Sitzung 9, Vortrag 2: Sicht des Chefarztes eines Schmerzzentrums

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234 Akutschmerztherapie im Zentrum Perioperativer Medizin / Periop. Med. 2 (2010) 212–239 wenn Hochrisikopatienten untersucht werden [1,2]. Bei 14 788 Patienten die entweder in Allgemeinanästhesie, Spinalanästhesie oder Epiduralanalgesie eine Bypass- operation an der unteren Extremität erhalten hatten, traten Herzinfarkt oder Herzstillstand unter Spinalan- ästhesie seltener auf als in Allgemeinanästhesie. Die beiden Regionalanästhesiegruppen unterschieden sich nicht [3]. In fünf Metaanalysen wird über Epiduralan- ästhesie und postoperativen Herzinfarkt berichtet. Bei kardiochirurgischen Patienten fand sich kein signifikan- ter Effekt [4]. Nach abdomineller Aortenoperation war die allgemeine Inzidenz an kardiovaskulären Komplika- tionen und Herzinfarkt mit Epiduralanalgesie signifikant geringer [5]. Beattie et al. berichten über zwei Meta- analysen. Zunächst wurden 1173 Patienten untersucht. Die Autoren berichten über eine geringere postoperative Herzinfarktrate, wenn eine thorakale Epiduralanalgesie durchgeführt wurde [6]. In die zweite Metaanalyse wur- den drei weitere Studien einbezogen [7]. Auch in dieser Untersuchung an insgesamt 1580 Patienten war die Herzinfarktrate mit Epiduralanalgesie geringer. In einer aufwändigen Metaanalyse an 5904 Patienten war das Herzinfarktrisiko ebenfalls geringer, wenn eine Epidu- ralanalgesie durchgeführt wurde [8]. Schlussfolgerung: Empirische Studien zur Pathophysio- logie und Outcomestudien stützen die theoretischen Annahmen zu kardioprotektiven Effekten der Epidurala- nalgesie. Bezüglich der Frage, ob dies ein bewiesenes Behandlungskonzept ist, gilt allerdings: ,,die Wissen- schaft baut nicht auf Felsengrund. Es ist eher ein Sumpfland über dem sich die kühne Konstruktion ihrer Theorien erhebt. Sie ist ein Pfeilerbau, dessen Pfeiler sich von oben her in den Sumpf senken – aber nicht bis zu einem natürlichen gegebenen Grund.... Wenn man hofft, dass sie das Gebäude tragen werden, beschließt man, sich vorläufig mit der Festigkeit der Pfeiler begnü- gen“ (Karl Popper, Logik der Forschung. Tübingen. Mohr, 1966, S: 75f). Literatur [1] Berendes E, et al. Arch Surg 2003;138(12):1283–90. [2] Loick HM, et al. Anesth Analg 1999;88(4):701–9. [3] Singh N, et al. J Vasc Surg 2006;44(5):964–8, discussion 968-70. [4] Liu SS, et al. Anesthesiology 2004;101(1):153–61. [5] Nishimori M, et al. Cochrane Database Syst Rev 2006;3:CD005059. [6] Beattie WS, et al. Anesth Analg 2001;93(4):853–8. [7] Beattie WS, et al. Anesth Analg 2003;97(3):919–20. [8] Popping DM, et al. Arch Surg 2008;143(10):990–9. doi:10.1016/j.periop.2010.10.030 Sitzung 9, Vortrag 2: Sicht des Chefarztes eines Schmerzzentrums J.W. Ulma Klinik für Schmerzmedizin, Rotes Kreuz Krankenhaus Bremen E-mail: [email protected] Vor dem Hintergrund der neuesten Untersuchungen (1), dass über 56% aller Patienten im Krankenhaus nach operativer oder konservativer Behandlungen über nicht- akzeptable Schmerzen klagen, muss die Frage nach dem sinnvollen Einsatz der Krankenhaus-Ressourcen und dessen ökonomischen Aspekte für eine suffiziente Schmerzbehandlung gestellt werden. In der Regel ste- hen allen Krankenhäusern die gleichen medikamentösen Wirkstoffgruppen ebenso zur Verfügung, wie das evidenz- basierte Wissen einer suffizienten Akutschmerztherapie (S3 –Leitlinie). Es besteht somit der Verdacht, dass aufgrund erheblicher prozessualer Defizite, eine zeit- nahe Schmerzerfassung und damit die Möglichkeit einer frühen und wirksamen analgetischen Intervention mit geringeren Mitteln verschleppt wird. Je länger und inten- siver die Schmerzen anhalten, so intensiver und größer ist damit auch der Ressourcenverbrauch. Hier liegt ein großes Einsparpotential bei den Kliniken. Neben der ökonomischen Bedeutung einer frühzeitigen suffizienten Schmerztherapie für das Krankenhaus besteht darüber hinaus eine volkswirtschaftliche Relevanz. Bei jeder unzureichenden Akutschmerztherapie besteht die Gefahr einer Schmerzchronifizierung mit erheblichen Folgeko- sten für das Gesundheitssystem. Fazit: Fast alle Krankenhäuser in Deutschland verfügen über einen postoperativen Schmerztherapie-Standard, der meistens von den Anästhesisten unter Beachtung des operativen Spektrums im Haus erarbeitet wurden, aber oftmals auf den Stationen nicht konsequent umge- setzt wird. Ein Schmerzstandard muss ebenso für die konservativen Fächern erarbeitet werden. Die Schmerz- erfassung muss standardisiert (z.B. NRS: = Numerische Rating-Skala: 0 = kein Schmerz; 10 maximal vorstellba- rer Schmerz) und frühzeitig erfolgen. Die Konsequenzen der Schmerzerfassung müssen zeitnah umgesetzt und überprüft werden. Bei anhaltenden Schwierigkeiten in der Schmerzbehandlung ist es effizienter, geschulte Ansprechpartner aus der Pflege (Schmerzschwester) und Ärzteschaft (z.B. Anästhesist) vorzuhalten, als ver- schiedenste Expertenmeinungen zu koordinieren. Die Möglichkeiten der multimodalen Schmerztherapie sollten vermehrt genutzt werden: z.B. Physikalische Maß- nahmen, Lagerungstechniken, Entspannungsverfahren, TENS-Therapie, Ansprache und Zuwendung, Angstabbau- ende Maßnahmen. Erstmal die häufigen und einfachen

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34 Akutschmerztherapie im Zentrum

enn Hochrisikopatienten untersucht werden [1,2]. Bei4 788 Patienten die entweder in Allgemeinanästhesie,pinalanästhesie oder Epiduralanalgesie eine Bypass-peration an der unteren Extremität erhalten hatten,raten Herzinfarkt oder Herzstillstand unter Spinalan-sthesie seltener auf als in Allgemeinanästhesie. Dieeiden Regionalanästhesiegruppen unterschieden sichicht [3]. In fünf Metaanalysen wird über Epiduralan-sthesie und postoperativen Herzinfarkt berichtet. Beiardiochirurgischen Patienten fand sich kein signifikan-er Effekt [4]. Nach abdomineller Aortenoperation warie allgemeine Inzidenz an kardiovaskulären Komplika-ionen und Herzinfarkt mit Epiduralanalgesie signifikanteringer [5]. Beattie et al. berichten über zwei Meta-nalysen. Zunächst wurden 1173 Patienten untersucht.ie Autoren berichten über eine geringere postoperativeerzinfarktrate, wenn eine thorakale Epiduralanalgesieurchgeführt wurde [6]. In die zweite Metaanalyse wur-en drei weitere Studien einbezogen [7]. Auch in dieserntersuchung an insgesamt 1580 Patienten war dieerzinfarktrate mit Epiduralanalgesie geringer. In einerufwändigen Metaanalyse an 5904 Patienten war daserzinfarktrisiko ebenfalls geringer, wenn eine Epidu-alanalgesie durchgeführt wurde [8].chlussfolgerung: Empirische Studien zur Pathophysio-ogie und Outcomestudien stützen die theoretischennnahmen zu kardioprotektiven Effekten der Epidurala-algesie. Bezüglich der Frage, ob dies ein bewiesenesehandlungskonzept ist, gilt allerdings: ,,die Wissen-chaft baut nicht auf Felsengrund. Es ist eher einumpfland über dem sich die kühne Konstruktion ihrerheorien erhebt. Sie ist ein Pfeilerbau, dessen Pfeilerich von oben her in den Sumpf senken – aber nicht bisu einem natürlichen gegebenen Grund. . .. Wenn manofft, dass sie das Gebäude tragen werden, beschließtan, sich vorläufig mit der Festigkeit der Pfeiler begnü-en“ (Karl Popper, Logik der Forschung. Tübingen. Mohr,966, S: 75f).

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1] Berendes E, et al. Arch Surg 2003;138(12):1283–90.2] Loick HM, et al. Anesth Analg 1999;88(4):701–9.3] Singh N, et al. J Vasc Surg 2006;44(5):964–8, discussion 968-70.4] Liu SS, et al. Anesthesiology 2004;101(1):153–61.5] Nishimori M, et al. Cochrane Database Syst Rev 2006;3:CD005059.6] Beattie WS, et al. Anesth Analg 2001;93(4):853–8.

7] Beattie WS, et al. Anesth Analg 2003;97(3):919–20.8] Popping DM, et al. Arch Surg 2008;143(10):990–9.

oi:10.1016/j.periop.2010.10.030

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rioperativer Medizin / Periop. Med. 2 (2010) 212–239

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.W. Ulma

Klinik für Schmerzmedizin, Rotes Kreuz Krankenhausremen

-mail: [email protected]

or dem Hintergrund der neuesten Untersuchungen (1),ass über 56% aller Patienten im Krankenhaus nachperativer oder konservativer Behandlungen über nicht-kzeptable Schmerzen klagen, muss die Frage nachem sinnvollen Einsatz der Krankenhaus-Ressourcennd dessen ökonomischen Aspekte für eine suffizientechmerzbehandlung gestellt werden. In der Regel ste-en allen Krankenhäusern die gleichen medikamentösenirkstoffgruppen ebenso zur Verfügung, wie das evidenz-asierte Wissen einer suffizienten AkutschmerztherapieS3 –Leitlinie). Es besteht somit der Verdacht, dassufgrund erheblicher prozessualer Defizite, eine zeit-ahe Schmerzerfassung und damit die Möglichkeit einerrühen und wirksamen analgetischen Intervention miteringeren Mitteln verschleppt wird. Je länger und inten-iver die Schmerzen anhalten, so intensiver und größerst damit auch der Ressourcenverbrauch. Hier liegt einroßes Einsparpotential bei den Kliniken. Neben derkonomischen Bedeutung einer frühzeitigen suffizientenchmerztherapie für das Krankenhaus besteht darüberinaus eine volkswirtschaftliche Relevanz. Bei jedernzureichenden Akutschmerztherapie besteht die Gefahriner Schmerzchronifizierung mit erheblichen Folgeko-ten für das Gesundheitssystem.azit: Fast alle Krankenhäuser in Deutschland verfügenber einen postoperativen Schmerztherapie-Standard,er meistens von den Anästhesisten unter Beachtunges operativen Spektrums im Haus erarbeitet wurden,ber oftmals auf den Stationen nicht konsequent umge-etzt wird. Ein Schmerzstandard muss ebenso für dieonservativen Fächern erarbeitet werden. Die Schmerz-rfassung muss standardisiert (z.B. NRS: = Numerischeating-Skala: 0 = kein Schmerz; 10 maximal vorstellba-er Schmerz) und frühzeitig erfolgen. Die Konsequenzener Schmerzerfassung müssen zeitnah umgesetzt undberprüft werden. Bei anhaltenden Schwierigkeiten iner Schmerzbehandlung ist es effizienter, geschultensprechpartner aus der Pflege (Schmerzschwester) undrzteschaft (z.B. Anästhesist) vorzuhalten, als ver-chiedenste Expertenmeinungen zu koordinieren. Dieöglichkeiten der multimodalen Schmerztherapie sollten

ermehrt genutzt werden: z.B. Physikalische Maß-ahmen, Lagerungstechniken, Entspannungsverfahren,ENS-Therapie, Ansprache und Zuwendung, Angstabbau-nde Maßnahmen. Erstmal die häufigen und einfachen
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Akutschmerztherapie im Zentrum Perioperativer Med

Dinge richtig machen, dies erspart dem Patienten vieleSchmerzen und dem Krankenhaus viel Geld.

doi:10.1016/j.periop.2010.10.031

Sitzung 9; Vortrag 3: Die Sicht des Marketing-Managers

H. Lewerenz

Geschäftsführer der Vendus Sales & CommunicationGroup Schweiz GmbH

E-mail: [email protected]

Einleitung: Die moderne Schmerztherapie fordert mitihrer Vielzahl an Therapieformen einen nahezu uner-schöpflichen Informationsbedarf auf Seite des Patienten.Die Meinungsbildung über den eigenen Therapieerfolghängt auch vom eigenen Informationsstand des Patien-ten ab. Eine Klinik kann dieses Informationsverhaltenaktiv steuern und zu ihrem Vorteil gestalten.Methoden und Vorgehen: Eine kurze Studienüber-sicht zum Informationsverhalten von Schmerzpatientenzeigt die Heterogenität in den unterschiedlichenPatientengruppen. Insbesondere die Abhängigkeit derInternetnutzung vom Alter der Patienten, die s.g.,,digital Divise“, beeinflusst die Informationsbeschaf-fung wesentlich. Durch die stark zunehmende Nutzungdes Internets in der Altersgruppe 55+ wird sich dieseLücke aber in den nächsten Jahren zunehmend schlie-ßen. Im Weiteren werden die Informationsanfragen einesführenden medizinischen Services analysiert und Rück-schlüsse auf die eingehenden Fragen und Probleme beider Informationsbeschaffung ausgewertet.Lösungen und Beispiele: Anhand von prototypischenPatientenberichten wird ein konkreter Ansatzpunkt fürSchmerzzentren entwickelt, wie ein Kommunikationsmixüber alle Kanäle, wie Internet, Print, Broschüren, Web2.0 Foren und Patienten-Organisationen zur Profilierungbeitragen kann. Einige Praxisbeispiele zeigen den aktu-ellen Umsetzungsstand in der Praxis.

doi:10.1016/j.periop.2010.10.032

Sitzung 10, Vortrag 3: Endokarditisprophylaxe in deroperativen Chirurgie

B. Plicht

Klinik für Kardiologie, Westdeutsches Herzzentrum

Essen, Universitätsklinikum Essen

E-mail: [email protected]

ndz

/ Periop. Med. 2 (2010) 212–239 235

as Konzept der prophylaktischen Einnahme von Anti-iotika zur Verhinderung von Endokarditiden im Rahmenon Eingriffen mit Bakteriämierisiko hat in den ver-angenen Jahren einen Paradigmenwechsel erfahren.egründet wird dies in einer unzureichenden Evidenzlageür die Effektivität und Effizienz der Endokarditispro-hylaxe. Entgegen der bisherigen Praxis, möglichst beillen Patienten mit einem erhöhten Risiko die Entste-ung einer infektiösen Endokarditis durch Bakteriämienm Zusammenhang mit medizinischen Eingriffen zuerhindern, wird die Indikationsstellung zur Endokar-itisprophylaxe auf die Patienten beschränkt, die beinfektiöser Endokarditis das höchste Risiko für einenchweren oder letalen Verlauf der Erkrankung haben, undür Eingriffe, bei denen hohe Bakteriämieraten beschrie-en sind. Das sind in der Hauptsache zahnärztlicheingriffe mit Manipulation der Gingiva, der periapikalenahnregion oder mit Perforation der oralen Mukosa. Daereits alltägliche orale Manipulationen (Zähneputzen,erwendung von Zahnseide oder Kauen der Nahrung),esonders in Abhängigkeit vom Zahnstatus, zu tran-itorischen Bakteriämien führen, wird eine generellempfehlung für die Einhaltung einer guten Mundhy-iene ausgesprochen. Im Gegenzug bedeutet dies, dasss keine Empfehlung zu einer Endokarditisprophylaxe beionstigen chirurgischen Eingriffen gibt. Dennoch sollteei Eingriffen an infiziertem Gewebe eine resistenzge-echte Antibiotika-Therapie durchgeführt werden, auchenn es wissenschaftlich nicht belegt ist, dass damit

nfektiöse Endokarditiden zu verhindern sind. Der Vortragibt einen Überblick über die aktuell geltenden Leitli-ien zur Endokarditisprophylaxe und den Hintergründen,ie zum oben beschriebenen Paradigmenwechsel geführtaben.

oi:10.1016/j.periop.2010.10.033

itzung 10, Vortrag 4: Welche ,,neuen“ Antibiotikaind für den Chirurgen wichtig?

.M. Lode

RCMS, Charite – FU Berlin

-mail: [email protected]

ur noch wenige forschende pharmazeutische Unterneh-en entwickeln neue antibakteriell aktive Substanzen,as in einer Zeit der vermehrten resistenten bakte-

iellen Erreger besonders problematisch ist. In denetzten Jahren sind daher mit Daptomycin, Doripe-em, Tigecyclin, Linezolid und Ertapenem eher wenige

eue Antibiotika eingeführt worden, wobei die bei-en letzteren Substanzen schon vor 9 bzw. 8 Jahrenugelassen wurden. – Linezolid (Zyvoxid) und Daptomy-