefahr, nur noch eine

Bestätigungsmaschine für Gewiss‑

„Mein Gedanke ist, die Geschichte aus einer Per‑spektive nach der Götter-dämme rung zu erzählen. Ich bin jemand, der starrsinnig nach Utopien sucht und bis zum Selbstwider‑ spruch daran festhält. Wir versuchen, die Behauptung aufzustellen, dass es nach dem Niedergang in der Götter-dämmerung eine neue Gesell‑ schaft gab, dieihren Ursprungs‑mythos lebendighält und ihn sich immer wieder erzählt.“

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Der Ring des Nibelungen

Bühnenfestspiel für drei

Tage und einen Vorabend

von Richard Wagner

— Das Rheingold

Premiere am Samstag, 4. Februar 2012

— Die Walküre

Premiere am Sonntag, 11. März 2012

— Siegfried

Premiere am Sonntag, 27. Mai 2012

— Götterdämmerung

Premiere am Samstag, 30. Juni 2012

Vorstellungen jeweils

im Nationaltheater

Weitere Termine im Spielplan

ab S. 90

sich, das Irrationale, beschützen

wollen. Bestimmte Fragen werden

ganz konsequent verweigert, was

Hollywood auch aufnimmt. Filme, in

denen Drachen auftauchen, liefern

nur ganz fadenscheinige Gründe für

deren Existenz, hauptsächlich

spielen sie mit dem Motiv des

Erlebens von Angst.

Nun hat aber Hollywood die

Potenz zu einer perfekten Illusion,

die keine Bühne darstellen kann und

vielleicht auch nicht will.

Aber das ist doch toll, dass ich im

Kino davon erlöst bin, mir selber mein

Bild zu machen. Dass ich die verding‑

lichte Adaption meiner Angst erleben

muss, verlangt das Theater von mir.

Das ist mitunter viel intensiver, weil

sich nicht das Abbild, sondern das

innere Wesen dieser Angst zeigt. Das

Theater darf nicht die Hülle des

Drachens darstellen, sondern es

muss einen Überrumpelungsmoment

erfinden, der mich in einer ähnlichen

Weise emotional bedrängt, und sei es

mit Ekel. Es lässt mich etwas, wovon

ich weiß, dass ich seit meiner

Kindheit davor Angst habe, noch

einmal genussvoll erleben.

Aber es wirft mich auch wieder

auf meine Angst und meinen Ekel

zurück, vollkommen irrational, denn

ich weiß ja, dass es keine Drachen

gibt.

Das Tolle am Theater ist, dass es

in seiner tiefsten Struktur ein

soziales Ereignis ist, aber trotzdem

jeder Einzelne die Geschichte hört

und durch seine Fantasie ergänzt.

Das zeigt sich auch im Drachen:

Jeder erlebt seinen eigenen Drachen.

Bei dem einen ist der Ekel gegenüber

dem Blut, das von dessen Gesicht

heruntertropft, größer als bei dem

anderen, der daran vielleicht sogar

ein Vergnügen hat, weil er eine Lust

verspürt, sich mit dieser Angst

auseinanderzusetzen. Das Vergnü‑

gen am Irrationalen! Es ist spannend

zu fragen, warum Wagner diese

vielen unglaublich naiven Momente

benutzt. Er hat einerseits große Lust

an der Vehemenz der theatralen

Geste, andererseits traut er sich, in

eine Szenerie größter Bedrängnis

Märchenmotive einzubauen. Der

Trick Wotans im Rheingold, Alberich

zu überrumpeln, hätte auch raffinier‑

ter und gewalttätiger sein können.

Warum tauchen hier Schlange und

Kröte auf? Warum traut sich Wagner,

diese scheinbar fernliegenden

Momente zu verknüpfen? Warum

verweist er in diesem Punkt, der in

sich so grausam ist, auf eine ganz

bestimmte Naivität der Erzählung?

Wenn man genauer hinsieht, verweist

dies aber genau darauf, dass sich

diese Erzählung auch in unserem

persönlichen Ursprung wiederfindet.

Die Höhle, die Dunkelheit, die

Gefahr, die Zauberei und der Trick

des Schlauen gegenüber dem

Dummen – mit all dem schafft Wagner

einen Verweis auf die für ihn so

wichtige Naivität für das Wahrneh‑

men der Szene und seiner Musik.

Wir wollen johlen, wenn der Gute

den Bösen überwindet. Jedes Kind,

jeder Erwachsene will irgendwann

einmal verschwinden oder sich

kleinmachen, jeder hat einmal Angst

vor einem Unwesen. Und diese Dinge

benutzt Wagner sehr affirmativ. Er

fährt alle textlichen, musikalischen

und szenischen Mittel auf, um diesen

irrationalen Moment im größtmögli‑

chen Ausmaß zu erzeugen.

Und in der größtmöglichen

visuellen und akustischen Bildhaf‑

tigkeit! Er schafft eine Möglichkeit

des höchst Unwahrscheinlichen: der

Verwandlung eines Wesens in ein

anderes oder des Wunsches danach,

unsichtbar oder unverwundbar zu

werden. Er stellt sich nie infrage oder

sichert sich ironisch ab, sondern

nimmt diesen Bereich einfach als Teil

der Erzählung an und gestaltet ihn

musikalisch ungeheuer kraftvoll.

Unterscheidet sich die theatrale

kollektive Erzählung von der persönli‑

chen Erzählung, die ich beispielswei‑

se meinem Kind vorlese? Die Groß‑

mutter sitzt am Bett und schlüpft für

einen Moment in die Rolle des Wolfs.

Das Kind weiß, dass es sich etwas

erzählen lässt, aber für den Moment

akzeptiert es, dass die Großmutter

das Monster ist, das ihm den Schreck

einjagt.

Ja, wenn man diesen Gedanken

zu Ende denkt, dann funktioniert das

über das Vergnügen der Großmutter,

diese Geschichte für das Enkelkind

zu theatralisieren. Ein gemeinsames

Vergnügen, bestimmten Emotionen

ausgesetzt zu sein!

Jeder erlebt seinen eigenen Drachen 15

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Den Worten nachspürenMAX JOSEPH Herr Nagano, hat

der Ring uns heute noch etwas zu

erzählen, über den Menschen, die

Gesellschaft und über uns?

KENt NAGANO Sicher. Wagner ist

es mit dem Ring gelungen, eine neue

Perspektive für die Oper aufzuzeigen

und gleichzeitig eine Referenz

an traditionelle Erzählformen zu

schaffen. Legenden und Mythen

sind mehr als schöne Geschichten.

Früher wurden sie von Mund zu

Mund weitergegeben – wohl die

stärkste Erzählform. Sie erzählen

von den Wurzeln einer Gesellschaft,

ihrer Struktur, verhandeln soziale

Regeln und tabus. Woran glauben

wir, welche Werte haben wir,

wie gehen wir miteinander um?

Wir brauchen eine Vorstellung

von der Vergangenheit für unser

Selbstverständnis, unsere Identität.

Wagner verbindet im Mythos des

Ring Vergangenheit und Gegenwart

und weist schicksalhaft in die

Zukunft. Deshalb ist er so bedeutend

für die Gesellschaft, bis heute.

MJ Wie kann man mit Musik

erzählen? Ist sie eher eine Art

Hintergrundgemälde, das Stimmung

und Emotionen, vielleicht

psychische Zustände illustriert,

oder kann Musik eine eigenständige

Erzählebene neben den Worten und

Bildern bieten?

KN Das ist nicht so einfach zu

beantworten. Wir wissen, dass Musik

die Fähigkeit hat, im Kopf Bilder,

Vorstellungen und Stimmungen

zu erzeugen. Deshalb waren

Stummfilme auch nicht still, sondern

wurden mit Musik begleitet. Auch

im Ring ist die Erzählebene der

Musik oft sehr direkt – wir hören

das Fauchen des Drachen, fühlen

in der Musik das Gewicht der

gigantischen Brüder. Da ist Wagner

sehr programmatisch. Doch ihm

gelingt viel mehr. Seine Motive sind

mit den Charakteren verbunden.

Die Idee ist nicht neu, aber Wagner

benutzt sie auf besondere Weise.

Die Motive werden wiederholt, wie

im Fluss, aber diese Wiederholung

ist nie gleich, immer ist das Motiv

leicht verändert, gekürzt, entwickelt,

in einer anderen Reihenfolge oder

tonalität oder Dynamik. Jede

dieser Veränderungen in der Musik

ist auch eine Veränderung in der

Geschichte der Figuren. Die Musik

transportiert das Außerzeitliche,

das Ewige und Schicksalhafte der

Erzählung – ewige Entwicklung

statt Wiederholung. Die wörtliche

Erzählung ist von der musikalischen

Substanz nicht zu trennen.

MJ Die großen Erzählungen und

Mythen der Moderne werden seit

Jahrzehnten im Fernsehen und Kino

verhandelt, den Lagerfeuern der

Neuzeit. Sie sind ohne Fernsehen

und Kino aufgewachsen.

KN Ja, das ist wahr – aber ich habe

natürlich trotzdem ferngesehen, bei

Freunden zum Beispiel, und ich war

auch ab und an in L.A. im Kino, ich

bin kein völliger Barbar!

Kent Nagano lacht, zum ersten Mal

in diesem Gespräch. Ein lautes,

ansteckendes und herzliches

Lachen, das seinen ganzen Körper in

Bewegung versetzt. Minuten vorher

hat er noch in der für ihn typischen

Art in sich selbst versunken

dagesessen, mit geschlossenen

Augen den Worten nachgespürt. Eine

Art Tempo- und Temperaturwechsel,

der sich durch das gesamte Gespräch

ziehen wird.

MJ Welche Erzählformen haben Ihre

Kindheitsgeschichten geprägt?

KN Unser Leben auf dem Land war

nicht vom Fernsehen beeinflusst,

eher von der Natur. tatsächlich

haben wir oft beisammen gesessen

und Geschichten erzählt. Manchmal

fiktive und auch japanische und

sogar amerikanische Legenden. Aber

oft war es auch eine Art mündliche

Familiengeschichtsstunde: Meine

Großeltern haben erzählt, wie sie

Generalmusik-direktor Kent Nagano wird die Neuproduk-tion des Ring des Nibelungen dirigieren.Im Interviewmit Jörg Böckem spricht erüber die Erzähl-tradition in seiner Familieund dasfaszinie rende Verhältnis zwischen Sprache undMusik.

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Der fünfte Stock im Ver waltungs-

gebäude der Bayerischen Staatsoper

in München. Ein geräumiges

Büro, gedämpftes Licht, weiche

Ledersessel. Vor Kurzem hat Kent

Nagano seinen 60. Geburtstag

gefeiert. Der Generalmusikdirektor

der Bayerischen Staatsoper ist

höflich und konzentriert. Er wägt

seine Worte genau, beugt den Kopf

zur Seite, hängt den Fragen und

Gedanken nach. Er sucht nach den

richtigen Antworten. Manchmal

auch nach solchen, die nicht zu viel

preisgeben.

16-20_INTERVIEW_NAGANO_korr_mxm_frei.indd 16 09.01.12 20:38

Der Generalmusikdirektor vor der elektronischen

Orgel der Bayerischen Staatsoper. Der Monitor

stellt den Kontakt zwischen dem Dirigenten im

Orchestergraben und dem Spieler am Orgeltisch her.

17Kent Nagano

16-20_INTERVIEW_NAGANO_korr_mxm_frei.indd 17 09.01.12 20:39

Page 11: Ring erzählen - Bayerische Staatsoper · Hommage an Die Simpsons im Jahr 199ß ausgewählt, als ihr erstes Kinderbuch Lulu Magazine veröffentlicht wurde. Ihre Arbeit – in Illustrationen,

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„Kann man in der Sprache der Musik lügen?“ — MAX JOSEPH

„Man kann die Wahrheitverschleiern.Dann wird es artifiziell oder manieriert. Das spürt jeder Musiker sofort.“ — Kent Nagano

Ende des 19. Jahrhunderts aus

Japan nach Amerika gekommen sind,

ohne Geld und Sprachkenntnisse.

Wie es war, mit einem asiatischen

Gesicht im Wilden Westen zu leben,

Amerika war damals zu weiten teilen

noch cowboy country. Meine Eltern

haben erzählt, wie sie im Zweiten

Weltkrieg nach dem Angriff auf Pearl

Harbor verhaftet und eingesperrt

worden sind, nur weil sie Japaner

waren. Für uns Kinder war das

toll! So haben wir eine Idee davon

bekommen, wo wir herkamen, neben

der tatsache, dass wir auch typische

US-Kids der 1960er Jahre waren. Für

uns war das keine Geschichtslektion

wie in der Schule, es war tolle

Unterhaltung, ein großer Spaß!

Die Begeisterung ist noch heute zu

spüren. Seine Stimme wird lauter

und lebhafter, er unterstreicht seine

Worte mit den Händen. Es ist, als

könne man den neugierigen Jungen,

der atemlos seinen Großeltern

lauscht, in seinem Gesicht erkennen.

MJ Haben Sie diese Erzähltradition

mit Ihrer tochter weitergeführt?

KN Ja, sogar ziemlich intensiv,

zumindest als sie noch kleiner

war. Heute ist sie 13, da ist es

schwieriger. Vor allem meiner Frau

war das sehr wichtig. Sie entstammt

zwei traditionellen Familien mit

einer Generationen überspannenden

Geschichte. Meine Frau hat die

Familiengeschichten hauptsächlich

von ihrer Urgroßmutter erzählt

bekommen, und genauso war es

dann auch bei unserer tochter.

Seltsamerweise hatte ich den

Eindruck, dass vor allem meine Frau

und ich davon besonders profitiert

haben. Die Geschichten noch einmal

erzählt zu bekommen, hat den

Eindruck immens vertieft.

Kent Nagano ist dafür bekannt, sich

sehr intensiv mit den Komponisten,

deren Werke er auf die Bühne

bringt, zu beschäftigen, mit deren

Lebensumfeld und deren Sprache.

Er spricht neben Japanisch

und Englisch auch Deutsch,

Französisch, Italienisch und etwas

Russisch.

MJ Sie sind Musiker, beschäftigen

sich aber intensiv mit Sprache.

Warum?

KN Es ist kein Geheimnis, dass

Sprache Grundlage jeder Kultur

ist. Kunst wird von der jeweiligen

Kultur gespeist, in der sie entsteht.

Also ist Sprache untrennbar mit

Kunst, mit Musik verbunden. Das gilt

besonders in der Oper: Wenn man

die Sprache des Komponisten nicht

Im mündlichen Gespräch durchziehen

tempi- und temperaturwechsel die

Sprache von Kent Nagano. Während er

oft mit geschlossenen Augen nach den

Antworten sucht, lacht er an anderer

Stelle laut, herzlich und ansteckend.

16-20_INTERVIEW_NAGANO_korr_mxm_frei.indd 18 09.01.12 20:39

Den Worten nachspüren 19

spricht, entsteht Distanz, die Arbeit

kann schnell artifiziell werden.

Für meinen Entwicklungsprozess

als Musiker ist es wichtig, die

jeweilige Sprache zu lernen und

in mein Denken zu integrieren.

Sprache schafft einen Kontext,

der hilft, das Wesen der Musik zu

verstehen. Das klingt so abgehoben

und intellektuell, ist es aber nicht.

Es geht auch um ganz praktische

Dinge: den Atemrhythmus, die

Sprechgeschwindigkeit, die

Satzmelodie. All das hat etwas mit

Musik zu tun.

MJ Können Sie ein Beispiel nennen?

KN Ich habe vor Jahren die West

Side Story gehört, gespielt von

einem sehr guten europäischen

Orchester, technisch perfekt,

wunderbar ausgeführt. Aber für

mich war ganz klar zu hören, dass

die Musiker nicht Amerikanisch

sprachen. Es klang nicht wie der

Leonard Bernstein, den wir in den

USA kennen. Das ist legitim, aber

es repräsentiert nicht die Kultur,

aus der es stammt. Ein anderes

Beispiel: In Kalifornien haben

wir zu Schulzeiten im Orchester

bayerische Volksmusik gespielt,

mein Musikprofessor stammte aus

Bayern. Als ich dann das erste Mal

auf dem Oktoberfest war und diese

Lieder dort gehört habe, war ganz

deutlich, dass wir in Kalifornien

weit davon entfernt gewesen waren,

diese Stücke auf die ursprüngliche

bayerische Art zu spielen. Deshalb

habe ich den Auftrag eines sehr

bekannten Komponisten aus Indien

abgelehnt. Aus technischer Sicht

wäre es kein Problem gewesen. Aber

es ist bedeutungslos, nur die töne

in der richtigen Zeit, dem richtigen

tempo und der richtigen Intonation

zu spielen. Die Frage ist doch, was

liegt dahinter?

MJ Welche Sprache sprechen Sie in

Ihrer Familie?

KN Wir sprechen meist Deutsch,

Englisch oder Französisch. Mein

Japanisch ist nicht besonders gut,

und meine Frau ist im Italienischen

nicht so zu Hause. Ich muss

zugeben, dass wir oft von einer

Sprache in die andere wechseln.

Wahrscheinlich, weil wir nicht

diszipliniert genug sind. Empfehlen

würde ich das niemandem!

MJ Ist die Sprache, die Sie

benutzen, abhängig vom Inhalt des

Gesprächs oder der Stimmung des

Sprechenden?

KN Nicht unbedingt. Es gibt

verschiedene Faktoren für

Sprachwechsel. Einmal spielt

natürlich die Umgebung eine Rolle

– wenn wir in München sind, ist

die Chance sehr hoch, dass wir

überwiegend Deutsch sprechen.

Zum anderen liegt es wohl daran,

dass meine Frau und ich zwar viele

Sprachen sprechen, aber in keiner

wirklich sicher sind. Der Hauptgrund

ist, dass ein bestimmter Sachverhalt,

ein Zustand oder eine Idee oft in

einer bestimmten Sprache leichter

oder effizienter auszudrücken ist

als in einer anderen. Zum Beispiel

gibt es im Englischen keine exakte

Entsprechung für „gemütlich“.

„Relaxed“ und „comfortable“

meinen nicht dasselbe. „Presto!“

hat eine andere Bedeutung, einen

anderen Charakter als „Schnell!“

oder „Sofort!“. Vielleicht haben die

Sprachwechsel auch damit zu tun,

das wir eine musikalische Familie

sind, wir sind nicht so gut darin, mit

Worten zu kommunizieren.

Auch im Interview spricht Kent

Nagano so. Immer wieder mischt

er englische Worte in seine Sätze,

manchmal auch französische oder

italienische. Trotzdem keine Spur von

babylonischer Sprachverwirrung,

Nagano spricht klar, überlegt

und verständlich. Das Bemühen,

verstanden werden zu wollen, ist

deutlich zu spüren.

MJ Welche Rolle spielt die

Kommunikation über die Musik in

Ihrer Familie?

KN Eine sehr große. Meine Frau und

meine tochter sind Pianistinnen, wir

arbeiten zusammen, unterstützen,

kritisieren einander und diskutieren

über die Musik.

MJ Das heißt, die Musik schafft

in Ihrer Familie emotionale

Verbundenheit?

KN Ja. In dem Klischee, dass wir

Menschen uns näherkommen,

je besser wir miteinander

kommunizieren, uns austauschen

können, liegt Wahrheit. Musik ist

eine direkte Art zu kommunizieren,

eine universelle Sprache. Wieder

ein Klischee, aber auch das trifft zu.

Wenn ein Baby nicht schlafen kann,

sagt die Mutter nicht „Schlaf ein!“,

sie singt ihm ein Wiegenlied vor.

Musik kommuniziert oft mehr als die

Worte. Sie ist eng mit demjenigen

verbunden, der sie spielt. Ich fühle

es, wenn etwas nicht stimmt, nicht

von innen kommt.

MJ Kann man in dieser Sprache lügen?

KN Man kann die Wahrheit ver-

schleiern. Dann wird es artifiziell

oder manieriert: Wenn ich versuche,

etwas zu sein, was ich nicht bin,

etwas vorzuspielen, das nicht aus

mir kommt. Das spürt jeder Musiker

sofort.

MJ In welcher Sprache träumen Sie?

KN Bis vor ungefähr zehn Jahren

habe ich auf Englisch geträumt,

heute träume ich in allen Sprachen,

die ich spreche. Das weiß ich, weil

ich manchmal im traum laut rede.

Letzte Woche zum Beispiel war ich

im traum in eine hitzige Diskussion

verwickelt, ich war sehr echauffiert

und habe in einem sehr aufgeregten,

lauten Italienisch gesprochen.

Davon bin ich aufgewacht. Das war

sehr lustig!

MJ Was, denken Sie, ist der Grund für

die Mehrsprachigkeit Ihrer träume?

KN Vielleicht, dass ich jetzt so

lange in Europa lebe und diese

Sprachen so häufig benutze.

Oder es liegt daran, dass sich

das amerikanische Englisch in

den letzten Jahrzehnten sehr

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verändert hat. Das Vokabular ist

immer kleiner geworden. Vielleicht

auch ein Grund dafür, dass ich

im Gespräch oft in einer anderen

Sprache Zuflucht suche. Wenn in

einer Sprache immer weniger Worte

benutzt werden, ist es schwierig,

komplexe Inhalte auszudrücken.

Diese Frustration, starke Emotionen

zu spüren, die nach außen drängen,

sie aber nicht in Worte fassen zu

können, erlebe ich häufig gerade

bei jungen Menschen.

MJ Wenn Sie ein tier auswählen

müssten, das Sie repräsentiert,

welches würden Sie wählen?

KN Im asiatischen Denken ist

der Unterschied zwischen tieren

und Menschen nicht so groß.

Die tradition, Menschen tiere

zuzuordnen, ist im Schintoismus

weitverbreitet. Viele alte Legenden

handeln von tieren, die sich

in Menschen verwandeln und

umgekehrt. Meine Großmutter

war Buddhistin, sie hat mich von

klein an einen Seeotter genannt.

Im Norden Kaliforniens, wo wir

gelebt haben, gibt es ein großes

Seeotter-Habitat. Als Junge habe

ich das Wasser geliebt, ich war

ständig im Meer, in Flüssen oder

Seen. Meine Großmutter glaubte an

Wiedergeburt, für sie war klar, dass

ich in einem vorherigen Leben ein

Seeotter ge wesen bin.

MJ Sehen Sie selbst sich denn

auch als Seeotter?

KN Darüber habe ich noch nie

nachgedacht. Seeotter sind sehr

interessante tiere – sie sind in

verschiedenen Umgebungen zu

Hause, an Land, im Wasser, sie

gelten als kreativ und lernfähig,

da sie zu den wenigen tieren

gehören, die zu problemlösendem

Denken fähig sind und Werkzeuge

einsetzen, um an ihre Nahrung

zu gelangen. Und sie lieben es zu

spielen, nur zum Vergnügen, das

tun nicht alle tiere. Ja, vielleicht

hatte meine Großmutter recht.

MJ Und wenn Sie eine Figur aus

der Ring-Welt auswählen müssten,

welche wäre Ihnen da am nächsten?

KN Das ist unmöglich zu

sagen, darin liegt ja gerade

Wagners Genie: Die gesamten

Personen dieser langen,

weitverzweigten Geschichte, all

diese verschiedenen Charaktere

machen uns Menschen aus, sie

alle sind teil von uns – Siegfried,

Brünnhilde, Freia, Hagen, sogar

Fafner. Wagner ist es gelungen,

die verschiedenen Aspekte des

Menschen in einzelne Figuren zu

gießen. Nur in der Summe sehen

wir uns selbst.

Jörg Böckem ist Journalist und Autor in

Hamburg. Er veröffentlichte u. a. die Bü-

cher Lass mich die Nacht überleben und

Freitags Gift.

Der Ring des Nibelungen

Bühnenfestspiel für drei

Tage und einen Vorabend

von Richard Wagner

– Das Rheingold

Premiere am Samstag, 4. Februar 2012

– Die Walküre

Premiere am Sonntag, 11. März 2012

– Siegfried

Premiere am Sonntag, 27. Mai 2012

– Götterdämmerung

Premiere am Samstag, 30. Juni 2012

Vorstellungen jeweils

im Nationaltheater

Weitere termine im Spielplan ab S. 90Wie

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Jetzt wo es wieder kalt wird, tragen die jungen Männer

schwarze kurze Mäntel. Sie stehen, ungeschmiedetes Eisen,

pig iron, wie wir sagen, und warten auf Grün,

gehen dann über die Ampel und verschwinden in dem Gebäude, wo sie wohnen.

Musen, steht mir bei.

Sechs von diesen Männern – sechs ist eine Zahl,

die ihnen irgendwie entspricht wie ein sechstüriger Wagen

(obsolet und großspurig zugleich,

anmaßend einfallslos und total verloren) –

umstanden mich an einem dieser Abende,

wo ich eine Kneipe suchte und nur Ecken fand.

Musen, steht mir bei! Dass ich euer nicht vergesse!

Euer Parfum leite mich! Lasst mich, durch euren Liebreiz,

die Schritte, die ich tue, nicht spüren!

Sie drücken mich später im Rücken

als Erschütterungen.

„Männer,“ sagte ich, blickte zu ihnen auf.

Kleine blaue Augen blickten unter den Rändern ihrer Mützen hervor.

Musen, lacht mir und tänzelt! Ich brauche eure schwebenden Waden,

sie sind das Bild des Schwerts, zu dem meine Zunge

schmelzen soll – weswegen ich schreibe.

Ich also: „Männer,“ sag ich, „wo finde ich hier in der Gegend den Spaß?“

Von den sechsen vier feixten und machten Gegrinse,

einer, der Kleinste, schwieg, der letzte aber hatte

die Weisheit mit Löffeln gefressen und sagte:

„Wo du bist, ist der Spaß – vorausgesetzt, freilich, du machst ihn.“

„Freilich machte ich ihn,“ so ich pikiert,

„hätte ich dazu die Mittel.“ „Was meinst du? Geld?“

„Ja, Geld.“ „Davon haben wir dicke.“

Willkür

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Wie ich, Mime, die Welt umdrehen wollte, mir alles aneignend, von dem mir gesagt wurde, du kannst es nicht führen,und den Fehler machte, dies im Rahmen eines Auftrags zu tun, was mir nur Häme einbrachte, und meine Gefühle

so unbehaust ließ wie zuvor

von Ann Cotten

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Sagt nun, ihr Musen, die ihr da steht

und lächelt, und in die Brise kuckt,

was hättet ihr an meiner Stelle gefühlt und getan?

Ich sage euch, was ich fühlte: unwiderstehliche Lust

diese sechs gestopften Langweiler beim Wort zu nehmen.

„Was wollt ihr mir geben, verschaffe ich euch den größten, den schönsten

Spaß eures Lebens?“ „Das ... wirst du dann sehen.

Unvergesslich sei dein Werk, desto länger bleibst du im Gedächtnis.“

„Zahlt ihr mir alle bei der Beschaffung des Spaßes anfallenden Spesen?“

„Alles zahlen wir, solang es nur spaßt,“ sagte der Kleinste konzentriert.

„Wenn das so ist,“ so ich, „habe ich nur noch eine Bedingung,

diese aber müsst ihr mit Eiden mir schwören zu erfüllen:

Wenn, was ich mache, euch nicht gefällt, wenn ihr

den Spaß vor der Zeit beenden wollt, weil er nicht spaßt, wenn ihr

meinem Sinn für Schönheit und meinen Fähigkeiten

nicht mehr vertraut, müsst ihr mich töten. Schwört es!“

„Töten? Was soll das? Warum dich töten?“

„Ihr guten jungen Männer, hört und ich erklärs.

Es unterscheidet sich heutzutage das Leben

des schönen von dem des vernünftigen Geschlechts

durch Taten und Wünsche, weniger mehr durch die Geburt.

Und zwar die Taten entstehen vor allem

durch Messer im Rücken und Hingabe ohne Zurück.

Wenn ich scheitere, müsst ihr mich also töten.“

„Nein, das können wir nicht machen. Nicht möglich.“

„Hört mal: Ich habe keine Verwandte.

Vater und Mutter bin ich mir selbst. Ohne Spaß bin ich nichts.

Wenn ihr mich gut verscharrt, wird euch niemand behelligen.“

Sie nicken und beruhigen sich. Ich, Mime, bestelle für den Anfang,

um mich an die selbst bestimmte Arbeit zu gewöhnen,

mehrere Schläuche Wein, einen Heizpilz für die Kreuzung,

einen Eimer mit bestem Wisky und acht Huren auf Fahrrädern.

Eine davon kam auf Rollschuhen, ich sagte, das wäre ok.

Dann Samtvorhänge, die ich über die Kreuzung spannen ließ

von drei Bauarbeitern aus Polen und einem Dichter aus Split.

Die Achtschaft Polizei, die kam, konnte ich überreden, den Huren zu zeigen,

wie sie goldene Sicheln beim Fahren über ihre Häupter schwingen können.

Die Huren kannten ein Lied, das sie uns alle bald lehrten.

Darin ging es um Helden im Krieg, um Mütter und um Serbien.

Zwei Königskinder wandelten darin trunken einher

und entschliefen gegen Ende des Liedes, beim Einsatz des Pathos.

Fünf Zymbale, eine Tuba und eine Bassbalalaika

versammelten sich um das Lied herum, und als es schloss,

spielten sie lauter, umfassten die Kreuzung, wie Wolken von einem Brand

eines staats- oder für die Kultur wichtigen Gebäudes in einer großen Stadt

die Leute, die frisch aus dem Theater kommen, umschließen.

Bald wünschten zwei der Huren, ihre Fricsen dabeizuhaben,

ich schickte sie daher in die Oranienburger Straße und auch

zum Spätkauf, denn andere riefen bereits nach mehr Wein.

Nur die sechs dunkelblassen Männer standen und traten

von einem Bein auf das andere und wollten lieber Bier.

Musen, seid ehrlich, was hättet ihr hier an meiner Stelle getan?

Ich war kurz ratlos, aber dann kam, wie mir schien, mir der rettende Einfall.

„Hört alle her!“, rief ich. „Wir brauchen eine Geliebte!“

Willkür

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Page 16: Ring erzählen - Bayerische Staatsoper · Hommage an Die Simpsons im Jahr 199ß ausgewählt, als ihr erstes Kinderbuch Lulu Magazine veröffentlicht wurde. Ihre Arbeit – in Illustrationen,

Die Huren sagten, sie kennten eine, sie arbeite

in einem Bistro auf der Touristenmeile, und gingen sie holen.

Von hinter der Volksbühne radelten modische Leute vorbei und hielten

auf ihren Rennrädern, mit ihren Bärten und Kleidern aus Baumwollstoff,

Gitarren, verstimmten Klavieren, hauchenden, demokratischen Stimmen.

Sie sprachen in Metaphern aus der Wühlkiste ihrer kapitalistischen Seelen,

hauptsächlich von Plüschanimalia, Moral und psychologischem Verhalten.

Sie fuhren, als wären sie gefährlich und elegant zugleich,

wie schwere Moskitos, die den Malariavirus tragen und geben,

um uns herum, versprühten „Like“s und jungenhaftes Grinsen,

das so aussah wie Wimpernzucken, das Spiegel zerbrechen kann.

Sie hungerten, es grollten in ihnen nordisch anmutende Horizonte.

So geistig schien uns ihr Hunger, dass wir ihnen ihr eigenes Klavier

zum Fraß anboten, dessen monotonische Melancholie uns störte.

Sie verkohlten das Elfenbein ihrer Tastaturen als Geste, die denen

der südamerikanischen Surrealisten nachgedichtet war.

Die Sterne gingen auf, und Bären kamen hervor.

Sie aßen die Hipster, die Animalia und die Reste der Klaviere.

Die Saiten in ihnen trugen ihre Sehnsucht nun weit über ihre Heimat hinaus.

Sie stießen die Fixies, die ja Übersetzung ablehnen, von ihren einfachen Rädern,

das Design nutzte ihnen nichts. Nun hatten die Bären die Räder.

Bei den Bären aber trugen die Bären die Räder.

All dies betrachtete ich schon mit Verwunderung.

Ungefähr zu dieser Zeit überquerte ein Idiot auf einem großen Dreirad

die Kreuzung. Das war das letzte

der selbstangetriebenen Fahrzeuge. Dann kamen die Huren

mit der Geliebten zurück. Sie leuchtete. Es war tatsächlich der Frühling,

den sie als seidenen Schal sich um die Schultern geschmissen.

Ihre Augen flogen, wie Schwäne, die stöhnen,

während sie fliegen, unter den kleinen Gesichtern

der Männer und ihren Mützen umher, der Panik nahe.

Nie hatte sie ein so sinnloses Beginnen gesehen wie meines hier.

Am Arm der Geliebten war der Scherzer. Er war

das Feuer und der sich ins Feuer legte, der sang und das Singen vergaß.

Er lebte nicht selbst, er lebte an anderen, und sein Protest

war seine Seele, ein Knüppel aus hellem Holz.

Er kam zu den Leuten, um ihnen zu zeigen, wo sie

Idioten waren, und ging, den Schwanz noch heil zwischen den Beinen.

Allein das war schon ein Wunder, es folgten darauf aber

Veränderungen in den Leuten, an ihren idiotischen Stellen.

Dem Scherzer folgte ein Schwarm von Vögeln, die nichts kosteten

und alles rühmten. Sie begrüßten fortwährend,

so dunkel es werden wollte, den kommenden Tag.

Oder sie machten ihre eigenen, teils kollektiven Flugwitze.

Einzig die sechs bekappten jungen Männer standen und schienen

in ihren Taschen nach etwas zu suchen, und fanden

weder Kleingeld noch Freigang noch Melancholie.

Darauf sagte ich: „Ihr holt, um euch voller zu fühlen,

am besten so schnell es geht aus der Pfalz eure Mütter herbei.“

Es kamen in einem kleinen Flieger bald sechs fünfzigjährige Frauen an.

Sieben davon waren seit kurzem Malerinnen und fingen unverlegen zu malen an.

Heiter, gerührt, und immer wacher werdend malten sie

Porträts von den Bauarbeitern und Karikaturen von den Huren.

Die Kinder der Huren, Hippies und zwei Bettler aus Gran Canaria

hatten die Sensen und die Fahrräder, die an die Apotheke gelehnt waren, gefunden,

und während die letzte Hure noch immer ihre Kreise auf Rollschuhen drehte,

verstand es ein leutseliger Kfz-Mechaniker, die Sicheln

an die Naben der Fahrräder perpendikular zu befestigen.

„Sehr gut! Wir brauchen Blut!“, sagte ich, „nur nicht zu viel gleich am Anfang.“

Die sechs jungen Mützen standen noch immer auf dem Bordstein

und schienen auf etwas zu warten. Ihre Mütter waren schon längst

ein Teil der Szenerie geworden und konnten ihnen keinen Blick mehr schenken.28

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Ungefähr zu dieser Zeit erwischte mich ein Blick meiner selbst in der Spiegelung

der Auslage der Apotheke, und ich versuchte, die Situation zu erfassen.

Der Gedanke und der Versuch stürzten ringend in die Tiefe

des Abgrunds, der klafft, wenn ein Autor sich selbst erblickt. Ich sah

mein blondes Haar, Krönung eines absurden Leibs, seine humoristische Fahne;

ich sah die Stummel meiner schnellen, abgebrochenen Bewegungen,

die ins Freie gehen wie ein wildes Tier am Rand einer Lichtung erscheint,

stehen bleibt, erschrickt, und verschwindet.

Ganz Vampir-bei-Tag, wäre ich eben gern davongeschlichen, hätte mich ganz

mit Hautcreme bedeckt, allein die Szenerie, die unter meiner fehlenden Kontrolle

sich zusammenbraute, begann mich doch mehr und mehr zu interessieren,

je mehr konfligierende Entwicklungen die Teile sehen ließen.

Nicht wollte ich mit dem Kopf den Algorithmus der Veränderungen finden,

hingegeben wie an eine Melodie folgte ich geneigt ihren Spuren.

Angelockt vom Blut, drängten sich immer mehr Künstler heran,

Feuerschlucker, Flaschensammler und ein Bildhauer,

der von Maurern eine ziemlich gute Tribüne nach seinen Entwürfen

errichten ließ, voll Falltüren und idyllischer Ecken.

Auch ein einsamer Wanderer näherte sich, einer von jenen

mit Hut, die nur darauf warten, um eine Kippladung modriger Maximen

loszulassen, die erklären, warum sie so schweigsam sind.

Er klopfte misstrauisch auf den Putz und entfernte sich,

da niemand ihn sonderlich beachtete.

„Musik!“, rief ich nun, denn die Kreuzung drohte zu verstummen.

Wie abgemagerte Prinzen hingen die Samtvorhänge schlaff auf den Asphalt.

Der Himmel ging nun auf und auch die Salsiccieria,

und die Musiker hatten sich gestärkt und wussten nun mehr auswendig als zuvor.

Strahlende Fließbänder flossen wie Öl,

und die goldene Sichel halbierte

drei Stunden später 300 ermüdete Philharmoniker,

Hobbymusiker, Stradivaris, Oboen, Kantinen und Harfen.

Die halben Instrumente, mit Pick-ups versehen, konnte

ein Tonmeister in seine Kabelsalate speisen und spielen lassen

die bezaubernden Interferenzen, wo die Vermutungen sich schönen

wie Lippen im Lippenstift, wie Wüstenmäuse in Sinustönen.

Und es ertönte in zierlicher Übersetzung der Herzschlag der Stadt,

die blaue Dämmerung kratzte weiche Gefühle auf, der Zweifel der Halben

vibrierte und sang. Und der Gesang formierte aus seinen Kreuzungen

ein Federballnetz und zwei Gladiatoren, und die russische Armee,

die so gut spielen kann, und ein Schwimmerteam, lauter Schwestern,

kam und verlangte nach sehr viel Wasser auf einmal. Also fuhren wir ans Meer.

„Für die jungen Männer eine Sänfte!“, rief ich, denn sie standen

an der Ecke und tuschelten unentschieden vor sich hin.

Zwei sollten drinnen sitzen und die anderen vier tragen,

als ob sie bald heiraten könnten. Ich dachte, das taugte ihnen.

Ich spazierte zum Meer Arm in Arm mit der Geliebten und ihrem Verlobten,

wir kamen hin, und ich vergaß meine Sorgen und befahl aus Spaß,

die sechs Männer bis zum Nabel im Sand zu begraben.

Die Huren bewegten sich und gruben, Sand auf den Wangen,

Sand auf der Oberfläche ihrer Korsette, im Nabel und

auf den Schenkeln. Die Schuhe hatten sie am Rand des Strandes

vergessen, sie dienten streunenden Hunden als Schlafstätte oder Pissoir.

Hinter den Dünen erschienen auch Indigene mit Federn,

Perlen, Windhunden und einem Kürbis, voll trüber Bowle aus Kräutern,

der herumgereicht wurde. Auf der Bowle schwamm ein Feuer,

es war ein vergangenes Feuer, und wer hineinsah,

erkannte in sich selbst nur mehr seine Ahnen wieder.

Schläuche kamen aus den Wolken, wo in Zeppelinen

längst verstorben geglaubte Industrielle und Bohemiens

saßen und den Saft aus den Kürbissen inhalierten. Sie atmeten auch aus.

So strömten Liebe und Ordnung, muffig riechend,

in die Atmosphäre über unserem Strand, und das Meer

Willkür

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ließ davon ab, die Geistespest davonzuspülen oder mit Winden

von seiner großen Oberfläche her pustend zu verscheuchen.

Ich rief: „Gedichte!“ Denn gegen solch irrealen Dünste

kannte ich nicht die wenigsten Waffen. War ich mir bei der

Herstellung von Atmosphären unsicher, konnte bei deren Klärung

keiner schneller als ich einen Horizont durch die Szene ziehen.

„Gedichte!“, rief ich also, um die verbliebenen Kräfte zu konzentrieren.

Außerdem war ich überzeugt, dass die sechs jungen Männer schliefen.

Es kamen Nobelpreisträger, versiffte Gewissen und junge Ambitionierte,

alle schleppten ihre Horizonte. Bei jeder Berührung

wippten die Horizonte wie Florette, glühten wie Abendrot.

Bei Abgesängen trafen sich diese Dichter selbst in die Brust,

und sinnloses Blut durchtränkte den Strand, bis alle verstanden,

was los war, was Freude bedeutete, was Sinken war. Die Toten

zogen Blusen und Hemden aus, sangen mit bloßem Oberkörper,

was sie zu singen wagten, und rezitierten den Rest in Versen,

umschlossen von brennenden Hulareifen, gehalten von den Huren,

sicher und professionell, bis ihnen die Hände, verkohlt,

abfielen. Es kamen, das Schauspiel zu sehen, noch mehr: zutrauliche

Flamingos, Wasserbüffel, kleine Krebse und Scharen von Quallen,

die immer trockener wurden, obwohl ich manche in den Wisky tat.

Erdwürmer steckten ihre augenlosen Häupter aus dem Gebüsch

und teilten sich selbst, um vor der Ewigkeit für die Dichter

deren misslungenen Verse zu büßen.

Die jungen Männer schliefen wirklich,

begraben in ihren sandigen schwarzen Mänteln.

Dunkel wurden die Himmel, längst war der Mond weg, die Sterne verschwanden,

doch statt des Lichts des Morgens kam über das Meer

ein größeres Dunkel, und die Flamingos begannen

zu stöhnen, und knickten ein, ihre Knie verschwanden und sie

flogen in Panik davon. Die unteren Teile ihrer Beine ließen sie

im Sand stecken, die Beine blickten auf,

den verhallenden Geräuschen der Flamingos nach.

„Flaschendrehen!“, riefen die einen aufgeregt,

vor Aufregung „Fischen!“ und „Ficken!“ die anderen,

„Blutsbruderschaft!“ und „Eine andere Musik!“

Bauern kamen mit einem Anwalt und errichteten eine Diskothek, Humanisten

kamen und strichen sie mit Bildern an, die verblichen, Schlosser kamen

und legten Techno auf, die Münder aufzusperren, in welche

die Feuerschlucker und Garnelen Feuer und Erbsen legten,

Erdbeeren und Schwerter. Es war Karaokezeit.

Die Lieder kamen vom Himmel – die Erzengel zeigten Tafeln,

die eine Schneiderin getreu auf Kartone abschrieb.

Sie träumte von einem guten Diktierprogramm und war

an der Entwicklung eines alternativen Systems

beteiligt gewesen, doch nach der Wende

wurde das Programm abgewickelt, sie umgeschult.

Es erfüllte sie mit einem geheimen, tragischen Schmerz,

die Arbeit manuell zu verrichten, die ihr Programm

gemacht hätte, und mit schaurigem Genuss

schrieb sie den Stoff der Trauer, als bauschte sie singend die Hände,

im Schimmer der Stimme badend, in minusbestirntem blauem Samt.

Das muss die Zeitumkehr bewirkt haben. Denn bald ging der Mond wieder auf,

den wir endgültig gesunken wähnten, und am Himmel

zeichneten sich die Umrisse von gläsernen Papageien,

Hotelketten, Kettenläden und gekauften Riesen

ab, Hinterseiten von Schildern und falsche Palmen.

Wölfe rissen die Papageien, Blauwale die Wölfe,

als ob sie die Kleinen rächten – eine Tat, der die Kleinen liebend gedachten.

Und Zebras zogen durch, die Bäuche voll Nadelöhren,

und Flugzeuge flogen tief, und Helikopter stahlen sich davon.

Meine Fantasie wogte gegen die Trauer. Vergessen waren die Männer,

der Spaß und mein Tod am Ende dieser Geschichte.

Nun, da ich sie schreibe, zieht sich die Verzweiflung zurück

und lässt mich mit meiner Vernunft an diesem grauen Strand

zurück. Ich scheine mir ganz alleine, und wie zum Hohn

blinkt mir der Mond zwischen falschen Palmen hindurch, zitiert Heine.

Alleine? Nein! Sechs Männer dösen noch immer im Dunklen,

scharren in ihrem Gefängnis und quengeln im Schlaf. Und ich sehe,30

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wie sich das Meer in die jüngere und immer fernere

Geschichte zurückzieht. Ich sehe Bismarck am Horizont,

eine Schar von Todesvögeln, neuerfunden, mit glänzenden Flügeln

und unerbittlichen Schnäbeln in Schönkurrent formulieren,

dann sehe ich schon die schweren Stifte der Legionen,

die spitzen Winkel dreimeterlanger Lanzen, die die Schweizer beinahe

unter Kontrolle haben, Todesquadrate, deren Gewicht aus dem Bewusstsein

seiner Bestandteile besteht, dass sie keinen Ausweg haben. Napoleons

kleine besorgte Fresse, und sterbende Pferde, und Frauen voll Schweiß.

(In ihnen stecken die schlichten Frisuren von Renaissancegelehrten,

mit Tinte schreibend, von Sorgfalt lebend, ein Blümlein zwischen den Fingern,

einem einzigen Rausch bereit sich hinzugeben mit bebender Seele

((wie eine Jungfrau die Blüten im Frühling, unter dem Schnee

dürftiger Sprache bleibend, mit Schaudern interpretiert)).)

Ich bin erschreckt von der Zerstreutheit, in der

meine Ahnungen erscheinen, mich selbst nur streifend.

Der Horizont unterstreicht mein Streifen, er seufzt,

erweicht sich und wird wieder heller und wird Abend.

Die Zeit hat begonnen, sich rückwärts zusammenzurollen,

sie zieht sich von unserer Welt zurück und lässt mich nackt,

Erinnerungen und Gedanken sind nur mehr getrennte Gespenster.

Ich schreie und will einen Busen, besinne mich und werde still.

Größeres Grauen habe ich noch nie gekannt als meine Entscheidung,

zu verstummen, doch es wird sofort übertönt von mehr Grauen,

der Fortsetzung des Grauens in seinen Anfang hinein. Es wird heller und heller,

und ich sehe uns klar, betrunkene Flamingos, wie Herbstzeitlosen

über den Sand gespleizt, das verschmutzte, verschaumte Meer,

sarkastische Kommentare murmelnd, während es ebbt

und lustlos flutet. Ich sehe die Quallen leiden. Die Kormorane,

aus Sehnsucht und Knochen bestehend, immer halb im anderen Element,

tauchend mit Luft nach Fisch, den sie nicht wollen.

Ich möchte mich nicht mehr rühren, bis ich erfriere,

denn ich meine, ich habe genug Unfug gemacht.

Doch eine graue Sonne, deren Schwingungen

alles nicht älter, sondern dümmer machen, geht auf

im Westen, und meine Moleküle bewegen sich

immer schneller, immer mehr wie die forcierten

Kinderzeichnungen von reichen Fauvisten, immer weniger

imstande, mich durch ihre Vernunft am Leben zu halten, doch noch

weniger imstande, mich in Ruhe zu lassen.

Sterben, merke ich, wäre nur ein Traum.

Plötzlich rühren sich hinter mir die jungen Männer,

und unter der feuchten Mütze eines von ihnen

schlängelt sich ein verquollener Blick hervor und trifft meinen.

Er sagt: „Du kannst ja genauso wenig feiern wie wir.“

„Was?“, schrie ich. „Sind doch alles Behauptungen!“

„Du reagierst auf Behauptungen. Mit Behauptungen.“

„Schlag mir den Kopf ab. Du hast recht. So will ich nicht leben.“

„Noch nicht.“ „Ihr spinnt!“ „Wir spinnen nicht mehr.

Wir suchen den Faden.“ „Und ich soll ihn haben.“

„Du musst ihn machen.“ „O eine Axt! Eine Axt!

Bei Gott, ich will eine Axt! Keinen Faden!“ Und ich begrub

mein Haupt in den sandigen Sand der Dünen

zwischen den verlorenen Messergriffen und den Schalen

von Generationen von toten Muscheln.

Willkür

Ann Cotten, geboren 1982 in Iowa, lebt seit 1987 in Wien, seit 2006 in Berlin. Zuletzt veröffentlichte sie die

Sammlung Florida-Räume im Suhrkamp Verlag. 31

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Klaus Florian Vogt Siegmund — Die Walküre

Welchen Faden aus Wagners Erzählung des

Nibelungen-Mythos verfolgen Sie am liebsten?

Die Geschichte um Siegmund und Sieglinde finde ich be-

sonders spannend. Sie ist konkret, lässt aber viel Raum für

Fantasie. Die Figuren handeln menschlich und sind deshalb

nachvollziehbar. Ich freue mich sehr darauf, den Siegmund

zu singen und zu spielen.

Wer hat Ihnen an welchen Orten

Geschichten erzählt?

Am besten erinnern kann ich mich an meine Großtante, die

mir abends am Bett vorgelesen hat.

Welche Geschichte hörten Sie in Ihrer

Kindheit am liebsten?

Märchen fand ich immer toll, spannende Geschichten mit

einem gutem Ende.

Wem erzählen Sie welche Geschichte gerne

immer wieder?

Meinen Kindern erzähle ich oft, wie ich mit meiner Mutter

und meiner Schwester nach einem Verwandtenbesuch in der

DDR einen Wellensittich in der Provianttasche über die

Grenze zurück in den Westen geschmuggelt habe.

Warum, glauben Sie, erzählen wir uns Geschichten?

Weil wir damit eine Verbindung zu unserem Gegenüber her-

stellen. Die erzählte Geschichte wird durch die Fantasie des

Zuhörers auch zu seiner eigenen, es ist also ein sehr persön-

licher Vorgang.

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Küchenm

atrosenfr

esse

Die

Familie

der

Verlorenen

(Bronn)

von Helmut

Krausser

36

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Bronn hatte keine Lust, sich zu erschießen, wusste spontan aber auch nichts Bes-

seres mit sich und dem Nachmittag anzufangen. Als ob eine Pflicht erfüllt sein

müsste, selbst noch das Merkwürdigste an- und weiterzudenken, dachte er kurz

darüber nach, während er die Pistole betrachtete, die er im Offizierskoffer seines

Vaters auf dem Dachboden gefunden hatte. Das lag nun schon etliche Jahre zu-

rück, und oft seither hatte er die Waffe ausprobieren wollen; jedes Mal hatte ihn

eine kindlich zu nennende Scheu daran gehindert. Seine Furcht galt nicht der

Waffe an sich. Er konnte Pistolen und Revolvern viel abgewinnen, registrierte

sogar eine fast erotische Affinität zu deren Mechaniken, insbesondere zu den

Klicklauten, die solche Mechaniken hervorrufen. Eher fürchtete Bronn sich davor,

etwas, das so eindeutig mit seinem Vater verbunden war, in die Hand zu nehmen,

also sah er die Waffe nur an, stundenlang an, als könne sie durch präzise Betrach-

tung von der Aura des Vorbesitzers gereinigt werden.

Mein Vater, der Gedanke war ihm in der gestrigen Nacht zum ersten Mal

gekommen, hat mir diese Pistole nicht ohne Absicht hinterlassen, ganz sicher

nicht, nein, ihn trieb die Hoffnung, dass ich sie brauchen könnte und irgendwann

gebrauchen würde. Er wollte, dachte Bronn, gleichermaßen von der Willkür sei-

nes Gedankengangs wie von dessen drastischer Logik erschrocken, dass ich mir

ihre Mündung an den Kopf halte und mit einem Projektil, seinem Projektil, sei-

nem letzten und unvollendeten Projekt, einen Schlussstrich durch mein Gehirn

ziehe. Der wohl niederträchtigste Versuch, doch noch einmal, nach so langer Zeit,

Besitz von mir zu ergreifen. Es würde seine späte, raffiniert konstruierte Rache

dafür sein, dass ich ihm fünfzehn Jahre lang entkommen konnte. Er soll meinen

Namen auf dem Sterbebett gerufen haben. Seine Frau, sein dressierter Gebär-

kanal, meine Erlebnisrutsche ins Leben, hätte mir die Information auch vorent-

halten, sprich: ersparen können.

Bronn hatte kein Schuldgefühl gehabt. Erst jetzt, mit dem zeitlichen Ab-

stand eines halben Jahrzehnts, stellte sich etwas, wenn auch nur sehr entfernt,

Ähnliches ein. Sentimentale Selbstrelativierungen, die eine Midlife-Crisis oft be-

gleiten, eine Art vorausgreifende Aussöhnung mit dem Kosmos, hin zur allumfas-

senden Vergebung. Urbi et Orbi. Requiescant in pace. Wenn er darüber nachdach-

te, bekam die Angelegenheit schnell etwas Zotig-Lächerliches. So vieles zu

verzeihen, dafür ist jeder Mensch zu klein. Das Ende des Zorns ist das Ende des

Lebens. Jeder vergibt sich selbst, und damit gut.

Warum rief mein Vater meinen Namen auf dem Sterbebett? Er wusste

doch, dass ich nicht kommen würde. Aber seine Gattin sollte die Anklage proto-

kollieren und an mich weiterreichen.

So der Plan. Das ist nicht eben versöhnlich gedacht für einen ver-

röchelnden Vater. Ich hätte in die Klinik fahren und ihn mit einem Schuss

aus dieser seiner Waffe abknallen sollen. Das wäre überraschend und logisch

gewesen. Stil- und würdevoll. Etwas pathetisch, aber mit Verve. Womöglich hätte

er es sogar begrüßt. Als aufgebauschte Form von Anteilnahme.

Wie anders sähen die Biografien vieler Menschen aus, ohne all die Hemm-

schwellen, die aus dem bloßen Wissen von der Existenz der Gefängnisse entste-

hen. Dabei sind Gefängnisse so banal. Wir leben zivilisiert, wir leben in Angst.

Leben banal. Dauernd hemmen uns Ängste vor einer verfrühten Vollendung. Vor

irgendeiner verfrühten Vollendung, als gäbe es jene eine, die zur rechten Zeit zu

uns käme – und richtiger wäre. Wir zögern hinaus, mit allen Mitteln, das Einzige,

was an uns nicht banal ist: aufhören zu können mit dem Sein.

Endlich nahm Bronn die Pistole in die Hand. Sie fühlte sich nicht an wie etwas

Böses, war ein willig handzahmes Ding, das fortan dem gehörte, der es nahm

und benutzte. Zweckgebundene Materie. Eine Nutte von Ding. Sein Vater

schrie und starb in diesem Moment ein zweites Mal, auf weit höherer Ebene.

Bronn wollte feiern. Gern ging er nachmittags durch die luxussanierte Markt-

halle am Marheinekeplatz, betrachtete ein Boule-Spiel oder aß ein Hühnerbein.

Viele schreckliche Mensch-Komparsen saßen auf den Bänken und tranken Bier.

37Die Familie

der Verlorenen (Bronn)

Waffe

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Neben dem Spielplatz verkauften Trödler knallbunte Tücher, Strohhüte, Gürtel,

altes Geschirr und sonstigen Plunder, auch gestohlene, zerlegte und neu zusam-

mengesetzte Fahrräder. Bei einer Gelegenheit wie dieser hatte er Elisabeth zwi-

schen den Ständen erblickt, das war nun auch schon wieder fast vier Jahre her.

Sie war aus den Himmeln gekommen, saß da, in einem cremefarbenen Kleid, mit

baumelnden Beinen, das Kinn auf ihren rechten Handrücken gestützt. Bronn sah

nicht irgendein Mädchen, er sah Elisabeth. Denn das war der Name, den er dem

Wesen gegeben hatte, lange, bevor er es zum ersten Mal zu Gesicht bekam.

Für Mitte Oktober war es recht warm. Ein klarer, sonniger Tag ging zu Ende.

Bronn mochte die Stunde, sehr früh am Abend, wenn es noch nicht ganz dunkel

ist, wenn der Flüsterteer schimmert und die Stimmung auf den urbanen Alleen

etwas Traumhaft-Jenseitiges gewinnt. Stunde, da die Farbpracht der Bäume

letztmals ins Bewusstsein tritt, bevor sie in die Nacht hinein versickert. Wenige

Farben konkurrieren: ein tiefes, selbstbewusstes Mittelblau, ein zart verwasche-

nes Rosa, und, weit hinten, der untergehenden Sonne entgegen, Flecken von

kränklichem Schwefelgelb. Herbstluft zeichnet Konturen schärfer und härter ge-

gen den Himmel. Zum Aufflackern der Straßenlaternen fehlen nur Sekunden,

während das letzte Licht am Horizont sich zwischen Tag und Nacht noch immer

nicht entscheiden will.

Bronn betrat, melancholisch bewegt, seine Fünfzimmerwohnung, ließ in

der Küche die Jalousien herab, floh vor der Jahreszeit unter ein Zelt aus dimm-

fähigen Lichtquellen. Er suchte sich von der Schwere seiner Gedanken, die an

Herbstabenden fast ausschließlich der Vergänglichkeit galten, der eigenen beson-

ders, abzulenken, blätterte mit der Fernbedienung im Teletext nach neuen Schlag-

zeilen und kochte, um einer Erkältung vorzubeugen, Hühnersuppe in einem ver-

krusteten, täglich benutzten Topf. Den regelmäßig zu reinigen, hielt er nicht für

nötig; die Flüssigkeit, auf hundert Grad erhitzt, müsste alle darin enthaltenen

Keime, dachte Bronn, abtöten. Danach legte er sich kurz zu Elisabeth und als er

gekommen war, nahm er ein Bad.

Seine oft bis übers Nagelbett hinaus abgebissenen Fingernägel spielten mit

dem Schaum, ließen schillernde Blasen platzen, und dass dabei kein Knall ertön-

te, wertete Bronn als Unvermögen seiner seit Tausenden von Jahren schamlos

verkümmerten Ohren.

Alles Unvollkommene muss sterben.

Er rasierte seine Hoden und Achselhöhlen, betrachtete sich im Spiegel.

Mein Antaios, dachte Bronn, ist schön, einer der schönsten, ich kann stolz auf ihn

sein, sogar Elisabeth empfindet ihn inzwischen, und ihr fehlt doch jeder Vergleich,

als angenehm und wohlgestalt. Bronn griff nach einem Handtuch, entstieg der

Wanne, stolz auf die kleine Pfütze, die sich um seine Füße in den Teppich grub.

Jetzt und hier ist alles da, eins zu eins, noch fern aller Legenden, ist wahr und am

Leben, ist echt, bis hin zur verschrumpelten Haut der aufgeweichten Zehen.

Bronn war begeistert. Ach, flöge nur ein großer Vogel von mir fort, aus mei-

ner Stirn heraus, mit allem, was ich denke, in ein geschütztes Nest, ein Reservat.

Er zog sich an, sehr langsam, verlieh sich jedes Kleidungsstück wie einen

Orden. Seine Gesten schienen selbst ihm bald kapriziös, übertrieben bewusst.

Über den Besitz einer gut gefertigten Socke ehrliche Freude empfinden zu kön-

nen – wann war das zuletzt möglich? Dazu benötigt es Kriege, dachte Bronn.

Verlorene Kriege. Ehrgeizige Völker müssen um verlorene Kriege dankbar sein,

nur in ihnen erfinden sie sich von Grund auf neu.

Kurz vor einundzwanzig Uhr flanierte er in einem beigefarbenen Leinen-

anzug zur nächstgelegenen U-Bahn-Station. Das Transportmittel widerstrebte

ihm; zu viel Tuchfühlung mit Gesindel wurde riskiert. Regelmäßiges Taxifahren

konnte er sich nicht leisten, er war kein vermögender Mensch, ging keiner Arbeit

nach. Was er an Ererbtem besaß, würde ihm, sparsam eingeteilt, noch etwa sie-

ben Jahre lang ein Auskommen sichern. Dann, an seinem fünfzigsten Geburts-

tag, wollte er Selbstmord begehen, hatte sich dazu bereits die nötigen Narkotika

Auff

lackern

36-40_ERZAEHLUNG_KRAUSSER_korr_mxm_frei.indd 38 09.01.12 20:08

Plo

ppgeräusche

39Die Familie

der Verlorenen (Bronn)

besorgt. Sie konnten bis dahin an Wirkung eingebüßt haben, gewiss. Sah man es

so, war ihr Kauf voreilig gewesen. Doch besser, beruhigender ist es, sagte sich

Bronn, dergleichen im Haus zu haben. Sieben Jahre noch existieren. Und manch-

mal so leben, wie es mir zusteht.

Niemandem steht irgendetwas zu auf dieser Welt, dachte Bronn. Aber al-

les steht offen und bereit für den, der sich davon zu nehmen wagt. Er begriff sich

als einen Mann der Tat. Wo andere viele Worte machten, um mit ihrem Leben

ins Reine zu kommen, bevorzugte Bronn, und es kam ihm selbst oft kindisch

aufbegehrend vor, die Tat, gleichermaßen als Mutprobe und definitive Stellung-

nahme, als letztmöglichen Ausweg aus der grassierenden Unverbindlichkeit. Be-

denken will ich, was ich tu – der Satz des Feuergottes Loge, aus dem letzten Bild

der Oper Rheingold, wurde für Bronn oft zum lose gemurmelten Mantra. Ging

über in Tun will ich dann, was ich bedacht hab.

Lüge ist, wenn mein Denken sich vom Körper zu weit entfernt. Wir müssen

dieser an Äußerlichkeiten festgezurrten Welt mit unseren Körpern begegnen, nicht

mit unserem Denken. Wie lächerlich sind Sandkörner, die sich in einem Getriebe

einnisten, um fortan knirschend, wichtigtuerisch an Stimme zu gewinnen. Sie er-

zählen das ewige Lied doch nur – er machte Pause und suchte nach Worten – mit

der gequälten Stimme der Maschine.

All diese Sätze sprach Bronn flüsternd in sein Diktafon. Er schrieb sie

selten auf.

Wir, die Familie der Verlorenen, sind Körper, die Geschichten zerstören,

um neue zu erfinden.

Bronn bemerkte, dass einige der Menschen im Abteil ihn, während er

sprach, anstarrten, wozu sie keinerlei Recht besaßen. Doch wussten sie davon

nichts, und man musste ihnen verzeihen. Öffentlichkeit zwingt zu Kompromissen.

An der Haltestelle Kleistpark verließ Bronn den Zug, hetzte zur Rolltrep-

pe, angeekelt von Blicken, deren Interesse offenkundig, oder nur wenig verstellt,

seiner Vernichtung galt.

Von der frischen kühlen Luft beruhigt, ging er hundertachtundsechzig

Schritte nach Norden, zu einem Etablissement in der Goebenstraße, ein, wie er

selbst fand, widerlich versiffter Schuppen, der im Parterre DVDs, Dildos und

Pornohefte verkaufte und im ersten Stock ein Pornokino und Videokabinen be-

trieb. Jener Bereich wurde von Kameras nur teilweise überwacht, wie sich Bronn

bei vorherigen Besuchen vergewissert hatte. Der Eingang zum Kino bildete, in

diesem Sinne, eine Gefahrenzone. Da musste man durch, was aber kein großes

Risiko war, es gab keine Aufzeichnungen.

Ein wovon auch immer klebriger Boden entlockte den Sohlen seiner Turn-

schuhe bei jedem Schritt ekelhafte Ploppgeräusche. Der überheizte Raum mit

den neun Videokabinen schien menschenleer. Bronn fühlte sich zu seiner Schan-

de mehr erleichtert als enttäuscht. Auch seine Lust hielt sich in Grenzen. Eine

angelehnte Tür schwang auf.

Der junge Mann mit den kurzen weißblonden Haaren sah Bronn freundlich

lächelnd an. Ein hagerer Mensch, kaum zwanzig Jahre alt, in Jeans und gelbem

Polohemd. Sein Gesicht war einigermaßen hübsch, doch wenig interessant, es hat-

te noch einen weiten Weg vor sich. Smutjegesicht. Eine bleiche, der Akne längst

noch nicht entwöhnte Küchenmatrosenfresse. Bronn hob die rechte Hand zum

Gruß. Der junge Mann blinzelte ihm zu, und sein lasziver Griff in den eigenen

Schritt, verbunden mit einem auffordernd eindeutigen Grinsen, erregte Bronn. Er

tat ein paar Schritte auf den Jungen zu, lächelte, betrat die Kabine, schloss hinter

sich ab, öffnete Gürtel und Reißverschluss seiner Hose, schob sie mitsamt dem

Slip bis zu den Knien hinab. Bronn fühlte sich verehrt und sehr korrekt behandelt,

streichelte die Ohren seines Wohltäters mit beiden Zeigefingerspitzen und warte-

te, bis seine Erektion sich verfestigt hatte. Der blonde junge Mensch war unerfah-

ren, wenngleich er sich Mühe gab, mit den Zähnen die Haut nicht zu berühren.

Bronn stieß ihm sein Glied heftig in den Rachen, der Blondjunge schnaubte, seine

Nase klang verstopft und verursachte ein unangenehm rasselndes Geräusch.

36-40_ERZAEHLUNG_KRAUSSER_korr_mxm_frei.indd 39 09.01.12 20:08

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Tuchfühlu

ng

Das Projektil, das in sein rechtes Ohr eindrang, verließ sein zerwühltes Gehirn

durchs linke und blieb in der Wand stecken. Als sei es ein Gedanke gewesen, dem

man nur mit halber Aufmerksamkeit zugehört hatte. Der Schalldämpfer ist zwei-

fellos eine der zärtlichsten Erfindungen der Menschheit. Dachte Bronn, der große

Erregung daraus zog, dass die Kugel sich nur Zentimeter über seiner Eichel durch

die gallertartige Masse fremder Gedanken hindurchgebohrt hatte.

Der helle Anzug war eine zu kühne bis absurde Farbwahl gewesen, das

gestand er sich jetzt. Mit einem Taschenmesser pulte Bronn das kaum verformte

Projektil aus der Plastikwand. Roch daran. Steckte es in die Innentasche seines

Jacketts. Danach schob er den toten Körper mit Fußtritten unter den Sitz. Bronn

öffnete die Tür der Videokabine einen Spalt, sah sich um. Schnell glitt er zur Tür

hinaus und schloss sie von außen, hielt sich eine Hand vors Gesicht, als er den

Eingangsbereich zum Kino durchschreiten musste, ging, froh um die kühle

Abendluft, gemächlichen Schrittes die Potsdamer Straße entlang, fühlte sich de-

rangiert, wegen der wichtigtuerischen Blutspritzer auf seiner Hose. Er stoppte,

ausnahmsweise, ein Taxi, nahm im Rückraum Platz. Der Fahrer würde sicher

nichts bemerken. Agone? Hoc age! Um mit den römischen Priestern zu reden.

Tun, was bedacht ist.

Bronns Glied, der Begriff Antaios, den er selbst dafür gebrauchte, enthielt

eine Spur von Ironie, blieb während der Heimfahrt ständig steif. Er freute sich

sehr darauf, vor dem Fortdämmern noch einmal zu Elisabeth kriechen zu können.

Sieben große Jahre liegen vor mir, dachte er. Bevor die Welt von mir Abschied

nehmen muss. Eine Träne rollte ihm die Wange hinab. So glücklich, dachte Bronn,

bin ich schon lang nicht mehr gewesen.

Die Hoffnung, rechtzeitig vor meinem Tod unglücklich und depressiv zu

werden, gar vielleicht gerne zu sterben, scheint entmutigend unrealistisch. Ich

will aber auch nicht feig sein oder bequemlich. Nein.

Zu viel von allem ist zu viel. Marienkäfer sind niedlich. Millionen von Ma-

rienkäfern sind eklig. Es gibt Milliarden von Menschen. Zu Hause fand er Elisa-

beth schlafend vor. Nicht vom hellsten Licht erwachte sie auch nicht, als er ihren

Rücken mit Küssen liebkoste. Er legte sich neben das Mädchen, atmete ruhig und

bewusst, ließ sie in Ruhe und schlief ein. Bald würde er sie aus seinem Leben

entfernen müssen – und es brach ihm das Herz.

Helmut Krausser ist Autor von

Romanen, Gedichten und Bühnen-

stücken. Seine Romane Der große

Bagarozy und Fette Welt wurden

verfilmt. Im Wintersemester

2007/08 hatte er die Poetikprofes-

sur der Ludwig-Maximilians-Uni-

versität München inne. Zuletzt

erschien der Roman Die letzten

schönen Tage im Dumont Buchver-

lag. Der Autor lebt bei Berlin.

40Die Familie

der Verlorenen (Bronn)

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Juha Uusitalo Wotan — Die WalküreDer Wanderer — Siegfried

nf

Fra

ge

n a

n …

„Lustigerweise war meine Lieblings-figur früher die Zeichentrickfigur Donald Duck!Ich konnte es immer gar nicht erwarten, bis die Comics endlich in der Post waren.“

Welchen Faden aus Richard Wagners Erzählung des Nibe-

lungen-Mythos verfolgen Sie am liebsten?

Mich berührt der Faden von Wotans persönlichem Weg am

meisten, und wie der Ring seine Einstellung über die drei

Opern, in denen er auftaucht, verändert. In Wagners einzig-

artiger Komposition ist dies natürlich auch musikalisch in

die Figur hineingewoben, etwa in Wotans Monolog, den er an

Brünnhilde richtet. Natürlich mag ich auch die Rolle des

Wanderers sehr gern, sowohl musikalisch als auch als Figur

(vielleicht weil ich sie öfter gesungen habe).

Wer hat Ihnen an welchen Orten Geschichten erzählt?

Meine Mutter und mein Vater haben mir Geschichten er-

zählt, als ich noch klein war, aber auch meine älteren Brü-

der (acht und sechs Jahre älter als ich), denen ich vollkom-

men ergeben war.

Welche Geschichte hörten Sie in Ihrer Kindheit am liebsten?

Lustigerweise war meine Lieblingsfigur früher die Zeichen-

trickfigur Donald Duck! Ich konnte es gar nicht erwarten,

bis es endlich Dienstag oder Mittwoch war und die Comics

in der Post waren.

Wem erzählen Sie welche Geschichte gerne immer wieder?

Ich habe früher meinen eigenen Kindern alle möglichen

Geschichten erzählt – irgendetwas, damit sie einschliefen!

Am liebsten waren mir die Geschichten des finnischen

Autors Mauri Kunnas, vor allem seine Herra Hakkaraisen-

Geschichten [auf Deutsch Herr Schnorchelmütz, d. Red.],

und davon ganz besonders die, in der er schlafwandelt.

Warum, glauben Sie, erzählen wir uns Geschichten?

Wissen Sie, was wirklich sehr wichtig ist für Kinder, ist der

Klang der Stimmen ihrer Eltern. Ich erinnere mich tatsäch-

lich, dass ich es als Kind so beruhigend fand, sie zu hören,

und gleichzeitig war es auch eine großartige Erfahrung, eine

Geschichte von ihnen erzählt zu bekommen.

Fünf Fragen an …

Übersetzung Maria März

42-43_FRAGEBOGEN_2_3_UUSITALO_STEMME_korr_mxm_frei.indd 42 09.01.12 20:10

Nina Stemme Brünnhilde —Götterdämmerung

Fünf Fragen an … 43

„Meine Großmutterhat uns Schwesterngefragt, worum esin der Geschichtegehen soll, und dann wir sind in den Pausen eingesprungen und haben – nach unserer Meinung – die Geschichtebesser gemacht!“

Welchen Faden aus Wagners Erzählung des

Nibelungen-Mythos verfolgen Sie am liebsten?

Ich glaube, es gibt einen Grund jenseits der stimmlichen He-

rausforderung, der mich von Sieglinde zu den Brünnhilden

hat wechseln lassen … Obwohl ich die Wesenszüge der Sieg-

linde liebe – das Erwachen einer Frau, ihr Wachsen und, spä- Fü

nf

Fra

ge

n a

n …

ter, ihr Sterben für ein höheres Ziel –, ist dies kein Vergleich

zur Entwicklung der Brünnhilde! Die Geschichte einer Göt-

tin zu erzählen, die von ihrem Vater zur Menschlichkeit ver-

dammt wurde und damit zu allem, was das bedeutet, Bezie-

hungen, Liebe, Schwüre und Täuschungen, und die am Ende

schließlich ihr Leben opfert in der Hoffnung auf eine bessere

Welt – das ist schon etwas Besonderes.

Wer hat Ihnen an welchen Orten

Geschichten erzählt?

Meine Großmutter hat meinen Schwestern und mir Ge-

schichten erzählt, wenn sie uns zu Hause in Stockholm be-

sucht hat. Sie hat uns gefragt, worum es in der Geschichte

gehen soll, und hat dann mit dem Erzählen angefangen …

und wir Mädchen sind in den Pausen eingesprungen und ha-

ben – nach unserer Meinung – die Geschichte besser ge-

macht! Und so wurde es dann oft eine Geschichte aus dem

täglichen Leben, in der meine Schwestern und ich vorka-

men.

Welche Geschichte hörten Sie in Ihrer

Kindheit am liebsten?

Ich war, und bin immer noch, sehr bewegt von Astrid Lind-

grens Bröderna Lejonhjärta (Die Brüder Löwenherz). Davor

habe ich gern manche der volkstümlichen Erzählungen aus

Schweden gehört …

Wem erzählen Sie welche Geschichte gerne

immer wieder?

Ich erzähle jedes Mal Geschichten, wenn ich auf die Bühne

gehe und eine Oper singe, ein Lied oder sogar ein konzertan-

tes Stück. Das reicht mir ...

Warum, glauben Sie, erzählen wir uns Geschichten?

Um unterschiedliche Facetten des Lebens mitzuteilen. Um

die Vergangenheit mit der Zukunft zu verbinden. Und natür-

lich auch, um Moral, Ethik und Vernunft auf eine symboli-

sche oder universellere Weise zu vermitteln.

Übersetzung Maria März

42-43_FRAGEBOGEN_2_3_UUSITALO_STEMME_korr_mxm_frei.indd 43 09.01.12 20:10

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Die Pause nach dem Dritten Aktund kein Ende

von

Christine Pitzke

Ob es sein könne, fragte sie, dass es nicht Vermittlung brauche zwischen den

Menschen und ihrem Göttlichen, sondern Vermittlung zwischen dem Wortlosen

und dem Wort? Er nickte nur. Sie wollten kleine Dinge sagen und tun und hiel-

ten sich an die Silben. Ob es sein könne, fragte sie, dass sie den Dingen unrecht

getan hätten, sie seien ja nicht so abgehärmt oder todverfallen oder ausgeliefert

wie die Menschen meinten, oder verstoßen oder in Eigenschaften gefangen, son-

dern jedes eine unbewohnte Insel, und sie stürzten die Menschen in ihre Frei-

heit, jedes gab Kleider und neues Unbehaustsein, Sammelstelle von weiteren

Elementen. Das Grün gab von seinem schwachen Grün, die Kalkfelsen von ih-

rem Weiß, Bilder, die in den geschlossenen Augen noch eine Weile stehen blie-

ben, manchmal im Kontrast. Jetzt wuchs die bewohnbare Erde wieder an, eine

strenge und von einem rauen Wind durchwehte Hochfläche, und dieser Wind

machte den Festkörper leicht. Unruhe, und es war auch in der Unruhe ein Wohn-

sitz zu finden für kurz. Dann brach etwas über Elaine herein, und sie zog dafür

ihr weißes Kleid aus und war eingeordnet in diese Sekundenwelt eine Sekunde

lang und verlor sich und wurde wiederhergestellt, und da war jetzt Ernst und

eine klare Sonne und weit draußen ein Wolkenvorrat. Und wie sie zueinander-

standen und wie sie sich ineinanderschlossen und offen wurden davon, so offen.

Sie kochten Tee mit ihrer blauen Campingkartusche, sie setzten den Topf

auf die Gasflamme, das Wasser perlte lange bevor es siedete, sie warfen Teeblät-

ter in das perlende Wasser, sie aßen Aniskekse zum Tee, es gab kein Ornament,

es gab nur die nackten Dinge, die Schlüssel waren von der Sonne heiß, der

Schlüssel für das ferne Haus, für das Hotelzimmer und der für das Auto hier,

und die Geräte waren noch lange nach dem Teekochen heiß. Sie blieben bis in

die Nacht, das Licht hatte die weißen Felsen mit neuer Unmöglichkeit bemalt

und flüsterte etwas erträglich Einsames in ihr Leben hinein, und vor allem flüs-

terte es: weitermachen. Sie machten kleine Dinge, sie lagen nackt auf der nack-48

48-51_ERZAEHLUNG_PITZKE_korr_mxm_frei.indd 48 09.01.12 20:11

ir sind nur musikalisch“, gab der Beifahrer zur Antwort, als jemand

gegen die Scheibe klopfte, und dann sagte auch Elaine, die sich zum

Fenster hinüberbeugte: „Das müssen Sie schon verstehen.“ Das

Auto war rubinrot und hatte ein weißes Dach, Elaine schloss das Schiebedach,

wenn sie ihre Musik hörte, sie machte das nur noch eine Stunde am Tag und fuhr

dorthin, wo sie niemanden zu stören glaubte. Der Wagen aus den 70er Jahren

wackelte im Gewitter nicht und blieb auch beim Fahren in der Spur und hatte

alle technischen Prüfungen bestanden. Was störte? Dass man auch hinten auf

den Sitzen tief in die Polster sank? Sie könnten sich dort sogar in einem Stachel

wiegen und die Gewichte neu verteilen und im Stachel unverwundbar sein.

Wovor hätte Elaine sich fürchten sollen? Manchmal stellte sie ihr Auto

absichtlich in den Regen, und sie blieben darin sitzen zu zweit, sodass ein

Schwall über sie rollte und auf ihnen trommelte und an dem ausgebleichten

Lack herunterlief, und durch den Fensterspalt lief Wasser ins Fahrzeug herein.

Dann streckte sie ihren Arm und ließ das Rinnsal in ihre Achselhöhle laufen, wo

es eine kleine Pfütze bildete. Sie gab davon Raymond, sie gab ihm viel, auch von

dem Geruch des Regens. Er gab ihr viel, auch von der größeren Gischt. Und von

außen gesehen waren die Reifen, auf denen das Auto stand, ganz schmal, und die

Klippe hätte abbrechen und stürzen können, aber noch nicht an diesem Tag. Sie

waren an diese fremde Küste geworfen und erkundeten das Landesinnere, und

Elaine war jetzt in einem Zustand, in dem sie überall Götter vermutete, den

Grashalmgott und den für die Disteln, und auch der Distelgott blieb wie immer

unsichtbar und besonders unsichtbar an den Stellen, wo die Wassertropfen jetzt

an den dornigen, geflügelten Stielen saßen. Sie wusste, es gab Zeigerpflanzen,

aber ob diese hier zu den Zeigerpflanzen gehörten, wusste sie nicht, sie sagten

nur: Schau wie schön. Und es war dafür gesorgt, dass kein Sterblicher zu lange

hier bleiben durfte, deshalb gingen sie weiter. Im Widerschein der Wasserpfüt-

zen zitterten sie, und nicht nur dort, aber auch in diesem Zittern durften sie

nicht lange bleiben und gingen und waren stabil, zwei Festkörper, aufrecht.

W49

Die Pausenach dem

Dritten Akt und kein Ende

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ten Erde, sie steckten ihre Finger in die Grasbüschel, und es war in diesem

Augenblick nicht klar, wer wen festhielt. Elaine streckte sich, und sie streckte

sich so sehr, dass sie das Gefühl hatte, sogar ihre Knochen mitzudehnen. Aber

kein Mensch darf lange in einem solchen Zustand bleiben.

Sie fanden eine Hütte, sie krochen nicht hinein, lehnten sich nur gegen

die Außenwand, sie rochen an dem Holz und an den Rissen, sie fanden ein Stück

weggeworfene Wolle und legten es unter ihre Decke, die Wolle roch nach Erde

und nach Tieren und nach Farblasur. Sie konnten jederzeit zurück, ihren fri-

schen Bademantel aus dem Hotelschrank nehmen, mit dem Lift zur Sauna fah-

ren, sie fielen in einen kurzen Schlaf. Elaine wachte schon nach einer Stunde auf,

sie hielt eine Feder vor Raymonds Nase, um zu sehen, wie er atmete, sie sagte

ein Wort in sein Ohr, um zu sehen, ob er verstand, sie nahm das wilde Grün und

wollte es ihm schenken, sie streifte seinen Ärmel hoch, um den Arm zu fassen.

Die Dunkelheit zeigte ihre Sterne, und das war keine Mangelfläche, im Gegen-

teil. Ein Donner hatte eingesetzt, der aber kein Donner war, sondern ein Auf-

takt und dann ein Gesang, sie konnten fast jedes Wort aus diesem Gewitter

verstehen. Ein paar Zikaden ganz in ihrer Nähe sangen dazwischen, auch andere

nächtliche Tiere, unsichtbar. Es gab hier kein elektrisches Licht, sie hatten nur

ihre Taschenlampe. Elaine leuchtete auf das nächtliche Gewebe, sie sah die Aus-

rufezeichen in den kleinen Dingen, in der Gabelung der Halme, im Steinmoos,

in den Blättern und Gegenblättern und im ausgemergelten Stein. Sie hatten

vom Gewitter den Brennpunkt noch in sich. Elaine konnte nun jeden Satz mit-

buchstabieren, aber darum ging es nicht. „Sie geben schon den Dritten Akt, sie

haben vielleicht erst jetzt die Fenster aufgemacht? Und die jetzt mit der Stimme

spielen und mit dem Körper singen, sie sollen sich zeigen.“ Elaine sprang auf.

Weil sie glaubte, im Stehen deutlicher hören zu können. Sie ging auf und ab, weil

sie glaubte, im Gehen deutlicher hören zu können. Furcht hat feine Ohren, und

die Furchtlosigkeit hat noch feinere Ohren, weil sie auch durchhörig ist wie eine

Membran. Da war ein Straßenschild und eine Halterung, in der es befestigt war,

ein helles, fast klirrendes Geräusch, und durchhörig der Kopf für die Geräusche,

die alle zusammen und jedes für sich: Freude sind. Elaine hatte die aufnehmen-

den und weitergebenden Organe, sie blieb einen Augenblick stehen und war

gezogen, die ganze Person, dorthin.

Es war schön, dass in der Ferne Lichter standen, zu denen sie hinfahren

konnten, und die Lichter fassten Menschen ein. Eine Stunde lang war immer

wieder ein Donner in der Luft gewesen, die Musik, jetzt fuhren sie dorthin, zum

Flutlicht und Scheinwerferlicht und Leuchtstoff. Eintrittskarten hatten sie

nicht, aber es war jetzt die Stunde nach dem Dritten Akt, sie streiften die Rei-

hen entlang. Die Besucher waren geblieben, manche saßen noch auf ihren Stüh-

len und auf den Absperrbalken, und mit ihrem Bleiben wollten sie also sagen:

weitermachen. Die Stühle wurden nicht eingeklappt, die Scheinwerfer nicht ab-

geschaltet, ein Stück Seil lag am Bühnenrand, niemand fasste es an, manche der

Besucher wischten sich die Augen, einer öffnete seinen Kragen und knöpfte das

Hemd auf, aber er sagte nicht, ob die Brustsperre weiter war oder gelöst.

Keine weiteren Spuren, als sei die Vorstellung nicht gewesen und so als

hörte sie nicht auf. Noch immer waren die äußeren Mauern hell und die Bühne

auch, kein Dach außer dem großen. Die Zugangsbewacherinnen kamen und frag-

ten: „Worauf warten Sie?“, aber das konnte niemand sagen. Dass die Stunde

nach der Musik nur die Pause zwischen den Akten sei und kein Ende darin. „Sie

fangen gleich an mit dem Aufhören“, hieß es, aber wer hätte das glauben mögen.

Auch hier gab es den Widerschein in Wasserpfützen und darin eine zweite Büh-

ne. Jetzt still. Und der Stoff war noch ganz unverträumt, hier in seinen Bruchtei-

len. Und die Besucher machten, was man gerne macht, wenn man eine Sehnsucht

hat, sie kauften etwas zu essen und zu trinken und balancierten mit gefüllten

Tellern zwischen den Reihen.

Nur jetzt nicht diese Fülle beleidigen. Und weil sie so leicht waren, durf-

ten sie nicht den Boden verlieren, auch dafür war das Seil hingeworfen, verges-50

48-51_ERZAEHLUNG_PITZKE_korr_mxm_frei.indd 50 09.01.12 20:11

sen und bereitgelegt. Sie tauchten ihre nackten Füße in eine Wasserpfütze. Nie-

mand baute die Bühne ab, aber die Musiker kamen nicht wieder, sie fuhren dann

in einem offenen Jeep ganz nah an Elaine vorbei, sie hatten noch Schweiß auf

der Stirn und nasse Haare, sie wirkten erschöpft wie nach einem langen Lauf,

sie holten tief Luft und wollten also von der Stunde nach dem Auftritt auch

selbst einen Rest einatmen. Der Jeep fuhr sehr langsam, fast aus eigener Kraft.

Nur jetzt nicht die stille Stunde plündern, denn es könnte sein: Das einem un-

beirrbaren Zuspruch sich hingebende Herz gab sich hin. Elaine rannte schnell

davon, sodass sie nicht mehr wusste, ob sie das gesagt hatte oder nur gedacht.

Dann sanken ihr die Kniegelenke ein, sie schlug mit dem Kopf an etwas Hartes.

Jemand legte ihr ein kühles Tuch auf die Stirn und sagte das Wort Ohnmacht,

jemand schaute sie von weit draußen mit erstaunten Augen an. Jemand legte

ihre Beine auf einen Stuhl. Elaine nahm sich zusammen und stand. Sie hatte sich

für einen Augenblick in die Kniekehlen zusammengezogen, hatte ihre Sprung-

kraft gesammelt und stand fest. Zubehör für Idylle und Gerätschaften für Idyl-

le, aber Lücken darin, sonst hätte sie vielleicht sogar erschrecken müssen. Und

dann standen sie in den Stuhlreihen und Rillen, in ihren Umarmungen, in dieser

aufgewühlten Nacht, zusammengedrängt wie ein Stempel, und Menschen hinein-

gesunken, andere hervorgestellt, und morgen würde der Stempel anders sein

und übermorgen auch. Die Bäume waren nicht finster, weil es jetzt keine Fins-

ternis gab. Aufrecht und zugeneigt suchten sie einen Haltepunkt oben, zuge-

spitzt und biegsam, und in alle Richtungen zeigten sie mit ihren Büscheln.

„Ganz klar“, sagte der Taxifahrer, „der Reifen ist zerschnitten.“ Und er

stieß, wie um sich zu vergewissern, mit seinem Fuß gegen den Vorderreifen von

Elaines Wagen, und obwohl sie verärgert war, sogar sehr verärgert, musste sie

über diese Klarheit doch lachen. Sie ließ sich auf den Ledersitz des Taxis fallen,

taumelnd oder geohrfeigt oder beides. Sie öffnete die Lippen, Luft wurde im

Fahren durch das Fenster hereingeschleudert. „Eine Zumutung“, antwortete sie

am nächsten Morgen im Frühstückszimmer auf die Frage, wie es gewesen war,

„zuerst ein Gewitter, dann eine Ohnmacht, dann war an meinem Wagen ein Rei-

fen kaputt. Wunderschöne Zumutung, erlitten und erlebt. Heute Abend geht es

weiter, und Eintrittskarten haben wir auch.“ Dabei tupfte sie sich den Mund und

blickte versonnen zum Fenster hinaus und dann fest in die Augen ihres Gegen-

übers. Sie lachte, und ihre Augen füllten sich mit Tränen, sie war so schwach,

dass sie davon aufrecht stehen konnte. So schwach, dass sie davon kerzengerade

ging. Und es war jetzt eine Sekunde lang ohrenbetäubend leise im Zimmer.

51 Die Pausenach dem

Dritten Akt und kein Ende

Christine Pitzke ist freie Autorin

und lebt in München. Die Germanis-

tin und gelernte Krankenschwester

erhielt für ihr Prosadebüt Versuche,

den Morgen zu beschreiben (2004)

mehrere Auszeichnungen. 2010 er-

schien ihr dritter Roman Der

Sommer, in dem Folgendes geschah.

48-51_ERZAEHLUNG_PITZKE_korr_mxm_frei.indd 51 09.01.12 20:11

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Ulrich Reß Mime — Das Rheingold

nf

Fra

ge

n a

n …

„Meinen Kollegen erzähle ich gerne Geschichten, die ich in der Oper erlebt habe, zum Beispiel bei Siegfried in Florenz. Ich musste als Mime in 14 Metern Höhe auf meinen Auftritt warten. Einmal gab es Feueralarm, und ich musste fast eine halbe Stunde dort ausharren.“

Welchen Faden aus Wagners Erzählung des

Nibelungen-Mythos verfolgen Sie am liebsten?

Durch meine Rollengestaltung des Mime liegt es natürlich

nahe, dass mich dieser Faden am meisten interessiert und

begeistert.

Wer hat Ihnen an welchen Orten

Geschichten erzählt?

Die meisten Geschichten erzählte mir mein Großvater im

Park beim Spazierengehen und Spielen. Er war ein sehr guter

Geschichtenerzähler, denn es versammelten sich viele Kin-

der um ihn und hörten zu.

Welche Geschichte hörten Sie in Ihrer

Kindheit am liebsten?

Das ist schwer zu beantworten, aber eine Geschichte, die

mich begeisterte und mit der ich auch mein erstes richtiges

Theatererlebnis hatte, war Peterchens Mondfahrt.

Wem erzählen Sie welche Geschichte gerne

immer wieder?

Meinen vier Kindern erzähle ich oft Geschichten, die mich

noch heute mit meinem leider viel zu früh verstorbenen Vater

verbinden. Meinen Kollegen erzähle ich gerne Geschichten,

die ich in der Oper erlebt habe, zum Beispiel bei Siegfried in

Florenz. Ich musste zu Beginn der Vorstellung als Mime auf

eine Plattform steigen und in 14 Metern Höhe auf meinen

Auftritt warten. Bei einer Vorstellung gab es Feueralarm, und

ich musste fast eine halbe Stunde in der Höhe ausharren, bis

es endlich beginnen konnte. Obwohl ich schwindelfrei bin,

war das keine leichte Aufgabe.

Warum, glauben Sie, erzählen wir uns Geschichten?

Ich glaube, dass es eine gute Möglichkeit ist, unseren Kin-

dern, Freunden und Kollegen von unseren positiven und

negativen Erlebnissen zu berichten. Je nachdem, was man

erlebt hat, kann jeder die Geschichte nach seiner Lust und

seinem Talent gestalten.

Fünf Fragen an …

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53Blindtext

Catherine Naglestad Brünnhilde — Siegfried

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„Die Geschichten, die mir immer und immer wieder erzählt worden sind, sind heute ein Teil von mir. Wenn ich sie nur gelesen oder nur einmal gehört hätte, hätte ich sie vielleicht interes-sant gefunden, aber sie wären nicht Teil meiner jetzigen Identität.“

Welchen Faden aus Wagners Erzählung des

Nibelungen-Mythos verfolgen Sie am liebsten?

Wagner webt ein verworrenes Netz aus all seinen Fäden – mir

gefällt es aber, darin die Parallelen, oder Verbindungen, zu

Mythen und Legenden aus anderen Kulturen und Zeiten zu

entdecken.

Wer hat Ihnen an welchen Orten

Geschichten erzählt?

Wie bei vielen Kindern hat meine Mutter mir abends vor dem

Einschlafen Geschichten erzählt. Ich habe auch gern zuge-

hört, wenn sie Familiengeschichten erzählt hat. Die Geschich-

ten, die mir immer und immer wieder erzählt worden sind, sind

heute ein Teil von mir. Wenn ich sie nur gelesen oder nur ein-

mal gehört hätte, hätte ich sie vielleicht interessant gefunden,

aber sie wären nicht Teil meiner jetzigen Identität.

Welche Geschichte hörten Sie in Ihrer

Kindheit am liebsten?

Meine liebsten Kindergeschichten sind:

The Chronicles of Narnia (C. S. Lewis)

Little Women (Louisa May Alcott)

The Secret Garden (Frances Hodgson Burnett)

Wem erzählen Sie welche Geschichte gerne

immer wieder?

Ich habe die Geschichten gern, die ich beim Singen „erzäh-

le”. Was gesprochene Geschichten angeht, ziehe ich das Zu-

hören vor.

Warum, glauben Sie, erzählen wir uns Geschichten?

Geschichten, Mythen und Legenden sind eine essenzielle

Hilfe dabei, zu definieren, wer wir sind, woher wir kommen,

und auch dabei, die universellen Wahrheiten zu finden, die

uns mit uns selbst verbinden, mit einander, mit Träumen und

mit dem Göttlichen. Mythen hat man in unserer Gesellschaft

abgewertet als etwas von der Wahrheit Separates. Ich glau-

be, dass mythische Wahrheiten im Grunde die Geschichte

hinter der Geschichte sind. Warum sonst existieren sie in je-

der uns bekannten Kultur?

Fünf Fragen an … 53

Übersetzung Maria März

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utz sah zu seinem Vater auf. Gernot war die Größe selbst. In der Wohnung, die sie

von den Schwiegereltern hatten, musste dieser starke Mann sich ständig ducken, um nicht an-zustoßen. Dabei war sie sehr geräumig. Doch er sprengte sie beinahe, so gewaltig trat er auf. Eigentlich glitt er dahin, so geschmeidig war sein Gang. Seine Schuhe fertigte man eigens für ihn an; im Handel fand man keine, die ihm passten. Als Kollege stieg man für gewöhn-lich in die Kluft des Vorgängers. Als er anfing, gab man ihm von vornherein die größte. Da krachten die Nähte, der Ausschnitt riss ein. Die Schneiderin kam und zitterte überm Ge-mächt, das auch viel zu groß war. Sie half ihm heraus. Er war ein Mann der Frauen. Und er war ein lustiges Haus, das ständig seine Witze riss. In der Runde bog man sich, wenn er die Kollegen parodierte. Zu ihrem Gaudium ließ er die Muskeln spielen. Die Brust konnte im Rhythmus eines Lieds, das sie erraten muss-ten, zucken. Er war der Schönste unter ihnen. Sie zogen ihn zwar damit auf, aber er stach sie aus. Im Polizeikalender, der sie alle halbnackt zeigte, war ihm der Dezember vorbehalten. Er war stolz auf sich, den Körper. Zuhaus warf er sich einen treuen Blick zu, wenn er durch den Flur ging, wo der Kleiderspiegel hing. Auf der Straße stutzte man, wenn man ihm begegnete. Er war ergreifend schön.

Mädi

L

von Händl Klaus

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57ein Sohn, fünf Jahre alt, war zart, ein Mäd-chen fast, mit bleicher Haut und dünnem

Haar. Er piepste, wenn er sprach. Gernot lachte fast. Die Wut war doch zu groß. Das Kind war ihm zu schwach, ein Ärgernis, das er, wo es nur ging, schroff in seine Schranken wies. Ihm schwante, dass ein Unglück seinen Lauf nahm. Heimlich liebte Lutz den unge-rechten Vater, der ihn nicht verstand. Er war gebannt von Vaters weichem Mund. Er sah darin ein heimliches Versprechen. Der Vater wusste selbst nicht, was er stumm versprach, doch mit den Jahren käme es gewiss zu Zärt-lichkeiten für den großen Sohn, der dann ein Professor wäre, reich genug, den Vater zu be-schämen. Heute stand Lutz flennend da, weil er Fußball spielen sollte mit den groben Bu-ben aus der Nachbarschaft. Er wollte nicht. Er hatte Angst vor ihren Tritten. Heulend stand er vor dem fassungslosen Vater. Die Mutter nahm das Kind in Schutz. „Unser Lutz singt doch so schön.“ Gernot schwieg fassungslos. Lutz spürte, dass er ihn verlor. Um ihn zu er-freuen, um ihn für sich einzunehmen, bat er seine Eltern nach dem Abendessen feierlich ins Wohnzimmer: „Zur Sportveranstaltung!“ Die Mutter lächelte bereits. „Applaus!“, erbat das Kind. Gernot runzelte die Stirn. Die Mut-ter klatschte stürmisch in die Hände. Lutz trug die lange Unterhose für den Winter. Sie kam ihm athletisch vor. Mitten auf dem Tep-pich baute er sich auf. Er blickte seinen Vater zitternd an, verneigte sich, ging in die Hocke, zog die Arme an und ließ sich ängstlich nach und nach hintüber plumpsen. Mit den dünnen Beinchen ruderte er in der Luft. Er wollte eine Rolle rückwärts zeigen, doch es fehlte ihm an Schwung; so blieb er auf dem Rücken liegen,

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stemmte seine Hände in die Hüften, drückte das Becken in die Höhe und streckte halb die Beine: eine wackelige Kerze. Er stand auf. „Kerze!“, rief er schüchtern und verbeugte sich erneut. Die Mutter applaudierte. Der Va-ter verschränkte die Arme. Er schaute böse drein. Unverdrossen trippelte das Kind auf seiner weichen Bühne feierlich umher. Das Getrippel zeigte es als Kunst. Schließlich stand es schnaufend still und verneigte sich noch einmal. Wieder klatschte seine Mutter eifrig. Gernot schwieg. „Es war für dich, mein lieber Vater, als ein Gruß gedacht“, rief weich das Kind, „von deinem Sohn.“ Er verbeugte sich so tief, dass er das Gleichgewicht verlor und umfiel. „Sohn“, stieß Gernot aus. Das Kind stand wieder auf. Der Vater sprach sein Urteil eisig aus. „Mich hast du verloren, wei-bischer Bub. Es ist zum Schämen. Ein Mäd-chen bist du.“ Dem Kind wurde schwarz, es sank auf den Teppich. Die Mutter warf sich schluchzend darüber. „Du wolltest ein Mäd-chen, da hast du dein Mädchen!“, schrie Ger-not. „Dein Sohn ist ein Weib.“ Sie nickte, denn er hatte recht. Gernot brauchte eine Hure, um sich zu beruhigen. Die Mutter blieb mit Lutz allein. Sie schliefen wimmernd ein. Es gab kein Halten mehr. Der Vater sprach es offen aus, als er Lutz zum Schwimmkurs brachte: „Mädi!“ Vor den andern Kindern hielt er eine kleine Rede. „Geht mir mit dem Mädi sorgsam um!“ Auch die Eltern warn-te er: „Das Mädi ist empfindlich! Hört nur, wie verzagt es spricht. Gleich bricht es uns in Tränen aus, das weinerliche Ding.“ Die Nach-barn nickten mitleidig, Frau Kölbl strich dem Buben durch das dünne Haar. Lutz wurde dunkelrot vor Scham. Er war kein Bub, sie

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59sahen es. Es würgte den Buben. Er verging. Sein Leben hieß Mädi. Man äffte ihn nach, man piepste wie er. „Mädi, komm her. Braves Mädchen!“ Auch die Mutter gab klein bei. Es sei nicht schlimm, es sei doch schön, als Mäd-chen durch die Welt zu gehn, ermunterte ihn seine Lehrerin, als sie ihn einschulte. Er war ein Bub, zwar wehleidig, und ängstlich ging er durch sein zartes Leben, vorsichtig, ein Mäd-chen, das sich fürchtete. Er hatte dazu keinen Grund. Das Leben meinte es ja gut.

Den Vater traf es hart. Ein Husten schoss ihm ins Kraut. Schon lag er sterbens-

krank. Binnen zweier Wochen war aus dem großen Gernot ein hässlicher Alter gewor-den, hohlwangig und scharfkantig, eingefal-len insgesamt. Das Fleisch verschwand, die Haut hing schlaff und leichengrau von sei-nen Knochen, leere Säcke. Sein Gesicht war wie verkohlt, von schwarzen Flecken, die auf dem hinfälligen Gewebe schmerzlos spros-sen, gänzlich überwuchert. Diesen Schrecken verschwiegen sie ihm. Wer ihn sah, musste ihn für das Opfer eines Brandes halten; man stockte und belog ihn fromm: Noch immer sei er doch der schöne Mann, und nach wie vor sehe man berückt ihn an. Die Kollegen schluckten leer. Wer tapfer war, erzählte ei-nen Witz. Draußen weinten sie. Er wollte heim. Dem gab man nach. Er sollte friedlich sterben. Ein Pflegebett stand riesenhaft im Wohnzimmer. Die Frau und das verfluchte Kind versorgten ihn, sie pflegten ihn. Sie flöß-ten ihm die Nahrung ein und lagerten ihn um, sie schmierten seine Glieder ein, und sie re-deten mit ihm, leichthin, um ihn zu beruhigen. Weil der Vater Kopfweh hatte, musste man so

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leise sein, als stünde alles still. Lutz, das Mädi, musste sich auf Zehenspitzen nähern und den Vater sanft befragen. Es galt, ihm einen jeden Wunsch nach Kräften zu erfüllen. Mit seinen großen Augen, die tief in den Höhlen lagen, sah der Vater seinen Sohn flehentlich und dankbar an. Er bat um kalten Salbeitee. Der Hals war vollständig entzündet. Jetzt schämte sich der Sterbende vor seinem weichen Kind. Lutz reichte ihm die Schnabeltasse. Dankbar röchelte der Vater. Mädi nickte. War die Mut-ter in der Arbeit, lag es am Kind, den Vater zu pflegen. Die Mutter ermahnte noch einmal den Sohn, und Mädi hatte viel Geduld. Er war mit ihm allein. Heut sprach er nicht. Er freute sich. Sein Augenblick der Rache war gekom-men. Um den Vater zu erschrecken und am Ende auszulöschen, musste er ihn spiegeln. Lutz schob einen großen Stuhl aus der Küche in den Flur. Ihn erklomm er, um den Spiegel auszulösen, hob ihn an, rüttelte dran, zog ihn aus der Verankerung und, glücklich keuchend, an den Rändern, um das Glas nicht mit den Spuren seiner schweißverklebten Hände zu beschädigen, zu sich. Sein Vater lief ihm nicht davon. Er ließ sich Zeit, und es gelang: Er schob den schweren, großen Spiegel Schritt für Schritt ins Krankenzimmer, bis er Vaters Bett erreichte. Abgewandt lag er in trügeri-schem Schutz; Mädi ging ums Bett und hielt ihm jetzt das Ganze vor. Ein Wort noch, piep-send: „Schau.“ Gernot öffnete die Augen. Er sah alles. Doch im Spiegel lag ein Fremder, auch ein Kranker, den der Vater nicht erkann-te, wohl, weil er verbrannt war. Traurig wink-te er ihm zu, der ihm traurig zuwinkte.

Der österreichische Künstler

Händl Klaus verfasst Theaterstücke

und Opernlibretti. Seine Stücke

wurden vielfach ausgezeichnet,

ebenso sein erster Film März aus

dem Jahr 2008. In Zusammenarbeit

mit der Musicbanda Franui ent-

steht derzeit das Stück Meine

Bienen. Eine Schneise für die Salz-

burger Festspiele 2012.

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Fünf Fragen an … 61

Welche Geschichte hörten Sie in Ihrer

Kindheit am liebsten?

Ein Buch namens The Gauntlet [etwa „Der Fehdehand-

schuh“, d. Red.] von Ronald Welch – die Geschichte eines

Schuljungen aus der heutigen Zeit, der seinen Freund in

Wales besucht, der im Schatten der verfallenen Burg Carreg

Cennan lebt. Er schläft eines Tages am Straßenrand ein und

erlebt eine Zeitreise in die Blütezeit der Burg, den Zeiten der

Marcher Lords im 14. Jahrhundert, als die Waliser sich gegen

die englische Herrschaft auflehnten. Es ist eine wundervoll

lebhafte Wiedererschaffung dieser Zeit und spielt in einer der

romantischsten Burgen von Wales – einen Ort, den ich mitt-

lerweile besucht habe und der sehr genau das hält, was die

Beschreibung im Buch verspricht.

Wem erzählen Sie welche Geschichte gerne

immer wieder?

Geschichten aus früheren Tagen meines Vaters und meiner

Mutter, als sie Kinder waren, im Krieg, an der Universität und

im Krankenhaus, in dem meine Mutter gearbeitet hat; die Le-

bensgeschichten meiner Großeltern – die Eltern meines Va-

ters kamen aus Wales, der Vater meiner Mutter aus Birming-

ham, und ihre Mutter war gebürtige Russin. Wem ich die

Geschichten erzähle? Jedem, der mir zuhört! Und ich fürchte,

ich erzähle auch gern Witze …!

Warum, glauben Sie, erzählen wir uns Geschichten?

Um unsere Herkunft zu vermitteln und uns selbst stärker

begreiflich zu machen; um Beispiele zu geben, wie andere

Leute mit Problemen oder Situationen umgehen; um zu un-

terhalten und zu amüsieren, natürlich. Letztlich ist es das,

was wir als darstellende Künstler die ganze Zeit tun – wir

erzählen die Geschichte, die den Komponisten zu der Oper

inspiriert hat.

Welchen Faden aus Wagners Erzählung des

Nibelungen-Mythos verfolgen Sie am liebsten?

Brünnhilde – ihre Entwicklung von der dreisten jungen Krie-

gerin, die sich verliebt und dann diese Liebe durch Verrat

verliert, bis hin zu ihrem Ritt in die Flammen von Walhall ist

so kraftvoll und bewegend.

Wer hat Ihnen an welchen Orten

Geschichten erzählt?

Meine Großeltern und Eltern haben mir immer Geschichten

über sich und ihre Familien und Freunde erzählt. Wenn die Er-

wachsenen sich Anekdoten erzählten, habe ich immer ver-

sucht, unsichtbar im Raum zu sein, um ihnen zuhören zu kön-

nen. Mein Onkel kannte lauter lustige Geschichten aus seiner

Zeit in den USA, als er beim Fernsehen arbeitete, das damals

noch in den Anfängen war. Die Risiken einer Liveübertragung

führten zu viel unfreiwilliger Komik. Fü

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„Wenn die Erwachsenen sich Anekdoten erzählten, habe ich immer versucht, unsichtbar im Raum zu sein.“

Catherine Wyn-Rogers Erda — Das Rheingold

Übersetzung Maria März

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te,

dass

sein

letz

ter

Gele

genheit

sjob a

uf

Erd

en e

in V

ort

rag b

eim

„Tag d

er

off

enen T

ür“

des

Nord

frie

dhofs

gew

ese

n w

ar,

über

Wagners

Ew

ig-

keit

smoti

v. M

anch

mal w

ar

er

wüte

nd g

ew

ord

en u

nd h

att

e s

ie a

ngesc

hri

en, aber

insg

esa

mt

war

er

ein

hin

gebungsv

oll

er

Ehem

ann g

ew

ese

n; je

des

sein

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Gefü

hle

stell

te f

ür

sich

genom

men e

inen t

iefs

innig

en A

kt

dar,

wie

ein

en m

usi

kali

schen

Kontr

ap

unkt,

den m

an e

infa

ch a

ls d

iale

kti

sch e

mp

finden m

uss

te. N

un, zu

min

-

dest

war

es

ein

Glü

ck, dass

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nic

ht

mehr

mit

erl

eben m

uss

te, w

ie s

ein

e C

osi

ma

ein

en M

ann h

eir

ate

te,

der

ein

e R

hein

toch

ter

für

ein

e F

lugabw

ehrr

akete

aus

dem

Zw

eit

en W

elt

kri

eg h

ielt

.

Das

Tele

fon n

och

in d

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Hand,

sah M

agda B

roderi

ck a

us

dem

Fenst

er

auf

die

male

risc

he B

orn

heim

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Landst

raße. D

as

App

art

em

ent

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win

zig, aber

sie m

och

te d

as

Vie

rtel m

it s

ein

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bohem

ehaft

en C

harm

e. A

ußerd

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besa

ß d

ie

Wohnung e

ine g

roßzü

gig

e D

iele

, w

o i

hr

Kla

vie

r all

seit

s si

chtb

ar

stand,

sow

ie

ein

gro

ßes

Wohnzi

mm

er,

das

wie

gem

ach

t w

ar

für

ihre

Künst

lerp

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ys

und i

hr

wöch

entl

iches

Zusa

mm

entr

eff

en m

it d

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Hörk

ränzc

hen, w

ie d

ie s

ech

s D

am

en

sich

nannte

n,

ironis

ch a

uf

die

gutb

ürg

erl

iche T

radit

ion d

er

Lese

zirk

el

ansp

ie-

lend. H

eute

würd

en s

ie a

llerd

ings

nur

zu v

iert

sein

, L

isbeth

und K

ath

ari

na, die

sich

neuerd

ings

auch

für

bil

dende K

unst

inte

ress

iert

en, w

are

n b

ei A

quare

llkur-

sen i

n d

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Thüri

ngis

chen S

om

mera

kadem

ie.

Sie

arr

angie

rte d

ie h

ohen C

hry

santh

em

en,

die

sie

sic

h g

ele

iste

t hatt

e,

weil

Sch

önes

sein

muss

te,

und s

etz

te d

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Gold

fisc

hgla

s daneben,

in d

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Wog-

linde,

Well

gunde u

nd F

loßhil

de z

ufr

ieden i

hre

Runden d

rehte

n.

Jedem

, der

zum

ers

ten M

al

hie

r w

ar

und i

hre

Haust

iere

bew

undert

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lärt

e s

ie, dass

der

Gold

fisc

h a

ls d

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te T

ier

gelt

en m

uss

te,

das

Mensc

hen g

ezü

chte

t hatt

en,

ohne s

ich d

avon i

rgendein

en w

irts

chaft

lich

en N

utz

en z

u e

rhoff

en,

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iese

r

Gedanke i

mp

onie

rte i

hr

irgendw

ie.

Ihre

ignora

nte

n T

öch

ter

hatt

en n

atü

rlic

h

nur

gem

urm

elt

, dass

sie

ja m

it i

hre

n N

am

en d

ann n

och

Glü

ck g

ehabt

hätt

en.

Währe

nd

sie

Sandw

iches

zubere

itete

und

die

T

ort

e

in

gro

ßzü

gig

e

Stü

cke

schnit

t – g

enau w

ie d

ie e

ingela

denen K

ünst

ler

ware

n a

uch

ihre

Fre

undin

nen

imm

er

sehr,

sehr

hungri

g u

nd d

urs

tig –

, sa

ng s

ie l

eis

e v

or

sich

hin

.

Eig

entl

ich w

are

n F

rau

Bro

der

icks

Töch

ter

kei

ne

Entt

äusc

hung, sc

hon

allei

n d

eshalb

, w

eil

man d

ie e

igen

en K

inder

sc

hle

cht

als

solc

he

bez

eich

nen

konnte

. E

rst

rech

t nic

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wen

n s

ie n

icht

dro

gen

abhängig

oder

kri

min

ell gew

ord

en u

nd

zu k

einer

Sek

te g

egangen

w

are

n.

Cosima Fricka

64-68_ERZAEHLUNG_SCHEUERMANN_korr_mxm_frei.indd 65 09.01.12 20:17

Page 35: Ring erzählen - Bayerische Staatsoper · Hommage an Die Simpsons im Jahr 199ß ausgewählt, als ihr erstes Kinderbuch Lulu Magazine veröffentlicht wurde. Ihre Arbeit – in Illustrationen,

Russ

isch

es g

ewes

en, w

eil die

s das

lie

bst

e R

eise

land d

es G

eburt

stag

skin

des

, G

asto

n

Kurs

chner

, w

ar.

Kurs

chner

, ei

n T

enor, w

urd

e se

chzi

g J

ahre

alt

, und o

bgle

ich d

as

etw

as a

lt w

ar, um

noch

als

„ta

lenti

ert“

und „

gro

ße

Hoffnung“

durc

hzu

geh

en, w

urd

e

er d

och

, re

in a

us

Gew

ohnhei

t, v

on a

llen

so b

ezei

chnet

. A

uf

dem

Höhep

unkt

der

Fei

er w

ar K

urs

chner

wäh

rend e

iner

Ari

e in

Trä

nen

ausg

ebro

chen

– u

nd M

agda

hat

te i

hn i

n d

iese

m M

om

ent

als

See

lenve

rwan

dte

n e

rkan

nt.

Sie

hat

te d

en g

anze

n

Aben

d n

icht

von ihm

abgel

asse

n, so

sta

rk h

atte

ihr

imponie

rt, das

s er

ein

erse

its

so

mit

gen

om

men

auss

ah, si

ch a

nder

erse

its

aber

auch

mit

vie

l G

el b

emüht

hat

te, se

ine

wen

igen

Haa

re ü

ber

die

Gla

tze

zu k

ämm

en. D

ie N

acht

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ten s

ie b

ei ihr

verb

rach

t,

wei

l er

sic

h s

o d

as H

ote

l sp

aren

konnte

, w

ie e

r m

it d

er g

roßen

Offen

hei

t der

Fre

i-

gei

ster

zugeg

eben

hat

te. A

m n

ächst

en M

org

en h

atte

er

sich

fünfz

ig E

uro

gel

iehen

,

um

etw

as z

um

Frü

hst

ück

en z

u k

aufe

n.

Mag

da,

die

es

wunder

bar

und e

xze

ntr

isch

fand, fü

r fü

nfz

ig E

uro

zu f

rühst

ück

en, hät

te h

eute

noch

auf

ihn g

ewar

tet,

wen

n s

ie

nic

ht

einen

Ter

min

zur

Rück

enm

assa

ge

geh

abt

hät

te. D

anac

h h

atte

er

sich

wed

er

bei

Nel

li n

och

bei

ihr

je w

ieder

gem

eldet

. A

ch, die

Kunst

war

voller

Exze

ntr

iker

!

„Da

träu

mt

sie

wie

der

von d

em h

übsc

hen

Gas

ton!“

, st

ichel

te N

elli. „J

eden

-

falls

soll e

s nic

ht

unse

re let

zte

Par

ty g

ewes

en s

ein. N

un, w

ir w

ollen

das

wie

-

der

hole

n, im

Jan

uar

. W

enn W

eihnac

hte

n v

orb

ei ist

, und a

lle

mer

ken

, si

e ha-

ben

noch

gar

nic

ht

rich

tig g

efei

ert!

„Was

für

eine

hübsc

he

Idee

“, s

agte

Fra

u R

aisi

n.

„Vie

llei

cht

kan

n j

eder

von e

uch

etw

as z

u t

rinken

mit

bri

ngen

? U

nd v

iellei

cht

was

zu e

ssen

? U

nse

r C

ater

er ist

nic

ht

meh

r so

gut

wie

ehed

em, finde

ich.“

„Ja“, s

agte

n b

eide

gle

ichze

itig

, und M

agda B

roder

ick ü

ber

legte

, ob s

ie F

rick

a o

der

Cosi

ma um

ei

ne

kle

ine

Sonder

zuw

endung bit

ten so

llte

. D

iesm

al

vie

llei

cht

am

bes

ten F

rick

a.

„Ich

geh

e kurz

in d

ie K

üch

e und m

ach

e noch

Kaffee

“, s

agte

sie

frö

hlich

und

stand a

uf.

Kaum

hanti

erte

sie

in ihre

r w

inzi

gen

, aus

Flo

hm

ark

tstü

cken

zusa

mm

enge-

stel

lten

Küch

e her

um

, als

unver

mit

telt

Fri

eder

ike-E

milia

neb

en i

hr

auft

auch

te –

hätt

e M

agda b

emer

kt,

dass

die

Neu

e ih

r fo

lgte

, si

e hätt

e si

e aufg

ehalt

en.

Sie

pass

ten b

eide

kaum

zw

isch

en K

ühls

chra

nk u

nd S

püle

, aber

Fri

eder

ike-E

milia

schie

n d

as

nic

ht

zu s

töre

n.

„Mag

da“

, sa

gte

sie

mit

rote

m G

esic

ht,

„en

tsch

uld

ige,

aber

das

ist

die

ein

zige

Gel

egen

hei

t, u

m k

urz

mit

dir

allei

ne

zu r

eden

. Ic

h h

abe

ges

agt,

ich

hel

fe d

ir

bei

m K

affee

koch

en.“

Mag

da

Bro

der

ick s

ah a

uf

die

bro

del

nde

Mas

chin

e. „

Nun j

a, s

ehr

vie

l zu

hel

fen g

ibt

es d

a nic

ht.

„D

u h

ast

doch

auch

zw

ei

erw

ach

sene K

inder

...“

Magda n

ickte

unent-

schlo

ssen.

„S

ag,

hatt

e e

ines

davon e

inm

al

...

psy

chis

che P

roble

me?“

Sie

flüst

ert

e.

Magda sc

hw

ieg,

und F

riederi

ke-E

milia

sp

rach

heis

er

weit

er,

Dem

her

rlic

hst

en W

äls

ung

Wei

s ic

h m

ein E

rbe

nun a

n

Wach

end w

irkt

Dei

n w

isse

ndes

Kin

d

Erl

ösen

de

Wel

tenta

t

Ach

, w

ie g

erne

wär

e si

e Sän

ger

in g

eword

en.

Sie

konnte

das

ita

lien

isch

e R

rollen

und ler

nte

ras

ch T

ext

ausw

endig

. A

ber

ihre

Sti

mm

e w

ar d

ünn, und a

uf

der

Bühne

sah s

ie im

mer

irg

endw

ie v

erlo

ren a

us.

Zum

indes

t w

ar s

ie h

ier

in d

er W

ohnung d

ie

Her

rsch

erin

, und d

ie n

ächst

en z

wei

Stu

nden

lan

g w

ar s

ie a

ller

bes

ter

Lau

ne.

Die

dre

i F

reundin

nen

kam

en k

urz

nac

hei

nan

der

her

ein.

Die

ält

este

war

Fra

u R

aisi

n, ei

ne

Hal

bfr

anzö

sin, die

sic

h b

emühte

, tr

otz

der

vie

rzig

in D

euts

chla

nd

verb

rach

ten J

ahre

noch

ihre

n A

kze

nt

bei

zubeh

alte

n; si

e w

urd

e tr

adit

ionel

l vo

n a

l-

len g

esie

zt. D

ann k

lingel

te N

elli, d

ie W

ort

führe

rin d

er G

ruppe,

die

mit

ihre

m M

ann

eine

echte

Wag

ner

-Kory

häe

in d

er H

inte

rhan

d h

atte

. (F

red h

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meh

rere

populä

-

re p

sych

oan

alyti

sche

Han

dbüch

er v

erfa

sst,

die

Nel

li a

bget

ippt

hat

te u

nd z

u g

roßen

Tei

len a

usw

endig

konnte

.) F

ried

erik

e-E

milia

mit

dem

stä

ndig

ver

schre

ckte

n A

us-

dru

ck im

hübsc

hen

Ges

icht

war

die

Neu

este

im

Krä

nzc

hen

.

Alle

dre

i beg

rüßte

n e

rst

Flo

ßhilde,

Woglinde

und W

ellg

unde,

leg

ten d

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b

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rate

n a

n d

en h

errl

ich g

edec

kte

n T

isch

, w

o s

ie s

ofo

rt in a

nger

egte

s G

epla

uder

verfi

elen

.

Nel

li, die

dre

i T

age

weg

en e

iner

Gri

ppe

im B

ett

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rach

t hat

te, sp

rach

als

Ers

te: „I

ch g

laube,

das

s ic

h d

en lie

bes

erw

achen

den

Sie

gfr

ied u

nd d

ie E

rwe-

ckung B

rünnhildes

ers

t je

tzt

rich

tig v

erst

ehe.

Ich

hab

e nic

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gel

ebt

in d

en

letz

ten W

och

en, fü

r m

ich w

ar im

mer

‚D

er Z

wei

te T

ag‘.“

Und F

rau R

aisi

n fi

ng m

it g

länze

nden

Augen

, le

ise

und i

n m

akel

lose

m D

euts

ch a

n

zu s

ingen

: „M

utter

, M

utter

! G

eden

ke

mei

n!

Dass

ich

sel

bst

erw

ach

e, m

uss

die

Maid

ich e

rwec

ken

!“

Sie

war

die

ein

zige,

die

ein

e ei

nig

erm

aßen

hübsc

he

Sti

mm

e hat

te, das

muss

-

ten d

ie a

nder

en a

ner

ken

nen

. M

agda

Bro

der

ick b

emer

kte

zufr

ieden

, w

ie g

ut

alle

n d

ie K

äset

ort

e sc

hm

eckte

, so

gar

Fra

u R

aisi

n, die

mit

Ess

en s

ehr

eigen

war

, hat

te s

ich n

och

vor

der

Ges

angse

inla

ge

ein z

wei

tes

Stü

ck a

uf den

Tel

ler

gel

egt

und l

ieß e

s w

ähre

nd i

hre

s V

ort

rags

nic

ht

aus

den

Augen

, so

das

s es

auss

ah, al

s sä

nge

sie

der

Tort

e et

was

vor.

Nel

li f

ragte

: „E

rinner

t ih

r eu

ch a

n d

ie P

arty

bei

uns,

im

August

? D

ie w

ir z

u E

hre

n

von G

asto

n K

urs

chner

gab

en?“

Alle,

bis

auf

Fri

eder

ike-E

milia

, die

da

noch

nic

ht

zum

Krä

nzc

hen

geh

ört

hat

te, nic

kte

n, den

n s

ie e

rinner

ten s

ich n

ur

zu g

ut.

Nel

li h

atte

sic

h m

it d

em K

avia

r-

pum

per

nic

kel

und d

em B

ors

chts

ch s

elbst

über

troffen

. D

as M

ott

o w

ar irg

endet

was

Die Rheintöchter Silke Scheuermann

64-68_ERZAEHLUNG_SCHEUERMANN_korr_mxm_frei.indd 66 09.01.12 20:17

Woglinde FloßhildeWellgunde

Magda B

roder

ick s

agte

rasc

h:

„Naja

, das

ist

er s

icher

lich

nic

ht“

, und s

tand d

ann

auf, u

m d

as

Rhei

ngol

d-V

ors

pie

l anzu

mach

en,

die

sch

nel

le A

ufn

ahm

e von P

ierr

e

Boule

z, d

ie d

as C

hro

mat

isch

e so

sch

ön h

erau

sholt

e.

Nel

li,

die

sic

h b

isher

noch

nic

ht

geä

ußer

t hat

te,

rührt

e, d

en B

lick

auf

die

Tis

chdec

ke

ger

ichte

t, in ihre

m K

affee

. Wag

ner

s E

röffnung a

uf dem

tie

fen K

ontr

a-E

s

war

zu h

öre

n.

„Pss

t“, m

achte

Nel

li u

nd s

chlo

ss d

ie A

ugen

. W

ie in T

rance

spra

ch s

ie d

ann:

„Das

tie

fe K

ontr

a-E

s. D

iese

s E

s, d

as a

us

unen

dlich

en W

eite

n h

erüber

weh

t,

wir

d g

anze

vie

rein

hal

b M

inute

n lan

g w

ie e

ine

endlo

se U

rwel

thar

monie

dar

ge-

bote

n. D

er Z

usc

hau

er s

itzt

im

abged

unkel

ten S

aal. E

s gib

t kei

nen

Rau

m u

nd

kei

ne

Zei

t, n

ur

ein S

tröm

en. D

as ist

ein

Zust

and v

or

der

Geb

urt

. D

as ist

ein

Fri

eden

, nac

h d

em jed

er s

ich m

ehr

oder

wen

iger

seh

nt,

und d

ein S

ohn, F

rie-

der

ike-E

milia

“ –

jetz

t w

urd

e ih

re S

tim

me

feie

rlic

h –

„dei

n S

ohn s

ehnt

sich

dan

ach. E

r w

ill gre

nze

nlo

s, z

eitl

os

und e

inzi

gar

tig s

ein –

wen

n e

r m

anis

ch ist

,

fühlt

er

sich

so, is

t er

dep

ress

iv, w

ird i

hm

wie

der

bew

uss

t, d

ass

er i

n e

inem

Irrg

lauben

ver

fangen

war

.“

Fra

u R

ais

in u

nd M

agda B

roder

ick s

ahen

sic

h a

n:

Als

o w

irklich

, N

ellis

analy

ti-

sches

Tale

nt

war

unüber

troff

en!

„Aber

wir

hab

en e

ine

gute

, ve

rtra

ute

Bez

iehung z

uei

nan

der

, B

runo u

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ch.

Er

vers

teht

sich

auch

gut

mit

sei

nem

Vat

er“,

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te F

ried

erik

e-E

milia

lei

se.

„Das

hat

nic

hts

zu b

edeu

ten. G

uck

dir

die

Wota

nsf

amilie

an, die

sin

d p

atholo

gis

ch

vert

raut

mit

einan

der

, w

ie d

u e

s nen

nst

. D

ie P

sych

en d

er F

amilie

nm

itglied

er s

ind

über

haupt

nic

ht

rich

tig v

onei

nander

abgeg

renzt

. U

nd A

bgre

nzu

ng ist

wic

hti

g! S

ie

ist

das

A u

nd O

!“

Nel

li s

ah z

ufr

ieden

in d

ie R

unde.

Kei

ner

wag

te m

ehr

zu w

ider

spre

chen

. N

elli

war

jet

zt in F

ahrt

gek

om

men

, endlich

konnte

sie

ihre

Fre

undin

nen

ein

mal

ausg

iebig

über

die

Psy

chopat

holo

gie

der

Wota

nsf

amilie

aufk

läre

n.

Als

meh

rfac

h d

as W

ort

„anal

“ fiel

, sah

en d

ie d

rei le

ider

aus,

als

würd

en s

ie s

ich a

m a

ller

lieb

sten

augen

blick

-

lich

in L

uft

auflöse

n.

„...

und S

iegfr

ied. N

un, Sie

gfr

ied b

esit

zt d

urc

hau

s ei

n a

uto

nom

es S

elbst

. Wo-

tan k

önnte

es

jedoch

ver

einnah

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, in

dem

er

den

Hel

d s

tellve

rtre

tend f

ür

die

ver

drä

ngte

n S

epar

atio

nsw

ünsc

he

des

Gro

ßva

ters

ausl

ebte

, das

hei

ßt,

sic

h

stel

lver

tret

end f

ür

Wota

n d

er R

ache

der

sit

zen g

elas

senen

Mutt

er s

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Wir

hab

en e

s hie

r m

it e

iner

tra

nsg

ener

atio

nal

en

Del

egie

rung v

on u

ngel

ebte

n I

ndiv

iduat

ionsi

mpuls

en z

u t

un,

ihr

vers

teht?

Mag

da,

die

inzw

isch

en d

en F

aden

ver

lore

n h

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und g

ar n

icht

meh

r ve

rsuch

te, den

Erl

äute

rungen

zu f

olg

en, w

ar inzw

isch

en v

öllig

verä

rger

t. W

ieso

konnte

es

nic

ht

einm

al e

ine

ihre

r T

öch

ter

sein

, die

Nel

li z

u s

olc

hen

Erg

üss

en a

nre

gte

!

hast

ig, als

habe s

ie d

ie R

ede e

ingeübt:

„U

nse

r S

ohn i

st z

wanzi

g, und w

ir

sind s

icher,

das

heiß

t, w

ir ... w

isse

n e

s ..., d

ass

er

manis

ch-d

epre

ssiv

ist

.

Er

muss

Lit

hiu

m n

ehm

en,

und d

as

mach

t ih

n v

öll

ig a

path

isch

, er

wir

d

dic

k u

nd b

ekom

mt

rich

tige B

rüst

e,

und d

ann s

etz

t er

es

ab,

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s be-

gin

nt

wie

der

ein

e m

anis

che P

hase

... e

r zi

eht

dann n

äch

tela

ng d

urc

h

Clu

bs,

um

Mädch

en a

bzu

schle

pp

en.

Sein

e W

G-M

itbew

ohner

rufe

n u

ns

an, w

eil

sie

sic

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org

en m

ach

en. U

nd d

ann k

om

mt

die

Dep

ress

ion. N

icht

ess

en,

nic

ht

rausg

ehen,

nic

hts

inte

ress

iert

ihn. W

ir h

aben s

olc

he A

ngst

um

ihn!“

„Hm

“, s

agte

Magda u

nd f

ragte

sic

h, w

as

um

alles

in d

er W

elt

die

um

ein

iges

jün-

ger

e F

rau d

azu

bew

ogen

hatt

e, s

ich a

usg

erec

hnet

sie

für

die

ses

Ges

tändnis

ausz

u-

such

en. E

in s

chw

am

mig

er j

unger

Mann m

it B

rüst

en w

ar

eine

sehr

unap

pet

itlich

e

Vors

tellung.

Von d

rüben

war

jetz

t ei

n d

um

pfe

s Z

isch

eln z

u h

öre

n, e

in d

eutl

iches

Zei

chen

,

dass

sie

zurü

ckzu

kom

men

hatt

en. H

eim

lich

kei

ten d

em K

ränzc

hen

geg

enüber

wa-

ren u

nhöflic

h –

ander

erse

its

gab e

s nic

ht

vie

l im

Leb

en d

er F

rauen

, das

sich

zu

ver

hei

mlich

en g

elohnt

hätt

e.

„Was

’abt

ihr

get

usc

hel

t?“,

fra

gte

Fra

u R

ais

in s

tren

g;

die

Blick

e der

zw

ei

Fre

undin

nen

ruhte

n a

uf M

agda, die

die

Kaffee

kanne

in d

er H

and t

rug, und

auf

Fri

eder

ike-E

milia

, die

wie

der

rot

wurd

e.

„Ach

, P

roble

me“

, sa

gte

Magda, ach

selz

uck

end u

nd s

o b

eilä

ufig w

ie m

öglich

. F

rie-

der

ike-E

milia

set

zte

sich

.

„K

eine

Ge’e

imnis

se v

or

dem

Krä

nzc

hen

!“,

rief

Fra

u R

ais

in u

nd k

lopft

e

mit

der

Hand a

uf

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ele

gante

Dam

ast

dec

ke,

die

den

sch

äbig

en H

olz

tisc

h

ver

dec

kte

.

Alle

Augen

ric

hte

ten s

ich a

uf

die

Neu

este

im

Bunde.

Fri

eder

ike-E

milia

schlu

ckte

zw

eim

al

und b

egann d

ann m

it e

rste

rben

der

Sti

mm

e von i

hre

m S

ohn –

offen

sich

tlic

h h

ieß e

r B

runo –

zu b

eric

hte

n.

„O

h l

àlà

, pauvr

e B

rüno!“

, sa

gte

Fra

u R

ais

in d

ara

ufh

in u

nd s

ah a

ngen

ehm

erre

gt

aus.

Magda B

roder

ick s

agte

unen

tsch

loss

en:

„Ich

wei

ß n

icht.

So v

iele

Künst

ler

ware

n

manis

ch-d

epre

ssiv

, ic

h fi

nde

das,

als

o n

icht

dir

ekt

chic

oder

spannen

d, aber

doch

vie

lver

spre

chen

d. D

enkt

mal an M

oza

rt o

der

Sch

ille

r oder

Sti

fter

oder

Ner

o –

nei

n,

stopp, der

war

psy

choti

sch. T

röst

et d

ich d

as

nic

ht

ein w

enig

, F

ried

erik

e-E

milia

?“

Es

tat

Magda g

ut,

ein

wen

ig m

it i

hre

r A

llgem

einbildung a

nzu

geb

en, nach

-

dem

sie

ger

ade

in ihre

r ärm

lich

en K

üch

e ges

tellt

word

en w

ar.

Im

näch

sten

Augen

-

blick

wurd

e ih

r bew

uss

t, d

ass

sie

Fri

eder

ike-E

milia

s Sohn d

am

it e

igen

tlic

h b

loß

inte

ress

ant

gem

ach

t hatt

e. V

erdam

mt.

Sie

bis

s si

ch a

uf

die

Unte

rlip

pe.

Fri

eder

ike-E

milia

sagte

wei

ner

lich

: „I

ch w

ill

einfa

ch, dass

er

ein g

anz

nor-

male

s glü

cklich

es K

ind ist

. K

ein G

enie

!“

67

64-68_ERZAEHLUNG_SCHEUERMANN_korr_mxm_frei.indd 67 09.01.12 20:17

Page 36: Ring erzählen - Bayerische Staatsoper · Hommage an Die Simpsons im Jahr 199ß ausgewählt, als ihr erstes Kinderbuch Lulu Magazine veröffentlicht wurde. Ihre Arbeit – in Illustrationen,

Er

ist

dann d

er K

lein

ste?

Ach

, ja

aber

das

mach

t doch

nic

hts

! Ic

h h

abe

nic

hts

da-

geg

en, dass

mei

n E

nkel

ein

ige

Kla

ssen

über

spri

ngt

...“

„F

rau B

roder

ick,

es g

eht

um

die

zw

eite

Mahnung,

auf

die

Sie

auch

nic

ht

reagie

rt h

aben

.“

„A

ber

Cosi

ma, ic

h h

abe

dir

doch

ges

agt,

er

ist

ein k

lein

es G

enie

. A

ls e

r über

das

Woch

enen

de

bei

mir

war,

hat

er S

onate

n g

eklim

per

t, j

a. Ic

h s

age

es d

ir d

och

, ja

.

Nei

n, ic

h h

abe

ihm

nur

ein p

aar

Gri

ffe

bei

geb

rach

t.“

Mag

da

spürt

e, d

ass

die

dre

i F

rauen

am

Kaff

eeti

sch i

hre

r Spur

jetz

t fo

lgte

n.

Alle

hat

ten d

ie K

uch

engab

eln w

eggel

egt

und s

ahen

bee

indru

ckt

zu i

hr

her

über

;

Nel

li w

ar s

ogar

aufg

esta

nden

, um

die

Musi

k l

eise

r zu

dre

hen

. V

on w

egen

man

isch

-

dep

ress

iv. G

enie

im

Kin

des

alte

r, d

as w

ar e

s. W

ie d

er k

lein

e M

oza

rt.

„A

ch, ja

, ja

! N

atü

rlic

h k

ann ich

ihn a

uch

wei

ter

unte

rric

hte

n! A

ber

er

wir

d

mic

h b

ald

über

flügel

n!“

Die

dre

i F

reundin

nen

hie

lten

jet

zt d

en A

tem

an.

Die

Mit

arb

eite

rin d

er F

irm

a

Madel

eine

hatt

e in

zwis

chen

aufg

eleg

t, u

nd M

agda s

pra

ch i

n d

as

Bes

etzt

zeic

hen

hin

ein,

was

sie

etw

as

irri

tier

te.

Sie

muss

te d

ie K

urv

e sc

hnel

l kri

egen

, das

Ge-

sprä

ch b

eenden

.

„P

ass

auf, C

osi

-Sch

atz

i, ich

habe

Gäst

e. J

etzt

wei

n d

och

nic

ht.

Ich

rufe

dic

h

am

Aben

d z

urü

ck. K

eine

Panik

. Ic

h b

in d

och

dei

ne

bes

te F

reundin

.“

Zufr

ieden

leg

te s

ie a

uf. D

anach

, en

dlich

, w

urd

e das

Krä

nzc

hen

zu i

hre

m,

Magdas,

Fes

t. F

rau R

ais

in v

ersp

rach

, si

ch n

ach

Hoch

beg

abte

nst

ipen

die

n u

mzu

se-

hen

, N

elli w

ollte

den

kle

inen

Jungen

mit

ihre

m M

ann b

ekannt

mach

en, und F

rie-

der

ike-E

milia

sch

wie

g e

ndlich

.

„S

o w

ar

es d

och

noch

ein

e sc

höne

Runde“

, sa

gte

Magda B

roder

ick z

ufr

ie-

den

, als

sie

die

Gäst

e nach

ein

er g

ute

n h

alb

en S

tunde

ver

absc

hie

det

e.

Als

sie

wie

der

allei

ne

war,

wandte

sic

h M

agda B

roder

ick a

n ihre

Gold

fisc

he:

„N

a,

mei

ne

Kle

inen

? W

ollen

wir

noch

die

Walk

üre

höre

n?

Wei

t si

nd w

ir ja n

icht

gek

om

-

men

heu

te!“

Sie

hatt

e ger

ade

den

CD

-Spie

ler

anges

chalt

et u

nd r

äum

te d

en T

isch

ab, als

das

Tel

efon e

rneu

t klingel

te.

„M

agda B

roder

ick?“

, fr

agte

die

selb

e S

tim

me

wie

vor

einer

gute

n S

tunde.

„S

pre

-

che

ich m

it M

agda B

roder

ick?

Hie

r is

t die

Fir

ma M

adel

eine

...“

„A

ch j

a, hallo“, sa

gte

Magda f

röhlich

. „S

ie h

aben

heu

te s

chon m

al

anger

u-

fen, st

imm

t’s?

Wis

sen S

ie, ic

h h

att

e ei

nen

fabel

haft

en T

ag u

nd ich

bin

pra

k-

tisc

h s

icher

, dass

ich

die

Rec

hnung n

och

die

se W

och

e bez

ahle

n k

ann.“

Als

Nel

li e

inen

Sch

luck

Kaffee

tra

nk, um

ihre

tro

cken

e K

ehle

für

die

Fort

-

setz

ung d

es V

ort

rags

vorz

uber

eite

n,

sagte

Fra

u R

aisi

n:

„Nun,

wie

auch

im

-

mer

, vie

llei

cht

könnte

Brü

no s

eine

... Z

ust

ände

... in

ein

er F

orm

von K

unst

ausl

eben

!“ S

ie v

ergaß d

iesm

al

ganz

unabsi

chtl

ich i

hre

n f

ranzö

sisc

hen

Ak-

zent,

so e

ilig

hatt

e si

e es

, N

elli z

uvorz

ukom

men

. „K

ann e

r vie

llei

cht

Kla

vie

r

spie

len?“

Vor

Magd

as

innere

m A

uge e

rsch

ien d

er

unbek

an

nte

Bru

no,

wie

er

mit

wehend

em

Haar,

den

Oberk

örp

er

nach

vorn

e u

nd

zurü

ck w

erf

en

d,

in d

ie T

as-

ten h

aute

.

Doch

Fri

eder

ike-E

milia

sch

ütt

elte

den

Kopf. M

agda a

tmet

e auf.

Aber

Fra

u R

ais

in g

ab n

icht

so l

eich

t auf. „

Sin

gen

?“,

schlu

g s

ie n

un v

or.

„B

esse

r

wäre

natü

rlic

h k

om

ponie

ren.“

Kla

r doch

, dach

te M

agda. K

om

ponie

ren.

„Ja,

gen

au. I

ch d

enke,

das

könnte

die

Ret

tung s

ein!“

, rie

f F

rau R

aisi

n b

egei

ster

t au

s.

„Nei

n, er

kan

n a

uch

nic

ht

kom

ponie

ren. E

r is

t so

gar

nic

ht

musi

kal

isch

“, s

ag-

te F

ried

erik

e-E

milia

. „A

ber

ich

dan

ke

euch

, la

sst

uns

noch

ein

wen

ig B

oule

z

höre

n, ja

?“

„Ich

bin

mir

sic

her

, er

hat

ein

geh

eim

es T

alen

t“, w

ider

spra

ch F

rau R

aisi

n s

tur. „

Es

wir

d s

ich s

einen

Weg

bah

nen

!“

Noch

wäh

rend d

es g

anze

n e

rste

n A

kts

ärg

erte

sic

h M

agda.

Fri

eder

ike-E

milia

stan

d e

s nic

ht

an, si

ch a

ls d

ie N

eue

der

maß

en in d

en V

ord

ergru

nd z

u d

rängen

. W

a-

rum

fra

gte

eig

entl

ich n

ie jem

and n

ach F

rick

a und C

osi

ma?

Und d

as, o

bw

ohl si

e doch

imm

er n

ur

das

Bes

te –

bez

iehungsw

eise

Erf

unden

es –

von ihnen

ber

ichte

te. Z

ule

tzt

hat

te s

ie b

ehau

pte

t, C

osi

ma

hät

te ihr

ein g

anze

s Set

mit

Tis

chdec

ken

ges

chen

kt,

das

sie

über

und ü

ber

mit

den

Init

iale

n ihre

r M

utt

er, M

B, bes

tick

t hat

te. E

s hat

te k

aum

Ein

dru

ck h

inte

rlas

sen, N

elli h

atte

led

iglich

bem

erkt,

wei

ße

Tis

chdec

ken

wär

en a

lt-

modis

ch u

nd u

npra

kti

sch. W

ar d

er K

ern f

alsc

h, oder

sch

mück

te s

ie i

hre

Ges

chic

h-

ten n

icht

gut

gen

ug a

us?

In d

em M

om

ent

schri

llte

das

Tel

efon, und w

ähre

nd N

elli n

och

rie

f: „

Oh n

ein,

nic

ht

jetz

t!“,

erk

annte

Mag

da

schon ihre

Chan

ce. E

gal

, w

er e

s w

ar –

was

sie

jetz

t vo

rhat

te, w

ar d

ie I

rrit

atio

n a

m a

nder

en E

nde

der

Lei

tung w

ert.

Sie

eilte

hin

und n

ahm

ab.

„H

all

o?“

, fr

agte

sie

ate

mlo

s, w

ähre

nd i

hr

die

Ged

anken

nur

so d

urc

h d

en K

opf

schoss

en.

„Gute

n T

ag, sp

rech

e ic

h m

it M

agda

Bro

der

ick?

Es

geh

t um

die

zw

eite

Mah

-

nung f

ür

die

Kas

chm

irdec

ke,

die

Sie

tel

efonis

ch b

ei d

er F

irm

a M

adel

eine

be-

stel

lt h

aben

...“

„Ja, aber

“, sc

hri

e M

agda. „A

ber

Cosi

ma, w

elch

e F

reude.

Ja, w

as?

Was?

„Fra

u B

roder

ick?

Mag

da

Bro

der

ick?

Höre

n S

ie m

ich?

Ihre

Rec

hnung, a

lso ..

.“

„Was,

Sch

ätz

chen

, ach

je.

Noch

ein

e K

lass

e über

spri

ngen

? M

ath

emati

k u

nd M

usi

k.

Silke S

cheuerm

ann d

ebüti

ert

e 2

001 m

it

dem

Lyrik

band D

er T

ag, an d

em d

ie M

öw

en

zw

eist

imm

ig s

angen

. D

ie L

yrik

erin

und

Erzähle

rin

erhie

lt u

. a. das S

tip

endiu

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er

Vil

la M

assim

o i

n R

om

. S

ie l

ebt

bei

Frank-

furt

am

Main

. 2011 e

rschie

n i

hr R

om

an

Shanghai

Per

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tationen und Konzertauf-

nahmen plus ein Hardcover-

Buch mit Fotos, Essays und

vollständiger Diskografie.

NEUJAHRSKONZERT 2012

WIENER PHILHARMONIKER

MARISS JANSONS

Wer nicht dabei sein konnte, kann dieses

prachtvolle Konzert in Bestbesetzung

auf CD, DVD und Blu-ray nacherleben.

KLAUS FLORIAN VOGT

HELDEN

Er ist Bayreuths umjubelter Lohengrin

und überzeugt auch auf seiner ersten

Arien-CD, mit Arien aus Freischütz,

Zauberflöte, Walküre, Die Meistersinger

von Nürnberg und aus Lohengrin.

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Page 37: Ring erzählen - Bayerische Staatsoper · Hommage an Die Simpsons im Jahr 199ß ausgewählt, als ihr erstes Kinderbuch Lulu Magazine veröffentlicht wurde. Ihre Arbeit – in Illustrationen,

Okka von der Damerau Floßhilde — Das Rheingold, Götterdämmerung

Fünf Fragen an …

Welchen Faden aus Wagners Erzählung des

Nibelungen-Mythos verfolgen Sie am liebsten?

Zunächst einmal den musikalischen Faden. Wenn sich ge-

sangliches Können mit Erzählkunst paart, ist das meiner

Meinung nach sehr packend, insbesondere bei Wagner.

Wer hat Ihnen an welchen Orten

Geschichten erzählt?

Meine Eltern haben meinen Geschwistern und mir Geschich-

ten erzählt, meistens zum Einschlafen oder um Wartezeiten

zu verkürzen, zum Beispiel auf langen Autofahrten.

Welche Geschichte hörten Sie in Ihrer

Kindheit am liebsten?

Mein Vater hat sich Geschichten ausgedacht. Ich empfinde

Geschichtenerzählen als etwas sehr Persönliches, es kann

dabei ein inniges Verhältnis zwischen Erzähler und Zuhörer

entstehen.

Wem erzählen Sie welche Geschichte gerne

immer wieder?

Abends erzähle ich meinem Sohn Geschichten am Bettchen.

Allerdings beruhigt es ihn nicht immer, manchmal greift er

ein Wort auf und beginnt selbst mitzuerzählen.

Warum, glauben Sie, erzählen wir uns Geschichten?

Es entsteht ein intimer Raum zwischen Menschen. Es ist

schön, diesen Moment miteinander zu teilen und eine lieb

gewonnene Tradition weiterzugeben.

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„Beim Geschichten-erzählen entsteht ein intimer Raum zwischen Menschen. Es ist schön, diesen Moment miteinander zu teilen.“

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Johan Reuter Wotan — Das Rheingold

Fünf Fragen an … 71

Welchen Faden aus Wagners Erzählung des

Nibelungen-Mythos verfolgen Sie am liebsten?

Wir Menschen sind darauf festgelegt, die Welt aus unserer

eigenen Perspektive zu erleben. Wir können zwar versuchen,

die Sicht der anderen zu verstehen, aber in Wirklichkeit kön-

nen wir nur durch unsere eigenen Augen sehen und mit un-

seren eigenen Gehirnen denken. Wenn ich auf der Bühne bin,

dann versuche ich, alles mit den Augen und dem Verstand

meiner Figur zu sehen, auch wenn das Einstudieren und Pro-

ben mir eine „Vogelperspektive“ auf das Stück gegeben

haben. Aus diesem Grund bin ich darauf festgelegt, Wotans

Faden zu folgen und die Geschichte aus seiner Perspektive

zu sehen.

Wer hat Ihnen an welchen Orten

Geschichten erzählt?

Die Kunst des Geschichtenerzählens stirbt aus in der westli-

chen Kultur. Zum Glück gibt es die Literatur. Die größten

Geister der Welt haben mir schon mein ganzes Leben lang

Geschichten erzählt; es hat angefangen, als meine Eltern mir

vorgelesen haben, ging weiter, als ich selbst lesen gelernt

habe, und hält an bis zum heutigen Tag. Letzte Nacht, als

ich nach einer Vorstellung nach Hause kam, hat Jonathan

Franzen mir vor dem Einschlafen von einer fiktiven Familie

im heutigen Amerika erzählt …

Welche Geschichte hörten Sie in Ihrer

Kindheit am liebsten?

Was den bleibendsten Eindruck bei mir hinterlassen hat,

war, als meine Mutter aus Dyrene i Hakkebakkeskoven von

dem norwegischen Autor Thorbjørn Egner vorgelesen hat,

und zwar die Stelle, als der Bäcker – ein Hase – von einem

Kunden – einem Wolf – Besuch bekommt, und dieser seinen

Kuchen nicht bezahlen will. Die Geschichte selbst ist groß-

artig, aber das Beste war die Stimme meiner Mutter, wenn

sie den Wolf spielte. Es war so herrlich unheimlich!

Wem erzählen Sie welche Geschichte gerne

immer wieder?

Die Geschichte, die ich am öftesten erzählt habe, ist ein

dummer Witz, den zu erzählen mich meine Söhne immer wie-

der genötigt haben. Es geht um die drei besten Hammerwer-

fer der Welt – einen Amerikaner, einen Russen und einen

Dänen –, die sich in einem Stadion treffen, um ein für alle

Mal zu entscheiden, wer der Beste ist. Es ist die Sorte Witz,

bei der man durch viele Wiederholungen und viele Erzähl-

schleifen muss, bevor man dann zum überraschenden Höhe-

punkt kommt. Wenn ich darüber so nachdenke … genau wie

in Wagners Ring!

Warum, glauben Sie, erzählen wir uns Geschichten?

Ich glaube, dass wir uns hauptsächlich aus drei Gründen Ge-

schichten erzählen: um mehr über uns selbst zu erfahren, um

mehr über die Welt zu erfahren, die uns umgibt, und um un-

terhalten zu werden.

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n …

„Das Beste war immer die Stimme meiner Mutter, wenn sie den Wolf spielte. Es war so herrlich unheim-lich!“

Übersetzung Maria März

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Page 38: Ring erzählen - Bayerische Staatsoper · Hommage an Die Simpsons im Jahr 199ß ausgewählt, als ihr erstes Kinderbuch Lulu Magazine veröffentlicht wurde. Ihre Arbeit – in Illustrationen,

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Page 39: Ring erzählen - Bayerische Staatsoper · Hommage an Die Simpsons im Jahr 199ß ausgewählt, als ihr erstes Kinderbuch Lulu Magazine veröffentlicht wurde. Ihre Arbeit – in Illustrationen,

von

Robert Hültner

74

Die AbleHnung

Zeit und Ort:

Gegenwart.

Büro des Dramaturgen.

74-78_ERZAEHLUNG_HUELTNER_korr_mxm_frei.indd 74 09.01.12 20:19

75Die Ablehnung

Der Autor: „Das ist nicht ihr ernst. Man lehnt ab?“

Der Dramaturg: „Zu meinem größten bedauern, wie ich

ihnen versichere. Wie ich ihnen ebenfalls versichern darf,

dass ihr Projekt im haus ausführlichst diskutiert wurde.“

„Verbindlichsten Dank für diese Selbstverständlich-

keit. Wo standen Sie dabei?“

„Sagen wir: ich war hin- und hergerissen. nicht zu-

letzt deshalb, weil wir beide uns schließlich bereits

seit vielen Jahren kennen und Sie unserem hause

schon viele großartige erfolge beschert haben.“

„Was – Sie verzeihen – ein Argument für Krämerseelen ist.

Dem ich entnehmen muss, dass auch Sie in dieser experten-

runde alles andere als eine flammende Verteidigung ablie-

fern konnten, richtig?“

„Wenn Sie auf ‚flammend‘ bestehen, muss ich es bejahen. ich

habe für eine gründliche bearbeitung plädiert, konnte mich

aber leider nicht durchsetzen.“

„nun, dann habe ich wohl Anspruch auf eine ausführ-

liche begründung.“

„Selbstverständlich. bevor ich auf die Details kom-

me: Die entscheidenden Vorbehalte beziehen sich

sowohl auf Form und Dramaturgie wie auf eine ge-

wisse philosophische Prämisse ihres Werks. Kriti-

sche Anmerkungen gab es darüber hinaus zur Plau-

sibilität der handlungsmotive, kurz zur Psychologie

einzelner Figuren.“

„Mit anderen Worten, auf alles! – Sagen Sie: hatte ich in

meinen exposés nicht unmissverständlich darauf hingewie-

sen, dass ich ein experiment plane? nämlich jenes, das ni-

belungenlied, einen der ältesten Stoffe unserer literatur, zu

adaptieren? Woraus sich fast zwangsläufig ergibt, dass eini-

ge gewissheiten der klassischen Dramaturgie infrage ge-

stellt werden müssen.“

„Das mag sein, aber es muss doch zumindest reflektiert wer-

den, was, warum und wie in welcher epoche erzählt wird.“

„Wir sollen uns anmaßen, einen der bedeutendsten

Stoffe unserer literatur nach der Maßgabe heuti-

ger Moden zu bewerten? ihm womöglich eine billi-

ge hollywood-Rezeptur überstülpen?“

„ich bitte Sie, ja? – ich meine lediglich, dass wir

nicht das, was Sie als ‚heutige Mode‘ bezeichnen, als

zeitgeistigen Müll abqualifizieren sollten. Auch eine

erzählung, die erst in diesem Moment die Drucke-

rei verlässt, kann von epochaler Qualität sein.“

„ich widerspreche nicht. Aber wenn Sie jetzt bitte zu den

Details kämen?“

„gleich. Man muss sich doch bei diesem Vorhaben zu-

nächst den Stoff vor Augen führen, den Sie als grundlage

verwenden. er geht bekanntlich auf ein historisches ge-

schehen aus den Wirren der Völkerwanderung zurück. es

handelt sich also zunächst um etwas, was wir heute flapsig

als Reportage bezeichnen würden. um einen von unzähli-

gen berichten, die mit den damaligen instrumentarien der

sozialen Kommunikation – Memorierung und mündliche

Weitergabe – Verbreitung fanden. Mit wachsendem zeitli-

chen Abstand wandelte er sich zur Parabel, die sich den

gesellschaftlichen Veränderungen anpassen musste. Die

erzählung durchlief dabei umgewichtungen, ergänzun-

gen, sie integrierte neue personale und politische Konstel-

lationen, wurde mit anderen tradierten Stoffen verwoben.

Kurz gesagt: Was da im hochmittelalter schließlich zur

Schriftform fand, ist bereits weitgehend Kompilation. Da-

rüber, was den unbekannten Dichter damals bewogen hat,

den Stoff so zu gestalten, wie er es getan hat, warum er

etwa gerade diese und nicht andere heroen illuminiert,

können wir nur spekulieren. haben seine entscheidungen

unter anderem vielleicht auch damit zu tun, dass sich das

christliche europa zu dieser Zeit mit der islamischen ex-

pansion konfrontiert sieht? und dies nicht nur unter dem

Aspekt einer politisch-wirtschaftlichen, sondern auch ei-

ner religiös-weltanschaulichen Konkurrenz? Wird so bei-

spielsweise hagens ‚Trutz‘, der ja eher hilfloser Trotz ist,

verständlicher? ich weiß es nicht.“

„Sie springen viel zu kurz. Der Stoff ist wesentlich

älter.“

„bekannt. Aber warum schlummert er erst Jahr-

hunderte vor sich hin, wird noch im 18. Jahrhun-

dert mancherorts als unverständlicher Schund ab-

gekanzelt, um dann im 1ß. Jahrhundert plötzlich

zum deutschesten aller deutschen epen erhoben

zu werden?“

„Vielleicht, weil wir es hier tatsächlich mit einer universel-

len Substanz zu tun haben?“

„Der erkenntnis etwa, dass sich gewinnstreben und liebe

gegenseitig aufzehren müssen?“

„beispielsweise.“

„Das – Pardon – wäre weder eine nagelneue noch

DeR AuToR hATTe JAhRelAng DARAn geARbeiTeT, DAS nibelungenlieDFüR Die oPeR Zu ADAPTieRen. DeR DRAMATuRg JeDoch hälT DAS WeRK FüR unAuFFühRbAR. eR MuSS DieS DeM AuToR nuR iRgenDWie AuS‑ einAnDeRSeTZen.

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Page 40: Ring erzählen - Bayerische Staatsoper · Hommage an Die Simpsons im Jahr 199ß ausgewählt, als ihr erstes Kinderbuch Lulu Magazine veröffentlicht wurde. Ihre Arbeit – in Illustrationen,

sollten das Alte nicht allein deshalb vergotten, weil

es alt ist. Wie es neue geschichten gibt, die uns ein-

mal mehr, einmal weniger berühren und interessie-

ren, so gilt das auch für alte. Aber, natürlich, müssen

wir unser urteil jeweils begründen.“

„Wovon ich aber bisher noch wenig gehört habe.“

„Dann will ich bei der Dramaturgie beginnen. ich vermisse

ein Zentrum in ihrem Werk.“

„und wenn das Wesen meines experiments gewesen

wäre, weder klassische Dramaturgie noch epik zu

bedienen? Wenn ich stattdessen versucht hätte, das

erzählen nicht auf ein mechanisches Strickmuster

von informationsvermittlung zu reduzieren? Son-

dern künstlerische Praxis wieder auf das zurückfüh-

ren wollte, was sie im Kern ist, nämlich eine kulti-

sche handlung?“

„gewagt.“

„Sie haben etwas gegen Wagnisse?“

„Keineswegs. ich bin nur nicht davon überzeugt, dass es die-

ser Rückführung überhaupt bedarf. ob Kunst nicht nach

wie vor eine Kategorie des Kultes ist und sie sich heute nur

anderer Formen bedient.“

„Die dann nicht mehr überprüft und nicht mehr in-

frage gestellt werden dürfen?“

originelle erkenntnis. und als Weisheit ungefähr so

tiefschürfend wie ein naiver Appell à la make love,

not war. Möglicherweise sogar eine insofern platte,

als sie nicht immer zutrifft. Auch der nach Macht

und gewinn Strebende kann lieben. und stellt sich

vermutlich dabei nicht geschickter oder ungeschick-

ter an als jener, der nicht von Machtwillen getrieben

wird. Vor allem aber frage ich mich, ob es genügt, in

einem Werk eine – wie Sie es nennen – universelle

Substanz wahrzunehmen. Sie ist schließlich in jeder

ernsthaften kulturellen äußerung enthalten. Der

Kern meiner Frage war vielmehr, warum sie einmal

wahrgenommen wird, dann wieder nicht. ist dieser

scheinbar monumentale Stoff möglicherweise nur

durch eine Reihe glücklicher Zufälle auf uns gekom-

men? Wir können davon ausgehen, dass es in dieser

epoche eine Fülle derartiger Stoffe gab, von denen

nur wenige überhaupt zur Schriftform gelangten.

und auch davon ist nur ein kleiner Teil übrig geblie-

ben, das meiste ist opfer von Kriegen, von kulturel-

len Verwüstungen oder schlichten materialen Verder-

bens geworden. Worauf ich hinaus möchte ist: Wir

„Das dürfen sie nicht nur, sondern müssen es sogar.

Sie müssen aber auch berücksichtigen, dass es heutzu-

tage zwischen Künstler und Konsument einen gewis-

sen Kontrakt gibt, der sich mit einem – sagen wir ein-

mal – eher kultisch-liturgisch konzipierten Ansatz

beißt. Außerdem werden Sie mir zustimmen, dass der

begriff ‚Kult‘ noch nichts über die inhaltliche Qualität

dessen aussagt, was er jeweils zelebriert. Auch die na-

zis ummäntelten schließlich ihre Ziele mit kultisch-

theatralischem Firlefanz, und das mit erfolg.“

„ich bemühe mich, ihnen zu folgen.“

„nun seien Sie nicht gekränkt. ich wollte lediglich darauf

hinaus, dass Form und inhalt zwar in beziehung zueinander

stehen, trotzdem aber zwei Paar Stiefel sind. Jeder Kult, so

rauschhaft und weihrauchvernebelt er sich uns auch darstel-

len mag, verfolgte stets sehr konkrete, sehr nachvollziehbare

lebenspraktische Zwecke. Daraus folgt meine Frage, was Sie

als ihren Zweck benennen würden.“

„Den, den alles erzählen hat, und damit Punkt. – Sie

deuteten an, dass es kritische Anmerkungen zur Dra-

matik gab?“

„So ist es. Sie wählten die Form der Parabel, über-

frachten diese aber am ende mit Metaphorik.“

„Wo bitte steht geschrieben, dass das unzulässig ist?“

„natürlich nirgends. Aber auch wenn sich eine erzählung

unterschiedlicher Formen bedient, so sollte sie sich doch

für eine tragfähige und durchgängige Architektur entschei-

den. es sollte erspürbar sein, was gerüst ist, und was Aus-

kleidung.“

„ich behaupte, diese Forderung sehr wohl eingelöst

zu haben. – Sie erwähnten eingangs auch das Stich-

wort Psychologie?“

„Damit ist gemeint, dass sich ihre Figuren statisch

darstellen, dass haltungen und Motive gesetzt und

behauptet sind, sie nicht wirklich geschichte, ge-

schweige denn Wandlung haben. Dass ich auf Zu-

schreibungen von Titanismus und ähnlich pathos-

triefenden überhöhungen eher allergisch reagiere,

mag meine Sache sein –“

„Ach! Sie wollen die helden auch einmal pinkeln sehen?“

„Das nun gerade nicht. Mich lassen lediglich die wie in

Marmor gemeißelten Konturen ihres Siegfried, ihres ha-

gen, ihrer brünnhilde und anderer eher kalt. Aber zugege-

ben: Wie Sie ihre Figuren modellieren, ist für eine Parabel

sogar konsequent entschieden. Allerdings erzeugt es einen

Mangel an Dynamik.“

„in ihrem persönlichen empfinden.“

„Richtig. So wie ich auch empfinde, dass diesem Mangel

eine geradezu überbordende Fülle von beeindrucken-

den, zuweilen gar rauschhaften Szenerien gegenüber-

steht. Die aber, bei aller bewunderung, bei mir einen

gewissen Abwehrimpuls auslöst. Welchem der Ver-

dacht folgt, dass Sie mit der Wucht, dem getöse ihrer

bilder und Aktionen nur überwältigen wollen.“

„Was ist daran verwerflich? ich will herz und Sinne packen,

keinen drögen Diskurs veranstalten. – ein sehr, sehr deut-

scher impuls übrigens, der sich da bei ihnen manifestiert.“

„Was ist daran verwerflich, überwältigen zu wollen? ich will herz und Sinne packen.“ — Der Autor

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„interessant. Was wäre denn ein nicht-deutscher?“

„einer, der keine Angst vor der Möglichkeit einer

überwältigung und Verführung hat, sie vielleicht so-

gar begrüßt und ersehnt. ich sage nicht, dass diese

Angst gerade vor dem hintergrund unserer ge-

schichte nicht auch ihre berechtigung hätte. Aber sie

richtet ihr Augenmerk nur auf ein vermeintlich

zwangsläufiges Verderben, das der überwältigung fol-

gen muss. Aber gibt es nicht auch eine Verführung zu

etwas, das uns bereichert? Zu etwas, was wir bisher

nicht zu denken wagten? Was uns die Sinne öffnet,

hemmnisse und Verstockungen beiseite fegt, Mut

und neue Perspektive schenkt? Warum versperren

wir uns dem schon von vorneherein? Diese als Skep-

sis getarnte Furcht ist verhängnisvoll. es mag eine

Weile funktionieren, die existenz eigener untiefen zu

ignorieren. Aber irgendwann kommen wir nicht mehr

umhin, uns ihnen zu stellen.“

„ich widerspreche nicht. Aber wir sind uns doch da-

rüber einig, dass umso entscheidender ist, welche

Prämissen einer Verführung zugrunde liegen, nicht

wahr?“

„Völlig d’accord. und welche Prämisse ist es, die Sie glauben

ausmachen zu können?“

„nun, lassen Sie mich dem so nähern: ihr Werk bietet eine

Anordnung von Personen und dramatischen Konstellatio-

nen auf. Sie tun dies aber nicht, weil Sie an diesen Personen

interessiert sind, sondern weil Sie damit ihre Sicht auf ent-

scheidende Probleme und Konflikte unserer gesellschaft il-

lustrieren möchten. um es auf die kürzestmögliche Formel

zu bringen, konstatieren Sie dabei ‚entfremdung‘ als letzte

ursache zunehmender sozialer, politischer und psychischer

Wirrnis, unter der lust zu gier verkümmern muss, Treue

zu todbringender beharrung, leidenschaft zu tollwütigem

eklat. Darum geht es ihnen. nicht um ihre Figuren. Was

sie sind, was sie begehren, erstickt völlig unter ihrem Wol-

len, das aus jedem Wort, aus jeder bewegung, jeder Szenik

quillt. Sie zeigen nicht, Sie behaupten. und Sie wollen be-

lehren. ihr Drama ist eines der ideen, nicht das des le-

bens, der Körper, der gefühle. nur folgerichtig ist, wenn

Sie sich bei nur wenigen Figuren länger aufhalten und auch

sie sofort verlassen, wenn diese abgeliefert haben, wozu sie

ins Spiel gestellt wurden. Darüber könnte man noch disku-

tieren. Wenn mich auch die Kälte frösteln macht, mit der

Sie ihre Fäden dabei ziehen. Wenn aber, wie Sie vorhin

erwähnten, das erzählen für Sie ein kultisches ereignis zu

sein hat, so frage ich Sie noch einmal, was im Falle ihres

Werks zelebriert und gewonnen wird. erzeugt es Weisheit?

neue erkenntnis? gar gedankliches Material, um den dar-

gestellten gesellschaftlichen Missstand lebenspraktisch zu

überwinden?“

„Verstehe. Sie vermissen die gebrauchsanleitung zur

Verbesserung der Welt. eine empfehlung, Attac bei-

zutreten oder die Wall Street zu okkupieren.“

„Sie machen Scherze.“

„Danach ist mir eigentlich nicht zumute.“

„Dann haben Sie mich gründlich missverstanden. Weshalb

ich es ihnen so erklären will: Was Sie in ihrem Werk thema-

tisieren, ist leider weder neu noch originell. Schon der junge

Marx hat das Problem der entfremdung benannt, ihren ur-

sprung und ihre Auswirkungen analysiert. Sie dagegen ana-

lysieren nicht, sondern belassen es beim großen lamento.

und sehnen sich, als wären Sie ein Autor des Fin de siècle,

nach der großen ‚Reinigung‘, der Rückkehr des vermeintlich

‚elementaren‘. Wie er machen Sie es sich in einem Atavis-

mus bequem, für den seit je billiger beifall einzuheimsen

war. Weil sich derart melancholische Posen folgenlos schlür-

fen lassen und niemandem wehtun. Damit aber wird jede

Kunst zur neckischen girlande, mit der umso geist- und

kunstloseres Agieren in der gesellschaftlichen Praxis ka-

schiert werden soll.“

„Das Totschlagargument des Atavismus musste ja

kommen. An dem, was Sie damit andeuten möchten,

stimmt lediglich, dass ich tatsächlich einer Rückbe-

sinnung auf die elementaren Konditionen menschli-

cher existenz das Wort rede. Auf die, wenn Sie so

wollen, ‚Tatsachen des lebens‘.“

„Das gestehe ich ihnen wie jedem ernsthaften Au-

tor zu. Auch der grundton des lamentos wäre

für mich noch akzeptabel, wenn dies nun einmal

Weltsicht und Temperament des Autors entspre-

chen sollte. nein, der Punkt ist, auf welche gedank-

liche und ästhetische conclusio ihre haltung zusteu-

ert. Alles mündet in ein apokalytisches Finale, das

„ist ‚Feuer‘ wirklich erlösend, reinigend? Die bewohner von guernica, von hamburg und Dresden oder hiroshima werden zu einem anderen ergeb- nis kommen als ein ernst Jünger, der, das champagnerglas schwenkend, sich an der Feuersbrunst einer bombardierten franzö-sischen Stadt delektiert.“— Der Dramaturg

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K 77Die Ablehnung

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Page 41: Ring erzählen - Bayerische Staatsoper · Hommage an Die Simpsons im Jahr 199ß ausgewählt, als ihr erstes Kinderbuch Lulu Magazine veröffentlicht wurde. Ihre Arbeit – in Illustrationen,

nicht nur dramatische Auflösung sein soll, sondern

sogar letztliche ‚erlösung‘. eine Art endgerichtlich

strafender und damit reinigender Vorgang als Voraus-

setzung eines Paradieses. Verzeihen Sie – aber damit

landen Sie, der als Kritiker der Moderne startete, im

Mief eines vormodernen Messianismus.“

„nun öden Sie mich auch noch mit nietzsche an! hören

Sie: ich setze dieses Finale nicht, weil mich die Welt zum

sauertöpfischen Frömmler gemacht hätte. Sondern weil

das Publikum dadurch erkennen soll, welches Denken und

handeln zu bestimmten Konsequenzen führt, ja führen

muss. Denunzieren Sie das ruhig als volkserzieherische At-

titüde. Jedes erzählen erzieht, nicht zuletzt den Autor. es

ist also legitim, was ich tue.“

„natürlich ist es das. Aber dabei bleiben Sie eben nicht. Al-

les in diesem Finale feiert den Tod, atmet den Seufzer ‚Dem

himmel sei Dank, es ist überstanden‘. Sie sprechen in ih-

rem Text unmissverständlich von ‚erlösung‘. Warum nicht

gleich: ‚es ist vollbracht?‘ Doch können Vernichtung und

Tod erlösen? – ich weiß, was ihnen auf der Zunge liegt. Der

Mann, werden Sie denken, hat weder das Wesen einer ge-

danklichen Abstraktion noch das einer Metapher begriffen.“

„einen ähnlichen Verdacht habe ich tatsächlich.“

„ich bezweifle schlicht die Stimmigkeit ihres bildes!

ist ‚Feuer‘ wirklich erlösend, reinigend? Von welcher

Warte aus definieren wir eigentlich, ob es erschre-

ckende Destruktion, überwältigend ästhetisches ge-

schehen oder eben erlösung ist? Die bewohner von

guernica, von hamburg und Dresden oder hiroshi-

ma werden zu einem anderen ergebnis kommen als

ein ernst Jünger, der, das champagnerglas schwen-

kend, sich an der Feuersbrunst einer bombardierten

französischen Stadt delektiert. Kurz: ich behaupte,

dass dieses bild wenig brauchbar ist, weil zu unpräzi-

se. es sei denn, Sie wären tatsächlich der überzeu-

gung, dass materielle Vernichtung die Voraussetzung

für wahrhaftes existieren wäre. gegen derartig idea-

listische und religiöse Schwurbeleien sperrt sich alles

in mir, der ich es eher mit jener indischen Weisheit

halte, die besagt: ‚es gibt nur eine gottheit, und ihr

name ist leben.‘ ihre Weisheit dagegen ist mir

schlicht zu unbesonnt, zu todesverliebt, zu freudlos.

Womit ich bei meinem letzten einwand angekommen

wäre: ihr Werk hat keinen Witz.“

„Sie beginnen wirklich, mich zu ermüden.“

„Der ‚Witzige‘ zeigt uns die Welt, wie sie ist, und nicht, wie

sie sein sollte. er lotet das Komische im Tragischen aus und

umgekehrt, unterläuft Pathos und Pose. und nur diese – im

ursprünglichen Sinn des Worts kluge, weise – Sicht ermög-

licht uns, in die gestaltung unserer, der wirklichen Welt

eingreifen zu können. Was, um wieder darauf zurückzukom-

men, Zweck jeder kultischen handlung war und ist.“

„ich fürchte, dass wir uns allmählich im Kreise dre-

hen. Sie nicht?“

„eigentlich nicht. Aber wie Sie meinen. – Dass ich Sie

zu meiner Sichtweise nicht verführen, geschweige

überwältigen konnte, sehe ich ihnen an. Aber habe

ich Sie wenigstens partiell überzeugen können?“

„Vor allem davon, dass mein Werk nach ihrer Meinung

im Papierkorb zu landen hat. Das also bleibt von jahre-

langer Arbeit?“

„nicht doch. ich bin mir sicher, dass man sie ihnen andern-

orts aus den händen reißen wird. Vor allem bleibt, was eben

geschehen ist. Denn auch wenn ich und andere sich gegen ihr

Werk ausgesprochen haben – gewirkt hat es bereits jetzt.“

„Soll das ein Trost sein?“

„nein. eine Tatsache.“ „Verstehe. Sie vermissen die gebrauchsanleitung zur Verbesserung derWelt. eine empfehlung, Attac beizutreten oder die Wall Street zu okku- pieren.“ — Der Autor

Robert Hültner ist Autor von

Romanen, Theaterstücken, Hör-

spielen und Drehbüchern, darunter

die preisgekrönten Kriminal-

romane um Inspektor Kajetan.

Die Verfilmung seines Romans

Der Sommer der Gaukler über das

Leben von Emanuel Schikaneder

läuft derzeit im Kino. Der Autor

lebt in München und den französi-

schen Cevennen.

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OSTERFESTSPIELESALZBURg 2012

OSTERFESTSPIELE SALZBURG . Herbert-von-Karajan-Platz 9 . 5020 Salzburg . Austria

Tel. +43/662/80 45-361, -362 . Fax DW -790 . [email protected] . www.osterfestspiele-salzburg.at

31. März — 9. April Künstlerische Leitung: Sir Simon RattleBerliner Philharmoniker

OPERGeorges Bizet • CarmenSir Simon Rattle Musikalische Leitung

Aletta Collins Regie & Choreographie

Magdalena Kožená Carmen

Jonas Kaufmann Don José

Kostas Smoriginas Escamillo

Genia Kühmeier Micaëla

Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor

ORCHESTER- UND CHORKONZERTESir Simon Rattle • Zubin MehtaEmanuel Ax • Christian Gerhaher • Jonas KaufmannMurray Perahia • Kate Royal • Anne Sofie von OtterRundfunkchor Berlin

KAMMERMUSIKREIHE KONTRAPUNKTEEmanuel Ax • Magdalena KoženáScharoun Ensemble Berlin Mitglieder der Berliner Philharmoniker

VORSCHAUOsterfestspiele Salzburg 2013 • 23. März — 1. April Künstlerische Leitung: Christian ThielemannSächsische Staatskapelle Dresden

OPER Richard Wagner • ParsifalChristian Thielemann • Regie: Michael Schulz • Titelrolle: Johan Botha

ORCHESTER- UND CHORKONZERTEChristian Thielemann • Myung-Whun Chung

KONZERT FÜR SALZBURG

KAMMERKONZERTE

Stand Dezember 2011Änderungen vorbehalten

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Page 42: Ring erzählen - Bayerische Staatsoper · Hommage an Die Simpsons im Jahr 199ß ausgewählt, als ihr erstes Kinderbuch Lulu Magazine veröffentlicht wurde. Ihre Arbeit – in Illustrationen,

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Eri Nakamura Woglinde — Das Rheingold, Götterdämmerung

Fünf Fragen an … 83

„Kinder bekommen durch Ge schichten die Vorstellungs-kraft, um ihr anschließendes Leben fantasievoll zu meistern.“

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n …

Welchen Faden aus Wagners Erzählung des

Nibelungen-Mythos verfolgen Sie am liebsten?

An Götterdämmerung fasziniert mich besonders, dass hier

die Götter überhaupt nicht mehr vorkommen, sondern fast

nur Menschen auf der Bühne zu erleben sind, mit all ihren

Schwächen, Geheimnissen und Gemeinheiten.

Wer hat Ihnen an welchen Orten

Geschichten erzählt?

Meine Mutter erzählte mir zwar Geschichten, aber die meis-

ten habe ich selbst kennengelernt, weil ich schon sehr früh

vom Lesen begeistert war und seit meinem vierten Lebens-

jahr ein Buch nach dem anderen verschlungen habe.

Welche Geschichte hörten Sie in Ihrer

Kindheit am liebsten?

Ich habe in meiner japanischen Heimat zwar auch Märchen

wie Rotkäppchen oder Hänsel und Gretel gelesen, vor allem

aber japanische Geschichten. Ich erinnere mich besonders

an die Geschichte von Momotaro, der aus einem riesigen

Pfirsich schlüpft, sehr stark wird und beschließt, den bösen

Oger zu bekämpfen, der die Menschen bestiehlt. Von seinen

Zieheltern bekommt er Kuchen, den er mit einem Vogel, ei-

nem Hund und einem Affen teilt, und sie so als Kampfgenos-

sen gewinnt. Gemeinsam bezwingen sie den Oger und geben

den Menschen ihre Reichtümer zurück.

Wem erzählen Sie welche Geschichte gerne

immer wieder?

Ich erzähle Kindern am liebsten die Geschichten, die mich

selbst sehr beeindruckt haben, wie das Märchen Momotaro.

Warum, glauben Sie, erzählen wir uns Geschichten?

Vor allem Kinder werden mit Geschichten auf sanftem Weg

vertraut mit universellen Themen wie Liebe, Natur, Glauben,

Zuneigung der Familie, aber auch Verrat, und bekommen da-

durch auch die Vorstellungskraft, um ihr anschließendes

Leben fantasievoll zu meistern.

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Page 44: Ring erzählen - Bayerische Staatsoper · Hommage an Die Simpsons im Jahr 199ß ausgewählt, als ihr erstes Kinderbuch Lulu Magazine veröffentlicht wurde. Ihre Arbeit – in Illustrationen,

Eine Fortsetzung der Kinderoper Sigurd der Drachentöter

von Yusuf Özgüney, Klasse 6a der Mittelschule Garching

Der junge Sigurd wächst bei dem Schmied Regin auf, der

ihn aber einzig und allein ausnutzen will: Mit seiner Hilfe

will er seinen Bruder Fafner besiegen, um an den Nibelun-

genschatz zu gelangen. Der Komponist Andy Pape hat mit

der Oper Sigurd der Drachentöter eine einstündige Version

des jungen Siegfried-Helden für Kinder geschaffen, die im

Dezember 2011 auf dem Spielplan der Bayerischen Staats-

oper stand. Kinder ab neun Jahren konnten erleben, wie

sich Sigurd mithilfe eines Raben von seinem Ziehvater Re-

gin löst, ihn und Fafner tötet und an den Goldschatz ge-

langt. Anschließend waren die Kinder eingeladen, sich eine

Fortsetzung der Geschichte auszudenken und an die Bayeri-

sche Staatsoper zu schicken. Die schönste stammt von Yusuf

Özgüney und ist auf der folgenden Seite zu lesen.

Sigurds Rettungvon

Yusuf Özgüney

Illu

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Wid

mer

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achdem Sigurds Stiefva-ter gestorben war, hatte

er nur noch den Raben bei sich. Der Rabe wurde ein Mensch und wurde Sigurds Freundin. Es war ein Mäd-chen.

Sie hatten viel Gold und fuhren in ihre Heimat und fingen ein neues Leben an. Sie fanden Freunde. Sie leb-ten fröhlich und sie hatten viel Spaß. Schon bald hatte Sigurd angefangen zur Arbeit zu gehen und verdiente Geld.

In dieser Zeit war Regin doch nicht gestorben, weil Sigurd mit dem Mund die Flasche berührt hatte. Regin hatte so Drachenblut geleckt. Deswegen hatte er sich in einen Drachen verwandelt. Er wollte Sigurd und seine Freundin töten und das gan-ze Gold nehmen. Regin lief umher und traf am Ufer eines Baches auf ein Orakel. Regin lief hin und fragte: „Wo ist Sigurd, der Wälsung?“ Das Orakel antwortete ihm, dass Sigurd in seiner Heimat wäre, und verschwand.

Regin flog nach Spanien, die Heimat von Sigurd. Sigurd und seine Freundin waren an einem schönen Tag auf einem

Feld. Sie spielten Spiele, sie liefen herum, doch dann kam ein kräftiger Sturm. Sie sagte: „Sigurd? Wo bist du?“ Sigurd schrie: „Hier!“ Regin erblickte Sigurd und landete auf dem Feld. Der Drache fragte Sigurd: „Weißt du, wer ich bin? Ich bin Re-gin!“ „Nein!“ „Dank dir lebe ich noch! Jetzt aber nehme ich Rache an euch und wer-de euch umbringen und euer Gold nehmen!“

Regin kam immer näher und näher. Gerade als er Si-gurd auffressen wollte, flog ein Wurfspeer in Regins Keh-le. Regin flog auf den Boden und bekam keine Luft.

Sigurd überlegte, wer das gewesen sein könnte. Da kam der berühmte Krieger herbei, Sigurds Vater. Sigurd lief zu seinem Vater und umarmte ihn. „Wo warst du so lange?“, fragte Sigurd. Sein Vater gab ihm keine Antwort. „Gehen wir nach Hause“, schlug Si-gurd vor, und sie gingen fröh-lich heim. Und niemand konn-te sie trennen.

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N

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Sophie Koch Fricka — Das Rheingold,Die Walküre

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n …

„Am spannendsten fand ich die Stelle, als Ali Baba den Zauberspruch ‚Sesam, öffne dich’ ausspricht und sich vor ihm die Höhle mit all den ver-steckten Schätzen öffnet.“

Welchen Faden aus Wagners Erzählung des

Nibelungen-Mythos verfolgen Sie am liebsten?

Alles, was mit Liebe und Verlangen zu tun hat, wie etwa in

der Szene der Götterdämmerung, wenn Brünnhilde gegen-

über Waltraute ihre Liebe zu Siegfried bekennt.

Wer hat Ihnen an welchen Orten

Geschichten erzählt?

Meine Mutter hat mir vor dem Einschlafen immer Geschich-

ten erzählt, und ich habe auch sehr viele aufgezeichnete,

mit Musik unterlegte Geschichten angehört.

Welche Geschichte hörten Sie in Ihrer

Kindheit am liebsten?

Eine meiner Lieblingsgeschichten ist aus Tausendundeiner

Nacht: Ali Baba und die vierzig Räuber. Am spannendsten

fand ich die Stelle, als Ali Baba den Zauberspruch „Sesam,

öffne dich“ ausspricht und sich vor ihm die Höhle mit all den

versteckten Schätzen der vierzig Räuber öffnet.

Wem erzählen Sie welche Geschichte gerne

immer wieder?

Ich erzähle meiner Tochter Geschichten, ein paar Klassiker

(Aschenputtel, Hänsel und Gretel) und ganz viele erfundene!

Warum, glauben Sie, erzählen wir uns Geschichten?

Wir erzählen uns Geschichten, weil wir mehr über die Men-

schen erfahren und ihre Seele verstehen wollen. Der Nibe-

lungen-Mythos, glaube ich, will uns sagen, dass die Men-

schen klüger sein und nicht immer nach noch mehr Macht

streben sollen, weil dies zur Katastrophe führt.

Fünf Fragen an …

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Stephen Gould Siegfried — Götterdämmerung

Fünf Fragen an … 87

„Ich erfreue die Leute mit Ge-schichten darüber, wie ich versuchte, Deutsch (Hochdeutsch) zu lernen – in meinen ersten Jahren in Oberösterreich.“

Welchen Faden aus Wagners Erzählung des

Nibelungen-Mythos verfolgen Sie am liebsten?

Obwohl ich die Partien des Siegmund und der beiden Sieg-

frieds singe, ist für mich das Motiv von Wotans Willen der

interessanteste Aspekt des Ring. Dieser doppelte Faden aus

Verlangen nach Macht, Kontrolle und Wissen und seiner ni-

hilistischen Reise auf der Suche nach ewigem Frieden ist

unglaublich fesselnd.

Wer hat Ihnen an welchen Orten

Geschichten erzählt?

Die meisten Geschichten aus meiner Kindheit habe ich na-

türlich von meinen Eltern und auch Großeltern gehört. Mei-

ne Schwester und ich haben beide ganz viele Geschichten

mit biblischen Gestalten und klassische griechische My-

then gehört. Das war natürlich das Ergebnis davon, mit ei-

nem methodistischen Pfarrer als Vater und einer Mutter, die

Lehrerin für Literatur war, aufzuwachsen.

Welche Geschichte hörten Sie in Ihrer

Kindheit am liebsten?

Nun, die meisten Geschichten, die mit „und sie lebten glück-

lich bis an ihr Lebensende“ aufhörten, waren natürlich sehr

beruhigend, als Kind. Seltsamerweise mochte ich immer den

Mythos des Sisyphos sehr, des Königs, der von den Göttern

dazu verdammt wurde, fortwährend den Felsbrocken den Hü-

gel hinaufzurollen, nur um ihn dann wieder herunterrollen zu

sehen. Es mag darin hauptsächlich um die Tragödie und

Sinnlosigkeit des Ganzen gehen, aber ich habe immer eher

das heroische Element gesehen, das darin besteht, immer

gegen das schier Unmögliche anzukämpfen. Vielleicht ist es

das, was mich eigentlich zu Wagner geführt hat ...

Wem erzählen Sie welche Geschichte gerne

immer wieder?

Ich erzähle keine Geschichten in epischer Breite. Ich bringe

die Leute gern zum Lachen, meistens jedenfalls, also erfreue

ich sie mit Geschichten darüber, wie ich versuchte, Deutsch

(Hochdeutsch) zu lernen – in meinen ersten Jahren in Ober-

österreich. Das ist immer ein großer Lacher.

Warum, glauben Sie, erzählen wir uns Geschichten?

Über Geschichten können wir nicht nur erfahren, was es im

Kern heißt, menschlich zu sein, sondern wir können auch ei-

nen kleinen Teil unserer eigenen menschlichen Reise mit

anderen teilen. So etwas schafft man nicht mit „Tweets”.

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n …

Übersetzung Maria März

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Page 46: Ring erzählen - Bayerische Staatsoper · Hommage an Die Simpsons im Jahr 199ß ausgewählt, als ihr erstes Kinderbuch Lulu Magazine veröffentlicht wurde. Ihre Arbeit – in Illustrationen,

Hofbräu, mein München

Das Theateralphabet...

der Auftakt.

88 Anz Hofbräuhaus.indd 88 09.01.12 20:23

Spielplan90

Plakatkünstler96

Vorschau100

AgendA

89-95_SPIELPLAN_korr_mxmfrei.indd 89 09.01.12 20:25

Page 47: Ring erzählen - Bayerische Staatsoper · Hommage an Die Simpsons im Jahr 199ß ausgewählt, als ihr erstes Kinderbuch Lulu Magazine veröffentlicht wurde. Ihre Arbeit – in Illustrationen,

SpielplAn

24.01.12bis

10.04.12

Soweit nicht anders angegeben, finden alle Veranstaltungen im Nationaltheater statt.

Karten

Tageskasse der Bayerischen Staatsoper

Marstallplatz 5

80539 München

[email protected]

T 089 – 21 85 19 20 www.staatsoper.de

89-95_SPIELPLAN_korr_mxmfrei.indd 90 09.01.12 20:25

Giuseppe Verdi

Musikalische Leitung Henrik Nánási

Inszenierung Günter Krämer

Marina Poplavskaya, Heike Grötzinger, Silvia Hauer, James Valenti, Leo

nucci, Francesco Petrozzi, Christian rieger, Peter Mazalán, Christoph

Stephinger, Dean Power, tim Kuyers, tareq nazmi

Di 14.02.12 19:30 Uhr

Fr 17.02.12 19:30 Uhr

Mi 22.02.12 19:30 Uhr

So 26.02.12 18:00 Uhr

Giacomo Puccini

Musikalische Leitung Stefano Ranzani

Inszenierung Wolf Busse

Svetla Vassileva, Okka von der Damerau, roberto alagna, Silvia Hauer,

Franco Vassallo, Ulrich reß, Christian rieger, Goran Juri,

tareq nazmi, Peter Mazalán

Sa 18.02.12 19:00 Uhr

Di 21.02.12 19:00 Uhr

Sa 25.02.12 19:00 Uhr

Do 01.03.12 19:00 Uhr

Gioachino Rossini

Musikalische Leitung Karel Mark Chichon

Inszenierung Ferruccio Soleri

antonino Siragusa, Donato Di Stefano, tara erraught, Fabio Maria Ca-

pitanucci, Lorenzo regazzo, tim Kuyers, rüdiger trebes, evgeniya

Sotnikova, Kenneth roberson

So 04.03.12 19:00 Uhr

Mi 07.03.12 19:00 Uhr

Fr 09.03.12 19:00 Uhr

Di 13.03.12 19:00 Uhr

Richard Wagner

Musikalische Leitung Kent Nagano

Inszenierung Andreas Kriegenburg

Klaus Florian Vogt, ain anger, Juha Uusitalo, anja Kampe, Katarina

Dalayman, Sophie Koch, erika Wueschner, Danielle Halbwachs, Golda

Schultz, Heike Grötzinger, roswitha C. Müller, alexandra Petersamer,

Okka von der Damerau, anaïk Morel

So 11.03.12 16:00 Uhr Premiere

Do 15.03.12 17:00 Uhr

So 18.03.12 16:00 Uhr

So 25.03.12 16:00 Uhr

sponsored by

Giuseppe Verdi

Musikalische Leitung Asher Fisch

Inszenierung Jürgen Rose

rené Pape, Jonas Kaufmann, Mariusz Kwiecien, eric Halfvarson,

Diogenes randes, anja Harteros, anna Smirnova, Laura tatulescu,

Francesco Petrozzi, Kenneth roberson, evgeniya Sotnikova,

tim Kuyers, Peter Mazalán, Levente Molnár, Christian rieger,

Christoph Stephinger, rüdiger trebes

Do 26.01.12 18:00 Uhr

So 29.01.12 17:00 Uhr

Gaetano Donizetti

Musikalische Leitung Friedrich Haider

Inszenierung Christof Loy

edita Gruberova, Fabio Maria Capitanucci, Carmen Oprisanu 01./05.02.,

Sonia Ganassi 09./13.02., Joseph Calleja, Francesco Petrozzi, Goran

Jurić, John Chest

Mi 01.02.12 19:00 Uhr

So 05.02.12 17:00 Uhr

Do 09.02.12 19:00 Uhr

Mo 13.02.12 19:30 Uhr

Richard Wagner

Musikalische Leitung Kent Nagano

Inszenierung Andreas Kriegenburg

Johan reuter, Levente Molnár, thomas Blondelle, Stefan Margita,

Wolfgang Koch, Ulrich reß, Diogenes randes, Phillip ens, Sophie Koch,

aga Mikolaj, Catherine Wyn-rogers, eri nakamura, angela Brower,

Okka von der Damerau

Sa 04.02.12 19:00 Uhr Premiere

Mi 08.02.12 19:30 Uhr

So 12.02.12 16:00 Uhr

sponsored by

Don Carlo

Il barbiere di Siviglia

Madama Butterfly

Oper

roberto Devereux

Das rheingold

La traviata

Die Walküre

aGenDa 91

89-95_SPIELPLAN_korr_mxmfrei.indd 91 09.01.12 20:25

Page 48: Ring erzählen - Bayerische Staatsoper · Hommage an Die Simpsons im Jahr 199ß ausgewählt, als ihr erstes Kinderbuch Lulu Magazine veröffentlicht wurde. Ihre Arbeit – in Illustrationen,

Giuseppe Verdi

Musikalische Leitung Teodor Currentzis

Inszenierung Martin Kušej

Franco Vassallo, Christof Fischesser, tatiana Serjan, evgeniya Sotniko-

va, Francesco Demuro, Fabrizio Mercurio, Christoph Stephinger, rüdi-

ger trebes, Christian rieger, tareq nazmi, Iulia Maria Dan, Solist des

tölzer Knabenchors

Mi 14.03.12 19:00 Uhr

Sa 17.03.12 19:00 Uhr

Di 20.03.12 19:00 Uhr

Fr 23.03.12 19:00 Uhr

Peter I. Tschaikowsky

Musikalische Leitung Pietari Inkinen

Inszenierung Krzysztof Warlikowski

Heike Grötzinger, ekaterina Scherbachenko, alisa Kolosova, elena Zi-

lio, Simon Keenlyside, Pavol Breslik, ain anger, Ulrich reß

Mi 21.03.12 19:00 Uhr

Sa 24.03.12 19:00 Uhr

Mi 28.03.12 19:00 Uhr

Giuseppe Verdi

Musikalische Leitung Karel Mark Chichon

Inszenierung Francesca Zambello

Peter Seiffert, Juha Uusitalo, Pavol Breslik, Francesco Petrozzi, Dioge-

nes randes, Goran Juri, Peter Mazalán, Krassimira Stoyanova

Sa 31.03.12 19:00 Uhr

Di 03.04.12 19:00 Uhr

Sa 07.04.12 19:00 Uhr

Di 10.04.12 19:00 Uhr

Richard Wagner

Musikalische Leitung Kent Nagano

Inszenierung Peter Konwitschny

Michael Volle, Diogenes randes, Stephen Milling, Christopher Ventris,

Gerd Grochowski, Waltraud Meier, Kevin Conners, Levente Molnár, So-

list des tölzer Knabenchors, Ulrich reß, Kenneth roberson, anna Vi-

rovlansky, Laura tatulescu, tara erraught, eri nakamura, angela Bro-

wer, Okka von der Damerau

Do 05.04.12 17:00 Uhr

So 08.04.12 17:00 Uhr

John Neumeier

Musik Peter I. Tschaikowsky

Solisten und ensemble des Bayerischen Staatsballetts

Musikalische Leitung Valery Ovsianikov

Sa 28.01.12 19:30 Uhr

Simone Sandroni / Russell Maliphant / Kenneth MacMillan

Musik 48nord / Eric Satie / Frank Martin

Solisten und ensemble des Bayerischen Staatsballetts

Mo 30.01.12 19:30 Uhr Prinzregententheater Premiere

Di 31.01.12 19:30 Uhr Prinzregententheater

Mi 01.02.12 19:30 Uhr Prinzregententheater

Do 02.02.12 19:30 Uhr Prinzregententheater

Der Nussknacker

Das Mädchen und der Messerwerfer / AfterLight / Broken Falls / Las Hermanas

Otello

parsifal

BALLett

eugen Onegin

Macbeth

aGenDa 92

ein Mädchen, „nicht einmal jung“,

wie es in den Versen des Gedicht-

zyklus Das Mädchen und der

Messerwerfer von Wolf Wondrat-

schek heißt. es hat keinen

namen, scheint verwandt mit den

Figuren aus Carson McCullers

romanen über die Mädchen, die

ein Junge sein wollten: Sie haben

gemeinsam, dass sie sich nicht

wohl in ihrer Haut fühlen, verlo-

ren, allein, einsam. akribisch

beobachten sie Menschen und

Umgebung, ungnädig, unver-

söhnlich. Das Mädchen geht durch

das Leben, ohne Verbindung

aufzunehmen, ohne dazuzugehören,

sich trotzig behauptend. „alle

auf der Bühne sind allein“, schreibt

der autor, „das Mädchen sollte

das Herzstück sein, fragil, verletz-

bar, geheimnisvoll.“ Der Choreo-

graph Sandroni erzählt diese

Geschichte in seiner wilden, leisen,

dynamischen tanzsprache, mit

der Kanadierin emma Barrowman

in der Hauptpartie.

Folgen wird mit Las Hermanas

eine klassische erzählung der

1960er Jahre, nach dem Drama

Bernarda Albas Haus von

Federico García Lorca und nach

der Choreographie von Kenneth

MacMillan, einem der großen

englischen erzähler auf der Ballett-

bühne, psychologisch sezierend,

leidenschaftlich, expressiv. Der

Link zwischen beiden traditionen

ist russell Maliphant, royal

Ballet School-absolvent und ehe-

mals tänzer am royal Ballet Lon-

don. er kommt mit zwei heraus-

ragenden preisgekrönten Stücken,

seinem Solo AfterLight und

dem trio Broken Falls, ursprüng-

lich geschaffen für Sylvie Guillem

und die Ballet Boyz, in Mün-

chen interpretiert von ekaterina

Petina, erik Murzagaliyev und

Marlon Dino. Zeitgenössische eng-

lische Choreographie vom Feinsten.

–bwb

Starke Stücke –

Zur Premiere von Das Mädchen und der Messer werfer

89-95_SPIELPLAN_korr_mxmfrei.indd 92 09.01.12 20:25

Frederick Ashton / Kenneth MacMillan

Scènes de ballet / Five Brahms Waltzes in the Manner of Isadora Dun-

can / Frühlingsstimmen / Das Lied von der erde

Musik Igor Strawinsky, Johannes Brahms, Johann Strauß, Gustav

Mahler

Solisten und ensemble des Bayerischen Staatsballetts

Musikalische Leitung Ryusuke Numajiri

Do 29.03.12 19:30 Uhr

Fr 30.03.12 19:30 Uhr

So 01.04.12 18:00 Uhr

Der Choreograph Frederick ashton

Sa 17.03.12 20:00 Uhr Ballettprobenhaus, Platzl 7

Der Choreograph Kenneth MacMillan

Sa 24.03.12 20:00 Uhr Ballettprobenhaus, Platzl 7

Nacho Duato

Musik Johann Sebastian Bach

Solisten und ensemble des Bayerischen Staatsballetts

Mo 06.02.12 19:30 Uhr

Di 07.02.12 19:30 Uhr

Jörg Mannes / Terence Kohler

Musik Maurice Ravel

Solisten und ensemble des Bayerischen Staatsballetts

Musikalische Leitung Michael Schmidtsdorff

Fr 10.02.12 19:30 Uhr

Sa 11.02.12 19:30 Uhr

Mi 15.02.12 19:30 Uhr

Do 16.02.12 19:30 Uhr

Fr 24.02.12 19:30 Uhr

Marius Petipa

Musik Peter I. Tschaikowsky

Inszenierung und neue Choreographie Ivan Liška

Solisten und ensemble des Bayerischen Staatsballetts

Musikalische Leitung Myron Romanul

So 19.02.12 17:00 Uhr

Mo 20.02.12 19:30 Uhr

Fr 02.03.12 19:30 Uhr

Sa 03.03.12 19:30 Uhr

Mi 04.04.12 19:30 Uhr

Mo 09.04.12 18:00 Uhr

John Neumeier

Musik Peter I. Tschaikowsky

Solisten und ensemble des Bayerischen Staatsballetts

Musikalische Leitung Michael Schmidtsdorff

Sa 10.03.12 19:00 Uhr

Mo 12.03.12 19:00 Uhr

Fr 16.03.12 19:00 Uhr

Mo 19.03.12 19:00 Uhr

Do 22.03.12 19:00 Uhr

Mein ravel: Wohin er auch blickt ... / Daphnis und Chloé

Dornröschen

Illusionen – wie Schwanensee

Steps & times

Ballett extra

Vielfältigkeit. Formen von Stille und Leere

aGenDa 93

89-95_SPIELPLAN_korr_mxmfrei.indd 93 09.01.12 20:25

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PARTNER DES BAyERISCHEN STAATSORCHESTERS

Joseph Haydn, Gheorghe Mustea, Dmitri Schostakowitsch

Violine Rita Rózsa, Immanuel Drißner

Viola Adrian Mustea

Violoncello Rupert Buchner

Di 24.01.12 20:00 Uhr Allerheiligen Hofkirche

Wolfgang amadeus Mozart

Christoph Well liest Bäsle-Briefe

Flöte Andrea Ikker

Violine Ulrike Collins

Viola Wolfgang Berg

Violoncello yves Savary

Di 14.02.12 20:00 Uhr Allerheiligen Hofkirche

Joseph Haydn, Louise Farrenc, George Crumb, Carl Maria von Weber

Flöte Katharina Kutnewsky

Violoncello Anja Fabricius

Klavier Fritz Schwinghammer

So 04.03.12 11:00 Uhr Allerheiligen Hofkirche

Di 06.03.12 20:00 Uhr Allerheiligen Hofkirche

nikolai rimsky-Korsakov, Paul Dukas, richard Strauss

Musikalische Leitung Kurt Masur

Mo 26.03.12 20:00 Uhr

Di 27.03.12 20:00 Uhr

Carl Loewe, robert Schumann, richard Strauss, Gustav Mahler

Bassbariton Thomas Quasthoff

Klavier Justus Zeyen

Fr 03.02.12 20:00 Uhr

rInGSeMInar: DaS rHeInGOLD

So 12.02.12 09:00 Uhr Capriccio-Saal

Mo 13.02.12 18:00 Uhr Capriccio-Saal

rInG-MatInee 2: arBeIt

So 26.02.12 11:00 Uhr

rInG-MatInee 3: MaCHt

So 04.03.12 11:00 Uhr Senatssaal des Bayerischen Landtags,

Maximilianeum

rInG-SeMInar: DIe WaLKüre

So 18.03.12 09:00 Uhr Capriccio-Saal

Mo 19.03.12 18:00 Uhr Capriccio-Saal

3. Kammerkonzert

Liederabendthomas Quasthoff

Faschingskammerkonzert

4. Kammerkonzert

4. Akademiekonzert

rUND UM DeN rING – DAS BeGLeItprOGrAMM

aGenDa 94

LIeDerABeNDKONzerte

89-95_SPIELPLAN_korr_mxmfrei.indd 94 09.01.12 20:25

engelbert Humperdinck / Frank rudhardt

Sa 28.01.12 14:30 Uhr Parkett, Garderobe

Sa 18.02.12 14:00 Uhr Ballettprobenhaus, Platzl 7

Sa 25.02.12 14:00 Uhr Ballettprobenhaus, Platzl 7

Modest Mussorgsky

Sa 10.03.12 14:30 Uhr Parkett, Garderobe

Sa 17.03.12 14:30 Uhr Parkett, Garderobe

Fr 16.03.12 15:00 Uhr Treffpunkt: Seitlicher Eingang

an der Maximilianstraße

Sprecher Dr. Günther Beckstein, Ministerpräsident a.D.

Do 29.03.12 19:30 Uhr Allerheiligen Hofkirche

Der Vorverkauf erfolgt über die Freunde des nationaltheaters e.V.:

t 089 – 53 10 48 oder [email protected]

HAUPTSPONSOR DER ORCHESTERAKADEMIE

Sitzkissenkonzert:Hänsel und Gretel

Spiel Ballett: es war einmal und ist noch nicht vorbei …

Sitzkissenkonzert:Die Kinderstube

Wovon erzählt uns richard Wagner?

passionskonzert

Illustration Gian Gisiger, Bureau Mirko Borsche aGenDa 95

CAMpUS

89-95_SPIELPLAN_korr_mxmfrei.indd 95 09.01.12 20:26

Page 50: Ring erzählen - Bayerische Staatsoper · Hommage an Die Simpsons im Jahr 199ß ausgewählt, als ihr erstes Kinderbuch Lulu Magazine veröffentlicht wurde. Ihre Arbeit – in Illustrationen,

Der Berliner Künstler Dennis Rudolph, Jahrgang 1979,

gestaltet die Plakatserien für den Ring des Nibelungen

in der Spielzeit 2011/12. Dennis Rudolph arbeitet in

verschiedensten künstlerischen Medien wie Malerei,

experimentelle Druckgrafik, Zeichnung und Fotografie.

Dabei sind es immer die historischen Dimensionen, die

ihn interessieren und die er mit zeitgenössischem Stil

und zeitgenössischem Denken überlagert und ins Heute

spielt. Auf diese Weise tragen uns seine Arbeiten mitten

in die Auseinandersetzung.

96-100_PLAKATKUENSTLER_VORSCHAU_05_01_frei.indd 96 10.01.12 10:03 96-100_PLAKATKUENSTLER_VORSCHAU_05_01_frei.indd 97 10.01.12 10:03

Page 51: Ring erzählen - Bayerische Staatsoper · Hommage an Die Simpsons im Jahr 199ß ausgewählt, als ihr erstes Kinderbuch Lulu Magazine veröffentlicht wurde. Ihre Arbeit – in Illustrationen,

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Page 52: Ring erzählen - Bayerische Staatsoper · Hommage an Die Simpsons im Jahr 199ß ausgewählt, als ihr erstes Kinderbuch Lulu Magazine veröffentlicht wurde. Ihre Arbeit – in Illustrationen,

* Vlado Milunic & Frank Gehry: „Das tanzende Haus“ Foto

: Wik

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LEIDENSCHAFTVERBINDET.

Als eines der weltweit führenden Gase- und Engineeringunternehmen wissen wir: Technik, Erfahrung und Präzision sind die Voraussetzung für höchste Qualität. So auch in der Musik. Wir freuen uns, die Bayerische Staatsoper als Spielzeitpartner zu begleiten. Wir teilen den Anspruch, kontinuierlich neue Maßstäbe zu setzen. Ob musikalisch oder techno-logisch – hinter jeder hervorragenden Leistung stehen Menschen mit Ambition.