SCHORSCH - Bücher versandkostenfrei · Eiterkuppe. Während der Fahrt wird heimlich in der Bravo...

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SCHORSCH

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SCHORSCH

Für J., M. und W.

Jean-Paul Prüm

SCHORSCHDer Chef im Bus bin ich

Ein Reise-Roman

SCHWARZKOPF & SCHWARZKOPF

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Wahrscheinlich warst du wieder viel zu schnell,Um den Abend heil zu überstehen.

Dabei solltest du endlich mal lernen,normale Dinge gern zu tun.

Der letzte Schluck, und nur der; war zu stark.Bis nach Hause schaffst du’s nicht.

Und kurz bevor du einschläfst, grinst du dann und meinst »Ich hasse Nickelback«

PASCOW – »Smells Like Twen Spirit«

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StuttgartEnde August

Jahr Zweitausendeins

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Die Abfahrt

Ich denke, ich werde ihn Fleischmütz nennen. Eigentlich sehen sie ja immer alle gleich aus, aber den hier kann ich mir merken. Und das sollte ich auch, denn ich denke, der wird noch Ärger machen. Das spüre ich. Nein. Ich weiß es.

Mit diesen Jugendgruppen ist es eigentlich immer das Glei-che. Du hast einen Bus voll pubertierender Jungs und Mädels, die ihren überkochenden hormongeschwängerten Schweißgeruch mit Billigdeo aus dem Drogeriemarkt zu überdecken versuchen. Auch die weiblichen Aknegesichter werden einfach großzügig übermalt. Trotzdem sieht man unter der braunen Schicht jede Beule und Eiterkuppe. Während der Fahrt wird heimlich in der Bravo geblät-tert und man hört immer ein verwegenes Kichern, wenn die Kids zu den Seiten kommen, die die Auflage hochschrauben.

Aber die Alternative zu diesem jungen Busreisevolk ist auch nicht besser. Rentnergruppen im gleichen beigen Farbton gekleidet, mit dem immer gleichen muffigen Geruch und den immer gleichen Fragen zu meinem Bus: Wie viele Pferdchen hat der denn unter der Haube?, Kann ich die Toilette auch für meinen Reizdarm nutzen? oder auch Können Sie die Lüftung nicht bisschen runter drehen? Ich bekomme schnell einen Zug!. Besonders aber der Anspruch, wie sauber der Bus, auch nach der kürzesten Pause, zu sein hat, ist im-mer der gleiche. Aber ich bin kein Putzmann, ich bin Busfahrer. Wenn die mit ihren gekochten Eiern aus ihren Tupperdosen immer alles vollkrümeln, ist das doch ihr Problem. Dann doch lieber die Jugendgruppen, die riechen nur halb so schlimm und verstopfen mir nicht andauernd die Bordtoilette. So stehe ich nun wieder vor diesem Haufen am zentralen Stuttgarter Omnibusbahnhof. Kurz ZOB. Woher dieses Omni vor Bus kommt, hat mich noch nie in-teressiert. Ich glaube, das kam in der Führerscheinprüfung für die

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großen Kisten damals beim Bund. Oder aber bei der Prüfung zum Personenbeförderungsschein. Gehört habe ich es bestimmt mal, aber so omnipräsent ist der Begriff in meinem Alltag jetzt nicht. Also, lieber vergessen. Alles, was keine Miete zahlt, raus aus dem Kopf. Mit Namen von Leuten bin ich genauso, deshalb verpasse ich denen auch gerne eigene Spitz namen, die am besten was mit ihrem Aussehen zu tun haben. So wie halt Fleischmütz. Fleischmütz scheint in dieser Gruppe derjenige zu sein, der auf die dummen Ideen kommt. Das spüre ich und sehe ich. Seine Hose hängt fast auf den Knien und ist drei Nummern zu groß, obwohl er auch drei Nummern zu groß ist, genauso wie sein viel zu großes T-Shirt, also alles irgendwie sechs Nummern zu groß. Entscheidendes Merkmal ist aber seine Frisur. Er hat zwar keine Halbglatze, die den Namen Fleischmütz auch rechtfertigen würde, aber eine Haarpracht, die aus zwei Teilen zu bestehen scheint: An den Seiten ratzekurz und blond und oben drauf liegt lockiges Haar im Farbton Roastbeef. Er trägt eine haarige Fleischmütze. Neben ihm stehen wohl seine beiden Kumpels in den gleichen viel zu großen Klamotten. Der eine ist aber eher zu klein und hat sich in seine Kurzhaarfrisur Zacken rasiert, die um den kompletten Kopf laufen – ich werde ihn Zacke nennen. Der andere drahtige Typ hat blond gefärbte, vom Kopf abstehende Haare. Der Igel unter den Rotznasen – klar, der heißt ab jetzt Mecki.

»Guten Morgen, ich bin der Torben. Sie müssen der Busfahrer von Busreisen Sturz sein, oder?«

Mit so einem billigen Reim werde ich bei meiner Einschätzung des Teilnehmerfelds gestört. Ich bin mir aber nicht sicher, ob die-ser Torben überhaupt reimen wollte. Er scheint einer der Betreuer dieser Bande zu sein. Ich glaube nämlich nicht, dass Klemmbretter ein neues schickes Accessoire unter jungen Menschen sind, aber vielleicht ist Torben ja auch ein Streber? Ein Genie ist er jedenfalls schon mal nicht. Vielleicht liegt es aber auch an seinem zitronen-gelben Shirt, auf das eine grüne Palme über der linken Brustwarze gedruckt ist. Auf den drei Palmenblättern steht einmal youth, ein-

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mal nur eine 4 und auf dem letzten Blatt fun. Dazu trägt Torben eine funktionale Outdoorhose in Rentnerbeige mit praktischen großen Seitentaschen, in denen er bestimmt ein Taschenmesser, einen Kompass und ein Nähset verstaut hat. Fehlt nur noch der Strohhut für die Touristensafari. Den trägt er aber nicht, sondern eine Schirmmütze im gleichen Zitronengelb wie das Shirt. Ekelhaft, wirklich abstoßend ist aber sein kurzer Ziegenbart mit sauberen Konturen, das Ganze ist ordentlich mit dem Haartrimmer auf sechs Millimeter runtergeraspelt. Ich hasse Ziegenbärte. Was ist denn gegen den guten, alten Schnurrbart einzuwenden? Wieso müssen die Jungs denn heutzutage ihre Bärte am Kinn wachsen lassen? Ich trage meinen Schnürres auch schon seit meinem ersten dichten Bartwuchs mit siebzehn. Fünfundzwanzig Jahre Schnurrbart und ich bereue keinen einzigen Tag.

Seine Frage, ob ich der Busfahrer bin, passt wunderbar in das Bild, das sein dämliches Äußeres vermittelt. Schließlich steige ich gerade aus einem Bus, der die fette Aufschrift Busreisen Sturz – Damit Ihre Reise kein Reinfall wird trägt. Wer sollte ich also sein?

»Nein, ich bin hier der Putzmann. Der Busfahrer steht noch im Stau auf der B14.«

»Oh, das ist aber schlecht. Sind nämlich alle da und wir wollten ja eigentlich um acht Uhr dreißig losfahren und jetzt ist es schon acht Uhr achtunddreißig. Ich hoffe mal, die Jugendlichen werden dann nicht allzu unruhig und verdrücken sich in den Schlosspark. Dann müssten wir sie alle suchen. Können Sie denn den Busfahrer vielleicht anrufen? Haben Sie ein Handy? Ich könnte ihn vielleicht auch anrufen.«

Alter Schwede, dieser Torben ist ein Streber und dazu noch humor los. Das kann was werden. Zwei Wochen mit so einem Typen, die werden lang. Ich werde meine Putzmannrolle noch ein bisschen weiterspielen und lege mir noch einen fremden Dialekt zu. Den Spaß gönne ich mir jetzt.

»Ische nix verstehe. Du wolle spreche Chef?«

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»Na ja, mir wäre lieber, wenn wir einfach den Busfahrer anrufen könnten.«

Er hat den Wechsel zwischen meiner normalen Sprache hin zum anderen Dialekt gar nicht bemerkt. Es wird vielleicht doch noch lustig mit diesem Torben. Den Namen merke ich mir vielleicht so-gar für die nächsten zwei Wochen. Bei den Betreuern ist es eh nicht schlecht, die echten Namen zu kennen. Die wollen in der Regel immer was von einem.

»Anrufen, Chef. Ich kann machen, Sie wolle fahre später?«»Nein, nein. Ich will gleich los.«»Oh, gleich los. Kein Problem, können laden Koffer rein.«»Das wäre schon mal gut. Das machen wir!«Dieser Torben dirigiert zufrieden die bunte Gruppe, die ihre Kof-

fer nun unten in den Bus lädt und damit habe ich mir eine Arbeit bereits gespart. Es ist gut, das Einladen andere machen zu lassen, anstatt es selbst zu machen. Meine Kollegen sind immer ganz scharf drauf, das Gepäck ordentlich unten zu stapeln und reden ständig irgendwas von Lastenverteilung. Konsequenterweise sollten sie dann aber auch die Fahrgäste nach Gewicht verteilen. Denn wenn fünf Fette plötzlich links sitzen und rechts dann noch zwei Plätze frei bleiben, dann ist das mit der Lastenverteilung im Gepäckraum auch mal Essig. Wenn die Kollegen also Eier in der Hose hätten, würden sie auch die Dicken im Fahrgastraum verteilen. Das tun sie aber nicht, weil sie Konflikten mit den Fahrgästen aus dem Weg gehen. Ich habe keine Angst vor Ärger mit den Fahrgästen, allerdings ist mir die Lastenverteilung einfach scheißegal. Ich habe noch nie einen Bus wegen drei Sporttaschen auf der falschen Seite im Gepäckraum umkippen sehen. Ganz einfach weil das nicht pas-siert. Deshalb lasse ich die Leute am liebsten selbst einladen. Das ist besser für meinen Rücken und geht meist relativ flott. So wie heute unter der Regie dieses Torbens. Alles drin, Klappen zu.

Nun scheint Torben aber wieder nervös zu werden, weil er gerne einen Plan für den nächsten Schritt hätte.

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»Alles verstaut!«, schreit er, während er schnellen Schrittes auf mich zueilt und eigentlich schon so nah ist, dass er nicht so zu brüllen bräuchte. »Können wir denn jetzt den Busfahrer anrufen, oder ist der mittlerweile da?!«

»Busfahrer ist nix da. Aber wir könne fahre. Ich könne fahre.«»Ich denke, das ist keine gute Idee. Ich würde doch lieber mit

dem Busfahrer reden.«»Dann mach das doch, Torben. Ich stehe zu deiner Verfügung.«»Nein, der Busfahrer.«Er hat meinen Wechsel in der Sprache schon wieder nicht be-

merkt. Ich muss ihn wohl aufklären.»Ich bin der Busfahrer, Junge. Ich habe mir nur einen kleinen

Scherz erlaubt. Meinst du wirklich, der Bus steht hier immer am Stuttgarter ZOB und die Putzmänner von Busreisen Sturz fahren hier mit der SSB hin? Den Putzwagen und Staubsauger haben sie dann in der Bahn mit dabei, oder wie? Ich stehe hier schon seit acht bereit und habe eine Runde im Bus geschlafen, während ihr Nasen hier eingelaufen seid.«

»Ach so, dann können wir ja gleich los.«»Ja, können wir, wir müssen nur noch euren Hänger ankoppeln

und dann können alle in den Bus.«Hat er jetzt gemerkt, dass ich ihn ein wenig auf die Schüppe ge-

nommen habe? Ist es ihm egal? Kann echt noch lustig werden mit diesem Torben, der gerade mit seiner Ansage beschäftigt ist, während ich den kleinen Hänger von youth4fun hinten an den Bus koppele. Ob dieser Torben den auch mit der Stadtbahn hierhergebracht hat?

»Die erste Reihe im Bus ist für die Betreuerinnen und Betreuer. Ihr könnt dahinter Platz nehmen. Freie Platzwahl sozusagen …« Er kichert kurz. Ich frage mich, wo der Witz ist.

»Ich stehe an der Tür und zähle alle nochmals durch. Sicher ist sicher!«

Während alle einsteigen, werfe ich einen kritischen Blick auf Fleischmütz und seine kleine Gang. Sie drängeln sich nach vor-

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ne, um dann wahrscheinlich hinten im Bus zu sitzen. So Typen drängeln sich immer vor, um dann hinten zu sitzen. Mein erster Verdacht bestätigt sich jetzt schon. Ich werde euch beobachten, Fleischmütz, Zacke und Mecki.

Nach kurzer Zeit stehen nur noch dieser Torben und ich vor der Tür.

»Wie heißen Sie eigentlich?«»Ich bin der Georg, aber meine Freunde nennen mich Schorsch.

Du kannst mich also Georg nennen.«»Super, Georg. Wollen wir dann mal los?«»Ich gehe noch kurz aufs Klo und dann kann es losgehen.«Das mache ich gerne, um meine Macht zu demonstrieren, denn

ohne mich rollt auch kein Bus und das soll dieser Torben bereits jetzt spüren. Ich gehe gemütlich fünf Minuten durch den Schloss-park und lasse die Leute im Bus anschwitzen. Danach kann es los-gehen und ich starte mit meiner ersten Ansage: die zweite Macht des Busfahrers. Georg von Busreisen Sturz, der Herrscher über das Busmikrofon. Und deshalb rede ich auch vor diesem Torben.

»So Leute, ich bin euer Busfahrer, der Georg. Wir fahren heute los nach Italien, um erst mal zwei Nächte in Florenz zu bleiben. Wer mir den Bus dreckig macht, bekommt Ärger. Wer was kaputt macht, bekommt noch mehr Ärger. Pause machen wir, wenn ich sage, dass Pause ist. Vorher fragen bringt nichts. Die Füße bleiben mir von den Polstern und die einzigen zwei, die hier rauchen, sind der Auspuff und ich.«

Ich mache mir genüsslich eine Ernte an und genieße den finsteren Blick von diesem Torben, der schon neben mir wie ein Hündchen wartet, damit er bald auch seine Ansage machen kann. Vor Kurzem haben Schröder und seine Regierungstruppe ein Rauchverbot auch in Reisebussen so gut wie beschlossen. Wenn das der Schmidt wüss-te. Aber für den Chef hinter dem Lenkrad gilt das eh nicht. Diesem Torben gefällt mein Quarzen offensichtlich nicht. Mir gefällt aber auch nicht, dass er sich den Beifahrersitz ausgeklappt hat und er

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mir die ganze Fahrt über auf die Finger schauen will. Der wird sich noch wundern, genau wie Fleischmütz. Der wird sich auch noch wundern. Aber erst mal gebe ich das Mikrofon an diesen Torben weiter. Soll er doch seine blöde Ansage machen.

»Hey Leute, willkommen auf unserer Reise mit dem Jugend-freizeittrip von youth4fun e.V.. Ich freue mich, dass ihr dabei seid. Ich bin der Torben und hier vorne sitzen auch eure anderen drei Betreuerinnen und Betreuer: der Gerrit, die Micha und die Caro. Ich melde mich später noch mal, bevor wir über die Alpen brausen. Bis später.«

Leises Getuschel im Bus, sonst passiert nichts. Während wir in den Heslacher Tunnel fahren, kniet der Torben auf dem Beifahrer-sitz und flirtet mit der brünetten Betreuerin, die wohl diese Micha ist. Ich könnte ihn jetzt anmachen, dass er das gefälligst lassen soll, ich habe mein Revier aber heute schon zweimal markiert. Das bewahre ich mir für später auf. Ich komme eh gerade wieder ins Grübeln.

Vor vier Jahren bin ich noch mit einem Linienbus gemütlich durch die beschauliche Eifel getuckert. Meine eine Route führte von Prüm bis Cochem über Büdesheim, Gerolstein, Daun und Ulmen. Einmal Mosel und zurück. Die zweite führte von Prüm nach Gerolstein, aber hier wurden aus den zwanzig Kilometern über die B410 eine fast doppelt so lange Route, da ich jedes Kaff auf dem Weg anfahren musste und so auf den nebenher führenden Landstraßen schleichen durfte. Aber bis auf die plärrenden Schul-kinder am Morgen und am Mittag war das alles ziemlich locker, denn es war nämlich sonst nie was los. In der Eifel fährt eh jeder Auto, da nimmt fast keiner den Bus. Was auch kein Wunder ist, wenn der Bus nur alle drei Stunden fährt. Von wegen Zehnminu-tentakt. Aber hier lag auch das Problem. Da in den Dörfern sowieso niemand einstieg, kürzte ich die Route von Prüm nach Gerolstein gerne mal ab und fuhr nur den direkten Weg. Einziger Halt: Bü-desheim; Endstation: Gerolstein. Dort musste man immer auf die

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verspätete Bahn aus Köln warten, um dann mögliche Fahrgäste von Bahn zu Bus aufzusammeln. Dank meiner Abkürzung konn-te ich also gemütlich einen Kaffee im Bahnhofskiosk trinken und freitags auch gerne mal ein Bierchen in der Bahnhofswirtschaft. Wer nichts wird, wird Wirt; wer gar nichts wird, wird Bahnhofswirt. Ein geiler Spruch von meinem Thekenkumpel Jupp, der freitags nach dem Malern dort auch gerne ein Herrengedeck wegkippte. Ich kam mit meiner Abkürzung über ein Jahr lang durch, bis die RMV die schnelle Verbindung bis Cochem komplett aus dem Fahrplan strich und nur noch die Käffertour blieb. Angeblich gab es keine Fahrgäste auf der schnellen Route, allerdings galt das noch mehr für die langsame Tour. Manchmal verirrte sich aber dann doch ein Fahrgast in den Bus; besonders seit es die schnelle Verbindung nicht mehr gab, fuhren auch ein paar Leute die langsame. Konnte ich ja nicht ahnen, dass die da auf den Dörfern vergeblich auf den Bus warteten, während ich schon gemütlich einen Kaffee in der Hand hatte. Ahnen hätte ich allerdings können, dass Leute sich gerne be-schweren. Das tun Menschen ja wirklich gerne und es brachte mir meine erste Abmahnung ein.

An Samstagen fuhr gerne mal so ein Jugendlicher mit seiner Gitarre über der Schulter nach Gerolstein, der jeden Sonntag den Bus zum Mittag wieder zurück nahm. Er sah mit seiner falschblon-den Igelfrisur ein bisschen aus wie dieser Scooter-Typ, der immer so einen Käse rumbrüllt. Er trug auch immer diese zu großen Hosen und Pullis mit unverständlichen Aufdrucken. Was zum Teufel sollte ein No Use for a Name sein oder ein Lagwagon? Da er aber eine Konstante war und meist der einzige Fahrgast, fing ich irgendwann an, ihm einen kleinen Rabatt zu geben. Statt sieben Mark neunzig konnte er für einen glatten Heiermann bei mir einsteigen, der dann immer in meine private Tasche wanderte statt in den offiziellen Geldbeutel der RMV. So hatten wir beide was davon. Auch wenn ich bei so Aktionen immer vorsichtig war, wurde ich dann doch erwischt. Ich vergaß, dass ich schon einen Fahrgast ab Gerolstein

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im Bus sitzen hatte, als ich wieder das Geld des Jungen in meine Tasche abkassierte. Es war ein Sonntag – wer ist da schon fit? – und so hatte ich während der Ernte vor dem Bus vergessen, dass bereits ein Fahrgast drin saß. Wer bitte steigt auch fünfzehn Minuten vor Abfahrt ein? Dieser vierzigjährige Spießbürger war nicht bloß eine Petze, sondern sogar ein Kontrolleur. In der Eifel? Ein Kontrolleur? Wer rechnet damit? Es war allerdings auch kein Fahrkartenkontrol-leur, sondern ein Kontrolleur, der die Busfahrer bespitzeln sollte.

»Wir haben gehört, dass es auf dieser Route zu Abweichungen vom Fahrplan kommen soll. Deshalb bin ich hier und wollte Ihre Route prüfen. Aber Betrug? Damit hätte ich nicht gerechnet. Ich könnte mir vorstellen, dass das Ärger für Sie bedeutet.«

Er konnte es sich also vorstellen, dass das Ärger geben könnte. Seine Meldung hatte natürlich nichts damit zu tun, dass aus der Vorstellung auch Realität wurde. Fristlose Kündigung bei der ein-zigen Verkehrsgesellschaft zwischen der Mosel und Köln.

»Könnte es sein, dass Sie sich nicht ganz auf den Verkehr kon-zentrieren, Georg?«

Torben reißt mich aus meinen Erinnerungen. Er scheint mich doch während seines Flirts mit der Micha beobachtet zu haben. Wusste ich doch, ich sollte ihn jetzt zusammenfalten. Die Macht im Bus sitzt hinterm Lenkrad.

»Setz dich mal lieber vernünftig hin; wenn ich bremse, dann fliegst du vorne durch die Scheibe und zwar mit dem Rücken zu-erst. Auf meinen Sitzen wird nicht gekniet, außer ich hab hier privat Besuch. Wenn du verstehst, was ich meine?«

Der hat gesessen.»Sie fahren die ganze Zeit auf der Mittelspur. Wir sind seit der

Auffahrt bis hier zum Flughafen noch nicht auf der rechten Spur gefahren. Wir werden sogar rechts überholt. Ich setze mich hin, wenn Sie vernünftig fahren, Georg. Okay?«

Ich wusste es! In dem Torben da schlummert was. Er ist so ein Grinsepeter, hinter dessen Fassade ein kleiner Hitler schlummert.

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So nicht, Freundchen. Der Krieg hat gerade erst begonnen, wir sind gerade erst gestartet. Da war der echte Hitler auch noch guter Dinge und hat wahrscheinlich genauso dumm gegrinst. Sehen wir mal, wer in zwei Wochen hier als Sieger rausgeht. Ich wette nicht auf dich, Torben. Und besonders nicht auf Fleischmütz. Den darf man nie vergessen, hinten im Bus schlummert ja noch eine zweite Gefahr.

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Der Torben

Ich hasse die Strecke auf der A8 zwischen Stuttgart und Ulm. Mit einem langsamen Reisebus sind die unzähligen fest installierten Blitzer zwar egal, vor allem weil ich nicht drauf wetten würde, dass nur eines von den Dingern überhaupt noch funktioniert. Ich glau-be, hier wird die gleiche Taktik gefahren wie in Stuttgart auf der B14. Da lassen sie ja auch ganze Generationen von Blitzern zur Ab-schreckung einfach hängen. Wer mal ein fahrbares Blitzermuseum besuchen will, muss einfach nur die B14 vom Neckar bis zum Ma-rienplatz fahren. Ein Technikmuseum auf der Stadtautobahn. Was man sich so früher unter Fortschritt vorgestellt hat, ist heute auch nur eine weitere Stauroute und eine hässliche noch obendrauf. Eine Autobahn in der Innenstadt, auf so was muss man erst mal kom-men, da kann man ja gleich einen ganzen Bahnhof vergraben – das wäre eine ähnlich schwachsinnige Idee. Mehrere Stadtautobahnen durch die Innenstadt können auch nur in Stuttgart so konsequent gebaut worden sein.

Und ähnlich wie in der Stuttgarter Innenstadt fahren wir auch auf der A8 von Stuttgart bis Ulm nahezu im Schritttempo. Die Fahrt fängt wirklich nicht gut an, aber überraschen tut es mich nicht. Zwischen mir und dem Torben herrscht während der zwei Stunden

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bis Ulm Schweigen. Anfangs diese Art von unangenehmem Schwei-gen, die Menschen gewöhnlich nur schwer ertragen können, was ich aber als Busfahrer super aussitzen kann. Auch wenn in Reise-bussen scheinbar die Regel Nicht mit dem Busfahrer sprechen keine Gültigkeit besitzt, kommt es auf längeren Routen immer wieder zu solchen Momenten, in denen alles erzählt ist, man aber den Bei-fahrer nicht gut genug kennt, um gemeinsam gemütlich zu schwei-gen. Ich bin durchaus daran gewöhnt und so war mein nächster Sieg gegen den Torben auch nur eine Frage der Zeit. Nach zwanzig Minuten Stille, für ihn unangenehm, für mich ein Triumphzug, gab er auf. Auf den Sitz knien und weiterflirten ging für ihn aufgrund meines Verbotes nicht mehr, also hat er den Discman ausgepackt. So konnte ich auch einen knappen Blick in Torbens CD-Mappe werfen. Nickelback kenne ich von einer Bravo Hits, finde ich aber langweilig. Die hört der Torben gerade. Die Toten Hosen kenne ich natürlich auch, finde ich aber jetzt auch nicht so toll. Vielleicht mal dieses Jägermeisterlied an Karneval aus voller Kehle grölen, aber sonst, nee. Wer 3 Doors Down oder Crazy Town sind, weiß ich nicht. Wenn es in Torbens CD-Mappe steckt, scheint das aber auch so Rockzeugs zu sein. Mir egal, so Rock kommt bei den jungen Din-gern nur bedingt gut an, deshalb interessiert mich das nicht. Musik, die ich höre, muss besonders beim anderen Geschlecht ankommen, wie zum Beispiel dieses Moulin-Rouge-Lied. Gitschi-Gitschi-Ahja-Gaajaa. Geil!

Der Torben hört seit guten eineinhalb Stunden diese Nickelback und wippt mit dem Fuß gegen jeden Rhythmus. Sein nervöses Gezitter macht mich nervös, aber das lasse ich mir natürlich nicht anmerken. Ihn macht auch sichtlich nervös, dass ich gemütlich alle zwanzig Minuten eine 23 ernte. Der Auspuff und ich, der Raucher-klub im Reisebus von Busreisen Sturz.

Warum der Torben nicht einfach eine Reihe weiter hinten bei den anderen Betreuern sitzt, ist mir schon lange klar: Er will mir auf die Finger schauen. Kontrollfreak! Sein Opa war bestimmt Block-

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wart und Papa arbeitet an den Wochenenden ehrenamtlich beim Ordnungsamt und verpetzt die Nachbarn, wenn der Gehweg nicht um halb acht vom Schnee befreit wurde. Der Torben hat ganz in alter Familientradition bestimmt irgendwo eine Tabelle mit Lenk-zeiten in der Tasche, damit er weiß, wann er mich an den Eiern hat. Ich werfe mal eine CD rein, das hebt die Stimmung und stört den Torben beim Hören seiner Nickelback. Die Bravo Hits 2000 ist jetzt genau das Richtige …

Fr-Fr-Fr-Fr-Freestyler, rock the microphone.Straight from the top of my dome.Freestyler, rock the microphone.Carry on, with the freestyler …Geil, das rockt. Das wird die Stimmung im Bus heben. Ich drehe

noch etwas lauter. Der Torben hat seine Kopfhörer schon abgesetzt und schaut genervt zu mir rüber.

»Muss das so laut sein, Georg? Ich glaube, hinten im Bus schlafen ein paar unserer Teilnehmer.«

Ja genau, hinten im Bus wird also geschlafen? Bestimmt ist das so, Torben. Das ist so bei den Rentnergruppen, die nach dem ersten Wienerwürstchen und dem ersten gekochten Ei, mit lecker Senf, ge-schmückt mit gelben Eigelbkrümeln auf dem beigen Strickpullover, wegknacken. Aber doch nicht bei Jugendgruppen und bestimmt nicht bei der hier. Ich weiß ganz genau, was gerade hinten im Bus passiert. Da etabliert Fleischmütz gerade mit seinen Gehilfen Zacke und Mecki sein Terrorregime.

»Hey, Georg. Können Sie das bitte leiser drehen?«»Das ist doch Hammer, lass den Leuten im Bus doch ihre Freude.«»Der Song ist über ein Jahr alt und hat einen wirklich bescheuer-

ten Text. Das will echt keiner mehr hören. Die meisten halten sich die Ohren zu. Machen Sie es doch einfach leiser.«

Die Schlacht auf der A7 gewinnt er nicht, den Sieg auf der A8 habe ich schon in der Tasche, da gebe ich nicht die A7 her. Hinten im Bus wird es aber tatsächlich lauter. Erste Schreie höre ich, die

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aber das Gegenteil von lauter zu fordern scheinen. Kein Jubel und kein Applaus? DJ Schorsch hatte wohl keinen Kavalierstart.

»Leiser!«»Mach die Kacke aus!«»LEISER!«Ist ja gut, verdammt! Ich weiß bisher nicht, wie die Stimme von

Fleischmütz klingt, aber ich bin mir sicher, dass das mit der Kacke von ihm kam. Die momentane Niederlage einzugestehen wäre an sich kein Problem, denn ich führe ja haushoch gegen den Torben, in Stuttgart hatte ich ja auch schon meine Siege, nicht nur auf der A8. Allerdings möchte ich meinen ersten Punkt nicht so ohne Wei-teres aufgeben und nicht schon auf der A7. Hinter dem Brenner vielleicht, aber nicht hier, nicht jetzt. Ich zünde mir also noch ge-mütlich eine Ernte an und drehe dann ganz langsam die Lautstärke wieder runter. Bei Lied Nummer vier – Britney Spears – ist die Musik schon wieder fast auf normalem Niveau. Jetzt heißt es be-ständig weiter runterschrauben. Die Liedpausen helfen da natürlich enorm. Bis Memmingen habe ich die Lautstärke so weit reduziert, dass es im Bus kaum lauter ist als die übliche Beschallung mit Fahr-stuhlmusik im Supermarkt. Die erste CD der Bravo Hits 2000 ist auch fast durch und Rufe von hinten gab es auch schon länger nicht mehr. Der Torben hört wieder Nickelback über seine Kopfhörer, also nichts weiter passiert. Das kann echt nicht als Punktverlust gewertet werden und wegen der Lenkzeiten bekommt mich Tor-ben erst mal auch nicht am Schlafittchen. In einer halben Stunde werden wir die erste Pause auf dem Rastplatz Allgäu machen, da kann selbst ein Stau mir die Lenkzeit nicht mehr vermasseln, ich habe nämlich noch gute eineinhalb Stunden Puffer. Bevor wir uns über den Fernpass quälen müssen, will ich aber noch ein Tässchen Kaffee. Ich habe heute Morgen meine volle Thermosflasche zu Hause stehen lassen. Das war alles zu knapp, mit Kater zu packen und zu frühstücken. Ich musste mir lange die Zähne putzen, um den Pelz der Nacht wegzuschrubben, dann ein schneller Toast und

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alles flugs in den Koffer geworfen. Warum mache ich das nie am Abend davor? Bei der letzten Tour hatte ich vergessen, Unterhosen einzupacken. Es war echt unangenehm, ganze neun Tage nur eine Cordhose zwischen meinem Hintern und dem Fahrersitz zu haben. Schrupp, schrupp, schrupp. Wie ein Sonnenbrand, nur an der Stelle, an der die Sonne normal nie scheint.

Ich sollte mir vor Touren nicht immer so heftig einen wegzim-mern, heute früh war es kein Spaß, den Bus bei der Firma auf dem Platz abzuholen und zum ZOB zu fahren. Immerhin ging alles schneller als gedacht und Polizeikontrollen wegen Restalkohol muss man in einem Reisebus in der Innenstadt generell nicht fürchten. Ich konnte mich eine halbe Stunde in die Schlafkabine knallen und auf die Wirkung der Aspirin hoffen. Und die wirkte ausnahmsweise mal. Dank der positiven Wirkung von Kopfwehtablette und Schlaf konnte mein anhaltend ungebrochener Siegeszug gegen den Torben starten.

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Erst mal eine Pause

Während ich den Blinker nach rechts setze und die Abbiegespur schon fest im Blick habe, schnappe ich mir das Busmikrofon, um die frohe Kunde von der Pause zu verbreiten. Pausenankündigun-gen kommen bei Jugendgruppen immer gut an, da sich dann die vermeintlich Coolen in eine Ecke verdrücken können, um zu rau-chen, die anderen vermeintlich Coolen den Versuch starten kön-nen, überteuerten Alkohol im Tankstellenshop zu ergattern und die Normalos den Druck von den mit Süßigkeiten und Salzgebäck belasteten Därmen abzulassen.

»So, Leute. Wir machen jetzt den ersten Halt auf einem Rastplatz und wir haben jetzt zehn nach zwölf. Um zwanzig vor eins fahren

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wir wieder los. Wer dann nicht zurück am Bus ist, bleibt hier im Allgäu, bis wir in zwei Wochen, bei der Rückfahrt, wieder vorbei-kommen. Im Bus bleibt mir keiner sitzen. Den schließe ich nämlich komplett ab und ihr braucht gar nicht zu versuchen, mich zu über-reden, doch mal reinzugehen. Ich wünsche euch guten Stuhlgang und damit auch einen guten Rutsch!«

Der Torben schüttelt fast unmerklich den Kopf. Der versteht echt keinen Spaß. Wir haben jetzt ja eine halbe Stunde Ruhe voreinan-der. Da kann er auch mal runterkommen.

Ich habe mittlerweile geparkt und öffne beide Türen des Busses und die Ersten drängeln sich schon hinten raus, das sind dann ent-weder die Raucher oder die Stuhl-Gang. Geil. Den bringe ich bei der nächsten Pause.

Aber, so lustig ist es dann doch nicht, denn genau das Thema nervt mich an meinem Job am meisten. Ich glaube, jeder Mensch hat das Bedürfnis, sein Geschäft an einem stillen und vertrauten Ort zu verrichten. Das eigene Klo ist dabei der Ort, an dem man sich am wohlsten fühlt. Ich habe sogar von Leuten gehört, die gerne dort lesen, um komplett zu entspannen. Wenn ich es mit dem Lesen hätte, würde ich das wohl auch machen, aber mit Büchern kannst du mich jagen und in Zeitungen steht eh nur Schrott. Wenn ich schlechte Nachrichten lesen will, dann gehe ich zur Bank und hole mir einen Kontoauszug. Noch so ein geiler Spruch von meinem alten Thekenkumpel Jupp. Wie ich die Bahnhofskneipe in der Eifel doch vermisse.

Ich vermisse nicht nur den guten Jupp ein wenig, nein, ich ver-misse auch meine eigene Klobrille in meiner gemütlichen Bude in Zuffenhausen. Das ist ja eigentlich ganz logisch. Man trägt ja auch keine Brillen von Fremden auf der Nase, da fühlt man sich ja auch nicht wohl, weil man eben den falschen Durchblick hat. Und genauso ist es beim großen Geschäft. Einen Bob schickt man einfach ungern auf einer fremden Brille in die Bahn. Bei jeder zwei-ten Pause hat man genau dieses Problem. Immerhin gibt es heute

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genug Papier, um einen Kranz zu legen und alles läuft normal. Nur noch schnell den Tunnelblick auflegen und an der Klofrau vorbei-eilen. Ich sehe es echt nicht ein, bei meiner Arbeit – und da bin ich nun gerade – auch noch für das stille Örtchen zu blechen. So weit kommt es noch. Ich habe mich schon oft gefragt, wann die Klomafia auf die Idee kommt, so etwas wie eine Schranke vor die Toiletten zu setzen, um den Reisenden und Berufsfahrern keine Chance mehr zu lassen, sich einfach vorbeizuschleichen. Da könnten sie ordent-lich Kohle machen. Das Klo ist der letzte verbliebene Platz eines Rasthofs, an dem man nicht skrupellos abgezockt wird oder zu-mindest die Chance dazu bekommt, wenn man eisenharte Nerven hat, sich am Putzmann vorbeizudrücken. Wundert mich echt. Die Schranke wäre bestimmt nach einer Woche mit der Notdurft harm-loser Menschen schon abbezahlt.

Nachdem ich meinen Kaffee für drei Mark gekauft habe, ver-suche ich, ein stilles Plätzchen zu finden, an dem mir keiner aus der Reisegruppe auf die Nerven gehen kann. Ich hatte schon beim Kaffeekauf das ungute Gefühl, von allen Seiten beobachtet zu wer-den. Ich kenne die Gruppe noch nicht so gut, dass ich die Mitglieder wiedererkenne und das macht mich nervös. Aber hier unter dem Baum sollte mich keiner finden und ich kann mich gemütlich an-lehnen. Der Schatten unter dem Baum ist bei der Mittagshitze auch nicht zu verachten. Ich könnte glatt ein Nickerchen machen. Der Kater meldet sich wieder und der Kaffee wirkt noch nicht. Zehn Minuten Pause bleiben noch. Gähn.

»GEORG! GEORG! Wo sind Sie?«Das ist doch Torbens Stimme.Der schon wieder. Alleine die Tatsache, dass ich seine Stimme

schon jetzt wiedererkenne, zeigt mir, wie sehr ich ihn bereits ver-achte.

»GEORG! GEORG?«Jetzt klingt es wie ein ganzer Schulchor. Die rufen jetzt alle nach

mir. Wenn der Torben in den Rhein springt, springt ihr wohl alle

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mit. Dabei habe ich doch klar angesagt, dass keiner in der Pause in den Bus kommt. Ich ziehe mich behäbig am Baum hoch und gehe ganz bewusst langsam in Richtung des Busses. Ich bin hier der Chef am Lenkrad und nicht der Hampelmann mit dem Busschlüssel. Wie schon in Stuttgart kommt mir der Torben entgegengelaufen und schreit schon wieder unangemessen laut.

»WO BLEIBEN SIE DENN?«»Hör mal. Wo ich mich in meiner Pause rumtreibe, geht dich

rein gar nichts an. Haben wir uns da verstanden?! In der Pause rufst du mich nur, wenn der Bus brennt.«

Ich mache mir gemütlich eine Ernte an. Ich sollte für so Momente Streichhölzer in der Tasche haben. Dann sähe es verwegener aus als mit dem Elektrofeuerzeug.

»Und ich bin für die Gruppe und den Zeitplan verantwort-lich …«, der Torben will wohl sein nicht vorhandenes Revier mar-kieren, »… und wenn wir um zwanzig vor eins weiterfahren woll-ten, dann werde ich Sie wohl um eins mal rufen dürfen. Können wir jetzt bitte weiterfahren?!«

Verdammter Mist! Ich bin wohl richtig fest eingeschlafen und habe meine selbst gesetzte Abfahrtszeit um zwanzig Minuten ver-pennt. Bloß nichts anmerken lassen. Während der Torben neben mir in Richtung Bus hertrabt und wir uns den vorwurfsvollen Blicken der Gruppe nähern, kommt mir ein einfacher Plan. Da komme ich raus. Ich trinke den lauwarmen Rest aus meinem Kaf-feebecher, ganz langsam, dann ein tiefer Zug von der Ernte. Bloß nichts anmerken lassen.

»Wie viel Uhr haben wir denn, Torben?«»Fünf vor eins«, entgegnet er.»Eben hast du noch gesagt, es wäre schon eins. Und wieso stresst

du mich überhaupt? Ich habe gesagt, um eins geht’s weiter und das geht es auch.«

»Sie haben zwanzig vor eins gesagt …«, jetzt dreht er sich zu unserer Reisegruppe, »… hat er doch, oder?«

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Ich sehe dreißig Köpfe nicken und höre gemurmelte Ja-hat-er. Jetzt muss ich geschickt handeln, der Torben stellt mich hier nicht so einfach an den Pranger.

»Das müsst ihr alle falsch verstanden haben. Das ist nicht zum ersten Mal in diesem Bus passiert. Von daher könnt ihr das nicht wissen. Der Setra von 96 hat ein ganz mieses Bordmikrofon, das übersteuert und knackt immer. Deshalb habt ihr mich falsch ver-standen. Ich habe nicht zwanzig vor eins gesagt, sondern ich habe pünktlich um eins gesagt. Ich sage immer runde Zeiten für die Ab-fahrt. Zwanzig vor kann sich ja kein Mensch merken. Also für die Zukunft: Bei mir gibt es nur Viertel nach, halb, Viertel vor und Punkt. So wie jetzt halt um Punkt eins Abfahrt gesetzt war. Wir haben noch zwei Minuten. Also ab in den Bus.«

»Das kauft Ihnen doch kein Mensch ab«, höre ich den Torben leise zischen. Das war nicht gezielt an mich gerichtet, er wollte es nur rauslassen. Den direkten Konflikt scheut er natürlich. Passiv-aggressiv, der Torben, das habe ich mal bei dieser Psychotante Kall-wass auf Sat1 gelernt. Keinen Mut zur offenen Schlacht, der Torben. So macht er nie einen Stich gegen mich.

Ich schließe den Bus auf und öffne die vordere Tür, damit die Reisegäste in den Bus kommen. Die vorbeiziehenden Blicke zeigen mir, dass sie mir den Bluff nicht ganz abgekauft haben. Aber bewei-sen können sie mir gar nichts. Und darauf kommt es an. Nachdem Fleischmütz und seine Bande, die als Einzige nicht vorwurfsvoll gucken – was auch wieder verdächtig ist –, eingestiegen sind, kann ich mir auch mal den Rest der Bande ansehen. Da sind noch mehr, für die ich Spitznamen vergeben kann, um mir die Teilnehmer zu merken. Einige Typen tauchen scheinbar in jeder Gruppe auf, wie die rotbäckige, mollige Blonde in rosa Klamotten. Das ist einfach. In jeder Gruppe gibt es einen Schweinchentyp. Mollig, blond, rosa. Also Piggi, ist schon mal klar. Genauso wie der Rostige. Rote Haare, Sommersprossen, auch einfach. Den Dürren gibt es leider zwei Mal. Doof. Und es sind zwei dicke Jungs in der Gruppe. Da muss ich

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mir noch was einfallen lassen, um sie zu unterscheiden. Das wird schwer.

Als ich als Letzter einsteige, hebt sich urplötzlich meine Laune. Der Torben sitzt in der ersten Reihe neben dieser Caro. Vorne, an der Treppe, steht diese Micha im zitronengelben Shirt bereit, um Platz auf dem Beifahrersitz zu nehmen. Bei ihr sieht das Shirt in Kombination mit ihrem knappen Jeansrock gut aus. Es gibt also wohl einen Schichtplan zur Kontrolle des Busfahrers. Ich muss den Torben somit nicht die ganze Fahrt auf dem Beifahrersitz ertragen. Nachdem ich am hochgeklappten Sitz vorbei bin, klappe ich dieser Micha den Sitz runter und lächele freundlich. Sie schaut eher kri-tisch, aber die bekomme ich schon weich. Der Blick begründet sich bestimmt noch auf dem kleinen Zeitfauxpas in der Pause. Vorerst ist aber Zeit für eine Ansage durch das Mikro, um das Ruder wieder fest in der Hand zu haben.

»So, Leute, pünktlich um eins fahren wir also wieder los. Super, dass ihr alle so pünktlich zurück am Bus gewesen seid und wir auf keinen warten mussten. Nächster Halt dann hinterm Brenner.«

»Also ich höre da nix am Mikro knacken. Der Typ ist doch durch«, höre ich irgendwo von hinten. Eben so laut, dass ich es auch bestimmt hören kann und wohl auch sollte. Ich lasse mir aber nichts anmerken. Das kann nur Fleischmütz gewesen sein. Bestimmt war er das. Den bekomme ich spätestens in Florenz zwischen die Finger.

Aber jetzt Blinker links und wieder auf die A7.

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Die Micha

Gemütlich rollen wir über die Fernpassstraße und obwohl es auf dieser Strecke immer schleppend läuft, mag ich sie doch immer, wenn ich Richtung Süden fahre. Erst geht es am Fuße der Zugspitze