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Simon Winchester

K R A K A TA UDer Tag, an dem die Welt zerbrach

27. August 1883

Aus dem Englischen von Harald Stadler

Albrecht Knaus

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Titel der Originalausgabe: Krakatoa. The Day the World Exploded. 27. August 1883Originalverlag: Viking, ein Imprint der Penguin Books Ltd., London

Dieses Buch widme ich mit Freude und Dankmeiner Mutter und meinem Vater.

Umwelthinweis:Dieses Buch und sein Schutzumschlag wur-

den auf chlorfrei gebleichtem Papier gedruckt.Die vor Verschmutzung schützende Ein-schrumpffolie ist aus umweltschonender

und recyclingfähiger PE-Folie.

1. AuflageCopyright © 2003 by Simon Winchester

Copyright © 2003 der deutschsprachigen Ausgabeby Albrecht Knaus Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbHUmschlaggestaltung: Design Team, München

Gesetzt aus 10.15/13.3 pt. Garamond BQSatz: Filmsatz Schröter GmbH, München

Druck und Bindung: Kösel, KemptenPrinted in GermanyISBN 3-8135-0224-4www.knaus-verlag.de

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Und jeden AugenblickLöst alles Feste sich auf, wird alles blockiert,Und Fakten können nicht bestehen –Und wer weiß, ist es Absicht oder nur Versehen,Dass die Gegenwart ihren ererbten Dünkel liquidiert?

W. H. Auden, Einstweilen (1944)

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CHINA

BURMA

THAILAND

KAMBODSCHA

VIETNAM

Indischer Ozean

0

N

1000 km

LAOS

MALAYSIA

BORNEO

JAVA

SULAWESI

SUMATRA

AUSTRALIEN

PHILIPPIN

EN

Südostasien

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Südostasien mit den westlichen Inseln des riesigen Archipels des heutigenIndonesien, des ehemaligen Holländisch-Ostindien

SUMATRA

Telur Setung

Ketimbang

Banten

Serang

0

N

40 km

Jakarta

Lampung-Bucht

Banten-BuchtSibesie

Sebuku

JAVA

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Die Inseln der Krakatau-Gruppe vor dem Ausbruch von 1883

Verlaten Island

Lang Island

Perboewatan

Danan

Rakata

Krakatau

Sundastraße

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Inhalt

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

1 «Eine Insel mit einem spitzen Berg» . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17

2 Das Krokodil im Wassergraben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43

3 Spannende Begegnungen an der Wallace-Linie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57

4 Die Zeitpunkte, da der Berg bebte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113

5 Die Entfesselung der Höllenkräfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143

6 «Meilen von der Sonne letztem Strahl» . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167

7 Der kuriose Fall des verschreckten Elefanten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183

8 Der Knall, die Flut und die Posaunen des Jüngsten Gerichts . . . . . 193

9 Auflehnung eines geschundenen Volkes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285

10 Das Heranwachsen des Kindes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303

Epilog: Der Ort, an dem die Welt explodierte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327

ANHANG

Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343

Empfehlungen für weiteres Text- und Bildmaterial . . . . . . . . . . . . . . 347

Abbildungsverzeichnis und Bildnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355

Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358

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Einleitung

Er besaß auch einen erloschenen Vulkan. Da er sich aber sagte: Mankann nie wissen!, fegte er auch den erloschenen Vulkan. Wenn siegut gefegt werden, brennen die Vulkane sanft und regelmäßig, ohneAusbrüche. Die Ausbrüche der Vulkane sind nichts weiter als Ka-minbrände. Es ist klar: Wir auf unserer Erde sind viel zu klein, umunsere Vulkane zu kehren. Deshalb machen sie uns so viel Verdruss.

Antoine de Saint-Exupéry, Der kleine Prinz, 1944

Es war an einem warmen Sommerabend in den siebziger Jahren. Ichstand in einer Palmenplantage auf einem grünen Hügel im Westen

Javas. Da sah ich zum ersten Mal vor den fahlblauen Bergen des fernenSumatra die kleine Gruppe von Inseln, die noch von dem einstigen VulkanKrakatau übrig geblieben war.

Im linken Teil der Gruppe erhob sich ein hoher, pyramidenförmigerGipfel, der an seiner Nordflanke lotrecht ins Meer abfiel. Zur Rechtendrückten sich ein paar weniger hohe Inseln an den Horizont. Dazwischenlag ein niedriger, vollkommen symmetrischer Kegel, von dem eine dünneRauchwolke aufstieg. Der Qualm bildete eine schwärzlich graue Fahne, diezunächst senkrecht nach oben stieg, aber sobald sie ein paar hundert Fußüber dem sich verdunkelnden Meer von den Passatwinden erfasst wurde,nach links weggefegt wurde und sich allmählich auflöste, bis nichts als einlangsam verblassender Fleck vor dem lachsfarbenen Leuchten der unterge-henden Sonne übrig blieb.

Ich muss verzückt dort gestanden haben, bis es fast dunkel war. Dannriss ich mich los und fuhr nach Jakarta zurück. In der endlosen Nacht aufdem Rückflug gen Westen dachte ich immer wieder an diese Szene vollen-deter Schönheit. Krakatau faszinierte mich umso mehr, weil dies ein Ort

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von elementarer Bedeutung war – ein Ort, der die Prozesse der Erde sicht-bar machte und einst eine unglaubliche Katastrophe erlebte, doch inzwi-schen wieder zur Ruhe gefunden hatte.

Es sollte fast ein Vierteljahrhundert vergehen, bevor ich wieder nach Javakam. Aufgrund meiner Arbeit hielt ich mich vorwiegend in der Inselmitteauf, in Städten wie Jogjakarta, Surakarta und Semarang. Vor meinem Rück-flug entschloss ich mich ganz spontan, noch einmal das westliche Ende derInsel aufzusuchen. Und so fuhr ich, wie damals in den siebziger Jahren, zurKüstenstraße hinunter.

Ich wollte nur aus einem einzigen Grund dorthin – um einen, wie ichdachte, letzten Blick auf einen Ort zu werfen, von dem zwar nur wenigeMenschen außerhalb Ostindiens genau wussten, wo er lag, wie er aussahund was dort geschah, der aber einen Namen – Krakatau – trug, der sichüber Jahrzehnte tief ins kollektive Bewusstsein der Welt einprägte. Es gabeinen berühmten Film (der die Insel zugegebenermaßen auf der falschen,der östlichen Seite Javas ansiedelte). Es gab ein beliebtes Kinderbuch (dasdie Insel zugegebenermaßen in einem ganz anderen Ozean, nämlich demPazifischen statt dem Indischen, platzierte). Der Name war in das kulturelleVokabular der Welt eingegangen. Das Wort rief ein ganz bestimmtes, un-erklärliches Echo hervor und hatte etwas exotisch Vertrautes an sich. Es warein Wort, das man gerne aussprach und auch gerne hörte. Und nun war ichdem Vulkan so nahe, dass ich mir die Gelegenheit, ihn noch einmal zusehen, nicht entgehen lassen wollte.

Als ich den besten Aussichtspunkt auf der Küstenstraße erreichte, war esbereits Abend, vielleicht etwas später und somit etwas dunkler als beimletzten Mal. Von dem riesigen eisernen Leuchtturm vor dem Hafen vonAnyer – den die Holländer als Ersatz für jenen Leuchtturm gebaut hatten,der von den schrecklichen Flutwellen infolge der gigantischen Eruptionweggerissen worden war – glitt ein Lichtstrahl gelassen über die glatten Was-ser der Sundastraße.

Vor mir lag wie damals die Inselgruppe, die sich diesmal schwarz von denlebhaften Rottönen des westlichen Himmels abhob. Der riesige Gipfel imlinken Teil der Gruppe sah genauso aus, wie ich ihn in Erinnerung hatte,und auch die flachen Inseln, die diesmal mit den Abendwolken verschmol-zen. Und in ihrer Mitte erhob sich die Pyramidenform des einzigen akti-ven Überbleibsels jener Katastrophe, der Kegel, dessen Gipfel von einemseltsamen orangefarbenen Feuer umstrahlt schien. Durch meine Brillen-

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gläser konnte ich ganz klar erkennen, dass das Orange tatsächlich Feuer warund dass wie damals Rauch aufstieg, der sich diesmal jedoch im windstillenAbendhimmel zu schwarzen Wolken auftürmte.

Eines war jedoch unübersehbar anders. Der Kegel – den die Einheimi-schen, wie ich inzwischen wusste, mit dem malaiischen Wort Anak als«Kind» dessen bezeichneten, was vor der großen Eruption hier gewesen war – wirkte diesmal irgendwie größer, breiter und viel höher, als ich ihnin Erinnerung hatte.

Ich blinzelte und sah noch einmal genauer hin. Ich maß die Pyramideso gut ich konnte neben dem großen Gipfel zur Linken ab und versuchte,mich daran zu erinnern, wie groß der kleinere Berg im Verhältnis zu jenerFelswand gewesen war. Er war inzwischen eindeutig höher, daran bestandkein Zweifel. In solchen Situationen spielt einem das Gedächtnis natürlichbisweilen einen Streich, doch je länger und angestrengter ich hinüber-starrte, desto sicherer wurde ich mir. Der Vulkan, das «Kind des Krakatau»,war in den fünfundzwanzig Jahren, seit ich ihn zuletzt gesehen hatte, umeiniges gewachsen.

Als ich mir die Karten vornahm, um mich zu vergewissern, stellte ich so-fort fest, dass die neueren Vermessungen alle übereinstimmten. Die kleineInsel, die ungefähr vierzig Jahre nach dem jähen Untergang ihres Vorfah-ren aus dem Meer erstanden war, wuchs inzwischen selbst außergewöhn-lich rasch heran. Durch einen Vergleich der Karten, die seit der letzten Juni-woche des Jahres 1927 erschienen waren, als der neue Kegel sich erstmalsaus dem Wasser erhoben hatte, ließ sich errechnen, dass er ziemlich gleich-mäßig gewachsen war, und zwar um durchschnittlich zwölf Zentimeter proWoche.

Gewiss hatte es auch einige Ausbrüche gegeben – einen Lavastrom hier,eine heftige Eruption da –, doch im Allgemeinen war Anak Krakatau seit1927 jeden Monat regelmäßig um etwa fünfzig Zentimeter gewachsen. Seitseiner Geburt war er mit jedem Jahr um sechs Meter höher und ungefährzwölf Meter breiter geworden. Und wenn dieses Wachstum stetig angehal-ten hatte, bedeutete dies, dass mein Berg um sage und schreibe einhundert-fünfzig Meter höher war als in jenem Jahr, in dem ich ihn zum letzten Malgesehen hatte.

Und aus genau diesem Grund hat mich dieses robuste Kerlchen voneinem Vulkan seither nicht mehr losgelassen. Es ist ein Vulkan, der sich ab-solut und vollkommen sichtbar weigert zu erlöschen. Dies ist ein Vulkan,der meiner Meinung nach eine wunderbar verführerische Kombination von

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Eigenschaften besitzt – er ist schön und gefährlich, unberechenbar undunvergesslich. Und noch mehr: Die Ereignisse in seinem früheren Lebenwaren zwar schrecklich, doch die geologischen und seismischen Fakten so-wie die besonderen tektonischen Verhältnisse von Java und Sumatra wer-den dafür sorgen, dass sich das, was einst geschah, eines Tages zweifelloswiederholen wird, und zwar auf genau dieselbe Weise.

Doch niemand kann genau sagen, wann. Wahrscheinlich wird es nochviele Jahre dauern, bis eine Katastrophe über die Welt hereinbricht, diemöglicherweise ebenso furchtbar ausgehen könnte wie jenes Drama, das amMorgen des 27. August 1883 genau zwei Minuten nach zehn Uhr seinenkataklysmischen Höhepunkt erreichte.

Die Explosion war so ungeheuerlich, dass sie selbst heute noch eine end-lose Reihe von Superlativen für sich beanspruchen kann. Es war die größteDetonation, der lauteste Knall, der verheerendste Vulkanausbruch in derneueren Geschichte der Menschheit und forderte mehr als sechsunddreißig-tausend Menschenleben.

Zugegeben, geologische Daten aus aller Welt zeugen von einigen nochgrößeren und zerstörerischeren Vulkanen. Der Krakatau gilt heute nur alsder fünftexplosivste Vulkan in der bekannten geologischen Geschichte unse-res Planeten; Mount Toba und Tambora in Ostindien, Taupo in Neusee-land und Katmai in Alaska werden allesamt als größer eingestuft, zumin-dest in Bezug auf die Materialmenge, die sie in den Himmel geschleuderthaben, und in Bezug auf die Höhe, in die das Material vermutlich empor-gestiegen ist.

Doch diese Eruptionen fanden alle in grauer Vorzeit statt und wirktensich kaum direkt auf die menschliche Zivilisation aus. Als der Krakatau indie Luft flog, schrieb man das Jahr 1883, und die Welt hatte sich tiefgrei-fend verändert. Aufgeklärte Erdenbürger waren Zeugen der Erschütterun-gen dieses Vulkans; sie konnten das Ereignis untersuchen und die Prozesseergründen, die zu solch zerstörerischer Gewalt geführt hatten. Doch wennman so will, standen ihre Beobachtungen, die so gründlich und genauwaren, wie die Wissenschaft dies erfordert, in vollkommenem Widerspruchzu einer höchst irritierenden Realität: Während nämlich die Welt immermoderner und fortschrittlicher wurde, fanden sich die Menschen teilswegen eben jener Fortschritte in einer seltsam fiebrigen Verfassung und ineinem empfindlichen Gleichgewicht, das durch ein Ereignis wie das vonKrakatau weitgehend gestört wurde.

Die Nachrichtentechnik jener Zeit, die von Neuerungen in der Telegrafie

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mit einem Netz von Kabeln auf dem Meeresboden und florierenden Nach-richtenagenturen geprägt war, sorgte beispielsweise dafür, dass die fortschritt-licheren Völker der Erde innerhalb weniger Minuten von dem Vulkanaus-bruch erfuhren. Doch das begrenzte und sich nur langsam entwickelndegeologische Wissen, das damals verfügbar war, lieferte den Menschen keineErklärung, die ihre Ängste angesichts all dessen minderte, was sie da erfuh-ren. Die Nachricht von dem Ereignis erschütterte, ja bestürzte selbst Men-schen, die Tausende von Meilen weit entfernt lebten.

Ferner übte das religiöse Dogma noch immer große Macht über Millio-nen Menschen aus, selbst in Gesellschaften, deren naturwissenschaftlichesVerständnis sich rasant entwickelte. Alte Stammesvorfahren hätten wohleine simple Erklärung für eine Eruption wie die des Krakatau parat gehabt:Die Götter zürnten eben einfach. Die moderneren Menschen des Jahres1883 verfügten indes nicht über den Luxus einer solch simplen Erklärung;ihre wachsende Fortschrittlichkeit bedeutete zugleich, dass sie sehr viel übersolch ein Ereignis erfuhren, tatsächlich aber sehr wenig darüber wussten.Sie verfügten über genügend Faktenkenntnis – dafür sorgten schon die Nach-richtenagenturen –, doch diese Kenntnis war gepaart mit einem Mangel anVerständnis. So fürchteten viele Menschen, dass der Ausbruch des Kraka-tau etwas unendlich viel Schrecklicheres bedeutete – dass nämlich ihre Weltentzweigerissen wurde und vielleicht sogar, wie es die Bibel vorausgesagthatte, unterzugehen drohte.

Verängstigte und faszinierte Menschen in aller Welt, in solch fernen undweit auseinander liegenden Städten wie Boston, Bombay und Brisbane,erhielten unverzüglich Kenntnis von dem Ereignis – und zwar deswegen,weil dies die erste große Weltkatastrophe war, die sich nach der Erfindungder Unterseetelegrafie zutrug. Die Zeitungen waren voll davon und dieSchilderungen der Vorgänge umso fesselnder, weil stets topaktuell. Bishervöllig unbekannte Worte und Begriffe – Java, Sumatra, Sundastraße, Bata-via – waren mit einem Schlag plötzlich in aller Munde.

Und indem die Menschen in aller Welt von diesen Orten und denschrecklichen Ereignissen erfuhren, wuchsen sie schlagartig zu einer neuenBruderschaft der Wissenden zusammen. In gewissem Sinn entstand anjenem Augusttag des Jahres 1883, teils aufgrund jener gewaltigen Explo-sion, das neuzeitliche Phänomen, das wir als global village bezeichnen. Seitjenem Tag können wir wahrhaftig sagen: «Die Welt ist ein Dorf.» Und dasWort Krakatau wurde, trotz der Verfälschung und Verstümmelung durchdie unvollkommene Kunst der viktorianischen Telegrafie und Journalistik,

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mit einem einzigen ohrenbetäubenden Schlag zum Synonym für Brodelnund Beben, Unheil und Tod. Die Katastrophe hatte eine ganze Reihe greif-barer Folgen auf politischer, religiöser, gesellschaftlicher, ökonomischer,psychologischer und wissenschaftlicher Ebene. Noch heute ist der wunder-liche und schauerliche Nachhall dieser Folgen schwach, aber beklemmendzu vernehmen, sowohl in Java als auch in der übrigen Welt.

Auch auf andere Weise hat der Krakatau das Bewusstsein der Welt tiefgeprägt, und zwar sehr viel tiefer als die Ausbrüche der vier genau genom-men größeren Vulkane in früheren Zeiten. Die Eruption des Krakatau wirktesich beispielsweise auch auf das Klima aus. Aufgrund der Partikel, die in dieAtmosphäre geschleudert wurden, verringerte sich die Erdtemperatur; aufder gesamten Welt veränderte sich das Aussehen des Himmels. TausendeMeilen weit entfernt wiesen die Barometer und die Gezeiten wilde Schwan-kungen auf. Amerikanische Feuerwehrleute rückten in panischem Schreckenaus, um gegen «Flammenhöllen» anzukämpfen, bei denen es sich in Wirk-lichkeit um grelle Sonnenuntergänge handelte, die durch die aufgewirbel-ten Stäube des Krakatau verursacht wurden.

Dank der gewissenhaften Untersuchungen, die unmittelbar nach derEruption einsetzten, verstehen wir heute, weshalb der Krakatau ausbrach,und wir wissen nur zu gut um das Wesen der Kräfte, die dazu führten. Eineganz neue Wissenschaft ist entstanden, bestrebt, die alten, mythenverhaf-teten Legenden um das Ereignis zu erhellen und die Rätsel dieses Vulkanswie auch aller anderen Vulkane zu lösen.

Von der Palmenplantage hoch oben auf dem grünen Hügel, auf dem ichstand, sah der Krakatau ruhig und friedlich aus; von seinem Gipfel stiegnur eine dünne Säule weißen, grauen oder gelegentlich schwarzen Rauchsauf. Doch der Schein trügt. Unbeirrt und rasch wächst der kindliche Bergvor sich hin, und tief in seinem Innern wütet das Urfeuer, aus dem die Weltentstanden ist.

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«Eine Insel mit einem spitzen Berg»

Vulkanausbruchgebiet: Wegen Vulkanausbrüchen gilt dieses Gebiet alsunsicher für die Schifffahrt …Pulau Anakrakata: (6° 06' S, 105° 25' O), eine kleine Insel, die 1928zwischen Pulau Sertung und Pulau Rakata Kecil auftauchte, wo ehemalseine Untiefe von 27 m verzeichnet war. 1929 verschwand die kleine Inselwieder, tauchte aber bei Eruptionen im Jahre 1930 wieder auf und scheintsich nach heftigen Ausbrüchen im Februar 1933 vergrößert zu haben. 1935hatte dieses Inselchen eine beinahe runde Form mit einem Durchmesservon ungefähr 1200 m und einer Höhe von 63 m; und 1940 war sie 125 mhoch. 1948 standen einige Kasuarinen am nördlichen Ende der kleinenInsel; 1955 wies sie eine Höhe von 155 m und, von Süden her gesehen,keinerlei Vegetation auf. 1959 kam es zu einer Eruption, bei der dickerschwarzer Rauch 600 m hoch aufstieg. Die letzte vulkanische Aktivitätauf Pulau Anakrakata wurde 1993 beobachtet.Warnsignal: Im Falle einer drohenden Eruption innerhalb des Gebietsvon Krakatau wird Radio Jakarta die notwendigen Warnungen aufIndonesisch und Englisch senden. (Siehe Verzeichnis der Funksignale derAdmiralität.)

Aus «Schifffahrtsanweisungen der Admiralität»,NP36, Indonesia Pilot, Bd. 1, London 1999

Bei dem Wort «Java» denken die meisten Menschen zunächst an Kaffee(und heutzutage vielleicht auch an eine Computersprache), doch die

Reichtümer der westlichen Entdecker und Besiedler jener großen Inselgründeten sich zunächst auf den Handel mit tropischen Gewürzen. Diegrößte Rolle unter diesen Gewürzen spielte anfangs jene eher gewöhnlicheSorte, die auch heute noch am häufigsten verwendet wird – der Pfeffer.

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Piper nigrum, Syzygium aromaticum* und Myristica fragrans – Pfeffer, Nel-ke und Muskat – waren ursprünglich die heilige Dreieinigkeit des asiati-schen Gewürzhandels. Diese drei Gewürze kannte und verwendete manbereits in der Antike. Zweihundert Jahre vor Christi Geburt durften dieHöflinge der chinesischen Han-Dynastie ihre Kaiser nur ansprechen, wennsie ihren Atem mit einem Mund voll javanischer Nelken erfrischt hatten.Muskat, so wird vermutet, wurde von römischen Priestern als Weihrauch-stoff verwendet. Mit Sicherheit wurde Muskat im Konstantinopel desneunten Jahrhunderts als Würzstoff eingesetzt, denn es ist bekannt, dass

der orthodoxe Theologe (und spätere Heilige) Theodorvon Studion – ein Gegner der Bilderstürmer – den

Mönchen erlaubte, es auf den Erbsenbrei zustreuen, den sie an fleischfreien Tagen essen

mussten. Und in elisabethanischer Zeit wareine Duftkugel aus Muskat ein wichtigesMittel, um üble Leiden in Schach zu hal-ten; die Vorstellung, Muskat könne diePest abwehren, hielt sich länger als somanches andere alte Ammenmärchen.

Der Pfeffer indes hatte in der Antikeeine unendlich viel größere Bedeutung und

diente keineswegs nur als Streuwürze, Pastil-le oder Rachenputzer. Die Römer verwendeten

ihn in Hülle und Fülle. Gibbon schrieb, Pfeffer sei«eine beliebte Zutat der äußerst aufwändigen römi-

schen Kochkunst» gewesen, und bestätigte die weit verbreitete Auffassung,wonach Alarich, der kriegerische König der Westgoten, von den Römernmehr als eine Tonne davon als Lösegeld forderte, als er die Stadt 410 n.Chr.belagerte. Die Gold- und Silbermünzen des Römischen Reichs, aureus unddenarius, waren zum bevorzugten Zahlungsmittel entlang der Gewürzroutegeworden, und die indischen Pfefferhändler von Cochin und Malakka undin den Häfen des südlichen Ceylon waren angeblich davon beeindruckt,dass sich der Wert der Münzen nicht nach ihrer Größe, sondern nach derdarauf eingeprägten Zahl richtete.

Egal, wie sich ihr Wert bemaß, die Münzen müssen in ungeheurer Anzahl

* Einige Botaniker sind der Meinung, bei der Gewürznelke handle es sich streng ge-nommen um Eugenia caryophyllata, doch es besteht Einigkeit darin, dass sie der Familie derMyrtaceae angehört, von der die immergrüne Myrte die bekannteste Vertreterin ist.

Syzygium aromaticum, die Gewürznelke

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ihren Besitzer gewechselt haben. Der Pfeffer war so kostbar und teuer undso begehrt, dass Plinius der Ältere über die riesigen Ausgaben wetterte. «Esgab kein einziges Jahr, in dem Indien» – und damit meinte er Ostindien,denn Pfeffer wurde sowohl von der Malabarküsteals auch aus dem westlichen Java impor-tiert – «das Römische Reich nicht umfünfzig Millionen Sesterzen beraub-te.» So teuer, fügte er trocken hinzu,«bezahlen wir unseren Luxus undunsere Frauen».

(Es besteht eine nette Symmetriein Bezug auf Plinius’ Verwicklung indiesen Teil der Geschichte des Kraka-tau, auch wenn er nur in einer Kom-parsenrolle auftritt. Der ehemalige SoldatPlinius, der als Kavallerieoffizier im römischenGermanien gedient hatte und über großen Reichtum und gute Beziehun-gen verfügte, übernahm zwar für seine Kaiser bereitwillig verschiedenePflichten und Ämter, war aber vor allem Naturwissenschaftler – ein Ken-ner beziehungsweise Beobachter «des Wesens der Dinge, das heißt desLebens», wie er es einmal formulierte. Sein Ruhm beruht weitgehend aufseiner siebenunddreißig Bücher umfassenden Naturgeschichte, einem gran-diosen Meisterwerk, in dem – neben zahllosen anderen entzückendenDetails – erstmals jene Vokabel auftaucht, von der sich unsere heutige «En-zyklopädie» ableitet.

Während Plinius im Spätsommer des Jahres 79 n. Chr. seiner Aufgabenachging, gegen die Seeräuberei im Golf von Neapel zu ermitteln, über-redete man ihn, eine seltsame Wolkenformation zu untersuchen, die vomGipfel des Vesuv aufzusteigen schien. Also ließ er sich ans Ufer rudern,suchte ein anrainendes Dorf auf, um die in Panik geratenen Bewohner zuberuhigen – und wurde prompt von einer massiven Eruption überrascht.Er erstickte am 24. August an vulkanischen Gasen und hinterließ neben sei-nem rühmlichen Werk als besonderes Vermächtnis ein einziges Wort imVokabular der modernen Vulkanologie: «plinianisch». Unter einer pliniani-schen Eruption versteht man heute einen gewaltigen, explosionsartigenAusbruch mit riesigen Gas- und Aschewolken, bei dem der betreffende Vul-kan weitgehend zerstört wird. Und der verheerendste plinianische Ausbruchder Neuzeit ereignete sich fast auf den Tag genau 1804 Jahre nach dem Todvon Plinius dem Älteren – auf Krakatau.)

Muskat und Muskatnuss

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Der Pfeffer genießt keinen eindeutigen Ruf. Unwahr ist beispielsweise, dassder Pfeffer einst dazu diente, den Geschmack von verdorbenem Fleisch zu

überdecken; diese Vorstellung rührt vielleicht von der Auffas-sung her, die selbst von heutigen Apothekern noch vertreten

wird, nämlich dass Pfeffer als Mittel gegen Blähungen wirkt.Doch er wurde sehr wohl als Konservierungsmittel und

noch häufiger sogar als Gewürz verwendet. Bereits imzehnten Jahrhundert wurde Pfeffer nach England im-

portiert; die Guild of Pepperers, eine der ältestenLondoner Innungen, wurde sicherlich vor 1180 ge-

gründet; in jenem Jahr zumindest hat man sieerstmals urkundlich erwähnt. 1328 firmierte dieInnung offiziell als Importeur von Gewürzen ingroßen Mengen; ihre Mitglieder wurden als gros-sarii (Grossisten) bezeichnet (wovon sich das heu-tige englische Wort grocer für «Lebensmittelhänd-ler» ableitet).

Joseph Conrad schilderte die Sucht nach Pfef-fer in seinem Roman Lord Jim:

Die Händler des siebzehnten Jahrhunderts suchten [die ferne Insel]wegen des Pfeffers auf, weil die Leidenschaft für Pfeffer zur Zeit vonJames I.* in der Brust von holländischen und englischen Abenteurernwie das Feuer der Liebe zu lodern schien. Welchen Weg hätten sie umdes Pfeffers willen nicht auf sich genommen! Für einen Sack Pfeffer hät-ten sie sich, ohne zu zögern, gegenseitig die Kehlen durchgeschnittenund dem Teufel die Seele verschrieben, um die sie sonst so besorgtwaren: Die verrückte Hartnäckigkeit dieser Gier ließ sie dem Tod intausenderlei Gestalten trotzen – den unbekannten Meeren, den gräss-lichen, exotischen Krankheiten, den Wunden, der Gefangenschaft, demHunger, der Pestilenz und der Verzweiflung. Sie machte sie groß! Him-mel, ja! Sie machte sie zu Helden …

Die Gelüste des Abendlandes nach den drei großen Gewürzen steigertensich während des vierzehnten und fünfzehnten Jahrhunderts ins schier Un-ermessliche. Der Handel wurde zumindest seit dem päpstlichen Schieds-

Piper nigrum, schwarzer Pfeffer

* 1603–1625

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spruch von 1494 von der damals einzigen bedeutenden Seemacht in Fern-ost beherrscht – von den Portugiesen.* Vasco da Gama, der den Osten er-schloss und bis nach Calicut gelangte, frohlockte angeblich, als er erfuhr,dass der Pfeffer, der in Venedig (dem Zentrum des europäischen Handels)achtzig Dukaten pro Zentner einbrachte, in Indien für ganze drei Dukatenzu beschaffen war. Prompt brach ein unablässiger Strom portugiesischerKaufleute und Forschungsreisender vom Tagus aus nach Osten auf. Einerdieser Seefahrer, Pedro Alvares Cabral, entdeckte dabei Brasilien und nahmes für die portugiesische Krone in Anspruch. Eine Zeit lang beherrschtendie Portugiesen das Geschäft allein. Die alte Handelsroute – per Schiff nachArabien und mit Kamelen durch die Wüste ans Mittelmeer – hatte aus-gedient. Inzwischen bestritten massive Segelschiffe den gesamten Weg –um Westafrika und das Kap herum. Und so wie die römische Währung als allgemeines Zahlungsmittel entlang der alten Handelswege gedienthatte, so wurde das Portugiesische zur Verkehrssprache entlang der neuenRoute.

Doch die Zeit und die Technik schritten unaufhaltsam voran. Die Hol-länder und Engländer, die inzwischen ihre Fertigkeiten im Schiffbau undihre Navigationskünste verfeinert hatten, über genügend Eichenholz fürRümpfe und genügend Flachs für Segel verfügten und es auch nicht anKanonen mangeln ließen, kamen ab dem sechzehnten Jahrhundert da-hinter, dass sie die schneidigen Schiffe aus Lissabon an Geschwindigkeitund Gefechtsstärke übertrumpfen konnten. Nicht wenige holländischeSchiffe, die mit der portugiesischen bandhera beflaggt waren, um das kö-nigliche Handelsverbot für nichtiberische Kaufleute in Fernost zu unter-

* Der päpstliche Schiedsspruch sicherte Spanien die Ausbeutung der westlichen undPortugal die der östlichen Welt zu. Die Spanier, gleichermaßen geschickte Seefahrer undNautiker, einigten sich unter päpstlicher Aufsicht mit den Portugiesen darauf, den zu er-obernden Erdball aufzuteilen, und zogen im Vertrag von Tordesillas eine Demarkations-linie entlang des Meridians 370 Meilen westlich der Kapverdischen Inseln (ungefähr beimheutigen 48. westlichen Längengrad). Westlich dieser Linie hatte Spanien freie Hand – dasheißt in Mexiko, Chile und Kalifornien. Östlich davon konnten sich die portugiesischenKaravellen ungehindert bewegen; dies schloss auch die Küste Brasiliens ein. Da Afrika,Asien und die Inseln entlang der Gewürzroute ebenfalls östlich der Tordesillas-Linie lagen,bestimmte Portugal auch die Erkundung des Ostens und damit eine Zeit lang auch den euro-päischen Pfefferhandel. Der Antimeridian der Tordesillas-Linie erscheint natürlich auch im Osten, nämlich bei etwa 129 Grad östlich von Greenwich. Folglich kolonisierte Spa-nien die Philippinen, während Teile von Neuguinea und Timor an Portugal fielen. DerSchiedsspruch Papst Alexanders VI. aus dem Jahr 1494 warf also einen äußerst langenSchatten.

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laufen, kehrten inzwischen nach Amsterdam zurück und weckten die Gierder Händler nach Pfeffer und Profit. Und so verschob sich unter dem Ein-fluss dieser unterschiedlichen Faktoren das Gleichgewicht der Seemächteim Osten allmählich. Die Portugiesen aus dem warmen, trägen Süden wur-den langsam von Männern aus dem kälteren und raueren Norden Euro-pas verdrängt.

Der Wandel setzte zunächst unter einem eher ungünstigen Stern ein, als Ende Juni 1596 vier arg mitgenommene holländische Schiffe vor demPfefferhafen Banten (Bantam)* im Nordwesten Javas ankerten und die portugiesischen Gewürzhändler, deren Lagerhäuser schon seit langem dieKüste säumten, an Bord einluden. Die Reise war von den neun Kaufleu-ten und Abenteurern der Compagnie van Verre in Amsterdam finanziertworden, die die Absicht hegten, eine Gewürzhandelsroute nach Ostindien

Bahrain

Mascate

Malabar

Deshima

Macao

Malakka

Solor

Ceylon

Hormos

DiuBaçaimGoa

Coromandel

UgolimChittagong

Syriam

Mombasa

Spanien und Portugal buhlten auch im Osten um Kolonialgebiete; ihre Gebietsansprüche im Atlantikraum markierten sie mit einer eigenen

Demarkationslinie, der so genannten Tordesillas-Linie.

* In vielen älteren Berichten erscheint diese kleine Hafenstadt im Nordwesten Javas inihrer ursprünglichen portugiesischen Schreibweise «Bantam».

Mosambik