Schuldrecht AT, 30.06 - meyer-pritzl.jura.uni-kiel.de - SR... · fehlerhaft durch, so dass M nicht...

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Schuldrecht AT, 30.06.2014 PD Dr. Sebastian Martens, M.Jur. (Oxon.)

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Schuldrecht AT, 30.06.2014

PD Dr. Sebastian Martens, M.Jur. (Oxon.)

§ 6: Schadensrecht

I. Grundgedanken und Grundbegriffe

• Das Schadensrecht regelt den Inhalt von Schadens-ersatzansprüchen, deren Bestehen es voraussetzt.

• Schadensersatzansprüche können verschiedene Funktionen haben:

– Primär dienen sie dem Ersatz von eingetretenen Schäden und sind so Ausdruck der ausgleichenden Gerechtigkeit (iustitia commutativa).

– Immer stärker wird der präventive Zweck von

Schadensersatzansprüchen betont: Durch die

Drohung belastender Ansprüche soll ein bestimmtes

Verhalten erzwungen werden.

– In den USA verbreitet sind außerdem sog. punitive

damages, die der Bestrafung des Täters dienen.

• Traditionell steht die Ersatz- oder Ausgleichsfunktion

des Schadensersatzes im deutschen Recht ganz im

Vordergrund.

• Hieraus folgt der Grundsatz der Totalreparation:

Der Schädiger hat den gesamten Schaden zu ersetzen, den er zurechenbar verursacht hat.

• Die Höhe des Schadensersatzes ist deshalb grund-

sätzlich unabhängig von der Art des Verschuldens.

• Der Schädiger hat grundsätzlich auch Schäden zu

ersetzen, die oder deren Höhe er nicht vorhersehen konnte.

• Andererseits soll der Schädiger auch nur den Schaden

ausgleichen. Der Geschädigte soll durch den

Schadensersatzanspruch nicht bereichert werden.

a. Der „natürliche Schadensbegriff“ des BGB:

Jede unfreiwillige Einbuße an materiellen oder immateriellen Gütern und Interessen.

Unterscheide: Aufwendungen: freiwillige Vermögensopfer.

• Zum ersatzfähigen Schaden werden aber auch

erforderliche Aufwendungen gerechnet, die der

Geschädigte zur Abwendung oder Minderung eines

drohenden Schaden tätigt.

• Der natürliche Schadensbegriff wird in Ausnahmefällen

normativ korrigiert:

– Manche natürliche Schäden sollen nicht ersetzt

werden („Kind als Schaden“, sehr strittig)

Fall (nach BGHZ 76, 249):

Die M hatte bereits drei Kinder geboren. Die letzte

Geburt war sehr schwierig gewesen, und es bestand

die Gefahr noch größerer Komplikationen bei einer

weiteren Schwangerschaft. Aus diesem Grund

wandte M sich an den Arzt A, um sich sterilisieren

zu lassen. A führte die Operation aber fahrlässig

fehlerhaft durch, so dass M nicht sterilisiert wurde.

In der Folgezeit wurde M wieder schwanger und

gebar die K. Nun verlangt M von A Ersatz aller

Kosten, die ihr im Hinblick auf die Aufzucht der K

entstehen. Zurecht?

a. Der „natürliche Schadensbegriff“ des BGB:

Jede unfreiwillige Einbuße an materiellen oder immateriellen Gütern und Interessen.

Unterscheide: Aufwendungen: freiwillige Vermögensopfer.

• Zum ersatzfähigen Schaden werden aber auch

erforderliche Aufwendungen gerechnet, die der

Geschädigte zur Abwendung oder Minderung eines

drohenden Schaden tätigt.

• Der natürliche Schadensbegriff wird in Ausnahmefällen

normativ korrigiert:

– Manche natürliche Schäden sollen nicht ersetzt

werden („Kind als Schaden“, sehr strittig)

– In manchen Fällen ist das Vermögen zwar nicht

gemindert, aber es gibt dennoch einen Anspruch

(z.B.: Versicherung hat Schaden ausgeglichen).

b. Vermögens- und Nichtvermögensschäden

• Ob und inwieweit ein Schaden vorliegt, ermittelt man, indem man den gegenwärtigen Zustand mit dem Zustand vergleicht, der ohne das schaden-stiftende Ereignis bestünde.

• Soweit möglich, muss der letztere Zustand gemäß

§ 249 I BGB in natura hergestellt werden

(Naturalrestitution).

• Ist eine Herstellung in natura nicht möglich, kann nur

Geldersatz geleistet werden.

• Ergibt die Schadensermittlung eine Differenz im Vermögen des Geschädigten, ist diese Differenz

grundsätzlich als Vermögensschaden zu ersetzen.

Beispiel: Ein Oldtimer im Wert von 100.000 € verbrennt.

• Manche Schädigungen bilden sich nicht im Vermögen

des Geschädigten ab, man spricht auch von

immateriellen Schäden.

Beispiele:B tritt den A vor das Schienbein, so dass A einen

Bluterguss erleidet und zwei Wochen starke Schmerzen

hat. C überfährt fahrlässig den geliebten 13jährigen

sterbenskranken Hund der D, die deshalb sehr trauert.

• Für Nichtvermögens- oder auch immaterielle Schäden kann eine Geldentschädigung gemäß § 253 I BGB nur ausnahmsweise in den gesetzlich ausdrücklich

vorgesehenen Fällen verlangt werden.

• Die Abgrenzung zwischen Vermögens- und Nichtver-mögensschäden ist vielfach schwierig, weil umstritten

ist, welche Positionen sich wie im Vermögen abbilden.

c. Positives und negatives Interesse

Bei vertraglichen Schuldverhältnissen kommen häufig zwei Vergleichspositionen ohne das schädigende Ereignis in

Betracht. Der Geschädigte könnte so gestellt werden,

− wie er ohne den Vertrag gestanden hätte (negatives oder Vertrauensinteresse).

− wie er bei ordnungsgemäßer Durchführung des Vertrags gestanden hätte (positives oder Erfüllungsinteresse).

Beispiel:A hat dem B sein Ferienhaus in Griechenland für 100.000 €

verkauft. B hat selbst bereits einen weiteren Käufer K, der

für das Haus 120.000 Euro bietet. Als B und K vor Ort

eintreffen, erfahren sie, dass das Haus bereits vor einigen

Jahren bei einem Waldbrand abgebrannt ist.

II. Verursachung und Zurechnung des Schadens

1. Grundideen

• Ersatzfähig sollten nach Ansicht des Gesetzgebers nur Schäden sein, für die das Handeln des Schädigers kausal war.

• Bloße Kausalität kann aber häufig nicht genügen, um die

Menge ersatzfähiger Schäden ausreichend zu begrenzen:

Beispiel:Autofahrer A übersieht beim Abbiegen fahrlässig den

Radfahrer R und fährt ihn um. R wird durch den Unfall

leicht verletzt und muss deshalb im Krankenhaus behandelt

werden. Auf dem Weg zum Krankenhaus trifft ein Blitz den

Krankenwagen, und R erleidet schwere Verbrennungen.

• Durch normative Kriterien neben bloßer Kausalität wird eine sonst uferlose Haftung angemessen beschränkt.

2. Naturwissenschaftliche Kausalität

• Im Ausgangspunkt werden gleichwohl grundsätzlich

alle naturwissenschaftlich ermittelten Verursachungs-

beiträge gleichgewichtet (Äquivalenztheorie).

• Es gilt die conditio sine qua non-Formel: Die

Handlung kann nicht hinweggedacht werden, ohne

dass der Erfolg entfiele. Bei Unterlassungen kann die

pflichtgemäße Handlung nicht hinzugedacht werden,

ohne dass der Erfolg entfiele.

• Probleme gibt es vor allem in den Fällen konkurrie-render Kausalität und bei Gremienentscheidungen.

Beispiel:Der Aufsichtsrat A, der aus 7 Personen besteht,

beschließt mit 5 gegen 2 Stimmen. War das Ja des

Mitglieds M kausal für den Beschluss?

3. Objektive Zurechnung

Naturwissenschaftliche Kausalität bildet nur den

Ausgangspunkt und bedarf normativer Korrekturen. Man sagt, dass ein Schaden dem Schädiger auch

„objektiv“ (dh. normativ) zurechenbar sein muss.

a. Adäquanztheorie

Wichtiger Ansatz zur Beschränkung der Haftungsfolgen:

• Alle Ursachen sind irrelevant, die nur unter höchst

ungewöhnlichen, auch für einen optimalen

Betrachter unvorhersehbaren Umständen geeignet

sind, den Schaden herbeizuführen.

Probleme:

• Was kann der optimale Betrachter?

• Was, wenn die verletzte Pflicht gerade den ungewöhnlichen Schaden verhindern sollte?

Beispiel:Da es nur noch drei Blaubären auf der Welt gibt, ist ein

internationales Artenschutzabkommen für sie geschlos-

sen worden. Insbesondere ein chemischer Stoff darf

nicht mehr verwendet werden, der nur für Blaubären

tödlich ist. X kümmert sich nicht um das Verbot und ver-

wendet den Stoff trotzdem. Durch einen unglücklichen

Zufall kommen die drei Bären mit dem Stoff des X in Kon-

takt. Ist X das Aussterben der Blaubären zurechenbar?

b. Schutzzweck der Norm

• Nur solche Schäden sind zurechenbar, vor deren Eintritt die verletzte Pflicht schützen sollte.

• Der Schutzzweck muss stets durch Auslegung des Ge-

setzes oder des Vertrags konkret bestimmt werden.

Beispiel (nach OLG Frankfurt BeckRS 2011, 14474):

T hat für seine Hochzeit einen großen Saal von V gemie-

tet, der 600 Gäste fassen soll. Eine Woche vor der Feier

teilt V dem T mit, dass er sich bei der Größe des Saals

leider verschätzt habe. Tatsächlich passten nur 400

Personen hinein. T kann so kurzfristig keinen anderen

Saal mehr finden und muss 200 Gäste ausladen. Nun

verlangt er 8000 € Schadensersatz von V, weil die Gäste

im Schnitt 40 € Geschenke gemacht hätten. Zurecht?

Kriterien zur Bestimmung des Schutzzwecks:

• Inwieweit haben die Autoren der Norm das verletzte Interesse bei Erstellung der Norm vor Augen gehabt?

• Inwieweit ist die Norm zum Schutz des verletzten

Interesses ein verhältnismäßiges Mittel?

4. Hypothetische Kausalität

• Wenn der Schädiger einen Schaden verursacht hat,

wendet er u.U. ein, dass der Schaden auch ohne sein Verhalten eingetreten wäre, dass es also eine

„Reserveursache“ gegeben hätte.

• Inwieweit Reserveursachen beachtlich sind, ergibt

sich aus Sinn und Zweck der jeweiligen Pflicht.

• Wenn die Reserveursache bereits in dem verletzten

Objekt „schlummerte“, soll sie beachtlich sein.

Beispiel:Bei einem Arbeitsunfall wird A so schwer verletzt, dass

er fortan berufsunfähig ist. Allerdings stellt sich bei den

ärztlichen Untersuchungen heraus, dass A an einer

besonderen Krankheit leidet und seinen Beruf sowieso

in kurzer Zeit hätte aufgeben müssen.

• Grundsätzlich beachtlich soll der Einwand eines rechtmäßigen Alternativverhaltens sein: Hier hätte der Schädiger den Schaden auch auf andere, rechtmäßige Weise herbeiführen können.

• Es ist aber stets zu überlegen, ob die Berufung auf das Alternativverhalten durch die pflichtbegrün-dende Norm gerade ausgeschlossen sein soll.

Beispiel:Der Patient P begibt sich zu einer Routineuntersuchung zu dem Arzt A. Bei der Untersuchung entdeckt der A einen kleinen Tumor. Ohne sich groß um P‘sZustimmung zu kümmern, betäubt A den P und operiert ihn sogleich. Dabei kommt es zu einer Komplikation. Als P wiedererwacht Schadensersatz von A verlangt, wendet A ein, dass P bei Aufklärung über die Risiken der Operation zugestimmt hätte. Zurecht?

5. Vorteilsausgleichung

• Infolge des schädigenden Ereignisses können dem

Geschädigten auch Vorteile entstanden sein. Dann

ist zu prüfen, ob diese Vorteile bei der Berechnung des Schadens einzubeziehen sind.

Beispiel:Der Hauseigentümer H hat den Klempner K mit

Schweißarbeiten an seinem Dach beauftragt. Weil K

notwendige Sicherungen nicht vornimmt, kommt es

zum Brand des Dachstuhls und dann des ganzen

Hauses. Der Schaden des H wird allerdings zum Großteil

durch seine Brandschutzversicherung getragen. Kann K

gegenüber dem Schadensersatzverlangen des H

einwenden, dass er wegen der Versicherungsleistung

gar keinen Schaden hätte?

• Da der Geschädigte durch das schädigende Ereignis

unter Einbezug des Schadensersatzes insgesamt nicht

besser gestellt werden soll (Bereicherungsverbot),

müssten Vorteile grundsätzlich anzurechnen sein.

• Eine Anrechnung kommt aber nicht in Frage, wenn Wertungen der Rechtsordnung ihr entgegen stehen.

• Wenn ein Übergang des Schadensersatzanspruchs auf

einen Dritten gesetzlich vorgesehen ist, kommt eine

Anrechnung der Leistung des Dritten an den

Geschädigten nicht in Betracht.

Beispiel: Leistungen der gesetzlichen Krankenkasse, auf die ein

etwaiger Anspruch nach § 116 SGB X übergeht.

• Eigenleistungen des Geschädigten, zu denen er nicht verpflichtet war, werden ebenfalls nicht angerechnet.

6. Haftungsbegründende und -ausfüllende Kausalität

• Manche Normen setzen in ihrem Tatbestand u.a. die

kausal verursachte Verletzung eines Rechtsguts

voraus. Als Rechtsfolge ist der Ersatz aller Schäden

vorgesehen, die kausal auf der Verletzung des

Rechtsguts beruhen.

• Hier ist die Kausalität an zwei Stellen zu prüfen:

Unterscheide:

• Haftungsbegründende Kausalität zwischen

Handlung und Rechtsgutsverletzung

• Haftungsausfüllende Kausalität zwischen

Rechtsgutsverletzung und Schaden

HandlungRechtsguts-

verletzungSchaden

Beispiel:A wollte im Lebensmittelgeschäft des G einkaufen.

Zwar hatte G ordnungsgemäß alle Bananenschalen

aufgesammelt, aber leider die Salatblätter übersehen,

so dass A darauf ausrutschen und sich so das Bein

brechen konnte. Auf dem Weg ins Krankenhaus geriet

der A transportierende Krankenwagen in einen Unfall,

bei dem A noch zusätzlich ein Schleudertrauma erlitt.

Die Operation im Krankenhaus verlief dann ohne

Komplikationen, aber während der anschließenden

Beobachtungszeit im Krankenhaus zog sich A einen

multiresistenten Erreger zu, erkrankte schwer und fiel

so mehrere Wochen bei der Arbeit aus. Nun verlangt A

von G Ersatz aller ihrer Schäden. Zurecht?

Literaturhinweise:

• Armbrüster, Grundfälle zum Schadensrecht, JuS

2007, 411-418, 508-512

• Keilmann, Oft unterschätzt: Allgemeines

Schadensrecht, JA 2005, 700-703

• Mohr, Berechnung des Schadens nach der

Differenzhypothese, Jura 2010, 327-339

• Mohr, Zurechnung von mittelbaren

Verletzungsfolgeschäden, Jura 2010, 567-578

• Unterreitmeier, Der Kahnfall gestern und heute -

ein Klassiker des Schadensrecht, JA 2012, 418-430