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- Silvio Gesell -
Die Freiwirtschaft
Freigeld & Freiland
Semesterarbeit - VWL III
Henryk Fiedler, Janka Röseler, David Beil ▪ Logistik 04
EUFH – Brühl ▪ I/2006
Silvio Gesell ▪ Die Freiwirtschaft ▪ Freigeld & Freiland
Henryk Fiedler, Janka Röseler, David Beil ▪ Semesterarbeit VWL III ▪ I/2006 ▪ EUFH 2
Inhaltsverzeichnis
Gliederung: Seite:
d
Einleitung 3
1. Silvio Gesell – Leben und Schaffen 4-5
2. Vom Kaufmann zum Finanztheoretiker und Sozialreformer 6-7
3. Freiwirtschaftslehre
3.1 Das Hauptziel der Freiwirtschaft 7-8
3.2 Die allgemeinen Ziele der Freiwirtschaft 8
3.3 Das Menschenbild der Freiwirtschaft 8-9
3.4 Ethische Grundsätze 9-10
3.5 Wirtschaftliche Grundsätze 10
4. Freiland
4.1 Definition 11
4.2 Warum sollte Freiland eingeführt werden? 11-13
4.3 Der Aufbau und die Vorteile von Freiland 14-16
5. Freigeld
5.1 Definition / Voraussetzungen 17
5.2 Wahl des Geldstoffes 18
5.3 Marktgesetze 18-19
5.4 Erklärung des Freigeldes 19-20
5.5 Wirkung 21
5.6 Einbringung in den Umlauf 22
5.7. Verwaltung des Freigeldes 22
5.8 Der gesetzmäßige Umlauf 23
6. Freiwirtschaft in der Praxis
6.1 Die Wära 24
6.2 Das Experiment von Wörgl 25
6.3 Freiwirtschaft heute 26
6.3.1 „Der Bremer Roland“ 26-27
6.3.2 „Der Chiemgauer“ 27-29
7. Fazit 29-31
Quellen 32
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Henryk Fiedler, Janka Röseler, David Beil ▪ Semesterarbeit VWL III ▪ I/2006 ▪ EUFH 3
Einleitung
Im Rahmen dieser Semesterarbeit im Fach VWL, werden die Theorien zur Freiwirtschaft
nach dem deutschen Finanztheoretiker und Sozialreformer Silvio Gesell untersucht und
erläutert.
Die folgenden Seiten sollen einen Einblick in die Freiwirtschaftslehre geben, wobei im
Mittelpunkt der Betrachtung das Schaffen von Silvio Gesell und seine Theorie über das
Freigeld und Freiland steht.
Des Weiteren wird die Anwendung der Freiwirtschaftstheorie in der Praxis beschrieben und
an verschiedenen Beispielen der Vergangenheit und Gegenwart erklärt.
Abschließend soll ein Ausblick auf freiwirtschaftliche Pilotprojekte (Experimente), als
Möglichkeit zur Verbesserung der Wirtschaftslage in Deutschland, gegeben werden.
Schwerpunktmäßig wird hierbei die Einführung von Freigeld und Freiland kritisch betrachtet
und eine Bewertung der Chancen für die praktische Umsetzung gegeben.
Silvio Gesell ▪ Die Freiwirtschaft ▪ Freigeld & Freiland
Henryk Fiedler, Janka Röseler, David Beil ▪ Semesterarbeit VWL III ▪ I/2006 ▪ EUFH 4
1. Silvio Gesell – Leben und Schaffen
Johann Silvio Gesell wurde am 17. März 1862 in Sankt Vith (Eifel, heute Belgien) als Sohn
eines preußischen Kreissekretärs geboren.
Nach dem Besuch der Bürgerschule in Sankt Vith
wechselte Gesell zum Gymnasium in Malmedy.
Bereits in jungen Jahren musste er für seinen
Lebensunterhalt sorgen, weshalb er auf ein Studium
verzichtete und in den Dienst der deutschen
Reichspost eintrat. Die Beamtenlaufbahn erfüllte ihn
jedoch nicht.
Er beschloss deshalb, bei seinen älteren Brüdern in
Berlin den Beruf eines Kaufmanns zu erlernen.
Im Anschluss an die Berufsausbildung ging er für zwei Jahre als Korrespondent nach Málaga
(Spanien), von wo aus er jedoch widerwillig nach Berlin zurückkehren musste, um den
Militärdienst abzuleisten.
Anschließend arbeitete er als kaufmännischer
Angestellter in Braunschweig und Hamburg.
1887 führte ihn schließlich sein Lebensweg in
die argentinische Hauptstadt Buenos Aires, wo
er sich selbständig machte und eine Filiale des
in Berlin von seinen Brüdern geführten
Geschäfts eröffnete.
Die heftigen Wirtschaftskrisen Argentiniens, in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts
beeinflussten Gesells Geschäftstätigkeit sehr stark.
Aus dieser Situation heraus wurde er zum Nachdenken über die strukturelle Problematik des
Geldwesens angeregt. Gesell beobachtete die Entwicklung des Preisniveaus sehr genau und
gelangte zu Schlussfolgerungen, die ihm gestatteten, seine Geschäfte durch geschicktes
Disponieren vor Schäden zu bewahren und sich trotz aller äußeren Wirrnisse ein ansehnliches
Vermögen zu erarbeiten.
Abb. 1: Silvio Gesell
Abb. 2: Silvio Gesell – Geburtshaus in Vith
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1891 veröffentliche Gesell seine erste währungstheoretische Schrift „Die Reformation des
Münzwesens als Brücke zum sozialen Staat“. Es folgten „Nervus rerum“ und „Die
Verstaatlichung des Geldes“.
Nachdem er 1890 sein argentinisches Geschäft seinem Bruder übereignet hatte, kehrte er 1892
nach Europa zurück.
Nach einem kurzen Zwischenaufenthalt in Deutschland ließ sich Gesell 1900 in Les Hauts-
Geneveys im Kanton Neuenburg in der Schweiz nieder und zog sich vom aktiven
Geschäftsleben zurück. Auf einem Bauernhof bei Neuchatel betätigte er sich als Landwirt und
betrieb als Autodidakt ausgedehnte wirtschaftswissenschaftliche Studien.
Seine praktischen Erfahrungen und theoretischen Einsichten verarbeitete er in zahlreichen
Veröffentlichungen. 1916 erschien in Bern sein Hauptwerk „Die natürliche
Wirtschaftsordnung durch Freiland und Freigeld“.
Von 1907 bis 1911 lebte Gesell wieder in Argentinien, um nach dem frühen Tod seines
Bruders die Geschäfte fortzuführen. Danach übersiedelte er nach Deutschland und wählte als
Wohnsitz die vegetarisch ausgerichtete, von Franz Oppenheimer mitbegründete
Obstbausiedlung Eden in Oranienburg im Norden Berlins. Hier gründete er gemeinsam mit
Georg Blumenthal die Zeitschrift „Der Physiokrat“.
1915 verließ Gesell Deutschland und begab sich wieder auf seinen Bauernhof in der Schweiz.
Im April 1919 hätte Gesell beinahe die Möglichkeit gehabt, seine Theorien zur Freiwirtschaft
in der Praxis zu erproben. Er wurde auf Vorschlag des Kulturphilosophen Gustav Landauer
zum Volksbeauftragten für Finanzen der 1. Bayerischen Räterepublik gewählt. Seine
Amtszeit währte jedoch nur eine Woche; dann wurde die Räteregierung gestürzt. Nach deren
Ende wurde Gesell zunächst des Hochverrats angeklagt, später jedoch von dieser Anklage
freigesprochen.
Daraufhin zog sich Gesell zunächst nach Rehbrücke bei Berlin, später wieder nach Eden
(Oranienburg) zurück.
Im Jahre 1924 folgte nochmals ein Aufenthalt in Argentinien. Ab 1927 wohnte er wieder in
Eden, wo er am 11. März 1930 einer Lungenentzündung erlag und einige Tage später im
kleinen Kreis beigesetzt wurde.
In seinen letzten Lebensjahren war Gesell vorwiegend schriftstellerisch tätig und verfasste
weitere Skripte und Texte zu der von ihm begründeten Freiwirtschaftslehre.
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2. Vom Kaufmann zum Finanztheoretiker und Sozialreformer
Die Entwicklung Silvio Gesells vom einfachen Kaufmann zum Finanztheoretiker und
Sozialreformer wurde maßgeblich durch seine geschäftliche Tätigkeit in Argentinien
bestimmt.
Die wirtschaftlichen Krisen in Argentinien Ende des 19. Jahrhunderts gaben Silvio Gesell
den Anstoß, sich im Interesse seiner eigenen Geschäfte eingehend mit dem Geldwesen zu
beschäftigen.
Leichter als in Europa, wo die moderne Wirtschaftsform sich bereits als eine
Selbstverständlichkeit eingespielt hatte, konnte er ihre Grundprinzipien in Argentinien im
Frühstadium ihrer Entfaltung studieren.
Jedoch gereichten die Ergebnisse seines genauen Beobachtens und Nachdenkens Gesell nicht
nur zu seinem persönlichen Vorteil. Völlig unbeabsichtigt stieß er bei seinen Studien auch auf
eine Ursache für die Macht des Geldes über die Menschen und fand einen Weg, das Geld vom
Beherrscher des Marktes zu seinem Diener umzuformen.
Alles in der Natur, so überlegte Gesell, unterliegt dem ewig gültigen Ordnungsprinzip des
rhythmischen Wechsels von Werden und Vergehen - nur das Geld ist der Vergänglichkeit
alles Irdischen entzogen, es steht außerhalb dieser Dynamik alles Lebendigen.
Aufgrund der Tatsache, dass das Geld als generalisiertes Tauschmittel liquider ist als die zu
tauschenden Güter und Dienste und es somit potentiell hortbar ist, stellt es sich der Wirtschaft
nur unter der Bedingung als Tauschmittel zur Verfügung, dass es von ihr mit Zins
„angemessen bedient“ wird.
Um diese Vormachtstellung zu überwinden, muss das Geld der Natur nachgebildet werden.
Die einzelnen Geldscheine sollen nach dem Vorschlag von Gesell "rosten" - daher auch ihre
Bezeichnung als "rostende Banknoten" -, d.h. sie sollen periodisch an Wert verlieren bzw. mit
Instandhaltungskosten behaftet sein, die ihren Liquiditätsvorteil aufheben. Sobald auch die
Banknoten „vergänglich“ sind, haben sie auf dem Markt keine Vormachtstellung mehr
gegenüber der menschlichen Arbeit und den Gütern sowie Diensten aller Art, so dass sie sich
ohne besonderen Tribut dem Markt als Diener zur Verfügung stellen müssen. Hinzu kommt,
dass bei einer nicht von Unterbrechungen gestörten stetigen Zirkulation des Geldes seine
Menge so dosiert werden kann, dass die Kaufkraft der Währungen stabilisierbar wird.
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Die Entdeckung dieser Grundgedanken und die Formulierung der besagten
Gesetzmäßigkeiten gaben Silvio Gesells Leben eine entscheidende Wende.
Vom Kaufmann wurde Gesell so zum Finanztheoretiker und Sozialreformer. Er hatte schnell
die Tragweite seiner Gedanken und ihre Bedeutung als Beitrag zur Lösung der sozialen Frage
erkannt. Zwar blieb er vorerst noch weitere zehn Jahre in seinem Beruf tätig, aber schon bald
begann er, seine Erkenntnisse schriftlich niederzulegen. So entstanden seine besagten
Frühschriften "Die Reformation im Münzwesen als Brücke zum sozialen Staat", "Nervus
rerum" und "Die Verstaatlichung des Geldes", die in den Jahren 1891 und 1892 als
Fortsetzungen in Buenos Aires erschienen.
Ihnen sollte eine Fülle weiterer Broschüren, Bücher und Zeitschriftenaufsätze in deutscher
und spanischer Sprache folgen. 1916 erschien sein Hauptwerk „Die natürliche
Wirtschaftsordnung durch Freiland und Freigeld“, das seither zehn Auflagen und zahlreiche
Übersetzungen erlebte.
Gesell, ohne Hochschulbildung, hat seine Erkenntnisse ausschließlich aus praktischen
Erfahrungen und Beobachtungen als Geschäftsmann gewonnen, ergänzt durch das Studium
wirtschaftlicher Literatur (Pierre Joseph Proudhon, Karl Marx, Henry George etc.).
Dementsprechend sind seine Bücher und Schriften in anschaulicher Sprache geschrieben,
praxisbezogen und somit leicht zu verstehen.
3. Die Freiwirtschaftslehre
3.1 Das Hauptziel der Freiwirtschaft
Das Hauptziel, welches die Freiwirtschaftslehre verfolgt, ist eine von den Monopolen
Bodenrente und Geldzins befreite Marktwirtschaft.
Bodenrente und Geldzins werden von der Freiwirtschaft als "arbeitslose Einkommen"
angesehen, für welche die empfangsberechtigten Boden- und Kapitaleigentümer keine
Arbeitsleistung aufwenden müssen.
Diese Tatsache wird als ungerechte Bereicherung auf Kosten von Arbeitenden verstanden.
Nach freiwirtschaftlichen Beispielrechnungen müssen heute rund 30 % der Preise, Mieten und
Steuern von den Verbrauchern zur Deckung von Renten- und Zinsforderungen aufgewendet
werden. Aus diesem Grund strebt die Freiwirtschaft in erster Linie eine Bodenreform und eine
Geldreform an, um Bodenrente und Geldzins der Allgemeinheit zuzuführen.
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Durch diese Maßnahmen sollen vor allem eine Absenkung des allgemeinen Zinsniveaus, aber
auch eine größere Stabilität der allgemeinen Wirtschaftslage erlangt werden.
Freiwirtschaftliche Strömungen der Gegenwart lehnen auch die alleinige Aneignung
geistigen Eigentums zum Großteil ab. Streitpunkt ist hierbei besonders das Patentrecht, weil
es wie beim Landbesitz zu einem arbeitslosen Einkommen auf Kosten der Arbeitenden
Bevölkerung komme, und geistiges Eigentum dieser Art kein beliebig vermehrbares Gut sei.
3.2 Die Allgemeinen Ziele der Freiwirtschaft
• Die allgemeinen Zinsen auf Guthaben bzw. Renditen von Kapitalanlagen sollen durch
eine Umlaufgebühr des Freigeldes als allein gültiges Zahlungs- und Sparmittel
aufgehoben werden.
• Durch den Wegfall von Zinsen und Renditen kann keine künstliche
Realkapitalverknappung bzw. eine gleichmäßige und dauerhafte (Hoch-)Konjunktur
entstehen. Grund ist der durch die Umlaufgebühr hervorgerufene maximale
Investitions- und Konsumzwang, wodurch es weniger professionelle Spekulanten,
aber mehr Spekulation der Allgemeinheit gibt, denn eine Geldwirtschaft ist
unprofitabel und daher kaum vorhanden.
• Vermeidung von Inflation und Deflation durch bekannte und stabile Geldmenge
• Starke Verkleinerung der Kluft zwischen Arm und Reich durch die Unattraktivität des
Zinses und verhinderter Vermögenskonzentrationen.
3.3 Das Menschenbild der Freiwirtschaft
Die Freiwirtschaftslehre achtet die Kreativität, das innovative Streben und den Einsatz des
Einzelmenschen als Triebfeder des Wirtschaftens.
Diese Talente und Eigenschaften können sich aber nur dann entfalten, wenn ein hohes Maß
an Freiheit und Freiraum gewährleistet ist.
Dem gegenüber stehen die Bedürfnisse der Mitmenschen, der menschlichen Gemeinschaft als
Ganzes wie auch der Natur, in welche der Einzelne eingebunden und von denen er abhängig
ist.
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Beide Bereiche – das Bedürfnis nach Freiheit und das Bedürfnis nach Bindung – sind
zueinander gegensätzlich und müssen miteinander im Gleichgewicht stehen, wenn eine
friedliche und harmonische Lebensgestaltung möglich sein soll.
Daher kann aus Sicht der Freiwirtschaftslehre weder der Liberalismus und Neoliberalismus
mit ihrem Kapitalismus, welche auf die Freiheit des Einzelnen und die Vorherrschaft des
Privateigentums setzen, noch der Sozialismus, der die Gleichheit der Menschen betont und
zugleich auf zentrale Lenkung vertraut, die bis zur Abschaffung des Privateigentums gehen
kann, eine befriedigende Gesellschaftsordnung darstellen.
Zwischen beiden Extremen will Freiwirtschaft durch die Anwendung ihrer Grundsätze das
erforderliche Gleichgewicht herstellen. Sie befürwortet dabei Privateigentum an den von
Einzelnen oder Menschengruppen geschaffenen Gütern, lehnt es jedoch am Boden und an
Gemeinschaftsleistungen ab.
3.4 Ethische Grundsätze
Die Ziele der Freiwirtschaft folgen zwei ethischen Grundsätzen:
- „Wer innerhalb einer Gemeinschaft einen wirtschaftlichen Vorteil genießt, soll ihr
dafür eine angemessene Gegenleistung erbringen.“
Wo dieser Grundsatz nicht erfüllt ist, sind Wirtschaft und Gesellschaft nicht im
Gleichgewicht. Er ist anzuwenden auf das Geld, das seinem Besitzer den Vorteil der
Zahlungsfähigkeit und der Auswahl verschafft, ohne dass es ihn etwas kostet. Hier gilt
Geld als ein von der Gesellschaft zur Verfügung gestelltes rechtliches Verkehrsmittel
der Wirtschaft.
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- „Von der Natur und der Gesellschaft geschaffene Werte dürfen nicht
Privateigentum sein, sollen jedoch gegen regelmäßiges angemessenes Entgelt an die
Gemeinschaft der privaten Nutzung zur Verfügung stehen.“
Dieser Grundsatz ist anzuwenden auf Boden und Naturschätze, zu denen auch Wasser
und die Luft gehören. Wo er nicht beachtet wird, bestehen nicht zu rechtfertigende
Vorrechte der Privateigentümer. „Rechtfertigen“ heißt in diesem Zusammenhang, dass
der Zahlung an einen Empfänger, um gerechtfertigt zu sein, eine angemessene
Gegenleistung dieses Empfängers gegenüber stehen muss oder ein Verlust, den er
nicht selbst zu verantworten hat.
Aufgabe des Staates ist es nach freiwirtschaftlicher Auffassung unter anderem, diese
Grundsätze gesetzlich zu fixieren und auf ihre Einhaltung zu achten. Damit sollten sich die
Ziele der Französischen Revolution von 1789 – Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit –
verknüpfen lassen zu dem umfassenden Gesamtziel „Gleiche Freiheit für alle!“, um die Kluft
zwischen Menschen mit Bedarf ohne Geld und Menschen mit Geld ohne Bedarf zu
überwinden und Chancengleichheit herzustellen.
Diese Chancengleichheit ist die Voraussetzung, um die heute in fortgeschrittenen Ländern
bestehende politische Demokratie (allgemeines, freies, gleiches, direktes und geheimes Wahl-
und Stimmrecht) durch eine wirtschaftliche Demokratie der Güterverteilung zu ergänzen und
ihr so erst den nötigen Unterbau zu verschaffen.
3.5 Wirtschaftliche Grundsätze
Die Freiwirtschaftslehre erkennt nur die menschliche Arbeit als Produktionsfaktor an. Die
beiden anderen in der offiziellen Wirtschaftwissenschaft anerkannten Produktionsfaktoren
Boden und Kapital sieht sie lediglich als Hilfsfaktoren zur Unterstützung der Arbeit und zur
Steigerung ihrer Produktivität.
Beide allein können nur unter Einsatz menschlicher Arbeit einen Ertrag abwerfen. Daher sind
aus freiwirtschaftlicher Sicht nur der Arbeitslohn, nicht aber Bodenrente und Geldzins in
privater Hand gerechtfertigt.
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4. Freiland
4.1 Definition:
Die Freilandtheorie basiert nach Gesell, auf der Abschaffung jeglichen Privatbesitzes an
Boden.
Der Grund dafür ist, dass der Boden seinen privaten Eigentümern eine Bodenrente verschafft,
die ihnen als leistungsloses Einkommen zufließt. Nach freiwirtschaftlicher Auffassung soll
die Bodenrente nicht in private Verfügung gelangen, sondern allen Bürgern gleichmäßig
zukommen, denn Boden ist ein Produkt der Natur und kein vom Menschen geschaffenes Gut.
Silvio Gesell lehnt somit das private Eigentum am Boden vollkommen ab. Außerdem übt er
starke Kritik, an der auch heute noch bestehenden Wirtschaftsordnung, welche privates
Eigentum an Boden erlaubt.
4.2 Warum sollte Freiland eingeführt werden?
Nach der Freilandtheorie von Gesell, sollen alle privaten Grundstücke verstaatlicht und
anschließend verpachtet werden.
Mit diesem Gedanken wollte er vorbeugen, dass Großgeldbesitzer über ihr Privateigentum an
Boden und den daraus resultierenden Zinsen (durch Verpachtung etc.) ein zusätzliches
Einkommen erwirtschaften. Ohne die Verstaatlichung des Bodens, könnten die fehlenden
Zinseinkünfte durch das Freigeld wieder ausgeglichen werden.
Zusätzlich sah er aber auch eine Lösung gegen den Ausbruch neuer Kriege in diesem
Gedanken.
Die Ursachen eines Krieges waren seiner Auffassung nach die Probleme innerhalb eines
Landes. Er schlussfolgerte, dass ein Land in dem es Unruhen oder sogar Bürgerkriege gibt,
auch keinen Frieden mit anderen Ländern halten kann. Im Gegensatz dazu führt ein Land in
dem Bürgerfrieden herrscht, keine Kriege. „Bürgerkrieg ist die Keimzelle des
Völkerfriedens“1)
.
1)
Walker (1949), S. 47
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Nach Silvio Gesell entstehen Kriege nicht durch Sprachbarrieren oder Rassenunterschiede
unterschiedlicher Länder, sondern durch Unruhen im Land selber. Die Menschen, die in ihrem
eigenen Land zufrieden sind, haben kein Bestreben in ein anderes vorzudringen, um sich dort
niederzulassen.
Frieden muss im Kleinen Anfangen, d.h. zu erst zu Hause, dann im Dorf, in der Gemeinde, im
Staat, um dann auf der ganzen Welt herrschen zu können.
Die Ursache für Unruhen und Unzufriedenheit sieht Gesell in der Existenz von Metallgeld.
Seit dem es dieses vorhanden ist, gibt es seiner Ansicht nach keinen dauerhaften Frieden
mehr.
Schon in der Vergangenheit haben Menschen durch Gewalt und Geld Besitz an sich gerissen,
Menschen vertrieben und auf hinterlistige Weise um ihr Eigentum gebracht, wodurch später
Bürgerkriege und Kriege entstanden sind.
Der Frieden der nach solchen Kämpfen herrscht, ist ein Frieden unter Druck, kein Wahrer, so
dass daraus wiederum ein neuer Krieg entstehen wird.
Es ist sinnlos, Gold als eine Art Pfand bei anderen Staaten zu hinterlegen oder alle
Sprengstoffe und Waffen an einen neutralen Staat zu geben, denn Menschen finden immer
wieder Waffen und Gründe neue Kriege anzufangen, solange sie unzufrieden sind.
Auch der Versuch durch Grenzen Frieden zu schaffen, um ein Gleichgewicht herzustellen,
funktioniert nach Gesells Auffassung nicht, denn so lange Menschen innerhalb dieser
Grenzen nicht zufrieden sind, wird auch kein Frieden möglich sein
Der Frieden fordert finanzielle und rechtliche Einbußen einiger Menschen, aber keine
Menschenleben. Der Krieg hingegen bringt nur einigen, wenigen Menschen Geld und Besitz,
fordert jedoch viele Menschenleben.
Mit dieser These begründet er, dass die ganze Welt allen Menschen, jedem Einzelnen,
gehören sollte. Jeder einzelne Mensch hat ein Anrecht auf die ganze Welt.
Nach Silvio Gesell bilden hierfür die verschiedenen Arten von Rechten die Grundlage.
Völkerrechte, er nennt sie auch Massenrechte sind seiner Ansicht nach sinnlos, weil sich jeder
Einzelne somit hinter dem Volk verstecken kann und dadurch keine Verantwortung
übernehmen muss.
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Nach Gesells Ansicht müssen Völkerrechte beschränkt und dafür Menschenrechte, die sich
auf den einzelnen Menschen beziehen, eingerichtet werden. Durch diese Maßnahme würde
jeder seine Eigenverantwortung tragen und für sich und sein Handeln einstehen.
Völkerrechte behindern und engen die Menschen ein, weil sie von der Staatshoheit getragen
werden. Durch die Staatshoheit besteht die Möglichkeit den Menschen ihre Freiheiten und
Möglichkeiten zu nehmen.
Silvio Gesell führt in diesem Zusammenhang die USA als Beispiel an. Er spielt hierbei auf
die gewaltsame Vertreibung der Ureinwohner an, welche durch Staatshoheit von ihrem Land
verdrängt, in Reservate eingesperrt und ihrer Freiheit beraubt wurden. Dieses Vorgehen sollte
damals angeblich Frieden bringen und Unruhen beseitigen.
Die USA nimmt nicht nur den Ureinwohnern die Freiheit, sondern der ganzen Welt. Durch
Zölle z.B. wird der Handel beschränkt.
Ganze Völker stellen ihre Rechte über die des Einzelnen, Individuen werden mit ihren
Problemen übersehen, bis ihre Probleme auch den Rest des Volkes betreffen.
Wenn ein Einzelner z.B. an Hungersnot leidet ist dies nicht von Interesse, bis es nicht mehr
ein Einzelfall ist, sondern das ganze Volk davon betroffen ist, dann wird gehandelt und die
fehlenden Mittel werden sich wo anders geholt.
Silvio Gesell sagt, dass sich das Völkerrecht nur auf selbst produzierte Waren beziehen darf
und nicht auf den Boden und die Bodenschätze. Jeder Mensch hat das Recht auf Wasser,
Wärme, Nahrung und ein Dach über dem Kopf und dementsprechend auf die ganze Welt.
Wenn nun ein Volk z.B. auf die Rechte der Kohle auf ihrem Boden pocht, so werden die
Rechte der anderen Menschen beeinflusst, wenn dies jeder Staat tut, so wird sich die Welt in
einen einzigen Streit mit vielen Kriegen verwandeln.
Durch die Eingrenzung von Besitz und Boden, werden aber nicht nur die Rechte der
Grundbedürfnisse beeinflusst, sondern die „Besitzer“ überwachen dort auch Bildung, Religion
und alles andere. Privatgrundbesitz ist also das Übel was den Krieg hervorruft.
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4.2. Der Aufbau und die Vorteile von Freiland
Mit der Einführung von Freiland soll in erster Linie der private Grundbesitz abgeschafft
werden. In Folge dessen wird jedem Einzelnen auf der Welt das Recht gegeben, ein Stück
Land, seiner Wahl zu pachten.
Hierzu gibt Silvio Gesell zwei Grundsätze an, die auch Grundlage bzw. Satzung des
Weltfriedens sein sollen:
„Satz 1: In allen Staaten, die sich dem großen Friedensbund anschließen, wird das
Sondereigentum am Boden (Privatgrundbesitz) restlos abgelöst. Der Boden ist dann
Eigentum des Volkes und wird der privaten Bewirtschaftung durch öffentliche Verpachtung
im Meistbietungsverfahren übergeben.“2)
„Satz 2: An diesen öffentlichen Pachtungen kann sich jeder Mensch beteiligen, einerlei wo er
geboren wie und was er spricht, welche Lastern er huldigt, welche Verbrechen er begangen,
von welche Gebrechen er geplagt wird, kurz alle, die Menschantlitz tragen. Das Pachtgeld
wird gleichmäßig und restlos unter alle Frauen und Kinder verteilt, wobei auch hier keinerlei
Unterschied gemacht wird, woher die Frauen und Kinder kommen.“ 2)
Die Grenzen der Länder sollen bleiben, aber nur zu verwaltungstechnischen Zwecken.
Alle Menschen und Gesetze sollen landesübergreifend, also auf der ganzen Welt gleich sein.
Wer in Zukunft Boden benötigt und nutzen möchte, sowohl Privatpersonen wie juristische
Personen, sowohl bisherige Eigentümer wie neue Nutzer, soll der zuständigen
Bodenverwaltungsbehörde für die Nutzung des Bodens regelmäßige Nutzungsabgaben
zahlen, in der ungefähren Höhe der Bodenrente. Die Abgabe soll dabei je nach Begehrtheit
des betreffenden Grundstücks bemessen sein und kann zum Beispiel in einer Versteigerung
von Nutzungsrechten als Höchstgebot ermittelt werden.
2) Walker (1949), S. 57
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Der Staat kauft den gesamten Privatbesitz auf, so dass niemandem ein Gewinn oder Verlust
entsteht. Der Grundeigentümer erhält den Zins aus den Staatspapieren, welchen er früher von
der Rente des Eigentums erhalten hat. Der Staat hingegen erhält eine Grundrente aus dem
Eigentum und finanziert damit die Staatspapiere.
Der Zins soll mit der Zeit auf der ganzen Welt sinken und bis auf Null zurückgehen, wodurch
in 20 Jahren die gesamte Schuld der Bodenverstaatlichung getilgt sein würde. Der Kurs der
Staatspapiere soll festbleiben, um dies zu schaffen, muss ihre Verzinsung frei bleiben.
Das Land soll nach Zweck der Bewirtschaftung vergeben werden, dies soll auf 1-5-10 jährige
oder auch lebenslängliche Frist geschehen, entschieden wird nach dem
Versteigerungsangeboten.
Ein Mindestpreis für alle Produkte, wie z.B. Weizen, soll angesetzt werden, damit es keine
Probleme gibt die Pacht zu zahlen. Die Mindestpreise ändern sich im Verhältnis zur Pacht.
Es stellt sich nun die Frage, wie man die Ausbeutung und den Raubbau des Bodens
verhindern kann? Gesell sieht die Lösung in der Verpachtung über die Lebenszeit hinaus, also
über Generationen hinweg. Dadurch würde der Boden gepflegt und nicht verwahrlosen.
Durch die Bodenverstaatlichung würde auch die Gefahr wegfallen, dass die Eigentümer die
jeweiligen Pächter verjagen und diese heimatlos werden.
Es wird einfacher sein, Projekte wie eine Eisenbahnstrecke oder die Trockenlegung einzelner
Gebiete durchzuführen, denn es gibt nur einen Besitzer und nicht mehr viele Verschiedene
mit unterschiedlichen Meinungen.
Auf dem Land würde die Bodenverstaatlichung bewirken, dass es keine Not in der
Landwirtschaft mehr geben wird, keine Zölle, keine Politik, keine Knechte, dafür aber
Gleichberechtigung, Glück und Lebensfreude.
Aber nicht nur die Landwirtschaft, sondern auch der Bergbau oder große Kraftwerke sollen
verstaatlicht werden. Das Erwirtschaftete soll an den Staat gehen, der einen Mindestpreis und
Mindestlöhne zahlt, der Staat verkauft dann das Geförderte an den Meistbietenden.
Der Gewinn soll in die Grundrente fließen und somit den Haushalten zu Gute kommen.
In der Stadt sollen Grund und Gebäude ebenfalls verstaatlicht und verpachtet werden.
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Zur Ermittlung der Grundrente, soll in jedem Viertel ein Musterhaus gebaut werden, nachdem
die Berechnungen gemacht werden.
Durch die Bodenverstaatlichung würde sich die Politik, insbesondere die Politiker ändern.
Es gäbe keine Geldvorteile mehr und keine eigennützigen Bestrebungen der Politiker. Sie
würden nüchterner mit Statistik und Mathematik beraten. Sie würden an
Staatsangelegenheiten wissenschaftlich herantreten, denn es gäbe keine wirtschaftlichen
Vorteile mehr und Parteipolitik würde sinnlos werden.
Frauen sollen in die Landwirtschaft zurückgeholt werden. Durch Mindestpreise könnte die
Arbeitszeit und der Arbeitsaufwand verkürzt und erleichtert werden und so könnten auch
Frauen diese Arbeit ohne Probleme schaffen.
Frauen haben das meiste Anrecht auf Grundrente und Hilfen, denn ohne Frauen gäbe es keine
Grundrente und keine Menschheit.
Frauen könnten die Männer wieder nach charakteristischen und äußerlichen Eindrücken
auswählen. Sie müssten nicht mehr auf Geld oder Stand in der Gesellschaft achten, da sie
völlig unabhängig wären. Silvio Gesell nennt dies „Zuchtwahlrecht“4)
Silvio Gesell sieht in seiner Freilandtheorie den ersten Ansatz, durch den es Frieden auf der
ganzen Welt geben könnte und somit alle Menschen gleich, zufrieden und frei wären.
Die Menschen sind frei wie Zugvögel, „denn Besitz heißt darauf zu sitzen“ 5)
4) Walker (1949), S. 75; 5)
Walker (1949), S. 79
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5. Freigeld
5.1. Definition / Voraussetzungen
Silvio Gesell definiert das Geld als Tauschmittel, das die Nachteile des Tauschhandels
umgehen soll.
Daraus leitet er folgende Anforderungen an die Geldwährung ab:
Das Geld muss den Austausch der Waren…
a) sichern (ohne z.B. Krisen, Arbeitslosigkeit)
b) beschleunigen (geringe Lagerbestände, hohe Umschlagsraten)
c) verbilligen (geringe Differenz zwischen Erzeuger- und Endabnehmerpreis)
Zu den Erzeugern zählt er hier auch diejenigen, die an der Güterbeförderung beteiligt sind.
Die Messlatte für die Brauchbarkeit wird hierbei an die Faktoren Grad der Sicherheit,
Schnelligkeit, Billigkeit angelegt.
Das Zahlmittel sollte letztendlich, ganz rational, an seiner Leistung gemessen werden. Hier
muss beurteilt werden, ob die Existenz durch seine Funktionen berechtigt ist. So darf es keine
„körperlichen Reize“1) besitzen und keine Faszination für das Material, wie z.B. bei Gold der
Fall, beim Besitzer oder Betrachter hervorrufen.
Zweck des Freigeldes:
Durch die Einführung des Freigeldes soll die Übermacht des Geldes gebrochen werden. Diese
Übermacht ist restlos darauf zurückzuführen, dass das herkömmliche Geld den Waren
gegenüber den Vorzug der „Unverwüstlichkeit“ hat (es ist immer beständig).
1)
Walker (1949), S. 180
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5.2. Wahl des Geldstoffes
Gesell kritisiert bei der Wahl des Geldstoffes, dass hierbei nicht an die Ware gedacht wurde.
Das Geld wurde vom einseitigen Standpunkt des Inhabers so verbessert, dass es als
Tauschmittel unbrauchbar wurde.
Er beklagt, dass das Geld den Erzeugnissen der Mitbürger (Erzeuger) vorgezogen würde,
anstatt Geldrücklagen durch Vorratskammern mit den Produkten der Volkswirtschaft zu
ersetzen. Er sieht ein großes Hemmnis in der Schnittstelle zwischen Produktion und
Verbraucher: dem Handel (Warenaustausch). Die hier entstehenden Unkosten beziffert er mit
bis zu 50 %, was einer anteiligen Aufzehrung der Ware entspräche und wiederum einem
schnellen und billigen Absatz der Waren im Weg stünde.
Daraufhin stellt er einen Vergleich des Geldes mit Waren an, die faulen, vergehen, brechen
und rosten. Daher solle auch die Währung körperliche Eigenschaften besitzen, die jene
unangenehmen, verlustbringenden Eigenschaften der Waren aufwiegen, und so den Austausch
schnell, sicher und billig vermitteln. Dies wäre der Fall, weil dann solches Geld von
niemandem bevorzugt nachgefragt würde.
5.3. Marktgesetze des Freigeldes
Konkret gibt er folgende Vorgaben für den Mechanismus Freigeld:
„Da die Besitzer der Waren es mit dem Tausch stets eilig haben, so will es die Gerechtigkeit,
dass auch die Besitzer des Tauschmittels es eilig haben sollen. Das Angebot steht unter
unmittelbarem, eigengesetzlichem Zwang, so soll auch die Nachfrage unter gleichen Zwang
gestellt werden. Das Angebot ist eine vom Willen der Warenbesitzer losgelöste Sache; so soll
auch die Nachfrage eine vom Willen der Geldbesitzer befreite Sache sein.“2)
Es soll also ein Druck herrschen, wodurch das Geld möglichst schnell wieder dem
Wirtschaftskreislauf zugeführt wird. Dies kann nur über eine konstante Nachfrage erreicht
werden, die nicht von der Willkür der Abnehmer gesteuert wird.
2) Walker (1949), S. 182
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Wenn man die Vorrechte der Geldbesitzer beseitigen und die Nachfrage dem gleichen Zwang
zu unterwirft, dem das Angebot von Natur aus unterliegt, dann lösen sich alle Widersprüche
des herkömmlichen Geldwesens restlos auf.
So stimmt die Nachfrage unter allen denkbaren Verhältnissen immer mit der von den
gegebenen Handelseinrichtungen gestatteten Umlaufsgeschwindigkeit der vom Staate
beherrschten Geldmassen überein. Alle Privatgeldvorräte lösen sich durch den Umlaufszwang
selbsttätig auf.
Niemand kann mehr dem Staate in der Verwaltung des Geldes durch Ausgeben oder
Zurückhalten von Privatgeldbeständen”ins Handwerk pfuschen”. Der Staat selbst aber hat die
Aufgabe, die Nachfrage stets haarscharf dem Angebot anzupassen, wozu das abwechselnde
Einziehen oder Ausgeben geringfügiger Geldmengen genügt, sagt Gesell.
Nach Gesells Auffassung, muss eine gegenseitige Verpflichtung stattfinden, um sofort und
unter allen Umständen genau so viel zu kaufen, wie man selbst verkauft hat. Außerdem kann
so die Gegenseitigkeit dieser Verpflichtung gewahrt werden, das Geld so zu gestalten, dass
der Verkäufer der Waren durch die Eigenschaften des Geldes genötigt wird, den mit dem
Geldbesitz verknüpften Pflichten nachzukommen und somit das Geld wieder in Ware
umzusetzen.
5.4. Erklärung des Freigeldes
- Das Freigeld wird in Zetteln von 1-5-10-50-100-1000 Mark ausgegeben.
Die bei den öffentlichen Kassen eingehenden Kleingeldabrisse werden nicht mehr in
Verkehr gebracht, sondern immer wieder durch neue Zettel ersetzt.
- Das Freigeld verliert wöchentlich ein Tausendstel (0,1%) an Zahlkraft, und zwar auf
Kosten der Inhaber. Durch Aufkleben von Abrissen des erwähnten Kleingeldes hat der
Inhaber die Zahlkraft der Zettel immer zu vervollständigen.
Der Empfänger dieser Note, der sich natürlich solchem Schaden entziehen will,
versucht nun das Geld immer so schnell wie möglich weiterzugeben, denn behält er es
bei sich, etwa bis zum 10. September, muss er schon 5 x 10 = 50 Pfennig nachzahlen,
indem er von seinem Kleingeld 5 x 10 Pfennig abreißt und auf die Hundertmarknote
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aufklebt. So steht der Geldumlauf unter Druck, der es bewirkt, dass jeder immer gleich
bar bezahlt, seine Schuld tilgt und etwa dann noch verbleibenden Geldüberschuss mit
derselben Eile zur Sparkasse trägt, die ihrerseits auch wieder darauf achten muss,
Abnehmer für die Sparanlagen heranzulocken, wenn nötig durch Herabsetzung des
Zinsfußes.
- Am Ende des Jahres werden alle Geldscheine gegen neue umgetauscht.
- Eine Einlösung dieses Papiergeldes von Seiten des Währungsamtes findet nicht statt.
Der Grund dafür ist, dass Geld immer benötigt wird und somit auch keine
Einlösungspflicht notwendig ist. Das Währungsamt setzt also mehr Geld in Umlauf,
wenn die Warenpreise sinken, und zieht Geld ein, wenn die Warenpreise steigen. Die
Ursache dafür ist, dass die Preise ausschließlich von der Menge des angebotenen
Geldes abhängen.
- Zur Herbeiführung fester Wechselkurse ist eine zwischenstaatliche Verständigung
notwendig. Solange eine solche jedoch nicht erzielt ist, muss entschieden werden, ob
die Geldverwaltung die Festigkeit der Inlandpreise oder die der Wechselkurse zum
Maßstab der Geldausgabe machen soll.
- Der Umtausch des Metallgeldes gegen dieses Freigeld soll freiwillig geschehen. Doch
verliert das Gold, genau wie es bereits mit dem Silber geschah, das freie Prägerecht,
und die Münzen verlieren die Eigenschaft eines gesetzlichen Zahlungsmittels.
- Zahlungen vom/ins Ausland laufen über Wechsel
- Wer keine Einfuhrwechsel auftreibt, dem kauft das Währungsamt Gold ab.
Wer keine Ausfuhrwechsel bekommt, dem verkauft die o.g. Institution Gold.
- Der Kursverlust von jährlich 5,2 % (0,1 Prozentpunkte pro Woche) bewirkt einen
Abnahme der Geldmasse um 200-300 Millionen p.a.
� um Geldmangel entgegenzuwirken wird neues Geld vom Währungsamt
gedruckt und in Umlauf gebracht.
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5.5. Auswirkungen des Freigeldes
Das Freigeld hat Auswirkungen auf verschiedene Wirtschaftsbereiche und Faktoren.
- Auf den Handel:
o Barzahlung
o Unbeschränkter Warenabsatz
o Keine Handelswirtschaftsstockungen
o Keine Preis-, Kursstürze
o Keine Konjunkturfluktuation
o Keine Börsenjobberei, Wucherspiele
o Vereinfachung, Verbilligung generell
o produzierendes Gewerbe
� offene Ladengeschäfte werden überflüssig
o Senkung der Handelsunkosten
o Freihandel
o Beseitigung wirtschaftlicher Ursachen der Kriege
o Währungsverständigung im Weltverkehr
- Auf Kapital, Arbeit, Lohn:
o Geld wird wie Ware und Arbeit behandelt
o Umwandlung von Geldüberschüssen in Produktionsmittel
o Vollbeschäftigung
o Sinkender (und später verschwindender) Kapitalzins
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5.6. Einbringung des Freigeldes in den Umlauf
Bei der Einbringung des Freigeldes in den Umlauf wird als erstes der Reichsbank das Recht
der Notenausgabe entzogen. Danach wird die s.g. Reichwährungsbank gegründet, die
ausschließlich die Geldnachfrage durch Ausgabe und Einziehen von Freigeld befriedigen soll.
Zu späteren Zeitpunkten werden zum freiwilligen Umtausch alte Münzen etc. angenommen,
wobei es für eine Mark in Gold eine Mark in Freigeld gibt (im Gegensatz zur Euro-
Umstellung und dem Umtausch von D-Mark, der von Verlusten gezeichnet ist).
Das Gold verliert seinen ursprünglichen Wert und ist dann dem Staat gegenüber nur noch eine
Ware, genau wie Holz, Kupfer, Silber oder Papier.
5.7. Verwaltung des Freigeldes
Für die Entscheidung zur Vermehrung oder Verminderung des Geldumlaufs wird eine
Statistik für die Ermittelung des Durchschnittspreises aller Waren herangezogen. Die aktive
Währungspolitik wird allein nach dem Preisindex für 22 Stapelartikel ausgerichtet, also
ausschließlich statistische Grundlagen.
Danach wird über Steuerzu- und Abschläge oder über vom Währungsamt ver- oder gekaufte
Staatsschuldscheine Geld in den Markt hinein gegeben oder heraus genommen.
Das Reichswährungsamt ist Alleinherrscher, sowohl über die Geldherstellung, wie über das
Geldangebot.
Das Geld wird in der Reichsdruckerei gedruckt; Ausgabe und Umtausch geschehen durch die
Staatskassen; die Preisermittelung findet im Statistischen Amt statt. Laut Gesells Theorie ist
also nur ein Mann nötig, der das Geld von der Reichsdruckerei aus an die Staatskassen
abführt, und der das für währungstechnische Zwecke von den Steuerämtern eingezogene Geld
verbrennt. Als Einrichtungen wären hierbei einfach nur eine Presse und ein Ofen von Nöten.
Daraus soll sich dann, wenn der Preis der Rohstoffe unverändert bleibt, auch keine
Preisänderung für die daraus entstehenden Fertigwaren sowie die dafür gezahlten Löhne
ergeben. Man könnte es auch Preisstillstand nennen.
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5.8. Das Gesetzmäßige im Umlauf des Freigeldes
„Der Käufer hat ein ebenso starkes, unmittelbar mit dem Besitze des Geldes verknüpftes
Bestreben, das Geld auf den Warenbesitzer abzuwälzen, wie der Verkäufer einen
unmittelbaren Drang hat, die Waren auf den Käufer abzuwälzen. Der Nutzen an dem
unmittelbaren Zustandekommen des Tausches ist beiderseits gleich groß, was natürlich
bewirkt, dass bei den Preisverhandlungen der Käufer nicht mehr auf seine Unverletzlichkeit
(Gold) hinweisen und damit drohen kann, dass er die Verhandlungen abbrechen wird, falls
sich der Verkäufer nicht seinen Bedingungen unterwerfen will. Käufer und Verkäufer sind
nun gleich schlecht gerüstet; beide sind gleichmäßig, unmittelbar, dringend am
Zustandekommen des Handels beteiligt. Brauchen wir da noch zu erwähnen, dass darum auch
die Tauschbedingungen gerecht sein werden, dass der Handel schneller vonstatten gehen
wird?“3)
Anfangs werden Sparer und Kapitalisten weiterhin bestehen, sie sind aber, wie alle, den
Zwängen des Geldes unterworfen. Darin sieht Gesell vor allem einen Gerechtigkeitsfaktor,
der noch dadurch verstärkt wird, dass Sparer und Kapitalisten, wenn sich das Freigeld
durchgesetzt hat, aus dem Wirtschaftleben verschwinden.
Die Nachfrage wird unabhängig von Geschäftsaussichten, vom Glauben
an das Steigen oder Fallen der Preise sein (Geld erzeugt Nachfrage). Unabhängig auch von
Vorgängen im Staatsleben, von Ernteaussichten, von der Tüchtigkeit der Staatsoberhäupter,
von der Furcht vor wirtschaftlichen Erschütterungen, führt Gesell an.
„Die Nachfrage wird dann unter allen denkbaren Verhältnissen, in hellen, wie in trüben Tagen
immer haarscharf gleich sein:
1. der vom Staate in Umlauf gesetzten und beherrschten Geldmenge;
2. der von den gegebenen Handelseinrichtungen gestatteten Höchstumlaufsgeschwindigkeit dieser Geldmenge.“4)
Somit ist das Währungsamt jetzt Alleinherrscher über die Nachfrage und daran gekoppelt, das
Angebot.
3)
Walker (1949), S. 190; 4) Walker (1949), S. 191
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Das Verschwinden der alten Währung möchte Gesell nicht als „Beseitigung“, sondern
vielmehr als „Umgestaltung“ verstanden wissen, welches nach den richtig erkannten
Bedürfnissen der Volkswirtschaft geschieht.
Sein Grundsatz, der noch einmal die Basis des Freigeldes hervorhebt, heißt hierbei: je
verachteter das Geld, umso geschätzter die Ware und ihr Hersteller, umso leichter der Handel!
6. Freiwirtschaft in der Praxis
Seit Gesells Veröffentlichung seiner „Natürlichen Wirtschaftsordnung“ 1916 wurden eine
Vielzahl von „Experimenten“ durchgeführt, um die Aussagen der Freiwirtschaftstheorie in der
Praxis zu überprüfen. Eines der bekanntesten Experimente der Vergangenheit war die
Nutzung der umlaufgesicherten „Wära“ von 1929 bis Oktober 1931, die in Schwanenkirchen
zu besonderen Erfolgen führte. Ein weiteres Beispiel ist das vom Bürgermeister
Unterguggenberger der Stadt Wörgl initiierte Experiment von 1932 bis 1933.
6.1. Die „Wära“
1929 wurde in Erfurt die Wära-Tauschgesellschaft gegründet. Ihr Ziel war es, durch die
Ausgabe von „Tauschbons“ namens „Wära“ Absatzstockungen und Arbeitslosigkeit zu
bekämpfen. Nach zwei Jahren gehörten dieser Tauschgesellschaft mehr als 1000 Firmen aus
vielen Branchen aus allen Teilen des damaligen Deutschen Reiches als Mitglieder an.
Zwischen diesen Firmen liefen die Wära-Scheine um, die wie von Gesell vorgesehen mit
einer Umlaufsicherungsgebühr von 1% pro Monat belegt waren. 1930 wurde der
niederbayrische Ort Schwanenkirchen ein Knotenpunkt der Wära-Tauschgesellschaft, als das
dortige Bergwerk mit Hilfe eines Kredits der Tauschgesellschaft wieder in Betrieb genommen
wurde. Der Lohn der 45 Bergleute wurde zu 60 bis 75% in Wära ausbezahlt und die lokale
Wirtschaft kam wieder in Gang.
Das Experiment musste 1931 abgebrochen werden, da eine Notverordnung die Herstellung,
Ausgabe und Benutzung jeglichen Notgeldes, wozu auch die Wära zählte, verbot.
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6.2. Das Experiment von „Wörgl“
Animiert durch die Erfolge der Wära und die Schriften Silvio Gesells wurden 1932 im
österreichischen Wörgl vom dortigen Bürgermeister Unterguggenberger
Arbeitsbestätigungsscheine (Arbeitswertscheine) ausgegeben, die ebenfalls mit einer
Umlaufsicherungsgebühr belegt waren (Siehe Abb. unten). Diese Umlaufsicherungsgebühr
war als Notabgabe für die Armenpflege gedacht.
Unterguggenberger sah dieses Experiment als einzige Möglichkeit, der herrschenden
Deflation und Massenarbeitslosigkeit entgegenzuwirken. „Das Geldwunder von Wörgl“ ist
heute Paradebeispiel für die Vertreter der Freiwirtschaftstheorie, denn während in Österreich
die Arbeitslosigkeit um 10% zunahm, nahm sie in Wörgl um 25% ab. Weiterhin wurde mitten
in der Weltwirtschaftskrise die Infrastruktur Wörgls ausgebaut. Das in Wörgl eingeführte
Freigeld wurde jedoch am 15. September 1933 von der österreichischen Notenbank mit
Hinweis auf das gesetzlich garantierte Geldmonopol verboten, obwohl es bis dato überaus
erfolgreich war.
Im Schnitt waren in der 4200 Einwohner zählenden Gemeinde Arbeitswertscheine im
Gegenwert von 5500 Schilling im Umlauf, das sind 1,3 Schilling pro Einwohner. 1 damaliger
Schilling entspricht dem heutigen Gegenwert von 1,72 Euro. Während des Experiments
wurden somit in Wörgl zusätzliche Investitionen im Wert von 460.000 Euro ermöglicht, was
einer Sozialprodukterhöhung von 5% entspricht.
Abb. 3: Notgeld von Wörgl 1932
Abb. 5: „Chiemgauer“
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6.3. Freiwirtschaft heute
Freiwirtschaftliche Experimente sind auch in der heutigen Zeit noch weit verbreitet. Die
Erfolge von „Wörgl“ und in anderen Regionen gaben wiederholt Anstoß zur Einführung von
Freigeld in ähnlicher Form.
Heutzutage wir jedoch der Begriff Freigeld komm noch verwendet. Vielmehr spricht man
von Regionalgeld, welches in verschiedenen Regiogeld-Projekten und Tauschringen
gehandelt wird. Die Anwendung bezieht sich hier ebenfalls auf freiwirtschaftliche Ansätze
(beispielsweise in Form einer Umlaufsicherung) und verknüpft diese mit den Zielen
regionaler Wirtschaftsförderung.
Derzeit laufen mehrere kleine Experimente mit umlaufgesicherten Komplementärwährungen
in Deutschland. Der „Bremer Roland“ in Bremen, sowie der „Chiemgauer“ im Chiemgau
werden wie bereits erwähnt aus rechtlichen Gründen als Gutschein-Systeme geführt. Das
Wort „Geld“ oder „Freigeld“ wird hierbei nicht verwendet.
Bei diesen Experimenten werden in der Verantwortung eigens dafür gegründeter Vereine
geführt, weil die Ausgabe von „Gutscheinen“ nur in „überschaubaren Personengruppen“
erfolgen darf, um die Konkurrenzsituation zum gesetzlichem Zahlungsmittel zu entschärfen.
Die Annahme und Nutzung der umlaufgesicherten Gutscheine darf somit aus juristischen
Gründen nur von Vereinsmitgliedern erfolgen. Eingesetzt werden die Alternativwährungen
wie das gesetzliche Zahlungsmittel Euro.
6.3.1. „ Der Bremer Roland“
Die Realisierung der Umlaufsicherung erfolgt beim „Bremer Roland“ seit Oktober 2001 in
Form von fest vorgegebenen Wertverlusten von 1% monatlich, die auf dem Gutschein
aufgeführt sind (siehe Abb. 4 S. 27).
Dies erschwert jedoch die Wertbestimmung des einzelnen Scheines: Ein Schein kann so 5
Roland oder aber auch 4,75 Roland wert sein, je nachdem in welchem Monat er genutzt wird.
Dies erschwert die Berechnung und Bezahlung, da jeder Schein einzeln taxiert werden muss.
Das könnte einer der Gründe sein, weshalb sich der Kreis der Teilnehmer entgegen den
Erwartungen des Trägervereins seit Beginn des Experiments nicht wesentlich erweitert hat.
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6.3.2. „Der Chiemgauer“
Der „Chiemgauer“ ist die Regionalwährung des „Chiemgau Regional – Verein für
nachhaltiges Wirtschaften“. Kern des Vereins ist das Schülerunternehmen „Chiemgauer“,
welches von dem Lehrer der Waldorfschule Chiemgau initiiert wurde.
Die Grundidee des „Chiemgauer“ ist im Vergleich zum „Bremer Roland“ enger an Silvio
Gesells Vorschläge angelehnt. Gesell schlug eine wöchentliche Entwertung von 0,1% vor
(also 5,2% pro Jahr), die durch den Kauf und das Aufkleben von Marken realisiert werden
sollte. Der „Chiemgauer“ verliert vierteljährlich 2% seines Wertes, was einem jährlichen
Wertverlust von 8% gleich kommt. Dieser Wertverlust wird durch den Kauf und das
Aufkleben einer Marke ausgeglichen, womit ein „Chiemgauer“ mit Marke immer genau den
Nennwert hat, der auf dem Schein angegeben ist. Dies vereinfacht die Verrechnung von
„Chiemgauern“ gegenüber dem „Bremer Roland“ und entspricht technisch gesehen dem
System von Wörgl, wo die Währung 1% monatlich, also 12% im Jahr an Wert verlor.
Das Experiment, welches auch die Stärkung der Region zum Ziel hat, läuft seit 30. Januar
2003. Die Ausgabe der „Chiemgauer“ erfolgt gegen treuhänderische Hinterlegung der
gleichen Summe an Euro. Insgesamt wurden seitdem 34985 Chiemgauer verkauft. Davon
waren Anfang September 2003 insgesamt 6500 Chiemgauer im Umlauf.
66 Unternehmen sind derzeit Mitglieder im Chiemgau Regional e.V.
(Stand 12.09.2003),
darunter Restaurants, Cafés, Buchhandlungen, ein Reiseunternehmen, ein Friseursalon und
andere. Grundsätzlich ist in kleinem Maßstab von einem Erfolg der Einführung des
Chiemgauers zu sprechen.
Abb. 4: Rechtsgutschein „Roland“
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Probleme gibt es aber offenbar mit der Errichtung von geschlossenen Kreisläufen. Ein
Großteil der Chiemgauer wird vor der Fälligkeit der Gebühr, zumeist von Unternehmen, bei
der Ausgabestelle wieder in Euro zurückgetauscht. Beim Rücktausch fallen 5% Gebühr an,
wovon 2% zur Kostendeckung des Schülerunternehmens dienen und 3% den Organisationen
zugute kommen, welche die Chiemgauer zuvor gegen Euro verkauft haben.
Die Schwierigkeit bei der Etablierung geschlossener Geld-Güter-Kreisläufen liegt sicher
daran, dass mit 66 Unternehmen die kritische Masse an Teilnehmern noch nicht erreicht ist,
die für einen permanenten Umlauf der Regionalwährung nötig ist.
Die kritische Masse an Teilnehmern ist vermutlich dann erreicht, wenn zumindest die
meistgekauften Güter (Lebensmittel) und Dienstleistungen (Restaurantbesuch, Friseurbesuch)
mit Regionalwährung bezahlbar sind.
Dann entsteht eine Wettbewerbssituation in der die Unternehmen, welche Zahlungen in
Regionalwährung akzeptieren, dem Kunden gegenüber einen Vorteil bieten.
Dies fordert andere Unternehmen, ihren Kunden denselben Vorteil zu bieten, um keine
Kunden zu verlieren. Aus Sicht der Unternehmen dürfte die kritische Masse an Kunden, die in
Regionalwährung zahlen, dann erreicht sein, wenn der Bezahlvorgang mehrmals täglich
erfolgt und damit Routine wird.
Abb. 5: „Chiemgauer“ - Regionalwährung
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7. Fazit
Seit der Begründung der Freiwirtschaftstheorie durch Silvio Gesell hat es noch keinen
Versuch der praktischen Anwendung gegeben, welcher wissenschaftlich beobachtet und
dokumentiert wurde. Dies könnte einer der Gründe dafür sein, warum es bis heute weltweit
keine praktische Anwendung der Freiwirtschaftstheorie auf staatlicher Ebene gegeben hat.
Aus diesem Anlass heraus, wäre es für die Zukunft denkbar, einen wissenschaftlich
dokumentierten Versuchslauf, auf Grundlage der Freiwirtschaftstheorie durchzuführen, wobei
sich wahrscheinlich nur die Freigeldtheorie praktisch realisieren lässt.
Grund dafür ist einerseits die Tatsache, dass die viel versprechenden Erfolge in „Wörgl“ und
in anderen Regionen eindeutig gezeigt haben, dass großes Potential in der Freigeldtheorie
steckt, welches nur noch erschlossen und erprobt werden muss.
Auf der anderen Seite wäre ein ähnliches Experiment mit Freiland nicht denkbar, denn anders
als beim Freigeld handelt es sich hierbei nicht um ein Zahlungsmittel, sondern um das Gut
Boden, welches sich weltweit zum Großteil in Privatbesitz befindet.
Der Grundgedanke der Freilandtheorie, nach dem der Privatbesitz an Boden durch
Enteignungen oder Abfindungen in staatliche Hand überführt werden soll, könnte niemals
realisiert werden. Ausschlaggebend dafür sind in erster Linie die verschiedenen
Staatsformen, Gesetze und vor allem die religiösen und kulturellen Unterschiede in den
verschiedenen Ländern der Welt.
In Hinsicht auf eine Einführung von Freigeld auf staatlicher Ebne wäre jedoch die Einführung
von Freiland zwangsläufig notwendig. Nur so wäre zu verhindern, dass Großgeldbesitzer,
denen nach der Einführung von Freigeld leistungslose Einkommen aus Zinsen beschnitten
sein würden, auf den Aufkauf von Grundstücken ausweichen. Dadurch würden die
Grundstückspreise in unermessliche Höhen klettern und damit auch die Bodenrente in private
Hände fließen. Dies wäre zum Nachteil aller Übrigen, weil jeder Mensch zum Leben und
Arbeiten auf Boden angewiesen ist. Des Weiteren würde eine freiwirtschaftliche Bodenreform
das Gebot der Sozialpflichtigkeit des Eigentums verwirklichen, wie es in Art. 14 und 15 des
Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland gefordert wird, bis heute jedoch nicht
ausreichend realisiert ist.
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Im Gegensatz dazu, müsste eine experimentelle Überprüfung der Aussagen der
Freigeldtheorie im Rahmen eines Marktes geschehen, dessen Geld durch eine
Umlaufsicherungsgebühr belastet ist.
Durch die Erfahrungen und Berichte der Vergangenheit, können die Fehler der bislang
durchgeführten Experimente vermieden werden (z.B. zu hohe oder zu niedrige
Umlaufgebühren des Freigeldes). Zugleich kann auf die bereits getätigten Erfahrungen
zurückgegriffen werden.
Aufgrund der Tragweite der Aussagen der Theorie wäre ein Experiment mit politischer
Unterstützung wünschenswert. Besonders die stagnierende Wirtschaftslage und die stetig
steigenden Arbeitslosenzahlen in Deutschland, sollten Anlass und Motivation sein, neue
wirtschaftspolitische Theorien auszuprobieren. Bislang sind in der Politik der Bundesrepublik
Deutschland nur wenige neue Ansätze zur Behebung der Krise zu sehen.
Vorstellbar wäre, in einer Region in Deutschland ein Experiment derart zu gestalten, das eine
umlaufgesicherte Währung (Experimentalwährung) dort allgemeines Zahlungsmittel wird.
Akzeptiert werden sollte die Währung nicht nur von Unternehmen, sondern auch als
Lohnzahlung von den Arbeitnehmern aber auch von öffentlichen Einrichtungen, um
möglichst unterbrechungsfreie Geld-Güter-Kreisläufe zu ermöglichen.
Die Region, in der ein solches Experiment stattfindet, könnte aus einer oder mehreren
Ortschaften bestehen, die an hoher Arbeitslosigkeit leiden, um die Auswirkungen auf die
Beschäftigung ablesen zu können. Gerade in den neuen Bundesländern gäbe es bestimmt eine
große Bereitschaft in verschiedenen Regionen, um an einem solchen Pilotprojekt
teilzunehmen.
Kritisch betrachtet gibt es aber auch einige Schwachstellen an Gesells Freigeldtheorie.
In erster Linie lässt er bei seinen Theorien zum Freigeld den staatlichen Einfluss außen vor.
Besonders bei dem Thema Inflation spielt die Macht des Staates (in diesem Fall die des
Reichswährungsamtes) eine entscheidende Rolle und nicht nur das Geld an sich.
In Hinsicht auf die damit verbundene Zinsproblematik gibt es heute eine Notenbank, welche
die Leitzinsen festlegt und ein Organ des Staates ist.
Aus diesem Grund wäre es sehr wichtig gewesen, wenn Silvio Gesell auch Vorschläge
gemacht hätte, wie beispielsweise das Reichswährungsamt seiner Zeit und andere
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finanzpolitische Staatsorgane in ihren Strukturen und Funktionsweisen verändert werden
müssen, um die Freigeldtheorie anwenden zu können.
Utopisch erscheint auch Gesells Vorschlag, die eingezogenen, an Wert verlierenden
Goldmünzen (durch die Umlaufgebühr des Freigeldes) zu Armbändern und Uhren zu
verarbeiten, um diese den Bräuten im Deutschen Reich bei ihrer Vermählung zu schenken.
Voraussetzung wäre dafür wahrscheinlich, dass der Staat in Wohlstand schwelgt und niemand
mehr weis, was man mit den Einnahmen noch Anfangen soll.
Die Realität zeigt uns aber, dass es niemals zu viele Staatseinnahmen geben wird.
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Quellenverzeichnis
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Landmann, F.: Des Meisters Erbe - Verzeichnis der Schriften Gesells, in: Die Neue Welt -
Freiwirtschaftliches Archiv 7.Jg (1931), Nr. 1-2, S.49-56; Nr. 5, S. 153-159; Nr.6, S. 187-191;
Nr. 7-8, S. 230-238.
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Richter, A.: Das Wirtschaftswunder von Wörgl, in: Arbeit & Wirtschaft, März 1983
Schmid, W.: Silvio Gesell - Lebensgeschichte eines Pioniers, Bern 1954
Silvio Gesell-Wikipedia.: Silvio Gesell, in: http://de.wikipedia.org/wiki/Silvio_Gesell/,
zugegriffen am 01.03.06
Walker, K.: Die Natürliche Wirtschaftsordnung, 9. Aufl., Lauf bei Nürnberg 1949
Wendel, T., H.: Das Geldwunder von Wörgl - Aufschwung durch Banknoten mit
Werteverlust, in: Spiegel Special, Nr. 5 1996, S.10
Who, the hell, is Silvio Gesell?: Angaben zur Person Silvio Gesells, in:
http://www.systemfehler.de/gesell.html/, zugegriffen am 27.02.06