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SANFT DEHNEN Zweifellos zählt er zu den empfindlichsten Partien des Körpers. Wenn der Nacken verhärtet, ist oft Stress, manchmal auch Zugluft der Auslöser. Wer Schmerzen vorbeugen will, sollte dort die Faszien trainieren. Am besten durch sanftes Dehnen der Hals- und Schulterpartie. Lassen Sie ruhig auch öfter mal den Kopf kreisen.

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SANFTDEHNEN

Zweifellos zählt er zu den empfindlichsten Partien des Körpers. Wenn der Nacken

verhärtet, ist oft Stress, manchmal auch Zugluft der Auslöser. Wer Schmerzen

vorbeugen will, sollte dort die Faszien trainieren. Am besten durch sanftes

Dehnen der Hals- und Schulterpartie. Lassen Sie ruhig auch öfter mal

den Kopf kreisen.

GENÜSSLICHGLEITEN

Sie sitzen oft über Stunden gebeugt am Schreibtisch? Dann besteht das Risiko, dass

die Rückenfaszien verkleben. Eine neue Form des Schwimmens lässt das Bindegewebe

wieder elastisch werden. Beim Total Immersion werden Kraul- oder

Brustbewegungen so langsam und fließend ausgeführt, dass wir

gleiten wie ein Fisch.

Good Health | 29

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Die Ursachen der meisten Rückenschmerzen liegen direkt unter unserer Haut, im Bindegewebe. Mediziner sind sich sicher: Die gezielte Behandlung der sogenannten Faszien ist der Schlüssel zu einem Leben mit gesundem RückenKaum jemand kennt sie,

jeder hat sie: Faszien sor-gen für Haltung, stärken das Immunsystem und

tragen dazu bei, dass wir uns in unse-rem Körper zu Hause fühlen. Nun ha-ben Forscher herausgefunden, dass Faszien vermutlich sogar der Auslöser der meisten Rückenleiden sind. Good Health hat mit Dr. Robert Schleip, dem deutschen Pionier der Faszienfor-schung, über die Bedeutung des Bin-degewebes gesprochen.

Zur Person: Dr. Robert Schleip ist Bio-loge, Psychologe und Heilpraktiker. Seit 2003 untersucht er an der Univer-sität Ulm, wie Faszien beschaffen sind und wie sie wirken. 2007 initiierte er mit Kollegen den ersten Faszienkon-gress an der Harvard Medical School. Ergänzt durch in- und ausländische Forschungen, stellt seine Arbeitsgrup-pe die Grundlagen über das Gewebe zusammen.

Herr Dr. Schleip, wozu braucht der Mensch

Faszien?

Sie geben dem Körper Form, er würde sonst auseinanderfallen. Wenn Sie einen Muskel nehmen und seine Faszienhüllen auflösen, zerläuft der Muskel wie Sirup. Die Faszie ist ein wenig wie die Wurstpel-

le. Sie hält alles zusammen. Ob der Ober-arm straff oder wie Wackelpudding aus-sieht, hängt im Wesentlichen von der Spannung dieser Hülle ab.

Woraus bestehen Faszien?

Aus unzähligen Lagen weißlicher Kolla-genfasern, die aufeinander gleiten. Es ist eine Art Verpackungsmaterial, das unter der Haut liegt. Ein alles miteinander ver-bindendes, faseriges Netz aus elasti-schem Bindegewebe, etwa 0,3 bis drei Millimeter dick. Oft gibt es zwei Faserrich-

DEN

SELBST HEILENRÜCKEN

tungen, die sich in einem ganz bestimm-ten Winkel kreuzen, deshalb sehen Fas-zien dann so aus wie eine elastische Damen strumpfhose – zumindest wenn sie gesund sind.

Woran merke ich, dass mein Bindegewebe

schwächelt?

Wenn Sie einen schwungvollen, federn-den Laufstil haben, kann man davon aus-gehen, dass auch die Faszien in guter Form und Architektur sind. Aber wenn

SENSIBLE FASERN

Faszien sind unser größtes Sinnesorgan. Seit Forscher diese zähflüssige Substanz

genauer untersuchen, wissen sie, dass das Bindegewebe – vor allem die Rücken-

faszien – eine Fülle an sensorischen, freien Nervenendigungen und Rezeptoren

besitzt. Diese bilden die Grundlage für ein gutes Körpergefühl und eine

intelligente Motorik.

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WAS SIND FASZIEN?Wissenschaftler beschreiben damit den kollagenen, faserigen Teil des Bindegewebes, ein körperumspannendes Netzwerk, ohne das wir uns überhaupt nicht bewegen könnten. Faszien umgeben jeden Muskel, jedes Organ und jede Bandstruktur. An einigen Stellen sind sie locker und zart wie Spinnweben, an anderen Stellen wieder dicht

und straff verwebt. So können wir flexibel auf unterschiedliche Belastungen reagieren. Faszien machen uns robust. Sind sie gesund, können wir problemlos einen Wasserkasten aus dem Auto heben, zwei Treppenstufen auf einmal hinaufhüpfen oder unsere Gelenke in alle möglichen Richtungen bewegen.

Stabil Die Lendenfaszie ist o!enbar der häufigste Auslöser für Probleme mit dem Kreuz. Wer sie trainiert (siehe Übungen Seite 32), senkt das Risiko für Rücken schmerzen um mehr als 90 Prozent.

Flexibel Dehn- und Belastungsübungen trainieren Länge, Stärke und Gleitfähigkeit des Bindegewebes.

Geschmeidig Fibroplasten produzieren bei wiederkehrender Bewegung Kollagen, das die Faszien zart und geschmeidig hält.

Dr. Schleip bei der Visualisierung der Faszien. Anhand eines Holzmodells erklärt er, warum unser Körper dieses allumspannende Netzwerk braucht.

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man das Gefühl hat, dass sich der Körper spröde oder teigig anfühlt, ist das kein gutes Zeichen. Bei Rückenschmerz-Pa-tienten sehen wir bei Operationen oft, dass die Lendenfaszie aussieht wie ein Schlachtfeld.

Also ist das Bindegewebe schuld am Kreuzschmerz?

Vermutlich in einer Vielzahl der Fälle. Man weiß, dass die Bandscheibe nur für eine geringe Anzahl von Rückenproblemen verantwortlich ist – vielleicht für ge-schätzte 20 Prozent. Bei den anderen 80 Prozent tappt man noch im Dunkeln. Als heißer Kandidat kommt jetzt die Lenden-faszie dazu. Sie ist reichhaltig mit freien Nervenendigungen bestückt und muss teilweise mehr Belastung aushalten als die Rücken muskeln selbst. Die Faszie war-tet quasi nur darauf, bei kleinsten Zerrver-letzun gen Schmerzen auszulösen.

Wo sitzt diese schmerz-auslösende Faszie genau?

Im Lendenwirbelbereich zwischen Rü-ckenmuskulatur und Haut. Dort sitzt die Lumbalfaszie, eine dünn-ledrige Schicht, die den Rückenstreckmuskel unterstützt und gelegentlich sogar dessen Halte-arbeit ersetzt – zum Beispiel wenn wir eine schwere Kiste heben. Bei vielen Menschen versagt die Lendenfaszie, weil dem Binde gewebe Kraft und Elastizität fehlen, um dem Muskel beim Vorbeugen einen Teil der Last abzunehmen.

Sie sprachen eben von einem Schlachtfeld.

Wie sieht eine kranke Lendenfaszie aus?

Es haben sich mikroskopisch kleine Risse und Entzündungen gebildet. Stellenwei-se ist das Gewebe verfilzt, unter dem Mikroskop sieht das so aus, als ob sich Spinnweben gebildet hätten. An anderen

Stellen ist das Bindegewebe viel zu dünn. Dann heben Sie einmal einen Koffer, das ist die Rückenfaszie nicht gewohnt, und schon kommt der kleine Riss da rein. Wenn diese Risse sich entzünden, verur-sacht das Schmerzen. Ärzte haben das in den vergangenen Jahren viel zu häufig auf die Bandscheibe geschoben.

Ist es dann überhaupt sinnvoll, Bandscheiben

zu operieren?

Diese Eingriffe sind sehr oft überflüssig. Oft haben die Patienten danach sogar mehr Schmerzen als vorher. Vermutlich

schädigen solche Operationen die Fas-zien, und dadurch verschlimmert sich der Rückenschmerz.

Es gibt aber Rücken-Patienten,

denen es nach einer Bandscheiben-OP

besser geht.

Ja, aber nur einem kleinen Prozentsatz der Operierten. Es ist denkbar, dass die schmerzstillende Wirkung von etlichen Bandscheiben-OPs einfach nur in der par-

tiellen Nervendurchtrennung zur Faszie entstanden ist. Wenn sich das nachwei-sen lässt, müsste man eigentlich nur die Unterhaut operieren und die Faszienner-ven lahmlegen, man müsste gar nicht bis zur Bandscheibe operieren.

Warum wurde das Bindegewebe eigentlich

nicht eher erforscht?

Weil man wenig quantitativ messen konnte. Bei Knochen konnten wir rönt-gen, und um die Aktivität von Muskeln zu untersuchen, setzen wir die Elektromygra-fie (EMG) ein. Bei den Faszien konnte im-mer nur der Osteopath oder der Rolfer sa-gen, wo es sich subjektiv hart anfühlt. Das war nicht befriedigend. Jetzt gibt es neue Messinstrumente, die uns im Reagenz-glas und vor allem im hochauflösenden Ultraschall zeigen, wie sich die Faszien verhalten.

Warum verhärten die Faszien eigentlich?

Das ist vermutlich evolutionär bedingt. Denn früher war es wichtig, dass ich beim Kampf oder bei der Flucht eine hohe Grundspannung habe, um zu überleben. Die Versteifung bietet dann einen Schutz-effekt vor Verletzungen. Das spüren wir im Übrigen heute noch, etwa, wenn der Nacken sich verhärtet. Kurzfristig macht das nichts, dauerhafter Stress schädigt aber die Faszien.

Wieso?

Weil das Bindegewebe dann dauerhaft versteift und hart und spröde wird. Unter

Das Bindegewebe kann sich sowohl bei jungen als auch bei älteren Menschen binnen sechs bis 24 Monaten völlig erneuern, wie Forscher beweisen konnten. Wer zweimal wöchentlich seine Faszien für zehn Minuten gezielt trainiert, kann so selbst chronische Rückenschmer-

zen loswerden. Das beste Training? Ein Mix aus leichter Belastung und langkettiger Dehnung, denn dann bleibt das Bindegewebe flexi-bel und produziert Kollagen, um geschmeidig zu bleiben. Good Health präsentiert die vier einfachsten und wirksamsten Übungen.

WAS HILFT DEN FASZIEN?

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Faszien lieben es, in alle Richtun-gen gezogen zu werden. Linkes Bein auf den Stuhl, rechtes Knie leicht anwinkeln und mit dem Oberkörper und ausgestreckten Armen zur Fußspitze dehnen.

STUHL-STRETCHDie Hände stehen mit geraden Ellbogen unter den Schultern, die Knie unter den Hüften. Rücken nach oben schieben, Nacken einrollen, Kopf nach innen ziehen. In der Position des Katzenbuckels tief einatmen. Beim nächsten Ausatmen ins Hohlkreuz gehen, Kinn nach oben und Kopf in den Nacken legen. Fünmal wiederholen – das perfekte Training für die Lendenfaszie.

KATZENBUCKEL

Mit ausgestreckten, geraden Beinen auf dem Boden sitzen. Mit der rechten Hand die linke Fußspitze berühren, linken Arm parallel zu den Beinen in der Luft halten. In dieser Position nach vorne wippen. Danach die Seite wechseln.

WIPPE

Die feste Schaumstoffrolle unter dem Rücken übernimmt die Aufgabe des Masseurs. Dabei spüren wir schmerzhafte Stellen, die durch langsame Wiederholungen spürbar geschmei-diger und durchlässiger werden.

RÜCKEN-ROLLE

Good Health | 33

ständiger Anspannung schüttet der Kör-per Botenstoffe aus, die zu einer langfristi-gen Verhärtung und Entzündung führen. Das kann auch das Immunsystem schädi-gen. Wir werden dann zum Beispiel anfäl-liger für Erkältungen oder im schlimms-ten Fall für Autoimmunerkrankungen.

Was hilft den Faszien bei dauerhafter Anspannung?

Schlafen zum Beispiel. Denn dann schüt-tet der Körper Wachstumshormone aus, die dem Bindegewebe helfen, neues Kol-lagen aufzubauen. Dadurch verhindern wir, dass die Faszien dünner werden. Au-ßerdem funktioniert die Wundheilung besser. Besonders wichtig für den Kolla-genaufbau ist auch die Aminosäure L-Argi nin, die zum Beispiel in Walnüssen steckt. Bei der Ernährung gilt: Besser als Kohlenhydrate sind Fisch, weißes Fleisch und viel Obst und Gemüse.

Wenn ich ausreichend Sport treibe, werden die

Faszien dann mittrainiert?

Nicht unbedingt. Aber bei den meisten Menschen muss es ein Übungspro-gramm sein, das den Körper ordentlich durchdehnt. Yoga, Pilates oder Tai-Chi sind deshalb so gut, weil sie durch die Dehnung die Faszien stimulieren. Diese regelmäßige Zugbelastung führt dazu, dass die lang gestreckten Faserzellen elastisch bleiben und nicht verkleben. Zudem regt Dehnen die Bindegewebs-zellen an, altes Kollagen durch neues und geschmeidigeres Gewe be zu ersetzen. Allerdings sieht man die Fortschritte bei der Faszien-Fitness nicht sofort, es dauert ungefähr ein Jahr, bis der Körper die Hälf-te des alten Kollagens ersetzt hat.

Und wer kein Fan von Yoga oder Tai-Chi ist?

Was auch gut ist, ist Schwimmen oder Tauchen. Aber es ist wichtig, nicht so kräf-tig mit den Armen ins Wasser zu schla-gen. Eine neue Technik heißt Total Im-

mersion, dabei schwimmt man strom-linienförmiger und gleitet eher wie

ein Fisch durch das Wasser.

Wie oft sollte ich mein Bindegewebe

trainieren?

Ein- bis zweimal die Woche reicht völlig aus. Das Gute ist: Sie müssen

die Faszien nur einmal ordentlich sti-mulieren, dann wird in den nächsten

72 Stunden frisches, neues elastisches Kollagen produziert.

Können Faszien auch durch Stimulation von außen

geheilt werden?

Zumindest können Schmerzen mit sanf-ten Methoden sehr oft besser gelindert werden als durch Operationen. Früher haben Chirurgen immer die Augen ge-rollt, wenn Heilpraktiker von ihren Erfol-gen mit Rücken-Patienten berichtet ha-ben. Die Bindegewebsforschung kann erstmals die wissenschaftlichen Belege liefern, warum Akupunktur und Osteopa-thie wirken. Auch die Rolfing-Massage, mit der Physiotherapeuten Schmerzen lindern, wird jetzt in ihrer Wirksamkeit wissenschaftlich verifiziert.

Wie arbeiten Rolfer?

Wir Rolfer gehen davon aus, dass wir durch einen langsamen, kräftigen Druck von außen die filzartigen Verklebungen auflösen können. Typisch für Rolfing: Der Klient macht bei der Massage mit, er schmiegt sich dann an, wenn der Mas-seur mit dem Ellbogen versucht, am Rü-cken verklebte Stellen aufzulösen.

TEXT INA BRZOSKA FOTOS JALAG SYNDICATION,

PICTUREPRESS, PILATES ANYTIME, GETTY IMAGES 2,

SHUTTERSTOCK ILLUSTRATION MIRJA WINKELMANN

WAS IST

ROLFING?Mit Händen, Knöcheln oder Ellbogen

lockern Therapeuten mit leichtem Druck das Bindegewebe. Die amerikanische Biochemikerin

Ida Rolf (1896–1979) hat die Methode entwickelt, sie war davon überzeugt, dass sich mit

dieser speziellen Form der Massage Haltungsschäden und Verspannungen

lösen lassen und Patienten so am besten von Rückenschmerzen

befreit werden.

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