Smart Services - Die norddeutsche Art. - NORD/LB...für die digitale Zukunft rüstet. ... Die...
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Smart Services Die digitale Zukunft der Industrie
// Die Zukunft industrieller Dienstleistungen // Interview: Lernen im Industrie 4.0 Zeitalter // Länderfokus Afrika: Ent-
wicklungshelfer Handy // Bürodesign: Open Office Konzepte
Special: Private Equity im Mittelstand
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Die norddeutsche Art.
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herzlich willkommen zur dritten Ausgabe von 52° NORD
des Jahres 2017. Von Jahr zu Jahr schmilzt der Innovati-
onsvorsprung, von dem insbesondere Mittelständler mit
ihren Produkten immer gelebt haben – besonders chinesi-
sche Anbieter holen zusehends auf.
Viele Mittelständler beginnen daher seit einiger Zeit mit
der sogenannten Tertiarisierung Ihrer Produkte und
Dienstleistungen. Damit ist der Prozess der Umwandlung
einer Industriegesellschaft hin zu einer Dienstleistungsge-
sellschaft gemeint. So gehen nicht wenige Maschinenbauer
dazu über, ihre bisherigen Angebote gezielt um Dienstleis-
tungen zu erweitern. In unserem Aufmacher gehen wir der
Frage nach, in welche Richtung diese Angebote gehen und
mit welchen Herausforderungen die Suche verbunden ist.
Im Gespräch im Foyer diskutieren anschließend Barbara
Lechtenfeld, Leiterin Lernprogramme bei Malik, und Prof.
Dr. Dirk Ifenthaler von der Universität Mannheim über
Lernformen des digitalen Zeitalters.
Unser Länderreport beschäftigt sich dieses Mal mit der
Frage, wie der Mobilfunk derzeit die wirtschaftliche Entwick-
lung in Afrika vorantreibt – insbesondere in Ruanda.
In der Rubrik NORD/LB Story beleuchten wir die Private
Equity Szene. Vorbei die Zeit, da die Unternehmen als
bloße Heuschrecken betrachtet wurden – PE-Häuser
haben heute eher einen wachstumsorientierten Ansatz.
Abschließend werfen wir einen Blick auf die neue
Bürowelt, in der sich Großraumbüros mit Individualar-
beitsplätzen und Kommunikationsinseln vermischen.
Ich wünsche Ihnen eine spannende Lektüre!
Günter TallnerVorstand NORD/LB
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Liebe Leser,
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Der Zeitvorsprung durch Innovationen wird immer kürzer. Viele Mittelständler re-agieren mit der Entwicklung datenbasierter Dienstleistungsangebote – kurz Smart Services. Sie entwickeln sich zusehends zu einem neuen Standbein der deutschen Wirtschaft – und bieten exzellente Renditen.
6 / Titelthema
Die smarte Revolution im Kundendienst
Inhalt
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28 / Architektur & Design
Open Office – Traum oder Wirklichkeit?
Die rasante Entwicklung moderner Kommunikations-
technologien erlaubt Mitarbeitern, ihre Tätigkeit auch
losgelöst von festen Arbeitsplätzen auszuüben. Doch viele
deutsche Firmen zögern noch, diese neue Arbeitskultur zu
übernehmen. Großraum-Bürolandschaften erscheinen als
Herausforderung mit Unwägbarkeiten. Welche Chancen
und Risiken birgt dieses „Open Office“?
Das Handy als Entwicklungshelfer
Die Welt wird zunehmend vernetzter. Das gilt auch für viele
Länder der Dritten Welt, wo die Digitalisierung Millionen
Menschen erstmals die Möglichkeit zur gesellschaftlichen
und ökonomischen Teilhabe bietet. In vielen Ländern Afri-
kas gleicht das Handy Defizite in der Infrastruktur dieser
Länder aus.
16 / Länderreport
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27 / 52° LIVE
Online-Special: Digitalisierung im Geschäftsbanking
Die Digitalisierung macht auch vor Bankdienstleistungen
nicht Halt – im Privat- wie im Firmenkundengeschäft. Un-
ser neues Special beleuchtet, wie die NORD/LB sich derzeit
für die digitale Zukunft rüstet.
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25 / Interview
„Besser und schneller sein, dem Kunden ganz besondere Services bieten“
Die IRSH Group zählt seit einigen Jahren zu den Marktführern im Bereich für Smart Repair Services. Die Holding wuchs mit einer klugen und mutigen Übernahmestrategie. Die Hintergründe die-ser Entwicklung und die Rolle von PE-Häusern erläutert Thomas Küsel, Geschäftsführer der Dent Wizard GmbH, im Gespräch.
12 / Gespräch im Foyer
„Abwesende führen oftmals Abwesende“
Klassische Bürozeiten sind in der digitalen Arbeitswelt
bereits heute in vielen Branchen Schnee von gestern. Doch
wie verändert sich dadurch das betriebliche Lernen? Im
Gespräch im Foyer diskutieren Barbara Lechtenfeld, Prof.
Dr. Dirk Ifenthaler und Hendrik Kars über die Herausforde-
rungen auf dem Weg zu neuen Lernformen.
23 / Interview
„Wann verkaufen, wenn nicht jetzt?“
Die Auctus Capital Partners AG in München zählt zu den
führenden Beteiligungsgesellschaften für den deutsch-
sprachigen Mittelstand. Im Gespräch erläutert Dr. Ingo
Krocke, Geschäftsführer der Auctus Capital Partners AG,
die besondere Philosophie des Unternehmens jenseits der
bloßen Jagd nach Rendite.
Private Equity
Die PE-Branche war in Deutschland lange Zeit nicht son-
derlich gut gelitten – galt sie doch als Investor, der Unter-
nehmen im Rahmen von Übernahmen weniger entwickeln
wollte, als vielmehr möglichst viel Rendite suchte. Diese
Einstellung hat sich seit der Finanzkrise verändert.
22 / NORD/LB Story
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Die smarte Revolution im Kundendienst
Datenbasierte Dienstleistungsangebote – kurz Smart Services – entwickeln sich zum neuen Standbein der deutschen Wirtschaft.
Smart Services
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Let‘s go smart! Diese Parole beherrscht derzeit wohl alle
Diskussionen rund um die Vernetzung von Maschinen
sowie die Digitalisierung der Wertschöpfungsketten. Auch
für deutsche Unternehmen gewinnt die Schaffung neuer
digitaler Geschäftsmodelle mit intelligenten Produkten
zunehmend an Priorität – Stichwort Industrie 4.0, auch be-
kannt unter der Bezeichnung „Das Internet der Dinge“. Sen-
soren oder Apps vernetzen in Zukunft alles mit allem und
tauschen Informationen aus. Big Data, künstliche Intelli-
genz und Cloud-Anbindungen machen es möglich. Laut den
Analysten des IT-Marktforschungs-Unternehmens Gart-
ner werden weltweit im Jahr 2020 knapp 20,5 Milliarden
Maschinen, Fahrzeuge oder andere „Dinge“ vernetzt sein
und miteinander kommunizieren. Zum Vergleich: Aktuell
dürften es bereits 8,4 Milliarden sein. Dazu zählen Smart
TVs oder Sicherheitskameras genauso wie der Container,
der dank seiner Sensoren und RFID-Chips weiß, wann
und wohin die Reise gehen soll. Das Geschäftspotenzial ist
gewaltig. Die Softwarefirma Cisco spricht von 14 Billionen
Dollar, die sich bis zum Jahr 2022 mit solchen vernetzten
Systemen und Produkten verdienen lassen. Doch was hilft
die modernste Technik, wenn die dazu passenden Dienst-
leistungen nicht angeboten werden? Zwei Beispiele aus dem
Bereich Smart Home machen dies deutlich: Ein mit Senso-
ren bestückter intelligenter Kühlschrank, der erkennt, dass
gerade Milch, Butter und Bier zur Neige gehen, bietet nicht
wirklich einen Mehrwert, wenn kein Lieferdienst exis-
tiert, bei dem alles automatisch nachbestellt werden kann.
Wenig Sinn machen ebenfalls vernetzte Heiz-Thermostate,
die zwar das Haus bedarfsgerecht automatisch heizen und
Daten über den Verbrauch liefern, es aber niemanden gibt,
der sie vorausschauend erwartet und erkennt, dass gerade
ihre Batterien dringend ausgetauscht werden müssen.
Revolution im AftersalesIm Windschatten von Industrie 4.0 und dem „Internet der
Dinge“ haben sich deshalb zahlreiche neue Dienstleis-
tungsangebote etabliert, die sogenannten Smart Services.
„Beides gehört meines Erachtens untrennbar zusammen“,
lautet dazu die Einschätzung von Thomas Meiren. „Denn
alleine dadurch, dass Maschinen und Geräte mit Senso-
ren ausgestattet werden und anschließend munter Daten
produzieren, entsteht weder ein Mehrwert für die Anbieter,
noch für die Kunden“, so der Leiter Dienstleistungsent-
wicklung am Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft
und Organisation (IAO) in Stuttgart. „Erst die Aufbereitung
in Form von intelligenten und marktfähigen Dienstleis-
tungen sichert den Erfolg solcher Investitionen.“ Smart
Services gelten daher schon lange nicht mehr als eine
reine Pflichtübung. Vielmehr werden sie als integraler
Bestandteil einer strategischen und profitablen Unterneh-
mensentwicklung wahrgenommen und revolutionieren
gerade den Bereich Aftersales. Das geht einher mit einer
veränderten Sichtweise auf die Wertschöpfungsprozesse:
Es sind nicht länger nur die materiellen Produkte, sondern
immaterielle Dienstleistungen, die sich dabei als Wachs-
tumstreiber herauskristallisieren. Wie so etwas aussehen
kann, erklärt Experte Meiren: „Beispiele dafür sind etwa
die Analyse kritischer Daten, das Kundenprofiling und
-tracking sowie die Fernüberwachung und -diagnose von
Maschinen. Nicht selten werden solche Smart Services
über digitale Plattformen erbracht, und zwar nicht nur
im Konsumentenbereich, wie etwa die bekannten Ver-
kaufs- und Auktionsplattformen im Internet, sondern
zunehmend auch im unternehmensnahen Bereich.“
Smart Services erlauben die Entwicklung von Angeboten,
die die Kunden zeitnah erreichen und darüber hinaus
perfekt auf ihre Bedürfnisse hin abgestimmt sind. Sie
52° NORD
Informationstechnologie wird im Maschinenbau zum zentralen Bestandteil.
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zeichnen sich durch schnelle Release-Zyklen aus und haben
den Vorteil, dass sie ständig an sich ändernde Heraus-
forderungen angepasst und neu skaliert werden können.
Dabei geht es nicht einfach nur um die Veredelung bereits
bestehender Dienstleistungen. „Smart Services werden in
der Regel vollkommen neu sein“, betont Dr. Mathias Weber.
„Die Bereitstellung erfolgt ‚as a service‘, also bedarfsgerecht
und flexibel, und genau hier liegt ihr besonderer Mehrwert“,
so der Bereichsleiter IT-Services beim Bundesverband Infor-
mationswirtschaft, Telekommunikation und Neue Medien
e. V. (BITKOM). „Der Anwender muss keine besondere Infra-
struktur vorhalten – er nutzt die Services in dem Augenblick,
wenn er sie benötigt.“ Gerade im B2B-Bereich ist das wichtig.
Die Kunden erwarten eine direkte Reaktion auf Servicean-
fragen – andernfalls drohen ihnen Ausfälle in der Produk-
tion, verfehlte Auftragsziele oder sogar Regressansprüche.
Flottenmanagement per InternetDer Reinigungsmaschinenhersteller Kärcher hat mit
seinem Web-basierten Flottenmanagementsystem Kärcher
Fleet einmal vorexerziert, wie so etwas konkret funkti-
onieren kann. Zum einen bietet das Unternehmen eine
Positionsermittlung für jede einzelne Maschine an. Das
ermöglicht nicht nur ihren gezielteren und schnelleren
Einsatz, sondern verhindert zugleich den Verlust durch
Diebstahl und sonstige Einwirkungen – angesichts der
Tatsache, dass pro Jahr rund 10 Prozent aller Geräte
verloren gehen, ein nicht zu unterschätzendes Feature.
Das Kärcher Fleet-System informiert die zuständigen
Mitarbeiter seiner Kunden sofort, sobald eine Reinigungs-
maschine ein zuvor definiertes Areal verlässt. Darüber
hinaus sammelt es Daten über die Zahl der Betriebsstunden
und den Auslastungsgrad, was wiederum Rückschlüsse
über den Verschleiß zulässt oder durch den Abgleich mit
Einsatzplänen die Option mit sich bringt, vielleicht ein
leistungsfähigeres Gerät, das woanders nicht gebraucht
wird, zu empfehlen und umzuleiten. Die Kommunikation
mit den Reinigungsmaschinen in Echtzeit verkürzt zudem
die Ausfallzeiten bei Defekten, da der Servicetechniker
bereits vor der Anfahrt weiß, welche Probleme vorliegen. So
kann er die entsprechenden Ersatzteile mitbringen und vor
Ort auswechseln. Das spart viel Zeit. Für das Tagesgeschäft
von Gebäudereinigungsfirmen, die in einem Umfeld agie-
ren, das extrem wettbewerbsintensiv ist, bringt Kärcher
Fleet also mehr Transparenz in das Tagesgeschäft. Ferner
lassen sich zahlreiche Prozesse optimieren und dadurch
Kosten einsparen. Genau darin liegt für den Kunden der
Mehrwert bei dieser Variante eines Smart Services‘.
Doch die Voraussetzung für die Bereitstellung von Smart
Services ist keinesfalls eine rein technische. „Kluge“ Dienst-
leistungen bringen auch einen Perspektivenwechsel in
den Anbieter- und Kundenbeziehungen mit sich. Immer
noch ist die Mehrzahl der Aktivitäten zur Verbesserung des
eigenen Kundendienstes allein auf die Effizienzsteigerung
Smart Services
Kontrolle ist alles – Industriearbeitsplatz von morgen.Alf
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Installierte Internet of Things-Geräte bis 2020 (in Mio. US-Dollar)
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Endkunden B2B: branchenübergreifend B2B: branchenintern
fokussiert. Es gilt aber, proaktiver auf Bedürfnisse seiner
Abnehmer einzugehen als früher. Und die muss man natür-
lich erst einmal erkennen können. Denn der Kunde ist der
eigentliche Treiber dieser Entwicklung. Deshalb ist ein stän-
diger Kontakt und Austausch notwendig, um den Wechsel
von produkt- hin zu nutzerzentrierten Geschäftsmodellen
einzuleiten. „Transparenz und Vertrauen bilden die Basis
zwischen Anbietern und Nutzern von Smart Services“, ist
Dr. Weber von BITKOM überzeugt. „Das bezieht sich vor
allem auf das Geschäftsmodell, also die Darstellung des
Kundennutzens, der Service-Erstellungsprozesse und des
Erlösmodells. Da Dienstleitungen vielfach schwerer zu
messen und zu bewerten sind als Produkte, stellt die Trans-
parenz hohe Anforderungen an die Anbieter. Sie müssen
mit der Qualität ihrer Services in der Praxis beweisen, dass
sie das Vertrauen ihrer Kunden verdienen.“ Genau das wirft
viele Fragen auf. Vor allem Sicherheitsbedenken gilt es
zu zerstreuen. „Smart Services führen dazu, dass Unter-
nehmen mehr Informationen über ihre Kunden erhalten“,
skizziert Fraunhofer-Experte Meiren die Ausgangslage.
„Der sichere Umgang mit den Daten ist meines Erachtens der
derzeit problematischste Bereich bei der Entwicklung neuer
Angebote.“ Die EU-Datenschutz-Grundverordnung, die im
Mai 2018 in Kraft tritt, soll da Abhilfe schaffen. „Auch wenn
sie in Teilen zurecht kritisiert wird, so bringt sie im Gegen-
zug doch klare Regeln im Umgang mit Daten. Für Unterneh-
men ist es deshalb umso wichtiger, sich frühzeitig mit den
daraus entstehenden Anforderungen zu befassen und nicht
erst, wenn die Verordnung bereits in Kraft getreten ist.“
Neue Player rücken ins BildAber auch auf der Kundenseite muss man sich mental
umstellen. „Es ist in der Tat so, dass sich Entscheider daran
gewöhnen müssen, Smart Services in Anspruch zu nehmen
und darauf zu verzichten, die dafür erforderlichen Maschi-
nen und Ausrüstungen im eigenen Unternehmen vorzuhal-
ten“, erklärt Dr. Weber. „Das erfordert schon eine Verän-
derung im Denken und auch ein großes Vertrauen in die
Lieferbereitschaft des Service-Anbieters. Vielfach werden
sich diese einer Zertifizierung unterziehen müssen, um die
Sicherheit und Gesetzeskonformität ihrer Dienstleistungen
gegenüber den Kunden auszuweisen und so das Verhältnis
zwischen beiden zu stärken.“ Die eigentliche Herausforde-
rung werden aber die neu entstehenden Serviceplattformen
sein, über die beispielsweise zukünftig unternehmensna-
he Dienstleistungen wie etwa Wartung und Reparaturen
von Maschinen bezogen werden. Davon jedenfalls ist
Fraunhofer-Experte Meiren überzeugt: „In letzter Konse-
quenz würde dies heißen, dass sich der Plattformanbieter
zwischen Anbieter und Kunden schiebt und viele, vor
allem kleinere und mittlere Unternehmen ihren direkten
Kundenzugang verlieren.“ Dass dies keine Utopie ist, hat
sich bereits im Konsumentenbereich gezeigt. „Dort haben
Plattformanbieter wie Amazon mittlerweile eine markt-
beherrschende Stellung erreicht.“ Die Betreiber derartiger
Service-Plattformen werden zu Maklern von Smart Services
und haben somit auch die Kontrolle über die Schnittstellen
zwischen Anbietern und Kunden. Das Bundesministerium
für Wirtschaft und Energie hat dafür eigens die Initiative
„Smart Service Welt“ ins Leben gerufen, um prototypische
Lösungen zu entwickeln und Handlungsempfehlungen
für eine Umsetzung solcher Plattformen zu definieren.
Das Thema „kluge“ Dienstleistungen ist keinesfalls auf eini-
ge Industriezweige beschränkt und wird weder an großen
noch an kleinen und mittelständischen Unternehmen spur-
los vorbeigehen. „Smart Services betreffen alle Branchen,
jedoch vor allem das verarbeitende Gewerbe“, sagt Meiren.
„Hier bietet sich die Möglichkeit, die produzierenden Maschi-
nen und Anlagen mit ‚Smart Devices‘ wie Sensoren, Aktoren
und Datenloggern auszustatten und aufzuwerten, um dann
Ausgaben für Internet of Things bis 2020 (in Mio. US-Dollar)
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Endkunden B2B: branchenübergreifend B2B: branchenintern
Quelle: Gartner (Januar 2017) Quelle: Gartner (Januar 2017)
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anschließend mit digitalen Dienstleistungen neue Umsätze
zu generieren.“ Predictive Maintenance nennt sich diese
neue Königsdisziplin in Sachen Dienstleistungen. An-
wender wollen nicht warten, bis Maschinenkomponenten
ihren Geist aufgeben. Sie einfach auf Verdacht regelmäßig
auszutauschen ist dagegen recht kostspielig. Die datenba-
sierte und vorausschauende Instandhaltung aber erlaubt
korrigierende Eingriffe ohne die ansonsten üblichen Aus-
fallzeiten. Zudem lassen sich kontinuierlich Erkenntnisse
über Schwachstellen sammeln und Verbesserungsmög-
lichkeiten identifizieren, die letztendlich Anbietern und
Kunden gleichermaßen zugutekommen. Außerdem ist das
klassische Geschäft mit Ersatzteilen und konventionellen
Wartungsarbeiten nicht mehr so lukrativ wie früher. Zwar
macht es laut einer Studie von Roland Berger immer noch
rund 42 Prozent der Maschinenbau-Umsätze aus, jedoch
sinken seit Jahren aufgrund der hohen Standardisierungs-
grade sowie von Drittanbietern auf dem Markt die Margen.
Genau deshalb gewinnen Smart Services, die zudem eine
Performance-Steigerung erlauben, für die Unternehmen
an Bedeutung. Das bestätigt gleichfalls eine Untersuchung
der Analysten von McKinsey, die Predictive Maintenance
als eines der relevantesten Anwendungsfelder im Rahmen
von Industrie 4.0 nennen. Zum einen gehen sie von einer
Reduzierung der Wartungskosten von Maschinen und
Anlagen von bis zu 40 Prozent sowie einer glatten Halbie-
rung der Ausfallzeiten aus. Zum anderen beziffern sie das
sich dadurch ergebende Einsparungspotenzial im Verar-
beitenden Gewerbe auf satte 630 Milliarden Dollar im Jahr.
Die Zukunft ist digital – überallVielfältige Anwendungsbereiche existieren aber auch
außerhalb der Industrie. „Wenn sich das Geschäftsmo-
dell Smart Services im Geschäftskundenbereich des
verarbeitenden Gewerbes bewährt und etabliert hat,
wird es schnell auch auf andere Branchen übertragen
werden“, glaubt Dr. Weber. „Landwirtschaft, Tourismus
und die Gesundheitswirtschaft sind dafür Kandidaten,
aber ebenfalls die Bereiche Arbeit, Freizeit und Bildung.“
Darauf ist ebenso die Förderinitiative ausgelegt – sie
greift weit über die Industrie hinaus. Auch Fraunho-
fer-Experte Meiren sieht viele Möglichkeiten: „Spannende
Anwendungen sind in der Tat im städtischen Bereich
zu beobachten – etwa mit Anwendungen in den Berei-
chen Stadtreinhaltung, Steuerung von Verkehrsflüssen
und Parkplatzmanagement.“ Schon jetzt werden in
urbanen Zentren viele Daten gesammelt und weiter-
gegeben, die sich beispielsweise auf den Zustand der
Straßen oder das Verkehrsaufkommen beziehen. „Oder
im Bereich der Medizintechnik und des Gesundheits-
wesens. Gerade auf Basis der sogenannten Wearables,
also der Fitnessarmbänder und Smart Watches, sind
zahlreiche neue Dienstleistungen denkbar.“ Wohin die
Smart-Services-Revolution genau führen wird, darüber
lässt sich derzeit noch viel spekulieren. Aber eines weiß
man bereits heute genau: Die Anfänge sind gemacht.
Wachstumsmarkt Robotics.
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Hannover Messe-Studie: Digitalisierung, Industrie 4.0 und neue Geschäftsmodelle
Ein Interview mit Thomas Becker, Sprecher der Geschäftsführung der Rovema GmbH in Fernwald.
Nicht nur Maschinen werden zu Lösungen, die Di-
gitalisierung wirbelt derzeit die kompletten Unter-
nehmens- und Branchenstrukturen der deutschen
Industrie durcheinander. Die Studie „Tech Trends In-
dustrie 4.0“, die der Verband Deutscher Maschinen- und
Anlagenbau e. V. (VDMA) im Auftrag der Hannover
Messe durchführte, beschäftigt sich mit Zustand, Ent-
wicklung des technologischen Reifegrads und dem
wirtschaftlichen Potenzial von 39 Industrie 4.0-Tech-
nologien in der deutschen Unternehmenslandschaft.
Befragt wurden 106 Industrieunternehmen in einer Selbst-
einschätzung des aktuellen Reifegrads verschiedener
Technologien in ihrem Unternehmen sowie deren aktueller
und zukünftiger wirtschaftlicher Bedeutung. Demnach hat
jedes dritte Unternehmen marktfähige „Smart Products“
im Angebot – Industrie 4.0 ist in der Breite angekommen.
Industrie 4.0-Technologien lassen sich gemäß der inzwi-
schen weit verbreiteten „VDMA-Systematik“ in die vier
Bereiche „Smart Factory“, „Smart Operations“, „Smart Pro-
ducts“ sowie „Data-driven Services“ unterteilen. Der Fokus
bei der Entwicklung von Industrie 4.0-Technologien liegt
dabei auf dem Bereich „Smart Products“. Fast jedes zweite
Unternehmen hat mindestens Produkte in der Erprobungs-
oder Pilotphase, jedes dritte Unternehmen hat marktfä-
hige Produkte im Angebot. Insbesondere bei der Analyse
der Einzeltechnologien wird deutlich, dass inzwischen
für sämtliche Bereiche mindestens Insellösungen, in der
Regel jedoch schon ausgereifte und marktfähige Anwen-
dungen existieren. Industrie 4.0 ist kein Hype – sondern
in vielen Industriebetrieben inzwischen gelebte Realität.
Der Einsatz von Industrie 4.0-Technologien gewinnt in
den kommenden drei Jahren bei der Realisierung von
Effizienz- und Umsatzpotenzialen massiv an Bedeutung.
Alle im Rahmen dieser Studie untersuchten Technologien
werden in den nächsten drei Jahren an wirtschaftlicher
Bedeutung gewinnen. Bereits heute wird die wirtschaft-
liche Bedeutung sämtlicher bewerteter 39 Technologi-
en von den Befragten mit durchschnittlich 43 von 100
Punkten eingestuft. Die erwartete durchschnittliche
wirtschaftliche Bedeutung in drei Jahren liegt bei 64
Punkten. Dies entspricht einem Anstieg von ca. 50 Prozent.
Neue Geschäftsmodelle im VisierSpitzentechnologien im Sinne des Bedeutungszuwachses
sind „Virtual & Augmented Reality“, „Predictive & Pre-
ventive Maintenance“ sowie die „Mustererkennung von
unstrukturierten Daten“. Diese drei Technologiefelder
stehen als Synonym für eine deutliche Portfolioerweite-
rung innerhalb der produzierenden Industrie. Nutzung
und Angebot dieser Technologien bedeuten für Unterneh-
men eine große Chance, beispielsweise durch eine Ser-
vice-/Produktportfolioerweiterung, und können somit die
Grundlage für ein neues oder erweitertes Geschäftsmodell
sein. Zusätzlich können die Anwender der Technologien
durch die Vereinfachung von Arbeitsschritten oder Infor-
mations- und Erkenntnisgewinn für die Verbesserung der
Produktivität einen deutlichen Nutzengewinn erzielen.
Für Unternehmen empfiehlt es sich daher, entsprechende
Projekte mit hoher Priorität zu starten und diese nach
Möglichkeit schnell zu implementieren, um die wirt-
schaftlichen Potenziale der Technologien zu realisieren.
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„Abwesende führen oftmals Abwesende“Ein Interview mit Barbara Lechtenfeld von der Malik Akademie in St. Gallen und Prof. Dr. Dirk Ifenthaler von der Uni Mannheim über die Zukunft des betrieblichen Lernens.
Frau Lechtenfeld, was sind die
Zielsetzungen in Sachen Ler-
nen an der Malik Akademie?
Lechtenfeld: Ich arbeite bei Malik
Management in St. Gallen. Unser
Unternehmen ging ursprünglich
vor 40 Jahren aus der Uni St. Gallen
hervor. Zu den größten Herausfor-
derungen von Management gehören
die exponentiell steigende Komple-
xität und die Dynamik des Wandels
der heutigen, global vernetzten Sys-
teme. Wir sind eine Unternehmens-
beratung mit dem Schwerpunkt auf
General Management und bieten
in diesem Bereich Consulting und
Education. Ich persönlich verant-
worte den Bereich Lernprogramme,
worunter wir multimedial gestütz-
tes Lernen verstehen auch Blended
Learning genannt. Dies bieten wir
im Bereich General Management
an, wobei wir Management als das
Organ der Führung in all unseren
gesellschaftlichen Institutionen – im
Wirtschaftsunternehmen ebenso
wie in der Universität, im Kran-
kenhaus, in der Stadt und in allen
anderen Organisationen verstehen.
Was machen Sie dabei konkret?
Lechtenfeld: Richtiges und gutes
Management verstehen wir als jene
gesellschaftliche Funktion, die die
Organisationen und Systeme einer
Gesellschaft dazu befähigt, richtig
Prof. Dr. Dirk Ifenthaler, Hendrik Kars und Barbara Lechtenfeld im Gespräch.
Gespräch im Foyer
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zu funktionieren. Zu diesem umfas-
senden Verständnis von Manage-
ment gehört auch das Befähigen
von Menschen, ihren Beitrag zum
richtigen Funktionieren ihrer Orga-
nisationen zu leisten. Dabei bieten
wir unterstützend unsere Lernpro-
gramme als Aus- und Weiterbildung
für die Führungskräfte an. Blended
Learning und E-Learning bieten sich
hier besonders an, da sich die Unter-
nehmenswelt stark verändert. Der
Hintergrund ist denkbar einfach:
Manager haben heute immer weni-
ger Zeit, Abwesende führen oftmals
Abwesende. Daher spielen die digita-
len Medien eine immer größere Rolle.
Professor Ifenthaler, Sie zählen zu
den renommiertesten Forschern in
diesem Bereich, was sehen Sie?
Ifenthaler: Ich bin der Lehrstuhlin-
haber für Wirtschaftspädagogik
mit einem besonderen Fokus auf
Technologie-basiertem Instrukti-
onsdesign an der Uni Mannheim.
Dieses ist in einer der renommier-
testen deutschen Business-Schools
angesiedelt. Als das Thema vor 20
Jahren aufkam, war ich eigentlich
überzeugt, dass sich die digitalen
Lernmöglichkeiten viel schneller
durchsetzen würden. Ich lag falsch.
Inwiefern verbessern die digitalen
Medien betriebliches Lernen?
Ifenthaler: Also es gibt nicht unbe-
dingt klare Evidenzen, die zeigen,
dass der Einsatz von E-Learning
im Unternehmen Produktivität
und Innovationskraft steigert.
Die Wirkzusammenhänge sind
noch gar nicht ganz klar. Den-
noch bin ich davon überzeugt,
dass es der Weg der Zukunft ist.
Durch das Thema Industrie 4.0
ist in den letzten Jahren eine
völlig neue Diskussion darüber
entstanden, wie Lernformen der
Zukunft aussehen müssen.
Ifenthaler: Lernen bedeutet Verän-
derung. Wer lernt, verändert seine
kognitiven Strukturen und damit
sein Verhalten. Will sagen, Lernen
ist letztlich Veränderung und Verän-
derung ist das einzige, was persis-
tent ist – gerade im heutigen Umfeld.
Zugleich hat die Veränderung, wie
sie Industrie 4.0 in Gesellschaft und
Arbeitswelt bringt, einen großen
Einfluss darauf, wie man lernt. Wir
sehen derzeit, dass sich die Art, wie
in Schule und Arbeitswelt gelernt
wird, verändert. Das heißt, das
alte Modell einer Ausbildung mit
16 Jahren und der anschließen-
den kontinuierlichen beruflichen
Karriere gibt es nicht mehr. Heute
tritt lebenslanges Lernen in den
Vordergrund. Und über die digitalen
Medien rückt das informelle, prü-
fungsfreie Lernen in den Vorder-
grund, was auch zum Austausch
mit Kollegen zu Lernerfahrungen
führt. Industrie 4.0 fordert uns
mehr heraus, lebenslang zu lernen,
selbstgesteuert zu lernen, auch
die Lernmotivation mitzubringen,
sich weiter zu entwickeln, und hier
entsteht eine ganz neue Lernkultur.
Auf welche Probleme bzw.
Schwierigkeiten stoßen Sie
in Organisationen heute?
Lechtenfeld: Ein großes Hindernis
sind heute die starren Strukturen
und Hierarchien. Die klassische
Karriere entlang der Hierarchie-Lei-
ter innerhalb ein und desselben
Unternehmens gibt es kaum noch.
Heutzutage ist alles kurzlebiger, die
Jobs werden häufiger gewechselt,
es gibt mehr Unsicherheit, daher
ist Flexibilität heute zentral. Ein
Thema dabei ist die Selbstmoti-
vation. In meiner Praxis stoße ich
an diesem Punkt bei vielen immer
noch auf große Probleme. Nicht
alle Menschen sind selbstmotiviert,
nicht alle sind gleich streng mit
sich selbst, woraus häufig der Wille
zur Weiterbildung erst entsteht.
Oftmals werden Teilnehmer vom
Arbeitgeber in Seminare geschickt
und nehmen weniger aus intrin-
sischer Motivation heraus teil.
Wie kann man darauf reagieren?
Lechtenfeld: Das ist eine große He-
rausforderung gerade in Bezug auf
die neuen elektronischen Medien
sowie deren didaktischen Auf bau
und die Zusammenstellung der
Lerninhalte. Man muss eine Lern-
situation schaffen, die die Leistung
ermöglicht, Orientierung bietet und
vor allem nicht demotiviert. Der
Leistungswille muss aber dann vom
Lernenden selber kommen. Warum
benutzen so viele Facebook und wa-
rum so wenige manche Lernplattfor-
men? Durch die neuen Generationen,
die derzeit mit einer ganz anderen
Affinität zu diesen Medien aufwach-
sen und diese anders nutzen, wird
sich das ändern. In meinem Bereich
arbeite ich mit Führungskräften,
die oftmals noch aus anderen
Generationen stammen und diese
Affinität nicht immer mitbringen.
Werden sich die Digital Natives
wirklich leichter tun mit den di-
gitalen Lernmöglichkeiten?
Ifenthaler: Ich bin skeptisch. Na-
türlich bringt diese Generation die
Affinität ganz klar mit, sie kennt
ja nichts anderes als das Inter-
net. Allerdings muss man wissen,
wie man lernt und wie man diese
Medien sinnvoll einsetzen kann
für das eigene Lernen. Und hier
sehe ich große Defizite. Die neue
Generation ist zwar medienaffin,
also kann mit dem Smartphone
Apps bedienen usw., aber auf der
anderen Seite kann sie sich nicht
strukturiert und selbstorgani-
siert im Lernkontext bewegen.
Hinzu kommt außerdem die Lern-
motivation. Intrinsische Lernmoti-
vation ist die eine Seite, extrinsische
die andere. Wenn jemand vom Unter-
nehmen zur Weiterbildung geschickt
wird, ist das natürlich ein sehr stark
extrinsisches Instrument. Hinzu
kommen dann noch Incentives, also
beispielsweise andere Karrierewe-
ge im Unternehmen aufgrund von
Weiterbildung. Oder es kann auch
in den Medien selbst ein Incentive
drinstecken, der den Nutzer intrin-
sisch motiviert, weiter zu machen
beim Lernen. Das Stichwort lautet
hier Gamification. Man versucht,
die Inhalte so zu präsentieren, dass
der Lernende von sich aus weiter-
machen möchte. Dazu muss man
den Spielcharakter integrieren und
kann sich international mit Gleich-
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lernenden messen und versuchen,
einen Highscore zu erreichen. Hier
gibt es viele Möglichkeiten, die
uns die digitale Welt bietet und
wir haben mehr Möglichkeiten,
Lernszenarien aufzubauen und
natürlich didaktisch auch umzuset-
zen. Aber oft ist es leider noch nicht
umgesetzt. Das ist das Problem.
Verändert sich an der Stelle
auch das Bild, was Lernen be-
deutet – also weg von der reinen
Vermittlung von Inhalten zu ins-
gesamt spielerischen Ansätzen?
Ifenthaler: Das ist nur eine Seite. Wer
künftig nicht lernt, wird in dieser
digitalen Welt auch nicht mehr be-
stehen können und läuft Gefahr, mit
seinem Arbeitsplatz abgehängt zu
werden. Durch Industrie 4.0 verän-
dern sich die Produktionsprozesse
und auch der Fabrikarbeiter von
morgen muss sich mit neuen digita-
len Technologien auskennen. Dazu
gehört zu lernen, mit diesen Medien
umzugehen. Das heißt, hier hat man
wieder diese externe Komponente.
Auf der anderen Seite steht die Frage,
wie Lernen definiert wird, ganz klar
im Vordergrund. Und Lernen wird
heute anders definiert als vor 40
Jahren. Noch Ende der 1960er Jahre
hat man Lernen eher als Ablagerung
von Wissen betrachtet. Mittlerweile
betrachtet man Lernen als konstruk-
tiven Prozess, der versucht, Infor-
mationen zu verarbeiten und diese
konstruktiv und vernetzt weiter zu
entwickeln bzw. zu verteilen. Man
lernt dann nicht nur für sich selbst,
sondern auch letztendlich im ver-
netzten Kontinuum und teilt seine
Informationen, beispielsweise wenn
man ein Video produziert und dieses
den Kollegen zur Verfügung stellt.
Haben Sie auf konkreter Ebene
schon Erfahrungen mit dem Ein-
satz von Gamification-Methoden?
Lechtenfeld: Gamification nutzen
wir weniger, was wir hingegen
häufiger einsetzen, sind Blended
Learning-Programme. Das heißt
eine Kombination aus Präsenz- und
online-gestützten Selbstlernpha-
sen, die mit Hilfe von interaktiven
Lernmodulen (Web based Trainings)
und tutorieller Betreuung über eine
Lernplattform abgebildet werden.
Präsenzphasen, auch in Form von
Veranstaltungen in virtuellen Klas-
senräumen, sind in meinen Augen
nach wie vor wichtig. Die Teilnehmer
verlieren sonst oft den Anschluss,
wenn sie über einen längeren Zeit-
raum sich selbst überlassen sind
und keinen Kontakt zu Mitlernen-
den oder zum Trainer/Tutor haben.
Daher setzen wir einen besonderen
Schwerpunkt auf die Betreuung
während der Selbstlernphasen. Wir
haben jeweils Tutoren, die die Kurse
betreuen und jederzeit Fragen zum
Lerninhalt, zur Organisation oder
zur Technik beantworten können.
Konkret stellt sich das wie folgt dar:
Die Teilnehmer erlernen in inter-
aktiven Lernmodulen online die
Inhalte. Dabei werden sie von einem
professionellen Tutor betreut, der sie
über die gesamte Dauer der Durch-
führung begleitet. Die Teilnehmer
diskutieren ihre Lernfortschritte
über die Online-Plattform mit ihren
Mitlernern. Ein Abschlusstest stellt
den Lernerfolg sicher. Damit die ko-
gnitiv erfassten Inhalte in die Praxis
umgesetzt werden können, ist es
notwendig, dass die neuen Techni-
ken und Methoden eingeübt werden.
Dafür werden Präsenzveranstaltun-
gen genutzt. Die gelernten und ein-
geübten Techniken und Methoden
werden bereits während der Ausbil-
dung in der Selbstlernphase laufend
im Arbeitsalltag des jeweiligen
Unternehmens eingesetzt und per-
fektioniert. Es geht vor allem auch
darum, eine Verhaltensänderung
zu erzielen. Man lernt nicht nur, um
zu wissen, sondern um zu können.
Durch diese Art des Blended
Learning werden die Vorteile
vom Online-Lernen und vom
Präsenz-Lernen verknüpft. Die
Prozessgestaltung sowie effektive
Methoden zur Transfersicherung
des Gelernten in den Arbeitsalltag
sind von besonderer Bedeutung.
Wie misst man dann
den Erfolg?
Ifenthaler: Ich würde es
eher als Assessment be-
zeichnen, das ist allerdings
ein großer Bereich, der oft
falsch verstanden wird.
Früher ist man davon
ausgegangen, Assessment
am Ende summativ durch-
zuführen. Das heißt, man
versucht, die Wirkung der
Weiterbildungsmaßnahme
am Schluss zu messen. Sei
es Faktenwissen oder das
Können über eine projekt-
basierte Aufgabe, die gelöst
wurde. So kann man sum-
mativ überprüfen, ob die
Kompetenz erreicht wurde.
Gespräch im Foyer
Prof. Dr. Dirk Ifenthaler
Ach
im M
ult
hau
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/ 15
Zur Person Dirk Ifenthaler
… ist Professor für Learning, Design and Technology in der Business School der Universität Mannheim und Adjunct Pro-
fessor an der Deakin University, Australien. Sein Forschungsschwerpunkt verbindet Fragen der kognitiven Psychologie,
Lernforschung, Bildungstechnologie und Data Science. Professor Ifenthaler ist Editor-in-Chief der Springer Zeitschrift
Technology, Knowledge and Learning (www.ifenthaler.info).
Barbara Lechtenfeld
… ist Consultant und Educator bei der Malik in St. Gallen. Sie beschäftigt sich mit Management-Education und
Management-Consulting insbesondere in der Fortbildung von Führungskräften. Barbara Lechtenfeld studierte Wirt-
schaftswissenschaften an der Universität Duisburg-Essen und machte eine Zusatzausbildung im Bereich Medientech-
nik und Medienpädagogik.
Mittlerweile allerdings geht
man in Richtung formati-
ver Assessments. Man sam-
melt während des Lernpro-
zesses immer wieder Daten
über die Performance und
die Leistung des Lernens
und gibt Rückmeldung in
Echtzeit des Lernprozes-
ses, damit es im laufenden
Prozess optimiert werden
kann. Das Digitale bringt
hier völlig neue Aspekte
rein. Im virtuellen Klassen-
zimmer sieht man direkt,
wie die Personen interagie-
ren und daraus kann man
Rückschlüsse ziehen auf
das Lernen und das Ver-
halten der Person sowie die
Lernprozesse. Über Big Data erwarten
wir für die Zukunft Aussagen über
die Zukunft solcher Lernmethoden.
Das wäre ja dann quasi Predic-
tive Learning. Gibt es das?
Ifenthaler: Das ist ein neuer For-
schungskontext, der sich aktuell ent-
wickelt. Man versucht dabei, persona-
lisierte adaptive Lernumgebungen zu
generieren, die vorhersagen können,
inwiefern ein Teilnehmer erfolgreich
bzw. nicht erfolgreich sein wird bzw.
wann er Lernhilfen benötigt. Man
sieht dann sehr genau, wann eine
Lernmotivation in den Keller geht
und man kann eingreifen. Und dies
ermöglichen Online-Systeme optimal,
weil wir die Daten in der Hinterhand
haben bzw. dann auch die Kommuni-
kationswege haben, mit den Personen
zu arbeiten. Letztendlich wird es
eine Art Facebook zum Lernen sein.
Haben Sie denn den Eindruck,
dass die Unternehmen in Deutsch-
land da weiter oder weniger weit
sind als in anderen Ländern?
Lechtenfeld: Ich würde meinen, dass
die skandinavischen Länder, weil sie
einfach immer Vorreiter im Bereich
von Digitalisierung waren, hier am
weitesten sind. Ich glaube nicht, dass
wir in Deutschland in einer Vorrei-
terrolle sind. Wir können sowohl in
Deutschland als auch in der Schweiz
noch einiges nachholen.
Werden künftig Kreativi-
tät und Freiräume wichtiger
werden auch im Lernen?
Lechtenfeld: Unbedingt, wenn wir an
das neue unsichere Umfeld – Stich-
worte: volatil, ungewiss, komplex,
ambig (VUKA) – denken, ist mehr
Flexibilität entscheidend. Wir be-
rücksichtigen das bereits, indem wir
unsere Management-Trainings indi-
vidualisieren. Wir gehen auf die der-
zeitigen konkreten Probleme in den
jeweiligen Unternehmen ein und bie-
ten den Teilnehmern das Wissen, was
ihnen hilft, mit den jeweiligen Anfor-
derungen umzugehen und Probleme
zu lösen. Dies nennen wir „Enabling“.
An dieser Stelle arbeiten wir eben-
falls bereits sehr viel mit neuen Medi-
en. Aber auch hier gibt es zukünftig
weitere und mehr Möglichkeiten.
52° NORD
Barbara Lechtenfeld
Ach
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16 / Länderfokus: Afrika goes digital
Das Handy als EntwicklungshelferDie Welt wird zunehmend vernetzter. Das gilt auch für viele Länder der Dritten Welt, wo die Digitalisierung Millionen Menschen erstmals die Mög-lichkeit zur gesellschaftlichen und ökonomischen Teilhabe bietet. Eine Reportage über die Hotspots dieser Entwicklung.
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/ 1752° NORD 52° NORD
Not macht wohl nicht nur erfinderisch, sondern offen-
sichtlich auch digital. Das lässt sich derzeit sehr gut
in Afrika beobachten. Gehörte der Kontinent mit der
Ausnahme Südafrikas bei den ersten drei industriellen
Revolutionen eher zu den Verlierern, so sieht es diesmal
überraschenderweise ganz anders aus. Zwar ist man fern
davon, im Rahmen der vierten industriellen Revolution
als Technologietreiber in Erscheinung zu treten. Aber die
Digitalisierung bietet ungeahnte Möglichkeiten, Ent-
wicklungsrückstände zu überwinden und eine unterneh-
merische Dynamik in Gang zu setzen, wie sie bis dato in
Afrika selten zu finden war. Denn trotz Hunger, Armut
und Bürgerkrieg, die zweifelsohne weiterhin in einigen
Ländern herrschen, sind in jüngster Zeit vielerorten
äußerst lebhafte Gründerszenen entstanden, die beispiel-
haft für eine neue Mentalität auf dem Kontinent stehen.
Afrika digitalisiert sichEgal ob in Nairobi, Lagos oder Accra – über alle kulturel-
len und nationalen Grenzen hinweg hat das Internet in
Afrika in den vergangenen zwei Jahrzehnten Menschen
den Zugang zur globalen Wissensgesellschaft ermöglicht,
was nicht ohne Folgen bleiben sollte. Viele junge und
oft gut ausgebildete Afrikaner begannen mit Hilfe von
digitalen Technologien ihr Schicksal fortan selbst in die
Hand zu nehmen und wirtschaftlich aktiv zu werden. Vor
allem in den Bereichen Telekommunikation, Gesundheit
sowie E-Commerce und Finanzdienstleistungen suchen
sie seither nach kreativen Lösungen, die genau auf die
lokalen Bedürfnisse und Möglichkeiten abgestimmt sind.
Beschleunigt wurden diese Prozesse durch die Politik
von Big Playern wie Amazon oder Google, die aufgrund
der maroden Infrastruktur sowie politischer Instabi-
litäten den afrikanischen Kontinent lange links liegen
gelassen hatten. In diese Lücke stießen dann afrika-
nische Anbieter und Gründer mit ihren ganz eigenen,
hausgemachten Angeboten, die die Entwicklung auf dem
Kontinent jetzt vorantreiben und damit so manche Insel
eines bescheidenen Wohlstands geschaffen haben.
„Africa goes digital“ – so heißt die neue Marschrichtung.
„Das Internet und auch der Mobilfunk verbreiten sich in
Afrika sogar schneller als in irgendeiner anderen Region
der Welt“, lautet dazu die Einschätzung von Christoph
Kannengießer. „Den Einfluss, den die Digitalisierung auf
die Entwicklung des Kontinents hat, dürfte selbst durch 50
Jahre Entwicklungshilfe nicht erreicht worden sein“, so der
Hauptgeschäftsführer des Afrika-Vereins der deutschen
Wirtschaft e. V. in Hamburg. „Infrastrukturprobleme wie
fehlende Straßen, Telefon- und Stromnetze werden mit
Hilfe mobiler Technologien überwunden.“ Mit der raschen
Entwicklung von Breitbanddiensten hat sich offensichtlich
nicht nur das Leben der Menschen in den Industrieländern
verändert. Waren dort unmittelbar nach der Jahrtausend-
wende über drei Viertel der Internetnutzer zuhause, so hat
sich das Verhältnis bis heute umgekehrt. Aktuell leben
zwei der drei Milliarden User auf der Welt in einem der
Schwellen- und Entwicklungsländer. Und das hat Folgen.
Laut Weltbank gibt es heute wohl sogar mehr Menschen,
die ein Handy ihr eigen nennen, aber keinen vernünf-
tigen Trinkwasserzugang besitzen. Vielerorten hat die
Mobiltelefonie die Festnetztechnik, die oftmals nirgendwo
vorhanden war, einfach übersprungen. Leapfrogging – zu
Deutsch Bockspringen – nennen Experten dieses Aus-
lassen einzelner Stufen im Rahmen von Entwicklungs-
prozessen. Oder anders formuliert: Innovative digitale
Lösungen stoßen in Afrika rascher auf Zustimmung, weil
es keine alten Techniken und Dienstleistungsstrukturen
gibt, die ihre Verbreitung hätten behindern können.
Afrika digitalisiert sich – und seine Wirtschaft.
18 / Länderfokus: Afrika goes digital
Quantensprünge in der Entwicklung„Die Digitalisierung entwickelt sich dort häufig innerhalb
eines sehr viel kürzeren Zeitraums“, sagt ebenfalls Dr.
Melanie Stilz. „Während in Europa und den Vereinigten
Staaten Computersysteme und das Internet 30 Jahre
brauchten, um ein immer stärkerer Bestandteil des Alltags
zu werden, vollzieht sich diese Entwicklung in den ärme-
ren Regionen häufig innerhalb nur weniger Jahre“, so die
Projektentwicklerin und Mitbegründerin von Konnek-
tiv, einer Agentur mit Sitz in Berlin, die zu den Themen
Informations- und Kommunikationstechnologien in der
internationalen Zusammenarbeit berät und Koopera-
tionsprojekte durchführt. „Dass mobiles Internet und
Smartphones dabei eine besondere Rolle spielen, hängt
mit den Bedürfnissen und Möglichkeiten der Anwender
und Anbieter zusammen. Der Aufbau einer Mobilfunkin-
frastruktur ist einfacher und günstiger als eine flächen-
deckende Versorgung mit Glasfaser.“ 81 Prozent aller
Afrikaner nutzen mittlerweile ein Mobiltelefon – auch
wenn es sich dabei nach unseren Maßstäben zumeist um
ein geradezu steinzeitliches Modell handeln mag. Aber
nur 7 Prozent haben einen direkten Internetzugang. Dabei
würde der Ausbau gerade des mobilen Breitbandinternets
wie es in den Industriestaaten üblich ist, vielen Entwick-
lungsländern einen wirtschaftlichen Aufstieg ermögli-
chen, so die Unternehmensberatung McKinsey. In einer
aktuellen Untersuchung hat man ausgerechnet, dass das
globale Bruttoinlandsprodukt dadurch jährlich um 400
Milliarden Dollar wachsen würde und zehn Millionen
Arbeitsplätze dazu kämen. Und laut einer Studie der Tou-
louse School of Economics würde jeder darin investierte
Dollar einen geschätzten Gewinn von 17 Dollar abwerfen.
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3R
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/ 1952° NORD
Mangel als TugendGenau deshalb sehen digitale Geschäftsmodelle in Afrika
auch ganz anders aus als in Europa oder Nordamerika.
„Prominentestes Beispiel ist wohl das mobile Transfergeld-
system M-Pesa. Das – wie übrigens viele andere digitale
Innovationen Afrikas – auch mit alten Billig-Handys
funktioniert“, weiß Kannengießer zu berichten. Von
Safaricom, Kenias größtem IT- und Telekommunikations-
unternehmen gegründet, steht M-Pesa geradezu exem-
plarisch für die afrikanische Erfolgsgeschichte, die aus
dem Mangel eine Tugend macht – schließlich sind Bank-
konten auf dem gesamten Kontinent eher eine Seltenheit
und die nächste Filiale eines Geldinstituts oft hunderte
Kilometer entfernt. Also wird kurzerhand das Mobilte-
lefon zur Schaltzentrale für alle Geldgeschäfte. Es lässt
sich mit einem Guthaben aufladen, mit dem dann Waren
oder Dienstleistungen bezahlt werden können. 70 Pro-
zent aller Kenianer tätigen so mittlerweile ihre täglichen
Transaktionen. „Dazu gehört nicht nur die Bezahlung
von Einkäufen und die Zahlung von Gehältern, sondern
auch die Überweisung an die Familie auf dem Land.“ So
lässt sich selbst in die entlegensten Regionen des Landes
Geld überweisen, das dann an einem der omnipräsenten
Kioske cash ausgezahlt wird. Aber M-Pesa kann noch viel
mehr. Täglich erhalten 70.000 Kenianer über die Plattform
einen Kleinkredit und das, ohne jemals ein Geldinstitut
von innen gesehen zu haben. „Eine aktuelle US-Studie
kommt zu dem Schluss, dass der wachsende Zugang zu
mobilen Zahlungsmethoden für die Bevölkerung ein
Weg ist, der Armut zu entfliehen“, betont Kannengießer.
Mobile Bezahldienste sind in Afrika also längst Alltag,
während sie in Europa immer noch in den Kinderschuhen
stecken. Auch Bildungs-Apps wie Brainshare aus Uganda
sowie andere E-Learning-Angebote werden begeistert
aufgenommen, was nicht überraschend ist, wenn man
bedenkt, dass klassische Schulen entweder nicht vorhan-
den sind oder aber nur sehr eingeschränkt einem Bildungs-
auftrag nachkommen können. Safaricom arbeitet übrigens
mit zahlreichen anderen neuen IT-Unternehmen zusam-
men und diversifiziert sukzessiv sein Dienstleistungsan-
gebot. So entstanden mittlerweile unter der Bezeichnung
M-Farm und M-Health Apps für Bauern und Menschen mit
Fragen zu Gesundheitsproblemen. Der eigentliche Renner
aber heißt M-Kopa: Dabei handelt es sich um Heimsolaran-
lagen, bestehend aus einer Solarzelle, einer Kontrolleinheit
mit Anschlüssen für Handy oder Computer, die darüber
mit Strom aufgeladen werden können, sowie LED-Lampen
und einem Radio mit Akku. Wer via M-Pesa über zwölf
Monate täglich umgerechnet 40 Cent abstottert, ist danach
stolzer Eigentümer einer solchen Einheit. Für ein Land
wie Kenia, in dem fast drei Viertel der Bevölkerung keinen
Anschluss an die Stromversorgung haben, ist dies ein
Quantensprung in Sachen Entwicklung. Und es ist tech-
nisch so simpel wie möglich und für die Menschen vor Ort
bezahlbar. Oder wie Expertin Melanie Stilz formuliert: „Es
gibt Geschäftsmodelle, die auf digitalen Diensten basieren
und sich in der Umsetzung nicht zwingend von denen in
100%
80%
60%
20%
0%
Quelle: Internet World Stats
Anteil der Internetnutzer an der Bevölkerung in ausgewählten Ländern in Afrika im Jahr 2017
Ruanda30,6%
Ghana34,7%
Nigeria47,7%
Südafrika54%
Kenia89,4%
20 /
anderen Regionen unterscheiden. Ein Angebot wird über
das Zusammenspiel digitaler Erfassung, Verarbeitung und
Verbreitung vermarktet. Was dennoch anders sein kann,
ist häufig seine Art, da dieses natürlich in erster Linie den
lokalen Markt bedient. Hier kann ein Mangel, wie zum
Beispiel in der Transportinfrastruktur oder im Gesund-
heitssektor, zu innovativen digitalen Lösungen führen.“
Digitallabor RuandaBesonders eindrucksvoll lässt sich dies derzeit in dem
ehemaligen Bürgerkriegsland Ruanda beobachten. Das
kleine Land mit seinen zwölf Millionen Einwohnern
mutiert aktuell zu so etwas wie dem digitalen Aushän-
geschild Afrikas. Die Regierung hat systematisch in die
Infrastruktur investiert, was nicht nur zu einer Vervier-
fachung des Bruttoinlandsproduktes seit der Jahrtau-
sendwende führte. Gemeinsam mit dem amerikanischen
Startup Zipline sondiert man beispielsweise gerade vor
Ort, wie die medizinische Versorgung schwer zugängli-
cher Regionen mit Hilfe von Drohnen funktionieren kann.
Die fliegenden Alleskönner sollen von festen Stationen
aus – liebevoll „Nester“ genannt – Medikamente und
Blutkonserven schnell zu überall im Lande verteilten
medizinischen Außenposten transportieren. Ein erster
Hub entstand bereits in der Hauptstadt Kigali, von wo
aus 15 Drohnen starten und landen. Insgesamt 21 „Nes-
ter“ sollen in einer ersten Erprobungsphase errichtet
werden. Und Volkswagen ist gerade dabei, in Kigali ein
App-basiertes Carsharing- sowie Ride Hailing-Programm
aufzubauen – also Fahrtenvermittlung und Mobilität auf
Abruf. Warum die Wahl ausgerechnet auf Ruanda fiel,
hat seine guten Gründe: Die Bevölkerung ist überdurch-
schnittlich jung und technikaffin. Kigali steht im Ruf, die
am besten vernetzte Stadt Afrikas zu sein und das Land
selbst ist politisch stabil, aber vor allem klein und damit
gut überschaubar. Und wie an vielen anderen Hotspots
Afrikas gibt es viele „Early Adopters“ neuer Technologien.
Doch es gilt noch zahlreiche Hindernisse beim Ausbau der
Digitalisierung in Afrika zu überwinden. „Dazu zählen die
hohen Kosten für eine flächendeckende Breitband-Infra-
struktur, die für die Digitalwirtschaft unverzichtbar ist“,
merkt Melanie Stilz an. „Auch das Bildungssystem hat in
Bezug auf eSkills und digitale Expertise große Schwächen.“
Weiterhin problematisch ist ebenfalls der sogenannte Di-
gital Divide. „Einkommen, Alter, Geschlecht und Herkunft
bestimmen häufig über Chancen und Möglichkeiten. Und
die politischen und ökonomischen Umstände in vielen
Ländern führen zu einem Brain Drain. Das heißt, gut aus-
gebildete Fachkräfte verlassen oft ihre Heimat, da sich im
Ausland attraktivere Alternativen bieten.“ Auch hat sich
das digitale Potenzial des Kontinents mittlerweile bis ins
Silicon Valley rumgesprochen. „Ist das Interesse an einem
Länderfokus: Afrika goes digitalS
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ph
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/ 21
Markt groß genug, betreiben internationale Unternehmen
wie Google lokale Büros und können dort auch stark auf
die Bedürfnisse vor Ort und die Rechtsgebung reagieren“,
erklärt Melanie Stilz. „Sie entwickeln zusätzliche Angebo-
te, bauen einzelne Dienste besser aus oder nehmen auch
auf lokale Entwicklungen Einfluss. Zwar haben lokale
Anbieter die besseren Karten, aber einige große Unterneh-
men sind längst auch zu lokalen Anbietern geworden.“
„In manchen dieser Bereiche ist der afrikanische Kon-
tinent sogar Vorreiter“, so das Resümee von Kannen-
gießer. „Das Bezahlen mit dem Handy ohne Bankkonto
ist in Kenia Standard und in Ruanda werden bereits
Medikamente durch Drohnen zugestellt. Beim Ausbau
des digitalen Ökosystems verzeichnen einige Länder
Subsahara-Afrikas sogar die stärksten Wachstumsraten
der Welt. Und es gibt noch Luft nach oben. Entsprechend
groß sind die Chancen für die deutsche Wirtschaft.“ Was
in Afrika gerade digital passiert, hat manchmal Vor-
bildcharakter und bietet Anlass zu Optimismus. Und
davon können auch die Industrieländer etwas lernen.
Afrika kommt langsam ins GeschäftDie reinen Zahlen spiegeln nur die halbe Wahrheit wider: So verzeichneten 2016 laut Internationalem Währungsfond (IWF) zwei Drittel der afrikani-schen Staaten südlich der Sahara ein mageres Wirtschaftswachstum von durchschnittlich gerade einmal 1,5 Prozent.
Und auch die für 2017 prognostizierten 2,5 Prozent
klingen nicht gerade nach einem Boom. Was die agg-
regierten Zahlen aber verbergen, ist die Tatsache, dass
es auf dem Kontinent zahlreiche äußerst dynamische
Volkswirtschaften mit recht guten Konjunkturdaten gibt.
Als Spitzenreiter nennt der IWF aktuell Äthiopien mit
einem Plus von 7,5 Prozent für das Jahr 2017, gefolgt von
der Elfenbeinküste mit 6,9 Prozent sowie Senegal und
Tansania mit jeweils 6,8 Prozent. 2018 werden diese Län-
der mit ziemlicher Sicherheit ähnlich hohe Zuwachsraten
erzielen, so der IWF. Vor allem Ghana scheint sich hervor-
ragend zu entwicklen, dort geht man für 2018 sogar von
einer Steigerung des Bruttoinlandsprodukts von satten
9,2 Prozent aus. Natürlich gibt es weiterhin Problemfälle
wie Äquatorialguinea, wo die Wirtschaft um 5 Prozent
schrumpft, oder den Südsudan, ebenfalls mit einem Mi-
nus von 3,5 Prozent. Auch vermitteln die volkswirtschaft-
lichen Daten nur ein unzureichendes Bild der realen
Situation vor Ort, weil der informelle Sektor in den Län-
dern südlich der Sahara zwischen 25 und 65 Prozent des
Bruttoinlandsprodukts ausmachen kann. Darüber hinaus
wechseln sich vielerorten Phasen des Wachstums und
der Stagnation oder sogar der Krise immer noch recht
rasch ab. Ursachen sind neben politischen Unsicher-
heiten vor allem die stark schwankenden Preise für
Rohstoffe oder Erdöl. Was den Experten vom IWF aber
ebenfalls aufgefallen ist: Die Frequenz solcher Kon-
junkturschwankungen hat seit der Jahrtausendwende
abgenommen. Das verweist auf eine nachhaltig positive
Entwicklung des lange krisengeschüttelten Kontinents.
52° NORD
Ruanda3,22
Ghana7,96
Quelle: Internet World Stats, ITU
Zahl der Internetnutzer in ausgewählten Ländern Afrikas in Mio. (Stand März 2017)
100%
80%
60%
20%
0%
Südafrika28,58
Kenia31,99
Nigeria91,88
22 / NORD/LB Story: Private Equity
Private Equity heute: Mehr Honigbiene als Heuschrecke
Der Wind hat sich gedreht im Lande. Wo noch vor zehn Jahren Private Equity Häuser als „Heuschrecken“ galten, die Unternehmen kauften, um sich an-schließend die Filet-Stücke zu sichern und dem Rest der verbleibenden Un-ternehmung die Schulden aufzuhalsen, ist die Sichtweise heute eine andere.
Insbesondere im deutschen Markt gelten PE-Häuser
heute eher als Firmen, die sich gezielt an Unterneh-
men beteiligen und diese weiter entwickeln wollen.
„Die Branche“, so Colmar Dick von der NORD/LB, „hat
offensichtlich verstanden, dass Financial Engineering
allein zu wenig Wert schafft. Gefragt sind heute Part-
ner, die das Unternehmen im anspruchsvollen wirt-
schaftlichen Gesamtumfeld weiterentwickeln.“
Und dies zu einem sehr günstigen Zeitpunkt, denn viele
Mittelständler wollen verkaufen. Häufig sind die Grün-
der in die Jahre gekommen und wollen aufhören – und/
oder sie haben keinen geeigneten Nachfolger. In der
Regel kommen dann die M&A-Makler in Spiel. Sie bera-
ten die Unternehmen, wer als möglicher Käufer in Frage
kommt – und wer ausscheidet. Häufig – aber beileibe nicht
immer – bietet sich der gezielte Einstieg eines langfristig
orientierten PE-Hauses an, welches das Unternehmen
weiter auf den Wachstumspfad führen will. „Zukunfts-
orientierte Investoren suchen in der Regel nach einem
Unternehmen, das noch Wachstumsfantasien hat. Und
sie müssen heute eine Idee davon haben, wohin sie gehen
wollen. Das kann beispielsweise Buy & Build sein oder
die gezielte Internationalisierung“, berichtet Colmar
Dick weiter. Bei Buy & Build ist das Ziel eine möglichst
große Einheit zu schaffen, die sich am Ende im Idealfall
als Marktführer wieder verkaufen lässt, im Falle von
Internationalisierungsstrategien werden die auslän-
dischen Wachstumsmärkte bewusst angegangen.
Die NORD/LB arbeitet seit längerem eng mit den PE-Häu-
sern Auctus aus München und Ufenau Capital Partners
aus der Schweiz zusammen. „Beide Investoren“, so Dick
weiter, „investieren gezielt in Unternehmen, die sie
langfristig zu einer Wachstumsstory entwickeln können.“
Dabei fungiert die NORD/LB als Finanzierungspartner
für die PE-Häuser und begleitet die Sondierungsphase.
Die entscheidende Frage: Wohin könnten sich das Un-
ternehmen und der Markt wirklich entwickeln in drei
bis fünf Jahren, wenn der Investor in der Regel wieder
aussteigt? Das Team um Colmar Dick entwickelt daraus
eine maßgeschneiderte Finanzierungsmöglichkeit und
begleitet die Transaktion. Wie dies auf der Partnerseite
jeweils aussieht, erfahren Sie in unseren Interviews.
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/ 2352° NORD
„Wann verkaufen, wenn nicht jetzt?“Ein Gespräch mit Dr. Ingo Krocke, Geschäftsführer der Auctus Capital Partners AG in München.
Wie sind Sie bei Auctus im Rah-
men von Firmenübernahmen aktiv?
Welche Ziele verfolgen Sie dabei?
Wir sind die aktivste Beteiligungs-
gesellschaft in Deutschland. Der
Markt ist derzeit ein wenig überhitzt,
vielleicht auch, weil die Wirtschafts-
krise von 2009 gefühlt schon so
lange her ist. Viele potenzielle Käufer
blenden derzeit aus, dass die Über-
nahme von Firmen auch mit vielen
Risiken verbunden ist. Sie rechnen
weder mit einer Konjunkturkrise
noch damit, dass in dem Unterneh-
men selbst etwas passieren könnte.
Insofern findet sich am Markt derzeit
eine erhöhte Risikobereitschaft sowie
ein geringeres Risikobewusstsein
bei den Investoren. Dieses ist auch
dadurch getriggert, dass durch die
niedrigen Zinsen und Renditen in
anderen Anlageformen viel Geld im
Markt ist. Und viele haben inzwischen
verstanden, dass Private Equity mit
durchschnittlich im zweistelligen
Bereich liegenden Renditen in den
letzten 50 Jahren die Königsklasse
darstellt. Positiv ist dazu zu vermer-
ken, dass dieser höhere Anteil an
Marktteilnehmern in Verbindung mit
den hohen Preisen dazu führt, dass
viele Mittelständler überlegen, jetzt zu
verkaufen – und das ist auch richtig.
Wann verkaufen, wenn nicht jetzt?
Wie gehen Sie damit um in Be-
zug auf Ihr eigenes Geschäft?
Wir sind deutlich realistischer und
bauen in unseren Finanzmodellen
für die Zukunftsplanung mögliche
Szenarien von Wirtschaftskrisen
ein – wir sind als Anleger also nicht
durchgängig optimistisch. Zudem
bauen wir unsere Annahmen ein, dass
wesentliche Kunden oder Mitarbeiter
wegfallen könnten und das Geschäft
negativen Beeinträchtigungen unter-
liegen könnte. Auf der anderen Seite
schaffen wir aber viel Mehrwert in
den Unternehmen. Dadurch können
wir in diesem wettbewerbsintensiven
Verkäufermarkt kompetitive Preise
zahlen. Und wir haben eine deutlich
längere Haltezeit. So können wir auch
einen Downturn gut überstehen.
Wieso verkaufen die Unternehmer?
Viele der Unternehmen, die wir über-
nehmen, sind häufig noch in der Hand
der ersten oder zweiten Generation,
d. h., wir haben die Gründer noch an
Bord. Grund für den Verkauf ist häu-
fig, dass die Unternehmensstruktur
insgesamt sehr stark gewachsen ist
und für den Gründer beinahe unüber-
sichtlich wird. Früher machte er sozu-
sagen nur sein Business, heute muss
er sich um internationale Personal-
führung, zunehmende Regulierung
und so weiter kümmern – die Arbeits-
belastung steigt also permanent, und
vor allem rund um die Uhr. Zudem
steckt häufig das gesamte Vermögen,
was er erwirtschaftet hat, im Unter-
nehmen selbst. Und es kommt noch
ein persönlicher Punkt ins Spiel: Viele
kommen in die dritte Lebensphase
und wollen für sich ganz persönlich
eine Veränderung. An diesem Punkt
kommen wir mit unserem „Owners
Buy-out“ ins Spiel: Wir erwerben eine
Mehrheit – damit kann der Unterneh-
mer Geld „hinter der Brandmauer“
bringen. Gleichzeitig bleibt er aber
stark am Unternehmen beteiligt und
setzt mit uns eine Wachstumsstrate-
gie um. So haben wir in Dutzenden
von Fällen nationale und interna-
tionale Marktführer geschaffen.
Zudem haben wir hervorragendes
Sektorwissen und sprechen daher
mit dem Gründer auf Augenhöhe.
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AG
Dr. Ingo Krocke
… ist Gründer und CEO von AUCTUS
Capital Partners AG. Dr. Ingo Krocke
gründete die Beteiligungsgesellschaft
AUCTUS Capital Partners AG im Jahr
2001, sein Team besteht derzeit aus 15
Beteiligungsexperten. Nach seinem Me-
dizinstudium in Bonn und Paris startete
Dr. Ingo Krocke seine Karriere zu-
nächst in Barcelona und New York, wo
er ärztlich tätig war. Seine Industrie-
lauf bahn startete er als Brand Manager
bei Procter & Gamble. Sein Einstieg
ins Beteiligungsgeschäft erfolgte bei
Apax Partners, einer weltweit führen-
den Beteiligungsgesellschaft, mit den
Schwerpunkten Management Buy-out
und Wachstumsfinanzierungen. Vor
der Gründung von AUCTUS war Dr.
Krocke Gründer und Geschäftsführer
von Wellington Partners in München.
24 / NORD/LB Story: Private Equity
Was sind Ihre Ziele beim Einstieg?
Wir haben immer eine Vision und eine
Strategie für das Unternehmen im
jeweiligen Markt. Unsere Wertsteige-
rung kommt in der Regel daher, dass
das Unternehmen beim anschließen-
den Verkauf deutlich größer ist als
beim Einstieg. Dies erreichen wir nicht
nur über organisches Wachstum,
sondern auch über Zukäufe von bis zu
20 oder gar 30 Unternehmen weltweit.
Dabei begleiten wir auch sämtliche
Prozesse, die damit einhergehen. Das
ist von der Mechanik prinzipiell einem
Beratungsunternehmen nicht un-
ähnlich, aber im Vergleich zu einem
klassischen Berater machen wir es
mit der Brille und mit dem Herzen des
Eigentümers, denn der entscheidende
Punkt ist die Umsetzung. Der Hin-
tergrund: In der Regel fehlt es mit-
telständischen Unternehmen nicht
an Ideen, sondern an Möglichkeiten,
diese konkret umzusetzen. Eine un-
serer Kernaufgaben ist daher immer,
gemeinsam mit dem Management zu
identifizieren, welcher Bedarf besteht
und was wir umsetzen können.
Kritiker werfen der PE Branche immer
wieder vor, Mittelständler zu kaufen,
ihnen die Schuldlast in die Bücher zu
schreiben und sie anschließend zu
filetieren. Warum stimmt diese Sicht-
weise auf Ihre Branche nicht mehr?
Die Kritik kommt ja zunächst nicht
unberechtigt, denn sie bezog sich
damals auf die Firma Grohe, die nur
von PE zu PE gereicht wurde, ohne
dass auch nur irgendeine dieser Fir-
men etwas am Geschäft geändert hat.
Durch die hohe Zinsbelastung kam
das Unternehmen anschließend in
extreme Schwierigkeiten. Bei AUCTUS
haben wir einen ganz anderen Ansatz.
Unser Ziel ist es, aus einem Unterneh-
men mit 20 Millionen Umsatz eines
mit 100 Millionen zu machen – das
schafft man aber nur durch Befruch-
tung, Ideen und gute Umsetzung. Und:
Der Erfolg gibt uns Recht. Unsere Un-
ternehmen sind über die letzten zehn
Jahre im Schnitt um über 10 Prozent
pro Jahr gewachsen. Und wir erlauben
nur eine relativ geringe Verschuldung
der Unternehmen, denn Wachstum
braucht finanziellen Spielraum.
Was beobachten Sie bei Mittel-
ständlern in Bezug auf das Thema
Unternehmensnachfolge? Wo lie-
gen derzeit hier die Probleme?
Die deutsche Wirtschaft hat in den
letzten 30 Jahren gerade im Dienst-
leistungssektor viel nachgeholt. Die
ehemaligen Gründer sind heute Mitte
50 oder Anfang 60 und beschäftigen
sich mit der Frage, wie es nun weiter-
geht. Zudem gibt es in diesen Unter-
nehmen nur selten einen Familien-
nachfolger, weil die Identifizierung
mit dem Produkt oft geringer ist. Dies
ist übrigens ein großer Unterschied
zu den Produktionsunternehmen, wo
die Familie viel häufiger die Nachfolge
organisiert. Also steht irgendwann
im Raum, einen Fremdgeschäftsfüh-
rer zu engagieren. Das ist aber nicht
so einfach, weil die Quintessenz in
diesen Unternehmen die Firmen-
kultur ist und diese verkörpert der
Gründer. Auch hier kommen wir
ins Spiel, denn wir gewinnen den
Großteil der Firmen, die sich für uns
entscheiden, über diese menschli-
che Komponente. Die Unternehmer
spüren, dass wir unser eigenes Geld
investieren – und genau diese Art
Mittäter suchen sie ja eigentlich.
Welche Projekte verfolgen Sie
aktuell? Welchen Einfluss hat
das derzeitige Niedrigzinsum-
feld auf Ihre Aktivitäten?
Eines unserer erfolgreichsten Beispie-
le ist die Firma PharmaLex. Das Unter-
nehmen berät Pharmafirmen bei der
Registrierung, Auditierung und Über-
wachung von Pharmaprodukten. Und
es hilft internationalen Pharmakon-
zernen dabei, auf die europäischen
Märkte zu kommen. Als wir Pharma-
Lex kennenlernten, war es ein kleines
Unternehmen mit 10 Millionen Euro
Umsatz. Der Ansatz hat uns direkt
begeistert, weil die Pharmabranche
immer stärker in Richtung Forschung
gehen muss und Randdienstleistun-
gen zusehends outsourct. Vor drei
Jahren sind wir mit einer Finanzie-
rung der NORD/LB eingestiegen. In
dieser Zeit haben wir elf Unternehmen
dazu gekauft und sind inzwischen
an 16 Standorten weltweit vertreten.
Inzwischen sind aus 10 Millionen
Euro Umsatz 60 Millionen geworden.
Wie arbeiten Sie im Rahmen von Pro-
jekten mit der NORD/LB zusammen?
Die NORD/LB ist einer unserer Lieb-
lingspartner. Wir sehen dort etwas,
was wir bei Banken selten sehen:
Die Berater sind mit Leidenschaft
bei der Sache, machen sich Gedan-
ken und interessieren sich für das
Unternehmen selbst. Der NORD/LB
geht es nicht nur um Zahlen, sondern
immer auch um das Unternehmen
selbst und die Geschichte dahinter.
Und wenn es mal nicht ganz so gut
läuft wie geplant, dann werden mit
norddeutscher Gelassenheit immer
pragmatische Lösungen gefunden.
/ 2552° NORD
„Besser und schneller sein, dem Kunden ganz besondere Services bieten“
Dent Wizard – Fragen an Thomas Küsel
In welchem Markt sind Sie mit In-
telligent Repair Solutions aktiv?
Originär kommen wir als Dent Wi-
zard aus dem Bereich Smart Repair
und Hagelschaden-Reparatur. Dabei
arbeiten wir seit 20 Jahren weniger
für Endverbraucher als vielmehr
für große Handelsgruppen und
Versicherungen. Heute haben wir
unsere Dienstleistungs- und somit
Wertschöpfungskette ausgebaut
und abgerundet. Wir kümmern
uns um Karosserie und Lack, also
alles, was mit der Fahrzeughülle zu
tun hat. Dabei betrachten wir uns
speziell in Deutschland als eine
Art Schönheitssalon für Automo-
bile: Autobesitzer haben gern sehr
gepflegte Autos und unser Dienst-
leistungsspektrum bedient dies. Wir
bieten nach erfolgter Expansion als
Komplettdienstleiter ein Rund-um-
sorglos-Paket von der Fahrzeugauf-
bereitung über Smart Repair und der
Reparatur von Unfallschäden alles
um Karosserie und Lack an. Dazu
gehören auch „Spezialitäten“ wie die
Folierung auch kompletter Fahrzeuge
sowie die Oldtimer-Restauration.
Was ist prägend in Ihrem Markt?
Die Fahrzeuge verändern sich sehr
stark und haben immer mehr Assis-
tenzsysteme und dadurch Hightech
an Bord. Das verändert die Anforde-
rungen an die Ausstattung unserer
Werkstätten und die Qualifikation
unserer Mitarbeiter. So bedeutet das
Aufkommen der Elektrofahrzeu-
ge, dass wir neuerdings auch mit
Starkstrom umgehen müssen. Oder
nehmen Sie neue Materialien wie
Carbon, die ebenfalls völlig anders
behandelt werden müssen. Darü-
ber hinaus ist es wie in den meis-
ten Märkten. Wir stehen vor einer
Konzentration im Anbietermarkt. In
unserem Geschäft sind die großen
Gruppen erst in den vergangenen
Jahren entstanden, daher müssen
wir uns lokal immer weiter aufstel-
len. Versicherungen beispielsweise
arbeiten primär mit bundesweit
vertretenen Dienstleistern.
Was sind die treibenden Themen
im Bereich Karosserie & Lack?
Das Geschäft im Karosserie- und
Lackbereich ist stabil. Das bedeu-
tet aber auch, dass der Markt nicht
wächst und Preissteigerungen nur
schwer durchsetzbar sind. Deshalb
sind effiziente Prozesse das A&O. Wie
bereits erwähnt, hat sich bei der Tech-
nik in den vergangenen Jahren viel
verändert. Reparaturen an Spurhalte-
und Bremsassistenten oder der Aus-
tausch einer Frontscheibe – das kön-
nen Sie heute nur durchführen mit
Mechatronikern, die sich auskennen.
Die Digitalisierung verändert aber
nicht nur die Fahrzeuge, sondern
auch das Backoffice: Beauftragung,
Abrechnung oder Rechnungsstel-
lung, sämtliche Prozesse im Hinter-
grund sind bereits weitgehend digi-
talisiert und der Trend setzt sich fort.
Welche Wachstumsstrate-
gie verfolgen Sie unter dem
Dach der IRSH Gruppe?
Wie gesagt, der Markt an und für
sich ist stabil und wächst kaum. D. h.,
man muss in seiner Organisation gut
aufgestellt sein. Besser und schneller
sein, dem Kunden ganz besondere
Services bieten, das ist heute das
Erfolgsmodell. In Skandinavien
beispielsweise haben wir eine 48
Stunden-Garantie, innerhalb der
der Kunde das Fahrzeug zurück-
erhält. In Deutschland verfolgen
wir dasselbe Ziel, im Bereich Smart
Repair gelingt uns das bereits weit-
De
nt
Wiz
ard
Thomas Küsel
… ist durch und durch ein Automann.
Nach seiner Ausbildung zum Automo-
bilkaufmann übernahm er verschiedene
Aufgaben im Handel und auch in der
Automobilvermietung. Anschließend
war er unter anderem rund 15 Jahre
für japanische Hersteller primär in den
Bereichen After Sales und Händlernetz
tätig. 2010 erwarb er mit Partnern
zusammen die Dent Wizard GmbH
als Management Buy-out. Der gebür-
tige Hamburger (55) hat lange Zeit
auch in Köln und Hannover gelebt.
26 / NORD/LB Story: Private Equity
gehend. Das ist gut für den Kunden
und reduziert seine und zum Teil
auch unsere Kosten. So haben wir
z. B. für unsere Kundengruppe der
Gebrauchtwagenhändler die Zeit,
bis das von ihnen gekaufte Fahrzeug
verkaufsfähig ist, drastisch verkürzt.
Wie können Sie darüber
hinaus noch wachsen?
Wir vertrauen auf das Modell
Buy & Build – wir wollen in die-
sem Jahr noch mindestens
drei Unternehmen kaufen.
Welche Herausforderungen sehen
Sie für die Zukunft auch im Hinblick
auf eine Internationalisierung?
Neben den bereits genannten ist
sicherlich wie in vielen Unternehmen
unsere größte Herausforderung,
die richtigen Talente zu finden,
zu qualifizieren und vor allem sie
anschließend im Unternehmen zu
halten. Hier konkurrieren wir zum
Teil mit großen Unternehmen aus
der Industrie. Zudem gibt es mit
Blick auf die Umwelt unterschiedli-
che Anforderungen. Das Stichwort
lautet Reparieren statt ersetzen,
wir nennen es „Smart Repair“. Dies
dient nicht nur der Umwelt, sondern
ist zudem auch kosteneffizienter.
Sie haben mit der NORD/LB eine
Finanzierung durchgeführt. Wo-
bei ging es in diesem Projekt?
Unsere Wachstumsstrategie sieht
Zukäufe vor, um eine einzigartige
Wertschöpfungskette zu schaffen.
Wenn wir eine Firma kaufen, tun wir
dies in der Regel aus dem Cash-Flow,
bei größeren Akquisitionen brauchen
wir allerdings zusätzliches Kapital.
Dies machen wir mit einem Fond, aber
auch ein Fond braucht Fremdkapital
für seine Projekte. D. h., wir müssen an
dieser Stelle die strukturellen Voraus-
setzungen schaffen, um unsere Akqui-
sestrategie auch leben zu können. Die
NORD/LB war für unsere Übernah-
men in Skandinavien der natürliche
Partner, da sie das Geschäft gut ver-
steht und sich im Markt gut auskennt.
Das Gesamtpaket, das sie darstellen
konnte, war daher sehr attraktiv.
Private Equity Häuser waren län-
gere Zeit in der Öffentlichkeit nicht
ganz so gut gelitten. Wie hat sich
die öffentliche Sichtweise der PE
Häuser heute gewandelt? Warum
stimmt das Bild der „Heuschrecke“
nicht mehr? Wäre vielleicht gar das
Bild der Honigbiene passender?
Ich glaube, der Ansatz der Häuser
selbst hat sich verändert. Früher
wurde übernommen und häufig
filetiert, heute entwickeln gerade die
neuen und auf kleinere und mittlere
Unternehmen fokussierten Häuser
eher eine Wachstumsstory. Dabei
bieten viele PE Häuser auch Beratung
beim Management an, das muss man
aber als Unternehmen wollen. Von
daher finde ich es das Wichtigste, ein
Haus zu finden, das wirklich von der
Mentalität her passt. drei Ufenau ha-
ben wir hier den passenden Partner
gefunden. In unserem Fall sind die
Gesellschafter weitgehend an Bord
geblieben und treiben die Unterneh-
mensentwicklung weiter mit voran.
Was ist dabei besonders wichtig?
Der entscheidende Faktor ist heute
Zeit, denn in jeder Branche baut
sich Vorsprung schnell ab. Daher
haben wir einen Partner gesucht,
mit dem wir unser Projekt schnell
durchziehen konnten. Ein attrakti-
ves PE Haus schafft heute Möglich-
keiten, die wir allein nicht hätten
als da wären: Kompetenz bezüglich
Banken und Finanzierung, Ko-In-
vestoren bei Annex Fonds, Fragen
bezüglich Unternehmensführung
und Management oder attraktive
Industriepartner und ein Netzwerk.
Was würden Sie Mittelständlern, die
erwägen, an ein PE Haus zu ver-
kaufen, mit auf den Weg geben?
Also wichtig ist zunächst, klare
Spielregeln zu definieren: Wir haben
uns am Anfang hingesetzt und sehr
genau diskutiert, wer von beiden
Partnern sich worum kümmert.
Und ich würde wieder zusätzliche
unabhängige Expertise durch Bera-
ter an Bord holen. Daher empfehle
ich jedem, zusätzlich noch einen
privaten Berater daneben zu engagie-
ren, der den Prozess begleitet. Und:
Wenn Sie wirklich überzeugt sind, in
einem Haus einen guten PE-Partner
gefunden zu haben, sollten Sie auch
m. E. auch dort selbst investieren.
/ 27
Die NORD/LB gilt als einer der bekanntesten Finanzierungs-
partner mittelständischer Unternehmen in Deutschland –
quer durch alle Branchen und auf jeder Stufe der Wertschöp-
fungskette. Wir beraten und begleiten Mittelständler bei
Geschäften im In- wie im Ausland. Und: Wir wollen unsere
Expertise weitergeben. In unserem Portal 52° LIVE finden
Sie alle zwei Monate ein Special zu aktuellen Finanzierungs-
themen. Diesen Service können Sie kostenlos abonnieren.
Banking goes digital
Die Digitalisierung der NORD/LB
Mit dem NORD/LB iLab eröffnete die NORD/LB im Juli
2017 ihr neues Forschungs- und Entwicklungslabor. Das
Ziel: Die Bank will auf diese Weise herausfinden, welche
neuen Wege sie mit Technologie und Datenanalytik
beschreiten kann. Dabei geht es einerseits darum, sich
mit den neuen Wettbewerbern im Bereich der Fintechs zu
beschäftigen, aber auch herauszufinden, welche
Möglichkeiten die Digitalisierung für das Firmenkunden-
und Spezialfinanzierungsgeschäft bietet.
In unserem Special beleuchten wir die Ziele des iLab, die
Vorteile für die Kunden der NORD/LB und die möglichen
Effizienzgewinne, von denen auch die Kunden der Bank
profitieren. Dazu sprachen wir auch mit dem neuen Leiter
des iLab, Dr. Dominik Kalisch.
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52° NORD
Sonderthema Dezember: die Digitalisierung der NORD/LB
28 / Bürodesign: Open Office
Open Office – Traum oder Wirklichkeit?
Die rasante Entwicklung moderner Kommunikationstechnologien erlaubt Mit-arbeitern, ihre Tätigkeit auch losgelöst von festen Arbeitsplätzen auszuüben. Doch viele Firmen zögern noch, diese neue Arbeitskultur zu übernehmen. Großraum-Bürolandschaften erscheinen als Herausforderung. Welche Chan-cen und Risiken birgt dieses „Open Office“?
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Einrichten, glücklich sein. Was in den eigenen vier Wän-
den gilt, wird sich doch auch auf den Arbeitsplatz über-
tragen lassen? Tatsächlich werben viele Unternehmen
mit offenen Büros und kollaborativem Arbeiten. Doch
wie weit darf man gehen, wenn man die Arbeitsabläufe
umgestalten will? Open Office bedeutet nämlich eine
Abwendung von den klassischen Zellenbüros hin zu
Gruppen-, Team-, Kombi- oder Großraumbüros. Es werden
verstärkt Besprechungsräume, Rückzugs- und Mittel-
zonen sowie Kaffeebars und Teeküchen in bestehende
Büroflächen integriert. Feste Arbeitszeiten entfallen bei
diesen Modellen häufig: Nicht mehr Zeit und Anwesenheit
stehen im Fokus, sondern das Ergebnis. Namhafte High-
tech-Unternehmen wie u. a. Google, Ebay sowie zahlreiche
Startups machen es vor – aber auch bei der Frankfurter
Zentrale der Lufthansa verzichtet man mittlerweile auf
fest zugewiesene Arbeitsplätze. Auch Adidas und Micro-
soft verfolgen mit ihren Sitzen in Deutschland ähnliche
Konzepte. Dennoch wird hierzulande mehrheitlich
noch eine Anwesenheitskultur gelebt. Das neue Open
Office-System hält nur zögerlich Einzug in unsere Büros.
Speziell kleine und mittelständische Unternehmen
(KMUs), die ca. 60 Prozent aller Arbeitnehmer sozialver-
sicherungspflichtig beschäftigen, zögern – nicht zuletzt
aufgrund der Kosten. Einzelne Unternehmen satteln auf
Telearbeit und Home Office um, es besteht aber meistens
noch eine zwei- bis dreitägige Präsenzpflicht im Unter-
nehmen – an den anderen Tagen verwaist der Büroar-
beitsplatz. Bei Dienstleistern wie beispielsweise Versi-
cherungen und Unternehmensberatern gibt es dagegen
einen verstärkten Trend zu Desksharing-Arbeitsplätzen.
Das kann zu einer Reduzierung der Büroraumkosten
führen, weil den Mitarbeitern keine festen Arbeitsplätze
mehr zur Verfügung gestellt werden müssen. In manchen
Unternehmen wird sogar mit Schildern wie „No Camping“
satirisch auf die agilen Arbeitsmethoden hingewiesen.
Bei den hohen Mieten in Metropolen könnte sich dieser
Trend beschleunigen. Gerade in den Großstädten ent-
stehen deshalb sogenannte Collaboration-Büros oder
Coworking-Spaces, die den Mitarbeitern als temporäre
Arbeitsräume dienen. Ein wichtiger Pluspunkt: In kom-
pakten Großraumbüros lässt sich gleichzeitig die Klima-
tisierung und Luftzirkulation leichter regulieren als in
Zellenbüros. Das Konzept ist also umweltfreundlich.
Open Office als WettbewerbsfaktorProf. Dr. Martin Sagel, Geschäftsführer von mauser
einrichtungssysteme, weiß aber, dass eine Moderni-
sierung der Arbeitskultur nicht immer auf Gegenliebe
stößt. „Der Mehrwert für den Einzelnen wird häufig
nicht erkannt und als solcher empfunden. Genau an
der Stelle setzen wir an, unterstützen Unternehmen wie
die ADAC-Zentrale oder diverse Sparkassen sowie die
Industrie mit unserer Beratungs- und Planungsleistung
bei der Einrichtungsaufgabe. Es ist elementar wichtig,
die Belegschaft in den Unternehmen in den Verände-
rungsprozess einzubinden. Zwecks Risikominimierung
ist zu empfehlen, unterschiedliche Entscheidungsträ-
ger am Prozess zu beteiligen, zum Beispiel neben der
betroffenen Bereichs- oder Abteilungsleitung auch die
Arbeitssicherheit, das Facility Management und den
Betriebsrat. Bestenfalls dürfen die Mitarbeiter über ihre
Vorgesetzten eigene Vorschläge einreichen.“ Prof. Dr.
Sagel ist davon überzeugt, dass das Open Office-Konzept
zukünftig auch in deutschen Büros Einzug halten wird,
zunächst jedoch in einer abgemilderten Form. Der Trend
zur Wissensarbeit, permanent laufende Rationalisie-
rungswellen und der verstärkte Einfluss der Digitalisie-
Open Office: öffentlich – und doch privat.
30 / Bürodesign: Open Office
rung werden diesen Trend allerdings beschleunigen.
„Dabei ist der Aufwand abhängig von der langfristigen
Zielsetzung des Unternehmens – verbunden mit der
Ressourcenstellung „Arbeitskraft“ –, von der Flexibilität
des Konzeptes bei strukturellen Veränderungen, von
der Entscheidung des Arbeitsplatzmodells und vom
Führungsstil des Unternehmens“, erläutert der Experte.
Natürlich ist jedes Unternehmen individuell organisiert
und strukturiert. Die Prozessstrukturen eines KMU
weichen stark von denen eines Großkonzerns ab. Je
stärker jedoch Team- und Projektarbeit gefordert sind,
desto offener seien Angestellte demnach für ein Open
Space-Konzept. „Schafft der Arbeitgeber eine gewisse
Wohlfühlatmosphäre durch die Arbeitsplatzgestaltung
mit hoher Funktionalität, so steigert er die Motivation des
Mitarbeiters. Dies führt zu besseren Arbeitsergebnissen
und zu weniger Fehlzeiten. Der Mensch fühlt sich schließ-
lich immer dann gut aufgehoben, wenn ihm der Arbeit-
geber ein Stück Privatsphäre ermöglicht. Das bedeutet
aber nicht immer automatisch ein Einzelbüro, sondern
kann sich auch durch Abschirmung oder gute akusti-
sche Verhältnisse ausdrücken“, erklärt Prof. Dr. Sagel.
Streitpunkt Desksharing: Mein Arbeitsplatz – Dein Arbeitsplatz?Prof. Dr. Christian Scholz, Dozent und Gründer des
Lehrstuhls für Organisation, Personal- und Informa-
tionsmanagement an der Universität des Saarlandes,
betrachtet Open Office-Konzepte skeptischer. Neben
zahlreichen Veröffentlichungen zum Thema Arbeitswelt
4.0 hat er sich mit seinem jüngst veröffentlichten Buch
„Mogelpackung Work-Life-Blending“ akribisch mit der
Thematik Open Office beschäftigt. „Gegen moderne und
offene Büroeinrichtungen sowie flexible Arbeitsstruk-
turen gibt es allgemein nichts einzuwenden. Allerdings
stört mich die Grundidee des Desksharing, wonach jeder
Mitarbeiter sich morgens hastig einen neuen Arbeitsplatz
suchen muss – ähnlich wie beim Kampf um Parkplätze.
Mir ist auch kein Fall bekannt, in dem dieses Vorgehen
einen wirklichen Nutzen hatte. Denn die angebliche
Kosteneinsparung hält sich in Grenzen und gleichzei-
tig müssen für diese Form der Arbeitsplatzgestaltung
Ausgaben an anderer Stelle getätigt werden wie zum
Beispiel für Conference-Spaces oder „Telefon-Zellen“. All
dies rechnet sich unterm Strich auch kaum in Relation
zum Engagement der Mitarbeiter, wenn diese aus Un-
zufriedenheit über den „fließenden“ Arbeitsplatz das
Unternehmen verlassen oder öfter krankheitsbedingt
ausfallen. Deshalb wird sich zumindest das Desksharing
in Deutschland so nicht durchsetzen, es hat sich auch
bereits in den USA nicht durchgesetzt, wo in Städten wie
San Francisco jeder Quadratmeter ein Vermögen kostet.“
Wo sonst immer gemahnt wird, dass man sich am Arbeits-
platz wie im heimischen Wohnzimmer fühlen solle, be-
wirken die rotierenden Prozesse das Gegenteil: Es erfolgt
eine Anonymisierung der Arbeit und es entsteht Distanz.
Natürlich kann es Szenarien geben, in denen Desksha-
ring Sinn macht. Zum Beispiel spart ein Unternehmen
Ressourcen, wenn es weniger Schreibtische als Mitar-
beiter gibt und diese auch noch flexibel verteilt werden
können – vorausgesetzt, dass die meisten Angestellten im
Außendienst oder im Home Office arbeiten und ohnehin
nur zweimal pro Woche ins Büro kommen. Statt Barrie-
ren zwischen den Mitarbeitern abzubauen und für mehr
Kommunikation zu sorgen, fungiert Desksharing zu oft
jedoch als ein Stress- und Druckmittel für die Belegschaft.
„Agile“ Reise nach Jerusalem?„Abgesehen davon sind Mitarbeiter keine kleinen Kinder,
die bevormundet werden müssen, sich nun gefälligst
woanders hinzusetzen, um mal mit den Nachbarn in
Kontakt zu kommen oder gar Reise nach Jerusalem zu
spielen. Eine kommunikative Kompetenz sollte man
seinen Angestellten schon zugestehen“, erklärt Dr. Scholz.
„Gleichwohl kann der Arbeitgeber aber Flexibilität von
seinen Mitarbeitern verlangen. Aber dann muss nicht
nur der Mensch, sondern auch das Mobiliar flexibel sein.
Das heißt, weg von zentraler Planung und stattdessen die
Unabhängigkeit der Mitarbeiter betonen, die sich ihre
eigenen Arbeitsumgebungen schaffen können. Ein Bei-
spiel wäre hier die Situation, wenn drei Ingenieure auf die
Idee für einen neuen Prototypen kommen und daraufhin
ihre Tische zusammenstellen, um wie auf einer For-
schungsinsel gemeinsam an dem Pilotprojekt arbeiten zu
können. Das ist ein großer Unterschied zum Desksharing
und die wahre Flexibilität und Stärke von Open Office.“
Hart ins Gericht geht Dr. Scholz dagegen mit Groß-
raumbüros. Wenn diese zu offen sind und zu wenig
Abschottung gewähren, hemme dies eher die Kommu-
nikation. Verständlicherweise fällt die Konzentration
schwer, wenn um einen herum zehn Leute telefonieren.
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Noch problematischer schätzt er die Überwachungs-
option in solchen Szenarien ein. Nicht nur hat ein Chef
auf einen Blick seine gesamte Belegschaft im Auge,
wenn 50 Personen in einem großen Raum arbeiten;
es überwachen sich die Mitarbeiter indirekt auch ge-
genseitig – sie regulieren sich also untereinander.
Investition ins Glück der Mitarbeiter – und nicht in den Schreibtisch!Entpuppt sich der Traum vom Open Office damit letztend-
lich als Alptraum? „Nein“, meint Christian Scholz, „aber
eine moderne Arbeitswelt muss immer aus dem Impuls
der Mitarbeiter heraus entstehen. Wenn das Management
mit dieser Idee kommt, sollte man Verdacht schöpfen –
selbst wenn es heißt, dass die Belegschaft in den Prozess
miteingebunden wird. Der Begriff Mitbestimmungsrecht
ist ja eines dieser vielen modernen Buzzwords mit denen
Firmen sich schmücken, weil sie sehr trendy klingen, aber
am Ende stellt sich die Mitbestimmung häufig als eine
Scheinpartizipation heraus. Wenn die Mitarbeiter ledig-
lich mitentscheiden dürfen, wie groß ihr Tisch ist und wel-
che Farbe ihre Ordner haben, ist das letztlich nur Opium
fürs Volk. Wenn man ein bisschen weiter denkt, könnte
dies auch ein Weg der Arbeitgeber sein, unerwünschte
Mitarbeiter loszuwerden. Viele Angestellte, denen das
Open Office ungefragt übergestülpt wird, kündigen lieber,
als sich solch einer Prozedur unterziehen zu müssen.“
Unterm Strich bietet die neue Büroarbeit Chancen, birgt
aber auch Risiken. Am Ende muss jedes Unternehmen
selbst entscheiden, welchen Weg es einschlägt, denn
nicht alle Mitarbeiter sind als Nomaden geeignet – umge-
kehrt aber brauchen manche Mitarbeiter die Abwechs-
lung und den kommunikativen Freiraum. Statt also
hochtrabend von einem Büro der Zukunft zu sprechen,
sollte man vielleicht lieber von einem Labor der Ideen
aus denken. Im Kern ist es die sogenannte Arbeitsplatz-
souveränität, die sowohl Disziplin als auch Kreativität
im Büro in Einklang bringt und dafür sorgen soll, das
Beste aus seinem Schreibtisch herauszuholen. Letzt-
endlich muss der Mitarbeiter sich wohlfühlen können.
52° NORD
Das Mittelstandsmagazin aus Hannover
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