Schutz der Arktis Die Eisbären von Churchill - wwf.de · Die an der Hudson Bay gelegene kanadische...

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Die Eisbären von Churchill Schutz der Arktis Die an der Hudson Bay gelegene kanadische Kleinstadt Churchill ist als Eisbären- hauptstadt weltbekannt. Etwa 935 Eisbären suchen jedes Jahr im Oktober Chur- chill auf. Sie warten dort, bis die Hudson Bay zufriert und die Jagd auf die Robben beginnen kann. Churchills Landschaft Churchill ist eine 930 Einwohner zählende Kleinstadt und liegt auf 58° nördlicher Breite, ungefähr 1.200 km nördlich von Winnipeg, in der kanadischen Provinz Manitoba. Südlich von Churchill beginnt der boreale Nadelwald mit der kanadischen Fichte als Hauptbaum- art. Im Nordwesten breitet sich die arktische Tundra aus, mit ihrer niederwüchsigen Kraut- und Strauchvegetation. Nördlich an Churchill grenzt die Hudson Bay als riesiges Binnenmeer, die in den Winter- monaten zufriert und so wie ein gigantischer Kältespeicher wirkt. Diese topografischen Gegebenheiten prägen entscheidend das lokale Klima und weisen es als subpolares Kontinentalklima aus. Permafrostböden bestimmen die Bodenstruktur und erschweren die Landwirtschaft. Während in den langen Wintermonaten die durchschnittliche Tempe- ratur bei -35°C liegt, steigt das Thermometer im meist kurzen Sommer auf durchschnitt- lich 3° bis 12°C. Viele Seen und Flüsse durchziehen die Provinz Manitoba und sorgen in Kombination mit den Permafrostböden für einen ständigen Überschuss an Oberflächenwasser. Weite Teile der Provinz Manitoba sind daher mit einer bis zu vier Meter hohen Torfmoorschicht bedeckt. Der Wapusk Nationalpark Die vielfältigen Landschaftstypen im Gebiet von Churchill sorgen für hohe biologische Vielfalt. Im nahegelegenen Wapusk Nationalpark haben Forscher 44 Arten von Meeres-

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Die Eisbären von Churchill

Schutz der Arktis

Die an der Hudson Bay gelegene kanadische Kleinstadt Churchill ist als Eisbären-hauptstadt weltbekannt. Etwa 935 Eisbären suchen jedes Jahr im Oktober Chur-chill auf. Sie warten dort, bis die Hudson Bay zufriert und die Jagd auf die Robben beginnen kann.

Churchills LandschaftChurchill ist eine 930 Einwohner zählende Kleinstadt und liegt auf 58° nördlicher Breite, ungefähr 1.200 km nördlich von Winnipeg, in der kanadischen Provinz Manitoba. Südlich von Churchill beginnt der boreale Nadelwald mit der kanadischen Fichte als Hauptbaum-art. Im Nordwesten breitet sich die arktische Tundra aus, mit ihrer niederwüchsigen Kraut- und Strauchvegetation.

Nördlich an Churchill grenzt die Hudson Bay als riesiges Binnenmeer, die in den Winter-monaten zufriert und so wie ein gigantischer Kältespeicher wirkt. Diese topografischen Gegebenheiten prägen entscheidend das lokale Klima und weisen es als subpolares Kontinentalklima aus. Permafrostböden bestimmen die Bodenstruktur und erschweren die Landwirtschaft. Während in den langen Wintermonaten die durchschnittliche Tempe-ratur bei -35°C liegt, steigt das Thermometer im meist kurzen Sommer auf durchschnitt-lich 3° bis 12°C.

Viele Seen und Flüsse durchziehen die Provinz Manitoba und sorgen in Kombination mit den Permafrostböden für einen ständigen Überschuss an Oberflächenwasser. Weite Teile der Provinz Manitoba sind daher mit einer bis zu vier Meter hohen Torfmoorschicht bedeckt.

Der Wapusk NationalparkDie vielfältigen Landschaftstypen im Gebiet von Churchill sorgen für hohe biologische Vielfalt. Im nahegelegenen Wapusk Nationalpark haben Forscher 44 Arten von Meeres-

und Landsäugern, 250 Vogelarten und über 1.700 Pflanzenarten beschrieben. Vor allem die Kanadagänse, Schneegänse und die Pfeifschwäne nutzen die Tümpel und flachen Seen als Brutplätze. Die meisten Pflanzenarten, darunter Riedgräser und viele Flechtenarten, wachsen in Gruppen und werden selten höher als fünf Zentimeter. Da-durch sind sie vor den kalten arktischen Winden geschützt.

Strenge Auflagen für den Tourismus sollen die hohe biologische Vielfalt des Nationalparks bewahren helfen: So dürfen nur maximal 200 Touristen jedes Jahr das Schutzgebiet betreten. Während man rund um Churchill auf Polar- und Rotfüchse trifft, bildet die Eisbärpopulati-on der westlichen Hudson Bay jedoch die Hauptattraktion von Churchill. Am 50 km weiter östlich gelegenen Cape Churchill sind im Spätherbst die meisten Eisbären anzutreffen.

Im Unterschied zu Eisbärenpopulationen in weiter nördlich gelegenen Gebieten können Churchills Eisbären nicht das ganze Jahr auf dem Packeis verbringen. Die spätestens im Juli einsetzende Eisschmelze zwingt die Tiere zum Landgang. Während des Sommers, von August bis Anfang Oktober, ist die Hudson Bay nahezu eisfrei und friert erst ab November wieder zu. Das Süßwasser des Churchill Flusses verringert den Salzgehalt in der Umge-bung von Cape Churchill und lässt das erste Eis in der Hudson Bay entstehen. Unmittelbar vor deren Vereisung versammeln sich Hunderte von Eisbären in der Nähe der Flussmün-dung und warten darauf, dass die Hudson Bay zufriert und die Jagdsaison beginnen kann.

Churchills EisbärenEisbären gibt es in der Provinz Manitoba vermutlich seit mehreren zehntausend Jahren. Seit 1960 zieht es die Tiere auf der Suche nach Futter vermehrt zu den Müllplätzen und Abfalltonnen der Stadt. Weil immer häufiger Tiere dabei beobachtet wurden, schloss man auf eine Zunahme des Bestandes. Schnell galten die Eisbären als Stadtplage und wurden verstärkt zum Abschuss freigegeben. Um die Folgen der Jagd auf den Bestand abschät-zen und Abschuss-Alternativen entwickeln zu können, begannen in den 1960er Jahren die Eisbären von Churchill zum Gegenstand der Wissenschaft zu werden.

Die Untersuchungen ergaben, dass sich Churchills wachsende Attraktivität bei den Eis-bären nicht durch ihre größer werdende Population erklärt, sondern eine Folge des Klima-wandels ist. Die wegen der Klimaerwärmung immer früher einsetzende Eisschmelze und die immer später einsetzende Eisbildung verkürzt die Jagdzeit der Tiere. Damit verbleibt ihnen immer weniger Zeit, um sich Fettreserven für den Landaufenthalt anzufressen. 43 Ringelrobben sind im Schnitt nötig, damit ein ausgewachsener männlicher Eisbär über ein ausreichendes Fettpolster für die Sommer- und Herbstmonate verfügt. Die verkürzte Jagdzeit erklärt, warum die Eisbären vermehrt in Churchill auf Nahrungssuche gehen, um ihr mangelndes Nahrungsangebot auf dem Land aufbessern zu können. Als Folge dieses Hungerstresses verlieren diese Tiere der westlichen Hudson Bay konti-nuierlich Gewicht. Dabei beobachteten Forscher die größten Gewichtsveränderungen bei trächtigen Weibchen. Lag das Körpergewicht eines Muttertieres Mitte der 1980er Jahre noch bei 350 bis 400 Kilogramm, liegt ihr Gewicht heute bei durchschnittlich 275 bis 325 Kilogramm – was einem Gewichtsverlust von 20 % entspricht.

Mehr als 15.000 Besucher aus aller Welt kommen jährlich zum Polar Bear Point, 30 km west-lich von Churchill, um die Tiere aus nächster Nähe zu beobachten. 60 % der Einnahmen im Tourismussektor werden in der sechs- bis achtwöchigen Eisbärsaison erzielt. Die Stadt be-zeichnet sich selbst als Welthauptstadt der Eisbären. Aus tundratauglichen Spezialfahrzeu-gen können Touristen die Tiere aus nächster Nähe beobachten, fotografieren und filmen. Stehen die Eisbären unter Hungerstress, kann sich jede erzwungene Bewegung –

Eisbärmutter in Churchill mit ihren

Jungen. Die Eisbärin ist so dünn, weil

sie gerade erst ihren achtmonatigen

Landaufenthalt während der Som-

mer- und Herbstmonate mit nur man-

gelndem Nahrungsangebot beendet

hat. Jetzt im Winter kann die Familie

wieder Jagd auf ihre Hauptnahrungs-

quelle, die Ringelrobben, machen.

Die Naturschutzbehörde von

Manitoba warnt vor Gebieten, in

denen sich vermehrt Eisbären in

den Sommer- und Herbstmonaten

aufhalten, um den Mensch-Tier-

Konflikt so gering wie möglich

zu halten.

beispielsweise als Folge der von Touristenfahrzeugen unterschrittenen Fluchtdistanz – negativ auf den Energiehaushalt der Tiere auswirken. Andererseits ergaben Forschungen, dass sich die Eisbären innerhalb kürzester Zeit an die herannahenden Fahrzeuge der Touristen gewöhnen und die kräftezehrende Flucht unterlassen. Voraussetzung ist aller-dings, dass die Touristen einen Sicherheitsabstand respektieren und ihr Fahrzeug bei Drohgebärden der Eisbären stoppen. Diese und andere negativen Nebenwirkungen des touristischen Booms in Churchill stehen die enormen Einnahmen gegenüber, die für den Schutz der Eisbären eingesetzt werden können. So finanziert die Naturschutzbehörde von Manitoba beispielsweise das Eisbär-Kontroll-programm, das mit Aufklärungsarbeit und anderer Maßnahmen den Konflikt zwischen Mensch und Tier erfolgreich eindämmt.

207 Tiere wurden zwischen 1966 und 1983 auf Churchills Müllhalde beobachtet. Über 32% der Eisbären waren Wiederholungstäter, die in den Folgejahren erneut gesichtet wurden. Oft kam es zu Mensch-Tier-Konflikten, die jedes Jahr für etwa 17 Eisbären töd-lich ausgingen. Um den wiederholten Besuchen von so genannten Problembären ein Ende zu setzen, erklärte 1969 die Naturschutzbehörde den gesamten Ort zum Kontroll-gebiet, in dem kein Bär mehr geduldet werde. Die Einwohner von Churchill wurden ange-halten, jede Sichtung eines Bären unter Angabe dessen Aufenthaltsorts der Naturschutz-behörde zu melden. Dazu ist seither eine 24-Stunden-Hotline geschaltet. Besonders hartnäckige Bären, die sich auch von Warnschüssen naturschutzbehördlicher Mitarbeiter nicht aus dem Kontrollgebiet verjagen lassen, werden betäubt und anschließend bis zum Einfrieren der Hudson Bay in einer Halle untergebracht. Um jede Futterkonditionierung zu vermeiden, bekommen die Eisbären in dieser Zeit nur Wasser zu trinken. Sind alle 23 Hal-lenplätze besetzt, werden die Tiere ausgeflogen und weiter nördlich auf ihrer natürlichen Wanderroute ausgesetzt.

Durch die temporäre „Inhaftierung“ von rund 100 Tieren pro Jahr und ein generell verbes-sertes Eisbärmanagement hat es in den letzten Jahren in Churchill keine ernsthaften Vorfälle mehr zwischen Mensch und Bär gegeben. Insgesamt sind die Abschüsse von Problembären als Folge von Notwehr seit 1970 von jährlich 17 auf weniger als fünf zu-rückgegangen.

Die Zukunft von Churchills EisbärenFür jene Population der Hudson Bay mit saisonalem Landgang hat die Klimaerwärmung besonders gravierende Folgen, da das Eis früher schmilzt und die See immer später ver-eist. Wegen der verkürzten Jagdzeit verlieren besonders die Eisbärweibchen an Gewicht. Doch gerade das Spätherbstgewicht der Weibchen ist für das Überleben ihrer Nachkom-men essenziell. Starben 1972 noch weniger als 40 % der Jungtiere, sind es heute etwa 50 %. Bis zur Einführung einer nachhaltigen Quotenregelung war es zwischen 1960 und 1970 vor allem die unkontrollierte und übermäßige Jagd, die den Bestand der Eisbären von Churchill gefährdete. Die aktuellen Gefährdungsursachen hingegen sind globaler Natur. Insofern hat die lokale Bevölkerung in der Konfrontation mit hungrigen Bären die Folgen des weltweiten Handelns zu tragen.

Seit Ende der 1990er Jahre sank der Eisbärenbestand der westlichen Hudson Bay von etwa 1.190 auf heute 935 Tiere. Während die Weltnaturschutzunion IUCN das Risiko für diese Art 2001 noch als gering eingestuft hat, gelten die Eisbären seit 2006 als gefährdet. Damit gehören sie zu den Arten, für die mittelfristig eine hohe Aussterbewahrscheinlich-keit besteht. Wird dieser Trend nicht gestoppt, könnten die Eisbären von Churchill in den kommenden 50 bis 100 Jahren Geschichte sein.

Touristen in einem tundra-

tauglichen Spezialfahrzeug

fotografieren Eisbären am

Polar Bear Point.

Eisbären, die im Herbst darauf

warten, dass die Hudson Bay

zufriert.

Bisons im borealen Nadelwald

südlich von Churchill.

Impressum:

Herausgeber: WWF Deutschland

Stand: August 2010

Redaktion und Koordination:

Michelle Hübenthal, Stefan Ziegler,

Thomas Köberich (WWF)

Gedruckt auf 100 % Recyclingpapier Bild

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Projekt: Schutz der EisbärenBeginn: 2008–2013 Projektleiter: Stefan Ziegler

Weitere Informationen:WWF, Artenschutz und TrafficTel.: (069) 79144–168, –183www.wwf.de

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Weitere Infos unter wwf.de

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WWF Deutschland

Reinhardtstraße 1410117 Berlin

Tel.: 030 308742-0Fax: 030 308742-50E-Mail: [email protected]

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OttawaWinnipeg

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0 km 500 km

© WWF Deutschland

Jagdgebiet im Winter

zuletzt schmelzendes Eis im Sommer

niederwüchsige Strauchheide

kaltgemäßigter Nadelwald

Moor- / Sumpflandschaft

Churchill Cape Churchill

Polar Bear Point

WapuskNational

Park

CoatsIslandH

u ds o

n B

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Eisbärjunges im borealen

Nadelwald

Status und Verteilung des Eisbären. Der weltweite Bestand von max.

25.000 Tieren teilt sich in 19 Populationen auf.