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Rüstung und Beschaffung in Deutschland Stand und Herausforderungen, Dilemmata konstruktiv managen September 2017

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Rüstung und Beschaffung in Deutschland

Stand und Herausforderungen, Dilemmata konstruktiv managen

September 2017

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1.0 Executive Summary

Inhalt

2.0Hintergrund:Wohlstand braucht Sicherheit, Sicher-heit braucht Rüstung

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3Rüstung und Beschaffung in Deutschland |

3.0 Drei Dilemmata der Rüstung

3.1 Das ökonomische Dilemma

3.2 Das Souveränitätsdilemma

3.3 Das deutsche Dilemma

4.0 Ausblick: Die Zukunft des deutschen Rüstungssektors gestalten 4.1 Neue Dynamik für Kooperationen

4.2 Rüstungspolitik und Beschaffung weiterentwickeln

4.3 Kommende Herausforderungen aufgreifen

5.0 Schlussbemerkung

Ihre Ansprechpartner

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1.0Executive SummarySicherheit ist eine notwendige Voraussetzung von Wohlstand, Investitionen und Wachstum. Die inter- nationalen Sicherheitslage hat sich mit den Entwick-lungen der letzten Jahre, von Russland über Afrika und Syrien bis nach Asien, wesentlich verändert. Zwar wird Sicherheit durch weit mehr geschaffen als durch militärische Beiträge, aber vor dem Hinter-grund dieser Veränderungen hat der Stellenwert von Rüstung und die Notwendigkeit zu Investitionen in diesem Bereich zugenommen. Weil die USA weniger bereit sind, sich für die Sicherheit Europas zu enga-gieren, steigen die Erwartungen an Deutschland.

Damit steht Deutschland einerseits vor dem Problem zu entscheiden, wie es zusätzliche Ressourcen sinn-voll für mehr Sicherheit ausgibt. Andererseits ist gerade der Rüstungsbereich für seine Ineffizienzen bekannt. Selten gelingt es, bei Rüstungsprojekten die Vorgaben mit Blick auf Zeit, Leistung und Kosten einzuhalten. Dabei schließen drei Dilemmata einen Königsweg in der Rüstungspolitik und -beschaffung aus, sie führen vielmehr zu Zielkonflikten:

• Das ökonomische Dilemma: Verteidigungs- und Rüstungsplanung sind eine Wette auf eine unvorhersehbare Zukunft, geprägt durch eine zunehmende Dynamik der geopoliti-schen und technologischen Entwicklungen. Rüs-tung erfordert aber zu einem frühen Zeitpunkt ein langfristiges Engagement und kontinuierliche Investitionen in Menschen, Strukturen und Ausrüs-tung bei knappen Ressourcen. Dies erschwert die Initiierung von Rüstungsprojekten. Gleichzeitig ändern sich die Anforderungen im Verlauf eines langen Rüstungsprozesses, sodass sich die Kosten aufgrund von Anpassungen erhöhen und Entwick-lungszeiten verlängern. Die Aufrechterhaltung von begonnenen Projekten wird hierdurch erschwert.

• Das Souveränitätsdilemma: Eine internationale Kooperation könnte erhebliche Effizienzgewinne in der Rüstung bedeuten. Doch weil dies bedeutet, Abhängigkeiten und Kompro-misse einzugehen und die Möglichkeit der alleini-gen Entscheidung im Bereich der Sicherheitspolitik aufzugeben, steht eine solche Kooperation im Spannungsverhältnis zum Streben der Staaten nach nationaler Souveränität. Dieses Dilemma materialisiert sich in teilweise unvereinbaren Unterschieden bei den nationalen Prinzipien und Prozessen von Rüstungspolitik und -beschaffung.

• Das deutsche Dilemma: Die Besonderheiten des deutschen politischen und gesellschaftlichen Systems, der historischen Erfahrung und der industriellen Struktur führen zu einem ambivalenten Umgang mit rüstungs- politischen und -industriellen Themen. Der Bogen spannt sich von der mangelnden Vermittlung der Bedeutung von Rüstung über widersprüchliche Impulse und geringe Unterstützung der eigenen Industrie bis hin zu Defiziten im Beschaffungs- management und dem noch fehlenden Umgang mit den neuen Herausforderungen für den deutschen Rüstungssektor.

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Eine ökonomisch machbare und zugleich verant- wortungsvolle Sicherheitspolitik im deutschen Rüs-tungssektor kann an drei Punkten ansetzen:

• Internationale Kooperation bleibt eine zentrale Möglichkeit, Kosten zu senken und gemeinsam politisch mehr Sicherheit zu erreichen. Die Initiati-ven rund um die europäische Verteidigung bedeu-ten hierfür ein konkretes Möglichkeitsfenster. Die Intensität von Kooperationen und damit auch ihrer Wirkung findet ihre Grenze in dem Umfang der gewünschten nationalen Souveränität bzw. in dem Grad der Verlässlichkeit von Partnern. Der Um-gang mit diesem Spannungsfeld muss für die Politik in nächsten Jahren mit Blick auf einen verlässlichen Rahmen für langfristige Rüstungs-projekte eine zentrale Aufgabe sein.

• Nationale Weiterentwicklungen: In jüngster Vergangenheit hat Deutschland zahlreiche viel- versprechende Initiativen im Bereich Rüstungs- politik und -beschaffung hervorgebracht. Diese gilt es weiterzutreiben und gute Entwicklungen zu verstetigen. Für eine zunehmende Europäisierung der Beschaffung gilt es ferner, zum einen eine Harmonisierung von Standards zu forcieren und zum anderen einen strategischen Rahmen für die Verteidigungsindustrie zu entwickeln.

• Neues antizipieren und adaptieren: Neben der absehbar auch zukünftig angespannten internatio-nalen Sicherheitslage sind wesentliche neue Im-pulse für die Veränderung des Rüstungssektors bereits erkennbar. Neben der weiteren Digitalisie-rung wird die Verstetigung von Wandel selbst eine Herausforderung sein, denn dies verspricht ständige Bewegung und neue Impulse aus ver-schiedenen Richtungen. Diese Dynamik, z. B. im Bereich der Cyber- und Informationstechnologien, muss Rüstung und Beschaffung prozessual und kulturell aufnehmen können. Ferner sollten in diesem Zusammenhang gesellschaftspolitische

Fragen, wie z. B. zu dem Einsatz von autonomen Waffensystemen, aufgeklärt geführt und in eine rüstungspolitische Strategie überführt werden.

Zudem kann die Politik wichtige Grundbedingungen verbessern: Sie sollte langfristiges Engagement und kontinuierliche Investitionen in Menschen, Strukturen und Ausrüstung sicherstellen und damit die notwendige Planungssicherheit für die Industrie schaffen. Letztlich ist die erfolgreiche Vermittlung von Rüstung als Beitrag zur Sicherheit die essenzi-elle Basis für eine nachhaltige Rüstungspolitik.

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2.0Hintergrund:Wohlstand braucht Sicherheit, Sicher- heit braucht RüstungSicherheit ist eine notwendige Voraussetzung für gesell-schaftlichen Wohlstand, für Investitionen und Wachstum. Krisen und Konflikte hingegen erzeugen Kosten und volkswirtschaftlichen Schaden.

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Wesentliche Veränderungen in der internationalen Sicherheitslage der letzten Jahre, von Russland über Afrika und Syrien bis nach Asien (asymmetrische und symmetrische Bedrohungen), haben auch in Deutsch-land verdeutlicht, dass Sicherheit nicht automatisch gegeben und folglich Verteidigungspolitik notwendi-ger Bestandteil des Schutzes des Landes und seiner Gesellschaft ist.

Zwar wird Sicherheit durch weit mehr geschaffen als durch militärische Beiträge. Doch geopolitische Entwicklungen wie islamistisch motivierter Terror, aufstrebende Militärmächte wie China und die aggressive und revisionistische Politik Russlands drängen auch der europäischen Sicherheitspolitik zunehmend eine militärische Dimension auf.

Gleichzeitig sind die USA immer weniger bereit, Sicherheit in und für Europa zu gewährleisten. Sie fordern seit Langem, dass Europa — und damit auch Deutschland — mehr für seine Sicherheit ausgibt. So haben die NATO-Staaten das sogenannte 2-Pro-zent-Ziel, das besagt, dass sie mindestens zwei Prozent vom Bruttoinlandsprodukt für Verteidigung ausgeben, in jüngster Zeit mehrfach bestätigt.

Mit der zunehmenden Bedeutung des Militärischen und der passiveren Rolle der USA steigen die Erwar-tungen an Deutschland als größte Volkswirtschaft Europas, seinen Wohlstand für die Sicherheit des Kontinents einzusetzen und eine größere Rolle in der europäischen Verteidigungspolitik zu spielen.

Mit der Verteidigung gewinnt auch die Rüstung an Bedeutung. Einen nicht unwesentlichen Teil der zukünftigen Verteidigungsausgaben müssen die Europäer in die Modernisierung und eine bessere und umfangreichere Ausstattung ihrer Armeen investieren.

Mit der sicherheitspolitischen Unsicherheit erhöht sich die Notwendigkeit, in Personal und Material zu investieren. Doch die Entscheidung, wie diese zusätz-lichen Ressourcen am sinnvollsten einzusetzen sind, ist nicht einfach, sie wird vor dem Hintergrund der Dynamik der Krisen der letzten Jahre sogar komple-xer. Welche Rüstungsgüter sind die richtigen, worin

sollten Staaten investieren? Was sind die Technolo-gien der Zukunft? Gegen welche Risiken und Bedro-hungen sollen Staaten sich schützen? Welche Investi-tionen kann ein Land überhaupt noch allein tätigen, und welche sind so hoch, dass nur noch Nationen gemeinsam dazu in der Lage sind? Die Antwort auf die Frage, was militärisch erforderlich ist, kann sich mit dem schnelleren Wandel sicherheitspolitischer Beurteilungen und Pläne verändern.

An Rüstung werden traditionell hohe Ansprüche gestellt — von den Streitkräften, vom Steuerzahler, aber auch von der Industrie selbst. Gleichzeitig hat Rüstung insgesamt den Ruf, zu spät und zu teuer zu sein und nicht den Anforderungen zu entsprechen. Bei genauerer Betrachtung scheint die Erfüllung aller Ansprüche nahezu unmöglich — nicht nur, weil Rüs-tung ein komplexes Unterfangen ist, sondern auch weil die Ansprüche teilweise widersprüchlich sind oder sich über die lange Zeit, die eine Beschaffung in Anspruch nimmt, verändern.

2.0 Hintergrund: Wohlstand braucht Sicherheit, Sicherheit braucht Rüstung

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Es gibt zahlreiche Ansätze, um Rüstung zu verbes-sern, aber die Erfahrung hat gezeigt, dass es offen-sichtlich keinen Königsweg gibt: Entscheidungen für eine Alternative bringen in der Regel auch negative Konsequenzen mit sich, sowohl politischer als auch finanzieller Natur. So kann zum Beispiel die Koopera-tion mit einem politisch bevorzugten Partner finanzi-ell teurer sein als die mit dem industriell leistungs- fähigsten (aber ungeliebten) Partner.

Tatsächlich stoßen Entscheidungsträger bei der Entwicklung von Verbesserungsvorschlägen regel- mäßig auf große Herausforderungen, die mitunter nur schwer lösbar erscheinen. In diesem Beitrag argumentieren wir, dass diese Herausforderungen aus drei Dilemmata resultieren, die Sicherheitspolitik und Rüstung in Deutschland prägen (Abschnitt 3, ab S. 10). Gleichzeitig führen die drei Dilemmata zu einer Reihe von Zielkonflikten, die nicht vollumfäng-lich aufgelöst werden können.

Deshalb lässt sich für zentrale Herausforderun-gen der Rüstung wie die Verbesserung von Produkten und das Management von Prozessen auch keine einfache Blaupause erstellen. Ein erfolg- versprechendes Rezept scheint vielmehr ein gesunder Realismus und die Akzeptanz zu sein, dass zwar deutliche Verbesserungen möglich sind, aber ehrlicherweise leider keine perfekten Lösungen. Wesentliche Grundzüge einer solchen realistischen Herangehensweise zur Bewältigung zentraler Herausforderungen der Rüstungspolitik legen wir ebenfalls dar (Abschnitt 4.0, ab S. 23).

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Herausforderungen in der Rüstung resultieren aus drei Dilemmata

2.0 Hintergrund: Wohlstand braucht Sicherheit, Sicherheit braucht Rüstung

Ökonomisches Dilemma

Rüstungspolitische und industrielle Ambivalenzen

Mangelnde politische Vermittlung von Rüstung als Schutz und Vorsorge

Widersprüchliche Signale für die ökonomische Zukunft des deutschen Rüstungssektors

Langer Atem für Veränderungen in der Beschaffung nötig

Die verteidigungsindustrielle Basis verharrt zwischen Internationalisierung, Fragmentierung

und Konsolidierung

Zivile Innovation wird zentraler Treiber

Heutige Investitionen sind eine Wette auf die Zukunft

Langfristige Investitionen sind schwer zu begründen

Investitionen und Projekte sind schwer über die gesamte Zeitspanne

aufrechtzuerhalten

Kooperationen stehen mit nationaler Souveränität in einem Spannungsverhältnis

Unterschiede in den nationalen Prinzipien und Prozessen behindern erfolgreiche

internationale Rüstungskooperationen

Souveränitätsdilemma

Deutsches Dilemma

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3.0Drei Dilemmatader RüstungDrei Dilemmata charakterisieren das Thema Rüstung:

Das ökonomische Dilemma: Verteidigungs- und Rüstungs- planung sind zu einem großen Teil eine Wette auf eine unvorhersehbare Zukunft, geprägt durch eine zunehmende Dynamik der geopolitischen und technologischen Entwick- lungen. Damit die Wette aber überhaupt gewonnen werden kann, sind zu einem frühen Zeitpunkt ein langfristiges Engage-ment und kontinuierliche Investitionen in Menschen, Struktu-ren und Ausrüstung bei knappen Ressourcen vonnöten.

Das Souveränitätsdilemma: Kooperationen mit dem Ziel wirtschaftlicher Effizienz und militärischer Effektivität stehen mit nationaler Souveränität in einem Spannungsverhältnis.

Das deutsche Dilemma: Die Besonderheiten des deutschen politischen und gesellschaftlichen Systems, der historischen Erfahrung und der industriellen Struktur führen zu einem ambivalenten Umgang mit rüstungspolitischen und -indust-riellen Themen.

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3.0 Drei Dilemmata der Rüstung

Heutige Investitionen sind eine Wetteauf die Zukunft

Sicherheitspolitik ist in weiten Teilen die Vorsorge für den Fall negativer Ereignisse. Verteidigungspolitik und insbesondere Rüstung sind durch ein ökonomi-sches Dilemma erschwert, denn die Vorbereitung bezieht sich auf antizipierte Ereignisse, die weit in der Zukunft liegen können oder — im besten Fall — über-haupt nicht eintreten.

Hier zeigen sich die Grenzen von Verteidigungs- und Rüstungsplanung. Sie sind ist zu einem großen Teil immer eine Wette auf die Zukunft. Dieser lang-fristige Planungs- und Investitionshorizont trifft auf eine zunehmende Dynamik der geopolitischen und technologischen Entwicklungen. Die Panzer, die die Bundeswehr aufgrund ihrer heutigen Sicherheits- analyse kauft, wird sie die nächsten 30 Jahre nutzen — in der Hoffnung, dass sie auch dann noch ein pro- bates Mittel gegen die sicherheitspolitischen Probleme sind.

Die Entwicklung, Herstellung und Produktion von Rüstungsgütern ist außerordentlich langwierig: Sie dauert oft ein oder mehrere Jahrzehnte. Der Aus- und Aufbau von Streitkräften und Waffensystemen erfordert deshalb die langfristige Bindung finanzieller Ressourcen. Vor allem große und komplexe Projekte wie das Mehrzweckkampfflugzeug Tornado oder Fregatten fallen durch lange Entwicklungszeiten auf.

Es ist zudem weder finanziell noch planerisch mög-lich, Streitkräfte auf jeden möglichen Konflikt vorzu-bereiten und dafür auszurüsten. Deshalb geht man mit der Beschaffungsentscheidung eine Wette ein:

3.1Das ökonomische Dilemma

Langfristige Investitionen sind schwer zu begründen

Große Investitionen müssen getätigt werden, obwohl noch keine konkrete Herausforderung sichtbar ist. Der oft weit in der Zukunft lie-gende Horizont einer hypothetischen Bedro-hungslage macht es politisch schwierig, Rüs-tungsausgaben und deren Höhe bei knappen Ressourcen zu begründen. Denn die Heraus-forderungen sind zeitlich weit entfernt und es gibt oft andere drängendere und greifbarere Probleme. Zudem interpretieren manche Be-obachter Rüstung als gefährliche Eskalation. Die politische Diskussion ist daher bei Rüstungsprojekten oft kontrovers.

darauf, dass die Annahmen über die Zukunft von Konflikten richtig sind, vor allem die Szenarien, die der Beschaffung von Rüstungsgütern zugrunde liegen. Die Erfahrung hat jedoch gezeigt, dass Annahmen über die Zukunft für die Planung zwar notwendig sind, aber äußerst selten eintreffen.

Konkrete Einsätze — und auch die Intensität von Konflikten — sind unvorhersehbar, auch wenn gene-relles Wissen um Konfliktgründe vorhanden ist. Hinzu kommt, dass sich die Bandbreite der Mittel verändert: Neben der militärisch-konventionellen haben Kon-flikte zunehmend eine hybride Dimension, etwa den Einsatz nichtmilitärischer Mittel wie Propaganda und Cyber-Attacken. Deshalb sind selbst langfristig und vorausschauend aufgebaute Kräfte und Waffensys-teme nicht notwendigerweise unmittelbar und voll-ständig für die Bewältigung künftiger Krisen geeig-net. Die Systeme müssen regelmäßig an die kon- kreten Bedingungen der Konflikte angepasst werden: etwa Sandfilter für den Hubschraubereinsatz in Afghanistan oder Mali. Gleichzeitig erfordern die langen Herstellungszyklen, dass sich die Länder lang-fristig an eine Beschaffung binden.

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Investitionen und Projektesind schwer über die gesamte Zeit- spanne aufrechtzuerhalten

Hinzu kommt eine weitere wichtige Folge dieser langen Zeitspanne von Entwicklungsbeginn bis zur Lieferung des fertigen Systems: Während dieser Zeitspanne ändern sich die Bedrohungslage oder der für die Zukunft angenommene Fähigkeitsbedarf, manchmal sogar beides, und das mehrfach. Bestes Beispiel ist der Eurofighter: Der Bau wurde 1985, also im Kalten Krieg und für die damaligen Bedürf-nisse, beschlossen; das Flugzeug flog aber erst 1994, also nach dem Ende des Kalten Krieges, zum ersten Mal. Erst 2004, rund 20 Jahre nach dem Baube-schluss und in einer völlig veränderten Sicherheits-lage, wurde der Eurofighter in Dienst gestellt — zu dem Zeitpunkt war der Fähigkeitsbedarf ein ganz anderer. Heute, 2017 hingegen, sind seine Fähig- keiten als Jagdflugzeug wieder gefragt.

Ändert sich das Bedrohungsszenario, wird oft auch das Rüstungsprodukt an diese Veränderungen ange-passt. Geändert werden häufig die Mengen und die Ausstattung. Massiv sichtbar wurde die äußere Ver-änderung nach dem Ende des Kalten Krieges, das zu einem erheblichen Abbau des Personals und der Materialmengen geführt hatte (z. B. schwere Kampf-panzer). Die nachfolgenden Konflikte wie der Irak-krieg und die Kriege auf dem Balkan definierten neue und grundsätzlich andere Anforderungen an die Streitkräfte, z. B. den Bedarf an leichteren und schnell verlegbaren Fähigkeiten. Die veränderte Einschätzung der Sicherheitslage führte letztlich auch zu einer Veränderung der politischen Prioritä-ten. Mit dem Ende des Kalten Krieges schien es in Europa keine greifbare Bedrohung mehr zu geben und nach Einschätzung vieler gab es eine geringere Notwendigkeit für Sicherheitsvorsorge. Infolgedes-sen durchlief die Bundeswehr mehrere Sparpro-gramme. Für die Rüstungsausgaben bedeutete das eine qualitative und quantitative Anpassung und damit letztlich mehrheitlich eine Reduzierung der Rüstungsprojekte. Die Einsparziele der diversen Reformen führten zu einem Abbau der Stückzahlen bei den Waffensystemen und bei der Einsatzbereit-schaft der Bundeswehr.

Kurzfristige Anpassungen an politische Prioritä-ten stehen jedoch oftmals im Widerspruch zur Notwendigkeit einer langfristigen und kontinuier-lichen Bindung von Ressourcen, die für den Aufbau und den Erhalt von Streitkräften, aber auch einer unterstützenden Industrie über Jahr-zehnte hinweg erforderlich sind. Kürzungen können daher fatale und vor allem weitreichende Folgen haben; für laufende Entwicklungs- und Beschaffungsprojekte können sie bedeuten, dass die seit Beginn getätigten Investitionen durch den Stopp der Projekte verloren gehen.

Nationale Streitkräfte können aufgrund knapper Ressourcen selten ein umfassendes Fähigkeitsspekt-rum aufbieten, das auf alle Bedrohungen reagieren kann. Zudem verändern sich Bedrohungslagen oft schneller, als das Fähigkeitsspektrum einer Armee angepasst werden kann. Kooperationen und die Bündelung von Ressourcen können helfen, dieses ökonomische Dilemma abzumildern. Allerdings geht dies zulasten der nationalen Souveränität und führt damit unmittelbar zum nächsten Dilemma, zum Souveränitätsdilemma.

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Kooperationen stehen mitnationaler Souveränität in einem Spannungsverhältnis

Rüstung steht im Spannungsfeld zwischen Wirt-schaft und Politik. Ökonomische Gründe, also das oben angeführte Dilemma, sprechen für eine gemeinsame Beschaffung, zusammen mit EU- und NATO Partnern, um die Effizienz von Rüstung zu steigern. Mit dem Grad der Kooperation steigt aber auch die gegenseitige Abhängigkeit der Länder. Dies wiederum steht dem Souveränitätsanspruch und eigener Sicherheitsinteressen vieler Länder sowie dem Wunsch, nationale Steuergelder im eigenen Land und zugunsten der eigenen Industrie auszu- geben, entgegen.

Aus dem Souveränitätsanspruch der Nationalstaaten resultiert ihr Recht, Verteidigung zu betreiben: Sie tun dies auf der Basis ihres politischen und gesellschaft- lichen Mandats sowie aufgrund der Grenzen des Ver-trauens in ihre potenziellen Kooperationspartner. Des-halb bemühen sich Staaten, im Zweifelsfall selbst und unabhängig von Partnern entscheiden und handeln zu können. Der Anspruch, nationale Sicherheitsinter-essen eigenständig durchzusetzen, begründet auch das Interesse, das viele Staaten weltweit an „eigenen“ Rüstungskompetenzen und -kapazitäten haben. In der Tat hat Rüstung vor allem strategische Relevanz: Sie schafft keine klassischen Investitionsgüter (wie etwa Produktionsanlagen) oder Konsumgüter (wie Nah-rungsmittel), sondern Instrumente, mit denen ein Land seinen politischen Willen durchsetzen kann.

Dieses Souveränitätsargument für eine nationale Rüstungspolitik nutzen Regierungen und Parlamente häufig, um daraus ein ökonomisches Argument für nationale Rüstung abzuleiten. Wie jede andere Indus-trie auch, löst Rüstung als industrieller Produktions-prozess Wertschöpfungs- und Beschäftigungseffekte aus. Und wie bei jeder anderen Industrie gilt auch hier: Je höher die Fertigungstiefe im Inland, desto größer sind diese Effekte. Diese Effekte werden zugleich mit nationalen Steuergeldern finanziert — und der deutsche Steuerzahler als Arbeitnehmer profitiert davon. Deshalb verbinden Regierungen und Parlamente regelmäßig beschäftigungs- und strukturpolitische mit sicherheitspolitischen Zielen und argumentieren, dass nationale Steuergelder am besten national ausgegeben werden sollen.

Dieser nationalen Rhetorik steht jedoch die Realität weitgehend internationalisierter Verteidigungspolitik und Beschaffung gegenüber. Nur wenige Nationen weltweit verfügen über eine bedeutsame nationale rüstungsindustrielle Basis. Die meisten Armeen können ihren Bedarf nur noch durch internationale Beschaffung vollständig decken. Hinzu kommt der Trend, vor allem in Europa, dass sich auch die Streit-kräftestrukturen zunehmend internationalisieren. Vor allem das von Deutschland entwickelte Rahmen-nationenkonzept zielt darauf ab, dass große Ver-bände wie Divisionen und die dazugehörigen Luft- waffen und Flotten multinational, also von verschie-denen Ländern gemeinsam, aufgestellt werden.

Die Verteidigungsindustrie operiert deshalb in einem ökonomisch internationalisierten und gleichzeitig politisch sensiblen Marktumfeld; nirgendwo anders sind Staat und private Industrie so eng mit einander verbunden. Der Staat ist nicht nur alleiniger Abnehmer der Produkte, die vor allem für einen politischen Zweck gedacht sind, er stellt auch die Regeln für den Markt, in dem die Unternehmen operieren, auf. Er gibt also vor unter welchen Bedingungen produziert und angeboten werden darf, und er definiert zudem die Exportrichtlinien. Damit kontrolliert der Staat die beiden Bereiche, in denen die Unternehmen Gewinne erwirtschaften können: In- und Ausland. Und manch-mal ist der Staat auch Anteilseigner an Rüstungsunter-nehmen. Dies führt wiederum zu Interessenkonflikten.

3.2Das Souveränitätsdilemma

3.0 Drei Dilemmata der Rüstung

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Unterschiede in den nationalenPrinzipien und Prozessen behindern erfolgreiche internationale Rüstungs- kooperationenDas Mantra der stärkeren Kooperation, vor allem zwischen NATO und EU-Staaten, besteht schon lange. Die Länder regieren auch auf den ökonomischen Druck und beschaffen, wenn es nicht anders geht, Rüstungsgüter gemeinsam: Alle wesentlichen Groß- projekte im Rüstungsbereich, vom A400M bis zur zu-künftigen Euro-Drohne, sind internationale Projekte.

Dennoch ist das Ergebnis nicht ein gemeinsames und einheitliches Produkt; vom Transporthubschrauber NH 90 beispielsweise gibt es mehr als 20 Versionen bei 14 teilnehmenden Staaten. Doch die erhofften Effizienzgewinne gehen dann häufig wieder verloren. Der Grund liegt in einem zweifachen Spannungs- verhältnis: erstens dem zwischen nationaler und inter- nationaler Rüstungspolitik und zweitens dem zwi-schen dem Management von Rüstungsprojekten auf nationaler und auf internationaler Ebene.

Nationale und internationale Rüstungspolitik

Ein wesentlicher Teil der Probleme der Rüstungsbeschaffung ist nicht prozessimmanent, sondern politisch induziert. Die größten Rüstungs-projekte haben eines gemeinsam: Sie sind internationale Projekte. Deshalb definieren nicht nationale Beschaffungsprozesse die Rah-menbedingungen, sondern internationale politische Absprachen.

Weil es um Steuergelder und um wichtige Produkte geht, verhandeln die beteiligten Regierungen diese Projekte. Dabei kommen Akteure zusammen, die sehr unterschiedliche Vorstellungen davon haben, was sie mit Rüstung erreichen wollen und welche Prioritäten einzelne Projekte haben. Gleichzeitig wollen aber alle Länder ihr Geld vor allem zugunsten der eigenen Ökonomien ausgeben. Die Folge sind lang eta-blierte Prinzipien wie das „Juste Retour“: Wo die Produktion von Tei-len eines Gemeinschaftsprojekts stattfindet, entscheidet nicht die in-dustrielle oder technologische Kompetenz, sondern der Anteil des Landes am Kauf des Produktes. Dieser Anteil entspricht der Wert-schöpfung, die in dem Land stattfindet. Dinge, über die kein Konsens hergestellt werden kann, wie gemeinsame Standards für die Produk-tion des Gutes (etwa wie groß die Ladeklappe eines Hubschraubers sein oder welche Bewaffnung das System haben soll), werden ausge-klammert und national gelöst — so kommen die vielen Varianten eines Waffensystems zustande.

Nationales und internationales Rüstungsmanagement

Für die tägliche Umsetzung der Projekte sind nationale und interna- tionale Rüstungsagenturen zuständig, etwa die europäische OCCAR (Organisation Conjointe de Coopération en Matière d’Armement). Jedoch können die internationalen Agenturen nur in dem Rahmen agieren, den ihnen die internationalen politischen Vereinbarungen unter den Regierungen zubilligen. Diese Vereinbarungen enthalten aber immer wieder politische Kompromisse, die sich schwer umsetzen lassen, was wiederum zu Verzögerungen führt. Oder aber das natio-nale Interesse eines Landes verändert sich. Doch Stückzahlreduzie-rungen oder Designkorrekturen sind nur in Absprache mit den Part-nern und der Industrie möglich und wirken sich dann wiederum auf alle Partner aus.

Gleichzeitig bringen die nationalen Agenturen oftmals individuelle, nationale Beschaffungsprozeduren mit sich, die erstens nicht unter- einander kompatibel sind und in denen zweitens internationale Beschaffungen in der Regel nicht vorgesehen sind.

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3.0 Drei Dilemmata der Rüstung

Rüstungsmatrix: Politik und Management zwischen nationaler und internationaler Ebene

National (Deutschland)

Rüstungs-politikGrundsätze undPräferenzen

In der nationalen Rüstungspolitik kommen Grundsätze und Präferenzen zum Ausdruck: Warum rüstet ein Land? Welche Sicherheits- interessen hat das Land? Was möchte es be- schaffen, national oder international? Welches sind seine wichtigsten Partner?

Aussagen hierzu finden sich z. B. im „Konzept der Schlüsseltechnologien“ (2015) oder im „Weißbuch zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr“ (2016).

Im internationalen Rüstungsmanagement ver- walten internationale Agenturen wie die OCCAR oder verschiedene NATO-Agenturen die beschlos-senen Projekte. Ihre Gestaltungsmöglichkeiten sind jedoch gering — sie sind von den Staaten ab-hängig, die in ihren Gremien sitzen.

Sowohl in den Gremien der NATO und EU als auch bei multinationalen Projekten prallen die unterschiedlichen rüstungspolitischen Grund- sätze und Präferenzen der Staaten aufeinander. Kooperationen erfordern Kompromisse, also das Aufgeben von militärischen oder industriel- len Partikularinteressen.

Das nationale Rüstungsmanagement setzt die politischen Aufträge der Rüstungspolitik um. Es steuert den Lebenszyklus von Rüstungs- projekten. In Deutschland ist das BAAINBw1 zuständig für die Entwicklung, Erprobung und Beschaffung von Wehrmaterial, aber auch für die Nutzungsphase. Ein wesentliches Instrument der Steuerung ist das „Customer Product Management“.

Rüstungs-managementInstitutionen und Verfahren Standards

International(andere Länder und internationale Organisation, Vorschriften und Grundsätze)

1 Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr

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Rüstungspolitische und industrielleAmbivalenzen

In Deutschland zeigen sich das ökonomische und das Souveränitätsdilemma in besonderer Weise: beeinflusst durch die Besonderheiten des deutschen politischen und gesellschaftlichen Systems, der his- torischen Erfahrung und der industriellen Struktur. Die Konsequenz ist ein ambivalenter Umgang mit rüstungspolitischen und –industriellen Themen.

3.3Das deutsche Dilemma

Im Unterschied zu vielen europäischen Nachbarn ist in Deutschland Rüstung aufgrund seiner vielfälti-gen politischen, moralischen, industriellen und finan-ziellen Herausforderungen traditionell ein Thema, mit dem sich die Bürger und die Politik intensiv und kontrovers auseinandersetzen.

Rüstung in Deutschland verortet sich in drei Spannungsfeldern

3.0 Drei Dilemmata der Rüstung

Das erste ist das Spannungsfeld zwischen notwendiger Ausrüstung der Streitkräfte und moralischer Kritik an Rüstung. Rüstung ist skandal- umwittert und wird oft als moralisch zweifelhaft angesehen. Gleichzeitig ist sie unabdingbar für die Sicherheits- vorsorge im militärischen Bereich: Verteidigungsfähigkeit setzt die Ein- setzbarkeit und damit die Ausrüstung der Streitkräfte voraus. Die innen- politische Sensibilität des Themas führt in Deutschland dazu, dass in jeder Phase eines Rüstungsprojekts besondere Vorsicht an den Tag ge- legt wird.

Das zweite Spannungsfeld für Rüs- tung in Deutschland entsteht durch verschiedene Zielvorgaben: Die Bun-deswehr braucht leistungsfähige und effiziente Anbieter, die in der Lage sind, die Anforderungen zu erfüllen, die die Bundeswehr an aktuelle und zukünftige Ausrüstung stellt. Das we-sentliche rüstungspolitische Ziel ist Versorgungssicherheit: also der lang-fristige, gesicherte und konstante Fluss von modernem, leistungsfähi-gem Material und Dienstleistungen von der Rüstungsindustrie an die Streit-kräfte, in Friedens- und zu Kriegs- zeiten2. Gleichzeitig aber soll die Beschaffung oft schnellstmöglich geschehen und die Ausrüstung inter- operabel mit Partnern sein.

Das dritte Spannungsfeld, in dem Rüstung in Deutschland operiert, be-steht zwischen nationalen und inter- nationalen industriellen Partnern. Bei der Suche nach Lösungen fällt der erste Blick zumeist auf die nationale Industrie. Diese kann aber schon lange nicht mehr in ausreichendem Maße alle Güter bereitstellen, die die Bun-deswehr braucht. Gleichzeitig ist der Begriff „nationale Industrie“ zuneh-mend irreführend, denn der deutsche Sektor ist mittlerweile eng mit dem europäischen und internationalen verwoben: über Kooperationsprojekte der Länder und über Exporte, Importe, Lieferketten und Beteiligungsverhält-nisse. Zugleich hat der den Konsolidie-rungsdruck in einigen Marktsegmen-ten, z. B. im Marineschiffsbau, zugenommen.

2 Christian Mölling: Der europäische Rüstungssektor. Zwischen nationaler Politik und industrieller Globalisierung, SWP-Studie 12/2015, Seite 8

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Mangelnde politische Vermittlung vonRüstung als Schutz und Vorsorge

Rüstung ist in Deutschland mit vielen technischen Problemen konfrontiert, für die es greifbare Lösungs-ansätze gibt. Die übergeordnete Herausforderung jedoch liegt im schwierigen Image, das Rüstung in der Bevölkerung hat.

Rüstungsprojekte sind der Öffentlichkeit aufgrund des hohen finanziellen Aufwands, der langen Zeit- linien und der damit verbundenen moralischen Fragen oft schwer zu vermitteln. Die hohen Kosten werfen zudem die Frage auf, ob mit diesen Mitteln nicht in anderen Politikbereichen sinnvolle Projekte gefördert werden könnten. Zudem lehnen viele Bürgerinnen und Bürger Rüstung, auch wenn sie dezidiert defensiv und als Vorsorge konzipiert ist, als aggressive Eskalation ab.

Die Regierung kann zwar Rüstungsvorhaben be-schließen, weil sie diese aufgrund ihrer Sicherheits-analyse als notwendig zur glaubwürdigen Verteidi-gung erachtet. Das heißt aber nicht, dass die Bürgerinnen und Bürger solche Vorhaben in jedem Fall auch als Beitrag zur eigenen Sicherheit ansehen. Damit kann die Regierung vor einer schwierigen Abwägung stehen: Trifft sie die militärisch notwen-dige Entscheidung oder die, für die sie politische und öffentliche Akzeptanz erwarten kann.

Widersprüchliche Signale für dieökonomische Zukunft des deutschen Rüstungssektors

Die deutsche Rüstungspolitik sendet an Industrie und internationale Partner widersprüchliche Signale dazu, wie sie den Rüstungssektor in Deutschland erhalten und gestalten möchte: Der Staat legt Wert auf seine nationale Industrie. Wenn immer möglich, bevorzugt er sie, wenn es um Rüstungsvorhaben geht. Die nationale Nachfrage reicht aber nicht, um eine rein nationale verteidigungsindustrielle Basis aufrechtzuerhalten, die alle erforderlichen Produkte und Dienstleistungen bereitstellt. So muss die Bundeswehr ihren national definierten Bedarf nach Ausrüstung zunehmend durch internationale Anbieter decken. Gleichzeitig sind die deutschen Unternehmen für ihr wirtschaftliches Überleben vom Export abhängig, denn auch aus ihrer Sicht ist der deutsche Markt allein oftmals zu klein, um ein Pro-dukt gewinnbringend zu entwickeln und anzubieten. Die Möglichkeit, den Rückgang der Einnahmen aus nationalen Aufträgen durch Exporte aufzufangen, blieb der Industrie oftmals aufgrund einer politisch gewollten restriktiven Auslegung der Rüstungs- exportrichtlinien verwehrt.

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19Rüstung und Beschaffung in Deutschland |

Langer Atem für Veränderungenin der Beschaffung nötig

Die Beschaffung von Rüstungsgütern steht seit langem in der Kritik: Komplexe, oft widersprüchlich verlaufende Beschaffungsprozeduren erfolgen mit unzureichender Fokussierung und führen zu hohen Kosten, Qualitätsproblemen und zeitlichen Verzöge-rungen. Dies alles geht zulasten der Bundeswehr und indirekt des Steuerzahlers. Die Gründe dafür liegen an zwei Stellen:

• Innerhalb der Bundeswehr selbst: die unzurei-chende Organisation und Abstimmung zwischen den einzelnen Ebenen der Beschaffungsseite ist problematisch. Zudem schafft eine oftmals durch haushaltsrechtliche Vorgaben beeinflusste Projekt-steuerung und Budgetplanung Ineffizienzen.

• In der Beziehung zu den Herstellern: Anreizstruk-turen und Allokation von Risiken werden den indivi-duellen Charakteristika von Beschaffungsprojekten oftmals nicht gerecht. Unzureichend sind außerdem das Vertragsmanagement, das Anforderungs- und Änderungsmanagement sowie die Transparenz hinsichtlich Kosten/Nutzen und Projektrisiken, aber auch der technischen und organisatorischen Leistungsfähigkeit der Anbieter (insbesondere bei Neuentwicklungen).

3.0 Drei Dilemmata der Rüstung

Diese Punkte finden sich auch in der 2014 veröffent- lichen Bestandsaufnahme und Risikoanalyse, die das Verteidigungsministerium (BMVg) in Auftrag gege- ben hatte. Als Reaktion darauf lancierte das BMVg 2014 die „Agenda Rüstung“ mit dem Ziel, das Rüs-tungswesen zu modernisieren: In zwei neuen Strate-giepapieren erklärt die Regierung ihre rüstungs- und industriepolitische Positionierung3. Halbjährliche Rüstungsberichte sollen die Transparenz erhöhen. Ein einheitliches Risikomanagement wurde einge-führt; das Vertragsmanagement für den Beschaf-fungsprozess wird modernisiert. Zugleich wird das BAAINBw reorganisiert. Ein institutionalisierter Dialog zwischen Industrie und Bundeswehr soll ein gegenseitiges Verständnis bezüglich der Erwar- tungen und Möglichkeiten herstellen.

Insofern wurden wichtige Veränderungen angesto-ßen, die vollständige und konsistente Umsetzung sowie die weiterführende Ausgestaltung der Agenda Rüstung wird allerdings noch Jahre andauern. Die Verteidigungsindustrie selber wird ebenfalls mit einem kulturellen Wandel reagieren müssen, waren doch die Projekte der Vergangenheit durch viel Zeit sowie Reduzierungen bei Fähigkeiten und Stück- zahlen geprägt.

3 Strategiepapier der Bundesregierung zur Stärkung der Ver- teidigungsindustrie in Deutschland (2015) und das Konzept des Bundesministeriums der Verteidigung zur Stärkung des wehr-technischen Mittelstands (2016)

Agenda Rüstung

Sechs Grundsätze, um das Rüstungswesen zu professionalisieren:

1. klarer rüstungspolitischer Kurs

2. besseres Management und mehr Transparenz bei Rüstungsprojekten

3. Schließung bestehender Fähigkeitslücken

4. Behebung von Mängeln bei der materiellen Einsatzbereitschaft

5. Entwicklung von Strategien für zukünftige Technologien und Projekte

6. Herstellung einer Steuerungsfähigkeit mithilfe eines klar definierten KennzahlensystemsQuelle: BMVg

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20 | Rüstung und Beschaffung in Deutschland

Die verteidigungsindustrielle Basisverharrt zwischen Internationalisierung, Fragmentierung und Konsolidierung

Internationalisierung, Fragmentierung und Kon- solidierung kennzeichnen die deutsche verteidigungs-industrielle Basis. Treiber dieser Entwicklung war dabei die Industrie selbst — allerdings auch weil es keine zielorientierte Rüstungspolitik gab. Über die zu-künftigen Entwicklungsoptionen besteht weitgehend Unklarheit. Diese Unklarheit führt auch für die Bun-deswehr zu einer gewissen Unsicherheit: Wird sie in Zukunft noch auf eine verlässliche und innovative ver- teidigungsindustrielle Basis zurückgreifen können? Es fehlt die Vision zur Weiterentwicklung der industri-ellen Basis, die die Effekte von Internationalisierung, Fragmentierung und Konsolidierung aufnimmt.

Die deutsche verteidigungsindustrielle Basis ist weniger eine Versorgungsinfrastruktur, die der Staat nach seinen Interessen und Mitteln geschaffen hat. Er hat sich auch nicht sonderlich bemüht, die Indust-rie gezielt zu europäisieren. Vielmehr handelt es sich um eine Reihe einzelner, leistungsfähiger Unter-nehmen. Die größten Unternehmen, die in Deutsch-land agieren, sind mittlerweile multinational aufge-stellt. Daneben existieren zahlreiche kleine und mittelständische Unternehmen. Viele davon sind weltweit führend in Nischenprodukten.

Insgesamt sind die meisten industriellen Strukturen und Aktivitäten im deutschen Rüstungssektor nur noch zu verstehen, wenn man die Internationalisie-rung mit betrachtet. Für viele deutsche Unternehmen ist die Bundesrepublik Deutschland zwar noch der wichtigste Einzelkunde, doch der Umsatz der Unter-nehmen ist regelmäßig wesentlich von Exportmärk-ten abhängig.

Umgekehrt muss die Bundeswehr importieren bzw. hat ein Interesse an Rüstungskooperationen, wenn dies den effizienten Zugang zu notwendigen Technologien ermöglicht. Zwar sind deutsche An- bieter bei Landsystemen, U-Booten, Küstenkampf-schiffen, Komponenten für Elektronik und Sensorik, Munition und Antrieben stark. Doch auch hier bauen sie oft auf internationale Zulieferer.

Obgleich sich Produktion und Versorgung seit dem Ende des Kalten Krieges auf niedrigerem Niveau konsolidiert haben, übersteigen die Produktionskapa-zitäten der deutschen Rüstungsunternehmen den nationalen Bedarf. Dies erzeugt Druck auf die Indust-rie, entweder zu exportieren oder die Produktions- kapazitäten noch weiter zu reduzieren oder die Preise zu erhöhen. Budgetrückgänge in der Vergangenheit haben diesen Druck erhöht. Fraglich ist, inwieweit die für künftige Jahre erwarteten Erhöhungen des Verteidigungshaushalts zur Finanzierung der Band-breite der gegenwärtigen und künftig nötigen indust-riellen Fähigkeiten beitragen können.

Hieraus folgt auch ein Konsolidierungsdruck, ob-gleich sich insgesamt ein differenziertes Bild einzel-ner Marktsegmente des verteidigungsindustriellen Sektors in Deutschland ergibt: Während zum Beispiel zahlreiche internationale Beschaffungsprojekte den Luft- und Raumfahrtsektor vollständig internationali-siert haben, werden Land und See von Duopolen dominiert: Hier strukturieren zwei Unternehmen den jeweiligen Sektor.

Politisch gewollte europäische Beschaffungspro-gramme, deren Erfolg insbesondere auch von der Definition einheitlicher Standards abhängig sein wird, werden perspektivisch zu vermehrten Kooperationen in Europa führen. Insofern ist Konsolidierung im Rüstungssektor nicht nur national sondern auch europäisch zu betrachten. Europa ist der politische Rahmen, obgleich vor dem Hintergrund internationa-ler Lieferketten auch eine Betrachtung darüber hin-aus nicht vernachlässigt werden sollte.

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21Rüstung und Beschaffung in Deutschland |

3.0 Drei Dilemmata der Rüstung

Die deutsche Verteidigungsbranche steht vor zen- tralen Herausforderungen, deren Bewältigung eine hohe Investitions- und Innovationskraft erfordert: Zukünftig benötigte industrielle und technologische Fähigkeiten sind heute nur zum Teil vorhanden. Das betrifft vor allem den Bereich der Cyber- und Informationstechnologien sowie autonome Waffen-systeme. Gleichzeitig drohen bestehende industrielle und technologische Fähigkeiten weiter zu verfallen, wenn sie nicht über Projekte am Leben gehalten und modernisiert werden.

Diese Herausforderung trifft den deutschen Rüs-tungssektor weitgehend unvorbereitet. Zwar lässt sich schon seit Längerem die Tendenz beobachten, dass sich Märkte, Produkte und Akteure aus dem traditionellen verteidigungs-industriellen Bereich mit

jenen der zivilen Sicherheit und rein kommerziellen Bereichen vermischen. Der Trend gewinnt aber durch die stark wachsende Innovationskraft der zivilen Industrie in jüngster Zeit erheblich an Bedeutung. Die Innovationsquellen zukünftiger Produkte werden sich deutlich verschieben, und zwar vom militäri-schen in den zivilen Bereich. Sichtbar wird dies als „Dual Use“ bereits bei autonomen bzw. unbemannten Systemen, wie z. B. Drohnen, deren Zukunftsmärkte eher im zivilen Bereich liegen.

Zivile Innovation wirdzentraler Treiber

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22 | Rüstung und Beschaffung in Deutschland

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23Rüstung und Beschaffung in Deutschland |

4.0Ausblick: Die Zukunft des deutschen Rüstungssektors gestaltenUm eine ökonomisch machbare und zugleich verantwortungs-volle Sicherheitspolitik im Rüstungsbereich umzusetzen, gilt es, effiziente Lösungen mit möglichst geringen finanziellen Verlusten und politischen Kosten zu finden. Hierzu sehen wir drei Ansatzpunkte: Internationale Kooperationen, nationale Weiterentwicklungen, Neues antizipieren und adaptieren

Zudem kann die Politik zwei Grundbedingungen verbessern: Sie kann zum einen langfristiges Engagement und kontinuier- liche Investitionen in Menschen, Strukturen und Ausrüstung sicherstellen, um der Industrie die grundlegende Sicherheit für ihre Investitionen zu geben. Dies und alle anderen Maßnahmen werden zum anderen einfacher, wenn die Politik Rüstung als einen Beitrag zur Sicherheit vermittelt.

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Drei Ansatzpunkte für eine ökonomisch machbare und zugleich verantwortungsvolle Sicherheitspolitik

1

2

3

Internationale KooperationenNicht nur bleiben Kooperationen eine zentrale Möglichkeit um Kosten zu senken und gemeinsam politisch mehr Sicherheit zu erreichen; wir sehen zugleich durch die Initiativen rund um die europäische Verteidigung ein konkretes neues Momentum, das sich Deutschland zunutze machen könnte.

Nationale WeiterentwicklungenAn vielen Punkten muss das Rad nicht neu erfunden werden. Vielmehr gilt es, begonnene Veränderungen weiterzutreiben und gute Entwicklungen zu verstetigen bzw. zu ergänzen. Für eine zunehmende Europäisierung der Beschaffung gilt es ferner, zum einen eine Harmonisierung von Standards zu forcieren und zum anderen einen strategischen Rahmen für die Verteidi-gungsindustrie zu entwickeln.

Neues antizipieren und adaptierenNeues antizipieren und adaptieren: Neben der absehbar auch zukünftig angespannten internationalen Sicherheitslage sind bereits wesentliche neue Impulse für die Veränderung des Rüstungssektors erkennbar. Neben der weiteren Digitalisierung wird die Verstetigung von Wandel selbst eine Herausforderung sein, denn dies verspricht ständige Bewegung und neue Impulse aus verschiedenen Richtungen. Diese Dynamik, z. B. im Bereich der Cyber- und Informationstechnologien, muss Rüstung und Beschaffung prozessual und kulturell aufnehmen können.

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25Rüstung und Beschaffung in Deutschland |

4.0 Ausblick: Die Zukunft des deutschen Rüstungssektors gestalten

Kooperation bleibt dasrichtige Rezept

Eine vollkommene Lösung des ökonomischen Dilemmas ist nicht möglich. Doch Kooperation ist ein wesentlicher Schlüssel, um effiziente Lösungen mit möglichst geringen Verlusten (ungenutzte oder nicht ausreichende Kapazitäten, für künftige Krisen ungeeignete Waffensysteme etc.) zu finden: Über Kooperationen lässt sich die Effizienz der Ausgaben steigern. Die gemeinsame Beschaffung kompatibler oder identischer Waffensysteme senkt die Stück-

4.1Neue Dynamik für Kooperationen

kosten und erlaubt gemeinsamen Betrieb und War-tung. Standardisierung und Interoperabilität senkt nicht nur die Lebenszykluskosten, sondern ermög-licht auch eine effiziente Kooperation im Einsatz.

Die Intensität von Kooperationen und damit auch ihrer Wirkung findet ihre Grenze in dem Umfang der gewünschten nationalen Souveränität. Dieses Span-nungsfeld muss die Politik in nächsten Jahren aktiv angehen. Ein verlässlicher politischer Rahmen ist für den langfristigen Zeithorizont von Rüstung eine wichtige Voraussetzung.

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26 | Rüstung und Beschaffung in Deutschland

Rüstung in Europa:Neue politische Dynamik bietet Chancen und Risiken

Insgesamt tritt Europa — vor allem die EU-Staaten — in eine neue Phase, die viele neue Optionen bietet, aber auch Risiken. Die jüngsten geopolitischen Ent-wicklungen haben die Bedeutung von Sicherheits- politik in Europa erhöht und der sicherheitspolitischen Zusammenarbeit auf europäischer Ebene neue Im-pulse gegeben. Aber auch die politischen Rahmen- bedingungen für Rüstung haben sich in Europa verändert, etwa durch den Brexit. Die Beobachtung und Bewertung dieser parallel stattfindenden und sich gegenseitig beeinflussenden Ereignisse und ihrer Auswirkungen auf Rüstungspolitik und Rüstungsma-nagement sind wesentliche Aufgaben für alle Akteure in den kommenden Jahren.

Ein Beispiel für neue Chancen ist die EU-Initiative PESCO (Permanent Structured Cooperation). In ihrem Rahmen können interessierte Mitgliedstaaten enger kooperieren, über gemeinsame Rüstungs- projekte gemeinsame Standards für die Ausrüstung schaffen und Ressourcen effizienter nutzen. Der Brexit birgt für die Europäer Risiken mit Blick auf die Versorgungssicherheit bei Rüstungsgütern und bei Industriekooperationen mit Großbritannien. Für das Vereinigte Königreich könnte dies einen Be- deutungsverlust in der Rüstungskooperation nach sich ziehen. Eine weitere neue Chance auf EU-Ebene ist der Europäische Verteidigungsfonds. Damit stellt die Europäische Kommission über zwei Finanzie-rungslinien Geld für die Kooperation bei Forschung und Entwicklung wie auch bei der Beschaffung von Rüstungsgütern zur Verfügung. Zudem dürfte die deutsch-französische Initiative zum Bau eines ge-meinsamen Kampfflugzeugs vom Juli 2017 direkte Auswirkungen auf die europäische verteidigungs- industrielle Basis haben.

Um das Momentum in der europäischen Sicherheits-politik zu nutzen und die europäische Sicherheits- politik im Sinne von mehr Effizienz und Handlungs- fähigkeit weiterzuentwickeln, müssen die Staaten viele Herausforderungen bewältigen. Diese reichen von der politischen und industriellen Konstellations-

analyse bis hin zum Management — zum Umstellen von Versorgungsketten und Verträgen. Politisch gilt es, die deutschen Interessen in dieser neuen Entwick-lung zu definieren, sie ins Verhältnis zu den europäi-schen Zielen zu stellen und sie dann auf europäischer Ebene einzubringen. Für den Verteidigungsfonds, der die verteidigungsindustrielle Basis in Europa stärken will, hieße das z. B., eine genaue Lageanalyse vor- zunehmen. Um sinnvolle Entscheidungen zur Stär-kung der verteidigungsindustriellen Basis zu treffen, bedarf es einer entsprechenden Landkarte der indus-triellen und technologischen Fähigkeiten, die zeigt, was Europa hat, wo es Lücken gibt und wo unnötige Duplizierungen von Kapazitäten bestehen. Gleich- zeitig kann die genaue Beobachtung der Entwicklun-gen auf regulatorischer und rechtlich-politischer Ebene helfen, frühzeitig zu entscheiden, welches Engagement überhaupt vorstellbar ist und wer als Partner infrage kommt.

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27Rüstung und Beschaffung in Deutschland |

Die begonnenen Veränderungen imRüstungswesen weiterdenken

Die „Agenda Rüstung“ stellt einen Neuanfang da, den alle Akteure kontinuierlich in die Praxis umsetzen müssen. Die weitere Gestaltung des Rüstungswesens sollte eine Priorität auch der nächsten Regierung sein.

Die bislang erreichten Veränderungen beruhen auf dem individuellen Engagement der politischen Lei-tung und der Mitarbeiter. Damit diese Veränderungen zur Routine werden und auch ohne die permanente Involvierung der Leitung des BMVg funktionieren, müssen sie von einem Wandel in den Strukturen be-gleitet werden. Dies geschieht dann, wenn in neuen Projekten eine neue Praxis aufgebaut wird — und das wiederum braucht Zeit. Auch die Erfahrungen aus den ersten Anwendungen der Agenda Rüstung müs-sen in die Praxis einfließen. Zum anderen werden bereits Veränderungen diskutiert, etwa die weitere Anpassung des Rüstungsprozesses „Costumer Pro-duct Management“. Notwendig ist also ein systemati-sches Lernen aus der Praxis für die Praxis. Letztlich müssen sich die politischen Lösungsansätze und die Schritte zur Optimierung des Rüstungsmanagements in jeder Ausschreibung wiederfinden.

Technologischer Wandel, internationale Beschaffun-gen, gestiegene Anforderungen an Fähigkeiten und Zeitdruck erhöhen die Komplexität von Beschaffun-gen. Dieser Komplexität kann nur mit Transparenz begegnet werden, die die nötige Voraussetzung für Entscheidungen und deren effiziente Umsetzung ist. Ein Instrument zur Erhöhung der Transparenz könnte eine „Supplier Due Diligence“ sein, die unter Berück-sichtigung von etwaigen vergaberechtlichen Anforde-rungen flexibel im Rahmen von Beschaffungsprojek-ten genutzt werden kann. Eine Supplier Due Diligence hat zum einen Risiken der Eignung von Anbietern zum Gegenstand, z. B. die technische und wirtschaft-liche Leistungsfähigkeit (u. a. bei komplexen Beschaf-fungen wie Neuentwicklungen) — ob nun als kontinu-ierliche Routine für das Lieferantenportfolio oder für eine konkrete Vergabe. Zum anderen stehen insbe-sondere die Angebote von Anbietern mit Blick auf Risiken bei Leistung, Kosten- und Zeitplanungen und deren Management im Mittelpunkt. Das Ziel ist es,

4.2Rüstungspolitik und Beschaffung weiterentwickeln

die Risiken durch angemessene Anreizstrukturen und Allokation von Risiken in der Vertragsgestaltung sowie durch ein laufendes nachgelagertes Projekt-controlling zu managen.

Anreizeffekte sollten bei der Gestaltung der Vergabe- und Ausschreibungsprozesse stärker berücksichtigt und auf die Anforderungen der ausgeschriebenen Leistungen hin ausgerichtet werden. So setzt ein fixer Grundpreis Anreize für höhere Gewinne durch Kostensenkung. Bei klar definierten Qualitäts- und Leistungskriterien können Kostensenkungen durch höhere Effizienz erzielt werden. Wird der Beschaf-fungsprozess wiederholt und sind die Anbieter dabei frei wählbar (keine strukturellen Vorteile für den Platzhirsch), dann drücken die gesunkenen Kosten auf die Angebotspreise, so dass auch die Beschaf-fungsstelle profitiert. Ist neben den Kosten auch die Entwicklungszeit ein kritischer Faktor, so sollten die eingeforderten Angebote neben einem Grundpreis auch Auf- und Abschläge für schnellere bzw. langsa-mere Fertigstellung enthalten. Ist der Beschaffungs-prozess hingegen mit hohen Unsicherheiten verbun-den, etwa bei der Entwicklung neuer Waffensysteme, so können Herstellern durch eine Angebotsstruktur aus Grundpreis und Eigenanteil an höheren Kosten Anreize zu einer effizienten Umsetzung ihrer Entwick-lungsprozesse gesetzt werden. Darüber hinaus er-möglicht die zweckmäßige Ausgestaltung der Aus-schreibungsparameter, etwa die Vorgabe alternativer „Menüs“ aus Grundpreis und Eigenanteil, auch Rück-schlüsse auf die tatsächliche Leistungsfähigkeit der teilnehmenden Unternehmen und damit die Selektion des am besten geeigneten Unternehmens.

Grundsätzlich muss die anreizkonforme Gestaltung der Ausschreibungsverfahren aber auch im Rahmen der gegebenen rechtlichen Möglichkeiten erfolgen. Vor dem Hintergrund von Relevanz und Volumen des Beschaffungsprozesses kann es aber auch geboten sein, den rechtlichen Rahmen so anzupassen, dass Vergabe- und Vertragsmechanismen mit offensichtli-chen Vorteilen auch tatsächlich im Sinne der Beteilig-ten zur Erzielung einer Win-win-Situation und Be-schleunigung von Beschaffungsprozessen genutzt werden können.

4.0 Ausblick: Die Zukunft des deutschen Rüstungssektors gestalten

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28 | Rüstung und Beschaffung in Deutschland

Humanressourcen und Qualifikationenals Querschnittsthema

Ein Querschnittsthema, das über die Zukunftsfähig-keit des deutschen Rüstungssektors entscheidet, ist die Qualifikation der Mitarbeiter, sowohl in der Industrie als auch in den Ministerien und anderen Behörden. Ganz praktisch mit Blick auf die Beschaf-fung — ohne die grundsätzlichen Herausforderungen der Personalgewinnung und -bindung anzusprechen — müssen z. B. die Mitarbeiter des BAAINBw in der Lage sein, Ausschreibungen zu erstellen, die die Parameter neuer Technologien erfassen. Darüber hinaus müssen z. B. die wehrtechnischen Dienststel-len in die Lage versetzt werden, entweder neuartige Systeme abzunehmen, etwa aus dem Cyberbereich, oder aber, wenn die Expertise beim Personal nicht verfügbar ist, z. B. externe Gutachter dafür zu beauftragen.

Gerade die neuen Anforderungen durch innovative Technologien fordern kreative Lösungen. Doch junge Talente aus IT- und Kreativwirtschaft stehen der Rüstungsbranche eher indifferent oder sogar negativ gegenüber. Deshalb müssen Industrie, Ministerien und Behörden ihre Anreizsysteme (weiter) verbes-sern, um Personal rekrutieren und langfristig an sich binden zu können. Solche Überlegungen sollten auch die Kooperation mit innovativen Start-ups sowie die Einbindung von Externen und Reservisten umfassen.

Internationalisierung und Euro-päisierung mitdenken

Die nächste Generation von Beschaffungsprojekten wird sich stärker an internationalen Entwicklungen und vor allem an der EU als Rahmen ausrichten. Bei gemeinsamen Beschaffungen müssen deshalb ent- weder die nationalen Beschaffungsprozesse und Regeln für die Prozesse und Regeln anderer Länder adaptierbar sein oder es müsste, zumindest im EU-Kontext, zusätzlich zur existierenden europäi-schen Beschaffungsrichtlinie ein harmonisiertes Beschaffungs- und Projektmanagement geben. Letz-teres dürfte vor dem Hintergrund der Vielfalt natio-naler Anforderungen nur langfristig realisierbar sein.

Schneller hingegen könnten die neuen Finanzie-rungsmöglichkeiten, etwa der Europäische Verteidi-gungsfonds, Auswirkungen auf die Rüstungskosten in gemeinschaftlichen Rüstungsprojekten haben. Es besteht die Chance, dass der Verteidigungsfonds das Juste Retour Prinzip mit Blick auf die Arbeitsver-teilung zu Gunsten einer effizienteren Organisation eines Rüstungsvorhabens auflöst. Nichtsdestotrotz bleibt vor dem Hintergrund des aktuellen Budgets die Wirkung begrenzt; er könnte aber einen Beitrag zur Modernisierung osteuropäischer Armeen leisten.

Gestaltungsstrategien für mehrEffizienz entwickeln

Deutschland sollte die Gestaltung des nationalen und europäischen verteidigungsindustriellen Sektors bewusster planen und vorantreiben. Weil nationale Fähigkeiten und deren erforderlichen Weiterent- wicklungen voraussichtlich nicht in allen Bereichen effizient finanziert werden können, spielt die ge- sicherte Versorgung im Rahmen internationaler Kooperationen eine zentrale Rolle. Aufgrund der bestehenden politischen und industriellen Verflech-tung, aber auch der politischen Visionen ist die EU hier der zentrale Rahmen.

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29Rüstung und Beschaffung in Deutschland |

4.0 Ausblick: Die Zukunft des deutschen Rüstungssektors gestalten

Verteidigungsindustrielle Gestaltungsstrategien erfordern grundlegende Überlegungen in drei Dimensionen

Funktion der verteidigungsindustriellen Basis in Europa bestimmen:• Wird die Struktur industrie- und strukturpolitisch

oder sicherheitspolitisch bestimmt?

• Welche Fähigkeiten sollte die verteidigungs- industrielle Basis besitzen?

Kooperationen und Partner identifizieren:• Mit welchen Staaten könnte Deutschland koope-

rieren und unter welchen Bedingungen?

• Welche Bedarfe werden so abgedeckt?

• Was kann Deutschland verlässlich anbieten?

Anbieterstruktur und Versorgungs- sicherheit definieren:• In welchen Segmenten kann Deutschland nationale

Monopole akzeptieren?

• Wie kann ein Wettbewerb der nationalen Champions auf europäischer bzw. internationaler Ebene gewährleistet werden?

• Welche nationalen und internationalen Abhängig- keiten ist Deutschland bereit einzugehen und mit welchen Risiken ist es bereit umzugehen?

• Welche Struktur ist langfristig bezahlbar?

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30 | Rüstung und Beschaffung in Deutschland

Grundlage für eine erfolgreiche GestaltungstrategieEine Gestaltungsstrategie bedeutet im Wesentlichen, Angebot und Nachfrage von Streitkräften und Industrien über Europa hinweg zu kennen, zu vernetzen und zu gestalten. Eine notwendige Grundlage für eine erfolgreiche Gestaltungsstrategie auf EU-Ebene sind die relevanten Informationen und das Beobachten von Veränderungen in folgenden Bereichen:• Monitoring europäischer Streitkräfte und militärischer

Fähigkeiten: Die Regierung sollte einen regelmäßig zu erstellenden systematischen Überblick über die militärischen Fähigkeiten und die Ausrüstung seiner Partner in EU und NATO besitzen wie auch über jene Beschaffungen, die diese in Zukunft durchführen wollen. So lassen sich Optionen zur Kooperation, etwa bei Beschaffungen, früh erkennen.

• Industrielle und technologische Fähigkeiten: Analog zur Be-standsaufnahme und zum Monitoring bei den militärischen Fähig-keiten sollte die Regierung den Mapping-und-Monitoring-Ansatz für Streitkräfte und Fähigkeiten auch auf industrielle und technolo-gische Fähigkeiten übertragen.

• Verfahren für Beschaffungen und Kooperationen: Um die Wider-sprüche zwischen Rüstungspolitik und Rüstungsmanagement auch bei den Partnern von Anfang an zu kennen und gering zu halten, sollten die Charakteristika der Beschaffungsprozesse der Partner erfasst und auf Möglichkeiten der Harmonisierung untereinander und mit Deutschland geachtet werden.

Konsolidierung und Marktzugang gestaltenKonsolidierung und Wettbewerb können vor allem im Rahmen der bewussten Internationalisierung von Märkten zusammengebracht werden, was wiederum erlaubt, nationale Beschränkungen zu über-winden. Teil entsprechender Anreizstrukturen wäre die gesicherte Möglichkeit des Marktzugangs deutscher Unternehmen in anderen Ländern und umgekehrt. Der internationale Wettbewerb ersetzt den nationalen und kann so den Unternehmen einen Anreiz zum Erhalt der Innovationskraft geben. Ferner wird ein Anreiz zum Erreichen einer kritischen Größe gegeben, um auf internationaler Ebene wett- bewerbsfähig zu sein. Dieser Lösungsansatz wirkt vor allem dann, wenn der Staat die not-wendigen Voraussetzungen schafft: gesicherte Exportpraxis und -unterstützung sowie Absenken der Barrieren für den Zugang aus-ländischer Unternehmen zum eigenen Markt. Für die EU-Staaten bie-tet es sich an, in Zukunft Ausschreibungen grundsätzlich gemäß den Regeln für öffentliche Ausschreibungen im Verteidigungsbereich zu machen bzw. tatsächlich umzusetzen.Zusammenfassend werden die Europäisierung der Verteidigungs- politik und Beschaffung sowie die Konsolidierungsinitiativen der Industrie mit dem Ziel einer gesteigerten Effizienz und Innovationsfä-higkeit nur ein Erfolg, wenn durch einheitliche europäische Standards und Exportrichtlinien ein verlässlicher Rahmen geschaffen wird.Auch wenn Deutschland ein Interesse an einer starken und zukunfts-fähigen nationalen verteidigungsindustriellen Basis hat, so kann die Politik der Industrie zentrale Entscheidungen nicht abnehmen, etwa wie sich die Unternehmen aufstellen, um zukunftsfähig zu sein — mit wem sie kooperieren und welche Kapazitäten sie erhalten, auf- und abbauen wollen.

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4.0 Ausblick: Die Zukunft des deutschen Rüstungssektors gestalten

Permanenter Wandel wird Grund-bedingung für Beschaffung sein

Bislang ist die Agenda Rüstung reaktiv. Ihr Ausgangs-punkt ist eine Analyse der bestehenden Projekte und Beschaffungen. Das ökonomische Dilemma und die Beschleunigung der technologischen Innovation machen es aber erforderlich, permanenten Wandel als Charakteristikum der Beschaffung zu begreifen. Der Beschaffungsprozess muss so konzipiert werden, dass seine stetige Weiterentwicklung als gewinnbrin-gend und notwendig von Anfang an mitgedacht wird.

Der Inbegriff dieses Wandels ist die Digitalisierung, also die immer weitere Einbeziehung der Informati-onstechnologie in alle Produkte und Dienstleistun-gen, die in Zukunft beschafft werden. Schon weil die Innovationszyklen in diesem Bereich um ein Viel-faches schneller sind als bei den klassischen Rüs-tungsprodukten und komplexen Plattformen, dürfte eine ständige Anpassung der IT-Anteile fester und umfangreicher Bestandteil zukünftiger Produkte sein. Gleichzeitig wird die IT immer mehr zum Herzstück der militärischen Fähigkeiten.

Deshalb muss der Beschaffungsprozess diese Dyna-mik aufnehmen können. Informationen über das gewünschte Produkt, die für die Ausschreibung ver-

4.3Kommende Herausforderungen aufgreifen

fügbar sein müssen, haben womöglich eine neue Qualität. Das kann bedeuten, dass die Anforderun-gen an das Produkt dynamisch formuliert werden müssen. Dies hat dann auch Rückwirkungen auf die Vertragsgestaltung.

Neue Unternehmenskulturen werdeneine Herausforderung für die öffentliche Verwaltung

Ein Blick in die USA und die dort stattfindende Entwicklung rund um die „Third Offset Strategy“ zeigt, dass mit den neuen Technologien auch neue industrielle Akteure zu relevanten Bietern werden. Doch Unternehmen, die im Wesentlichen kommerzi-elle IT-Lifestyle- und Softwareprodukte sowie ent-sprechende Dienste anbieten, dürften für das Vertei-digungsministerium zumindest ungewohnte Partner sein. Zugleich ist nicht zu erwarten, dass diese Unternehmen ein großes Interesse haben, im Vertei-digungsbereich tätig zu werden. Sie sind es nicht unbedingt gewohnt, mit den sehr speziellen Vergabe-regeln und Prozessen eines Verteidigungsministeri-ums umzugehen. Auch könnten die Gewinnmargen vor dem Hintergrund der finanziellen und nichtfinan-ziellen (z. B. Image) Risiken nicht attraktiv sein, so-dass sie einem Engagement im Verteidigungsbereich

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eher reserviert gegenüberstehen. Das Verteidigungs-ministerium müsste sich um Anbieter bemühen, um technologisch weiterhin mithalten zu können. Das wiederum wäre eine neue Art des Umgangs mit potenziellen Auftragnehmern.

Diese neue Beziehung sollte das Verteidigungs- ministerium frühzeitig bewusst gestalten: Ein konti-nuierliches Scanning der infrage kommenden Unter-nehmen mit Blick auf ihre Unternehmenskultur und mögliche Formen der Zusammenarbeit könnte los- gelöst von einer konkreten Anfrage erfolgen. So er-geben sich Ansatzpunkte für die Bewertung, welche Anbieter überhaupt infrage kommen und welche Art von Angebot attraktiv sein könnte.

Cyber- und Informationstechnologienwandeln die Industriestruktur umfassend

Die Einbeziehung der Cyber- und Informationstechno-logien in die Verteidigung wird in den kommenden Jahren die Industriestruktur tief greifend verändern: Digitalisierung bedeutet nicht nur die Vernetzung der Systeme und das Entstehen neuer Produktionsfor-men (Industrie 4.0); es bedeutet auch, dass zuneh-mend neue Wettbewerber (und damit auch neue Anbieter für die Bundeswehr) auftauchen und neue Kooperationen mit Partnerstaaten möglich werden. Gleichzeitig stellt sich die Frage, ob deutsche Unter-nehmen an den Kooperationen teilnehmen können oder die Exportpraxis dies verhindert. Die Verände-rungen beschränken sich nicht auf ein Segment der Industrie. Weil die Digitalisierung ein Querschnitts-thema ist und tendenziell alle Systeme — von der Aufklärung bis zur Waffe — miteinander vernetzbar sein sollen, wird auch der Wandel die gesamte Branche erfassen und verändern. Die Vernetzung bietet Chancen aber auch Risiken, die u. a. mit ent-sprechenden Cyberabwehrstrategien (z. B. security by design) aufgefangen werden müssen.

Fähigkeiten im Bereich der Cyber- und Informations-technologien sind in Zukunft sicherheitspolitisch ausschlaggebend. Deutschland kann in diesem Be-reich militärisch und industriell seine Bedeutung noch erheblich steigern. Deshalb sollten die technologi-schen und industriellen Entwicklungspotenziale deutscher Unternehmen für Cyber- und Informations-technologien im Sicherheits- und Verteidigungsbe-reich dringend als Fallstudie untersucht werden. Hier-auf aufbauend könnte der Investitionsbedarf für eine größere Rolle deutscher Unternehmen analysiert und die daraus resultierenden notwendigen Innovations-, Industrie- und Partnerstrategien abgeleitet werden. Solch eine Studie könnte wegweisend für den bevor-stehenden Strukturwandel der Branche insgesamt sein. Ferner sollten in diesem Zusammenhang gesell-schaftspolitische Fragen zu dem Einsatz von auto- nomen Waffensystemen, aufgeklärt geführt und in eine rüstungspolitische Strategie überführt werden.

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533Rüstung und Beschaffung in Deutschland |

5.0Schlussbemerkung

Rüstung wird bis heute in Deutschland als ein Beitrag zu Konflikten gesehen — nicht als ein Betrag zu mehr Sicherheit des eigenen Landes, seiner Bürger und jener Partner, die umgekehrt Deutschlands Sicherheit garantieren. Ohne eine sicher-heitspolitische Begründung bleiben die Entscheidungen für militärische und auch für rüstungspolitische Kooperationen und Projekte fragil. Die immer wichtiger werdenden internationalen Partner haben den Eindruck, sich auf Deutschland nicht langfristig verlassen zu können, weil es keinen nationalen Grundkonsens hinsicht-lich der sicherheitspolitischen Bedeutung von Rüstung gibt.

Die nächste Bundesregierung und das neue Parlament sollten diese sicherheits-politische Begründung für Rüstung liefern und kontinuierlich in den Dialog mit der Be-völkerung eintreten. So kann schrittweise eine aufgeklärte Debatte über die Vor- und Nachteile von Rüstung möglich werden.

Rüstung als Beitrag zu Sicherheit und Verantwortung etablieren

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Ihre Vorteile:

• Rasche Entscheidungen und Antworten

• Zeitnahe Lösung offener Punkte

• Auf Sie zugeschnittenes Team

• Zugang zu weltweiter Expertise und relevanten Publikationen

• Kenntnisse weltweiter Trends in Ihrer Branche

• Weltweit gleich hohe Dienstleistungsqualität

EY — Integriert und mit weltweiter Präsenz

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Ihre Ansprechpartner

Alexander KronLeiter Transaction Advisory Services in Deutschland, Österreich und Schweiz

Telefon +49 89 14331 [email protected]

Dr. Ferdinand PavelExecutive Director

Telefon +49 30 25471 [email protected]

Alexander Misgeld Senior Manager

Telefon +49 30 25471 [email protected]

HerausgeberErnst & Young GmbH WirtschaftsprüfungsgesellschaftArnulfstraße 5980636 München

BildnachweiseGetty Images, iStockphoto

DesignMedienmassiv, Stuttgartmedienmassiv.com

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EY | Assurance | Tax | Transactions | Advisory

Die globale EY-Organisation im ÜberblickDie globale EY-Organisation ist einer der Marktführer in der Wirtschafts-prüfung, Steuerberatung, Transaktionsberatung und Managementberatung. Mit unserer Erfahrung, unserem Wissen und unseren Leistungen stärken wir weltweit das Vertrauen in die Wirtschaft und die Finanzmärkte. Dafür sind wir bestens gerüstet: mit hervorragend ausgebildeten Mitarbeitern, starken Teams, exzellenten Leistungen und einem sprichwörtlichen Kundenservice. Unser Ziel ist es, Dinge voranzubringen und entscheidend besser zu machen – für unsere Mitarbeiter, unsere Mandanten und die Gesellschaft, in der wir leben. Dafür steht unser weltweiter Anspruch „Building a better working world“.

Die globale EY-Organisation besteht aus den Mitgliedsunternehmen von Ernst & Young Global Limited (EYG). Jedes EYG-Mitgliedsunternehmen ist rechtlich selbstständig und unabhängig und haftet nicht für das Handeln und Unterlassen der jeweils anderen Mitgliedsunternehmen. Ernst & Young Global Limited ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung nach englischem Recht und erbringt keine Leistungen für Mandanten. Weitere Informationen finden Sie unter www.ey.com.

In Deutschland ist EY an 21 Standorten präsent. „EY“ und „wir“ beziehen sich in dieser Publikation auf alle deutschen Mitgliedsunternehmen von Ernst & Young Global Limited.

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Diese Publikation ist lediglich als allgemeine, unverbindliche Information gedacht und kann daher nicht als Ersatz für eine detaillierte Recherche oder eine fachkundige Beratung oder Auskunft dienen. Obwohl sie mit größtmöglicher Sorgfalt erstellt wurde, besteht kein Anspruch auf sachliche Richtigkeit, Voll-ständigkeit und/oder Aktualität; insbesondere kann diese Publikation nicht den besonderen Umständen des Einzelfalls Rechnung tragen. Eine Verwendung liegt damit in der eigenen Verantwortung des Lesers. Jegliche Haftung seitens der Ernst & Young GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft und/ oder anderer Mitgliedsunternehmen der globalen EY-Organisation wird ausgeschlossen. Bei jedem spezifischen Anliegen sollte ein geeigneter Berater zurate gezogen werden.

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