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BuchDer jun ge De tek tiv an wär ter Le mony Snicket er hält ei nen neu en Auf trag: Zu sam men mit sei ner Mentorin S. The o do ra Mark son soll er ein ver miss tes Mäd chen wied er fin den. Cleo Knight ist die Er bin der Tin ten-AG, frü her die er folg reichs te Fir ma in Schwarz-aus-dem-Meer, jetzt ei nes von vie len Un-ter neh men in dem he run ter ge kom me nen Städt chen, die kurz vor der Plei te stehen. Der ein zi ge Hinweis auf Cle os Ver bleib ist eine mit un sicht ba rer Tin te ge schrie be ne Nach richt – doch lei der bleibt sie auch un sicht bar. Wo ist Cleo? Wur de sie zu-letzt im Le bens mit tel la den ge se hen? Oder ist sie viel leicht noch am Im biss vor bei ge kom men? Das sind al les die fal schen Fra gen … Ge nau so falsch scheint Snicket aber auch das Ge-rücht, Cleo wäre da von ge lau fen, um zum Zir kus zu ge hen. Und so er mit telt er wei ter – und stößt da bei auf alte Be kann te,

my tho lo gi sche Bes tien und durch trie be ne Bö se wich te.

Wei te re In for ma ti o nen zu Le mony Snicket so wie zu lie fer-baren Ti teln des Au tors fin den Sie am Ende des Bu ches.

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Ro man

Il lust ra ti o nen von Seth

Ins Deut sche über tra gen von Sa bi ne Roth

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Die Ori gi nal aus ga be er schien 2013 un ter dem Ti tel»When Did You See Her Last? All The Wrong Quest i ons 2«

bei Litt le, Brown and Com pa ny, a di vi si on of Hac hette Book Group Inc., New York.

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Ver lags grup pe Ran dom House FSC® N001967Das für die ses Buch ver wen dete

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1. Aufl a geCo py right © der Ori gi nal aus ga be 2013 by Le mony Snicket

Co py right © der Il lust ra ti o nen 2013by SethCo py right © der deutsch spra chi gen Aus ga be 2014

by Wil helm Gold mann Ver lag, Mün chen,in der Ver lags grup pe Ran dom House GmbH

Um schlag ge stal tung: UNO Wer be agen tur, Mün chenUm schlag mo tiv: Jac ket art © 2013 Seth;

Jac ket de sign by Gail Do obi nin;Jac ket © 2013 Hac hette Book Group, Inc.

Re dak ti on: Hei ko Arn tzSatz: Buch-Werk statt GmbH, Bad Aib ling

Druck und Bin dung: CPI – Eb ner Spie gel, UlmPrin ted in Germ any

ISBN 978-3-442-31275-7www.gold mann-ver lag.de

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An: La scheVon: LSSchlag wor te: Schwarz-aus-dem-Meer, Ein zel hei ten über; Ent füh rungs fall, Er-mitt lun gen zu; Brand horst; Alarm fahn-der; Lau da num; Dop pel gän ger etc.2/4Cc: FF-HQ

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ERS TES KA PI TEL

Eine Stadt war im Spiel, und eine Sta tue war im Spiel und eine Ent füh rung. Ich war schon seit ei ner Wei le in der Stadt, und ich soll te die ent führ te Per son be-frei en, und ich dach te, ich wür de die Sta tue nie wie-der se hen. Ich war fast drei zehn, und ich lag falsch. Ich lag auf der gan zen Li nie falsch. Die rich ti ge Fra-ge wäre ge we sen: »Wie kann je mand, der ver schwun-den ist, an zwei Or ten gleich zei tig sein?« Statt des sen stell te ich die fal sche Fra ge – vier fal sche Fra gen, um ge nau zu sein. Hier ist der Be richt über die zwei te.

Es war kalt, und es war früh am Mor gen, und mein Haar ge hör te ge schnit ten. Ich has se die ses Ge fühl. Leu te mit zu lan gen Haa ren se hen aus, als wür de sich nie mand um sie küm mern. In mei nem Fall stimm te das. Nie mand küm mer te sich um mich im Wei ßen

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Tor so, dem Ho tel, in dem ich un ter ge bracht war. Mein Zim mer hieß die Fern ost sui te, wo bei es kei-ne Sui te war, und ich teil te es mir mit ei ner Frau, die S. The o do ra Mark son hieß, wo bei ich nicht wuss-te, wo für das S stand. Es war kein schö nes Zim mer, und ich hielt mich nach Mög lich keit nicht da rin auf, au ßer wenn ich schlief, zu schla fen ver such te, mich schla fend stell te oder aß. The o do ra koch te fast alle un se re Mahl zei ten selbst, wo bei »ko chen« zu hoch ge grif fen ist für das, was sie mach te: Sie kauf te Le-bens mit tel in ei nem halb lee ren La den ein paar Stra-ßen ent fernt, die sie auf ei ner klei nen Koch plat te in un se rem Zim mer auf wärm te. An die sem Mor gen hat te ich von ihr zum Früh stück ein Spie gel ei be-kom men, ser viert auf ei nem Ba de zim mer hand tuch. The o do ra ver gaß je des Mal, Tel ler zu kau fen, und schimpf te dann mit mir, weil ich zu ließ, dass sie es ver gaß. Das Ei kleb te zum größ ten Teil am Hand-tuch, des halb aß ich nicht viel da von, aber es war mir ge lun gen, ei nen Ap fel mit nicht zu vie len brau nen Stel len auf zu trei ben, und jetzt saß ich in der Hal-le des Wei ßen Tor so, den kleb ri gen Ap fel but zen in der Hand. Sonst gab es nicht viel in der Hal le. Ei-nen Mann na mens Prosper We iss gab es, der das Ho-tel lei te te und des sen Lä cheln auf mich ei nen ähn li-chen Ef fekt hat te wie eine As sel, die ei nem aus ei ner Schub la de ent ge gen ge kro chen kommt, dazu ein

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Münz te le fon, das hin ten an der Wand hing und fast im mer in Be trieb war, und die Gips sta tue ei ner Frau ohne Klei der und ohne Arme. Sie hät te ei nen Pul-lo ver ge braucht, ei nen lan gen, är mel lo sen Pul lo ver. Ich saß gern un ter ihr auf dem spe cki gen Sofa und dach te vor mich hin. Um ganz ehr lich zu sein, dach te ich an El ling ton Feint, ein Mäd chen mit selt sa men, zu Fra ge zei chen ge schwun ge nen Au gen brau en, grü-nen Au gen und ei nem Lä cheln, das al les hät te be deu-ten kön nen. Ich hat te die ses Lä cheln schon län ger nicht mehr ge se hen. El ling ton Feint war ge flüch tet, un ter Mit nah me ei ner Sta tue der Bor dun bes tie. Bei der Bor dun bes tie han del te es sich um ein furcht er-re gen des We sen aus al ten My then, um das See leu te wie Städ ter nach Mög lich keit ei nen Bo gen mach ten. Ei nen Bo gen hät te ich um El ling ton be stimmt nicht ge macht. Al ler dings hat te ich kei ne Ah nung, wo sie war oder wann ich sie wie der tref fen wür de.

Wie aufs Stich wort klin gel te das Te le fon. Ich ging ran.

»Hal lo?«Es dau er te eine Wei le, bis ihr »Gu ten Mor gen«

kam. »Gu ten Mor gen«, sag te sie, »ich ma che eine Mei nungs um fra ge auf frei wil li ger Ba sis. ›Eine Mei-nungs um fra ge‹ be deu tet, dass ich Fra gen stel le, und ›frei wil lig‹ be deu tet, dass …«

»Ich weiß, was frei wil lig be deu tet«, un ter brach ich

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sie – das ver ein bar te Zei chen. »Es be deu tet, dass ich sie be ant wor te.«

»Ganz ge nau, Sir«, sag te sie. Es hat te et was Ko mi-sches, von mei ner Schwes ter mit Sir an ge spro chen zu wer den. »Passt es Ih nen ge ra de?«

»Ja, ich kann ein paar Mi nu ten er üb ri gen«, sag-te ich.

»Die ers te Fra ge lau tet: Wie vie le Per so nen um-fasst Ihr Haus halt der zeit?«

Ich sah zu Prosper We iss hi nü ber, der auf der an-de ren Sei te der Ho tel hal le hin ter der Re zep ti on stand und sei ne Fin ger nä gel ins pi zier te. Gleich wür de er mer ken, dass ich te le fo nier te, und un ter ei nem Vor-wand nä her kom men, um bes ser lau schen zu kön-nen. »Ich lebe al lein«, sag te ich, »aber nur vo rü ber-gehend.«

»Oh, ich ver ste he. Ich ver ste he Sie nur zu gut.« Aus ih rer Ant wort schloss ich, dass sie auch nicht frei spre chen konn te. In letz ter Zeit war das Te le-fon ein sehr un si che res Kom mu ni ka ti ons mit tel, und das nicht nur, weil man be lauscht wur de. Es gab ei-nen Mann na mens Brand horst, ei nen Schur ken, der in den Mit tel punkt mei ner Nach for schun gen ge rückt war. Brand horst be saß die be un ru hi gen de Fä hig keit, Stim men al ler Art nach zu ah men, so dass man sich nie völ lig si cher sein konn te, wen man am an de ren Ende der Lei tung hat te. Man konn te sich auch nicht si cher

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sein, wo Brand horst als Nächs tes auf tau chen wür de oder was er im Schil de führ te. Et was vie le Un si cher-hei ten für mei nen Ge schmack.

»In mei nem Haus halt«, fuhr mei ne Schwes ter fort, »geht es mo men tan so gar so drun ter und drü ber, dass ich mir un si cher bin, ob ich noch in die Bib li o thek ge hen kann.«

»Es tut mir leid, das zu hö ren«, sag te ich, die ver-ein bar te For mel da für, dass es mir leidtat, das zu hö-ren. Letz tens hat ten mei ne Schwes ter und ich mit Hil fe des Fern leih sys tems der Bib li o thek kom mu ni-ziert. Jetzt teil te sie mir of fen bar mit, dass das nicht mehr mög lich sein wür de.

»Mei ne zwei te Fra ge ist: Ge hen Sie lie ber al lein ins Mu se um oder lie ber mit ei nem Be glei ter?«

»Mit ei nem Be glei ter«, sag te ich ei lig. »Ins Mu-se um soll te man grund sätz lich nicht al lein ge hen.«

»Aber wenn Sie Ih ren üb li chen Be glei ter nicht fin-den könn ten«, frag te sie wei ter, »weil er, sa gen wir, sehr weit weg wäre?«

Ich ver geu de te meh re re Se kun den da mit, auf den Hö rer in mei ner Hand zu star ren, als könn te ich durch die klei nen Lö cher hin durch bis in die Haupt-stadt se hen, wo mei ne Schwes ter ihr Prak ti kum ab sol-vier te. »Dann soll ten Sie sich ei nen an de ren Be glei ter su chen«, sag te ich, »be vor Sie ohne Be glei tung in ein Mu se um ge hen.«

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»Und wenn es kei nen an de ren ge eig ne ten Be glei-ter gäbe?«, frag te sie, und dann ver än der te ihr Ton sich plötz lich, als wäre je mand ins Zim mer ge kom-men. »Das ist mei ne drit te Fra ge, Sir.«

»Dann soll ten Sie auf Ih ren Mu se ums be such ver-zich ten«, sag te ich, aber in die sem Mo ment wur de auch ich un ter bro chen, denn die Trep pe he run ter kam S. The o do ra Mark son. Als Ers tes kam ihr Haar in Sicht, ein wil der Ver hau, als hät ten sich meh re-re Haar mäh nen in ei nan der ver keilt, dann folg te ihre rest li che Per son, lang und miss bil li gend. Es gibt vie le Rät sel, die ich nie habe lö sen kön nen, aber die Fri sur mei ner Mento rin ist wo mög lich mein ungelös tes ter Fall.

»Aber Sir …«, setz te mei ne Schwes ter an, aber ich muss te ihr das Wort ab schnei den.

»Grü ßen Sie Jacques«, sag te ich, eine For mel, die hier zwei er lei be deu te te. Die ers te Be deu tung war: Ich muss aufl e gen. Die zwei te war exakt, was der Satz be sag te.

»Da bist du ja, Snicket«, sag te The o do ra zu mir. »Ich habe dich über all ge sucht. Es geht um eine Ver-miss ten sa che.«

»Kein Grund, von ei ner Ver miss ten sa che zu re-den«, sag te ich ge dul dig. »Ich habe Ih nen doch ge sagt, dass ich run ter in die Ho tel hal le gehe.«

»Ge brauch dei nen Ver stand«, be fahl mir The o-

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do ra. »Du weißt, dass ich dir so früh mor gens nicht rich tig zu hö re, wie so stellst du dich also nicht ent-spre chend da rauf ein? Wenn du am Mor gen ir gend-wo hin willst, sag es mir am Nach mit tag vor her. Aber wo du bist oder nicht bist, ist so wie so ir re le vant. Ab so fort, Snicket, sind wir bei de Alarm fahn der.«

»Alarm fahn der?«»Alarm fahn der ist ein Aus druck, der hier so viel

be deu tet wie ›je mand, der ver miss te Per so nen fin det und sie zu rück bringt‹. Komm jetzt, Snicket, wir ste-hen un ter enor mem Zeit druck.«

The o do ra ver füg te über ei nen be ein dru cken den Wort schatz, was im rech ten Mo ment durch aus sei-nen Reiz ha ben kann. Steht man da ge gen un ter enor-mem Zeit druck, und es fal len Aus drü cke wie »Alarm-fahn der«, die im Zwei fels fall kei ner ver steht, ist ein be ein dru cken der Wort schatz eher hin der lich. An ders ge sagt, er ist läs tig. An ders ge sagt, er ist im Weg. An-ders ge sagt, er ist un will kom men. An ders ge sagt, er ist kont ra pro duk tiv. An ders ge sagt, er ist nicht sach dien-lich. An ders ge sagt, er ist da ne ben. An ders ge sagt, er nervt. An ders ge sagt, ihn braucht kei ne Sau. An ders ge sagt, er ist ein Är ger nis oder eine Hy po thek oder eine Zu mu tung oder ein Klotz am Bein oder über-flüs sig wie ein Kropf, oder er treibt ei nen zum Wahn-sinn oder die Wän de hoch, oder er bringt ei nem das Blut zum Sie den oder den Kamm zum Schwel len,

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oder er schlägt dem Fass den Bo den aus oder die Kro-ne ins Ge sicht, und wie man sieht, stiehlt er ei nem vor al lem die Zeit, die man oh ne hin nicht hat. Ich folg-te The o do ra aus dem Wei ßen Tor so zu ih rem ram-po nier ten Roads ter, der schief am Bord stein ge parkt stand. Sie rutsch te hin ters Steu er und setz te die Le-der kap pe auf, ohne die sie nie los fuhr und die mei ne Haupt ver däch ti ge in dem Rät sel um The o do ras selt-sa me Haar tracht war.

Wir wa ren in ei ner Stadt mit Na men Schwarz-aus-dem-Meer, die nicht mehr am Meer lag und sich kaum noch als Stadt be zeich nen ließ. In den Stra ßen war es still, und vie le Ge bäu de stan den leer, aber hier und da er späh te ich doch An zei chen von Le ben. Wir fuh ren am Schmeck’s vor bei, ei nem Res tau rant, das ich erst noch aus pro bie ren muss te – durchs Fens ter sah ich die Um ris se ein zel ner Früh stücks gäs te. Wir fuh ren an We ni ger De li ka tes sen vor bei, wo wir un-se re Le bens mit tel ein kauf ten, und ich sah ein, zwei Kun den die halb lee ren Re ga le ab wan dern. Im Gat-to Nero Ca ffè saß eine ein sa me Ge stalt am Tre sen und be tä tig te die Ap pa ra tu ren, die auf Knopf druck Kaf fee, Brot oder die Aus zieh trep pe zum Dach bo den aus war fen, der sich als gu tes Ver steck be währt hat te. Auf die ser Fahrt be merk te ich au ßer dem et was Neu-es in der Stadt – et was Wei ßes an den La ter nen pfos-ten und den Bret tern, mit de nen so vie le der Tü ren

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und Fens ter ver bar ri ka diert wa ren. Selbst die Brief-käs ten wa ren da mit be klebt, aber weil der Roads ter so schnell fuhr, konn te ich nur ein Wort da rauf le sen.

»Das ist eine hoch wich ti ge Sa che«, hör te ich Theo do ra sa gen. »Dass wir da mit be traut wor den sind, ver dan ken wir un se rem Er folg beim Fall der ge stoh le nen Bor dun bes tie.«

»Ei nen Er folg wür de ich das nicht ge ra de nen-nen«, sag te ich.

»Nie mand hat dich ge fragt, wie du es nen nen wür-dest«, sag te The o do ra. »Ver such, et was mehr wie dein Vor gän ger zu sein, Snicket.«

Ich hat te es satt, stän dig von dem Prak ti kan ten vor mir zu hö ren. The o do ra hat te ihn bes ser ge fun den als mich, was mich in der Ver mu tung be stärk te, dass er schlech ter ge we sen sein muss te. »Un ser Auf trag war, die Sta tue ih rem recht mä ßi gen Be sit zer zu rück-zu brin gen«, er in ner te ich sie, »aber das hat sich als ei ner von Brand horsts Tricks he raus ge stellt, und jetzt könn ten sich so wohl die Sta tue als auch der Schur ke über all be fin den.«

»In Wahr heit schmach test du doch nur die ser Elea nor hin ter her«, sag te The o do ra. »Sol che Amou-ren klei den ei nen Prak ti kan ten nicht son der lich.«

Ich war mir nicht si cher, was »Amou ren« be deu-te te, aber es klang ver däch tig, und The o do ra sag te es in dem Ton fall, in dem Leu te spre chen, wenn sie Jun-

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gen hän seln wol len, die Mäd chen als Freun de ha ben. Ich merk te, wie ich rot wur de, und ver mied es, ih ren Na men zu sa gen, der nicht »Ele anor« war. »Sie ist in Ge fahr«, sag te ich statt des sen, »und ich habe ver spro-chen, dass ich ihr hel fe.«

»Du kon zent rierst dich nicht auf die rich ti ge Per-son.« The o do ra warf mir ei nen gro ßen Um schlag in den Schoß. Au ßen an dem Um schlag be fand sich ein schwar zes, be reits auf ge bro che nes Sie gel und im In-nern des Um schlags ein ein zel nes Blatt Pa pier mit der Fo to gra fie ei nes Mäd chens, das meh re re Jah re äl ter als ich war. Ihr Haar war so blond, dass es weiß wirk te, und ihre Bril len glä ser mach ten die Au gen sehr klein. Die Glä ser fun kel ten, oder viel leicht refl ek tier ten sie auch nur den Blitz der Ka me ra. Ihre Klei der sa hen sehr neu aus, schwar ze und wei ße Strei fen, die so satt glänz ten wie bei ei nem frisch ge strie gel ten Zeb ra. Sie stand in ih rem Zim mer, je den falls hielt ich es da für, und auch in dem Zim mer wirk te al les wie neu. Ich er kann te den Rand ei nes na gel neu en Bet tes und eine na gel neue Kom mo de mit lau ter Tro phä en da rauf, die alle so neu aus sa hen, als hät te sie sie ge ra de eben ge-won nen. Die Tro phä en, die ich sonst kann te, be stan-den für ge wöhn lich aus ei nem So ckel mit ir gend einer Sport ler fi gu r da rauf. Auf den So ckeln die ser Tro phä-en hier wa ren selt sa me blit zen de Ge bil de. Sie er in-ner ten mich an Il lust ra ti o nen in ei nem Che mie buch,

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durch die die win zi gen Teil chen er klärt wer den, aus de nen sich an geb lich die Welt zu sam men setzt. Das Ein zi ge auf dem Foto, das kei nen na gel neu en Ein-druck mach te, wa ren ihr Hut, der rund und him beer-far ben war, und ihr Stirn run zeln. Sie schau te, als wür-de sie lie ber nicht fo to gra fiert wer den und als setz te sie die se un zu frie de ne Mie ne recht oft auf. Un ter dem stirn run zeln den Mäd chen stand in Groß buch sta ben ihr Name ge druckt, Miss Cleo Knight, und über ih rem Bild stand in noch grö ße rer Schrift ein an de-res Wort. Es war das Wort, das ich auf den Aus hän gen über all in der Stadt ge le sen hat te.

Ver misst.Mit dem Wort war das Mäd chen ge meint, aber es

hät te auf al les in der Stadt ge passt. El ling ton Feint war ver schwun den. The o do ras Roads ter fuhr an gan zen Stra ßen zü gen ent lang, in de nen es kein ein zi ges Ge-schäft mehr gab und an schei nend auch kei ne Be woh-ner. Ich merk te, dass wir auf das größ te Bau werk der Stadt zu hiel ten, ei nen Turm, der wie ein rie si ger Grif-fel ge formt war oder eher, sah ich jetzt, wie ein rie si-ger Fül ler. Die Stadt war ein mal be rühmt ge we sen für die Tin te, die hier her ge stellt wur de, die schwär zes te Tin te der Welt, pro du ziert von ver ängs tig ten Tin ten-fi schen, die frü her auf dem Mee res grund ge lebt hat-ten. Aber das Tal war drä niert wor den, und statt sei ner brei te te sich dort nun ein un heim li cher ge setz lo ser

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Wald aus See tang aus, der auch ohne Was ser ir gend-wie weit er leb te. Die ser Tage wa ren nur noch ei ni ge we ni ge Tin ten fi sche üb rig, die in tie fen, schacht ar ti-gen Höh len Zu flucht ge fun den hat ten, und ir gend-wann wür de nichts mehr da sein als die schim mern-den Tang strän ge des Klaus ter walds.

Bald wird al les ver schwun den sein, Snicket, sag-te ich mir. Dei ne Mento rin hat recht. Ihr steht un ter enor mem Zeit druck. Wenn ihr nicht schnells tens all dem Ver schwun de nen nach geht, wird es gar nichts mehr ge ben.

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ZWEI TES KA PI TEL

Der fül ler förm ige Turm hat te eine un er war tet klei ne Tür mit ei ner über mä ßig gro ßen Schrift da rauf. Tin ten-AG stand da, und die Klin gel hat te die Form ei nes klei nen schwar zen Tin ten kleck ses. Es war der Name des größ ten Un ter neh mens in Schwarz-aus-dem-Meer. The o do ra streck te ei nen be hand schuh-ten Fin ger aus und drück te die Klin gel sechs mal hin-ter ei nan der. Es gab kei ne Tür klin gel auf der Welt, die The o do ra nicht sechs mal hin ter ei nan der drück te, wenn sie es mit ihr zu tun be kam.

»Wa rum klin geln Sie im mer gleich sechs …«Mei ne Mento rin rich te te sich zu ih rer vol len Grö-

ße auf und nahm die Kap pe ab, da mit ihre Mäh ne sie noch grö ßer mach te. »S. The o do ra Mark son schul det nie man dem eine Er klä rung«, er wi der te sie.

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