Soziale Ungleichheit und politische Integration · dentielle Segregation entstehen immer homogenere...

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Soziale Ungleichheit und politische Integration Vier Berliner Quartiere im Vergleich Ergebnisbericht eines Projektseminars am Institut für Sozialwissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin Sommersemester 2001 bis Sommersemester 2002 Projektleitung: Prof. Dr. Hartmut Häußermann ProjektteilnehmerInnen: Blahowetz, Christoph Giersig, Nico Haase, Marina Heindel, Albrecht Hellweg, Sabine Karasek, Alexander Kast, Alexandra Kemper, Jan Lipp, Daphne Metzger, Norbert Misselwitz, Margarete Müller, Marco Niemann, Sascha Praefke, Iris Schelewsky, Marc Schmidt, Andreas K. Schroeder, Simone Streck, Rebekka Wolf, Susann Yildirim, Beyhan Berlin, Mai 2003

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Soziale Ungleichheit und politische Integration

Vier Berliner Quartiere im Vergleich Ergebnisbericht eines Projektseminars am Institut für Sozialwissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin Sommersemester 2001 bis Sommersemester 2002 Projektleitung: Prof. Dr. Hartmut Häußermann ProjektteilnehmerInnen: Blahowetz, Christoph

Giersig, Nico Haase, Marina Heindel, Albrecht Hellweg, Sabine Karasek, Alexander Kast, Alexandra Kemper, Jan Lipp, Daphne Metzger, Norbert Misselwitz, Margarete Müller, Marco Niemann, Sascha Praefke, Iris Schelewsky, Marc Schmidt, Andreas K. Schroeder, Simone Streck, Rebekka Wolf, Susann Yildirim, Beyhan

Berlin, Mai 2003

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Inhaltsverzeichnis Einleitung ..................................................................................2 1. Theoretische Einführung.....................................................4

1.1 Stadtsoziologischer Hintergrund ....................................................................... 4 1.2 Integration und Solidarität aus allgemeinsoziologischer Perspektive................ 7 1.3 Ansatz der Studie und Operationalisierung....................................................... 9

2. Methode...............................................................................13 2.1 Auswahl der Quartiere .................................................................................... 13 2.2 Methoden der Datenerhebung ........................................................................ 14 2.3 Methoden der Datenauswertung..................................................................... 15

3. Quartiere..............................................................................17 3.1. Lichtenberg .................................................................................................... 17

3.1.1 Quartiersbeschreibung ............................................................................. 18 3.1.2 Interviewauswertung................................................................................. 23 3.1.3 Fazit.......................................................................................................... 29

3.2. Wedding......................................................................................................... 31 3.2.1 Quartiersbeschreibung ............................................................................. 32 3.2.2 Auswertung der Interviews ....................................................................... 38 3.2.3 Fazit.......................................................................................................... 48

3.3. Zehlendorf...................................................................................................... 51 3.3.1 Quartiersbeschreibung ............................................................................. 52 3.3.2 Auswertung der Interviews ....................................................................... 57 3.3.3 Fazit.......................................................................................................... 66

3.4. Pankow .......................................................................................................... 69 3.4.1 Quartiersbeschreibung ............................................................................. 70 3.4.2 Auswertung der Interviews ....................................................................... 75 3.4.3 Fazit.......................................................................................................... 82

4. Ergebnis ..............................................................................85 4.1 Unterschiede und Gemeinsamkeiten in der Quartiersbeschreibung ............... 85 4.2 Partizipation .................................................................................................... 87 4.3 Politische Repräsentation des Quartiers ......................................................... 90 4.4. Vertrauen der BewohnerInnen in die Politik ................................................... 92 4.5. Solidarität, Sicht auf die Gesamtstadt, Gerechtigkeitsempfinden................... 94 4.6 Schlussfolgerungen......................................................................................... 96

5. Anhang ................................................................................99 5.1. Stichprobenbeschreibung .............................................................................. 99

5.1.1 Lichtenberg............................................................................................... 99 5.1.2 Zehlendorf .............................................................................................. 100 5.1.3 Wedding ................................................................................................. 101 5.1.4 Pankow................................................................................................... 102

5.2 Vergleich der Wahlergebnisse in allen vier Quartieren ................................. 103 5.3. Interviewleitfäden ......................................................................................... 105

5.3.1 Interviewleitfaden für BewohnerInnen .................................................... 105 5.3.2 Interviewleitfaden für GebietsexpertInnen .............................................. 108 5.3.3 Inteviewleitfaden für PolitikerInnen......................................................... 110

6. Literatur.............................................................................112

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Einleitung Die Wahlbeteiligung sinkt; von verschiedenen Seiten wird der Rückgang bürger-schaftlichen Engagements beklagt, und in einigen Berliner Stadtteilen werden pro-fessionelle QuartiersmanagerInnen eingesetzt, um die Bewohnerschaft zu aktivieren. Zugleich beklagen sich PolitikerInnen auf Bezirksebene über zu wenig Handlungs-spielraum, zu wenig Geld, zu wenig Perspektiven. Schlechte Zeiten für die Stadtpoli-tik? Oder befinden sich nur die ‚benachteiligten’ Stadtteile in einer Krise, während gleichzeitig das Leben in den wohlhabenden Bezirken blüht und das Zusammenspiel zwischen PolitikerInnen und Bewohnerschaft funktioniert? Gibt es angesichts der sehr unterschiedlichen Voraussetzungen in den verschiedenen Stadtteilen von Berlin überhaupt noch eine kohärente Stadtpolitik, ein gemeinsames Denken über die Stadt? Oder zerfällt die Stadt auch politisch in einzelne Fragmente, die kaum noch gemeinsame Identität, gemeinsame Perspektive oder Solidarität verbindet? Mit diesen Fragen beschäftigten wir, 20 Studierende der Sozialwissenschaften, uns im Rahmen eines dreisemestrigen Projektseminars mit dem Thema „Stadt und sozia-le Ungleichheit“. Resultat unserer Arbeit unter der Leitung von Prof. Dr. H. Häußer-mann ist der vorliegende Bericht. Nachdem wir uns im Sommersemester 2001 mit verschiedenen Themen und Problematiken der aktuellen Stadtentwicklung in Bezug auf Ungleichheit befasst hatten, entwickelten wir im zweiten Projektsemester das Konzept zu dieser Studie. Unsere Ausgangsüberlegungen für das Projekt reflektierten dabei einen Hintergrund, der durch den Wegfall vieler Industriearbeitsplätze und die damit verbundenen sozia-len Folgen gekennzeichnet ist. Aufgrund des sozioökonomischen Strukturwandels und der damit einhergehenden Erosion funktionaler Integrationsmechanismen in Form von Arbeitsplätzen für jedermann, kann die Stadt nicht mehr automatisch die Rolle einer „Integrationsmaschine“ (Häußermann 1995) erfüllen. Ausgehend von die-ser Feststellung hat uns vor allem die Frage beschäftigt, welche Konsequenzen sich daraus für die „Stadtgesellschaft“ ableiten lassen bzw. wie diese damit umgeht. Unsere Vermutung ging dahin, dass die „integrierte Stadtgesellschaft“ in dem Maße gefährdet ist, in dem sich die soziale Ungleichheit verstärkt. Die daraus resultierende Polarisierung in ärmere und reichere Quartiere hätte zur Folge, so unsere These, dass Entsolidarisierung und Desintegration zunehmen. Während sich die Entsolidari-sierung, die wir bei den BewohnerInnen privilegierter Quartiere erwarteten, in der Lossagung von gesamtstädtischer Verantwortung sowie in einem verstärkten Sicher-heitsdenken und in Angst vor „gefährlichen Klassen“ ausdrückt, dürfte sich in eher benachteiligten Quartieren ein Vertrauensverlust in Form politischer Frustration be-merkbar machen. Somit wäre zu erwarten, dass sich das Auseinanderdriften der „Stadtgesellschaft“ auf auf der politischen Entscheidungsebene bspw. in Form unter-schiedlicher Partizipation zeigt. Somit würde sich die Fragmentierung der Stadt auch auf politischer Ebene widerspiegeln. Die Integration der BewohnerInnen lässt sich auf verschiedenen Ebenen untersu-chen, beispielsweise auf der Ebene der Integration über den Arbeitsmarkt oder in Form von Integration in einer soziokulturellen Gemeinschaft. Wir nehmen an, dass sich die Konsequenzen von Entsolidarisierung und Vertrauensverlust auf der politi-

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schen Ebene widerspiegeln und haben uns für die Analyseebene ‚politische Integra-tion’ entschieden, um Erkenntnisse über den Grad der Integrationsfähigkeit der Stadt bzw. den Stand ihrer Fragmentierung zu erhalten. Bei der politischen Integration wa-ren uns zudem zwei Aspekte wichtig: Einerseits hat uns interessiert, wie die jeweili-gen Quartiere und ihre BewohnerInnen faktisch im Hinblick auf Entscheidungspro-zesse politisch repräsentiert sind. Andererseits wollten wir wissen, wie groß das Ver-trauen der BewohnerInnen in ihre politische Repräsentation ist, inwiefern sie sich an Entscheidungsprozessen beteiligen und wie sie die „solidarische Stadtgesellschaft“ wahrnehmen. Unser zentrales Forschungsinteresse gilt somit vorrangig der Beant-wortung der Frage, ob es in Berlin empirische Anhaltspunkte für Desintegration und Entsolidarisierung gibt. Um der früheren Teilung der Stadt gerecht zu werden, haben wir beim Quartiersvergleich neben der Einkommensdimension (benachteiligt / privile-giert) die Ost-West-Dimension mit einbezogen. Wir haben unsere Recherchen daher in zwei Ost- und zwei Westquartieren durchgeführt. Die Quartiere wurden aufgrund von Sozialstrukturdaten sowie von Daten zur Wahlbeteiligung ausgewählt und befin-den sich in Lichtenberg (Ost / benachteiligt), Wedding (West / benachteiligt), Pankow (Ost / privilegiert) und Zehlendorf (West / privilegiert). Die ersten empirischen Erhebungen unternahmen wir im Winter 2001/02, indem wir anhand von Quartiersbegehungen und -beobachtungen sowie statistischen Daten zur Bevölkerung eine Quartiersbeschreibung anfertigten. Nachdem wir uns während eines Wochenendseminars im Spreewald die Quartiere gegenseitig vorgestellt und die verschiedenen Interviewleitfäden redigiert hatten, konnten im Februar die Termi-ne für die Interviews mit BezirkspolitikerInnen, weiteren GebietsexpertInnen und Be-wohnerInnen vereinbart werden. Die Gespräche fanden während der vorlesungsfrei-en Zeit statt und waren Ende Juni so weit verarbeitet, dass wir damit beginnen konn-ten, die jeweiligen Quartiersergebnisse auszuwerten und miteinander zu vergleichen. Letzteres fand wiederum auf einem Wochenendseminar, diesmal im Oderbruch, statt. Während der zwei intensiven Semester arbeiteten wir sowohl in verschiedenen Arbeitsgruppen als auch immer wieder im Plenum zusammen. Entsprechend der An-zahl der untersuchten Quartiere hat jeweils eine Arbeitsgruppe, bestehend aus fünf Personen, ein Quartier bearbeitet. Im Rahmen der Auswertung bildeten sich entspre-chend zu den verschiedenen Themenkomplexen neue Gruppen, in denen aus jeder Quartiersgruppe jemand vertreten war. Dieser Bericht gliedert sich in vier Teile. Im ersten Teil wird die Fragestellung des Forschungsprojekts entwickelt. Die Methodik der Forschung und die Auswahl der Quartiere werden im zweiten Teil erläutert. Im dritten Teil werden anschließend die Ergebnisse aus allen vier Quartieren vorgestellt und ausgewertet. Schließlich werden im vierten Teil die Quartiere miteinander verglichen und das Ergebnis der Studie vor-gestellt. Es sei an dieser Stelle erwähnt, dass die einzelnen Teile des Berichts aus der Feder unterschiedlicher AutorInnen stammen. Aus diesem Grund ließ sich eine gewisse stilistische Uneinheitlichkeit daher nicht vermeiden. Die Arbeit in den unterschiedlichen Gruppen sowie während der Wochenendsemina-re und wöchentlichen Treffen im Plenum hat auch Spaß gemacht. Die entspannte Arbeitsatmosphäre lag dabei ebenso an den arbeitsfreudigen Studierenden, wie an der geduldigen Betreuung, mit der uns Hartmut Häußermann während der drei Se-mester zur Seite stand.

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1. Theoretische Einführung

1.1 STADTSOZIOLOGISCHER HINTERGRUND Die Spaltung der Stadt Seit Mitte der 70er Jahre vollzieht sich ein fundamentaler Wandel in den Städten. Der Wandel von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft führt dazu, dass Städte, die bis zu dieser Zeit ihre Funktion als Integrationsmaschinen der Gesellschaft erfül-len konnten, dieser Aufgabe nicht mehr nachkommen können. Als Folge tauchen in der Stadtsoziologie immer häufiger Schlagworte wie die „gespaltene Stadt“ (v. Frey-berg 1996) oder die „dreigeteilte Stadt“ (Häußermann/ Siebel 1987) auf, welche die negativen Folgen dieser Krise beschreiben. Die heutigen Städte haben offensichtlich mit Problemen zu kämpfen, von denen man vor einigen Jahrzehnten glaubte, sie würden endgültig der Vergangenheit angehören. Das Modell der auf Interessenaus-gleich ausgerichteten sozialen Stadt stößt an seine Grenzen, da die Systemvoraus-setzungen (die sich wechselseitig abstützenden Kohärenzen des Fordismus) zu-nehmend untergraben werden. Dies ist für Städte um so problematischer, da sie ge-sellschaftliche Beziehungen in verdichteter Form widerspiegeln. Somit werden in Städten generelle gesellschaftliche Trends verstärkt sichtbar: Der sozioökonomische Wandel und die damit verbundene Deindustrialisierung und Tertiarisierung der Produktion führen zu einem Abbau von Industriearbeitsplätzen, der vom Dienstleistungssektor nicht vollständig kompensiert wird. Die Arbeitslosen-zahlen steigen an. Vielen der ehemaligen IndustriearbeiterInnen fehlen die notwen-digen Qualifikationen, um im Dienstleistungssektor arbeiten zu können. Im tertiären Sektor hingegen bildet sich eine Kluft zwischen den Einkommen: Die meisten Dienst-leistungsberufe werden relativ gering entlohnt; demgegenüber stehen wenige Jobs, die sehr hoch bezahlt werden. Dadurch beginnt die Schere zwischen Arm und Reich stärker auseinander zu klaffen. Diese zunehmende soziale Spaltung führt in der Stadt dazu, dass sich Segregationsprozesse verschärfen. Soziale Segregation ist zwar schon seit langem bekannt, bekommt so jedoch eine neue Qualität. Durch resi-dentielle Segregation entstehen immer homogenere Milieus, die räumlich so stark voneinander getrennt sind, dass sich der Sozialraum Stadt grundlegend verändert. Verschiedene Milieus differenzieren sich räumlich immer weiter aus; die Gesamtstadt zerfällt zunehmend in einzelne Quartiere. Kontakte zwischen den immer homogener werdenden Milieus nehmen dadurch ab. Die BewohnerInnen einzelner Quartiere i-dentifizieren sich immer weniger mit anderen Quartieren und sehen sich immer weni-ger als Teil der Gesamtstadt. Besonders die BewohnerInnen der Oberschicht neigen dazu, sich aus Angst vor Konflikten aus sozial heterogenen Quartieren zurückzuziehen. Die soziale Kohäsion und Solidarität zwischen den unterschiedlichen Bevölkerungsschichten lässt nach. Hinzu kommt, dass die Städte immer geringere Handlungsspielräume besitzen, um die Integrationsmaschine Stadt zu finanzieren und mit geeigneten Maßnahmen funk-tionsfähig zu erhalten und dass sie im Zuge des neoliberalen Paradigmenwechsels zunehmend andere Prioritäten setzen und sich Marktmechanismen unterwerfen. Hengsbach und Heitmeyer haben diesen Funktionswandel der Stadt analysiert und zwei in der Forschung kontrovers diskutierte Hypothesen dazu aufgestellt.

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Die Entsolidarisierungshypothese Hengsbachs Hypothese (Hengsbach 1997: 220ff.) besagt, dass die beschriebene Zunahme der ökonomischen Polarisierung die soziale Spaltung der Gesellschaft ver-tieft. Die Bereitschaft, solidarisch zu handeln und soziale Ungleichheit auszugleichen, nimmt ab. Weder die ökonomische Elite noch der Staat zeigen den politischen Wil-len, asymmetrische Einkommens- und Vermögensverteilungen zu korrigieren und damit eine Chancengleichheit zu gewährleisten. Durch den Neoliberalismus wurde der alte Gesellschaftsvertrag aufgekündigt. Der Wohlfahrtsstaat zieht sich aus seiner Verantwortung zurück, das Sozialsystem differenziert sich immer weiter aus. Der Staat stellt nur noch eine Grundversorgung zur Verfügung und kümmert sich nur noch um defizitäre, aber gesellschaftlich unverzichtbare Segmente, während private Anbieter rentable Segmente übernehmen und hier marktwirtschaftliche Spielregeln einführen. Damit wird die soziale Polarisierung zementiert: Besserverdienende, die sich mit eigenen Mitteln absichern können, weigern sich, zusätzliche Kosten für sozi-al Schwache mit zu übernehmen. In Form zunehmender Verteilungskonflikte zeigt sich eine wachsende Entsolidarisierung zwischen GewinnerInnen und VerliererInnen des Strukturwandels. Diese Diagnose steht in Zusammenhang mit der These einer sozialräumlichen Spaltung der Stadt. Wenn die Stadt aus GewinnerInnen und Verlie-rerInnen besteht und sich die BewohnerInnen reicher Quartiere von ihrer Verantwor-tung lossagen, kann von einer solidarischen Stadtgesellschaft keine Rede mehr sein. Die Desintegrationshypothese Nach Heitmeyer (1997) befindet sich der Staat in einer Regulationskrise: Seine Maß-nahmen, um soziale Ungleichheit zu regulieren und das Modell der sozialen Stadt zu verwirklichen, werden im Wandel der faktischen Gegebenheiten zunehmend wir-kungslos. Denn die sozialen Normen haben sich seit den 70er Jahren derart plurali-siert, dass Maßnahmen nur schwer auf die unterschiedlichen Lebensmodelle der Be-völkerung „passen“. Gleichzeitig lösen sich soziale Bindungen im Zuge der Individua-lisierung zunehmend auf oder schwächen sich ab, so dass Netzwerke zerstört wer-den (Kohäsionskrise). Struktur-, Regulations- und Kohäsionskrise führen dazu, dass sich die Menschen immer weniger in einem sinnvollen Ganzen integriert fühlen. Da-bei lassen sich analog zu Heitmeyer drei Dimensionen von Integration unterschei-den: 1. Ob man in einer Gesellschaft als System integriert ist, ist vor allem eine Frage

des individuellen Gefühls. Dazu bedarf es der Anerkennung durch Andere, die ei-nem das Gefühl vermitteln, dazu zu gehören und integriert zu sein. Dies setzt in der Regel einen gewissen Status voraus, der sich vor allem über den Beruf, eine eigene Wohnung und Bildung definiert.

2. Daneben gibt es die Ebene sozialer Integration. Damit ist die Binnenintegration und Anerkennung in einer Gemeinschaft, wie etwa in der Familie oder im Freun-deskreis, gemeint. Sozial integriert ist, wer prinzipiell am öffentlichen Leben teil-nehmen kann und dabei moralische Gleichbehandlung genießt.

3. Zuletzt sprechen wir – in Ergänzung zu Heitmeyer – von politischer Integration, die wir weiter unten (siehe 1.3 Ansatz der Studie und Operationalisierung) ausdif-ferenzieren.

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Alle drei Ebenen der Integration sind durch die Struktur-, Regulations- und Kohäsi-onskrise in Gefahr. Der Wegfall von Arbeitsplätzen durch die Strukturkrise verhindert, dass sich Menschen über ihren Beruf in die Gesellschaft integrieren. Damit werden auch die Anerkennungschancen verknappt. Wer arbeitslos ist, fühlt sich ausge-schlossen und nicht zuletzt von der Mehrheitsgesellschaft stigmatisiert. Durch die Regulationskrise fallen Integrationsangebote, die der Staat früher zur Verfügung stellte, weg oder sie sind ineffizient geworden. Durch die Kohäsionskrise wird Integ-ration am stärksten bedroht: Von der familiären Gemeinschaft bis hin zur anonymen Gesellschaft erodiert die Bereitschaft, soziale Verantwortung füreinander zu über-nehmen und sich in Netzwerken zu engagieren, in denen der Einzelne integriert ist. Soziale Anerkennung wird damit zunehmend zum knappen Gut. Wer sich subjektiv nicht anerkannt fühlt, akzeptiert jedoch auch nicht freiwillig die sozialen Normen, die bis dahin als selbstverständlich galten. Aus einem Mangel an subjektiver Anerken-nung resultieren Verlusterfahrungen und eine Schwächung des Selbstwertgefühls. Das Gefühl, ungerecht behandelt zu werden, kann zu der Suche nach „Sündenbö-cken“ führen. Desintegration ist für Heitmeyer damit die Ursache für zahlreiche sozia-le Probleme: für anomisches Verhalten, Kriminalität, Gewalt, Fremdenhass und der Zunahme von Rechtsextremismus. Schlussfolgerungen Für die theoretische Fundierung unserer Studie sind Hengsbachs und Heitmeyers Hypothesen in vieler Hinsicht relevant. Die Stadt ist den Prozessen der Desintegrati-on und Entsolidarisierung besonders stark unterworfen. Durch soziale Segregation entstehen sozial homogene Quartiere. Eine soziale Entmischung sorgt für Entsolida-risierung und eine Abnahme an Integrationskräften. Die GewinnerInnen des Struk-turwandels verfügen über die Möglichkeit, sich in homogene Quartiere zurückzuzie-hen und sozialen Konflikten weitgehend aus dem Weg zu gehen. Bei den Verliere-rInnen des Strukturwandels herrschen ein Gefühl der Ohnmacht und zunehmendes anomisches Verhalten vor, da ihre Chancen, sich in das System zu integrieren, aner-kannt zu werden und aktiv zu partizipieren, relativ gering sind. Ein Minimum an Solidarität und Integration ist die Grundvoraussetzung für das Funk-tionieren sowohl der Stadt als auch der Gesellschaft insgesamt. Werden Solidarität und Integration dauerhaft zerstört, kann die Stabilität des gesellschaftlichen Systems und der Stadt als Gesamtverband ernsthaft bedroht werden.

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1.2 INTEGRATION UND SOLIDARITÄT An dieser Stelle bietet sich ein Exkurs an über die Frage, was mit Integration und Solidarität gemeint sein kann und welche Konzepte die Soziologie dazu bereitstellt. Nicht zuletzt soll damit auch der Horizont dargestellt werden, in welchem sich diese Studie bewegt. Man kann verschiedene Ebenen von Integrationsmechanismen unterscheiden. „Auf einer ersten Ebene der Unterscheidung lässt sich Integration ökonomisch, politisch, solidarisch und kulturell begreifen. Darüber hinaus ist die systemische von der sozia-len Integration zu unterscheiden" (Münch 1997:66) Diesem Ansatz, der die funktiona-le Differenzierung zum Ausgangspunkt unterschiedlicher Ebenen macht, ist auch die vorliegende Studie verbunden. Mit dem Hinweis auf eine interne Differenzierung der Integration ist allerdings noch keine Aussage darüber getroffen, was mit dem Begriff an sich gemeint ist. In soziologischen Wörterbüchern ist diesbezüglich meist die Re-de von der Einheit sozialer Systeme, welche aus einzelnen Personen oder Gruppen bestehen (vgl. Schoeck 1969). Aber nicht nur die Einheit wird betont, sondern vor allem die Vervollständigung bzw. Wiederherstellung der Einheit, die genaue Definiti-on der Positionen der Elemente und dass diese auf Dauer gestellt werden muss. Diese Darstellung kommt unserer Frage schon näher. Liest man die Definition von der anderen Seite, so wird deutlich, wann Integration erst zum Thema wird, nämlich dann, wenn die Einheit des Systems in Gefahr ist bzw. wenn diese zu zerfallen scheint, sei es nun Gesellschaft, Stadt usw. Vor diesem Hintergrund ist es auch nicht verwunderlich, dass der Begriff erst dann wirklich in der Diskussion auftauchte, vor allem als Thema der soziologischen Pro-fession, als die Welt begann, nicht mehr als eine Einheit zu erscheinen, sondern sich verschiedene Systeme ausdifferenzierten, deren Zusammenhalt nicht von vornherein gesichert schien. Integration ist demnach untrennbar mit funktionaler Differenzierung verbunden, mit der Ausdifferenzierung der modernen, arbeitsteiligen Gesellschaft. Wie wurde die Welt wahrgenommen? Die Emanzipation des industriellen Bürgertums spätestens seit dem 19. Jahrhundert stellt dahingehend ein wichtiges Schwellenereignis dar. Die Abspaltung der Wirt-schaft von der „einen" Welt im Zuge der industriellen Revolution vollzog sich in einem solchen Tempo und vor allem mit einer Vielzahl sozialer Probleme, dass es nahe lag, diese Entwicklung als Zerfall zu verstehen. Während liberale Wirtschaftstheoretike-rInnen auf die Selbstheilungsmechanismen des Marktes vertrauten und somit den Markt als Konzept für Gesellschaft überhaupt etablieren wollten, beschrieben Früh-sozialistInnen oder auch frühe SoziologInnen diese Situation anders. Es entstand u.a. die Idee, dass Technisierung und Ökonomisierung in ihrem Selbstlauf die Ge-meinschaft der Subjekte gefährde, was in der Form der Unterscheidung von Gesell-schaft und Gemeinschaft von Tönnies in die Diskussion eingeführt wurde (Tönnies 1887/1963). Dass ein Mehr an Technisierung (Gesellschaft) zu einem Weniger an sozialem Zusammenhalt führe (Gemeinschaft) und letzterer daher gefördert werden müsse, wurde nicht von allen TheoretikerInnen geteilt, ist aber dennoch bis heute fundamental für ganze Theorierichtungen.1 Die Gesellschaft wurde nicht mehr als eine vorherbestimmte, unteilbare Einheit wahrgenommen; es wurde nicht nur gefragt, unter welchen Umständen die Menschen sich überhaupt zu einer Gesellschaft zu-

1 siehe Habermas´ Terminus der „Kolonisierung der Lebenswelt" durch Systeme, Habermas 1995

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sammenschließen,2 sondern es wurden Ebenen konzipiert, auf denen Einheit produ-ziert werden konnte. Integration wurde also als notwendig angesehen und spätes-tens seit Parsons ist sie als Konzept in der Soziologie fest etabliert. Gesellschaft, oder allgemeiner das Sozialsystem, ist bei Parsons ein Subsystem des menschlichen Handelns, dem die Funktion zukommt, das Handlungssystem zu integ-rieren. Die Operation des Sozialsystems ist die Interaktion, und diese kennt wieder-um verschiedene interne Integrationsmechanismen: „Die Entität der Gesellschaft [...] wollen wir die gesellschaftliche Gemeinschaft nennen. Als solche wird sie sowohl durch ein normatives Ordnungssystem als auch durch Status, Recht und Verpflich-tungen der Mitglieder konstituiert [...].“ (Parsons 1975: 21). Parsons sieht in einem Wertesystem den eigentlichen Kern gesellschaftlicher Ordnung und steht damit grundsätzlich in der Tradition von Tönnies, aber auch von Durkheim. Es wird deut-lich, dass die Unterscheidung Gesellschaft/Gemeinschaft nicht mehr ausreicht, um die gesellschaftliche Komplexität zu beschreiben. Neben der Wirtschaft emanzipier-ten sich weitere Systeme, wie z.B. das Recht und die Politik, die jeweils eigene Integ-rationsmechanismen ausbildeten. Aus der Arbeitsteilung (bei Durkheim) wurde funk-tionale Differenzierung, und diese multipliziert die Integrationsmechanismen. Gleich-wohl wird oft der Sozialintegration in Form gemeinsam geteilter Werthorizonte ge-steigerte Aufmerksamkeit zuteil, im Sinne Parsons als zentral ordnender Mechanis-mus. Diese besondere Betonung der normativen Orientierungen scheint sich aus der Überlagerung der verschiedenen Ebenen zu ergeben, den Erfordernissen funktiona-ler Differenzierung einerseits und der System/Lebensweltidee andererseits. Letztere ist in der Diskussion heute üblicherweise als die Unterscheidung zwischen sozialer Integration und Systemintegration präsent.3 Die moderne soziologische Systemtheorie sieht keine Notwendigkeit, Integration als Problem zu behandeln; sie geht im Gegenteil schlicht von deren Existenz aus. Eine Gesellschaft ist von vornherein integriert, sonst wäre sie keine. Die Frage lautet dann nicht, wie Integration erreicht werden kann, sondern welche Form der Integration zu beobachten ist. Auch vermeidet diese Richtung die Unterscheidung von System- und Sozialintegration. Sie geht vielmehr davon aus, dass Integration den Zustand be-schreibt, in dem die gesellschaftlichen Subsysteme miteinander strukturell gekoppelt sind.4 Dies vermeidet implizit eine Bewertung der Integration, d.h. Integration ist nicht automatisch der Desintegration vorzuziehen. Diese Positionen stoßen bei einer Rei-he von SoziologInnen auf scharfe Kritik. So sieht Kaufmann (1997) die differenzie-rungstheoretischen Aspekte bei Luhmann überbewertet und hält dessen Integrati-onsdefinition für nicht problemrelevant. „Das einheitsstiftende soziale Band ist keine Notwendigkeit soziologischer Theorie, sondern ein Postulat gesellschaftlicher Pra-xis.“ (Kaufmann 1997:11). Er glaubt, dass Luhmann hinter den Erkenntnissen Par-sons zurück bleibe und betont ähnlich wie Hengsbach und Münch die Notwendigkeit eines handlungsleitenden Normenhorizonts. Letzterer sieht die systemische Integra-tion als Teilleistung gesellschaftlicher Integration. Er geht davon aus, dass man dem Problem nur näher kommen kann, wenn die verschiedenen Ansätze parallel betrach-tet werden. So ist neben der ökonomischen und politischen auch die kulturelle Integration von Bedeutung (was der Sozialintegration nahe kommt). Außerdem beleuchtet er noch 2 so wie sich die neuzeitlichen VertragstheoretikerInnen fragten 3 vgl. Lockwood 1970, ursprünglich eingeführt in die Debatte um den Wandel institutioneller Strukturen sozialer Systeme im Streit um den Funktionalismus 4 siehe Luhmann 1998, S. 601 ff.

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einen Zusammenhang, der in der Diskussion bisher zu kurz gekommen ist. Er geht neben allen anderen Formen von der Notwendigkeit bzw. der Möglichkeit einer soli-darischen Integration aus, der Möglichkeit also, dass soziale Kohäsion durch solida-risches Handeln erzeugt wird. Damit erscheint Solidarität als Integrationsmechanis-mus, und als solcher wird er auch spätestens seit Durkheim verstanden. Durkheim beschrieb den Übergang von ständischen zu modernen Gesellschaften als den Ü-bergang von mechanischer zu organischer Solidarität. Das meint nicht, dass die eine die andere ersetzt hat, vielmehr entstand mit der Arbeitsteilung eine neue Möglichkeit der Solidarität, eine, die sich nicht aus einer Gemeinschaft und deren Traditionen ableitet, sondern die in der Möglichkeit besteht, interessengeleitet an der Arbeitstei-lung zu partizipieren. „Die wahre Funktion der Arbeitsteilung ist die Erzeugung eines Solidaritätsgefühls zwischen Personen.“ (Durkheim 1988: 102). Zwischen morali-scher und interessengeleiteter Solidarität wird bis heute üblicherweise unterschieden, was an die Unterscheidung zwischen Systemintegration und Sozialintegration erin-nert. Wird Solidarität als Integrationsdimension aufgefasst, so ist zu untersuchen, inwie-weit das soziale Gebilde Stadt Solidarität bereitstellt, inwieweit Solidarität themati-siert, gefordert und erlebt wird. Warum ist gerade bei dem Thema Stadt sooft die Re-de von Solidarität? Der Grund hierfür liegt sicherlich in der Geschichte der Stadt be-gründet und da vor allem im europäischen Mittelalter, als sich die Stadt zu emanzi-pieren begann. Sie erscheint im Nachhinein als Einheit selbständiger Bürger, welche den Werten der Freiheit verpflichtet und vor allem ihre Privilegien erhaltend solida-risch zusammenhielten. Das ländliche Feudalsystem als Gegenüber und auch die räumliche Nähe verstärkten diese Solidarität über die bloßen Interessen hinaus, so dass die städtischen Werte und die Gemeinschaft an sich zu einem moralischen Gut werden konnten. Dies hat zur Folge, dass Stadt heute noch oft als Solidargemein-schaft verstanden bzw. gewünscht wird, in der man dem Anderen schon aufgrund der Zugehörigkeit zur selben Gemeinschaft solidarisch verbunden ist. Nun hat die Stadt erhebliche Wandlungen erfahren; die Stadtgesellschaft braucht sich nicht mehr gegenüber einem anderen System zu behaupten; außerdem haben Städte erhebliche Ausmaße angenommen Die Frage stellt sich dann, ob und wenn ja in welcher Form Solidarität heute noch zu beobachten ist. Existiert ein abstraktes Zusammengehörigkeitsgefühl oder hat es einfach Vorteile, sich solidarisch im Sinne eines Interessenausgleiches zu verhalten? Ist Solidarität operativ an Integration in der Stadt beteiligt?5

1.3 KONZEPT DER UNTERSUCHUNG UND OPERATIONALISIERUNG Fragestellung Theorien zur sozialen Ungleichheit in der Stadt und Thesen über die zunehmende Desintegration und Entsolidarisierung in der Stadtgesellschaft bildeten den theoreti-schen Bezugsrahmen, in dem wir die Fragestellung dieses Projekts entwickelten. Wenn Desintegration und Entsolidarisierung tatsächlich zunehmen, wird dadurch nicht nur das politische System destabilisiert, sondern auch dessen Legitimität grund-legend in Frage gestellt. Damit stellt die „Fragmentierung der Stadt“ auf lange Sicht eine Gefahr für die Demokratie dar. Mit politischer Fragmentierung ist gemeint, dass 5 Luhmann, Niklas: Die Gesellschaft der Gesellschaft, Suhrkamp, Frankfurt/M., 1998

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eine Gesamtstadt politisch immer stärker in voneinander unabhängige Teile zerfällt und sich die BewohnerInnen nicht mehr auf die Gesamtstadt als solidarischen Ver-band beziehen.6 In Folge dieser Fragmentierung gibt es eine soziale Polarisierung in GewinnerInnen und VerliererInnen: GewinnerInnen dieser Entwicklung wären BewohnerInnen „rei-cher“ Quartiere, die aufgrund besserer Ressourcen ihre Interessen auch besser rep-räsentieren können und sich am politischen Prozess beteiligen. VerliererInnen wären BewohnerInnen „armer“ Quartiere, die das aufgrund mangelnder Ressourcen nicht können und sich vom politischen System abwenden. Dieser Teil der Bevölkerung wird vom politischen Prozess ausgeschlossen und politisch nicht vertreten. Damit steht die repräsentative Demokratie in Frage. Wenn die Ressourcen darüber mitbestimmen, ob man zu den VerliererInnen oder GewinnerInnen gehört, kommt zwar dem Quartier, in dem man lebt, eine Schlüssel-rolle zu; uns interessierte jedoch vor allem, welche Funktion der Stadt als Ort von Desintegration und Entsolidarisierung zukommt. In Berlin ist das Problem politischer Desintegration darüber hinaus besonders interessant, weil sich eine anhaltende poli-tische Spaltung in Ost und West in den Wahlergebnissen manifestiert. Unsere Frage lautet daher, wie einzelne von uns ausgewählte Quartiere in Berlin über den Grad politischer Integration der BewohnerInnen mitbestimmen. Wenn wir den Grad politi-scher Integration untersuchen, unterscheiden wir drei Ebenen: Formal integriert ist, wer das Wahlrecht besitzt und nutzt. Subjektiv integriert ist, wer sich darüber hinaus mit dem politischen System identifi-ziert und dessen Wirksamkeit und Sinnhaftigkeit vertraut. Aktiv integriert ist, wer selbst am politischen Prozess teilnimmt. Das eigene Engage-ment werten wir als höchste Stufe politischer Integration. Ressourcen sind ungleich in der Stadt verteilt. Die Politik ist jedoch verfassungsrecht-lich dazu verpflichtet, gleiche Lebenschancen zu schaffen und soziale Ungleichheit zu verringern. Eine weitere Frage dieser Projektarbeit lautet daher, ob der Staat sei-ne Möglichkeiten nutzt, um dieses Ziel z.B. durch interregionale Ausgleichsmecha-nismen zu erreichen. Die Befragten Wir untersuchten den politischen Prozess im Quartier auf zwei unterschiedlichen E-benen. Einerseits wollten wir beschreiben, wie der politische Prozess in einzelnen Quartieren de facto stattfindet. Andererseits wollten wir herausfinden, wie dieser Pro-zess von den BewohnerInnen wahrgenommen wird und somit ihre normativen Ein-stellungen erfragen. Um die Repräsentation eines Quartiers und den politischen Pro-zess im Quartier zu beschreiben, befragten wir außerdem PolitikerInnen und Ge-bietsexpertInnen. Repräsentation kann von zwei Seiten aus stattfinden: Von unten, also etwa von Bürgerinitiativen, und von oben, d.h. durch PolitikerInnen. Unter dem Grad der Repräsentation verstehen wir, wie oft ein Quartier auf der Agen-da in politischen Gremien steht und wie „für das Quartier“ Politik gemacht werden kann. Gut repräsentiert ist ein Quartier, wenn PolitikerInnen dessen Probleme ken-nen, diese ernst nehmen und Lösungsvorschläge auch in der Konkurrenz zu Prob- 6 Damit wird nicht impliziert, dass die Stadtgesellschaft in einer unbestimmten Vergangenheit voll-kommen solidarisch gewesen sein muss. Die These beschreibt lediglich einen Entwicklungsprozess, in dem die Solidarität der Stadtgesellschaft abnimmt.

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lemen aus anderen Quartieren durchsetzen können. Umgekehrt wird ein Quartier schlecht repräsentiert, wenn PolitikerInnen die Probleme der Bevölkerung gar nicht kennen, nicht relevant finden oder Lösungsvorschläge nicht durchsetzen können, etwa weil andere Themen wichtiger erscheinen. In Interviews fragten wir daher Politi-kerInnen, VertreterInnen in den Bezirksverordnetenversammlungen und im Abgeord-netenhaus, mit welchen Themen die untersuchten Quartiere auf der politischen A-genda standen, wie Probleme wahrgenommen und behandelt wurden, wie effizient Probleme gelöst werden konnten und wo sich Widerstände regten, weil etwa andere Prioritäten gesetzt wurden. Auf der anderen Seite interessierte uns, inwieweit die BewohnerInnen selbst versuchen, ihre Interessen durchzusetzen. Wir sprachen mit Bürgerinitiativen und fragten nach dem Erfolg ihrer Arbeit. Wir befragten auch BewohnerInnen zu ihrer Kenntnis von und zu ihrem Vertrauen in die Repräsentation des Quartiers und in das politische System im Allgemeinen. Al-lerdings befragten wir nur BewohnerInnen, die auch das Wahlrecht besitzen.7 Dabei operationalisierten wir Identifikation und Vertrauen durch die Kenntnis der politischen Gremien sowie der Probleme und der Initiativen im Quartier. Wir fragten, ob sie die Möglichkeiten, am politischen Prozess zu partizipieren, kennen, sie sinnvoll finden, nutzen und unter welchen Voraussetzungen sie sich selbst engagieren würden. Außerdem interessierte uns, wie die BewohnerInnen das Problem sozialer Ungleich-heit wahrnehmen, ob sie sich mit Berlin als Gesamtstadt identifizieren und wie sie den Werten Gerechtigkeit und Solidarität gegenüber eingestellt sind. Sind Bewohne-rInnen reicher Quartiere bereit, solidarisch zu handeln? Wie lauten die Forderungen von BewohnerInnen armer Quartiere an Politik und Gesellschaft? Welches Bild ha-ben die BewohnerInnen von anderen Quartieren? Gibt es eine Identifikation mit Ber-lin als Gesamtstadt und ein Verantwortungsgefühl dafür, wie sich Berlin als Gesamt-stadt entwickelt, oder dominieren Abgrenzungen und Stereotypisierungen gegenüber anderen Bezirken und Quartieren?

Die Vergleichsperspektive Um die politische Fragmentierung der Stadt zu untersuchen, haben wir vier Quartiere ausgewählt, bei denen wir signifikante Unterschiede hinsichtlich politischer Reprä-sentation, politischer Integration und der normativen Einstellungen der BewohnerIn-nen annahmen, weil sie über unterschiedliche Ressourcen verfügen. Wie unter-schiedlich diese Ressourcen ausfallen, werden die folgenden Quartiersbeschreibun-gen der vier Quartiere deutlich machen. Bei unserer Quartiersauswahl spielten zwei Vergleichslinien eine Rolle. Zum Einen stellen wir „arme“ und „reiche“ Quartiere ge-genüber. Wie wir bei der anschließenden Begründung der Quartiersauswahl zeigen, lassen sich anhand statistischer Daten deutlich reiche und arme Quartiere ausma-chen, die in sich sozialstrukturell relativ homogen sind. Im öffentlichen Bewusstsein ist auch verankert, welche Quartiere zu den reicheren und welche zu den ärmeren gehören. Da wir Berlin untersuchen, wollten wir eine zweite Vergleichsperspektive mit einbe-ziehen: Wir wählten Quartiere aus dem östlichen und aus dem westlichen Teil der Stadt aus. Der Ost-West-Unterschied ist in Berlin so relevant, dass man ihn nicht ein-fach ignorieren kann, wenn man die Einstellungen zu politischen Themen untersu- 7 Dies führte nur in einem ausgewählten Quartier zu einem Problem: Im Wedding gibt es einen hohen AusländerInnenanteil. Da diese BewohnerInnengruppe politisch formal nicht integriert ist, wurde sie in unserer Datenerhebung ausgeklammert. Wir befragten aber BewohnerInnen mit doppelter Staatsbür-gerschaft.

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chen möchte. Somit ergeben sich vier Quartierstypen: Ein reiches West-, ein reiches Ost-, ein armes West- und ein armes Ostquartier. Auch wenn wir die Ergebnisse für jedes Quartier zunächst einzeln vorstellen, liegt erst im Vergleich der vier Quartiere der Ertrag dieser Arbeit. Denn wie sich in unseren Hypothesen gleich zeigen wird, wollen wir die unterschiedlichen Chancen in verschiedenen Quartieren belegen. Hypothesen Unsere Untersuchung ist nicht hypothesentestend, sondern explorativ angelegt. Wir verstehen sie als Pilotstudie, die weiteren Untersuchungen Vorarbeit leisten soll. Selbstverständlich hatten wir bei der Planung unserer Studie dennoch Erwartungen, die wir an dieser Stelle vorstellen und festhalten. Unsere Hypothesen lauteten: - In armen Quartieren herrscht tendenziell eine Zunahme an politischer Frustration,

ein Verfall an sozialen Normen, eine Anklage an die Reichen und eine Forderung nach Umverteilung an Staat und Gesellschaft. Politische Frustration operationalisie-ren wir dabei als Nicht- oder Protestwahl, Nichtkenntnis der Gremien und Bürgerini-tiativen im Quartier sowie als eine resignative Einstellung zum eigenen Engage-ment. Desintegration und Entsolidarisierung führen zu einem Verfall an sozialen Normen, der einen Verlust an gemeinschaftlich geteilten Werten widerspiegelt. Die BewohnerInnen identifizieren sich nicht mehr mit ihren Nachbarn, mit ihrem Quartier und mit dem politischen System. Forderungen nach Umverteilung von Ressourcen werden entweder durch sozialdemokratisch geprägte Solidaritätsvorstellungen be-gründet oder gar nicht mehr erhoben.

- In reichen Quartieren findet man dagegen eher ein Lossagen von Verantwortung, eine Rechtfertigung sozialer Ungleichheit durch eine neoliberale Grundhaltung so-wie Sicherheitsdenken, Besitzstandswahrung und Angst vor „gefährlichen Klassen“. Soziale Ungleichheit wird zwar nicht geleugnet. Durch eine sozialräumliche Tren-nung von armen und reichen Quartieren (soziale Segregation), sind BewohnerInnen reicher Quartiere jedoch nicht persönlich mit Armut konfrontiert. Soziale Ungleich-heit wird zudem als naturwüchsiges Phänomen betrachtet, denn wer etwas leiste, könne es auch zu etwas bringen. Die Bereitschaft zu Solidarität ist daher gering, weil die Armen zum Teil selbst an ihrem Schicksal schuld seien und weil der eigene Wohlstand durch eigene Leistungen verdient wurde. Statt Solidarität dominiert das Gefühl, seinen Besitz argumentativ legitimieren und durch Sicherheitsmaßnahmen technisch schützen zu müssen. Die gesamte Stadt als ein sozialer Raum, dem man zugehört, spielt bei dieser Argumentation kaum eine Rolle.

- In östlichen und westlichen Quartieren gibt es aufgrund einer unterschiedlichen poli-tischen Sozialisation verschiedene Formen der Repräsentation und der politischen Partizipation sowie andere normative Einstellungen bezüglich Solidarität und Ge-rechtigkeit. Die Erwartungen an den Staat sind in Ost und West unterschiedlich.

- Zuletzt erwarten wir, dass reichere Quartiere besser repräsentiert werden als arme Quartiere. Das liegt zum einen an den PolitikerInnen, welche die Interessen reicher Quartiere wichtiger nehmen. Außerdem liegt es auch an den BewohnerInnen. Be-wohnerInnen reicherer Quartiere haben aufgrund besserer Bildungsmöglichkeiten eine höhere soziale Kompetenz; ihr Engagement ist effizienter, und sie verfügen aufgrund ihrer Kontakte und Netzwerke in Elitekreisen über mehr soziales Kapital.

Im Folgenden werden wir zunächst die Auswahl der Quartiere genauer begründen und unser methodisches Vorgehen vorstellen.

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2. Methode

2.1 AUSWAHL DER QUARTIERE In die Erhebungen, welche in den vier Berliner Quartieren durchgeführt wurden, gin-gen sowohl „harte“ als auch „weiche“ Variablen ein, wobei die Auswahl der Quartiere auf eher „harten“ soziodemographischen Variablen beruhte. Diese sollen im Folgen-den kurz vorgestellt werden: Ausgehend von den forschungsleitenden Fragestellun-gen (Nutzung politischer Partizipationsmöglichkeiten und politische Integration, Ver-trauen in die politische Repräsentation, solidarische Einstellungen bezüglich der Stadt als Gesamtverband) lassen sich - so die Arbeitshypothese – signifikante Unter-schiede erkennen, die sich in der Bevölkerungsstruktur widerspiegeln und sozial-räumlich manifestieren. So wurde es vor dem Hintergrund der spezifischen sozio-historischen Entwicklungstendenzen Berlins zunächst als sinnvoll erachtet, jeweils zwei Quartiere im Ostteil und zwei Quartiere im Westteil der Stadt auszuwählen, die sich dann weiter hinsichtlich ihrer Bewohnerstruktur in ein benachteiligtes und ein besser gestelltes Quartier unterscheiden sollten. Die Kriterien für die Definition von „Benachteiligung“ bzw. „Besserstellung“ eines Quartiers wurden dem Sozialstrukturatlas von 1997 entnommen, welcher Dimensio-nen zur Messung der sozialen Struktur konstruiert und darlegt, wie diese sich im Raum abzeichnen. Als Ergebnis wird dort für statistische Gebiete ein Sozialstruktur-index angegeben, der sich aus Dimensionen wie Demographie und Haushaltsstruk-tur, Bildung, Erwerbsleben, Einkommensquelle und Gesundheitszustand zusammen-setzt und über eine Faktorenanalyse berechnet wird. Zeigt sich für ein Gebiet ein ho-her Wert, kann davon ausgegangen werden, dass die dort ansässige Wohnbevölke-rung ein höheres Einkommen vorweisen kann, die Arbeitslosenquote geringer ist und auch das Bildungsniveau sowie der allgemeine Lebensstandard höher liegt, als in einem Gebiet mit einem niedrigeren Wert. Diese Indizes sind allerdings unter Vorbe-halt zu interpretieren, da sie nur eine rein rechnerische Aggregation von insgesamt 20 Variablen, welche in den Sozialstrukturindex mit einfließen, abbilden und somit keine „real“ meßbaren Werte darstellen. Deshalb wurden signifikante und für die Fra-gestellungen bedeutsame Variablen mit Hilfe des Datenmaterials des Statistischen Landesamtes Berlin, der Bundesanstalt für Arbeit und der Studie „Sozialorientierte Stadtentwicklung“ validiert. Aus diesen beiden Merkmalen (West/Ost, hoher vs. niedriger Sozialstatus) ließ sich eine erste Auswahl der in Frage kommenden Quartiere treffen. Dabei wurde auch darauf geachtet, dass kein Bezirk mit zwei Quartieren vertreten ist und dass außer-dem sowohl das übergeordnete Gebiet (d.h. Bezirk) als auch das Quartier gleicher-maßen hohe bzw. niedrige Indexwerte besitzen. Ein weiteres Kriterium diente dazu, die Zahl der in Frage kommenden Quartiere en-ger einzugrenzen: die Sozialindizes der angrenzenden Quartiere. Unterschieden sich diese stark von dem Index des ausgewählten Quartiers, waren also die Indexwerte der statistischen Gebiete in diesem Bereich des Bezirks sehr heterogen, so wurde auf deren Auswahl zugunsten sozialstrukturell homogenerer Gebiete verzichtet. Als letztes Entscheidungskriterium wurde die bauliche Struktur bzw. Infrastruktur des Gebiets hinzugezogen und geprüft, ob sich das Quartier als Untersuchungsgebiet eignet. Dazu wurden in den Gebieten, die in die engere Auswahl kamen, Begehun-gen durchgeführt; vor Ort wurde dann geprüft, ob es sich vornehmlich um Wohnge-

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biete handelte, wie dicht sie bebaut waren und ob der Status des Quartiers, wie ihn der Sozialstrukturindex vermuten ließ, auch mit unseren subjektiven Eindrücken hin-sichtlich der gesamten baulichen Infrastruktur in Einklang gebracht werden konnte. Dabei wurde gleichzeitig die räumliche Abgrenzung des Untersuchungsgebiets defi-niert, die sich stark an den offiziellen statistischen Gebieten und Verkehrszellen ori-entierte. Änderungen von den vordefinierten Gebieten wurden dann vorgenommen, wenn es sich nicht um Gebiete mit Kiezcharakter (z.B. einzelne Siedlungen oder In-dustriegebiete) handelte, auch wenn sie zu dem statistischen Gebiet oder der Ver-kehrszelle gehörten (vgl. dazu Quartiersbeschreibung). Ausgehend von diesen Aus-wahlkriterien wurden schließlich vier Gebiete in den Bezirken Lichtenberg, Pankow, Wedding und Zehlendorf ausgewählt (Abbildung 1). Auswahl der Untersuchungsgebiete

Sozialstatus Dimensionen der Quartiersauswahl Hoch Niedrig

Ost Pankow (VZ: 1612-14)

Lichtenberg (VZ: 1492)

Lage des Quartiers

West Zehlendorf (VZ: 503)

Wedding (VZ: 92)

2.2 METHODEN DER DATENERHEBUNG Informationen zum Quartier Die bis zu der endgültigen Auswahl der Quartiere gesammelten Informationen wur-den in den nun folgenden Arbeitsschritten zusammengetragen und gegebenenfalls ergänzt. In einem ersten Schritt wurden die Quartiere erneut begangen, Auffälligkei-ten dokumentiert, gegebenenfalls fotografiert und Infrastruktureinrichtungen (Schu-len, Einzelhandel, Gastronomie, soziale Einrichtungen, Sport- und andere Vereine) detailliert protokolliert. Mit ergänzenden Informationen – aus Internetrecherchen, Broschüren und Informationsmaterial vom Bezirksamt – zu Bürgerinitiativen, anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen und etwaigen Besonderheiten im Quartier wurde dann in einem zweiten Schritt von den Arbeitsgruppen jeweils eine Quartiers-beschreibung angefertigt, die im weiteren Verlauf helfen sollte, allen an der Studie beteiligten Personen eine genaue Vorstellung der zu untersuchenden Quartiere zu vermitteln und eine bessere Vergleichsperspektive zu eröffnen. Auf diese Weise konnten bereits erste Unterschiede und Gemeinsamkeiten benannt und Besonder-heiten expliziert werden, die in den weiteren Untersuchungsschritten genauere Be-achtung erfuhren und Rückfragen erforderten. Ergänzt wurden diese Beschreibun-gen durch eine weitere Sammlung statistischer Daten, die zum einen zur Validierung der Ergebnisse der Quartiersauswahl dienten, aber zum anderen auch Rückschlüsse auf die Sozialstruktur der Quartiere zuließen und insbesondere Erkenntnisse über die sozialstrukturelle Homogenität bzw. Heterogenität des Quartiers ermöglichten. So konnten anhand der Wahlbeteiligung und der Wahlergebnisse auf der Ebene der Wahllokale quartiersinterne Differenzen festgestellt werden, die bei der im dritten

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Schritt durchgeführten BewohnerInnen- und ExpertInnenbefragung wichtige Informa-tionen für die Auswahl der Interviewpersonen erbrachten. Konnte zum Beispiel fest-gestellt werden, dass ein Quartier bezüglich der Wahlbeteiligung oder Wahlergebnis-sen in zwei oder mehr Teile zerfällt, so musste dies bei der Auswahl der zu intervie-wenden BewohnerInnen berücksichtigt werden. Zur Auswahl der befragten Personen Den Kern der Studie bildet eine dreiteilige Befragung. In jedem Quartier wurden zehn BewohnerInnen, fünf so genannte GebietsexpertInnen und fünf politische Repräsen-tantInnen mit einem für die jeweilige Gruppe konzipierten Leitfaden befragt (siehe Anhang 5.3). Die Unterteilung in diese drei Befragungsgruppen resultierte aus den forschungsleitenden Fragestellungen; Fragen zum Vertrauen in die politische Reprä-sentation sowie zur politischen Partizipationsbereitschaft betrafen die Wahrneh-mungs- Einstellungs- und Handlungsebene der BewohnerInnen, Fragen zur Stellung des Quartiers innerhalb der Politik der BVV hingegen richteten sich an die politischen RepräsentantInnen. Gespräche mit „GebietsexpertInnen“ (d.i. Personen, die eine zentrale und „verwachsene“ Position im Quartier inne haben - wie z.B. PfarrerIn, La-denbesitzerIn, in Initiativen engagierte Personen) ergänzten und vertieften schließlich unsere Einblicke in die Quartiere sinnvoll. Aufgrund der Tatsache, dass der Aspekt der politischen Partizipation und Integration in unserer Studie einen zentralen Platz einnimmt, haben wir uns dafür entschieden, ausschließlich Personen deutscher Staatsangehörigkeit – also Wahlberechtigte – zu befragen. Ansonsten erfolgte die Auswahl der Befragungspersonen jedoch unsyste-matisch, da auf keine Datenbanken zurückgegriffen werden und somit keine Zu-fallsauswahl erfolgen konnte. Da die Studie nicht den Anspruch auf Repräsentativität erhebt und ihr von Anfang an ein explorativer Charakter zugrunde lag, konnte fol-gende Form der Kontaktaufnahme methodisch vertreten werden: Die BewohnerInnen wurden in einem Schreiben kontaktiert, innerhalb der zwei folgenden Wochen per-sönlich aufgesucht und bei vorhandener Bereitschaft befragt. Die politischen Reprä-sentantInnen und die GebietsexpertInnen wurden telefonisch kontaktiert und nach erfolgter Terminvereinbarung vor Ort befragt. Die Definition der GebietsexpertInnen bzw. die Frage nach der politischen Repräsentation des Quartiers begrenzte den Kreis der möglichen Befragungspersonen auf beiden Seiten der Experten. Da der Fokus der Studie auf einen lokalen Bezugsrahmen gerichtet ist, konnten nur Politike-rInnen bzw. ExpertInnen mit besonderem Bezug zum Quartier befragt werden. In-nerhalb dieser Vorgaben erfolgte die Auswahl im Zuge der selben methodischen Le-gitimation ebenfalls unsystematisch.

2.3 METHODEN DER DATENAUSWERTUNG Die Interviews wurden stets von mindestens zwei Personen geführt, darunter Ge-sprächsführerIn und ProtokollantIn. Die möglichst detaillierten Gesprächsmitschriften wurden sodann unter fünf übergeordnete, für alle Quartiersgruppen geltende Katego-rien subsumiert, welche sich aus den axiomatischen Fragestellungen und for-schungsleitenden Gesichtspunkten unserer „Magna Charta“ ergaben: Dabei handelt es sich um die folgenden Themenbereiche:

- Quartiersbeschreibung - Partizipation und Engagement der Bewohner - Repräsentation des Quartiers

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- Vertrauen der Bewohner in die Politik - Solidarität, Sicht auf die Gesamtstadt, Gerechtigkeitsempfinden.

Ausgehend von diesen für alle Gruppen einheitlich gegliederten Informationen er-stellten wir im Folgenden unsere „Quartiersberichte“, welche schließlich im Plenum ausführlich vorgestellt und diskutiert wurden. Auf dieser Grundlage konnten im Fol-genden die Inhalte der einzelnen Kategorien zwischen den vier Gruppen verglichen und diskutiert werden (z.B. Vergleich des Ausmaßes und der Strukturen politischer Partizipation in unseren vier Quartieren), um letztendlich zu fundierteren Erkenntnis-sen und Thesen hinsichtlich unserer Quartiersvergleiche zu gelangen. Im Gesamtfa-zit unseres Berichts (Punkt 5) fließen diese Überlegungen schließlich zusammen.

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3. Die ausgewählten Quartiere

3.1. LICHTENBERG

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3.1.1 Quartiersbeschreibung Das zu untersuchende Quartier ist Teil des Bezirkes Lichtenberg und befindet sich im Osten Berlins. Nach Westen an den Bezirk Freidrichshain grenzend, ist es nicht als zentral zu bezeichnen, gleichwohl es auch nicht zu den Berliner Außenbezirken zählt. Der direkte Anschluss an U- und S-Bahn ermöglicht eine gute Anbindung an viele andere Berliner Bezirke. Lichtenberg liegt direkt außerhalb des Berliner S-Bahn Ringes, der im weitesten Sinne den Berliner Innenstadtbereich begrenzt. Südlich wird das Quartier von der Frankfurter Allee begrenzt, die als Achse und Orientierung der umliegenden Viertel fungiert und in ihrer Ausrichtung auf die Innenstadt das Quartier eher in den Stadtzusammenhang stellt als es in sich abzuschließen. Im Norden stellt ein Industriegebiet die Grenze dar, im Osten die S-Bahn nach Marzahn und im Westen grenzt ab der Ruschestraße noch ein weiterer Teil von Lichtenberg an unser Untersuchungsquartier an. In den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts setzte sich Lichtenberg als neuer industrieller Standort im Osten von Berlin durch. Billiges Bauland, Gleisanschlüsse, die Lage an der Spree und die Fernstrasse nach Osten förderten diese Entwicklung. Industrielle und gewerbliche Unternehmen ließen sich um Rummelsburg nieder. Me-tallindustrie, wie die Landmaschinenfabrik Eckert und Knorrbremse, Eisengießerei, Gussstahlfabrik (u.a.) kamen nach und nach hinzu. Für die Angestellten, Arbeiter, Beamte dieser Betriebe wurden dichte Mietskasernen mit Hinterhäusern und Seiten-flügeln errichtet. Lichtenberg wurde 1920 zu Berlin eingemeindet und entstand als Bezirk durch den Zusammenschluss Lichtenbergs mit zahlreichen Gemeinden und Gütern. Eine weite-re Bautätigkeit setzte ein, nun aber nicht mehr für Arbeiter, sondern auch für den Mit-telstand. Die neuen Wohnviertel wurden von der Industrie freigehalten. Lichte Woh-nungen in aufgelockerter vier-und fünfgeschossiger Blockbauweise wurden erbaut. Ein Beispiel aus dieser Zeit ist die BVG-Wohnsiedlung (erbaut 1925-30), eine ge-meinnützige Heimstättengesellschaft der Berliner Straßenbahn GmbH für ihr Perso-nal. Dank zahlreicher grüner Höfe und Flächen sowie lockerer Bebauung wurde Lich-tenberg Ende der Weimarer Republik ein anziehender Bezirk. Während des zweiten Weltkrieges wurde der größte Teil davon zerstört. Im April ’45 gehörte Lichtenberg zu den ersten von sowjetischen Truppen besetzten Stadtteilen Berlins, in Karlshorst wurde schließlich am 8. Mai 1945 die bedingungslose Kapitulation von Deutschland unterschrieben. Nach dem Krieg gestaltete sich der Wiederaufbau des Bezirkes sehr langsam. Mit Beginn der 50er Jahre ließ sich das Ministerium für Staatssicherheit in Lichtenberg nieder und breitete sich flächendeckend aus. Zur selben Zeit wurden auch neue Kultur- und Freizeitstätten errichtet. Neubausiedlungen, wie das Groß-wohngebiet „Fennpfuhl“ wurden gebaut, mit dem ehrgeizigen Ziel, das Wohnungs-problem in der DDR zu lösen. Dabei wurden Hochhäuser mit bis zu 24 Stockwerken gebaut. Es folgten der Ausbau von Verkehrsanlagen und etwa ab 1973 neue U-Bahnabschnitte, die neue Lichtenberger Brücke und 1978 der erweiterte Lichtenber-ger Bahnhof. Neben noch stehengebliebenen Altbaugebieten bestimmen geschlos-sene Neubaugebiete an (Frankfurter Allee) heute noch das Bild des Bezirkes. Am 15. Januar 1990 erstürmen mehrere tausend Menschen die Zentrale der Staats-sicherheit in der Normannenstrasse. Nachdem 1990 die SPD, 1992 Bündis90/Die Grünen die stärkste Partei wurden, erreichte ab 1995 bis heute die PDS die Mehrheit in den Kommunalwahlen. Heute liegen die gesellschaftlichen Kontraste in diesem

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Bezirk nah beieinander. Einerseits gibt es sanierte Altbauten und zahlreiche Neubau-ten, andererseits ist der Bedeutungsverlust des Ortes in vielfältiger Form erlebbar. Vor der Wende 1989 war das Gebiet und seine Umgebung durch zahlreiche Indust-riebetriebe mit einer großen Anzahl an Arbeitsplätzen geprägt, die Arbeiter auch über die Bezirksgrenzen hinaus anzog. Heute sind diese Arbeitsplätze fast vollständig verschwunden und abgesehen von Verwaltungsstellen besitzt das Quartier keine Einrichtungen, welche übergeordnete Bedeutung haben. Einzige Ausnahme bildet die ehemalige Staatssicherheit-Hauptzentrale der DDR, welche heute eine Gedenk-städte beherbergt. Wohnen und Einkaufen sind die zwei vorwiegend anzutreffenden Funktionsbereiche in dem Gebiet. Wohnraum prägt das gesamte Gebiet, Einkaufsmöglichkeiten be-schränken sich auf Eckläden und wenige zentrale Straßen. Arbeitsplätze gibt es da-gegen nur sehr wenige. Die Gebietsgrenzen werden bis auf eine Ausnahme durch Hauptstraßen gebildet. Im Inneren des Gebiets befindet sich noch eine Hauptver-kehrs- und Durchgangsstraße, ansonsten beschränkt sich der Verkehr auf Anwoh-nerverkehr. Erscheinungsbild Das Quartier ist Teil des Gürtels von Arbeitervierteln, die fast vollständig das Berliner Zentrum umschließen. Die bauliche Struktur ist damit vergleichbar mit z.B. Wedding und Friedrichshain. Sie ist durch ein ortogonales Straßenraster und Blockrandbe-bauung geprägt, was in der Entstehungszeit auf das späte 19. Jahrhundert zurück-geht. Im nördlichen Bereich des Quartiers lockert sich die Bebauung auf und es sind dort Wohnanlagen überwiegend aus den 20er bzw. 60er Jahren des 20. Jahrhun-derts zu finden, welche teilweise in Zeilenbauweise errichtet wurden. Der Zustand der Häuser ist nicht auffällig schlecht. Einer groben Erhebung nach beträgt der Sa-nierungsstand ca. 50%, wobei gerade in den Wohnanlagen des 20. Jahrhunderts die Sanierung zur Zeit noch anhält. Die Altbauabschnitte weisen einen ähnlichen Sanie-rungsstand auf, wobei die Sanierung qualitativ überwiegend mittelmäßig aufwändig ist. Einzelne Straßenzüge wie z.B. die Hagenstraße machen einen eher vernachläs-sigten Eindruck, andere wiederum einen sehr gepflegten, wie z.B. die Siegfriedstra-ße. Über die Besitzverhältnisse lassen sich nur grobe Angaben machen. In den Altbau-bereichen ist die Besitzerstruktur offensichtlich kleinteilig, wofür der unterschiedliche Sanierungsstand spricht. Geschlossen sanierte Blocks oder Häuserzeilen sind nicht anzutreffen. In den restlichen Gebieten überwiegen zwei Wohnungsbaugesellschaf-ten und Wohnungsgenossenschaften, die geschlossene Wohnanlagen vermieten oder auch sanierte Wohnungen verkaufen. Auch zum Leerstand der Wohnungen lassen sich nur grobe Aussagen treffen. Er ist höher als in den ähnlichen Gebieten wie Friedrichshain oder Prenzlauer Berg, aller-dings nicht problematisch hoch. Vereinzelt stehen Wohnungen leer, selten sind es aber mehr als 50% des Hauses. Ein solch großer Leerstand ist auch fast ausschließ-lich in unsanierten Häusern anzutreffen, wo immer auch eine mögliche Sanierungs-absicht als Erklärungsgrund herangezogen werden kann. Der Leerstand in sanierten Häusern ist eher gering. Die den Wohnungsannoncen zu entnehmenden niedrigen Mietpreise lassen auf ein geringes Überangebot an Wohnraum schließen. Leerstand wurde auch in den Interviews nicht direkt als Problem thematisiert.

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Vereinzelt ist auch gewerblicher Leerstand zu beobachten, der sich in den Seiten-straßen konzentriert. Ansonsten ist er nicht nennenswert hoch. Auffällig zu beobach-ten war in unserem Beobachtungszeitraum ein häufiger Wechsel der Ladeninhaber. Was den Straßenzustand betrifft, so kann er nicht als auffallend problematisch be-zeichnet werden, auch wenn genau dieses in den Bewohnerinterviews oft als Antwort auf Fragen nach Problemen im Quartier genannt wurde. In der Tat mag das Niveau niedriger sein als in den ehemaligen Westberliner Bezirken, bezogen auf den ehema-ligen Berliner Osten entspricht er dem Durchschnitt. (Anmerkung: im Vergleich zu den Straßenzuständen in entsprechenden Quartieren in Leipzig oder Dresden ist das Niveau deutlich höher) Der überwiegende Teil der Straßen ist asphaltiert, häufig ausgebessert aber selten komplett erneuert. Das Quartier weist ausreichend Grünflächen und begrünte Hinterhöfe auf, welche sich überwiegend in gepflegtem Zustand befinden. Die Verschmutzung des öffentli-chen Raumes mit z.B. Abfall oder Hundekot ist vergleichbar mit anderen Innenstadt-gebieten. Was das Sicherheitsempfinden im Quartier betrifft, so existieren keine Anzeichen für ein erhöhtes Gewalt- oder Kriminalitätsproblem. Allerdings können bestimmte Grup-pen (rechts- und linksextreme Jugendliche, Alkoholisierte, Ausländer) Ängste bei an-deren Gruppen (hauptsächlich älteren Menschen) hervorrufen, vor allem nachts in dunklen, einsamen Straßen und im Bereich des U-Bahnhofes. Infrastruktur Die Infrastruktur des Quartiers ist weitestgehend von Einrichtungen mit lokaler Reichweite geprägt. Was den Bereich Bildung betrifft, so sind dieses zwei Grund-schulen, eine Gesamtschule, vier Kindertagesstätten und eine Landesanstalt für Schule und Medien. Im wissenschaftlichen Bereich sei einzig die Stasi-Gedankstätte mit einem angegliedertem Archiv genannt. Was Freizeit und Kultur betrifft, so seien ein Theater und eine Galerie sowie Sportvereine und Bibliotheken genannt. Deswei-teren existieren diverse gastronomische Einrichtungen. Vom "Italiener" bis zur typi-schen Berliner Eckkneipe ist das Angebot recht vielfältig. An politisch-administrativen Einrichtungen seien das Amtsgericht, eine Nebenstelle der Bezirksverwaltung, ein Bezirksarbeitsamt, ein Finanzamt, eine Justizvollzugsan-stalt und ein Naturschutz- und Grünflächenamt genannt. An sozialen Dienste und im Bereich Gesundheit findet man mehrere „Kiez-Treffs“ sowie Beratungsstellen für Arbeitslose und Ausländer, andere Bürgerberatungen und Senioreneinrichtungen sowie Kinder- und Jugendtreffs und Behinderteneinrichtun-gen. Auch die Kirche bietet diverse soziale Dienste an. Zu beobachten ist außerdem eine hohe Ärztedichte (aller Fachrichtungen vom Allgemeinmediziner bis zum Ge-burtshelfer), ergänzt durch häusliche Krankenpflege und zwei Krankenhäuser. Was Einkaufsmöglichkeiten betrifft, so ist die Grundversorgung gewährleistet. Im Quartier finden sich von ‚ausgefallenen‘ Läden, wie einem Tattoo-Laden oder einem Camping-Geschäft, über Bäckereien, Metzgereien, Blumenläden, Friseurgeschäften, einer Wäscherei, einem Second-Hand-Shop bis hin zu Apotheken, Optikergeschäf-ten und Reisebüros Geschäfte und Dienstleistungen jeglicher Art. Auch gibt es ge-hobene Dienstleistungen und Selbständige: Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Recht-anwälte, Ingenieure, Makler, diverse Werbeagenturen und Versicherungen.

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Arbeitsplätze in Industrie, Handel oder Kleingewerbe sind hingegen selten. Neben den Dienstleisungssektor sind es vor allem Telekom, Deutsche Bahn, die zwei Kran-kenhäuser und ein Ärztehaus, welche Arbeitsplätze bieten. Allgemein kann man von keiner ausgeprägten Kleingewerbestruktur sprechen. Sozialstruktur Statistische Daten Lichtenberg: Verkehrszelle 1492

Einwohner (VZ 1998) 12.966

Über 65jährige in % (VZ 1995) 11,4 Unter 18jährige in % (VZ 1995) 16,6 Ausländerzahl (VZ 1998) 1951 Ausländer in % (VZ 1998) 15,1 Arbeitslosenzahl (VZ 1998) 981 Arbeitslosenanteil an den 20-64jährigen in % (VZ 1998) 11,2 Sozialhilfedichte in % (Bezirk 1996) 4,0 VZ = Verkehrszelle 1996 = Daten aus “Sozialorientierte Stadttentwicklung”, 1998 1995 = Daten aus “Sozialstrukturatlas”, 1997 Das Bild der Bevölkerung im öffentlichen Raum ist relativ homogen. Die Bewohne-rInnen im Quartier sind zum großen Teil Angehörige der Mittel- und Unterschicht, Angehörige der Oberschicht werden auf den Straßen des Nibelungenviertels nicht angetroffen. Es fällt auf, dass sich im Bezirk ein hoher Anteil älterer Bewohner kon-zentriert. Dieser Eindruck wurde von zwei Bezirkspolitikern bestätigt, die auch von einer "Überalterung des Bezirks" sprachen. Außerdem scheint der Ausländeranteil sehr gering zu sein. Allerdings befinden sich im Quartier eine Stätte für Aussiedler sowie Kriegsflüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien. Von diesen Bevölke-rungsgruppen ist im öffentlichen Raum nicht viel zu sehen. All das bestärkt den Eindruck, dass das Quartier und seine Bewohner weniger urba-nen Charakter haben, als es die innenstadtnahe Lage vermuten lässt.

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3.1.2 Auswertung der Interviews

Die Einstellung der Befragten zum Quartier ist überwiegend positiv. Eine Minderheit ausgenommen (in unserer Stichprobe drei von zehn Befragten) herrscht eine Stim-mung vor, welche das Gebiet nicht als problematisch empfindet. Man lebt dort, die Bedingungen sind gut und vor allem nicht schlechter als in anderen Bezirken Berlins. Von allen Befragten werden vornehmlich die verkehrsgünstige Lage des Quartiers bzw. die gute Verkehrsanbindung gelobt. Weiterhin ist bei allen befragten Gruppen die Nähe zum Stadtzentrum ein oft genannter Vorteil. Die BewohnerInnen und die GebietsexpertInnen stimmen weitestgehend in der positiven Bewertung der Ein-kaufsmöglichkeiten des täglichen Bedarfs und des ruhigen Wohnumfelds mit seinen Grünanlagen überein. Gelobt wird außerdem der Sanierungsstand und das soziale Umfeld, womit das Feh-len größerer sozialer Probleme gemeint ist. Die BewohnerInnen bewerten die Quali-tät der Wohnungen bezüglich Größe und Preisen überwiegend als positiv, ebenso die geschlossene Bebauung und das Fehlen von Hochhäusern. Verschiedene Be-merkungen lassen auf ein gutes soziales Umfeld schließen, was die Kontakte zu an-deren BewohnerInnen im Haus oder der Nachbarschaft meint. Allerdings sind diese durch vermehrten Weg- und Zuzug gefährdet. Die Zukunft des Quartiers wird indes unterschiedlich gesehen: Den Verbesserungen des Wohnumfeldes durch Sanierung der Häuser und Grünanlagen steht oft die nega-tiv gezeichnete Entwicklung des „sozialen Miteinanders“ gegenüber. Diese Einschät-zung ist indes weitestgehend bei den älteren BewohnerInnen anzutreffen, und die Referenzen des Vergleiches sind dabei die Verhältnisse in der DDR. Bei der Frage nach Problemen im Quartier sind die Einschätzungen nicht so einheit-lich wie bei den Vorteilen. Die befragten Gruppen unterscheiden sich hierbei deutlich voneinander; übergreifende Übereinstimmungen sind kaum zu finden. Neben dem mangelhaften Angebot an Freizeit- und Kultureinrichtungen wird einzig die Bevölke-rungs- bzw. Sozialentwicklung seit der Wende ´89 als allgemein problematisch be-wertet, wenn auch mit verschiedener Akzentuierung. So sehen die GebietsexpertInnen die Arbeitslosigkeit als zentrales Problem und da-mit einhergehend die Zunahme sozialer Probleme, vor allem die Konzentration unte-rer sozialer Schichten im Quartier. Diese Einschätzung wird auch von einigen Be-wohnerInnen getragen, wobei von diesen meist die Präsenz von TrinkerInnen auf der Straße und vereinzelt die Zunahme an AusländerInnen beklagt wird. Die PolitikerInnen sehen indes die zunehmende Überalterung als Problem, was auch vereinzelt von BewohnerInnen beklagt wird. Zu diesem Punkt lässt sich allgemein sagen, dass die BewohnerInnen die sozialen Probleme zwar kennen, diese aber nicht durchgängig als zentral thematisieren. Vielmehr sind es die weniger quartiers-bezogenen Probleme, welche allgemein als problematisch empfunden werden, so z.B. die prekäre Finanzlage der Stadt und die damit einhergehenden Probleme der Aufrechterhaltung staatlicher Aufgaben. Als quartiersbezogenes Problem nennen die BewohnerInnen eher die Sauberkeit des öffentlichen Raumes. Hundedreck bzw. generell Dreck auf den Straßen wird be-klagt, aber auch deren mangelhafter Sanierungsstand findet Kritik. Des Weiteren taucht auch das AusländerInnenwohnheim in der Kritik auf, wobei diesbezüglich eher die hohe Konzentration der AusländerInnen und deren Verhaltensweisen bemängelt

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werden als etwaige Probleme mit Kriminalität. Die GebietsexpertInnen sehen mehrheitlich in der Struktur des Gebietes ein Prob-lem. Das fehlende Zentrum und die Zersiedlung wirke sich negativ auf die Bindung der BewohnerInnen an das Quartier aus. Des Weiteren fehlen Einkaufsmöglichkeiten von Waren jenseits des täglichen Bedarfs, was auch von einigen BewohnerInnen bestätigt wird. Die PolitikerInnen sehen neben der Überalterung die finanzielle Lage als zentrales Problem, was vor allem die öffentlichen Einrichtungen des Quartiers existentiell trifft, womit z.B. Schulen und Schwimmbäder gemeint sind. Auch diesen Punkt sehen viele BewohnerInnen als Problem. Bezüglich der Einschätzung der Sicherheit im Quartier sind sich fast alle Befragten einig. Die Mehrheit fühlt sich sicher, Kriminalität wird kaum thematisiert und wenn, dann mit dem Hinweis, dass diese das übliche Maß nicht überschreitet. Vereinzelt wird sich über Schmierereien oder Vandalismus beschwert. AusländerIn-nen sind diesbezüglich selten Thema, und auch rechte Gewalt ist nicht mehr wirklich ein Problem. Rechtsradikale Gruppen haben sich nach einhelliger Einschätzung in andere Teile Lichtenbergs verlagert. Ein ehemaliges Zentrum des Rechtsradikalis-mus - der Bahnhof Lichtenberg - steht dahingehend nicht mehr in der Kritik; aller-dings wurde vereinzelt bemerkt, dass der Aufenthalt dort vor allem abends Unsicher-heitsgefühle hervorruft. Aussagen zur Bindung der BewohnerInnen an das Quartier lassen sich nur schwer treffen, da bei den BewohnerInneninterviews dazu nur indirekt Antworten zu finden sind. Allgemein lässt sich aber sagen, dass die BewohnerInnen mit dem Gebiet zu-frieden sind und keine erhöhte Fluktuation zu erkennen ist. Vor allem zahlreiche "Alt-eingesessene" prägen das Quartier, was für eine starke Bindung spricht. Diese Ein-schätzung teilen auch die befragten PolitikerInnen. Von den GebietsexpertInnen werden die noch gut funktionierenden Hausgemein-schaften erwähnt, welche die BewohnerInnen im Quartier halten würden. Auch Weg-züge werden selten mit einer Kritik am Viertel verbunden. Vielmehr ist der Wunsch nach einem Eigenheim oft der Grund dafür, dass Familien das Viertel verlassen. Die Befragungen der BewohnerInnen lassen außerdem den Schluss zu, dass der Bewegungsradius in der Regel nicht weit über das Quartier bzw. die angrenzenden Stadtviertel hinausgeht, es sei denn, die Arbeit verlangt es. Auffällig dabei ist, dass Bezirke im ehemaligen West-Berlin nur sehr selten aufgesucht werden. Die Meinungen über die Außenwirkungen des Quartiers gehen etwas auseinander. Einige glauben, dass das Bild Lichtenbergs von außen nicht sehr schlecht ist, andere wiederum sehen den Bezirk überwiegend als negativ eingeschätzt. Das hängt wei-testgehend mit den negativen Schlagzeilen des Bahnhofes Lichtenberg zusammen, der wegen der rechtsradikalen Szene vor allem in den neunziger Jahren in Verruf geraten ist. FreundInnen der BewohnerInnen leben etwa zur Hälfte in bzw. außerhalb des Gebie-tes, wobei die Bewertung des Viertels durch letztere in der Mehrzahl negativ ist. Ob-wohl sie wissen, dass sie in einem Gebiet mit relativ niedriger Anerkennung leben, glauben die BewohnerInnen trotzdem überwiegend, dass diese Einschätzung vorur-teilsbehaftet ist. Ihrer Meinung nach ist die soziale Situation in Neukölln oder Kreuz-berg wesentlich problematischer.

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Auch die PolitikerInnen und die GebietsexpertInnen glauben, dass das Bild von au-ßen eher negativ geprägt ist. Die GebietsexpertInnen betonen dabei vor allem, dass es in Lichtenberg zwar problematische Gebiete gibt, dass das von uns untersuchte aber nicht dazu gehört. Da 80% der von uns Befragten wählen gehen, kann keinesfalls von einer politischen Desintegration die Rede sein, im Gegenteil. Die durchschnittliche Wahlbeteiligung liegt für Berlin bei nur 68,1% (AGH). Die Wahlbeteiligung für unser Quartier ist im Schnitt bei nur 48,8% für das AGH. Das kann auch bedeuten, dass wir eine nicht-repräsentative Stichprobe haben. Die PDS ist sehr stark vertreten (ca. 50% in der Umfrage). Bei vielen BewohnerInnen scheint das Thema DDR noch eine Rolle zu spielen, was sich eher in einem diffusen „früher war vieles besser“ als in konkreter Kritik oder gar Ablehnung des bestehen-den Systems äußert. Die BewohnerInnen wissen, an wen sie sich im Bedarfsfall wenden können. Gleich-zeitig gibt es eine fast gleich große Menge von Leuten, die politisch frustriert oder zumindest desinteressiert sind. Da diese aber nicht etwa Probleme hatten, die nicht gehört wurden, sondern einfach nie in der Situation waren, in der sie auf die Verwal-tung oder die Politik aktiv hätten zugehen müssen, können die Kontaktangebote durchaus als ausreichend und die politische Arbeit im Bezirk als überwiegend akzep-tiert bezeichnet werden. Die PolitikerInnen kennen nach eigenen Angaben das Quartier und seine Belange gut, und ähnlich wurden sie auch von den BewohnerInnen eingeschätzt. Es gibt bzw. gab einige BürgerInneninitiativen im Quartier. Bemerkenswert ist, dass sie fast ausnahmslos zum Erfolg führten. Das einzige Projekt, das gescheitert ist, war die Initiative für das Hubertusbad. Dieses wurde trotz des Protestes geschlossen. Es sieht so aus, als seien es die berlinweiten Sparmaßnahmen, die zu einer gewissen Ohnmacht und Handlungsunfähigkeit im Quartier führten, also eher exogene denn endogene Probleme. Diese Beobachtung deckt sich auch mit anderen Aussagen von BewohnerInnen, ExpertInnen und PolitikerInnen. Die BewohnerInnen verfügen durchaus über die nötigen Ressourcen, um sozial aktiv zu werden, wenn ihnen dies nötig erscheint. Die Hälfte der Befragten hat sich bereits einmal selbst sozial und/oder politisch en-gagiert, wobei dies zum Teil noch zu DDR-Zeiten der Fall war. Die meisten Befragten gaben an, dass sie sich unter bestimmten Bedingungen, zum Teil aber erst, wenn es „dicke kommen" würde (I, BEW 5), wieder engagieren würden. Beim Gespräch mit den GebietsexpertInnen kam deutlich zum Ausdruck, dass das uneigennützige Engagement zurückgeht. „Man beschäftigt sich nur, wenn man selbst betroffen ist“ (I, GEX 3) und „das Bestreben, sich zurückzuziehen, wenn man mit ei-genen Problemen beschäftigt ist“, nimmt zu (I, GEX 2). Einen Grund für den man-gelnden Willen zum Engagement sieht I, GEX 3 aber vor allem auch in der Zufrie-denheit mit der Wohnumgebung und mit den VermieterInnen. Es gibt also keinen richtigen Grund, sich zu engagieren. Auf jeden Fall ist Engagement hier verbreitet und auch erfolgreich. Die Initiativen drehen sich meist um Themen, die die Lebensqualität im Gebiet direkt betreffen, wie der Erhalt sozialer Einrichtungen oder attraktiver Bausubstanz oder der Umgang mit Neonazis.

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Die BewohnerInnen schätzen die Angebote der PolitikerInnen als gut ein, und ein Drittel der Befragten glaubt daran, dass diese die Probleme im Quartier kennen. Daraus lässt sich ein gewisses Vertrauen in die Politik ableiten. Zwei Befragte fühlen sich als Repräsentanten des Quartiers vernachlässigt (die Arbeit und das Interesse im und für das Quartier seien zu gering; (I, BEW 3, 4). Das Engagement wird von den GebietsexpertInnen im Bezirksbürgermeister personi-fiziert. Sie heben auch ausdrücklich die starke Präsenz der PDS hervor, die als loka-le Partei eine tragende Rolle spielt. 90% der Vereine, die im Bezirk aktiv sind, wur-den von der PDS gegründet oder unterstützt (I, GEX 3). Die Aussagen von Seiten der BVV-Befragten sind eher zurückhaltend in Bezug auf ihr eigenes Engagement. I, BVV 1 beschränkt sich auf seine Arbeit im Jugendhilfe-ausschuss und sagt, dass sowohl von Seiten der BürgerInnen als auch von Seiten der PolitikerInnen mehr für den Kontakt getan werden müsste. I, BVV 2 stellt fest, dass sie als Politikerin während der Arbeit zu wenig mit den BürgerInnen in Berüh-rung kommt und bemüht sich daher in ihrer Freizeit um einen intensiveren Kontakt. Die befragten Verwaltungsangestellten heben im Gegensatz zu den BVV-Mitgliedern bestimmte Projekte hervor und stellen sich als engagierte PolitikerInnen dar. Den BewohnerInnen wird von Seiten der offiziellen Vertreter ein schwindendes Inte-resse und Engagement für das eigene Quartier bescheinigt. Es wird von Rückzug ins Private und der Konzentration auf individuelle Bedürfnisse verwiesen. Dem ist soweit zuzustimmen. Dabei darf jedoch nicht vernachlässigt werden, dass sich von den be-fragten BewohnerInnen die Mehrheit schon einmal, wenn auch z.T. zu DDR-Zeiten, engagiert hat. Außerdem ist die Bereitschaft groß, sich bei bestimmten Missständen wieder zu engagieren. Der Kontakt zwischen PolitikerInnen und BewohnerInnen wird von Seiten der Verwal-tungsbeamtInnen und der BewohnerInnen jeweils als gut bezeichnet, und die Sprechstunden sind bekannt und werden genutzt. Der Hinweis der GebietsexpertIn-nen, die verstreute Lage der Ämter hemme den Kontakt, wird von den anderen Gruppen nicht als Problem bestätigt. Lediglich die BVV-Mitglieder beklagen den schlechten Kontakt, wobei der eine mit Resignation, die andere mit Aktion darauf reagiert. Zu dem Engagement der professionellen GemeinwesenmitarbeiterInnen und ihrem Kontakt zur Politik wird wenig, aber wenn, dann Positives gesagt. I, GEX 2 hebt eine enge Zusammenarbeit mit den StadträtInnen, dem Bürgermeister und den Stadtteil-managerInnen hervor und verweist auf das Angebot der BürgerInnensprechstunden in ihrem Haus, die von BVV-Abegordneten durchgeführt werden. Auch der Stadtrat für Soziales bezeichnet die Zusammenarbeit der verschiedenen Trägergruppen mit dem Bezirk als gut. Die Repräsentation wird von den jeweils befragten Gruppen völlig unterschiedlich beurteilt. Die GebietsexpertInnen denken, das Gebiet wird nicht benachteiligt, jedoch auch nicht bevorzugt. Die PolitikerInnen sehen, dass das Quartier auf der Agenda der BVV nur eine untergeordnete Rolle spielt. Die BewohnerInnen sehen das differenziert: Der Großteil denkt, das Gebiet sei be-nachteiligt. Ein etwas geringerer Anteil glaubt, das Quartier ist weder benachteiligt noch bevorzugt. Lediglich eine Person denkt, das Gebiet sei nicht benachteiligt. Hierbei wird allerdings nicht immer deutlich, ob sich die Befragten auch wirklich auf

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ihr Quartier oder doch eher auf den Bezirk beziehen. Bei den BewohnerInnen lässt sich außerdem eine gewisse Tendenz erkennen, dass 1/3 der Befragten in der Lage des Gebietes bzw. der Funktion des Bezirkes einen Grund für Benachteiligung oder Bevorzugung sieht (I, BEW 1, 4). 1/3 schreibt dies dem Engagement und der Fähigkeit der BezirkspolitikerInnen oder –gremien zu (I, BEW 5, 6), und 1/3 sieht die Benachteiligung Lichtenbergs in internen Bedingungen wie z.B. der prinzipiellen historischen Benachteiligung (I, BEW 2, 3). Bei der Beurteilung der Zusammenarbeit zwischen Senat und Bezirk scheiden sich die Geister zwischen den Aussagen der VerwaltungsbeamtInnen und der BVV-Mitglieder. Erstere sind prinzipiell zufrieden, auch wenn die Arbeit unproduktiv sei. Die BVV-Abgeordneten sagen, es gebe kaum Zusammenarbeit. Die Gewährleistung eines funktionierenden Bildungssystems ist laut Ansicht der Be-wohnerInnen die wichtigste Aufgabe des Staates (5x genannt). Dahinter folgen das Gesundheitswesen (4x genannt), die Post (2x genannt), das Fernmeldewesen (1x) und die Bahn (1x). Auch solle der Staat dafür sorgen, dass die Sozialleistungen nicht weiter gekürzt werden (2x). Dass der Staat für die Sicherheit der BürgerInnen ver-antwortlich ist, wird nur von einem Bewohner genannt. Ob und wie der Staat nach Ansicht der BewohnerInnen der Erfüllung seiner Aufgaben nachkommt, geht aus den Antworten nicht hervor. Den Privatisierungen der genannten Bereiche stehen die Befragten zwar nicht grundsätzlich ablehnend, jedoch größtenteils skeptisch gegenüber. Es herrscht die Meinung, Privatisierungen seien parallel als Ergänzung zu staatlichen Institutionen denkbar, wenn sich letztere dadurch nicht qualitativ verschlechterten. Zudem wird die Sorge geteilt, dass die Preise bei Privatisierungen (z.B. bei Post, Bahn, Telekom und Kindergärten) steigen könnten, weswegen der Staat als Kontrollinstrument gefordert wird, der „die Hand drüber hält“. Überwiegend gewünscht wird somit ein Staat im Sinne eines Gegenpols oder Regulativs der privaten Wirtschaft und als Sicherungs-instrument in bestimmten Bereichen (vor allem Bildungs- und Gesundheitswesen). Bei Subventionen des Staates gehen die Meinungen auseinander. Ein Teil der Be-wohnerInnen spricht sich dafür aus, Opern und Theater weniger zu subventionieren; der andere Teil befürwortet eine Subventionierung wie bisher, wenngleich diese ef-fektiver gesteuert werden müsste. Wiederholt wird die Meinung vertreten, dass sich der Bund generell stärker engagie-ren müsse. Allerdings werden Zweifel laut, ob er das tatsächlich täte. Fast alle Befragten sind der Ansicht, dass sowohl PolitikerInnen als auch BürgerIn-nen „etwas ändern“ können. Dieser Ansicht ist auch eine Stadträtin (I, V 2). Sie meint, dass die BürgerInnen durchaus gut informiert seien und sich auch politisch betätigten. Sie fänden Gehör, würden nicht „gegen Wände rennen“ und ihre Be-schwerden „lösen Aktivitäten aus.“ Es besteht demnach breites Vertauen in das poli-tische System, obgleich ein Bewohner einschränkt, dass sich nur etwas ändere, „wenn die da oben wollen“. Einer glaubt, dass bestimmte Probleme nicht gelöst wer-den könnten, weil kein Geld da wäre, und ein Bewohner äußert sich durchweg pes-simistisch und glaubt nicht, dass sich jemals etwas ändert. Dass auf Bezirksebene etwas erreicht werden kann, glauben fünf der befragten Be-wohnerInnen. Drei BewohnerInnen schätzen BürgerInneninitiativen und Proteste als sinnvoll ein; weitere zwei halten politisches Engagement für wichtig; zwei sind der Meinung, dass die PolitikerInnen etwas bewegen können.

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Ein Bewohner ist der Ansicht, dass die gewählten Parteien durchaus Einfluss hätten; zwei sind der Meinung, in der Bezirkspolitik existierten Sachverstand und Aufgaben-orientiertheit über die Parteigrenzen hinaus, und die PolitikerInnen wären mit den Problemen der BürgerInnen vertraut. Das Vertrauen in das politische System (auf Landesebene) ist durchaus gegeben; das gilt vor allem für die BewohnerInnen, bei denen sich nur wenige überwiegend pessimistisch zeigten. Die meisten sind zudem der Meinung, dass persönliches En-gagement zu den gewünschten Veränderungen führt. Nur zwei BewohnerInnen sind der Ansicht, dass die PolitikerInnen nicht an den Problemen der BürgerInnen interes-siert wären bzw. diese gar nicht kennen würden und dass BürgerInneninitiativen nichts bringen würden; ein weiterer ist der Meinung, dass bei Beschwerden „nichts passiert.“ Die GebietsexpertInnen sehen das etwas differenzierter. Zwar gebe es durchaus Ak-tivitäten, diese hingen aber von bestimmten Bedingungen ab. So sagt I, GEX 1: „e-gal, welche Partei, es ändert sich nichts.“ Sie hebt hervor, dass sie mit der BVV in engem Kontakt stehen und sagt: „In ihrem Bemessungsspielraum können die sich auch nur bewegen.“ I, GEX 2 stellt fest, dass es immer „von ganz konkreten Perso-nen“ abhängt; von den Personen, „die aus dem Gebiet kommen und an ganz be-stimmten Entscheidungsstellen bestimmte Entscheidungen beeinflussen können.“ I, GEX 4 meint ebenfalls, dass Veränderungen nur über die richtigen Stellen funktionie-ren. Sie stellt auch gleich dar, wo sie diese sieht, indem sie meint, dass Vorschläge an den Bezirksbürgermeister getragen werden müssen. I, GEX 3 erklärt: die „BVV spielt in Berlin ja kaum eine Rolle“ und weist darauf hin, dass die Bezirke zwar mehr finanzielle Eigenständigkeit, aber die Hälfte des Geldes und kaum mehr politische Selbstständigkeit haben. Die Solidarität innerhalb des Quartiers wird von den GebietsexpertInnen in Häusern, in denen die Menschen schon lange miteinander wohnen, als hoch eingestuft. Hier-bei handelt es sich häufig um ältere Personen. Dies breche allerdings auf, sobald neue Personen einziehen. Dennoch würden die alten Kontakte noch weiterhin beste-hen. In den Neubauten sei die Solidarität zwischen den Leuten höher als in den Altbauten. Dies wird damit begründet, dass die Leute dort fast gleichzeitig eingezogen sind, meist junge Familien, die zur gleichen Zeit die gleichen Probleme hatten. Aber auch in den Altbauten trifft man oft eine jahrelang gewachsene Hausgemeinschaft an, wo-durch sich ein starkes Gemeinschaftsgefühl entwickelte, was heute jedoch nicht mehr so vorhanden ist, aber dem noch nachgetrauert wird. In diesem Zusammenhang wird noch auf die Distanz und Ablehnung gegenüber den „Obdachlosen, Asozialen“ am Bahnhof Lichtenberg und an der Plus-Kaufhalle sowie gegenüber AusländerInnenn aus dem AusländerInnenwohnheim hingewiesen. Zur Solidarität stadtweit, hinsichtlich anderer Stadtbezirke, macht sich vor allem noch eine Ost-West-Differenzierung bemerkbar. Ein Interesse gegenüber anderen Stadt-teilen und ihren Problemen ist nur bedingt vorhanden und wenn, dann hauptsächlich gegenüber anderen Ostberliner Bezirken. Die Mehrzahl hält sich vorrangig in den Ostberliner Quartieren auf, wo auch die Kulturangebote wahrgenommen werden. Mit Westberlin wird oft ein Gefühl der Fremdheit verbunden, was häufig (3x) mit einer Unsicherheit gegenüber den dort anzutreffenden AusländerInnen (in Kreuzberg und Neukölln) verbunden wird. In diesem Kontext wird auch die immer noch ausstehende Angleichung der Gehälter zwischen Ost- und West-Berlin genannt.

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Lichtenberg sei nach Einschätzung der BewohnerInnen und der GebietsexpertInnen ein Randgebiet; die Aufmerksamkeit sei eher auf das Zentrum gerichtet und damit einhergehend auch die finanziellen Zuwendungen oder die Ansiedlung von neuer Wirtschaft. Dennoch wird aber nicht von einer Benachteiligung des Bezirkes gespro-chen. Allerdings wurden Charlottenburg, Wannsee, Zehlendorf und Grunewald als privilegiert bezeichnet. Für den Weg zu Arbeitsplätzen und Kulturangeboten wird das Quartier von den Be-wohnerInnen verlassen; ansonsten hat man allerdings den Eindruck, dass die Mehr-zahl der BewohnerInnen stark mit dem Quartier, in dem sie wohnt, verbunden ist. Die Jugendbegegnungsstätte arbeitet eng mit Stätten in anderen Bezirken zusam-men, wobei gleichzeitig darauf hingewiesen wird, dass die Kontakte zu den Ostberli-ner Bezirken enger seien. Zur Umverteilung von Finanzen zwischen den Bezirken gibt es meist die folgende Haltung: Umverteilung an sich sei nicht schlecht, aber da Berlin pleite ist, gebe es nichts mehr umzuverteilen. Man hatte allerdings nicht den Eindruck, dass die Umver-teilung von den Befragten eine ernste Forderung ist; vielmehr wird sie als illusorisch zurückgewiesen. Hinsichtlich allgemeiner Gerechtigkeitsvorstellungen kann man im Wesentlichen kei-ne extremen Positionen hinsichtlich einer ausgesprochen liberalen individualistischen Haltung oder einer Haltung, die ausschließlich auf die Verantwortung des Staates hinweist, festmachen. Oft wird dahingehend argumentiert, dass eine Umverteilung zu Gunsten der Ärmeren an sich nicht schlecht wäre, aber viel Hoffnung oder gar eine Forderung wird daran meist nicht geknüpft. Auch gab es Äußerungen, die eine Um-verteilung ablehnen, da eine Strategie im Sinne „den reichen Bürgern etwas weg-nehmen“ als unrechtmäßig betrachtet wird. „Gleichmacherei“ führe zur Stagnation; vielmehr sollten dann Steuerabschreibung, Schwindeleien und Schwarzarbeit be-straft und verhindert werden. Weitere Besteuerungen der ArbeitnehmerInnen sollten vermieden werden. Dagegen wird die Kürzung der PolitikerInnengehälter vorge-schlagen (mindestens 2x genannt). Privatisierungen im Bereich Gesundheitswesen oder Bildung werden eher skeptisch betrachtet. Wenn Privatisierung, dann sollte dies „vernünftig“ gemacht werden. Was sich nicht rechnet, sollte nicht weiter finanziert werden oder Sponsoren finden, und Verschwendungen, z.B. bei Bauprojekten, soll-ten vermieden werden. Aufgrund des vor der Befragung kürzlich veröffentlichten Skandals der Arbeitsvermittlung wird eine Privatisierung derselben vorgeschlagen. Eine Kürzung der Sozialleistungen wird generell als falsch angesehen (4x genannt), aber es sollte ein Missbrauch verhindert werden. So gab es einmal die Bemerkung, dass das Arbeitslosengeld für Jugendliche begrenzt werden müsse und die Geldver-teilung leistungsbezogen erfolgen soll.

3.1.3 Fazit Die befragten BewohnerInnen des Nibelungenviertels wohnen mit wenigen Ausnah-men alle schon recht lange und auch gerne im Bezirk. Eine reine Quartiersbindung besteht jedoch nicht. Man kann allerdings von einer starken Ost-Bindung sprechen, da die BewohnerInnen sich vorwiegend in den östlichen Stadtgebieten und -vierteln bewegen und die westlichen Gebiete eher meiden. Letztere werden – wenn über-haupt - hauptsächlich zum Arbeiten aufgesucht. Die privaten Tätigkeiten, wie Einkau-fen, soziale Kontakte, Freizeitgestaltung beschränken sich dagegen fast ausschließ-

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lich auf die Gebiete im ehemaligen Ostteil der Stadt. Die befragten PolitikerInnen bestätigten diese Tatsache mehrheitlich. Man könnte den geringen Bewegungsradius innerhalb der Stadt und das geringe In-teresse an stadtweiten und globalen Themen auch als kleinbürgerlich-provinzielles Bewusstsein bezeichnen. Soziales oder politisches Engagement bezieht sich dem-nach fast ausschließlich auf die Wohnumgebung und auf die Verbesserung der eige-nen Situation. Das eigene Engagement entspringt der Erkenntnis, dass der Staat oder andere Institutionen bestimmte Probleme nicht lösen werden, oder zumindest nicht von alleine. Die den Ost-Deutschen oft unterstellte „Der Staat wird´s schon rich-ten“ Mentalität ist hier nicht zu erkennen. Gleichzeitig besteht Grundvertrauen in die politischen Institutionen, da sie es sind, die bei Problemen angesprochen und als Ansprechpartner genannt werden. Die Bür-gerInnen sind überzeugt: Sollen bestimmte Probleme gelöst werden, ist Eigeninitiati-ve gefragt. Demnach sind auch die Sprechstunden der BezirkspolitikerInnen gut be-sucht. Das wurde auch mehrheitlich von den befragten PolitikerInnen bestätigt. Auch gab es verschiedene BürgerInneninitiativen, beispielsweise eine gegen verkehrs-technische Baumaßnahmen und eine Unterschriftenaktion gegen eine Kneipe, die vorwiegend von Rechtsradikalen besucht wurde. Es wird deutlich: Die Menschen im Nibelungenviertel sind mittlerweile im politischen System der Bundesrepublik angekommen und in alle gesellschaftlichen Teilbereiche (politisch, ökonomisch, sozial) integriert. Das politische Vertrauen gilt nicht einzelnen Personen, sondern dem politischen System; gleichwohl stellt die PDS einen starken Integrationsfaktor dar. Das drückt sich auch im Wahlverhalten der befragten Bewoh-nerInnen aus, die mehrheitlich die PDS gewählt haben. Der Rest geht nicht wählen oder machte keine Angaben zur gewählten Partei. In der Frage Gerechtigkeit und Umverteilung zeichnet sich bei den BewohnerInnen des Quartiers eine dem Sozialstaatsprinzip grundsätzlich zugeneigte Position ab. Privatisierungen werden kritisch gesehen, und es wird häufig die Sorge geäußert, dass bei solchen die Sozialleistungen auf der Strecke bleiben könnten. Einschrän-kungen im sozialen Bereich lehnen die Befragten größtenteils strikt ab. Gleichzeitig werden aber auch keine Forderungen nach einer radikaleren Umverteilung laut. Es gibt kein Gefühl der Benachteiligung und daraus resultierend auch keine Forderun-gen nach mehr oder gerechterer Umverteilung. Eher wird der Osten als ökonomisch benachteiligt gesehen. Über das Quartier herrscht das Bewußtsein, dass es nicht im Mittelpunkt des Berliner Interesses liegt, doch das wird akzeptiert, wenn nicht sogar begrüßt. Bei den BezirkspolitikerInnen ergibt sich ein differenzierteres Bild. Umverteilungs-maßnahmen werden teilweise befürwortet, teilweise aber auch abgelehnt. Es gibt hier auf der einen Seite eine idealistische Position, bei welcher Umverteilungsmaß-nahmen erwünscht sind, um bestehende Mängel (schlechte Straßen, ungepflegte Grünanlagen) zu beseitigen – ohne das jedoch konkretisiert wird, woher die finanziel-len Mittel kommen könnten. Auf der anderen Seite besteht eine pragmatische Sicht-weise, bei der realisiert wird, dass diese finanziellen Mittel nicht existieren und somit ein Umverteilungsmodell zwischen den einzelnen Bezirken nur wie bisher realisiert werden kann. Auf beiden Seiten wird aber der Unmut darüber artikuliert, dass dem Osten allgemein und dem Bezirk Lichtenberg im Besonderen zu wenig Geld zur Ver-fügung steht.

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3.2. WEDDING

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3.2.1 Quartiersbeschreibung

Das Quartier Nauener Platz liegt am nördlichen Rand von City Ost und City West. Es ist sehr gut angebunden, was den öffentlichen Personenverkehr betrifft. Für den Wedding hat das Quartier keine zentrale Bedeutung. Der Leopoldplatz, die Müllerstraße und ein Einkaufszentrum am Gesundbrunnen sind weitaus belebter und aufgrund zahlreicher Einkaufsmöglichkeiten attraktiver. Der südliche Teil des Quartiers liegt im 2001 festgelegten Quartiersmanagement Pankstraße, einem Projekt im Rahmen des Bund-Länder-Programms „Soziale Stadt“. Durch das Quartiersmanagement soll neben konkreten Maßnahmen vor allem das Engagement der Bewohner aktiviert werden. Zum Zeitpunkt unseres Forschungspro-jekts sind die Gelder für die neuen Quartiersmanagement-Gebiete jedoch aufgrund der Finanzkrise noch nicht geflossen und auf unbestimmte Zeit verschoben worden. Der nördliche Teil des Quartiers gehört nicht zum Quartiersmanagement-Gebiet. Die Hauptstraßen am Rand des Quartiers sind stark befahren. Daneben gibt es je-doch auch zahlreiche ruhige und verkehrsberuhigte Zonen im unmittelbaren Wohn-gebiet. Grob kann man das Gebiet in drei Bereiche aufteilen: Der südwestliche Bereich des Quartiers ist durch die Osram Höfe, ein Dienstleistungszentrum auf dem Gelände eines ehemaligen Industriegebietes, verkehrsberuhigte Zonen und ein ethnisch hete-rogenes Wohngebiet gekennzeichnet. Im Norden, in dem sich ein Geriatrie-Zentrum und das Jüdische Krankenhaus befinden, dominieren Seniorenwohnungen. Im Osten liegt eine ehemalige Industriegegend, in der sich eine große Brachfläche und eine Omnibuswerkstatt befinden. Im öffentlichen Bewusstsein wird der Wedding heute häufig noch immer als der Ar-beiterbezirk wahrgenommen, der er einst war. Im 19. Jahrhundert wurden hier, vor den Toren der Stadt, große Industrieanlagen angesiedelt. Der damit einhergehende wirtschaftliche Aufstieg führte zu einem rasanten Anwachsen der Bevölkerungs-dichte. Die benötigten ArbeiterInnen wohnten zumeist in Mietskasernen. Dunkle Hin-terhöfe und mangelnde hygienische Bedingungen waren für diese Wohnsituation charakteristisch. Die BewohnerInnen mussten sich mit engstem Wohnraum begnü-gen. In den 1930er Jahren war der Wedding einer der am dichtesten bewohnten Ge-biete Europas. In politischer Hinsicht ist der Wedding traditionell eine Hochburg der Kommunisten und der Sozialdemokratie. Dafür steht der stadtweit bekannte Begriff „Roter Wed-ding“. In der Weimarer Republik war der Nauener Platz einer der Schauplätze, an denen sich Nationalsozialisten und Kommunisten blutige Straßenkämpfe lieferten. Für die Nachkriegszeit sind zwei Tendenzen kennzeichnend: Seit den 60er Jahren wurde das Quartier insgesamt bevorzugtes Wohngebiet für so genannte „Gastarbei-ter“. Der Ausländeranteil stieg kontinuierlich an und prägte auch zunehmend das Au-ßenbild des Bezirks. Außerdem wurde der Wedding durch die Schließung zahlreicher Industrieniederlassungen vom Arbeiterbezirk zum Bezirk der Arbeitslosen. Insgesamt kann man zusammenfassen, dass das Quartier zahlreiche Erwartungen erfüllt, die man bei einem sozial schwachen Gebiet hat. Dennoch waren wir bei unse-rer ersten Begehung überrascht, wie grün und friedlich das Quartier wirkte, das einen so schlechten Ruf genießt.

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Erscheinungsbild Bei der ersten Begehung machte das Quartier einen intakten und lebendigen Ein-druck. Es ist dicht bebaut und hat viele Hinterhöfe. Wie der Wedding insgesamt, so weist auch dieses Quartier sehr unterschiedliche Bebauungen auf und stellt eine Mixtur aus alten Mietskasernen und Bauten aus den 50-er, 60-er und 80-er Jahren dar. Das Quartier ist ein langjähriges Sanierungsgebiet, vor allem die Liebenwalder Stra-ße, in der wir auch die meisten Interviews führten. Der Anteil an Wohnungsbaugesellschaften ist sehr hoch. Von besonderer Bedeutung für das Quartier sind die GeSoBau (Gesellschaft für Sozialen Wohnungsbau) und die DeGeWo (Deutsche Gesellschaft zur Förderung des Wohnungsbaus). Bei der ersten Begehung entstand nicht der Eindruck eines auffälligen Leerstandes. Da der Zustand der einzelnen Häuser jedoch sehr heterogen ist, muss man davon ausgehen, dass es in einigen besonders schlecht erhaltenen Häusern einen hohen Leerstand gibt. Die GeSoBau gibt an, dass ihr Leerstand mit ca. 2% äußerst gering sei. Umso mehr fällt der Leerstand von Gewerbeflächen auf. Viele Erdgeschossläden stehen leer und sind in ungepflegtem Zustand. Außerdem liegt eine große ehemalige Industriefläche vollkommen brach. Der Straßenzustand ist sehr unterschiedlich. Es gibt eine hohe Dichte an Autos und Parkplätzen, aber auch viele Bäume am Straßenrand. Unmittelbar im Quartier gibt es keine Parkanlagen. In direkter Nähe befinden sich jedoch mehrere Erholungsgebiete wie etwa der Schillerpark, Rehberge und der Humboldthain. Im Quartier existieren stattdessen zahlreiche Spielplätze, kleine Grünflächen, Wie-sen, entkernte Innenhöfe und Bäume, so dass das Quartier im Sommer sehr grün wirkt. Diese Erholungsmöglichkeiten werden sehr stark genutzt. Teilweise ist der Zu-stand der Spielplätze allerdings so schlecht, dass die Benutzung nur eingeschränkt möglich ist. Im Vergleich mit anderen Innenstadtquartieren ist die Sauberkeit kein signifikantes Problem. Auch hier liegt Müll auf der Strasse, die öffentlichen Abfalleimer sind ver-stopft und Hunde verunreinigen die Bürgersteige. Tagsüber wurde bei unseren Begehungen kein Bedrohungspotential festgestellt. Die Strassen sind belebt. An manchen Plätzen trifft man auf TrinkerInnen, Obdachlose oder Jugendliche, die Passanten aber eher ignorieren und einen friedlichen Eindruck machen. Infrastruktur Da viele Kinder im Quartier leben, gibt es zahlreiche Kitas und Kinderläden. Im Quar-tier befindet sich auch die Erika-Mann-Grundschule. Der Ruf der Grundschulen im Wedding ist miserabel, was vor allem auf die mangelnden Deutschkenntnisse vieler ausländischer Kinder zurückzuführen ist. Insgesamt überwiegen deutlich die Angebo-te an Kinder unterhalb des einschulungspflichtigen Alters. Im Quartier selbst gibt es zahlreiche Bildungseinrichtungen wie z.B. eine Niederlas-sung der Volkshochschule und eine Stadtbücherei. Die Osram Höfe beherbergen

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Informations- und Bildungsmöglichkeiten, wie z.B. ein Berufsinformationszentrum, ein Weiterbildungszentrum des Arbeitsamtes, eine Niederlassung von SOS-Kinderdorf und eine Bildungsakademie. Signifikant ist auch die Anzahl an Arbeitsvermittlungsagenturen im Quartier, wie z.B. ein Job Center für Frauen. Außerdem gibt es eine Treberhilfe. Die Freizeitangebote im Quartier sind sehr begrenzt. Vor allem ein studentisch- alter-natives Milieu findet hier kaum Angebote. Es gibt keine Theater oder Kultureinrich-tungen. In der unmittelbaren Vergangenheit fanden jedoch einige Veränderungen statt: Durch die Eröffnung des Café Schraders, in dem zur Zeit eine Kunstausstellung ist und das sich als gehobener Szene-Treffpunkt versteht, wurde im Quartier ein neuer Akzent gesetzt. Außerdem eröffnete das Kino Alhambra (U-Bahnhof Seestraße) neu. In der Müllerstraße entstand vor kurzem ein Einkaufszentrum mit einer großen Bowling-bahn. Insgesamt richten sich die Freizeitangebote eher an Kinder, Jugendliche und Famili-en. Es gibt viele Sportvereine, ein Hallenbad in der unmittelbaren Nähe und ein gro-ßes Jugendfreizeitzentrum. Zu den Einrichtungen für Erwachsene, vor allem für Männer, zählen auch einige Spielhallen und Sexshops im Quartier, die das Bild jedoch nicht dominieren. Wenn man die Gastronomie im Quartier einteilen möchte, fällt auf, dass es zwei un-terschiedliche Angebote gibt. Zum Einen existieren noch die traditionellen Altberliner Eckkneipen, die bereits nach außen hin mit „Schultheiß“ etc. werben. Daneben gibt es eine stark vertretene ethnische Gastronomie, die vor allem durch türkische Teesa-lons repräsentiert wird und in sich ethnisch sehr homogen und geschlossen scheint. Nach außen fällt besonders die ethnische Ökonomie ins Auge – türkische Obstläden, Teehäuser, Telecafes und Imbissläden. Es gibt wenige staatliche und politische Institutionen im Quartier. Am Rand befindet sich ein Amtsgericht. In den Osram Höfen sind Polizei und Arbeitsamt untergebracht. Einige religiöse türkischen Institutionen haben ihren Sitz im Quartier. Die 2 Mo-scheen fallen ortsunkundigen Passanten kaum auf. Die evangelische Backsteinkir-che ist dagegen ein architektonisch anspruchsvoller Schmuck für das Quartier. Die medizinische Versorgung ist sehr umfangreich. Im Norden befinden sich ein Jü-disches Krankenhaus und ein Geriatrie-Zentrum. Im Wohngebiet fallen vor allem tür-kische Arztpraxen auf sowie eine Konzentration an Seniorenwohnanlagen. Es gibt vier Supermärkte und insgesamt wenig Einzelhandel im Quartier. Viele Be-wohner nutzen den Leopoldplatz, die Müllerstraße oder die Einkaufscenter für ihre Einkäufe. Im Quartier existieren viele Gebrauchtwarenläden, die ein breitgefächertes Sortiment an Möbeln und Einrichtungsgegenständen anbieten. Viele Läden wenden sich an Käufer mit niedrigem Einkommen. Es fehlen sowohl Markenläden als auch Szene-Geschäfte. Neue Akzente wurden in der letzten Zeit vor allem durch das Jugendhotel in der Malplaquetstraße gesetzt und durch die Osram Höfe, wo sich einige Dienstleistungs-anbieter angesiedelt haben.

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Die für den Wedding früher so typischen Fabriken gibt es heute nicht mehr. Die da-durch freigesetzten Arbeitsplätze konnten nicht aufgefangen werden, so dass der Wedding insgesamt durch hohe Arbeitslosigkeit gekennzeichnet ist. In den Osram Höfen gibt es nun zahlreiche Büros, im Erdgeschoss befinden sich Supermärkte und ein Bekleidungsgeschäft. Das jetzige Gewerbe besteht vor allem aus kleinen Handwerksgeschäften, insbe-sondere Elektrogeschäften. Es bestehen auch einige wenige Jobs für Niedrigqualifi-zierte im ansässigen Gewerbe. Sozialstruktur Statistische Daten Wedding: Verkehrszelle 92 Einwohner (VZ 1998) 27.363 Über 65jährige in % (VZ 1995) 11,4 Unter 18jährige in % (VZ 1995) 21,5 Ausländerzahl (VZ 1998) 10.927 Ausländer in % (VZ 1998) 39,9 Arbeitslosenzahl (VZ 1998) 3054 Arbeitslosenanteil an den 20-64jährigen in % (VZ 1998) 17,3 Sozialhilfedichte in % (Bezirk 1996) 14,4 VZ = Verkehrszelle 1996 = Daten aus “Sozialorientierte Stadttentwicklung”, 1998 1995 = Daten aus “Sozialstrukturatlas”, 1997 1998 = Daten vom Einwohnermeldeamt undStatistische Daten Lichtenberg: Im Quartier um den Nauener Platz wohnen 27.363 Personen. Mit 21,5% (1995) unter 18jährigen ist die Bewohnerschaft relativ jung. Das Quartier gehört zu den Regionen Berlins mit einem sehr hohen Ausländeranteil (1998, 39,9%). Auch der Arbeitslosen-anteil ist mit 17,3% (1998) vergleichsweise hoch. Die Sozialhilfedichte geht im Ver-gleich zu den anderen Untersuchungsgebieten mit 14,4% (1996) sogar ins Vierfache. Die statistischen Angaben über die demographische Zusammensetzung des Quar-tiers entsprechen dem Bild der Bevölkerung im öffentlichen Raum. Die Bewohner-schaft erscheint sehr heterogen. Augenfällig ist ein großer Anteil an ausländischer Bevölkerung mit vielen Kindern und hoher symbolischer Präsenz. Dieser hohe Aus-länderanteil ist unter anderem die Folge der Sanierungsmassnahmen ab Ende der 60-er Jahre. AusländerInnen zogen als Zwischenmieter in die zu sanierenden Woh-nungen ein und sind dort geblieben. Heute ist diese Gruppe in sich wiederum sozial sehr heterogen strukturiert. Die deutschen BewohnerInnen im Quartier sind zum großen Teil Angehörige der Mit-tel- und Unterschicht. Dabei gibt es jedoch einen eindeutigen Trend: Mittelstandori-entierte, akademisch geprägte BewohnerInnen sowie Familien mit Kindern im ein-schulungspflichtigen Alter ziehen weg. Neu zuziehende deutsche BewohnerInnen sind oftmals arbeitslos und beziehen Sozialhilfe.

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Auf der Straße sieht man an öffentlichen Plätzen und Banken regelmäßig TrinkerIn-nen und Menschen, die einen ungepflegten Eindruck machen. Sie bilden nicht die Mehrheit, sind jedoch an bestimmten Plätzen konzentriert. Auffällig ist darüber hinaus das Nebeneinanderherleben deutscher und ausländischer BewohnerInnen. Beide Gruppen scheinen in sich sehr geschlossen zu sein und sich gegenseitig nicht sehr zu beachten. Wahlergebnisse In den Wahlen zum Abgeordnetenhaus und zur Bezirksverordnetenversammlung im September 2001 in Berlin lag die Wahlbeteilung im Quartier um den Nauener Platz8 unter 50% und damit deutlich unter der Wahlbeteiligung im Wedding und in ganz Berlin. Sowohl die Erststimmen und Zweitstimmen zur Wahl des Berliner Abgeordne-tenhauses als auch die Wahl der Bezirksverordnetenversammlung ging zugunsten der SPD mit um die 40% aus. Die CDU bekam knapp unter 30% der Stimmen und PDS und Grüne liegen mit ca. 10% an dritter Stelle. Schließlich bekam die FDP in allen drei Wahlen knappe 7% der Stimmen. Auffallend ist, dass die rechtsradikalen Parteien im Vergleich zum Bezirk Mitte (Wedding, Tiergarten, Mitte) und zum ge-samt-berliner Ergebnis mit ca. 3% relativ stark vertreten sind

8 Stimmbezirke: 602,603,606,608,609,610,611,613,615,616,617,618,620,635 In den Klammern hinter den Werten stehen die Wahlergebnisse für ganz Berlin.

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3.2.2 Auswertung der Interviews

Im Folgenden geben wir die positiven und negativen Eindrücke der BewohnerInnen über ihr Gebiet wieder. Dabei zeigte sich, dass BewohnerInnen Aspekte sowohl posi-tiv als auch negativ bewerteten – so äußerte sich zum Beispiel ein Teil der Bewoh-nerschaft positiv über den hohen Anteil an ausländischer Bevölkerung und ein ande-rer Teil negativ. Insgesamt zeichnet sich ein differenziertes Bild ab; die BewohnerIn-nen wissen um die Nachteile des Gebietes, betonen aber zugleich die oftmals in der Öffentlichkeit nicht beachteten Vorteile. Alle Befragten betonen, dass das untersuchte Quartier eine gute Verkehrsanbindung (Individualverkehr und ÖPNV) habe. Wichtige Orte, wie die beiden Stadtzentren West und Ost, der Flughafen Tegel oder der Bahnhof Zoologischer Garten seien schnell und leicht erreichbar. Als angenehm wurde öfter angegeben, dass die Mieten auch bei großen Wohnungen günstig seien. Die im Umfeld gelegenen Grünanlagen machten den Wedding attraktiv. Etliche Befragte gaben an, dass das Quartier durch die vielen Grünanlagen und Spielplätze gut geeignet für Kinder sei. Schöne Stellen im Wedding seien darüber hinaus der Plötzensee, der Humboldthain, der Schiller-park und die Rehberge. Es gebe viele Freizeitmöglichkeiten wie z.B. Schwimmbäder, eine Bowlingbahn und ein Kino. Oftmals wurde angegeben, dass die Einkaufsmöglichkeiten auch für niedrige Ein-kommen gut seien, da das Warenangebot in den Warenhäusern und im Einzelhandel auf die Bevölkerung eingestellt sei. Vereinzelt wurde von einer beginnenden Aufwer-tung des Gebietes gesprochen, vor allem durch die Neueröffnung eines Jugendho-tels „Steps“ und des Café „Schraders“ mit Ausstellungen. Einige Befragte gaben an, dass die Ausstattung für Kinder gut sei, da viele Kindertagesstätten, Kinderläden und Schulen im Quartier vorhanden seien. Für Kinder bis 12 sei das Angebot ausrei-chend, für Jugendliche allerdings eher nicht. Die Schulleiterin der Erika-Mann-Schule gab an, dass eingeschulte Kinder immer seltener zur zweiten oder dritten Klasse auf eine andere Schule in einem anderen Bezirk wechseln würden. Als positiv wurde von Einigen die Entwicklung der Osram Höfe bewertet, so z.B. der Zuzug des Bildungs-werkes von SOS Kinderdorf. Der Sozialstadtrat wies daraufhin, dass sich u.a. im Quartier das Jüdische Krankenhaus und fast 1000 Seniorenwohnungen befänden, wodurch Senioren aus dem Wedding im Alter nicht noch in andere Stadtteile umzie-hen müssten, sondern in ihrer alten Sozialstruktur bleiben könnten. Ein Befragter hob die Architektur hervor. Ebenfalls ein Befragter gab an, dass die Reinigung durch die BSR regelmäßig erfolge. Einige BewohnerInnen gaben an, dass die Wohngebiete durch die verkehrsberuhigten Zonen attraktiver geworden sind. Des Öfteren wurde bemerkt, dass die Bevölkerung des Gebietes sich durch eine of-fene, direkte und einfache Art auszeichne. Eine oft gestellte Äußerung war: „Alle lau-fen so rum wie sie auch zu Hause rumlaufen.“ Die BewohnerInnen gelten als ehrlich, kontaktfreudig, offen und „rau, aber herzlich, ein Schlag Mensch, der die Wahrheit verträgt.“ (II GEX 2) Einige Bewohner äußerten, dass der hohe Anteil der ausländi-schen Bevölkerung am Nauener Platz als eine positive demographische Konstellati-on empfunden werde, weil durch jene Bevölkerungszusammensetzung gemischt-ethnische Familien vor physischen und mentalen Angriffen geschützt würden. Au-ßerdem wurde von einer Bewohnerin das „multikulturelle“ Klima als positiv für das Heranwachsen von deutschen Kindern empfunden.

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Die hohe Konzentration von Benachteiligungsgruppen (Arbeitslose, Sozialhil-feempfängerInnen, Alleinerziehende und problembelastete, unqualifizierte Jugendli-che und perspektivlose Kinder, alte Menschen, ausländische Wohnbevölkerung) empfinden die BewohnerInnen als auffallend. Mehrere Befragte äußerten, dass An-zeichen sozialen Niedergangs, Ghettoisierungsgefahr sowie anhaltende Polarisie-rung zwischen den Altersgruppen und ethnischen Gruppen bestünde. Der Leiter der Jugendfreizeitstätte bemerkte bei einigen „Resignation und Frustration“ sowie „Desin-teresse und Vernachlässigung der Probleme“. Der Wedding gilt bei vielen befragten Bewohnern als der Bezirk der „arbeitslosen Arbeiter“. Die befragten ExpertInnen gaben öfters an, dass die Arbeitslosigkeit das größte Problem sei. Diesen sozioökonomischen Niedergang erfahren z.B. LehrerIn-nen tagtäglich: „Jeder Ausflug wird zum heiklen Unternehmen“, denn man wisse nicht, ob das Fahrgeld reiche. „Die ärmeren BewohnerInnen haben auch ein geringe-res Selbstwertgefühl - dieses überträgt sich auch auf die Kinder. Es kann zu Aggres-sion oder zu Verweigerung führen.“ Eine Befragte, eine Selbstständige, gab an, dass insbesondere der Mittelstand im Schwinden begriffen sei. Die ausländische Wohnbevölkerung wird von den meisten deutschstämmigen Be-fragten als eine homogene Gruppe wahrgenommen: „Die Ausländer haben andere Lebensgewohnheiten, was sich vor allem bei den männlichen ausländischen Jugend-lichen zeigt“. (II BW 6) Ein Befragter deutete Unterschiede zwischen der ersten Gastarbeitergeneration und heute an: „Die erste Gruppe der so genannten Gastar-beiter waren isoliert. Alle haben gearbeitet und wenn sie arbeitslos waren, haben sie auch wieder neue Arbeit gesucht. Später sind hier Menschen angesiedelt worden, die überhaupt keine Chance hatten, sich zu integrieren. Sie sind zu spät gekommen, und können die Schule nicht abschließen, Arbeit gibt es für sie nicht mehr.“ (II BW 8) Einige Befragte, ExpertInnen und BewohnerInnen, sagten, dass die Gruppen der ausländischen Wohnbevölkerung in einem Zustand der Abgrenzung lebten: Die Menschen, die oft auch die deutsche Sprache nicht verstünden, wohnten nur in ihren sozialen Bereichen. Ein Experte sah es als Problem, wenn heterogene Ausländer-gruppen zusammen wohnten, wie etwa in der Soldiner Straße (Türken – Rumänen, Jugendgangs...). Zwei Experten gaben zu Bedenken, dass auch mittelstandsorien-tierte AusländerInnen den hohen Ausländeranteil als Problem empfänden. Dieses zeige sich an dem Wegzug dieser Familien, sobald die Einschulung der Kinder be-vorstehe. Eine häufig geäußerte Meinung war, dass die Einkaufsmöglichkeiten sich zusehends verschlechtern: Große und bessere Geschäfte würden schließen. Eine Befragte sag-te: „Wenn erst mal die 99 Pfennig Läden aus dem Boden schießen und die Blumen-läden zu machen, da weiß man schon, dass der Stadtteil dann umkippt.“ (II BW 1) Auch in Bezug auf die Sauberkeit gab es Klagen: Einige Befragte bemängelten, dass der Kiez ziemlich verwahrlost sei. Genannt wurden speziell die hohe Kinderzahl, die Bevölkerungsdichte und die Ansammlungen von Sperr- und sonstigem Müll in Haus-fluren und auf Höfen. Das Sicherheitsgefühl der Befragten ist überwiegend gut. Fast übereinstimmend sprechen sie von einer geringen Gefährdungslage. Kriminalität unter ethnischen Gruppen beziehe sich i.d.R. nur auf die Gruppe selbst (Schlägereien). Allerdings empfanden einige Befragte die Präsenz von ethnischen Jugendlichen als Gruppe auf der Strasse als latente Bedrohung. Alle befragten Frauen fühlen sich sicher im Quar-tier. Einzig ein Mann meinte, dass man sich als Frau wohl unsicher fühlen müsste.

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Eine weit wichtigere Rolle als das Sicherheitsempfinden spielt für die BewohnerInnen die Zufriedenheit im Stadtteil. Größer ist jedoch die Unzufriedenheit im Bezirk. Einige BewohnerInnen äußerten, dass BewohnerInnen, die es sich finanziell leisten konn-ten, weggezogen seien. Dies deckt sich auch mit einer Untersuchung, die die GeSo-Bau durchgeführt hat. Von einem Repräsentanten erfahren wir, dass laut dieser Untersuchung ein hoher Prozentsatz mit der unmittelbaren Wohnsituation zufrieden, dennoch will ca. 40% der von der GeSoBau Befragten aus dem Quartier wegziehen. Die GeSoBau beschreibt die Bindung als schichtspezifisch: Der Mittelstand lebe hier wegen einer Kiezzugehö-rigkeit, allerdings werde zumeist bei der Einschulung der Kinder ein Wohnortwechsel vorgenommen. Die Unterschicht würde dort leben, weil „sie dort halt lebt. Studieren-de zögen nach dem Ende der Ausbildung fort. Nach Angaben des Sozialstadtrates seien innerhalb von vier Jahren (1996-2000) 50% der Weddinger Bevölkerung weg-gezogen. Die meisten Befragten gaben an, dass deren Freunde nicht in diesem Gebiet woh-nen wollen würden. Der Ruf des Wedding sei denkbar schlecht und es werde im All-gemeinen die Vorstellung eines „sozial heruntergekommenen“ Bezirks verbunden. Die Reaktion von Nicht-Berlinern sei nach den Angaben vieler Befragter „ganz ex-trem“. Es herrsche ein äußerst abfälliges Bild vom Wedding, das durch Müll und so-ziale Probleme gekennzeichnet sei. Befragt man die Weddinger nach ihrer Meinung zu anderen Stadtteilen äußern sich die meisten positiver über den Westteil, als über den Ostteil der Stadt: Im Osten fühle man sich in den weiter außen gelegenen Bezirken unsicher, in der Mitte aber wohl. Der Westen wird eher als positiv, weil „bekannter“, wahrgenommen. Ein Befragter gab an, dass er sich auch in Kreuzberg und Neukölln unwohl fühle, da es dort ähn-lich wie im Wedding sei. Die politische Partizipation im Quartier wurde in Bezug auf drei Ebenen untersucht. Wir fragten nach dem Wahlverhalten, dem Wissen über den Stadtteil sowie dem poli-tischen Engagement in Bürgerinitiativen, Parteien oder nicht organisierten Aktivitä-ten. Von den 10 BewohnerInnen, die wir befragten, wählten drei Personen bei den letzten Wahlen nicht. Beide Bewohner ausländischer Herkunft gehen schon seit längerem nicht mehr wählen, weil sie sich nicht mit der Politik in Deutschland beschäftigen. Eine Gebietsexpertin bemerkt, dass AusländerInnen mit doppelter Staatsbürger-schaft selten wählen gehen. Die Einstellung den Wahlen gegenüber ist überwiegend negativ. Zwei der Personen, die an sich wählen gehen, gehen davon aus, dass sich eigentlich nichts ändert. „Ja ich gehe wählen, aber im Endeffekt ist alles eine Brühe.“ (II BW 1) Zwei Gebietsex-perten bemängeln den hohen Prozentsatz der ProtestwählerInnen. Da sich die Politik ohnehin nicht für die Probleme des Wedding interessiert, sei der hohe Prozentsatz der Protestwähler, was vor allem die rechtsradikalen Parteien angeht, nicht erstaun-lich gewesen. Im Quartier ist das Wissen über die politischen Themen und Prozesse im Stadtteil sehr gering. Fünf Personen sind sehr wenig über die Bezirkspolitik informiert. Sie wissen nicht, wer in der BVV sitzt oder dass es Bürgerinitiativen und ein Quartiers-management in Wedding gibt. Dieses liegt zum Teil an Desinteresse am Stadtteil, aber auch an wenig Engagement, sich zu informieren, an Gewohnheit, Zeitmangel,

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Frustration oder an der starken Verbindung mit dem Herkunftsland. Drei Bewohne-rInnen haben gutes Wissen über den Stadtteil. Sie kennen die Arbeit der Bürgerinitia-tiven und auch andere Einrichtungen im Stadtteil. Und schließlich verfügen zwei Per-sonen über ein „mittleres“ Wissen. So wissen sie z.B. etwas über das Quartiersma-nagement aber nicht über die Bezirkspolitik und wissen auch nicht an wen sie sich wenden würden, um Eingaben, Beschwerden etc. vorzubringen. Drei BewohnerInnen wissen, dass das Bezirksamt Bürgersprechstunden anbietet. Von diesen weiß allerdings eine von diesen gar nicht, wo und wann sie stattfindet. Ein Bewohner betont die Notwendigkeit von Aufklärung über rechtliche und soziale Fragen für Eltern in den Schulen (II BW 2). Es gibt zwei Bürgerinitiativen im Quartier um den Nauener Platz. Beide beschäftigen sich mit Sauberkeit, Kriminalität, sozialen Kontakten, Probleme mit TrinkerInnen. Ü-ber den Präventionsrat wurde Kontakt mit der Verwaltung aufgenommen. Der Prä-ventionsrat ist ein Stadtteilgremium mit Organisationen, Vereinen und PolitikerInnen des Quartiers, die sich mit der Thematik Kriminalität und Gewalt beschäftigen. Ein Bezirksangestellter, der im Rahmen seiner Arbeit für die Betreuung der Bürgerinitiati-ven und des Präventionsrates verantwortlich ist, beurteilt deren Arbeit sehr positiv schränkt allerdings den Handlungsspielraum des Bezirksamts stark ein. „Die Mög-lichkeiten vom Bezirk sind ganz gering. Das was wir machen können, ist eigentlich nur das, was wir gemacht haben, nämlich einen Diskussionsprozess in den Kiez zu kriegen.“ (II P 2) Die Arbeit der Bürgerinitiativen werden von den BürgerInnen unterschiedlich beur-teilt. Zwei der befragten BewohnerInnen sind in Kiezgruppen aktiv. Das Beisammen-sein und der Austausch zwischen den BewohnerInnen werden gewürdigt. Beide von ihnen bezeichnen ihre Arbeit nicht als politisch, sondern als sozial. Nicht die Politike-rInnen sind AnsprechpartnerInnen. In diesem Sinne ist wohl eher von Kiezgruppen als von Bürgerinitiativen zu sprechen. Es geht um das gemeinsame Engagement der QuartiersbewohnerInnen. Es wird allerdings bemängelt, dass das Engagement der BewohnerInnen schnell nachlasse und die Interessen stark variieren. Zwei Personen üben Kritik an den Bürgerinitiativen und dem Engagement des Café Schraders. Die-se würden die Interessen der „TrinkerInnen“ vernachlässigen und diese vertreiben. Sie betonen, dass es natürlich ein soziales Problem sei, wenn sich eine Gruppe von Leuten schon morgens zum Trinken auf der Strasse trifft, betonen aber, dass das einfache Vertreiben dieser Leute das Problem an sich nicht lösen würde. Schließlich würdigen zwei Personen und die Schulleiterin die freiwillige Arbeit. Engagement sei absolut wichtig, damit nicht alles „den Bach runter geht“. (IIBW5) Die befragten Politi-kerInnen, zwei GebietsexpertInnen und vier BewohnerInnen kennen die Arbeit der Bürgerinitiativen nicht. Die Einrichtung des neuen Quartiersmanagementgebiets wird durchweg als positiv beurteilt und auf das Engagement der Verwaltung und der Bürgerinitiativen zurück-geführt. Die acht Personen, die sich momentan nicht aktiv für ihren Stadtteil engagieren, ge-ben unterschiedliche Gründe an. So fehlt bei manchen die Zeit, andere suchen be-reits nach einer Wohnung in einem anderen Quartier. „Jetzt hätte ich Zeit, aber ob ich die Lust habe, weiß ich nicht. [...] Ich will ja sowieso hier weg.“ (II BW 7) Oder se-hen sowieso keinen Sinn in bürgerschaftlichem Engagement: „Wenn du siehst, dass sich ein Problem nicht ändert und dass du Ohnmacht der Sache gegenüber hast, dann willst du dich ja nicht damit befassen.“ (II BW 8) Zwei Personen beurteilen das

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Quartier allerdings als so positiv, dass sie ein Engagement nicht für notwendig hal-ten. Damit sie sich engagierten, müssten sie konkret über Geld entscheiden können, der Vorgang transparent sein und sich tatsächlich etwas verändern. Wer sich engagiert oder engagiert hat empfindet das als lohnend, da man mit Men-schen in Kontakt kommt und auch kleine Erfolge feiern kann. Einige BewohnerInnen und ExpertInnen betonen, dass das Engagement auch von der Politik unterstützt werden müsse. „Wenn von oben nichts kommt, dann passiert auch nichts.“ (IIBW7) Ein Gebietsexperte kritisiert das mangelnde Engagement der Politik und Verwaltung in Bezug auf die Initiierung politischer Partizipation. Der Leiter des Jugendzentrums betont, dass die Mobilisierung der BewohnerInnen aufgrund der „Resignationsanzeichen“ schwierig sei. Die Befragten hatten größtenteils recht unterschiedliche Erfahrungen mit politischem Engagement. Das Ergebnis variiert von einer Person, die sehr stark in der Kiezgrup-pe mitarbeitet bis zu Personen, die schon seit Jahren nicht mehr zur Wahl gegangen sind. Auch wenn die Probleme im Stadtteil von allen Befragten sehr ähnlich be-schrieben werden, reagieren sie doch unterschiedlich. Es gibt keinen gesellschaftli-chen Konsens im Quartier über gemeinsame Werte und darüber, was getan werden müsste, um die Situation zu verbessern. Einige wenige versuchen durch Engagement, Aktivitäten und regelmäßige Treffen mit anderen BewohnerInnen ihre Bindung ans Quartier zu intensivieren und bürger-schaftliches Engagement auch bei anderen anzustoßen. Die Mehrzahl hat wenig Mo-tivation sich zu engagieren, da die Wirkung der politischen Arbeit als nicht sehr hoch eingeschätzt wird. Und schließlich gibt es diejenigen, die sich nicht engagieren, weil ihre Bindung an den Stadtteil sehr locker ist oder aber weil sie sich im Stadtteil doch relativ wohl fühlen. Allgemein ist zu sagen, dass das politische Interesse nicht sehr hoch ist. Die Bürger-initiativen müssen vom Bezirksamt unterstützt werden, damit sie weiter bestehen. Sie verstehen sich als sozialer Treffpunkt, weniger als politische Bewegung. Das Wissen über Aktivitäten im Quartier ist sehr gering, obwohl von den meisten die Situation im Quartier massiv kritisiert wird. In diesem Abschnitt interessiert uns, wie PolitikerInnen das Quartier repräsentieren, wie die BewohnerInnen das Engagement der PolitikerInnen einschätzen und ob sie ihre Interessen dadurch vertreten sehen. Auf der anderen Seite wollen wir wissen, wie der Kontakt zwischen PolitikerInnen und BewohnerInnen zu bewerten ist. Zuletzt fragten wir, in welcher Form das Quartier auf der Agenda in politischen Gremien steht. Die Bereitschaft der PolitikerInnen, sich für das Quartier einzusetzen und es damit nach außen politisch zu repräsentieren, wird als äußerst gering wahrgenommen. BewohnerInnen und GebietsexpertInnen haben überwiegend den Eindruck, dass die PolitikerInnen zwar die Probleme des Quartiers kennen, den Status quo jedoch still-schweigend akzeptieren und sich zu wenig engagieren: „Die Politiker wissen, was hier los ist, und man lebt damit. Es gibt dann eben einen schwachen Bezirk.“ (II BW 5) Einige meinen, dass sich die PolitikerInnen lieber „mit anderen Dingen, die sie für wichtiger halten, beschäftigen.“ (II BW 1)

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In den Interviews erscheinen die PolitikerInnen einigen BewohnerInnenn nahezu als Fremdkörper, als „die da oben“ im Gegensatz zu „uns da unten“. Das liegt haupt-sächlich daran, dass die PolitikerInnen die Probleme des Quartiers nicht am eigenen Leib erleben, „denn die wohnen ja woanders.“ (II BW 7) Diese Wahrnehmung führt zwar dazu, dass viele auf PolitikerInnen schimpfen. For-derungen nach stärkerem Engagement bleiben jedoch mit wenigen Ausnahmen in-konkret und allgemein. Vielmehr dominiert die Tendenz, den Handlungsspielraum der PolitikerInnen herunterzuspielen. Vor allem die Finanzkrise in Berlin mache deut-lich, dass die PolitikerInnen keine gestalterischen Möglichkeiten mehr hätten. Über-spitzt formuliert: Die BewohnerInnen zeigen eher Verständnis für das Versagen der Politik als dagegen anzukämpfen. Selbst wenn PolitikerInnen versuchen würden, die Situation zu verbessern – ihnen sei es zu spät aufgefallen, dass das Gebiet kippt. Jetzt sei es auch zu spät für politi-sche Veränderungen. Statt zu klagen, dass die PolitikerInnen das Quartier in den Gremien zu wenig repräsentieren, hat man sich an diesen Zustand angepasst: „Man erwartet nicht, von irgendwelchen PolitikerInnen vertreten zu sein.“ (II BW 9) Die PolitikerInnen gestehen ihre Handlungsunfähigkeit zum Teil selbst ein. „Früher konnte man versuchen, etwas fürs Quartier rauszuholen." (II P 1) Heute sei dies je-doch aufgrund der Finanzkrise sehr viel schwieriger. Aus dieser Situation lassen sich für das Engagement der BewohnerInnen zwei Schlüsse ziehen: „Entweder man resigniert oder man versucht, etwas zu tun.“ (II BW 1) Die Interviews lassen keinen Zweifel daran, dass die resignierte Stimmung und die geringe Motivation für eigenes Engagement im Quartier dominieren. Konsens der GebietsexpertInnen und PolitikerInnen ist es, das zu geringe Engage-ment der BewohnerInnen zu bemängeln: Unzufriedenheit drücke sich eher im Weg-zug aus als in Engagement, es überwiege Desinteresse. Die BürgerInnen stimmen mit den Füßen ab, indem sie den Wedding gleich ganz verlassen. Viele AusländerIn-nen wiederum fühlten sich hier nicht zu Hause und engagierten sich dementspre-chend auch nicht. Die Mehrheit der BewohnerInnen scheint sich mit den Problemen im Quartier abgefunden zu haben und sich an die Bedingungen anzupassen. Andere GebietsexpertInnen können aber auch positive Erfahrungen mit dem Bewoh-nerInnenengagement vorweisen, vor allem, wenn es um konkrete projektbezogene und zeitlich begrenzte Anliegen geht. Die BewohnerInnen haben überwiegend keinen Kontakt zu PolitikerInnen, begegnen ihnen mit Desinteresse. Einige sehen die Politik sogar als Störfaktor, vor allem dieje-nigen, die sich selbst engagieren: „Wir halten uns aus der Politik raus, denn unsere Arbeit hat mit der Politik überhaupt nichts zu tun. Politik verwirrt das alles nur.“ (II BW 1) Dennoch fordert die Mehrzahl, die Initiative zum Kontakt müsse stärker von den PolitikerInnen ausgehen, ohne jedoch die bisherigen Möglichkeiten dazu (wie etwa Bürgersprechstunden) auszuschöpfen. Einzelne wenige BewohnerInnen, speziell die Kiezgruppe, haben hingegen einen sehr guten Kontakt zu den PolitikerInnen, der über amtlichen Verkehr hinausgeht. Die PolitikerInnen ihrerseits betonen, dass sie auf die BewohnerInnen zugehen und Probleme aufgreifen. Als Beispiel dafür kann gelten, dass es der Politik gelungen ist, „von oben“ Bürgerinitiativen zu initiieren.

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Auffällig ist aber nicht die Rolle der PolitikerInnen im Quartier, sondern die von Ge-meinwesenvertreterInnen. Einige BewohnerInnen nehmen diese Art der Unterstüt-zung, wie z.B. durch Sozialdienste, stark an und loben deren Engagement, vor allem das der Erika-Mann-Grundschule und das eines Verwaltungsangestellten – auch wenn es durch die Bezirksfusion zu Verschlechterungen in der Bürgernähe kam. GebietsexpertInnen und PolitikerInnen unterstreichen die positive Rolle von Ge-meinwesenarbeiterInnen für Engagement, Repräsentation und Solidarität im Quar-tier. Sie sind es, die Druck auf PolitikerInnen ausüben und auch Öffentlichkeit her-stellen können, um auf Missstände aufmerksam zu machen, Protest zu formulieren und zu organisieren. Aus diesen Personen rekrutiert sich auch zu einem großen Teil die Kiezgruppe. Viele Gemeinwesenarbeiter leben jedoch nicht selbst im Quartier und haben auch eine andere Sozialisation als die BewohnerInnen. Daher besteht die Gefahr, dass ihr Engagement auch als Bevormundung betrachtet werden könnte – etwa wenn Weddinger, die hier schon seit langem leben und deren Verhalten als un-gepflegt beurteilt wird, aus dem öffentlichen Raum verdrängt werden. Gerade in benachteiligten Quartieren haben Gemeinwesenarbeiter aber auch die Aufgabe, das Engagement der BewohnerInnen zu initiieren, wie es die Leiterin der Erika-Mann-Schule betont und wie es auch in der Zielsetzung des Quartiersmana-gement zum Ausdruck kommt. Auf der Agenda der politischen Gremien wie Bezirksverordnetenversammlung und Abgeordnetenhaus wird ebenfalls vermutet, dass das Quartier unterrepräsentiert ist. Einige Gebietsexperten sind der Ansicht, dass das Quartier nach der Bezirksfusion etwas vergessen wird, weil Projekte in Mitte politisch interessanter sind. Bis vor kurzem waren die bisherigen Quartiersmanagement-Gebiete eine größere Herausforderung. Wenn das Quartier im neuen Quartiersmanagement-Gebiet ist, wird es wahrscheinlich auch wieder öfter auf der Agenda stehen. Da das Quartier jedoch nicht vollständig im Quartiersmanagement-Gebiet liegt, ist zu befürchten, dass es dann weiterhin Orte gibt, die vernachlässigt werden und dass der Fokus auf das prestigeträchtige Projekt des Quartiersmanagement gelegt wird. Die Zusammenarbeit mit dem Senat ist durch den Sparzwang gekennzeichnet. Probleme gab es bei der Aushandlung des Quartiersmanagement-Gebietes. Der Be-zirk konnte durchsetzen, dass Teile des ausgewählten Quartiers ins Gebiet kommen, da hier bereits eine Bürgerinitiative besteht. Insgesamt sei der Handlungsspielraum aber eng. Im Abgeordnetenhaus spielen einzelne Quartiere kaum eine Rolle, so dass das Quartier nie auf der Agenda stand. Um die Repräsentation des Quartiers ist es somit schlecht bestellt. So sehen es auch die BewohnerInnen. Statt zu protestieren, nehmen sie diesen Zustand jedoch ten-denziell passiv hin, da sie möglicherweise nicht mehr damit rechnen, dass Proteste etwas bewirken würden. Sie ziehen jedoch in ihrer Mehrheit auch nicht die Konse-quenz, die eigenen Interessen selbst zu vertreten. Die einzigen beiden Wege, wie das Quartier im Wesentlichen repräsentiert wird, sind das Engagement von Gemein-wesenarbeiterInnen und das Quartiersmanagement. Grundsätzlich sind sich fast alle Bewohner einig: In ihrem Bezirk muss sich etwas ändern. Nur eine Befragte sprach sich für die Erhaltung des Status quo aus. Wie das geschehen soll, darüber gibt es allerdings Differenzen. Die meisten BewohnerInnen

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sind der Meinung, dass der Staat aktiver werden müsse, vor allem was die Eindäm-mung des andauernden sozialökonomischen Niedergangsprozesses im Untersu-chungsgebiet angeht: „Von oben muss mehr gemacht werden, weil von unten kommt wirklich nicht viel.“ Der Staat müsse sich reaktivieren und die Initiative ergreifen (II BW 3), denn nur der Staat ist in der Lage in sozialen Dingen überhaupt etwas zu än-dern (II BW 5). Aber es gibt auch Stimmen, die genau das Gegenteil denken. Man darf eben nicht auf den Staat hoffen, sondern muss selber aktiv werden, damit sich Sachen verän-dern, denn „ die Veränderung muss von den Bürgern ausgehen. Das muss von unten nach oben gehen. Von oben nach unten geht das nicht . Man darf nicht der Politik die Verantwortung überlassen. Die Verantwortung für ihr Leben haben [die Menschen].“ (II BW 1) Allerdings ist es immer schwierig, Menschen zu mobilisieren, zum Beispiel bei MigrantInnen oder Langzeitarbeitslosen. Auch bei der Frage, ob der Staat Verantwortung abgeben soll oder nicht gehen die Meinungen auseinander. Überwiegend sprechen sich die Leute für Erhaltung der So-zialleistungen aus, sie benennen auch andere soziale Problemfelder, um die sich der Staat mehr kümmern sollte, wie Migration, Arbeitslosigkeit, Bildungs- und Gesund-heitswesen, was verständlich ist, denn mit diesen Problemen werden sie täglich in ihrem Quartier konfrontiert. Wenn darüber geredet wird, was man privatisieren könn-te um den Staat zu entlasten kommen sehr partikulare Vorschläge, wie etwa der Vorschlag die Stadtreinigung oder die Polizei zu privatisieren, denn „Private Dienste haben ein besseres Leistungsniveau.“ (II BW 6) Was die aktuelle Situation in ihrem Bezirk und in Berlin angeht, so sind viele frustriert und resigniert. Auch Hoffnungslosigkeit macht sich breit: „Ob ich jetzt zu jemandem hingehe oder wähle, es ändert sich eh nichts.“ Die BewohnerInnen kritisieren die Po-litikerInnen und ihre Arbeit. Einige denken, die PolitikerInnen wüssten nichts von den Problemen im Wedding, weil es sie nicht interessiert. Die meisten BewohnerInnen sagen, dass die PolitikerInnen sich nicht im Quartier auskennen. Andere wiederum sprechen von PolitikerInnen, die nicht bereit sind, die bekannten Probleme zu lösen. (II BW 5) Viele bemerken aber auch, dass durch die Berliner Finanzkrise kein Geld da ist und das die Politiker lähmt und handlungsunfähig macht. Es gibt einfach keinen Spiel-raum mehr. Einige bemängeln auch die Arbeit der Verwaltung. „Das Arbeitsamt ist ein riesengro-ßer Klotz und kassiert Gelder ein.“ (II BW 1) Einige wenige finden die BVV sehr wichtig und vertrauen in ihre Arbeit. Ein Befragter äußert zum Beispiel folgendes: „Ich habe da eher das Gefühl, dass dies nicht alles Berufspolitiker sind und mir vorstelle, dass sie mehr einen Bezug zu dem haben für wen und was sie Politik machen. Auch wenn sie nicht so einen Einfluss haben, eine untere Hierarchieebene sind. Es ist ein kürzerer Weg zwischen dem wo Politik ge-macht wird und wo sie Auswirkungen hat.“ (II BW 10) Im Folgenden sind zunächst die Einschätzungen der Interviewten zum Solidaritätspo-tential und -willen im Untersuchungsgebiet sowie ihre Wahrnehmungen anderer Stadtteilprobleme zu lesen. Wir fragten die Betroffenen und die Verantwortlichen nach ihren Gerechtigkeitsvorstellungen sowie nach möglichen kommunalpolitischen Interventionsmaßnahmen. Wie ist der lokale Abwärtstrend aufzuhalten? Wer ist für die Integration der Städter verantwortlich? Dabei war der Schwerpunkt auf konkrete

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finanzielle Lösungsmöglichkeiten gelegt, nämlich ob im Zuge der zunehmenden so-zialräumlichen Segregationstendenzen im gesellschaftlichen Bewusstsein und auf der politischen Tagesordnung ein Reformbedarf im Umverteilungssystem zugunsten der vernachlässigten, benachteiligten Stadtteile besteht. Wir fragten, ob das Wohn-gebiet überhaupt als benachteiligt empfunden wird. Schließlich richteten wir unser Augenmerk auf die Haltungen der Befragten gegenüber der fortschreitenden Privati-sierung von öffentlichen und sozialen Einrichtungen. Aus den Bewohner- und Expertengesprächen schlussfolgern wir das Fehlen einer Solidargemeinschaft am und um den Nauener Platz. Eine klare Mehrheit der Gesprachspartner beschrieb (und erklärte teilweise) die fehlende Solidaritäts- und Kooperationsbereitschaft im Quartier: "Solidarität gibt es innerhalb des Hauses oder innerhalb von verschiedenen ethnischen Gruppen, aber nicht grundsätzlich zwischen den Bewohnern des Quartiers" (II GEX 3). In der Leistungs- und Konkurrenzgesell-schaft stelle der "Gesellschafts-Mensch" ein Auslaufmodell dar, während der "Ellen-bogen-Mensch" in sei (II P 2). Ein über 50 Jahren in Wedding wohnhafter Mann un-terstreicht retrospektiv den andauernden Erosionsprozess der nachbarschaftlichen und zwischenmenschlichen Beziehungen im untersuchten Quartier und in der Stadt im allgemeinen. Die abnehmende Bedeutung quartiersinterner und stadtweiter Zu-sammenhalt und -arbeit führt er auf die sozialen Folgen der "Mentalität der Wirt-schaftswunderzeit" zurück. Jeder verfolge zusehends sein eigenes Ziel, "ohne nach rechts und links zu gucken" (II GEX 2). "Individualisierung, Vernetzung und Ge-schwindigkeit sind die Charakteristika unserer Zeit", ergänzt eine Bewohnerin (II BEW 1). AnwohnerInnen und ein Experte, die aufgrund ihrer ethnischen Zugehörig-keit oder / und multikulturellen Netzwerke die sozialen Beziehungen der Zuwanderer aus der Binnenperspektive deuten können, artikulieren das Vorhandensein von stabi-len und konstruktiven Unterstützungssystemen innerhalb verschiedener ethnischer Minderheiten. Aus der Außenperspektive fungieren dagegen die informellen Unter-stützungsnetze der Immigranten als Abschottungsversuche von der Mehrheitsgesell-schaft (Parallelgesellschaft). Ihre (noch) festen, isolierten Familiennetzwerke ver-schärften zusätzlich das distanzierte "Nebeneinanderherleben" im Untersuchungsge-biet. Charakteristisch für den krisenbehafteten Stadtteil ist die Kritik und das Bedau-ern und Jammern der Befragten im Hinblick auf die nachbarschaftlichen Auflösungs-erscheinungen, bei gleichzeitigen Wunschäußerungen zur Notwendigkeit der Schaf-fung und Erhaltung einer organisierten, engagierten Stadtteilöffentlichkeit als einer effektiven zivilgesellschaftlichen Interventionsmöglichkeit. Die Majorität der Stadtteil-bewohnerInnen und vor allem die BezirkspolitikerInnen nehmen die anhaltende Imp-losion der sozialen Bindungen wahr; beobachten den sozialen Atomisierungspro-zess, ohne konkrete, entscheidende Maßnahmen zu ergreifen. Die Bemühungen der Kiezgruppe Malplaquetstraße, deren Hauptziel die Bekämpfung von Verfallssympto-men im öffentlichen Raum ist, sind innerhalb des Wohngebietes weitgehend unbe-kannt und von marginaler Bedeutung. Bei der Beurteilung der Problemlagen in anderen Stadtteilen war auffällig, dass das Interesse und das Identifikationsgefühl mit den östlichen Bezirken (Ausnahme Mitte, Friedrichshain und Prenzlauerberg) enorm gering sind. Die Problemkonstellationen in den Bezirken Neukölln, Schöneberg und Kreuzberg werden von einem bedeutenden Prozentsatz der Befragten als nahezu identisch betrachtet. Dieser Konsens der Be-fragten ist offenkundig mit der ähnlichen Bevölkerungsstruktur (v.a. hoher Auslän-deranteil) in jenen Bezirken zu erklären. Für diese Gruppe stellt allein eine bestimmte Bevölkerungszusammensetzung, v.a. hohe sozialräumliche Konzentration von Zu-

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wanderern und anderen Risikogruppen, eine Barriere für soziale Zugehörigkeit und individuellen Aufstieg dar. Dagegen sind viele der Interviewten erleichtert zu wissen, dass das gesellschaftliche Konfliktpotential und die persönliche Desintegrationgefahr im Weddinger Kiez Soldiner-/Koloniestrasse wesentlich grösser sind. Der Nauener Platz sei die "schlimmste Ecke im Wedding nach der Soldiner- und Koloniestrasse" (II BEW 3). Beruhend auf den Schilderungen der InterviewpartnerInnen ist der Stadt-teil (noch) zwischen unterstem Mittelfeld und oberstem Abstiegsplatz der Problem-skala einzustufen. Diese quartiersvergleichende Perspektive innerhalb des Bezirks untermauert - bewusst oder unbewusst - neben dem intakten baulichen, physischen Zustand, die relative, bescheidene Wohn- und Lebenszufriedenheit bei acht von zehn befragten BewohnerInnen. In Bezug auf die Umverteilungsfrage reagieren die AnwohnerInnen und Fachleute unterschiedlich. Dabei bildet die Gruppe der Skeptiker die Mehrheit. Die Skeptiker bezweifeln die Realisierungschancen einer fairen Umverteilungspolitik. Zum einen begründen sie diese Position mit dem Argument der anhaltenden Schulden- und Haushaltskrise, zum anderen mit der antisozialen, partikularistischen Grundeinstel-lung wohlhabender Stadtteile und Stadtteilbevölkerungen. Eine gerechte Umvertei-lungs- und Sozialpolitik werde es nie geben, weil erstens die (finanziellen) Mittel dazu fehlten und zweitens die Reichen keinesfalls für eine Umverteilung plädieren werden. Eine weitere Gruppe besteht aus Umverteilungsgegnern, da sie diese entweder für kontraproduktiv oder / und unnötig halten: „Die, die mehr verdienen, zahlen doch schon so viel Steuern. [...] Die Gutverdienenden tun aber ja schon ’was, denn die geben Geld aus. Und nur wenn konsumiert wird, dann kommt auch Geld wieder zu-rück“ (II BEW 1). Nur eine Minderheit von vier Personen fordert konsequent eine Mo-difikation der Umverteilungsmechanismen. Aufgrund des hohen Anteils von Margina-lisierten „muss der Wedding mehr bekommen als reiche Quartiere, weil er eben är-mer ist“ (II GEX 4). Insgesamt ist aber kein Gefühl systematischer struktureller Be-nachteiligung unter den BewohnerInnen und PolitikerInnen festzustellen, zumal die Umverteilungsmöglichkeit eine untergeordnete Rolle für die befragten Städter dar-stellt. Wenn es sich um ein benachteiligtes Wohngebiet handelt, dann aufgrund der Sozialstruktur, weniger aufgrund der ungleichgewichtigen Finanzierung von Stadttei-len, meinen drei Befragte. Es herrscht also kein Ghettobewusstsein, wohl aber ein Problembewusstsein, das angesichts der wachsenden Dauerarbeitslosigkeits- und Armutsproblematik am und um den Nauener Platz sich zu entwickeln und verbreiten scheint, worauf die Betroffenen und Experten gegenwärtig mit Passivität und Pessi-mismus reagieren. Abgesehen von der einen – ultraliberalen – Forderung zur Privatisierung aller wirt-schaftlichen Beziehungen und Einrichtungen und der anderen – ultralinken – Forde-rung zur Verstaatlichung der Gesamtwirtschaft, konnten wir einen Grundkonsens der Befragten bezüglich der Aufrechtherhaltung sozialstaatlicher Sicherungssysteme zur Armuts- und Ungleichheitsbekämpfung erkennen. Der Staat müsse insbesondere im Bildungs- und Gesundheitswesen sowie bei der Arbeitsbeschaffung und -vermittlung und der Altersversorgung weiterhin als eine intervenierende Instanz fungieren. Eine Minderheit kritisierte die zunehmende Expansion der Konzerne: “Die Großkapitalisten unterstützen den Sozialstaat nicht, wollen keine Steuern zahlen und gehen lieber ins Ausland” (II P 3). Doch die Mehrheit ist gegenüber der Politik misstrauisch. Den Lo-kal- und BundespolitikernInnen wurde häufig Gleichgültigkeit und Unfähigkeit vorge-worfen. Diese Majorität ist der Ansicht, dass ein staatliches und privatwirtschaftliches Tandem die ökonomische Integration und die soziale Anerkennung der Individuen

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und sozialen Gruppen langfristig gewährleisten kann. Doch angesichts der wachsen-den beobachtbaren Inkompetenz unter den lokalen und föderalen Machthabern, werde das eigentliche Integrationspotential der gemeinsamen Integrationsgaranten, Staat und Privatwirtschaft, nicht effizient ausgeschöpft, wodurch die Tendenz eher für Liberalisierung und Deregulierung spricht.

3.2.3 Fazit Die Bewohnerschaft im Quartier Nauener Platz im Wedding zeichnet sich einerseits durch eine relativ homogene Problemeinschätzung im Quartier aus, andererseits durch das Fehlen einheitlicher Lösungsvorschläge, da der Umgang mit den Proble-men sehr unterschiedlich ist. Um das Quartier zu charakterisieren, können vier Typen beschrieben werden, die sich durch folgende Eigenschaften voneinander abgrenzen. Der erste Typ hat kaum eine Bindung an den Stadtteil und ist unbeteiligt in Bezug auf die Bezirkspolitik. Er ist akademisch geprägt und politisch links orientiert. Er hält sich oft in anderen Berliner Stadtteilen auf, ist sehr mobil und identifiziert sich wenig mit dem Stadtteil. Auch wenn Probleme wahrgenommen werden, so stören sie doch nicht wirklich und werden nicht mit der eigenen Person in Verbindung gesetzt. Woh-nung ist Wohnort, ohne dass man sich um die Wohnumgebung, das Quartier oder die politische Situation im Quartier kümmert. Der zweite Typ ist als „traditionelle Wohnbevölkerung“ zu bezeichnen, die durch aus-geprägte soziale Netze und lange Wohndauer stark an das Quartier gebunden ist, aber wenig Zugang zur und Interesse an der Bezirkspolitik zeigt. Aufgrund der sozia-len Kontakte, der Wohndauer oder dem expliziten Wunsch in dieses Quartier zu zie-hen, entsteht eine hohe Identifikation mit dem Quartier. Von diesen Personen werden zwar auch negative Entwicklungen benannt, diese werden aber nicht in Bezug auf die eigene Lebenssituation problematisiert, da sie sich eigentlich im Quartier sehr wohl fühlen. Aufgrund der relativen Zufriedenheit und keiner persönlichen Betroffen-heit wird eigenes Engagement nicht für nötig gehalten. Für die sozialen Probleme im Stadtteil wird der Staat in Verantwortung gezogen. Der dritte Typ engagiert sich aus der persönlichen Unzufriedenheit heraus. Aufgrund eines starken Misstrauens gegenüber den politischen Lösungsmöglichkeiten zieht er es vor, Probleme selbst in die Hand zu nehmen. Dieser Typ zeichnet sich durch ein hohes Engagement in Bezug auf Angelegenheiten im Quartier aus. Aufgrund einer langen Wohndauer und starken Bindungen im Quartier werden Veränderungen wahrgenommen. Die Wohnsituation wird stark problematisiert und als höchst negativ bewertet. Aus diesem Grund engagiert er sich auch für eine Verbesserung im Wohn-umfeld. Bürgerschaftliches Engagement wird sehr positiv bewertet. Die Einstellung zur Verantwortung des Staates ist unterschiedlich. Schließlich zeichnet sich der vierte Typ durch eine starke Bindung ans Quartier und hohe politische Resignation aus. Hier treffen eine hohe Unzufriedenheit im Stadtteil und eine schwierige persönliche Lage aufeinander. Dieser Typ ist stark an das Quar-tier gebunden. Weniger in Form eines starken Identifikationsgefühls (wie Typ zwei) bzw. einer Sorge, eines Engagements für das Stadtteil (wie Typ drei), als im Sinne einer geringen Mobilität. Soziale Netze sind auf den Stadtteil beschränkt, er hat kaum Verbindung zu anderen Stadtteilen. Im Gegensatz zu Typ drei wird auf die Unzufrie-denheit allerdings nicht mit Engagement, sondern mit Resignation reagiert. Das Ver-trauen in Veränderung und in die politischen Möglichkeiten sind sehr gering. Meinun-

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gen, was zu ändern sei, sind sehr undeutlich, variieren und sind unpräzise. Ein diffu-ses Misstrauen gegenüber den PolitikerInnen und den BewohnerInnen zeichnet die politische Resignation. Im Wedding ist es schwierig, ein homogenes Reaktionsmuster, z.B. in Form von poli-tischer Resignation, auszumachen. Auch wenn Tendenzen zu diesem aufzuzeigen sind, reagieren die BewohnerInnen doch sehr unterschiedlich auf die Probleme im Stadtteil. Je nach ihrer Bindung an den Stadtteil und ihrer persönlichen Lebenssitua-tion steht man der Situation gleichgültig, engagiert oder resigniert gegenüber. “Es ist nicht das bauliche, was so schlimm ist, sondern die soziale Armut” (II P2). In der Tat fanden wir heraus, dass bei einer überwältigenden Mehrheit der Wohnbevöl-kerung eine hohe Zufriedenheit über die physische Infrastrukturausstattung und Wohnumfeldqualitäten sowie über die vorteilhafte geografische Lage des Untersu-chungsgebietes herrscht. Abgesehen von diesen Errungenschaften, kann die Ar-beitsgruppe Wedding, beruhend auf die durchgeführten zwanzig Interviews, für das Wohnquartier Nauener Platz keine optimistische Zukunftsperspektive projizieren. Die Lebensumstände und -chancen der QuartiersbewohnerInnen verschlechtern sich kontinuierlich. Mit seiner hohen Arbeitslosenquote (23%) und enormen Sozialhilferate (17%) gehört das ehemalige Arbeiterquartier zu den großen, klaren Verlierern des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Strukturwandels. Die Mehrheit der ehemaligen (un-)qualifizierten Industriearbeiter des Bezirks finden in der postindustriellen Stadt keine Beschäftigungsmöglichkeit. Jugendliche sind unterqualifiziert, den Kindern feh-len Rollenmodelle. Viele BewohnerInnen sind besorgt über die kontinuierliche sozial-räumliche Zunahme von (Langzeit-)Arbeitslosen und Armen in ihrem Wohnviertel. Vor der zunehmenden räumlichen Konzentration von Benachteiligungsgruppen – mit den üblichen kumulativen Marginalisierungssymptomen – stehen die Lokalpolitike-rInnen als überfordert und ratlos da, während die BewohnerInnen den fortschreiten-den sozioökonomischen Niedergangsprozess mit Frustration wahrnehmen und mit Resignation reagieren. Die Politik bietet keine Lösungsvorschläge bzw. Bekämp-fungsstrategien an. Die Antwort der BewohnerInnen auf die Politik ist: massiver Ver-trauensverlust an die politischen Akteure. Unter den Befragten besteht kaum Interes-se, die durch das politisch-administrative System garantierten Teilhabe- und Gestal-tungsmöglichkeiten wahrzunehmen. Die unvermeidlichen Folgen mangelnder Partizi-pationsbestrebungen der BürgerInnen sind prospektiv gesehen, weitere Wahlenthal-tungen und / oder Kräftezuwachs der radikalen Parteien. Sowohl die ExpertInnen als auch die AnwohnerInnen sind sich darin einig, dass aufgrund der desolaten Finanzsi-tuation in Berlin der kommunalpolitische Handlungsspielraum massiv eingeschränkt wurde. Die Weddinger haben keine Vorstellung darüber, wie und ob die Finanzkrise zu lösen ist. Viele der befragten BürgerInnen zeigten Verständnis für die gegenwärti-ge Handlungsunfähigkeit der BezirkspolitikerInnen. Hinzu argumentierten manche PolitikerInnen, dass der andauernde städtische Ausgrenzungsprozess nur durch na-tionalstaatliche Eingriffe zu bewältigen ist. Beide, StadtteilpolitikerInnen und -bewohnerInnen, wirken in diesem Kontext macht- und perspektivlos. Diese pessimis-tische Stimmungslage wird von den Korruptionsskandalen der vergangenen Jahre zusätzlich verstärkt. Nur die wenigsten leisten durch Engagement zivilgesellschaftlichen Widerstand ge-gen den Quartiersverfall, allerdings ohne jegliche politischen Forderungen. Das Au-genmerk der Kiezgruppe ist auf die Milderung oder Beseitigung von konkreten sicht-baren Missständen im öffentlichen Raum fokussiert. In diesem Zusammenhang fun-

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giert der ästhetische Verfall als Motivationsquelle zum freiwilligen Eigenengagement für eine geringe Zahl von Aktivisten, die Angehörige der schrumpfenden, statushöhe-ren Bevölkerungsgruppen innerhalb des verfallenen Stadtteils sind, während die Mehrheit der Ausgegrenzten und Marginalisierten sich bereits resignierend der Situa-tion angepasst hat. Obwohl andere QuartiersbewohnerInnen Wegzugsabsichten he-gen und bekunden, werden viele von ihnen einen baldigen Wohnortswechsel, auf-grund des geringen Haushaltseinkommens, schwer realisieren können. Die Weddin-ger erkennen zwar die unmittelbare Segregationsgefahr, v.a. ihre benachteiligt wir-kenden Symptome, reagieren jedoch völlig unterschiedlich. Auf die sozialökonomi-sche Unzufriedenheit wird a) mit Gleichgültigkeit/Anpassung = Loyalität, b) mit Weg-zugsabsichten) = Exit und c) mit Engagement = Voice regiert. Während letztere die eindeutige Minorität darstellt, sind die meisten zu den beiden erst genannten Reakti-onsmustern zu plazieren. Viele der Befragten begrüßen die Entstehung und Forderung zivilgesellschaftlicher Interventionsformen, wollen oder können dabei jedoch keinen persönlichen Beitrag leisten, weil sie zumeist in letzter Konsequenz die Erfolgsaussichten von Bürgerinitia-tiven bezweifeln. Die Gewährleistung von Arbeitsplätzen sei letztendlich durch öffent-liche und private Mittel zu schaffen. Die Integration der Individuen und sozialen Gruppen bedürfe daher eine harmonische Zusammenarbeit zwischen der Stadt / Staat und den Unternehmen. Dabei plädiert die Mehrheit für Privatisierung, unter der Bedingung, dass wohlfahrtsstaatliche Errungenschaften bewahrt werden. Ein äußerst diffuses Bild lieferte uns die Frage zur eventuellen Revision der gegen-wärtigen Umverteilungskriterien. Wahrnehmungs- und Deutungsunterschiede deuten auf Interessendivergenzen innerhalb der Befragtengruppe hin. Der konsequente Ruf an einer bedarfs- und standortgerechten Umverteilung fehlt, bzw. wird eine gerechte Umverteilung mehrheitlich als utopisch gedeutet. Als plausible Erklärungsversuche hierzu können insbesondere die unterschiedlichen Sozialisationen und die unter-schiedliche Schichtzugehörigkeit (Sozialstatus: Bildungsgrad, Beruf Einkommen) der InterviewpartnerInnen dienen. Der Betroffenheitsgrad vom andauernden sozioöko-nomischen Transformationsprozess bestimmt die subjektive Denk- und Handlungs-weise aller Befragten. In Anlehnung an die persönlichen Analysen und Interpretatio-nen der integrierten und desintegrierten BewohnerInnen sowie der ExpertInnen, di-agnostiziert die Arbeitsgruppe Wedding als Erkenntnisgewinn und Fazit: eine re-signative Anpassung und (noch) bescheidene, rapide abnehmende Wohn- und Le-benszufriedenheit der befragten BewohnerInnen des Nauener Platzes bei gleichzei-tiger Angst vor ökonomischer Desintegration, sozialer Auflösung, individuellem Ab-stieg und eindeutigem politisch-institutionellem und stadtweitem Zugehörigkeits- und Identifikationsverlust.

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3.3. ZEHLENDORF

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3.3.1 Quartiersbeschreibung

Das untersuchte Gebiet um den Zehlendorfer Mexikoplatz ist geprägt durch eine ge-ringe Dichte der Bebauung. Die Nähe zur Natur, die ruhigen, mit Bäumen gesäumten Straßen und die großen Gärten verleihen ihm einen beinahe ländlichen Flair. Das Leben der Menschen spielt sich in den Häusern ab und nicht auf den Straßen. Die Betonung der baulichen Struktur liegt auf dem Rückzug in die Privatsphäre, auf Indi-vidualität und Repräsentanz. Weite Teile des Gebietes werden ausschließlich zum Wohnen genutzt. Nur eine grö-ßere Strasse durchquert das Gebiet, an der diverse Infrastruktureinrichtungen liegen. Sie läuft über den Mexikoplatz, der mit der S-Bahn-Haltestelle das Zentrum des Quartiers bildet. Hier haben sich Einzelhandel und Gastronomie angesiedelt, die hauptsächlich von den direkten Anwohnern genutzt werden. Zwischen den Wohn-häusern findet man außerdem einige Praxen und Büros. Von allen vier Quartieren liegt das Gebiet am Mexikoplatz am weitesten von der Stadtmitte entfernt. Die westliche Innenstadt ist jedoch in kurzer Zeit erreichbar: Die S-Bahn-Linie 1, die ihre Station im Zentrum des Gebietes hat, fährt in weniger als 30 Minuten an den Potsdamer Platz und zur S-Bahn-Haltestelle Unter den Linden. Am Rand des Quartiers befindet sich außerdem die Endhaltestelle der U-Bahn-Linie 1, die die Fahrgäste direkt zur Einkaufsmeile am Kurfürstendamm bringt. Auch die Ver-kehrsanbindung mit dem Auto über die A 115 ist relativ gut. Durch die Nähe zum Schlachtensee und dem gesamten Naherholungsgebiet Grunewald erhält das Quar-tier eine besondere Attraktivität. Erscheinungsbild Kennzeichnend für das Quartier sind freistehende Ein – bis - Vierfamilienhäuser mit großem Abstandsgrün. Es handelt sich dabei um Gebäude heterogener Baualter und -stile: von Gründerzeit- und Jugendstilvillen über Gropiusarchitektur bis zu Bunga-lowbauten und Mehrfamilienhäusern der 50er bis 80er Jahre. Vereinzelt finden sich exklusiv ausgestattete Neubauten, wie in der Roonstraße oder neuere An- und Aus-bauten von eigenwilliger moderner Architektur. Auffallend ist die individuelle, in vielen Fällen repräsentative Gestaltung der Gebäude und der dazugehörigen Grundstücke mit Türmchen, Säulen, Statuen, Brunnen und verzierten Toren sowie die guten Zu-gangsmöglichkeiten zu Grün- und Freiflächen durch Gärten, Terrassen und Balkone. Der bauliche Zustand ist insgesamt sehr gut, nur einige wenige Häuser sind länger nicht gestrichen worden, zeigen Risse oder andere Alterserscheinungen. Fast alle Häuser befinden sich in Privatbesitz und werden von ihren EigentümerInnen be-wohnt. Aufgrund der Größe der Gebäude ist jedoch oft für eine zusätzliche Mietpartei Platz. In einigen Fällen leben mehrere Generationen einer Großfamilie in separaten Wohnungen unter einem Dach. Auch die Wohnungen des neu gebauten Wohnkom-plexes in der Roonstraße werden als Eigentumswohnungen verkauft. Direkt am Me-xikoplatz hingegen finden sich mehrere Mietwohnungen, die im Besitz lokaler Unter-nehmer sind. Sowohl in Bezug auf Wohnflächen als auch in Bezug auf Gewerbe ist so gut wie kein Leerstand vorhanden. Hinsichtlich des Straßenraums läßt sich feststellen, daß das Verkehrsaufkommen gering ist und auch größere Straßen vergleichsweise wenig befahren sind. Viele Straßen sind mit einzelnen Bäumen bepflanzt oder durch Baumreihen eingefaßt, ei-nige kleinere Straßen und Fußgängerwege sind kopfsteingepflastert. Außerdem wur-den an allen größeren Straßen Fahrradwege angelegt, vielfach beidseitig und durch

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eine Baumreihe vom Fußgängerweg abgegrenzt. Es gibt viel freie Parkfläche, denn die Autos sind oft im Hof oder in der Garage geparkt. Insgesamt ist der Straßenraum sauber und in einem guten Zustand. Mit dem Landschaftsschutzgebiet Schlachtensee, das im Norden an das Gebiet an-grenzt, haben die BewohnerInnen eine für städtische Verhältnisse außergewöhnliche Freizeit- und Erholungsmöglichkeit „direkt vor der Haustüre“. Rings um den Quar-tiersrand liegen zudem weitere städtische Parkanlagen. Im Gebiet selbst finden sich aber nur wenig öffentliche Grünanlagen: Der mitten im Wohngebiet gelegene Wald-see ist, abgesehen davon dass er von einem öffentlichen Fußweg überquert wird, nur über die anliegenden Privatgrundstücke erreichbar. Lediglich das Haus der Ju-gend und das Waldseehaus ermöglichen einen semi-öffentlichen Zugang zum See. Andere, kleinere Grünflächen im Quartier scheinen kaum genutzt, in einem Fall wohl auch deshalb, weil die Nutzungsmöglichkeit durch diverse Verbote (Ballspielverbot, Fahrradverbot und Hundeverbot) stark eingeschränkt sind. Der geringe Bedarf an öffentlichen Grünflächen erklärt sich neben der Nähe zum Schlachtensee auch durch die großen Gärten, welche vielen Bewohnern zur Verfügung stehen. Sie sind zumeist aufwendig gepflegt und bepflanzt und in einigen Fällen mit einem eigenen kleinen Kinderspielplatz ausgestattet. Dies gilt auch für die im Quartier gelegenen Schulen. Die wenigen öffentlichen Kinderspielplätze sind dagegen recht kümmerlich ausges-tattet. Zuletzt ist auch das Sicherheitsempfinden im Quartier tagsüber sehr positiv. Auf den Straßen sieht man keine Personen, die als Bedrohung empfunden werden könnten, überhaupt sieht man kaum größere Gruppen. Gerade die Einsamkeit der Straßen setzt in der Nacht jedoch das Sicherheitsgefühl der BewohnerInnen herab. Auffällig ist, dass viele Gebäude mit besonderen Tür- und Alarmanlagen ausgestattet sind oder gar von einem Sicherheitsdienst überwacht werden. Infrastruktur Hinsichtlich der Infrastruktureinrichtungen sticht die hohe Anzahl an Alten- und Pfle-geeinrichtungen ins Auge. Neben dem städtischen Haus Tanneck und dem gemein-nützigem Evangelin – Booth – Haus - Altenhilfezentrum liegen mindestens fünf priva-te Alten- oder Pflegeheime im Quartier. Auch die Ausstattung mit Gesundheitsein-richtungen ist überdurchschnittlich gut: Innerhalb des Quartiers befindet sich ein Hospital und die Van – Delden - Klinik. Direkt an der Quartiergrenze liegt im Osten das Krankenhaus Waldfriede, das auch eine Sozialstation und einen Kurzzeitpflege-dienst eingerichtet hat. Südwestlich des Quartiers befindet sich das evangelische Hubertus-Krankenhaus, in dessen unmittelbarer Nähe auch eine Spezialklinik für „Minimal Invasive Chirurgie“ beherbergt ist. In Bezug auf Kindertagesstätten und Schulen gibt es einen auffallend hohen Anteil an privaten Trägern im und um das Gebiet. Neben der staatlich getragenen Kinder-tagesstätte Jaehnstraße befinden sich ein Waldorfkindergarten, eine private Grund-schule und eine private Sonderschule im Quartier. Weitere Schulen liegen nicht weit von der Quartiersgrenze entfernt. Soziale, kulturelle und Freizeiteinrichtungen sind im Gebiet dagegen eher spärlich gesät. In der Argentinischen Allee liegen in unmittelbarer Nachbarschaft zueinander das Haus der Jugend, ein von der Stadt getragenes Jugendzentrum und Freizeit-heim, sowie das Haus am Waldsee, in welchem kulturelle Veranstaltungen stattfin-den. Direkt gegenüber betreibt die Gesellschaft zur Förderung der musischen Erzie-hung eine Schule für eurhythmische Art und Kunst. Neben einem SeniorInnentreff-

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punkt und diversen Beratungsstelle für Mütter und Mädchen findet man außerdem einige Sportvereine und ein FU-Clubhaus im Quartier. Schließlich bieten auch die Kirchen Kinderbetreuung sowie soziale und kulturelle Veranstaltungen. Der westliche Teil des Gebietes gehört dabei zur evangelischen Kirchengemeinde Schlachtensee, der östliche zur evangelischen Kirchengemeinde Paulus. In der Nähe des Quartiers liegt außerdem ein katholisches Pfarramt und die Gemeinschaft der Siebenten –Tage - Adventisten. Die dominante Nutzung des Quartiers als Wohn- und Rückzugsgebiet zeigt sich schließlich auch im Mangel einer jeglichen Art von gastronomischen Szene. Man fin-det nur wenige Restaurants und so gut wie keine Kneipen oder Cafés. Vermutlich aufgrund der Nähe zum Grunewald und der großen Anzahl an Alten-, Kranken- und Pflegeeinrichtungen haben sich jedoch fünf Hotels im Gebiet angesiedelt. Gewerbe befindet sich vor allem im und um den S-Bahnhof Mexikoplatz. Die direkten Anwoh-nerInnen werden hier mit dem Nötigsten versorgt: Neben Ärztehaus, Apotheke, Fri-seur und Optiker findet man mehrere Banken, einen Supermarkt und verschieden Geschäfte für den weiteren Alltagsbedarf (Buch- und Blumenladen, Textil-, Sport-, Papier- und Spezialitätengeschäft). Im restlichen Teil des Gebietes stößt man nur sehr vereinzelt auf kleinere Geschäfte, wie Blumenläden oder einen First-Class Mode - Verkauf. Wesentlich häufiger sind Dienstleistungsanbieter: die Spannweite reicht von Praxen aller Art (Logopädie, Krankengymnastik, Physiotherapie) über Architek-tur- und Anwaltbüros, EDV-Service und Wirtschaftsforschung bis zum Friseur und einer KFZ - Werkstatt. Versteckt zwischen Wohnhäusern liegen schließlich auch die Botschaften von Malta und Tunesien, die in besonders prachtvollen Bauten unterge-kommen sind. Die Verteilung der Infrastruktureinrichtungen spiegelt den hohen Altersdurchschnitt der Bevölkerung wieder. Aufgrund seiner grünen Lage ist das Quartier aber auch für Familien attraktiv. Werden die Kinder erwachsen, wandern sie häufig in belebtere Bezirke der Stadt ab. Im Straßenbild überwiegen ältere Menschen mit kleinen, sorg-sam behüteten Hunden; die Jüngeren führen große Familienhunde spazieren. Das Gewerbe, die große Anzahl privater Einrichtungen und die bauliche Struktur zeugen vom Wohlstand der BewohnerInnen. In vielen Fällen wird er durch die Ges-taltung der Gebäude bewußt präsentiert. Auf den Strassen überwiegen Autos deut-scher Herkunft, asiatische Marken sind kaum zu sehen. Zur weihnachtlichen Zeit un-serer Besichtigung ist jede verfügbare Werbefläche von Hilfsorganisationen genutzt. Schließlich sind die Waldorfschule und die Schule für eurhythmische Art und Kunst Hinweise für eine anthroposophische Strömung innerhalb von Teilen der Bewohner-schaft, die uns in den Interviews bestätigt wurde. An ein oder zwei Häusern werden auch selbstproduzierte Waren verkauft. Insgesamt lassen die beschriebenen Merk-male auf ein gehobenes bürgerliches Milieu schließen, zu dem sowohl Bildungs- als auch Wirtschafteliten gehören und in dem sich unter konservative und liberale auch alternative Lebensentwürfe mischen.

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Sozialstruktur Statistische Daten Zehlendorf: Verkehrszelle 503 Einwohner (VZ 1998) 9.255 Über 65jährige in % (VZ 1995) 19,6 Unter 18jährige in % (VZ 1995) 16,0 Ausländerzahl (VZ 1998) 680 Ausländer in % (VZ 1998) 7,4 Arbeitslosenzahl (VZ 1998) 244 Arbeitslosenanteil an den 20-64jährigen in % (VZ 1998) 4,2 Sozialhilfedichte in % (Bezirk 1996) 3,9 VZ = Verkehrszelle 1996 = Daten aus “Sozialorientierte Stadttentwicklung”, 1998 1995 = Daten aus “Sozialstrukturatlas”, 1997 1998 = Daten vom Einwohnermeldeamt und Statistische Daten In der Verkehrszelle VZ 503, die dem untersuchten Gebiet am Mexikoplatz ent-spricht, lebten nach Angaben des Statistischen Landesamts Berlin 9.255 Bewohne-rInnen, davon waren 680 ausländischer Herkunft. Dem entspricht eine Quote von 7,4% die weit unter dem Berliner Durchschnitt von 12,7% liegt. Auch der Anteil der Arbeitslosen von 4,2% (244 Bewohner) liegt weit unter dem Ber-liner Durchschnitt (etwa 17%) und verführt zu der Annahme eines Zusammenhangs zwischen der niedrigen Arbeitslosenquote und der Kategorisierung „reicheres Quar-tier“. Wahlergebnisse In der BVV-Wahl 2001 wurden im Stimmbezirk 737, der den Kern des Mexikoplatzes umfasst, für die CDU 36,6% (Berlin 26,9%) der Stimmen abgegeben, die vor der SPD (stärkste Partei in Berlin) damit stärkste Partei im Stimmbezirk wurde. Auffallend ist das Ergebnis der Grünen, die mit 17,2% drittstärkste Kraft geworden sind, aller-dings nur 2,4 Prozentpunkten vor der FDP (15,1%) liegt.

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3.3.2 Auswertung der Interviews

Zur allgemeinen Beschreibung des Quartiers leisteten sowohl die befragten Bewoh-nerInnen, als auch GebietsexpertInnen und PolitikerInnen ihren Beitrag; und mit wem wir auch sprachen – über die Sozialstruktur im Quartier und die um den Mexikoplatz ansässigen „Milieus“ war man sich weitgehend einig: Es handelt sich demnach um ein ruhiges, grünes, gehobenes Wohngebiet, eine „Fei-erabendstadt“, wo viele interessante, meist gebildete, betuchte und auch einige „ge-sellschaftlich einflußreiche Menschen“ (III, BEW5) zuhause sind. Als typische Be-rufsgruppen sind neben in der freien Wirtschaft Tätigen vor allem AkademikerInnen, Beschäftigte im öffentlichen Dienst, ÄrztInnen und KünstlerInnen zu nennen. Grob gesehen, lässt sich die am Mexikoplatz ansässige Bewohnerschaft in zwei gro-ße Lager aufteilen: Zum einen das konservative, eher zurückgezogen lebende Be-sitzbürgertum (meist RentnerInnen oder in der freien Wirtschaft tätig) und zum ande-ren das intellektuelle, kritisch denkende, alternative bzw. linksliberale Milieu (z.B. vie-le LehrerInnen und ProfessorInnen). Letztere Gruppe zeichnet sich tendenziell durch ein stärkeres soziales und politisches Engagement aus; vor allem diese Gruppe nutzt auch die zahlreichen esoterischen und anthroposophischen Bildungs- und Freizeit-einrichtungen sowie die kulturellen Angebote vor Ort. (Waldorf-Schule, Heilpraktiker, Trödelmarkt mit Töpferwaren etc.) Die meisten Befragten bezeichnen die Sozialstruktur im Quartier als über die letzten Jahrzehnte stabil, wobei das alternative Milieu sich nach Meinung eines Gebietsex-perten „zusehends verabschiedet“ (III, GEX1), was nicht zuletzt auf gesamtgesell-schaftliche Tendenzen sowie den deutlichen Anstieg der Miet- und Bodenpreise seit der „Wende“ zurückgeführt wird. Wir baten die Befragten um Auskunft darüber, welche Aspekte am Leben im Quartier um den Mexikoplatz sie als Vorteil und welche sie als problematisch oder bedauerlich begreifen. Dabei wurde als Vorteil durchwegs die Kombination von „Naherholungsgebiet“ und guter verkehrstechnischer Anbindung an die Berliner Innenstadt genannt: Das Quartier ist sehr stark durchgrünt; Havel, Krumme Lanke und Schlachtensee befinden sich in unmittelbarer Nähe. Die Gegend wird hinsichtlich der Lebensqualität als ideal empfunden, von einem Befragten gar als „schönste Ecke Berlins“ bezeich-net (III, GEX2). Der Mexikoplatz selbst ist für den selben Befragten der „nach dem Gendarmenmarkt zweitschönste Platz Berlins“ (III, GEX2). Da viele kulturinteressier-te Menschen am Mexikoplatz wohnhaft sind, ist die verkehrstechnische Anbindung in die Berliner Innenstadt ein wesentliches Kriterium für viele Befragte: Die Anbindun-gen mit U-/S-Bahn und Bus werden durchwegs als gut bezeichnet. (Zum Potsdamer Platz sind es knapp 20 Minuten mit der S-Bahn). Oft wurde betont, dass man auch die Zusammensetzung der Bewohnerschaft im Quartier zu schätzen wisse und als angenehm empfinde: Danach handelt es sich um ein „sozial intaktes Quartier“ (III, GEX4) mit guten Bildungs- und Freizeiteinrichtungen vor Ort, indem kultivierte Menschen mit „durchschnittlich hohem Niveau“ (III, BEW5) verkehren. Viele der GesprächspartnerInnen benötigten etwas Bedenkzeit oder wiederholtes Nachfragen unsererseits, bis sie überhaupt konkrete Probleme in ihrem Quartier be-

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nennen konnten. Das Gebiet um den Mexikoplatz (und Zehlendorf insgesamt) wird – verglichen mit anderen Bezirken – als ein eher problemarmes Gebiet angesehen. Allerdings wurde wiederholt über den Mangel an „Treffpunkten“ – vor allem an Gast-ronomie – geklagt: „Suchen Sie hier mal ein Café. Hier gibt es fast nichts“, so ein Be-fragter um die 50. (III, GEX1) Ähnlich äußert sich ein am Mexikoplatz wohnhafter Ju-gendlicher, der sich vor allem auf Freizeit- und Sporteinrichtungen bezog: „Hier gibt es ja nichts, hier wohnt man nur“ (III, BEW1). Andere Befragte beklagten den vielen Müll und den Hundekot, der die Wege an der Krummen Lanke und die vielen Grün-flächen verunreinige. Ein weiteres häufig genanntes Problem sei die nachlassende Belebung des Mexiko-latzes selbst. In den letzten 10 Jahren habe dort der Einzelhandel einen Abschwung erfahren, viele Spezialitäten - Läden sind durch die unbeliebten, billigen „Ketten“ wie z.B. Thürmann (Bäcker) ersetzt worden. Auch die Postfiliale musste schließen, was zu einer weiteren Verwaisung des Platzes beitrug. Eine erhöhte Kriminalitätsfurcht der Befragten gehört jedoch offensichtlich keines-wegs zu den maßgeblichen Problemen im Quartier rund um den Mexikoplatz: Vielmehr wird das Quartier von den meisten Befragten als sehr sicher eingestuft. „Ich habe mich noch nie unsicher gefühlt und habe auch keine Angst um meine Kinder, wenn sie nachts in der S-Bahn fahren.“ (III, GEX1) Man ist froh, dass die Kinder in einem intakten und freundlichen sozialen Umfeld aufwachsen können. Das Quartier, so eine Gebietsexpertin, komme mit einer sehr niedrigen Polizeipräsenz aus. Dies sei kein Grund, verunsichert zu sein; vielmehr trügen zur Verunsicherung die nachts wie ausgestorbenen Straßen rund um den Mexikoplatz bei. Doch nicht so sehr im öffentlichen Raum fühlt man sich am Mexikoplatz nachts be-droht (obwohl es einige Ausnahmen gibt) – die meisten Befragten fürchten sich viel-mehr vor Einbrüchen. Fast alle kennen einen Bekannten oder Nachbarn im Quartier, bei dem schon einmal eingebrochen wurde. Einige haben begonnen, sich mit Video-kameras zu schützen. Vereinzelt, so wurde behauptet, stellen reiche BewohnerInnen gar privates Sicherheitspersonal ein. (III, P3) Wir hatten allerdings nicht den Eindruck, dass im Quartier eine permanente Angst – im Sinne von Panik – vor Einbrüchen festzustellen ist. Vielmehr wissen die Men-schen um den hohen Status des Gebiets und „rechnen“ daher damit, dass diese Wohngegend ein beliebtes Ziel von Einbrechern darstellt. Vereinzelt wurde die per-manente Gefahr von Einbrüchen mit dem Anstieg von AusländerInnen und Aussied-lerInnen in Zehlendorf (SüdosteuropäerInnen, RussInnen) während der letzten 10 Jahre in Zusammenhang gebracht. Über die Frage, ob das Quartier um den Mexikoplatz als „Kiez“ bezeichnet werden könne, klafften die Meinungen der Befragten auseinander. Während ein Politiker von „berlintypischem Kiezwohnen“ und einem „Wir-Gefühl“ am Mexikoplatz sprach (III, P1), sprach ein Bewohner dem Quartier jeglichen Kiezcharakter ab: „Man sagt nicht: Ich wohne am Mexikoplatz.“ (III, BEW4) Ausführungen von einigen Befragten, die stärker analysierten und differenzierten, halfen uns hier weiter: Für eine hohe Bin-dung der Bewohner an das Quartier spreche, dass das sonst aus der Mode gekom-mene „Mehrgenerationenwohnen“ in Zehlendorf durchaus häufig vorfindbar sei; eini-ge Familien seien seit Generationen rund um den Mexikoplatz ansässig und dement-sprechend im Quartier bekannt.

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Trotz der teilweise sehr hohen Bindung der Bewohner an das Quartier könne sich, so bemerkte ein Politiker, am Mexikoplatz kein Kiez im klassischen Sinne herausbilden – allein schon deshalb, weil die Bebauungsdichte lange nicht so hoch ist wie in den Innenstadtbezirken. Als einzig nennenswerter „Kristallisationspunkt“ und Ort der Identifikation für die Be-wohnerInnen des Quartiers wurde die Buchhandlung im Kulturbahnhof genannt, wel-che regelmäßig als Ort des Austauschs und der Kommunikation über die Frage „Was passiert eigentlich zur Zeit?“ diente. (III, GEX1) Die meisten Befragten gaben an, sich häufig auch außerhalb des Quartiers aufzuhal-ten (sei es beruflich, um Freunde zu besuchen oder um kulturelle Veranstaltungen etc. zu besuchen). Dies scheint vor dem Hintergrund der Sozialstruktur der Bewoh-nerschaft rund um den Mexikoplatz, die von hochmobilen Bevölkerungsgruppen be-herrscht wird, wenig erstaunlich. (vgl. 1.1.) Die Bewohnerschaft rund um den Mexikoplatz zeichnet – alles in allem – ein sehr positives Bild vom eigenen Wohnviertel. Wie aber wird nach Ansicht der Befragten das Quartier von nichtansässigen Freunde und Besucher wahrgenommen? Freunde und Bekannte der Befragten genießen den „Naherholungscharakter“ der Gegend um den Mexikoplatz und kommen gerne für Ausflüge dorthin. Auch der mehrmals im Jahr stattfindende Markt rund um den S-Bahnhof sei sehr beliebt. Manchmal wird bemängelt, dass das Quartier „relativ weit draußen“ liegt, allerdings ist der Potsdamer Platz nicht fern. Viele Befragte machten uns darauf aufmerksam, dass ihr Quartier in der (medienge-nerierten) öffentlichen Wahrnehmung als in übertriebenem Maße „reich“ wahrge-nommen werde. Zwar gebe es keine Plattenbauten oder ein besonders hohes Maß an SozialhilfeempfängerInnen, dennoch sei rund um den Mexikoplatz vor allem die „breite Mittelschicht“ ansässig. „99 Prozent hier sind nicht reich.“ (III, GEX5) Eine Mehrzahl der Befragten stammt selbst nicht ursprünglich aus dem Quartier um den Mexikoplatz, sondern hat schon früher in anderen West-Berliner Bezirken ge-wohnt bzw. arbeitet gegenwärtig dort. Die meisten gaben an, sich oft und gerne au-ßerhalb Zehlendorfs aufzuhalten, allerdings vornehmlich in den Bezirken Steglitz, Charlottenburg, Schöneberg und Wilmersdorf. Je jünger die Befragten, desto stärker ist auch der Kontakt zu den „Ost-Bezirken“ (v.a. Mitte, Prenzlauer Berg) Insgesamt jedoch fühlen sich die Befragten, wie es ein Bewohner ausdrückte, im Osten Berlins nicht so sehr „mit dem Herzen zu Hause“. (III, BEW6) Informationen über andere Bezirke beziehen die Befragten entweder gar nicht („da kriege ich nicht viel von mit“ (III, BEW1) oder über die lokale oder überregionale Presse. Insgesamt herrschte diesbezüglich eher Desinteresse vor. Die Einstellung zu den Wahlen ist einerseits geprägt von einer pflichtbewußten, aber resignativen Haltung (III, BEW 2; III BEW 5; III BEW 9). Man geht wählen, ohne sich allzuviel davon zu versprechen, man kann auch keine Veränderungen durch die letz-ten Wahlen erkennen. Allerdings verzichtet diese Gruppe aber auch nicht darauf. Dem pflichtbewußten Bekenntnis „Ich nehme an jeder Wahl teil“ (III, BEW 2) wird hier ein resigniertes „Ja schon“ (III, BEW 9) nachgeschoben. Eine zweite Gruppe geht wählen in dem Glauben, etwas verändern bzw. beeinflussen zu können (III, BEW 3; III BEW 4; III, BEW 6) Allerdings differiert dieser Glaube stark hinsichtlich den Ein-sichten in die Möglichkeiten gewählter Organe. Während III, BEW4 konkrete Vorstel-lungen von den Aufgaben und Möglichkeiten parlamentarischer Organe hat, schreibt

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III, BEW3 ihnen nur „ganz prinzipiell“ die Möglichkeit zu, etwas zu verändern. Die übrigen BewohnerInnen lassen sich in diese Gruppen nicht einteilen. Was das politische Wissen über den Stadtteil angeht, zeigte sich der überwiegende Teil der BewohnerInnen als informiert über Partizipationsmöglichkeiten im Gebiet Mexikoplatz. Lediglich zwei betonten ihr Nichtwissen über kommunalpolitische Vor-gänge (III, BEW7; III, BEW10). Die Gruppe der sich informiert zeigenden zerfällt hin-sichtlich der Frage, wer Macht bzw. Einfluß im Gebiet Mexikoplatz habe, in drei Gruppen: Der größte Teil der BewohnerInnen sieht in der Verwaltung bzw. den Behörden den einflussreichsten und entscheidungsmächtigsten Faktor für Problemlösungen. Mittel der Problemlösung ist nach ihnen „der offizielle Weg“, nämlich „Behörde, Bezirksamt, Polizei“ (III, BEW4) anzusprechen. Eine zweite Gruppe sieht in den Parteien bzw. in einer Partei die einflußreichste Gruppierung. Eine dritte Gruppe der BewohnerInnen ist nicht in der Lage, politischen Einfluß zuzuordnen, vor allem deshalb, weil sie ihn generell negieren und auf eine dominierende Rolle der Ökonomie verweisen. Wir fragten nach, welche aktuellen Bürgerinitiativen in der näheren Umgebung unse-ren Gesprächspartnern geläufig sind: Als existierende Initiativen werden genannt: die Initiative zum Erhalt des Studenten-dorfes in Schlachtensee und eine Initiative der Geschäftsleute am Mexikoplatz. 9 der 10 BewohnerInnen ist mal weniger, mal stärker, die „Initiative zur Rettung des Kul-turbahnhofes Mexikoplatz“ bekannt. Auch vergangene Initiativen werden erwähnt: als Beispiel für das Engagement der BewohnerInnen und den Erfolg persönlichen Enga-gements gilt mehreren Befragten die Wählergemeinschaft Unabhängiger Bürger (WUB) (III, BEW4; III, BEW9; III, BEW6). Darüber hinaus wurde an eine Unterschrif-tenliste gegen die Aufgabe der Postfiliale am Mexikoplatz (III, GEX4) und eine Initia-tive gegen die Verbreiterung der Hauptstraße (Argentinische Alle) erinnert. Weitere aktuelle Initiativen seien die Initiative für einen Lärmschutz an der S-Bahn (III, BEW6) und die Initiative für die Veränderung des S-Bahn-Taktes. An den gegenwärtigen Initiativen beteiligt sich nur einer der befragten BewohnerIn-nen (III BEW2). Zwei BewohnerInnen sind parteilich-kommunalpolitisch engagiert (III, BEW6; III, BEW4), ein dritter Bewohner lehnt parteiliches Engagement ab, engagiert sich aber gerade deshalb politisch (III, BEW2). Eine zweite Gruppe hat politisches Engagement nicht nötig. Von ihnen wird häufig die direkte Anspruchs- und Einfluß-möglichkeit von und auf politisches Personal genannt (III, BEW3; III, BEW7) Eine dritte Gruppe äußerte Vorbehalte gegen ein persönliches politisches Engagement. (III, BEW5; III, BEW8; III, BEW9) Zu dieser Thematik wurden vor allem die GebietsexpertInnen und PolitikerInnen be-fragt. Zunächst galt unser Interesse der Einschätzung des Engagements der Politike-rInnen vor Ort: Die GebietsexpertInnen sehen das Engagement der PolitikerInnen eher kritisch: Vor allem der Pfarrer spricht von Inkompetenz und Klüngeleien im Bezirksamt (III, GEX3). Ein anderer Gebietsexperte gibt an, dass der Bürgermeister das Quartier nicht kennt und über die Menschen und die Veränderungen nicht Bescheid wisse (III, GEX2). Nur ein einziger spricht von der BVV als Ansprechpartner, der sich für die Belange des Quartiers stark macht, z. B. für den Erhalt des Springbrunnens am Me-xikoplatz (GEX5). Die PolitikerInnen betonen dagegen vor allem den Einsatz der ei-genen Partei.

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Innerhalb der Politik scheinen informelle Wege und Beziehungen eine große Rolle zu spielen. Ein Gebietsexperte gibt an, dass in Zehlendorf fast alle Bürgermeister ehe-malige Mitglieder des Rathauses sind (III, GEX3). Dies bedeute jedoch nicht unbe-dingt, daß auch die BürgerInnen Entscheidungen auf informellen Wegen beeinflus-sen können. In der BVV sind sich die Parteien in vielen Punkten einig, z.B. wenn es um den Erhalt des Kulturbahnhofs geht oder gegen die Schließung der Kliniken. Es gibt jedoch auch Konflikte: die CDU nimmt dabei eher eine wirtschaftsorientierte Position ein (III, P3; III, GEX4). Gerne gewähltes Beispiel ist der Streit um die Einrichtung einer Tem-po-30 Zone. Währen die Grünen sich für die Tempo-30-Zone stark machen, kollidiert diese mit dem Vorhaben der CDU, die Straße wirtschaftsfreundlich zu sanieren (III, P2; III, P3). Im Folgenden baten wir GebietsexpertInnen und PolitikerInnen um ihre Einschätzung und Bewertung des Engagements der am Mexikoplatz ansässigen BürgerInnen. Das Engagement der BewohnerInnen wird von den Befragten sehr unterschiedlich beurteilt. Drei Personen bezeichnen die BewohnerInnen des Quartiers als stark en-gagiert (III, GEX3; III, P2; III, P3 teilweise auch III, P5; III, GEX4). Dafür spricht auch die Vielzahl der Bürgerinitiativen in und um das Quartier. Wiederum drei Personen beschreiben die BewohnerInnen als inaktiv, wofür unterschiedliche Gründe herange-zogen werden: die Zufriedenheit der BewohnerInnen (2x), eine konservative Einstel-lung (2x), „jeder kümmert sich um sich selbst“, der Rückzug des alternativen Milieus und mangelndes Interesse an dem gesellschaftlichen Diskurs über die Zukunft. Die unterschiedliche Bewertung des Engagements deckt sich mit den Aussagen ei-nes weiteren Gebietsexperten: Er geht davon aus, daß im Quartier sehr viele kon-servative und zurückgezogene Menschen wohnen, aber durchaus auch viele, die kritisch denken können und sich engagieren. Derselbe Gebietsexperte gibt an, dass die Menschen „sehr schwierig von zu Hause rauszuholen“ seien. Es gebe eine Schwelle hinsichtlich ihrer Partizipationsbereitschaft. „Wenn es aber so fett kommt, wie mit dem Kulturbahnhof, dann zeigen sie die Zähne.“ (III, GEX1). Mehrmals wird darauf hingewiesen, daß sich meist nur die unmittelbar von einem Problem Betroffenen in Bürgerinitiativen engagieren (III, P1; III, P3; III, GEX4) und dass hinter den Bürgerinitiativen ein massives Eigeninteresse steckt (III, P4). Sie sind deswegen kein Zeichen für breites soziales Engagement (III, GEX4), sondern sind nur auf einen bestimmten Zweck ausgerichtet und lösen sich schnell wieder auf (III, P3). Sicher ist allerdings: Wenn die Menschen im Quartier von etwas betroffen sind, wis-sen sie sich zu helfen und sind dafür besser ausgestattet, als BewohnerInnen ande-rer Stadtteile (III, GEX1; III, GEX4; III, P3; III, P4; III, P5; implizit III, P3). „Für den Fall der Fälle haben die Menschen das Know-how und die Beziehungen, sich effektiv einzubringen, Druck zu machen. In Neukölln geht so etwas nicht: da haben die Leute keine Lobby.“ (III, GEX1). Den Bezirksinitiativen wird dann auch bestätigt, insgesamt recht erfolgreich zu sein (III, P3; III, P5), zumindest insofern, als sie es meist schaffen, bestimmte Vorgänge enorm zu verzögern (III, GEX3). Unklar bleibt, was die Entstehung von Bürgerinitiati-ven eigentlich in Bezug auf die etablierte Politik bedeutet: Während die einen der Meinung sind, die Bürgerinitiativen sind ein Zeichen für die Distanz der BürgerInnen

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zur Politik und mangelndes Vertrauen in ihre Kompetenz zur Problemlösung (III, GEX3; III, P3), wird dies von anderen bestritten (III, P1; III, P2). Nach Angaben eines CDU-Politikers werden viele Probleme der Bevölkerung über die Partei in die Politik getragen. Die CDU-Zehlendorf ist einer der mitgliederstärks-ten Ortsvereine mit ca. 300 Mitgliedern (ca. 100 aktiv) (III, P1). Außerdem gibt es „CDU-Präsent-Termine“, Kontakte per Brief oder Email. Ein anderer CDU-Politiker verweist auf Sprechstunden, öffentliche Sitzungen und die Institution des Bürgerde-putierten, wobei diese in der Realität keine parteiunabhängigen Experten sind (III, P3). Im Osten sei es sicherlich einfacher und traditionell verbreiteter, daß die Bürge-rInnen mit ihren politischen Repräsentanten das Gespräch suchen. (III, P3) Ein SPD-Politiker erfährt die Probleme der Bürger „aus der Zeitung“ oder die Bürge-rInnen sprechen den Bezirksverordneten an (III, P2). Sein Kollege bezeichnet die BVV als ersten Ansprechpartner, außerdem gehe er „mit offenen Augen durch sei-nen Bezirk und schaut, wo es Probleme geben könnte und was noch getan werden müßte.“ Insgesamt gebe es wenig Probleme mit der BVV und den BürgerInnen, meistens werde eine Lösung per Briefkontakt gefunden (III, P5). Die GebietsexpertInnen sehen den Kontakt zwischen BürgerInnen und PolitikerInnen kritischer: So beklagen sie sich über Desinformation durch die BVV (III, GEX1), man-gelnde Kenntnis und fehlendes Interesse des Bürgermeisters (III, GEX2), Bürgerfer-ne, Klüngelei und lange Wartezeiten (III, GEX3). Nur einer betont, der Bürgermeister hätte ein offenes Ohr (III, GEX5). Inwiefern sind nun professionell in der Gemeinwesenarbeit Tätige in die politischen Entscheidungsfindungsprozesse miteingebunden? Der einzige GWA-Professionelle, der interviewt wurde, gibt an, daß der Verein früher durch den Senat, heute aber durch die BVV unterstützt wird. Die Förderung richtet sich nach der Anzahl der betreuten Personen. Die Zusammenarbeit mit dem Be-zirksamt wird positiv beurteilt (III, GEX5). Der Pfarrer hingegen hat eine äußerst kriti-sche Haltung gegenüber der Politik. Die Kirche hat dreizehn Jahre für eine Bauge-nehmigung gekämpft (III, GEX3). Ein Politiker erwähnt, daß die Ortsverbände als Verbindungsglied zwischen BVV und Bürgerinitiative fungieren. Wie der Kulturbahn-hof zeigt, versuchen die Parteien durchaus, mit den Bürgerinitiativen in Kontakt zu treten. Komplizierter gestaltet sich offensichtlich das Verhältnis von Bezirksverordnetenver-sammlung und Berliner Senat: Zwei Politiker erwähnen, die BVV habe keine Entscheidungsmacht oder nur wenig Kompetenzen, was implizit auf eine Kritik hinsichtlich der Verteilung der Bezirks- und Landesaufgaben hinweisen könnte. Ein Politiker spricht von einer Zusammenarbeit mit dem Senat auf vielfältigen Ebenen und bezeichnet es als wichtige Aufgabe der BVV, den Senat mit detailliertem Wissen zu konkreten Problembereichen zu versor-gen. Es werden jedoch durchaus auch Konflikte mit dem Senat erwähnt (III, P2; III, P5). Ein Beispiel ist die Nutzung eines Geländes an der Autobahnauffahrt Dreilinden durch Sinti und Roma. Die CDU stellte sich in der BVV dagegen, daraufhin zog der Senat die Sache an sich. In Bezug auf das Studentendorf Schlachtensee kollidieren die Kompetenzen des Bauplanungsrechts des Bezirks mit denen der Denkmal-schutzbehörde auf Landesebene. Nach Angaben von III, P2 gibt es jedoch keine Dauerkonfliktsituation zwischen Bezirk und Senat.

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Befragt nach dem Wandel der politischen Situation in Berlin hielten sich die Bewoh-nerInnen sehr bedeckt: Man könne es noch nicht absehen und hätte noch keinen Überblick was mögliche Entwicklungen angeht, so ein Befragter. (III, BEW4) Andere Bewohner kamen auf die Bezirksreform zu sprechen und eine Gesprächspartnerin räumte ein, dass sie mangels Interesse gar nicht informiert sei. (III, BEW8) Ein Bewohner bemängelte, dass der politische Entscheidungsprozess immer schwe-rer durchschaubar werde durch die Verflechtung von Politik und Gesellschaft. Der Einfluss von Politik werde dadurch letztlich minimiert. (III, BEW9) Bezüglich der Sparmaßnahmen in Berlin erwähnten die Bewohner die drohende Schließung des Benjamin Franklin – Krankenhauses, die Bedrohung des Studenten-dorfes, sowie die Schließung des nahe gelegenen Schwimmbades. (III, BEW2) Ein Bewohner findet es „fraglich“, ob Schwimmbäder und Schulen die richtigen Ob-jekte sind, an denen die Sparpolitik ansetzen sollte. Eine Kürzung der Förderung der Privatschulen jedoch hält er auch nicht für gerechtfertigt, da diese auch gute Arbeit leisteten. Andere Aussagen von BewohnerInnen waren etwa: „Gespart wurde schon vorher und durch die parteipolitischen Veränderungen hat sich nicht viel verändert“. (III, BEW8) Die BewohnerInnen machten nicht den Eindruck, dass sie von den Sparmaßnahmen des Berliner Senats persönlich betroffen sind. Ihnen waren zwar Beispiele für Spar-maßnahmen in ihrem Quartier eingefallen, persönliche Betroffenheit wurde aber von niemandem geäußert. Hinsichtlich der Antworten, die das Verhältnis der BewohnerInnen des Quartiers zur Stadtpolitik und Bezirkspolitik beschreiben, kann man zwei Gruppen unterscheiden: Die eine Gruppe findet das Verhältnis zwischen BewohnerInnen und PolitikerInnen ausgesprochen schlecht, auf Bezirks- wie auf Landesebene. „Von den Politikern in unserem Stadtteil merken wir nicht viel. Wir halten auch nicht viel von ihnen.“ Sie würden auch nicht in Kontakt mit der BVV oder anderen Politikern treten. Sie küm-mern sich auch nicht darum. Dass man auf lokaler Ebene mit Hilfe der Politik etwas bewegen kann, glauben sie aber schon.(III, BEW10) Andere finden wiederum, dass sich die BVV mit Problemen beschäftigt, die nicht ge-rade essentieller Natur sind (z.B. Ampeln). Die andere Gruppe reagierte eher positiv auf das Verhältnis BewohnerInnen und Po-litikerInnen. So sagen einige BewohnerInnen, dass man durchaus einiges auf der Bezirksebene bewegen kann – und das auch tut. „In der BVV Steglitz – Zehlendorf sitzen einige kompetente Politiker, die sich auch für ein weitreichendes und vernünf-tiges Freizeit- und Betreuungsangebot für Senioren stark gemacht und dieses auch durchgesetzt haben. (...) Auch für soziale und freizeitliche Einrichtungen für junge Leute hat der Bezirk einiges getan.“ (III, BEW2) Zwei Bewohner haben die BVV als politisches Organ mit Einfluss und Entschei-dungsmöglichkeiten bezeichnet. (III, BEW3) Vor allem in städtebaulichen Fragen kann die BVV diesen Einfluss geltend machen. (III, BEW4) Die BewohnerInnen soll-ten die Möglichkeit nutzen, als Wähler am Entscheidungsprozeß teilzunehmen. „Die Menschen im Quartier nehmen die Politik der etablierten Parteien hin, solange sie nicht selbst der Schuh drückt.“ (III, GEX1) Wenn Probleme im Quartier auftau-

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chen, wüßten die BewohnerInnen sich aber selbst zu helfen. Manche wenden sich an die BVV Abgeordneten, manche schreiben direkt an den Bezirksbürgermeister. Andere wiederum nehmen die Sache selbst in die Hand: so werden im Quartier schnell Bürgerinitiativen gegründet. Die BewohnerInnen arbeiten sehr selbständig. „Man muss begreifen, dass sich Bürgerinitiativen oft deshalb gründen, weil sie den etablierten Parteien die Lösung von Problemen nicht mehr zutrauen.“ (III, P3) Auf die Frage, wer politischen Einfluss im Quartier habe, antwortete ein Befragter: „Die politischen Vertreter sind nicht diejenigen, die den größten Einfluss auf das Quartier haben, sondern die, die die wirtschaftliche Macht ausüben.“ In Bezug auf Vertrauen in die Politik und Kommunikation mit der Politik sieht er aber keine Defizite im Quartier. Persönlich hat er kein Interesse an einer stärkeren Kom-munikation und betont ein repräsentatives Verständnis von Demokratie. Ein anderer Bewohner hatte seine eigenen Vorstellungen von Bezirkspolitik: Er be-mängelte vor allem die fehlende Entscheidungsfreudigkeit der PolitikerInnen. „Man muss Entscheidungen treffen, um Probleme lösen zu können.“ Nach ihm müssten politische Entscheidungen schneller und unkomplizierter getroffen werden. Bürger-nähe spiele dabei eine große Rolle. Reformen in der Verwaltung hält er für besonders wichtig. Politik müsse „genau wie ein Unternehmen“ geführt werden. Der Befragte möchte sich in seiner Meinung ver-treten sehen. Parteiprogramme könne man sich dagegen sparen, da die Parteien dadurch eine Erwartungshaltung aufbauen, welche sie sowieso nicht einhalten könn-ten. (III, BEW7) Angesichts der von den BewohnerInnen dargestellten Nachbarschaftsverhältnisse – die zwar als vorhanden dargestellt werden, sich aber nicht durch besondere Intensi-tät auszeichnen – entsteht der Eindruck, solange die BewohnerInnen keine externen Probleme haben, ist auch Nachbarschaft nicht so wichtig. Wird ein Problem wahrge-nommen (mangelhafte Ausstattung der Schulen; Verkauf des Mexikoplatzes), schaf-fen es die BewohnerInnen aber, diese auf „sich grüßen“ beschränkten Nachbar-schaftsverhältnisse zu intensivieren, sich zu solidarisieren und auf verschiedenen Ebenen das jeweilige Problem anzugehen; sei es im Fall des Kulturbahnhofs als BI, sei es als Förderverein, um die Ausstattung der Schule(n) zu verbessern. Die Bereitschaft, sich mit den anderen BewohnerInnen des Quartiers zu solidarisie-ren, wird allerdings durch zwei Faktoren erschwert. Einerseits wird der Bezirk (und damit auch das Quartier) als „Feierabendstadt“ (III, GEX 1) bezeichnet. Die berufli-che Situation der BewohnerInnen führt dazu, dass sie sich zurückziehen, „weil die Menschen hier sehr viel lesen“ (III, GE1) oder weil man „nur zum schlafen“ (III, BEW5) nach Hause kommt. „Die Nachbarn kennt man kaum“ (III, BEW5), resümiert eine Bewohnerin – und als Folge auch nicht deren Probleme und Sorgen. Der zweite Punkt, der von III, GEX4 besonders hervorgehoben wird, betrifft die sozia-le Kontrolle: die Lebensverhältnisse seien schon „kleinkariert“, man sei „ständig beo-bachtet“ und man müsse „schon einigermaßen funktionieren“, damit ein vertrauens-volles, nachbarschaftliches Zusammenleben möglich werde. Ob sich im Vergleich zu früher die Nachbarschaftsverhältnisse verschlechtert haben, wurde sehr gegensätzlich beantwortet, einen wirkliches Entfremden oder Isolieren wurde jedoch von Niemandem beklagt, so erklärte auch III, GEX3: „der Eindruck, die

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Nachbarschaftshilfe hätte abgenommen, entsteht durch eine Verklärung der Vergan-genheit“. Die Befragten empfanden ihr Quartier nicht bessergestellt als andere Quartiere: so-wohl PolitikerInnen – „es geht allen gleich schlecht“ (III, P 1) – als auch die Bewohne-rInnen – „alle Bezirke werden gleich behandelt“ (III, BEW 7) – äußerten sich in dieser Weise. Nur III, P3 verwies auf die bezirkseigenen Grundstücke, die finanzielle Spiel-räume ermöglichen, aber nicht wirklich zum Ausgleich der fehlenden Gelder vom Se-nat reichen: Man müsse mit knappen Mitteln haushalten (III, P3). Für die Bewohne-rInnen war somit ein „Bezirksfinanzausgleich“ indiskutabel und ein Gebietsexperte erklärte: „Die Bewohner im Quartier zahlen bereits sehr hohe Steuern, es findet be-reits eine Verteilung statt“ (III, GEX3). Auf der anderen Seite erwähnte er aber auch: „Die Leute können sich besser selber versorgen“ (III, GEX3). Aussagen zu einem persönlichem Engagement wurden von den BewohnerInnen nicht getroffen und eher mit dem Verweis auf die eigenen Sorgen beantwortet: „In Hellersdorf ist das Netto-einkommen viel höher. In Zehlendorf arbeitet dagegen meistens nur einer in der Fa-milie“ (III, BEW7). Der Pfarrer erwähnte allerdings: „In der Kirche ist es kein Problem, für ein kommunizierbares Problem Spenden aufzutreiben, auch wenn diese außer-halb des Quartiers liegen“ (III, GEX3). Ein Engagement der BewohnerInnen erfolgt eher in einem größeren Rahmen, z.B. in Friedensinitiativen oder im Vorgehen gegen Rechtsextremismus und Ressentiments. Konkrete Vorstellungen, wie mit der maroden Finanzsituation in Berlin umgegangen werden sollte, wurden hingegen nur in vagen Vorstellungen geäußert. Einigkeit herrschte nur bezüglich des „viel zu großen Verwaltungsapparats“ (III, BEW7), der die größten Kosten verursache. Dabei wurde aber immer wieder eingewandt, das „Problem sei allgemeiner“ III, BW5) und man müsse „an die Grundfragen ran“, denn „Empörung heißt noch nicht Solidarität“ (III, GEX1). Ob eine stärkere Privatisierung von Nutzen sei, wurde unterschiedlich bewertet. Ei-nerseits seien „viele Bereiche schon privatisiert worden“ (III, BEW3) und außerdem gewährleiste der Staat noch einen sozialen Ausgleich; auf der anderen Seite könne man Teile der Polizei, wie das Ahnden von Parksündern oder die Unfallaufnahme, privatisieren (III, BEW8). Diese Position äußerte nur einer der Befragten, ein anderer würde die Berliner Bankgesellschaft Konkurs anmelden lassen. Einsparungen wurden allgemein als problematisch empfunden, denn „überall da, wo man ansetzt, wird geschrien“ (III, BEW5). Auf konkretere Vorstellungen, wie z.B. Ein-sparungen im Etat für Wissenschaft, Forschung und Kultur, wurde mit großer Skepsis reagiert. In der Wissenschaft liege die „Zukunft Berlins“ und das würde „katastropha-le Folgen“ (III, BEW3) haben. Auch an Kultureinrichtungen zu sparen, sei unsinnig, da diese nur einen kleinen Teil im Gesamtetat ausmachen. Aussagen wie: „Grundsätzlich gibt es keine Lösung für die Finanzkrise“ (III, P1) und bezüglich der Bankgesellschaft Berlin: „Es ist ein Teufelskreis, aus dem man nur schwierig wieder herauskommt“ (III, BEW7), ließen den Eindruck von Ratlosigkeit entstehen, die in Appelle wie „Ein Mehr an privatem Engagement ist wahrscheinlich und unumgänglich“ (III, BEW6) oder „Wir sind eine Solidargemeinschaft“ (III, BEW3) mündeten. So lassen sich drei Position erkennen, eine neoliberale, eine, die sich stärker für so-ziale Gerechtigkeit einsetzt und eher als sozialdemokratisch zu beurteilen ist. Die dritte Gruppe vertritt keine wirkliche Position und wechselt auf eine distanzierte, sehr

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allgemeine Ebene: „Das ist allerdings eine globale Problematik, die Arm/Reich-Frage“ (III, BEW2). Diese Positionen spiegeln sich auch hinsichtlich des sozialen Engagements wider: Einmal gab es diejenigen, deren Position die freiwillige Initiative bevorzugt (“Es soll kein Zwang werden, solidarisch zu handeln“ (III, BEW10) und dann diejenigen, die auch eine Vermögenssteuer für sinnvoll halten und bereit sind, für einen sozialen Ausgleich selbst in die Verantwortung genommen zu werden („denen es gut geht, sollen mal hundert Mark weggeben“ (III, BEW4)). Quer zu diesen beiden Gruppen wurde die Meinung vertreten, nach dem „Verursacherprinzip“ vorzugehen und die Verantwortlichen „persönlich stärker in die Verantwortung nehmen“ (III, BEW3), wo-mit neben den Personen auch die Institutionen gemeint sind: „Die Banken müssten die Schulden erlassen“ (III, P4) und zu mehr „Solidaritätsmaßnahmen bereit sein“ (III, BEW3).

3.3.3 Fazit Der Mexikoplatz ist ein „gutbürgerlicher“ Ort. Was dieses von Anfang an zu hörende Urteil der befragten ExpertInnen, BewohnerInnen und des politischen Personals über die Wohn- und Lebenssituation im Gebiet um den Mexikoplatz enthält, ist der richtige Hinweis auf eine dort zu erkennende, im oberen Drittel der Schichtungshierarchie zu markierende soziale Position der Wohnbevölkerung, auf ihr hohes kulturelles Kapital, auf die weitgehend gleichförmige Berufsstruktur und auf die, in der allseits bekunde-ten Problemlosigkeit des Lebens am Mexikoplatz zum Ausdruck kommende, grund-legende Akzeptanz dieser Zustände. Doch so sehr die stabile Sozialstruktur und ihre subjektive Akzeptanz das Gebiet um den Mexikoplatz als ein weitgehend homogenes Wohnquartier erscheinen lässt, so gewiß lassen sich hinsichtlich der das Quartier prägenden Lebensstile und -entwürfe zumindest ein linksliberal-alternativ anmutendes von einem traditionell-konservativ scheinenden Milieu trennen. Auch in Hinblick auf die in Erfahrung ge-brachten inhaltlichen Positionen der Quartiersbevölkerung lassen sich Unterschiede benennen. An den gestellten Fragen zu Vorstellungen sozialer Gerechtigkeit und zur Bewältigung der sozioökonomischen wie hausaltspolitischen Krise der Stadt Berlin lässt sich eine vielleicht als „neoliberal“ zu kennzeichnende, auf Privatisierung und Reduzierung bislang sozialstaatlich organisierter Aufgaben setzende Position von einer an sozialstaatlichen Sicherungs- und Umverteilungsmechanismen festhaltende Absicht unterscheiden. Allerdings lassen sich diese politischen Orientierungen nur schwer mit den festgestellten Lebensstilen in Einklang bringen.9 Die vorgebrachten Vorschläge beiderlei Orientierungen muten jedoch häufig bezugs-los und oberflächlich an, klingen größtenteils stereotyp statt reflektiert. Die für sich und ihr Wohngebiet immer wieder festgestellte soziale wie politische Problemlosigkeit der Quartiersbevölkerung scheint durchzuschlagen auf deren Bereitschaft, sich in Hinblick auf soziale Probleme der Stadt Berlin artikulieren zu wollen bzw. zu können. Zwar wird die prekäre Position in anderen Berliner Stadtteilen einerseits, die eigene, demgegenüber privilegierte Position andererseits durchaus gesehen, aber nicht zu- 9 Die Differenz in der Positionierung zu sozialstaatlichen Prinzipien durch Milieu-Disparitäten erklären zu wollen, gar dem politischen Rechts-Links-Schema zuzuordnen fällt schwer, lassen sich doch für die Begründung wohlfahrtstaatlicher Prinzipien sowohl „konservative“ wie „sozialdemokratische“ Argu-mente finden und im links-alternativen Milieu auf Selbstverwirklichung setzende und deshalb staatli-che Zugriffe ablehnende ebenso wie Tendenzen sozialer Anomie fürchtende und deshalb sozialstaat-liche Maßregeln befürwortende Positionen erkennen.

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einander in Beziehung gesetzt: Die sozioökonomische Situation der Stadt und deren Folgen ist ein die BewohnerInnen in und um den Mexikoplatz zwar interessierendes, aber äußerlich bleibendes Problem. Der Mexikoplatz ist ihnen im wesentlichen priva-ter Rückzugsraum, dient dem Schlaf, der Erholung und der Bewältigung eines All-tags, der konkret individuelle Bezüge zu den sozialen und ökonomischen Problemen Berlins und zur Frage nach (politischen) Strategien zu deren Bewältigung nicht er-kennen läßt; ist ihnen daher auch nicht Ort des politischen Streits mit Bezug zu einer kollektiven, gesamtstädtischen Perspektive. Ein „Kiezgefühl“ bzw. eine wie immer auch sich formulierende gemeinsame, ortsbe-zogene Identität kann sich unter den Umständen individueller Unabhängigkeit, sozia-ler Sicherheit und räumlicher Isoliertheit anscheinend nicht entwickeln – und soll es auch nicht: von einigen bewusst abgelehnt, von anderen zumindest nicht vermisst, ist nicht die unmittelbare Nachbarschaft, sondern ein Netzwerk aus Familie und Freun-den vor allem im alten West-Berlin den Bewohner/innen im Gebiet um den Mexiko-platz der zentrale soziale Bezugspunkt; nicht das eigene Quartier, sondern die inner-städtischen Bezirke (West-) Berlins sind der Ort sozialen und kulturellen Erlebens. Insofern die BewohnerInnen im Gebiet um den Mexikoplatz solidarische Einbindun-gen bzw. Vergemeinschaftung organisiert über ihren Wohnort nicht kennen und wol-len ist ihnen „der Mexikoplatz“ auch kein festgeschriebener Ort handlungsanleitender Identifikation. Die Versuche, über einen gemeinsamen, für allgemein gültig erklärten Bezugspunkt ein gemeinsames Handeln der Anwohnerschaft zu organisieren, wer-den nicht als selbstverständlich hingenommen, sondern vermehrt als eine spezifi-sche Mobilisierungsstrategie begriffen, über deren Aktualität und Berechtigung immer wieder neu verhandelt werden muß. Einen emphatischen Kiezbegriff teilen nur dieje-nigen, die eine aktuelle Initiativen voranbringen wollen. Die Selbstwahrnehmung der BewohnerInnen als politisch interessiert und aufmerk-sam und ihre Einschätzung des Gebiets als „engagiert“ steht zu den Befunden eines von mangelnder politischer Einmischung- und Urteilsbereitschaft und von geringen Nachbarschaftsgefühlen gekennzeichneten Quartiers nicht im Widerspruch. Es sind die deutlich konservativen Züge des politischen Engagements am und um den Zeh-lendorfer Mexikoplatz, die die dortigen BewohnerInnen trotz vorgefundener differie-render politischer Positionen und mangelnder Nachbarschaftsgefühle immer wieder zusammen führen. Nicht ein der Kategorie „Bürgerinitiative“ immer noch nachgesag-ter Charakter des Protests gegen die gegenwärtig gültigen Verhältnisse und das Ziel deren Veränderung, sondern der Wunsch nach Erhaltung und Bewahrung des jetzi-gen Zustands des Gebiets prägt die inhaltliche Orientierung der reichlich vorzufin-denden Gruppierungen. Die Verteidigung des Status quo gegen den Charakter des Gebiets zu verändern drohende, z. B. der gesamtstädtischen Verkehrsplanung (Tun-nelbau) oder dem ökonomischen Prozeß (Niedergang des Einzelhandels, Privatisie-rung des S-Bahnhofes) verschuldeten Ereignisse ist das Gemeinsame der verschie-denen Initiativen; der Wunsch seiner Erhaltung die die BewohnerInnen zu einer ge-meinschaftlichen (politischen) Praxis verbindende Motivation. Nicht nur wegen der hohen individuellen, materiellen wie intellektuellen Kompeten-zen der Quartiersbevölkerung verlaufen deren Bemühungen zur Durchsetzung ihrer Interessen weitgehend erfolgreich bzw. sind nicht von vornherein zum Scheitern ver-urteilt. Auch scheint sich – aller Individualität und mangelnder Identifikation mit dem Gebiet um den Mexikoplatz zum Trotz – bedingt wahrscheinlich vor allem durch die lange Wohndauer der dort Lebenden, hinsichtlich der Einschätzung der Notwendig-

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keit politischen Engagements und dessen Nutzens so etwas wie ein kollektives Ge-dächtnis herausgebildet zu haben, welches die gemeinsam gemachten Erfahrungen erinnert und an die positiv anzuknüpfen ist. Gelernt von diesen Erfahrungen hat auch das politische Personal im Bezirk. Es be-greift sich weniger als eine politische Prozesse konstituierende, ihre Wählerinnen und Wähler erziehende, sondern vielmehr als eine deren Wünsche und Ziele auf-nehmende und umsetzende Instanz. Am Mexikoplatz, so scheint es, gestaltet sich der politische Prozeß entlang des Politikideals repräsentativer Demokratie: das lokale politische Personal sieht sich als Vertreter und Vermittler der von der Anwohner-schaft artikulierten Bedürfnisse, die BewohnerInnen begreifen sich als die politische Prozesse und administrative Maßnahmen anstoßenden Akteure. Der auch am Mexi-koplatz geäußerte Unmut über spezifische politische Entscheidungen und mangel-hafte politische Unterstützung kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß nicht Sys-temverdrossenheit, sondern ein hohes Maß an Systemvertrauen und an Überzeu-gung in die individuelle wie kollektive Handlungsfähigkeit das Kennzeichen des politi-schen Engagements der BewohnerInnen im Gebiet um den Zehlendorfer Mexiko-platz ist.

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3.4. PANKOW

EINFÜGEN KARTE

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3.4.1 Quartiersbeschreibung

Das von uns untersuchte Quartier schmiegt sich rund um den Schlosspark und wird hauptsächlich durch die Breite Strasse, die Grabbeallee und die Blankenburger Strasse eingegrenzt. Auf diese Hauptstrassen beschränkt sich auch der größte Teil des Verkehrsaufkommens, so dass im Gebietsinnern vor allem Anwohnerverkehr herrscht. Das Gebiet ist in vielerlei Hinsicht sehr günstig gelegen und zeichnet sich besonders durch eine sehr gute Verkehrsanbindung durch den öffentlichen Nahver-kehr und die damit verbundene gute Erreichbarkeit der Innenstadt, sowie durch die Nähe zur Autobahn aus. Der einzige große Lage-Nachteil ist der Flugverkehr, da das Gebiet genau in der Einflugschneise von Tegel liegt. Das Quartier lässt sich im We-sentlichen in die drei Funktionsbereiche Wohnen, Erholung im Schlosspark, Ein-kaufsstrassen aufteilen. Zur Erhöhung der Attraktivität des Gebietes für Nicht-AnwohnerInnen dürften vor allem der Schlosspark sowie das angrenzende Freibad beitragen. Die zahlreichen, auch im Umfeld des Gebietes liegenden Grünflächen, die guten Einkaufsmöglichkeiten und Verkehrsanbindungen, sowie die gute Infrastruktur für Kinder machen dieses Quartier zu einem Stadtteil mit hoher Lebensqualität, welcher trotz grüner Randlage urbanen Charakter besitzt - dies im Gegensatz zu westlichen Villenvierteln à la Dahlem. Zugleich strahlt das Quartier durch die heterogene Bevöl-kerung und Bebauungsstruktur einen spezifischen Charme aus, der privilegiertere Viertel im Osten und Westen voneinander unterscheidet. Erscheinungsbild Die Heterogenität der Bebauung gibt diesem Quartier einen spezifischen Reiz. Am größten ist der Altbauanteil mit Gründerzeitbauten und Mietskasernen neben den - zumeist unsanierten - Neubauten der 50er und 60er Jahre in 3- bis 4-stöckiger Zei-lenbauweise. Die Altbauten sind knapp zur Hälfte saniert, wobei die nichtsanierten zum Teil in einem sehr schlechtem Zustand sind, während sich unter den renovierten Altbauten richtige Schmuckstücke befinden. Charakteristisch ist auch das Nebenein-ander von saniert und unsaniert, denn abgesehen vom „Amalienpark“ konzentrieren sich die sanierten Gebäude nicht an einem bestimmten Ort. Darüber hinaus gibt es einen beträchtlichen Anteil an Stadtvillen, die zum großen Teil brachliegen. Auch das - allerdings baulich eher minimalistisch gehaltene - Schloss im Park ist weitestgehend ungenutzt und dringend sanierungsbedürftig. Neubauten aus den 90er Jahren sind teilweise architektonisch sehr auffällig und dürften Mieter höhe-rer Einkommensschichten anziehen bzw. angezogen haben. Die DDR hat ihre Spu-ren vor allem in Form von Bürokomplexen, die teilweise genutzt werden, sowie grö-ßeren derzeit brachliegenden Gebäuden vermutlich ehemals öffentlicher Natur hin-terlassen. Die Bebauung ist eher verdichtet, jedoch wirkt das ganze Gebiet durch größere Frei-flächen wie beispielsweise den Schlosspark aufgelockert. Insgesamt macht das Ge-biet durch die Bebauung weder einen sonderlich exklusiven noch einen besonders heruntergekommenen Eindruck. Vielmehr entwickelt diese Vielfalt ihren ganz eige-nen Charme. Es ist zu vermuten, dass die Neubauwohnungen aus den 50er und 60er Jahren von der Wohnungsbaugenossenschaft Berlin und anderen Wohnungs-baugenossenschaften verwaltet werden. Die brachliegenden Villen sind möglicher-weise ein Hinweis auf ungeklärte Besitzverhältnisse. Unter den Neubauten und sa-nierten Altbauen befindet sich auch eine gewisse Anzahl Eigentumswohnungen.

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Leerstand fanden wir in einigen unsanierten Altbauten sowie noch nicht vermieteten neuen Bauten vor. Insgesamt ist das Ausmaß an leerstehendem Wohnraum jedoch eher gering. Leerstehende Gewerbeflächen, bestehend aus alten Bauruinen und La-gerhallen, konzentrieren sich weitestgehend auf den Quartiersrand an den Hauptstrassen. Im Gebiet befinden sich ein paar wenige leerstehende Läden, dies in der Regel im unsanierten Altbau. Die Strassen und Gehwege sind teils gepflastert, teils asphaltiert, jedoch zum großen Teil in einem ziemlich schlechten Zustand, was vor allem auch durch eine Vielzahl davor warnender Verkehrsschilder bestätigt wird. Allerdings sind die Strassen und Gehwege, was herumliegenden Müll und Hundekot betrifft, ziemlich sauber. Umgekehrt auffällig sind die vielen Graffitis an sanierten so-wie besonders auch an unsanierten Gebäuden und leerstehenden Läden. Das Quartier hat durch den Schlosspark einen extrem hohen Grünflächenanteil. Hin-zu kommt das Freibad Pankow, sowie einige größere Grünflächen um die Spielplät-ze. Im Gegensatz zu anderen Altbauvierteln in Berlin besitzt die überwiegende Zahl der Altbauten einen kleinen Vorgarten, welche entsprechend dem bauliche Zustand der Häuser verwildert und gepflegt nebeneinander liegen - wobei der Typus des ex-klusiven, steril gepflegten Vorgärtchens eher unterdurchschnittlich vertreten ist. Viel-mehr scheint die Bevölkerung eine Vorliebe für „alternativ-verwilderte“ Vorgärten und Balkone zu haben. Was das Sicherheitsempfinden im Gebiet angeht, überkam uns trotz der vielen Graf-fiti und ungenutzten Brachflächen kein spontanes Gefühl von Unsicherheit, jedoch mag sich der eine oder andere bei Nacht an den weniger belebten Orten bzw. im Park doch etwas unsicher fühlen. Sozialstruktur Statistische Daten Pankow: Verkehrszelle 1612-14 Einwohner (VZ 1998) 21.144 Über 65jährige in % (VZ 1995) 17,4 Unter 18jährige in % (VZ 1995) 13,7 Ausländerzahl (VZ 1998) 684 Ausländer in % (VZ 1998) 3,2 Arbeitslosenzahl (VZ 1998) 1524 Arbeitslosenanteil an den 20-64jährigen in % (VZ 1998) 11,2 Sozialhilfedichte in % (Bezirk 1996) 4,4 VZ = Verkehrszelle 1996 = Daten aus “Sozialorientierte Stadttentwicklung”, 1998 1995 = Daten aus “Sozialstrukturatlas”, 1997 1998 = Daten vom Einwohnermeldeamt undStatistische Daten Lichtenberg:

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Infrastruktur Das Quartier ist mit vier städtischen Kitas, einer Waldorfkita, drei Grund- und weiter-führenden Gesamtschulen mit gymnasialer Oberstufe, einer Sonderschule für Sprachbehinderte sowie einer Musikschule für Familien sehr gut ausgestattet. Auch im Bereich Kultur und Vereine ist das Quartier mit drei Galerien, drei Kinder- und Ju-gendclubs und mehreren sozialen Vereinen (u.a. „Kulti“ Kinder- und Jugendfreizeit-treff, Netzwerk im Alter, Kulturforum Amalienpark) ausreichend versorgt. Exotisch ist die Arbeits- und Studiumsstätte für anthroposophisch orientierte Geisteswissen-schaft, das „Kaspar Hauser Therapeutikum / Kaspar Hauser Forum Berlin”. Als wis-senschaftliche Einrichtung hat sich die Polnische Akademie der Wissenschaften an-gesiedelt. An weitere Freizeiteinrichtungen gibt es neben mehreren Fitnessstudios und einem leicht verkommenen Volleyballplatz, das Freibad Pankow sowie mehrere natur-abenteuerlich geprägte Kinderspielplätze, welche sich größtenteils in gutem Zustand befinden. Des weiteren birgt das Gebiet diverse gastronomische Einrichtungen, so dass teilweise fast in jeder 2. Strasse ein Café oder Restaurant zu finden ist - wobei darunter nur wenige der für Berlin typischen „Spelunken“ oder Kneipen zu finden sind. Nicht ganz in unserem Gebiet, aber in unmittelbarer Nähe befindet sich das Rathaus Pankow - ein regelrechter Prestigebau, der als einer der schönsten Rathausbauten in ganz Berlin gilt. Des weiteren befindet sich die Forstinspektion Ost und die Bundes-vermögensabteilung in diesem Quartier. Als politische Akteure sind sowohl die Grü-nen als auch die PDS mit einem Büro im Quartier vertreten. Zudem haben sich im Quartier eine Initiative gegen Fluglärm sowie 2 weitere Initiativen gebildet. Auch im Bereich der sozialen Dienste gibt es eine beachtenswerte Zahl von Angebo-ten: Neben einem Kranken- und Hauspflegedienst und einer Seniorenfreizeitstätte gibt es eine Jugendhilfestation sowie mehrere Stätten für geistig behinderte Kinder, Jugendliche und Erwachsene (u.a. die Evangelische Wohnstätte Siloha). Ebenso ist die Dichte der Ärzte, die sich zumeist in sanierten Altbauten niedergelassen haben, sehr hoch. Zusammen mit der Caritas-Klinik in unmittelbarer Umgebung ist damit eine ideale Gesundheitsversorgung gegeben. Die Einkaufsmöglichkeiten in Pankow sind enorm vielfältig. Neben dem „Rathaus Center“ gibt es mehrere Supermärkte und Einzelhandelsgeschäfte, die sowohl von Handelsketten als auch von Selbständigen geführt werden. Das Spektrum reicht von eher „kleinbürgerlichen“ (99-Pfennig Waren) bis zu exklusiven Geschäften (Feinkost, arko, Teppiche), was für eine gewisse Einkommensheterogenität spricht. Allerdings sind die exklusiven Geschäfte nicht in der Überzahl und konzentrieren sich v.a. an der Breiten Strasse beim Rathaus und am Amalienpark. Die Zahl der Selbständigen sowie der gehobenen Dienstleistungen ist beachtlich: Fast in jeder Seitenstrasse sind ein bis zwei Kleinunternehmen - zumeist im sanierten Altbau - angesiedelt (Steuerberater, Architekten, Werbung, Firmenberater, Immobiliengeschäfte). Daneben befinden sich auch drei Pensionen im Gebiet. Größere Industrie dagegen ist nicht im Gebiet anzutreffen. Es gibt einen aus DDR-Zeiten stammenden Bürokomplex, in dem sich 16 Unternehmen (u.a. Wirtschaftsbe-ratung, Architekten, Projektentwicklung, Ökoheizanlagen/ Solaranlagen - Firmen) niedergelassen haben. Der Komplex scheint jedoch nicht ausgelastet zu sein. Daneben gibt es einige kleinere Unternehmen wie eine Kfz-Werkstatt, einen Friseur und ein Bestattungsunternehmen.

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Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich sowohl in der Infrastruktur als auch in der Baustruktur die Ambivalenz dieses, wie wir festgestellt haben, privilegierteren Ost-Viertels widerspiegelt, welches somit in deutlichem Kontrast zum homogeneren privilegierten West-Viertel steht. Sehr deutlich zeigt sich diese Heterogenität auch an den Geschäften. Hinweise auf höhere Einkommensschichten sind vor allem durch die zahlreichen mittelständischen Unternehmen gegeben. Das Erscheinungsbild der Bevölkerung lässt weder auf ein besonders wohlhaben-des, noch ein besonders benachteiligtes Viertel schließen. Einiges spricht jedoch dafür, dass das Quartier Familien anzieht, so sind die ruhigen Wohnstrassen, die Parknähe, die nahen Einkaufsmöglichkeiten und das Freibad geradezu ideal für Kin-der - zur kulturellen Unterhaltung müsste man sich allerdings aus dem Gebiet und vermutlich auch aus Pankow herausbegeben. Möglicherweise lassen sich auch Ein-richtungen wie der Waldorf Kindergarten, die Freie Schule Pankow, das anthroposo-phische Therapeutikum, der Bioladen sowie Unternehmen für Solaranlagen und öko-logisches Heizen als Hinweise für eine tendenziell alternative Familienbevölkerung interpretieren. In einem Kurzinterview konnten wir erfahren, dass tatsächlich ver-mehrt Leute mit Kindern in das Quartier kommen, dass aber auch noch viele alte Leute von früher dort leben und dass die meisten Neuen „Wessis“ sind. Im Übrigen fällt auf, dass im Gebiet sehr wenig AusländerInnen leben.

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Die Wahlbeteiligung in den Stimmbezirken, in denen das Quartier liegt, dürfte höher liegen als der Berliner Durchschnitt, wenn man die absoluten Werte noch durch die Briefwähler ergänzt, die sich jedoch nur schätzungsweise den Stimmbezirken zu-rechnen lassen. Insgesamt ist die Wahlbeteiligung im Quartier daher wohl als über-durchschnittlich zu bewerten. Dies könnte ein Indiz für eine relativ hohe Akzeptanz gegenüber und Integration ins politische System gedeutet werden. Bei der Stimmverteilung fällt in erster Linie der hohe Anteil an PDS – Wählern und der geringe von CDU – Wählern auf. Sämtliche 8 Direktmandate des Abgeordneten-hauses gingen in Pankow an die PDS. In dem Wahlkreis, dem unser Quartier ange-hört wurde Sieglinde Schaub gewählt. Dies könnte auf eine kritische Haltung vieler Wählerinnen und Wähler gegenüber der aus dem Westen importierten Parteienland-schaft schließen lassen. So kann man wohl zu dem Schluss kommen, dass die PDS solche Wähler ins politische System integriert, was ein wesentlicher Beitrag zur ho-hen Wahlbeteiligung sein könnte. Auf Bezirksebene wurde Burkhard Kleinert (PDS) wurde im 5. Wahlgang am 16.1.02 (!) zum Bürgermeister gewählt. Die Wahl des Bezirksamtes fand am 30.1.02 statt, wobei die Stadträte folgendermaßen verteilen: PDS 2, SPD 2, CDU 1.

3.4.2 Auswertung der Interviews

In Pankow wurden sowohl von den BewohnerInnen als auch von den ExpertInnen und PolitikerInnen als Vorteile des Quartiers einhellig die aufgelockerte Bebauungs-weise, viel Natur und die innenstadtnahe, aber dennoch relativ verkehrsgünstige, ruhige Lage hervorgehoben. Weitere Pluspunkte des Quartiers in den Augen der Be-fragten waren die hohe Kinderfreundlichkeit, sowie die soziale und wirtschaftliche Infrastruktur. Somit ist es die Mischung aus „kleinstädtischer Beschaulichkeit“ und urbanem Lebensgefühl, welche die spezifische Lebens- und Wohnqualität in Pankow ausmacht. Die Probleme bezogen sich vor allem auf die materielle Dimensionen – den schlech-ten baulichen Zustand besonders von öffentlichen Einrichtungen, wie Schulen und Kindergärten und auch Straßen. Dies fiel besonders den aus dem Westen zugezo-genen BewohnerInnen auf. Diese beklagten, dass die Zahl entsprechender Kneipen, jenseits der traditionellen Berliner Eckkneipen, zu gering sei. Außerdem sei der Be-zirk für Jugendliche „etwas müde“. Auch das „Rathaus – Center“ wurde kritisiert und dass damit zusammenhängende gleichzeitige Wegfallen kleinerer Läden bedauert. Von einer Gebietsexpertin kam der Hinweis, dass es in Pankow gewisse Plätze für linke und rechte Jugendliche gibt. Die damit verbundenen Auseinandersetzungen bleiben aber den meisten AnwohnerInnen aufgrund der internen Symbolik verborgen, während in Buch oder Karow eine rechte Szene offen zu beobachten ist. Einige jün-gere BewohnerInnen sprachen zudem vom DDR - Muff in Form von „alten verbiester-ten DDR Leuten“, die sich rigide und zum Teil kinderfeindlich verhalten. Diese Fest-stellungen wurden aber nicht unmittelbar als brennende Probleme des Bezirkes for-muliert. Ein Gefühl der Spaltung kann nach Aussagen einiger GebietsexpertInnen einer Gruppe von älteren DDR - Bürgern zugerechnet werden. Diese erleben mit dem Zuzug von jüngeren Leuten / Familien eine zunehmende Auflösung ihrer erleb-ten Form der Hausgemeinschaft. Das Thema Sicherheit scheint in diesem Quartier kein relevantes Thema zu sein. Dementsprechend konnte ein mangelndes Sicherheitsgefühl nicht festgestellt wer-den. Unsicher ist man nachts in einsamen Gegenden, was aber auf jedes Viertel zu-

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treffen würde. Als tendenziell „gefährliche Quartiere“ wurden Kreuzberg, Neukölln, Wedding und der Norden von Schöneberg genannt, also alles Quartiere im Westteil von Berlin mit einem höheren Ausländeranteil. Diese Aussagen beruhen teils auf schlechten Erfahrungen, teils auf einem „unguten Gefühl“ oder einem „Nichtausken-nen“ in diesen Stadtteilen. Im untersuchten Quartier gibt es kein klassisches Kiezgefühl, obwohl dort die meis-ten Erledigungen gemacht werden. Es ist anzunehmen, dass dies vor allem mit dem Mangel an kulturellen Einrichtungen zusammenhängt, weswegen man sich in der Hinsicht mehr in Prenzlauer Berg und Mitte aufhält. Die Gebietsbindung wird aber dennoch von allen als sehr gut eingeschätzt. So haben sich die ZuzüglerInnen (Pan-kow hat mehr Zu- als Wegzüge) diesen Bezirk auch ganz bewusst ausgesucht. Al-lerdings stellt ein Gebietsexperte fest, dass die Sozialstruktur seit der Wende weni-ger durchmischt sei: Es zögen heute eher wohlhabendere BürgerInnen in das Quar-tier, während ärmere sich das nicht mehr leisten könnten (IV GEX 2). Ein anderer Experte (IV GEX 5) meint, dass ältere Menschen, die alleine in ihren Wohnungen leben, oft einen guten Kontakt zu ihren Nachbarn haben, weil sie diese teilweise schon seit Jahrzehnten kennen. Im wesentlichen stimmt, was die externe Wahrnehmung des Quartiers angeht, das Außen- mit dem Innenbild als ein gutbürgerliches Quartier mit hoher Lebensqualität überein. Freunde von Zugezogenen aus dem Westen haben manchmal noch Vorbe-halte gegen den ehemaligen Bezirk der DDR - Elite, was sich aber schnell gibt, wenn diese erst mal im Gebiet waren. Das Interesse an anderen Stadtteilen äußert sich in gewisser Weise darin, dass man sich über den Berlinteil der Tageszeitungen oder über das Fernsehen diesbezüglich informiert. Das geschieht dabei weniger bewusst oder zielgerichtet. Es ist ein gewis-ses Grundinteresse an Berlin da, aber kein tieferes an den Bezirken und ihren Prob-lemen selber. Vielmehr ist hier entscheidend, ob man selber früher dort gelebt hat bzw. ob Freunde in einem anderen Stadtteil wohnen, über die man dann auch etwas erfährt bzw. auch genau hinhört / hinschaut, wenn über diesen Stadtteil berichtet wird. Man kann hier also weder von einem Desinteresse an Berlin noch von einer besonderen Aufmerksamkeit sprechen, insofern ist dieses Interesse als durchschnitt-lich beschreibbar. Der Aufenthalt in anderen Stadtteilen hängt stark mit dem Ost – West Status der BewohnerInnen zusammen. Aus dem ehemaligen Westen Zugezo-gene halten sich tendenziell eher in den westlichen Stadtteilen auf, während sich „Ostler“ häufiger in Mitte und Prenzlauer Berg aufhalten, aufgrund der Arbeit auch im Westteil Berlins (Charlottenburg, Tiergarten). Das verbindet sich aber (mit Ausnah-men des einen exemplarischen DDR - Bürgers) nicht mit einer bewusst ablehnenden Haltung gegenüber Westberlin, sondern „man hat halt einfach nicht soviel damit zu tun“. Von den zehn Befragten haben 8 gewählt. Davon 3 SPD, 2 PDS, 1 FDP und 2 mach-ten diesbezüglich keine nähere Angabe. Die meisten BewohnerInnen waren also bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus. Eine grundsätzlich negative Einstellung der Befragten zu Wahlen, Parteien etc. war daher nicht zu erkennen, wie dies aufgrund der Wahlstatistik zu erwarten war. Allerdings sagten einige der BewohnerInnen, dass es im Prinzip egal sei, was man wählen würde. Das Wissen der Befragten über den Stadtteil zeigt sich darin, dass die BürgerInnen zum großen Teil informiert über Aktivitäten in ihrem Stadtteil sind. Bekannt sind u. a. die Bürgerinitiative gegen den Fluglärm, der Karl von Ossietzky Kreis und der Frie-

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denskreis. Die Tendenz geht aber eher dahin, dass die BewohnerInnen „davon ge-hört haben“, inhaltlich aber wenig informiert sind, „... habe von dieser Initiative gehört, weiß aber nichts näheres darüber“ (IV BEW 3). Vermehrt genannt (IV BEW 3, BEW 4 und BEW 5) wurden Aktivitäten im Bereich der evangelischen Kirche Pankow. In die-sem Zusammenhang wurden Aktionen gegen die Ansiedlung der Bundes - Zentrale der Republikaner in der Berliner Straße vor vier Jahren genannt (IV BEW 8). Aus diesem Protest sei ein „Komitee für Bürgerbewegung“ hervorgegangen (IV P 5 wohnt im Quartier). Als Info- und Kulturtreffpunkte wurden das Café Kanapee, das Café Garbaty und die Buchhandlung Sawedra genannt (IV P 5), in der von Zeit zu Zeit Le-sungen stattfinden, u. a. von Christa Wolf. Im Stadtteil gibt es, wie gesagt, eine Bürgerinitiative gegen Fluglärm. Sie versucht durch diverse Aktivitäten, beispielsweise eine Unterschriftensammlung, einen schnel-leren Ausbau des Flughafens Schönefeld und somit eine frühere Schließung Tegels zu erreichen. Die Initiative findet bei den BewohnerInnen Akzeptanz, jedoch wird das Problem des Fluglärms von den meisten Befragten als nicht so gravierend empfun-den. Aus der Politik konnte man hören, dass es bereits eine Initiative in Reinicken-dorf gibt, die mit der Fluglärmkommission des Senats zusammenarbeitet und das aus diesem Grund keine Notwendigkeit für eine eigene Pankower Initiative besteht (IV P 2). Außerdem gibt es verschiedene Initiativen im Bereich der Trägerschaft freier Schulen, die aus der Unzufriedenheit mit dem aus der DDR geerbten Schulsystem entstanden (freie Schule Pankow, Initiative zur Gründung einer evangelischen Schu-le). Die freien Träger kommen in einer Ortsteilkonferenz, die vom Bezirksamt koordi-niert wird, zusammen und tauschen sich über inhaltliche Schwerpunkte aus, die an entsprechende Ausschüsse weitergeleitet werden. Engagement wird im Quartier von den meisten Bewohnern positiv gesehen. Drei der Befragten sagten allerdings, dass sie sich nicht engagieren, zwei von ihnen aus ge-sellschaftlichen Gründen: „... es hat sowieso keinen Zweck“ (IV BEW 1), „unter den derzeitigen gesellschaftlichen Bedingungen macht Engagement keinen Sinn“ (IV BEW 8). Beide lebten schon vor der Wende im Gebiet. Häufig genannt als Grund sich zu engagieren wurden Probleme in der Schule (bauliche Substanz), um gegen Rassismus und rechte Gewalt einzustehen (IV BEW 4 und BEW 2). Des weiteren nutzen BürgerInnen die Möglichkeit Petitionen einzureichen und Briefe an die BVV und den Bürgermeister zu richten oder rufen beim Bezirksamt an. Im Falle öffentli-cher Belange und Interessen würde man sich zuerst an die Verwaltung wenden (IV BEW 4) bzw. sich über den Weg eigener Aktivitäten artikulieren (diverse Publikatio-nen – Beispiel: Bilderchronik der Parkstraße von IV GEX 1). Eine weitere Form des Engagements der BewohnerInnen ist der Friedenskreis. Er gründete sich aus Sorge um die Nachrüstung 1982. Es gab einen Brief an den Bürgermeister von Berlin – West, in dem dieser Sorge Ausdruck verliehen wurde. In diesem Zeitraum entstand ein eher lockerer Verbund von Personen, die sich unregelmäßig zu Lesungen und Diskussionsforen zusammen finden. Nebenher werden vom Friedenskreis Ausstel-lungen und Konzerte organisiert. Die meisten der Befragten haben eine positive, verständnisvolle Haltung gegenüber dem Engagement der Politiker und sind der Meinung, dass diese aufgrund der finan-ziellen Lage nicht viel ändern können, auch wenn sie die Probleme kennen. Einer der Befragten meinte sogar, die Probleme seien in den viel zu kurzen Legislaturperioden nicht zu lösen (IV BEW 8). Ebenso halten die meisten das Angebot von politischen Veranstaltungen für ausreichend. Der kleinere Teil der Befragten kritisierte das An-gebot und Engagement und wünschte, dass die PolitikerInnen mehr auf die Leute

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zugehen sollten. Allerdings häufig mit dem Eingeständnis verbunden, dass man sich sicher auch selber informieren könnte. Einige sind der Ansicht, dass Engagement sehr stark an bestimmte Persönlichkeiten gebunden ist (genannt wurden Gysis und die Pfarrerin). Einer der Befragten meint, dass es in der Politik an Visionären mange-le, die eine Richtung vorgeben könnten (IV BEW 8). Ein Gebietsexperte kennt aller-dings einige PolitikerInnen, die in der Lage wären Probleme zu erkennen und auch lösen könnten (IV GEX 1). Ein anderer attestiert der Politik eine gewisse „bürokrati-sche Schwerfälligkeit“ (IV GEX 3). Zusammenfassend lässt sich zutreffend feststel-len: „Im Allgemeinen sind die PankowerInnen ziemlich zufrieden und die Politiker stehen daher auch nicht besonders unter Druck“ (IV BEW 8). Einige der BewohnerInnen wünschen sich mehr Kontakt zwischen Politikern und Bürgern, während andere die Präsenz der PolitikerInnen in der Öffentlichkeit für „sehr ausgeprägt“ halten (IV BEW 3). Diejenigen, die aufgrund ihrer Erfahrungen mit persönlichen Anliegen direkt mit der Politik zu tun hatten, beurteilten den Kontakt mehrheitlich als gut, fühlten sich ernst genommen und nicht übergangen. Die monat-lichen Sprechstunden der Stadträte werden unterschiedlich häufig genutzt. Ebenso unterschiedlich sind die Probleme, die vorgetragen werden: Manche seien lösbar, manche nicht (wie etwa Veränderungen bei der Höhe der Sozialhilfe). Die meisten Befragten haben zwar kaum konkrete Probleme, sind aber eher optimistisch, was den möglichen Erfolg eines Engagement der BewohnerInnen angeht. So glaubt die Mehrheit unter ihnen, dass das Einbringen möglicher Anliegen, teilweise aufgrund bereits gemachter, positiver Erfahrungen, unter gewissen Bedingungen sinnvoll sein kann. Der Grundtenor lautet: „Wenn man das richtig betreibt und organisiert, kann man schon etwas bewegen.“ (IV BEW 4). Von einem Bewohner wurde beklagt, dass die Eigenverantwortung der BürgerInnen eher behindert als gefördert werde (wie beispielsweise bei der Pflege von Schulanlagen, IV BEW 10). Die meisten Politike-rInnen und GebietsexpertInnen machten die Feststellung, dass Pankow politisch et-was müde sei: „Die Pankower könnten ruhig etwas rebellischer sein.“ (IV P 5). Bei-spielsweise seien die Proteste gegen den Fluglärm nach Ansicht dieser Politikerin äußerst gering. Ein Politiker sieht den Grund dafür in der Bewohnerstruktur und der Kultur des Stadtteils und meint, in Prenzlauer Berg würden Probleme stärker wahr-genommen. Ein anderer Politiker präzisiert, dies liege an den dort stärker ausgebil-deten Organisationsstrukturen, die vor allem im Zusammenhang mit der Sanierung entstanden sind und ein anderes Bewusstsein an politischen Prozessen erzeugen (IV P 2). Die Verwalterin einer WBG sieht die Tendenz im Quartier, dass die Leute einerseits immer schimpfen, „aber wenn dann mal was gemacht wird, dann kommt niemand, dann wird das Angebot nicht genutzt.“ (IV GEX 5). Auf der Ebene des Engagements und der Zusammenarbeit von Professionellen fin-det die Ortsteilkonferenz, wie gesagt eine Vereinigung von Trägern der freien Ju-gendhilfe, zum regelmäßigen Austausch von Problemen statt. Diese wird von einem Gebietsexperten (IV GEX 3) jedoch zum Teil als bürokratisch und schwerfällig ange-sehen. Einer der Gebietsexperten ist im „Verein für Pankow“, den unter anderem Be-zirkspolitikerInnen vor 8 Jahren gegründet haben und dessen Ziel es ist, den Kultur-standort Pankow zu erhalten und die Wirtschaft für diese Sache zu gewinnen. Ein Bewohner glaubt, dass Pankow in Hinsicht der Repräsentation des Quartiers im Vergleich zu anderen Quartieren besser dran ist als zum Beispiel Marzahn und kann sich vorstellen, dass es in Pankow versiertere Leute mit höherem Bildungsniveau und entsprechende Vereine und Strukturen gibt und dass auch die 20 – 30 jährigen die Kraft entwickeln, sich für öffentliche Belange einzusetzen (IV BEW 3). Andere

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sehen eine gewisse Benachteiligung der Ostbezirke, in Bezug auf Infrastruktur und Bausubstanz. Einer der Bewohner sieht dies in der unterschiedlichen Cleverness der Abgeordneten und deren verschiedenen Schwerpunktsetzungen begründet; ein an-derer macht die CDU – Regierung dafür verantwortlich (IV BEW 8). Die Beurteilun-gen der GebietsexpertInnen diesbezüglich reichen von „kein Unterschied“ bis „eher bevorzugt“. Ein Teil der PolitikerInnen ist der Ansicht, die BewohnerInnen im Prenz-lauer Berg würden die Probleme stärker wahrnehmen und sich eher an die BVV wenden. Ansonsten spielt das Gebiet dort als solches keine Rolle, höchstens die einzelnen Institutionen oder Probleme. Zum Beispiel, wie das Schloss genutzt wer-den kann. Ein Stadtrat sieht den Einfluss des Kommunalpolitikers (seinen eigenen!) als recht gering an und meint es hänge viel von den externen Entwicklungschancen eines Bezirkes ab (Lage zur Innenstadt, Eigentümerstruktur, unvorhergesehene Ent-wicklungen – beispielsweise Kneipen in Simon – Dach – Straße). (IV P 2). Die Bezirksarbeit findet zwischen Sachpolitik und Parteipolitik statt, der Bezirkspoliti-ker sei Vermittler zwischen der Partei, die einen nominiert hat und den Sachangele-genheiten, die den Bezirk betreffen und das stimme nicht immer überein. Beispiels-weise möchte die Landespolitik jetzt schnell eine Sparpolitik durchdrücken, was auf lokaler Ebene nicht so schnell und einfach durchzusetzen sei (IV P 2). Es wird be-mängelt, dass die Autonomie der Bezirke geschwächt werde, indem das Geld nun nicht einmal mehr für die Pflichtaufgaben reiche und die Verwendung bestimmter Gelder vom Senat genau festgelegt werde. Deshalb wird teilweise eine Stärkung der Bezirke angesichts der Größe, die mit Großstädten vergleichbar ist, gewünscht (IV P 5). Auf die Finanzkrise Berlins angesprochen, meinten einige der Befragten, dass zuerst eine Ursachenklärung vorgenommen werden sollte und ein unabhängiges Kontroll-gremium wurde vorgeschlagen. Bezüglich der Sparpolitik meinten die BewohnerIn-nen, dass bei den Diäten, bei den Opern und Krankenhäusern gespart werden könn-te. Hingegen sollte nicht bei der Polizei und der Bildung gespart werden. Des weite-ren sollte Berlin den Haushaltsnotstand ausrufen, um Bundeshilfen insbesondere für die Bereiche Polizei und Kultur in Anspruch nehmen zu können. Zum Thema Privatisierung bzw. den Aufgaben des Staates ergaben die Antworten der BewohnerInnen ein ziemlich differenziertes Bild. Als Kernaufgaben des Staates wurden die Polizei, Justiz, Stadtplanung und die Wissenschaft genannt. Außerdem sollten preiswerte Eintritte in Schwimmbädern auch weiterhin den sozial Schwachen zugute kommen. Zu den Bereichen öffentlicher Nahverkehr, Strom und Wasser, Schulen und Kitas gab es widersprüchliche Aussagen. Einerseits argumentierten die Befragten, dass viele kommunale Dienstleistungen privatisiert werden könnten, um durch Wettbewerb und Pluralismus etwas zu verändern – zum Beispiel in Richtung Kundenfreundlichkeit (BEW 2, 4, 7 – 1 Ost, 2 West), andererseits wurde befürchtet, Private könnten Monopolstellungen ausnutzen, der Staat verliere Einnahmen und im Bildungsbereich ginge Chancengleichheit verloren (BEW 2, 4, 6, 8, 9 – 4 Ost, 1 West). Unstrittig waren Privatisierungen bei der Arbeitsvermittlung, der Müllabfuhr sowie bei der Post und der Bahn. Generell herrscht also eine Stimmung vor, die eine vorsichtige Abgabe kommunaler Aufgaben positiv sieht. Gleichzeitig soll diese sozia-le Benachteiligungen vermeiden und auf jeden Fall einer wirksamen Kontrolle unter-liegen. Diese Herangehensweise ist auch charakteristisch für den Bereich Verwaltungsre-form, der von vielen BewohnerInnen angesprochen wurde. Um den Service zu

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verbessern und Spareffekte zu erzielen, sollten neben einer Aufgabenkritik und dem Abbau von Wasserköpfen v. a. D. Leistungsanreize für die Mitarbeiter geschaffen werden. Interner Wettbewerb und eine leistungsgerechte Entlohnung sollen den öf-fentlichen Dienst geschmeidiger werden lassen. Dies soll aber wiederum mit einer gewissen Sensibilität für benachteiligte Gruppen geschehen. So sollen Frauen, ältere MitarbeiterInnen und Behinderte unter den Schutz besonderer Programme gestellt werden. Typischerweise wird also ein moderater Modernisierungskurs nach aktuellen Konzepten gepaart mit sozialer Verantwortung favorisiert. Auf die Frage nach dem Aufgabenbereich des Staates haben nicht alle ExpertInnen geantwortet. Das vorhandene Material weist darauf hin, dass der öffentlichen Hand eine größere Verantwortung abverlangt wird, als sie heute wahrnimmt. Daher scheint sich hier ein etwas anderer Akzent als bei den BewohnerInnen zu zeigen. So sollen privatisierte Bereiche wieder verstaatlicht werden, damit die Politik wieder Hand-lungsfähigkeit zurückgewinnt und private Initiativen sollen in der Startphase stärker gefördert werden. Da aber derzeit die Mittel noch nicht mal für die vom Gesetz vor-geschriebenen staatlichen Maßnahmen reichen und die Situation arg verfahren sei, helfe eigentlich nur noch eine „Revolution“ ( IV GEX 1). Auf die allgemeinen Veränderungen im Quartier in der letzten Zeit angesprochen, sagten vier der BewohnerInnen, dass sich eigentlich nichts wesentlich verändert ha-be. Nichts desto trotz gab die Mehrheit der Befragten an, dass die Schließung des Kombibads in der Wolfshagener Straße ein Verlust sei. Auch andere Sparmaßnah-men machten sich unter den Befragten bemerkbar: Die Streichung zweier Polizeiab-schnitte, Kürzungen beim Kindergartenpersonal und bei der Förderung der privaten Schulen wurden kritisiert. Als Folgen der Sparpolitik wurden ferner genannt, dass sich die Unterschiede zwischen den Parteien aufgrund der starken Sachzwänge ver-ringern würden und die fehlenden öffentlichen Investitionen zum Niedergang be-stimmter Branchen beitragen. Daher wurde mehr Kreativität beim Sparen ange-mahnt, um negative Konsequenzen möglichst zu vermeiden. Unter den BewohnerInnen waren zwei (Ost), die gegenüber der Wirkung von Wahlen und Engagement auf die Politik eher skeptisch eingestellt waren. So wurde ange-führt, Redefreiheit und Wahlen generell würden nichts bewirken. Politiker würden nur auf ihre Wiederwahl schielen (BEW 1). Auch wurde gemeint, der Politik fehle es an Kenntnis der Probleme im Gebiet und an angemessenen Konzepten zur Lösung der anstehenden Probleme (BEW 6). Dennoch waren sie selber bei der letzten Wahl. Möglicherweise weil der Politik an sich schon ein wichtiger Einfluss – auch auf Ebene des Bezirkes - attestiert wird. Die GebietsexpertInnen sprachen an, dass das Ver-trauen in die Politik v. a. D. bei Senioren und Arbeitslosen im Quartier derzeit ziem-lich gering sei. Andererseits würden die Angebote, die von Seiten der Politik gemacht würden, auch nicht angenommen. Offenbar wird von Veranstaltungen von offizieller Seite, wenn man den ExpertInnen glaubt, bei relevanten Gruppen im Quartier nicht mehr viel erwartet. Aus der Betonung der Skepsis gegenüber der Politik von Seiten der Experten spricht möglicherweise deren Nähe zu den alteingesessenen Bewohne-rInnengruppen. Eine zweite Fraktion (BEW 2, 3 - junge Familien aus Ost – Innenstadt) der Bewohne-rInnen äußerte einerseits Verständnis für die Politik, da sie unter enormen Zeitdruck stehe, schenkte aber andererseits immerhin einzelnen Personen ihr Vertrauen. Eine starke Minderheit (4 Befragte) war der hingegen der Meinung, dass den Bezirken

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schlicht das Geld fehle, um ihre Kompetenzen auch wahrnehmen zu können. Ein dritter Teil (beide West) der Befragten gab an, dass die Berliner Politik besonders sensibel auf Protest reagiere und die Bezirke durchaus noch Handlungsspielräume hätten und äußerte sich damit am optimistischsten. So war bei einigen BewohnerIn-nen ein recht gutes Vertrauen in die Responsivität des politisch – administrativen Systems im Sinne einer Offenheit für Eingaben aus der Bevölkerung festzustellen. Dieses beruhte teilweise auf persönlichen Erfahrungen, v. a. D. mit der Verwaltung. Dabei spielt wohl auch der berufliche Hintergrund einiger Befragter eine gewisse Rol-le. Denn mehrere unter ihnen sind im öffentlichen Dienst beschäftigt, so in den Ver-waltungen des Bundes und Berlins. Die Unterscheide in den Einstellungen der Be-fragten in dieser Hinsicht könnte man wohl auf die verschiedenen Erfahrungen unter-schiedlicher Milieus zurückführen. Denn die Meinung dieser Gruppe wird meist von ZuzüglerInnen aus dem Westen geäußert. Wie schon in Abschnitt 1 beschrieben, ist die Bindung der BewohnerInnen unterein-ander relativ hoch. Dies gilt insbesondere für Hausgemeinschaften, die bereits seit der DDR bestehen. Dies wird auch durch die GebietsexpertInnen bestätigt: „Ältere Menschen, die allein in ihren Wohnungen leben, haben oft einen guten Kontakt zu ihren Nachbarn, weil sie teilweise schon ihr Leben lang dort wohnen und sich somit schon Jahrzehnte lang kennen.“ (IV GEX 2). Bei jüngeren Leuten entsteht der Ein-druck von Zusammenhalt durch ähnliche Interessen und Probleme – zum Beispiel „Kindergartenkontakte“. Dennoch scheint sich der Begriff von Solidarität im Quartier langsam zu wandeln. Mit den alten Leuten verschwinden auch alte Strukturen, so gab es früher zu DDR – Zeiten oft Haus- und Hoffeste, die fallen heute weg. Einer der Bewohner beklagte mehrfach den Wegfall der Hausgemeinschaft. Nichts sei mehr so, wie es zu DDR – Zeiten war: „Heute geht jeder seinen eigenen Weg. Früher wurde alles abgesprochen in der Hausgemeinschaft.“ (IV BEW 1). Vor allem der Zu-zug von „Neu – Pankowern“ führt zu Spannungen, da sie sich nicht so leicht in be-stehende Strukturen eingliedern lassen. Insgesamt scheint Solidarität mit anderen Stadtteilen keine besondere Rolle zu spie-len, da die Befragten BewohnerInnen sich, wie aus Abschnitt 1.6 hervorgeht, nicht übermäßig für andere Stadtteile interessieren. Nur wenige der Befragten drücken aus, dass sie „kein grundsätzliches Interesse an den Problemen anderer Bezirke“ haben und einer dieser Bewohner „war erst dreimal drüben“. (IV BEW 1). Bei der Vorstellung von Gerechtigkeit im Allgemeinen divergieren die Aussagen der BewohnerInnen: Vier Befragte waren der Meinung, dass wohlhabende BewohnerIn-nen nicht mehr stärker finanziell belastet werden dürfen (z. B. durch Vermögens-steuer, Grundsteuer u. ä.), während vier andere sich ausdrücklich dafür ausspra-chen. Viele der Befragten sind der Meinung, dass der Mittelstand entlastet werden sollte, während Großunternehmen hingegen in stärkere soziale Verantwortung ge-nommen werden sollten. Tendenziell vertreten die BewohnerInnen die Einstellung, dass sich Leistung auch lohnen darf. Außerdem sind einige der Meinung, dass Fami-lien stärker gefördert werden müssen, da Kinder einen gesellschaftlichen Beitrag darstellen. Andere hingegen vertreten die Meinung, dass im sozialen Bereich gekürzt werden darf, da der Sozialstaat zu stark ausgebaut sei. Was das sonstige Engage-ment angeht unterscheiden sich die Befragten wenig, so kommen Aussagen wie „da-zu kann man niemanden zwingen“, Ärzte sind genug in sozialer Verantwortung und „dem Prof. brummt abends wahrscheinlich auch der Kopf“ (IV BEW 1) und Geld ver-dienen muss auch einen Reiz haben: „Also, wenn man weiß, wenn man Geld ver-dient, dann muss man für ein Jahr lang ins Bürgermeisteramt ... , dann würde ich

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eher sagen: Ach nee, lass mal ...“ (IV BEW 2). Diese Aussagen lassen den Schluss zu, dass Engagement nicht so hoch bei den Bewohnern im Kurs steht. Ein Bewohner hat interessanterweise den generellen Unterscheid des europäischen und des amerikanischen Engagements aufgrund unterschiedlicher systemischer, ge-sellschaftlicher Bedingungen hingewiesen: „In Deutschland gibt es ein anderes System als in den USA: Dort ist man im Kiez nicht akzeptiert, wenn man sich nicht wohltätig (finanziell und durch Tätigkeit) enga-giert (das bezieht sich natürlich nicht auf Harlem usw.). Dafür ist die Einkommens-steuer viel geringer. Beides (hohe Steuer und Engagement) kann man nicht verlan-gen, das zu ändern würde ein hohes Umdenken erfordern: Das würde heißen, der Staat kümmert sich nicht um große Bereiche (Schulen, Schwimmbäder), Bürger müssten sehen, wie sie das aufbringen, dafür geringere Umsatzsteuer. Das ent-spricht aber nicht dem europäischen Denken.“ (IV BEW 4). Die Politik nimmt vor allem die Nachteile war, die aus der Bezirksfusion entstanden sind. Diese sind vor allem struktureller Art wie z. B. die unterschiedlichen Räume im Bezirk: Zum einen gibt es „dörflich anmutende Stadtteile“, wie Blankenburg oder Ka-row zum andern „städtische Verdichtungsgebiete“ wie Prenzlauer Berg (IV P 1). Auf der anderen Seite macht dem Bezirk die starke Abhängigkeit vom Senat und die mi-serable Finanzlage zu schaffen: „Der Bezirk hat ca. 330.000 Einwohner, was einer mittleren Großstadt entspricht und die Kommunalverwaltung hat nicht einmal die Rechte einer Gemeindevertretung“ und „Pankow hat die meisten Leute im Überhang im Vergleich zu anderen Bezirken. Wir können niemanden entlassen, dass heißt wir schleppen alle mit.“ (IV P 1). Die GebietsexpertInnen teilen diese Meinung: „Da die Bezirke keine eigenständigen Gemeinden sind, haben sie auch keine eigenen Steuereinnahmen. Daher sei ein Fi-nanzausgleich wie zwischen den Ländern gar nicht machbar.“ (IV GEX 4). Die Unter-schiede zwischen den einzelnen Bezirken werden im wesentlichen historisch erklärt. So hätten sich die verschiedenen Prioritäten der unterschiedlichen Regierungen nachhaltig ins Stadtbild eingegraben. (IV GEX 4).

3.4.3 Fazit Die Auswertung des Datenmaterials erfolgte anhand einer Typenbildung, da sich be-stimmte Strukturen bereits bei der ersten Durchsicht des empirischen Materials ab-zeichneten. Dabei können keine Aussagen im repräsentativen Sinn gemacht werden. Vielmehr verkörpern Typen bestimmte Milieus, welche sich aus sozio-ökonomischen, politischen und kulturellen Konstellationen ergeben. Bei der Bestimmung der Typen wurden die Kriterien „Partizipation”, „Einstellung zu und Vertrauen in die Politik”, „Aufgaben des Staates”, „Interesse an Berlin” und „Solidarität” verwendet. Hierbei handelt es sich um Kriterien, die wesentliche Indikatoren unserer Aufgabenstellung widerspiegeln. Die Einstellung zum System bzw. das Vertrauen in die Politik stellte sich als dominantester Unterschied heraus. Die Trennlinie verlief hier zwischen Alt-eingesessenen und Zugezogenen aus Ost und West, so dass sich zwei Typen kon-struieren lassen.

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Typ 1 – „Der Altpankower” Der Typus des Altpankowers lebt schon seit mindestens 15 Jahren im Quartier. Er zeichnet sich durch eine distanzierte Haltung gegenüber dem aktuellen politischen System aus. Die politischen Entwicklungen seit der Wende werden kritisch bis ableh-nend gesehen. Mit dieser Haltung wird auch die Sinnlosigkeit von politischem Enga-gement sowie das „Nichtinteresse” an den westlichen Stadtteilen Berlins begründet. Die negative Bewertung der Nach - Wende-Zeit ist im wesentlichen durch den emp-fundenen Zerfall der Hausgemeinschaft bedingt. Der Zuzug vieler junger Leute nach Pankow wird als Verdrängung des „Gewohnten”, Bedrohung der „guten, alten Haus-gemeinschaft” erlebt.10 Damit verbinden sich auch kinderfeindliche Ansichten. Insge-samt ist dieser Typ nur auf der ersten Stufe (Wahrnehmung des Wahlrechtes) poli-tisch integriert. Inwiefern diese Distanz zum aktuellen politischen System handlungs-relevant ist, wäre eine weitere Untersuchung wert. Typ 2 – „Junge zugezogene Familien bzw. Personen aus Ost und West” Für die nach Pankow Zugezogenen verband sich der Umzug in der Regel mit einem bestimmten Lebensabschnitt. Die wichtigsten Motive waren die Kinder bzw. für die aus Westdeutschland Zugezogenen der Beruf. Man wollte eine grüne und ruhige Wohnumgebung, die dennoch städtischen Charakter besitzt. Der überwiegende Teil der Befragten hatte sich früher hauptsächlich für die Kinder engagiert. Insgesamt zeichnet sich Typ 2 in dem jetzigen Lebensabschnitt jedoch eher durch politisches „Nichtengagement” aus, befürwortet und betont jedoch dessen Wichtigkeit. Man hat ein allgemeines Interesse an Gesamtberlin - an den Stadtteilen selber aber nur, wenn Bekannte dort wohnen bzw. wenn man selber früher dort gewohnt hat. Aus den politischen Einstellungen des Typs 2 ergeben sich Differenzen zwischen den Ost- und West - Zugezogenen. Diese Unterschiede sind aber nicht fundamental genug, als dass aus ihnen ein neuer Typ gebildet werden könnte. Bei den „Ostlern” war ei-nerseits eine eher positive Erfahrung mit der Kommunalpolitik sowie Engagement auf kommunaler Ebene, andererseits aber eine kritische Haltung zum politischen System auf Bundesebene auszumachen. Diese Kritik, welche sich vor allem auf allgemeine strukturelle Aspekte (Korruption, „reine Machterhaltung”), bezog, ist eher als diffus zu bezeichnen. Die „Westler” sahen das politische System etwas positiver. Dies kann zum einen im Zusammenhang mit der längeren Erfahrung mit dem jetzigen System und zum anderen in der Verwaltungstätigkeit der meisten West -Zugezogenen gese-hen werden. Allerdings gingen bei der Privatisierungsfrage die „Westler” ein Stück-chen weiter (Müllabfuhr, Bewag) als die „Ostler”. Bei beiden sollten Kernaufgaben wie Polizei und Bildung staatlich bleiben, jedoch sollte in der Verwaltung „ordentlich aufgeräumt werden”. Insgesamt herrscht eine moderate Einstellung zur Privatisie-rung, bei welcher jede Gruppe die soziale Komponente betonte, so dass neoliberale Haltungen nicht zu verzeichnen waren. Zusammenfassend lässt sich der Untersuchungsraum in Pankow als ein bürgerlich-alternatives Gebiet charakterisieren.11 Die Mischung aus alternativen und bürgerli- 10 Dies trifft in der Regel auf jene zu, welche diese Erfahrung konkret in ihrem Haus machen. Es ist anzunehmen, dass in bestimmten Häuserzügen - z.B. Wohnungsbaugenossenschaften der 50er/60er - in denen auch heute noch die Personen leben, welche damals eingezogen sind, eine intakte Hausgemeinschaft besteht. 11 Zwar findet sich hier auch ein Milieu, welches starke mentale Bindungen zu DDR – Zeiten aufweist und sich hauptsächlich aus älteren AnwohnerInnen zusammensetzt. Angesichts steigender Mobilität und demographischer Veränderungen wird es in Zukunft vorraussichtlich nicht das Potential haben, das Quartier wesentlich zu prägen.

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chen Merkmalen ergibt sich zum einen durch den Zuzug von Familien und BürgerIn-nen, die „es etwas ruhiger haben” wollen. Zum anderen besitzt das Gebiet durch die durchmischte Baustruktur, bestimmte Einrichtungen (Freie Schulen, Café Canapée, Café Garbaty, Literaturwerkstatt), Initiativen wie dem Friedenskreis, dem Carl-von-Ossietzky-Kreis eine gewisse „gehoben-alternative” Ausstrahlung. Gerade die „Ost-ler” kamen aus Prenzlauer Berg und Mitte bewusst nach Pankow und sehen sich, obwohl sie nach Eigenaussage wegen dem Trubel dort weggezogen sind, durchaus als kritische BürgerInnen. Auf der einen Seite wird zugegeben, dass man politisch nicht so interessiert und über lokale Vorgänge wenig informiert ist, auf der anderen Seite stellt man sich als BürgerIn mit kritischer Haltung zu den politischen Vorgängen dar. Die Spannung zwischen Befürwortung von Engagement und eigener Passivität ist im Zusammenhang mit den mehrheitlich kleinen Kindern der Familien zu sehen. Hinzu kommt die Tatsache, dass viele noch nicht lange im Gebiet wohnen und sich Bindungen, aus denen sich auch eine andere Wahrnehmung der Wohnumgebung, zum Beispiel genauere Kenntnisse über Probleme, erst noch entwickeln müssen. Daraus lässt sich ableiten, dass zumindest ein gewisses Potential zum Engagement vorhanden ist, was sich aktivieren ließe. Dies trifft besonders auch auf die „Westler” zu, welche oftmals noch keine großen lokalen Kenntnisse hatten. Auch hier können Zusammenhänge zwischen der politischen Orientierung des Gebietes, seiner Aus-strahlung sowie der Motivation dieser Personen nach Pankow zu ziehen, gesehen werden.12 Diese Zugezogenen zeigen perspektivisch Entwicklungsmöglichkeiten für ein sozial-liberales Milieu in Pankow auf. Es ist anzunehmen, dass sich auch die Infrastruktur auf die Bedürfnisse dieser Schicht einstellen wird. Aufgrund der gemischten Bau-struktur, der politischen Orientierung wichtiger Akteure (Kirche, Friedenskreis, Kraje-wizstiftung) und den bisherigen Anzeichen, dass nicht die „ganz Reichen” nach Pan-kow ziehen, ist weiterhin davon auszugehen, dass Pankow ein heterogener Bezirk in sozialer und baulicher Hinsicht mit verstärkter Tendenz zum „Bürgerlich-alternativen” sein wird. Dieses Milieu wird und ist hinsichtlich der politischen Integration13 auf der ersten und zweiten Ebene gut integriert, wohingegen auf der dritten Ebene - der des Engagements - eher eine passive Haltung herrscht, die man auch mit einer gewissen Selbstzufriedenheit der BürgerInnen des Gebietes hinsichtlich ihrer individuellen Si-tuation bezeichnen kann.

12 Wobei sich diese Motivation nicht in die politische Orientierung des Bezirkes - als nur einer der Fak-toren - auflösen lässt. 13 Gemäß dem Modell der politischen Integration, was der Fragestellung des Projektes zugrunde liegt.

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4. Ergebnisse

4.1 UNTERSCHIEDE UND GEMEINSAMKEITEN IN DER QUARTIERSBE-SCHREIBUNG

Ein Vergleich der Beschreibung und Bewertung der untersuchten Stadtteile durch ihre Bewohnerschaft, das politische Personal und ausgewählte GebietsexpertInnen macht vier Punkte deutlich:

1) Differenzen in der Quartiersbeschreibung lassen sich vor allem entlang der Untersuchungsdimension sozialer Ungleichheit, kaum entlang einer Ost/West-Disparität erkennen.

2) In keinem der untersuchten Gebiete lässt sich ein Empfinden systematischer Benachteiligung nachweisen („Ghetto – Bewußtsein“).

3) Eine homogene (Selbst-) Wahrnehmung des untersuchten Quartiers lässt sich für die in Zehlendorf, Pankow und Lichtenberg liegenden Gebiete aufzeigen, eine heterogene Situationsdeutung nur für das im Bezirk Wedding liegende Gebiet.

4) Der Gegensatz von latenten Benachteiligungsgefühlen im Weddinger Unter-suchungsgebiet einerseits zu einem hohen Maß an Zufriedenheit im Lichten-berger Untersuchungsgebiet andererseits zeigt, dass existierende Gefühle von Benachteiligung nicht vollständig durch die Differenz Arm/Reich interpre-tiert werden können.

In Hinblick auf Unterschiede entlang der Untersuchungsdimension sozialer Ungleich-heit zwischen statistisch ausgewiesenen „armen“ und ihnen gegenüber „reichen“ Stadtteilen lassen sich deutliche Differenzen in der Beschreibung und Bewertung des sozialen Alltags erkennen. Während in den als sozial benachteiligt geltenden Stadt-teilen soziale und ökonomische Kategorien in der Erörterung der Vor- und Nachteile des Lebens im Stadtteil deutlich berücksichtigt werden, finden sie in den wohlhaben-deren Gebieten keine bzw. nur indirekte Erwähnung in der Beschreibung der Wohn- bzw. Lebenssituation. Nicht das Fehlen sozialer Probleme, sondern ihre Nichtthematisierung unterscheidet die Stadtteile mit höherem von denen mit ihnen gegenüber niedrigerem sozialen Sta-tus. Dem Großteil der Weddinger gilt z. B. die Arbeitslosigkeit als ein sie persönlich berührender und generell das Leben im Quartier deutlich negativ kennzeichnender Faktor, der geringe Mietzins allerdings als ein das Gebiet vorteilhaft auszeichnender Umstand. Im Unterschied dazu wird im Zehlendorfer Untersuchungsgebiet nicht etwa gegenteilig die Arbeitslosenrate als unproblematisch niedrig, der (Miet-) Preis für Wohnraum als problematisch hoch eingeschätzt, sondern sie tauchen als relevantes Thema in der Erörterung der Vor- und Nachteile des Wohnumfelds überhaupt nicht auf. Ähnliches zeigt sich auf der sozialpolitischen Ebene. Während im „armen“ Quar-tier im Bezirk Wedding in generalisierender Weise „Armut“ bzw. die „soziale Lage“ von den BewohnerInnen in ihren Auswirkungen auf das Quartier problematisiert wer-den, sehen sich demgegenüber im „wohlhabenden“ Zehlendorfer Gebiet die Anwoh-

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nerInnen nicht genötigt, die auch hier gesehenen sozialen Probleme der Stadt (z. B. Zwänge zu Einsparungen in öffentlichen Haushalten) in eine direkte Beziehung zu ihrer Wohn- und Lebenssituation zu setzen. Wenn überhaupt, erfahren Klagen über einen sozialen Niedergang des Quartiers und Sorgen über einen Statusverlust hier vielmehr eine Transformation in ästhetisch-symbolische Kategorien: Befürchtet wer-den nicht individuelle Nachteile durch einen sozialen Niedergang des Wohngebiets, sondern ein (z. B. sich in der Ersetzung von Einzelhandelsbetrieben durch Filialbe-triebe präsentierender) Niveauverlust der angeblich quartierseigenen Lebensqualität. Und während sich im Wedding QuartiersbewohnerInnen um die konkrete Ausbildung ihrer Kinder sorgen, deren Benachteiligung gegenüber anderen fürchten und dieses als einen Nachteil ihrer Wohn- und Lebenssituation bewerten, wird umgekehrt in Zehlendorf das Thema Ausbildung nicht direkt angesprochen. Als das Wohngebiet um den Mexikoplatz positiv auszeichnend gelten den BewohnerInnen hier nicht be-sonders hervorzuhebende qualitative Bildungschancen für ihre Kinder, sondern pau-schalisierend ein Bildungs- und Kulturniveau, welches dem Viertel zukomme und deshalb das Wohnen dort angenehm mache. Diese Differenz zwischen einer konkreten, auf die Gestaltung des sozialen Lebens im Stadtteil bezogenen Erörterung sozialer Probleme einerseits und ihre Nichtbe-rücksichtigung bzw. Transformation in Lifestyle-Präferenzen andererseits erscheint vorrangig als eine zwischen den beiden in West-Berlin gelegenen Untersuchungsge-bieten, gilt aber bedingt auch für die beiden ausgesuchten Quartiere in Ost-Berlin. Während im Lichtenberger Gebiet soziale Probleme als das Quartier berührende Probleme angesprochen werden, scheinen sie im untersuchten Gebiet im Bezirk Pankow weder in positiver noch in negativer Perspektive berücksichtigt zu werden. Entsprechend fällt auch das Urteil der BewohnerInnen über die angenommene Fremdwahrnehmung ihres Quartiers aus: Den als „arm“ eingeordneten Quartieren in Wedding und Lichtenberg wird von den dortigen AnwohnerInnen eine negative, den „reichen“ Quartieren in Zehlendorf und Pankow von ihren BewohnerInnen eine posi-tive Außenwirkung zugesprochen. Unterschiede bei der Quartiersbeschreibung der Untersuchungsgebiete hinsichtlich einer Ost/West-Disparität lassen sich kaum erkennen. Als einzig benennbare Auffäl-ligkeit erscheint die Betonung der Nachbarschaft als ein die Wohn- und Lebenssitua-tion der Stadteile in Ost-Berlin kennzeichnender Faktor. Während in den westlichen Stadteilen nachbarschaftliche Verbindungen nicht vorhanden sind (Zehlendorf) oder eine gewisse Identifikation mit dem Quartier vorliegt, die aber nicht in gegenseitiger Hilfe der Nachbarschaft mündet („Kiezgefühl“ im Wedding), verweisen die Bewohne-rInnen in den östlichen Stadteilen Berlins auf nachbarschaftliche Unterstützung − ge-bunden allerdings an die Klage über deren Abnahme. Jenseits einer Verortung der Unterschiedlichkeiten der Quartiere in eine Ost-West-Disparität und in ein Arm-Reich-Gefälle muss die Selbstwahrnehmung der Quartiers-bevölkerung gesehen werden. In der Einschätzung ihrer Wohn- bzw. Lebenssituation differieren die Aussagen der BewohnerInnen des Weddinger Quartiers und die der übrigen Gebiete deutlich. In den „reichen“ Quartieren in Zehlendorf und Pankow e-benso wie im „armen“ Quartier in Lichtenberg kann eine weitgehende Zufriedenheit mit der Wohn- und Lebenssituation im Quartier festgestellt werden. Gegenteilige Ein-schätzungen können nur für den Stadtteil im Bezirk Wedding gezeigt werden. Hier lässt sich – wenn auch nur bedingt − eine Situationsdeutung identifizieren, die das Quartier als problembehaftet und gegenüber anderen „benachteiligt“ sieht – mit den unterschiedlichsten Konsequenzen für die BewohnerInnen des Quartiers: Ihre Äuße-

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rungen beinhalten Engagementbereitschaft ebenso wie Wegzugswünsche, tragen aktionistische ebenso wie apathische und resignative Züge. Allerdings lässt sich auch hier kein ausdrückliches Gefühl einer das Quartier systematisch benachteili-genden Struktur („Ghetto – Bewusstsein“) erkennen. Für die ausgewählten Gebiete am oberen Ende der sozialen Hierarchie (Pankow und Zehlendorf) lässt sich demnach eine enge Korrespondenz zwischen einer statistisch ausgewiesenen, von politischer Seite und befragten ExpertInnen bestätigten sowie von der Bewohnerschaft subjektiv empfundenen positiven Wohn- bzw. Lebenssitua-tion zeigen. Für die untersuchten Quartiere mit niedrigerem sozialen Status (Wed-ding und Lichtenberg) jedoch scheint eine solche Einheitlichkeit nicht zu gelten. Im Weddinger Quartier geht eine problembehaftete Quartiersbeschreibung seitens der ExpertInnen, des politischen Personals und der Wohnbevölkerung einher mit der sta-tistisch ausgewiesenen und mit der beobachteten Schlechterstellung des Quartiers, und es wird mit unterschiedlichen, auf jeden Fall nicht homogenen Situationsdeutun-gen auf diesen Befund reagiert. Demgegenüber verläuft im Lichtenberger Quartier die statistisch belegte und von Politik und ExpertInnen (teilweise) bestätigte proble-matische soziale Lage konträr zur Situationsdefinition des Großteils der BewohnerIn-nen. Trotz der statistischen Befunde und erfragten Einschätzungen fühlt sich die dor-tige Quartiersbevölkerung nicht benachteiligt, sondern bescheinigt sich eine zu ak-zeptierende und zu schätzende Wohn- und Lebenssituation. Die Gründe für diese Zufriedenheit sind sicherlich vielfältig; sie könnte vielleicht als Ausdruck der im Stadt-teil existierenden starken politischen Bindung an die PDS und eines damit verbunde-nen Gefühls der Artikulations- und Entscheidungsfähigkeit interpretiert werden, wel-ches Ohnmachtsempfindungen und daran anschließende Wegzugswünsche u. ä. ausblendet. Stärker aber noch scheint sie Ergebnis einer eingeschränkten Ver-gleichsperspektive zu sein. Vorrangig vergleichen sich die BewohnerInnen des Lich-tenberger Gebiets mit anderen Quartieren im Ostteil der Stadt und stellen hier weit-gehende Übereinstimmungen mit ihrer Situation fest, fühlen sich daher auch nicht benachteiligt. Ergänzt wird der Eindruck, dass es anderswo nicht besser sei, durch die hier deutlich gezeichneten, stereotyp anmutenden negativen Bilder der Innen-stadtbezirke des Westteils der Stadt − ein Versuch, Zufriedenheit durch Abgrenzung gegen vermeintlich Schlimmeres zu gewinnen. Solche, die Affirmation der selbster-lebten Zustände erlaubende Kompensationsmöglichkeiten scheint es für die Bewoh-nerInnen des Weddinger Quartiers nicht zu geben. Hier fühlt man sich „ganz unten“.

4.2 PARTIZIPATION Der Begriff der politischen Integration, der unserer Ausgangsfragestellung zu Grunde liegt, erschöpft sich nicht im bloßen Besitz des Wahlrechtes, sondern bedeutet dar-über hinaus eine aktive Partizipation der BewohnerInnen am politischen Prozess. Es lassen sich dabei verschiedene Stufen der Partizipation unterscheiden: Unsere Ana-lyse erstreckt sich von der formalen Teilnahme durch den Gebrauch des Wahlrech-tes, über das Wissen in Bezug auf Handlungsmöglichkeiten und Bezirkspolitik bis zum politischen Engagement z.B. in Bürgerinitiativen. Politische Partizipation gibt Aufschluss über die Einstellungen zum politischen System; politisches Engagement jenseits der Parteien kann als Ergänzung und Unterstützung der lokalpolitischen Ar-beit aber auch als Kritik an der Politik verstanden werden. Gegenstand der Untersu-chung ist nicht zuletzt, inwiefern ein Bewusstsein von Benachteiligung oder Bevorzu-gung in den Quartieren überhaupt existiert und ob bzw. welche Handlungen daraus abgeleitet werden können.

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Erste Stufe der Partizipation ist die formale Beteiligung durch Stimmabgabe bei den Wahlen. Ein Vergleich der Wahlbeteiligung in den vier Quartieren bei den Wahlen zur Bezirksverordnetenversammlung und zum Abgeordnetenhaus 2001 zeigt eine deutli-che Kluft zwischen den beiden wohlhabenden und den beiden armen Quartieren. Während die Wahlbeteiligung bei beiden Wahlen ohne Briefwähler in Pankow ca. 58%, in Zehlendorf sogar um die 60% erreicht, schwankt sie in Lichtenberg zwischen 47 und 51%, im Wedding werden 47% nicht überschritten (vgl. 5.2 Vergleich der Wahlergebnissse in allen vier Quartieren)14. Bereits an dieser Stelle lässt sich also ein deutlicher Zusammenhang zwischen der sozioökonomischen Lage der Quar-tiersbewohner und ihrer politischen Integration erkennen. Voraussetzung von Partizipation und politischer Integration ist dabei das Wissen darüber, an wen man sich wenden kann, wenn man Hilfe braucht oder etwas zu be-anstanden hat und auf welche Weise man sich erfolgreich einbringt. In unseren In-terviews stellte sich heraus, dass die Befragten in allen vier Quartieren nur ein diffu-ses Wissen darüber besitzen. Die BewohnerInnen in Zehlendorf, Pankow und Lich-tenberg äußerten jedoch ein „hohes Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten“; d.h. sie sind überwiegend der Meinung, im Bedarfsfall in Erfahrung bringen zu können, wer zuständig ist und wie man sich an die Person wendet. Besonders in Zehlendorf wur-de eine hohe Professionalität im Umgang mit Politik und Verwaltung deutlich: Inter-views mit den Politikern ergaben, dass die meisten Probleme hier auf dem schriftli-chen Wege gelöst werden. Im Wedding sind wir dagegen auf eine insgesamt eher ratlose Haltung gestoßen, welche sich durch die Komplexität der Probleme und die eigene soziale und ökono-mische Unsicherheit der BewohnerInnen erklären lässt. Diese Unsicherheit wird in Lichtenberg, dessen BewohnerInnen sich in ähnlich prekären sozioökonomischen Lebenslagen befinden, durch eine traditionell starke Bindung der BewohnerInnen an die PDS aufgefangen (vgl. auch 5.2). Die Bewohner der armen und reichen Quartiere unterscheiden sich also deutlich hin-sichtlich ihrer Fähigkeit, Probleme und Anliegen zu artikulieren und in die Politik zu tragen, wobei der Kontrast zwischen den West-Quartieren am stärksten ist. Die Sou-veränität der ZehlendorferInnen aber auch der PankowerInnen, die vor allem auf ih-ren individuellen Fähigkeiten und Kontakten (ihrem sozialen und kulturellen Kapital) basiert, steht dem mangelnden Wissen und der Unsicherheit der BewohnerInnen im Wedding gegenüber. Die Artikulationsfähigkeit der BewohnerInnen ist jedoch Bedin-gung einer angemessenen politischen Repräsentation. Erweitertes Thema des Vergleiches war, die politische Partizipation an Hand der in den Quartieren aktiven Bürgerinitiativen zu untersuchen. In Zehlendorf zählten wir die höchste Dichte an Bürgerinitiativen. Aufschlussreich ist eine genauere Betrachtung dieser Initiativen. Sie zeugen von einem hohen Bewusst-sein der BewohnerInnen bezüglich der Qualität des Quartiers als Lebensraum und von einem starken Widerstand gegen Veränderungen im Quartier. Das Engagement der BewohnerInnen entsteht aus einer konkreten und persönlichen Betroffenheit her-aus und nicht aus dem Wunsch nach breiterem sozialen oder politischen Engage-ment. Es handelt sich daher in der Regel um kurzlebige Initiativen: sie gründen sich 14 Es soll hier noch mal darauf hingewiesen werden, dass es sich bei diesen Angaben um die Wahlbe-teiligung ohne Briefwähler handelt. Obwohl die Briefwähler die Wahlbeteiligung noch einmal deutlich ansteigen lassen können, halten wir den Unterschied zwischen armen und wohlhabenden Quartieren in der Wahlbeteiligung auch ohne die Briefwähler für signifikant.

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um ein bestimmtes Problem und lösen sich mit der Beseitigung des Problems eben-so schnell wieder auf. Zudem wird deutlich, dass die ZehlendorferInnen über die ge-eigneten Ressourcen verfügen, ihre Anliegen erfolgreich durchzusetzen. Insgesamt kann man in Zehlendorf also von einem hohen Maß an politischer Integration spre-chen: Die BewohnerInnen besitzen die Fähigkeit, durch politische Partizipation in Entscheidungsprozesse einzugreifen und ihre partikularen Anliegen im politischen Prozess selbst zu repräsentieren. Interessanterweise kommt Lichtenberg Zehlendorf von der Anzahl der Bürgerinitiati-ven am nächsten. Dies lässt sich zum Teil dadurch erklären, dass die BewohnerIn-nen hier wie in Zehlendorf stärker an das Quartier gebunden sind als in den anderen untersuchten Gebieten. Unterschiedlich dagegen sind in Lichtenberg und Zehlendorf offensichtlich das Bewusstsein über und der Anspruch an die Lebensqualität im Quartier. Das Engagement der LichtenbergerInnen fügt sich in das Bild, welches wir auf Grund der bisherigen Ergebnisse (vgl. 3.1.3) von Lichtenberg gewonnen haben: Demnach sind die BewohnerInnen dieses benachteiligten Quartiers überraschen-derweise gut politisch integriert, was zu einem Teil auf die Lokalpolitik der PDS zu-rückgeführt werden kann. Im Gegensatz zu Zehlendorf und Lichtenberg haben die BewohnerInenn in Pankow eine schwache Bindung an das Quartier15. Dies kann als eine Erklärung für die Pas-sivität der PankowerInnen bezüglich des Engagements in Bürgerinitiativen herange-zogen werden. Eine zweite findet sich darin, dass sich die BewohnerInnen selbst durchaus als „kritisch“ beschreiben, mit ihrem Umzug ins Quartier aber in der Regel auch einen Lebensabschnitt und Lebenstil verbanden, der mit dem Ausdruck „sich zur Ruhe setzen“ umschrieben werden kann. In beiden Ost-Quartieren finden sich Stimmen, welche darauf verweisen, dass man sich früher, sprich zu DDR-Zeiten, en-gagiert habe, dies heute aber nicht mehr tue. Wie in Zehlendorf kann von einem indi-vidualistischen und politisch gut integrierten Milieu gesprochen werden, welches aber durch eine gewisse „Selbstzufriedenheit“ charakterisiert ist, und von dem somit keine Impulse des Engagements ausgehen. Die Bürgerinitiativen im Wedding unterscheiden sich in ihrer Art grundlegend von den Initiativen der drei anderen Quartiere. Während in Pankow, Zehlendorf und Lichten-berg die Bürgerinitiativen meist konkret zu einem Missstand gegründet werden und sich dementsprechend schnell wieder auflösen, sind die zwei Bürgerinitiativen im Wedding dauerhafte Institutionen, die als stadtteilpädagogische Einrichtungen vom Bezirksamt initiiert wurden und langfristig unterstützt werden. Die Inititativen stellen sich also als Bemühungen der Bezirks- beziehungsweise Landespolitik (Quartiers-management) dar, einen Partizipationsprozess überhaupt erst anzustoßen. Dies ist für unsere Fragestellung insofern ein brisantes Ergebnis, als gerade im Wedding, dem benachteiligtsten und sozial problematischsten Bezirk, der Druck auf die Lokal-politik seitens der Bevölkerung völlig ausbleibt16. Es zeigt sich hier, welche Relevanz die Wahrnehmung der eigenen Lage zusammen mit dem Vertrauen in das politische System für die Handlungen der Einzelnen im Stadtteil hat (hier im Sinne von „Nicht-handeln“). Während in Zehlendorf ein als Problem definiertes Anliegen unmittelbar angegangen wird, reagieren im Wedding viele der BewohnerInnen mit Resignation 15 Es ist absehbar, dass die Pankower Bevölkerung zunehmend durch diese Zugezogenen charakteri-siert wird. Die Verringerung des Anteils der genannten Altpankower, welche sich im Hinblick auf „ostalgische Ansichten“ als wenig politisch integriert erwiesen, ist eine Frage der Zeit. 1616 Undzwar nicht nur von der Bevölkerung, sondern auch von Seiten der politischen AkteurInnen (siehe Kapitel 5.3)

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und Passivität auf die Komplexität der Problemlage. Es herrscht die Wahrnehmung vor, dass die Probleme auch durch mehr Engagement nicht gelöst werden können. Kleinere Anliegen rücken im Angesicht der allgemeinen Problemlage gar nicht erst in den Blick. Am Beispiel Wedding zeigt sich ein deutlicher Zusammenhang zwischen sozioökonomischem Status, geringem Systemvertrauen, mangelndem Engagement und somit einer schwachen politischen Integration. Die Ergebnisse unterstützen also unsere Ausgangsthese, nach der sich der sozio-ökonomische Status der BewohnerInnen auf das Ausmaß ihrer Partizipation im poli-tischen Prozess und somit ihre politische Integration auswirkt. Es zeigt sich jedoch vor allem in Pankow und Lichtenberg, dass andere Faktoren, wie die Bindung der BewohnerInnen an das Quartier, diesen Zusammenhang durchkreuzen. Der soziale Status der BewohnerInnen eines Quartiers beeinflusst dabei nicht nur das Ausmaß, sondern auch die Form der politischen Partizipation. Es hat sich gezeigt, dass die Quartiere große Unterschiede hinsichtlich der Problemdefinition und der daraus re-sultierenden Handlungen aufweisen. Der Zusammenhang zwischen politischer Integ-ration und sozioökonomischem Status ist also insgesamt nicht zurückzuweisen, son-dern um andere Faktoren, wie die traditionell gewachsene politische Kultur und die Bindung der BewohnerInnen an das Gebiet, zu erweitern.

4.3 POLITISCHE REPRÄSENTATION DES QUARTIERS Eine der zentralen Fragen unseres Forschungsprojektes war, ob benachteiligte Quartiere auch politisch schlechter repräsentiert werden als wohlhabendere. Hierbei bezog sich unsere Frage in erster Linie auf das Engagement der BezirkspolitikerIn-nen für den Stadtteil. Wir haben aber auch die Arbeit der Verwaltung und der Direkt-kandidatInnen im Abgeordnetenhaus miteinbezogen. Diese Frage hatte insofern eine hohe Bedeutung, als dass die These der Entsolidarisierung in der Stadt sich nicht nur auf die Einstellung der BewohnerInnen gegenüber dem Stadtverband, sondern auch auf das Engagement der PolitikerInnen und ihre Zusammenarbeit mit anderen Bezir-ken bezog. Die BewohnerInnen in Lichtenberg, Wedding und Pankow glauben überwiegend, dass ihre LokalpolitikerInnen die Probleme vor Ort kennen, wobei den Weddinger PolitikerInnen zu wenig Engagement vorgeworfen wird. In Zehlendorf ist man sich nicht darüber einig, ob die PolitikerInnen wissen, welche Bedürfnisse die Bewohne-rInnen haben. Im Urteil über die Arbeit der PolitikerInnen sind die Befragten der Quartiere im Osten weniger kritisch als die im Westen. Dies dürfte in Pankow an dem zwar heterogenen aber doch eher apolitischen Milieu liegen, in Lichtenberg an der traditionell starken Bindung an die PDS, die mit einem hohen Vertrauen in die Lokal-politik einhergeht. Auch wenn in allen vier Quartieren ein eingeschränkter Handlungsspielraum der Be-zirkspolitikerInnen festgestellt wird, in dem Sinne, dass sie kaum autonom gegenüber dem Senat handeln können, so ist doch diese Haltung für den Wedding besonders auffällig. Die dort Befragten räumten häufig ein, dass die PolitikerInnen auch nicht viel verändern könnten, sondern selbst mit den Problemen im Quartier überfordert seien. Aufgrund der komplexen Problemlage und des Verständnisses für die Proble-me der politischen Intervention scheint konkrete Kritik sehr viel schwieriger als in den anderen Quartieren zu sein. So wird beispielsweise das Engagement der PolitikerIn-nen nicht konkret kritisiert, gleichzeitig aber eine diffuse Unzufriedenheit mit der Be-zirks- und Stadtpolitik geäußert.

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Aus der Sicht der PolitikerInnen und professionell Tätigen in Lichtenberg, Pankow und im Wedding könnte mehr Engagement für das Quartier aus der Bevölkerung kommen. Nur in Zehlendorf werden die kritischen BewohnerInnen entweder positiv hervorgehoben oder sogar als zu kritisch angesehen. Ein extrem gegensätzliches Paar bilden Wedding und Zehlendorf: Während im Wedding bemerkt wird, dass bür-gerschaftliches Engagement mehr von der Politik initiiert und unterstützt werden muss, kann sich die Bezirkspolitik in Zehlendorf darauf verlassen, dass sich die Be-wohnerInnen selbständig an die Politik wenden und sich zu helfen wissen, sobald Unzufriedenheit im Quartier herrscht. Die Zusammenarbeit zwischen professionellen GemeinwesenarbeiterInnen (GWA) und BezirkspolitikerInnen läuft in allen vier Quartieren gut. Sowohl die Professionel-len als auch die PolitikerInnen beurteilen sie als positiv und größtenteils auch als produktiv. Nur im Wedding äußerten einige GWA Bedenken. Sie werfen den Politike-rInnen vor, sie würden sich zu wenig um die Belange der BewohnerInnen kümmern und befürworten stattdessen eine intensivere Zusammenarbeit mit ihnen sowie eine stärkere Förderung bürgerschaftlichen Engagements. Für die Repräsentation des Quartiers nehmen die professionell Tätigen insofern im Wedding eine besondere Rolle ein, als dass sie sich stark für ihre sozialen Einrichtungen in der BVV einsetzen und so den Druck machen können, der eigentlich auch von den BewohnerInnen kommen müsste. Die Zusammenarbeit zwischen Senat und Bezirk fällt unterschiedlich aus. Gut ver-läuft sie in Zehlendorf und z.T. in Lichtenberg, wobei sich hier in der Beurteilung die Geister zwischen Verwaltungsangestellten und BVV-Abgeordneten scheiden. Letzte-re meinen, es gebe kaum Zusammenarbeit. Auch in Pankow gibt es Interessenunter-schiede nur bezüglich der Sparvorhaben. Im Wedding scheint es teilweise differie-rende Positionen zwischen Senat und Bezirk zu geben. Gemeinsam ist allen Bezir-ken, dass sie dem Land zu stark untergeordnet und von dort der Haushalt zugeteilt wird. Es wird daher mehr Autonomie für die Bezirke gefordert. Im Wedding allerdings wurde der Aufgabenbereich zusätzlich durch die Einrichtung eines Quartiersmana-gements, das im Auftrag des Senats arbeitet, eingeschränkt. Auch wenn das Pro-gramm „Soziale Stadt“ sehr positiv beurteilt wird, wird doch bemängelt, dass die be-zirklichen Entscheidungsmöglichkeiten über Ort und Art des Einsatzes von Geldern dadurch stark eingeschränkt sei. Die Finanzlage Berlins spielt in fast allen Quartieren bei der Beurteilung der Arbeit der PolitikerInnen eine Rolle. Vor allem in Wedding und Pankow werden den Politike-rInnen aufgrund der schwierigen finanziellen Lage schlechtere Handlungsmöglichkei-ten eingeräumt, während dieses Thema in Lichtenberg lediglich am Rande erwähnt wird und in Zehlendorf keine Rolle spielt. In allen vier Quartieren erklären sich die PolitikerInnen tendenziell selbst zum Opfer der Finanzlage und beanstanden ihre Handlungsunfähigkeit. Im Wedding wird deutlich von einer Überforderung gespro-chen, wohingegen die PolitikerInnen in Zehlendorf erstens mehr Vertrauen in die Handlungsstärke der BewohnerInnen bei Problemen haben und zweitens wissen, dass durch die Finanzkraft im Quartier die desolate finanzielle Situation der Bezirke entschärft wird. In der Einschätzung, ob das Quartier im politischen Stadtzusammenhang als eher begünstigt bezeichnet werden könne, räumen die Zehlendorfer und Pankower Politi-kerInnen zwar eine gewisse Bevorzugung ein, verdeutlichen auf der anderen Seite aber auch, dass sie finanziell nicht besser gestellt seien als andere Quartiere und

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ebenso unter der finanziellen Krise Berlins zu leiden hätten. Im Gegensatz dazu se-hen sich Lichtenberg und Wedding eher als benachteiligt. Einige LichtenbergerInnen haben im Verlauf des Interviews das Urteil, Lichtenberg werde weder besser noch schlechter repräsentiert, revidiert bzw. sogar ins Negative korrigiert. Im Untersu-chungsgebiet Wedding wird auf die Benachteiligung gegenüber den Quartiersmana-gementgebieten verwiesen. Diese würden generell zu viel Aufmerksamkeit und fi-nanzielle Mittel bekommen, was letzten Endes auf die Kosten anderer Quartiere im Bezirk ginge. Gerade die BezirkspolitikerInnen konzentrierten sich zu sehr auf das Quartiermanagement, schmückten sich mit dessen Erfolgen und verlören dabei an-dere Quartiere aus dem Blick. Manche Weddinger BewohnerInnen befürchten des Weiteren, dass sie als Folge der Bezirksfusion gegenüber dem Altbezirk Mitte be-nachteiligt würden. Hier zeigt sich tendenziell eine ungleiche Repräsentation von po-litisch als stadtweit bedeutsam gewerteten Quartieren gegenüber (nicht nur) den we-niger wohlhabenderen Quartieren. Dies lässt die Befürchtung zu, dass in Zukunft vor allem denjenigen Quartieren Aufmerksamkeit geschenkt wird, die entweder für be-stimmte renommierte Förderungsprogramme stehen – wie z.B. die Quartiersmana-gementgebiete – oder für den Tourismus und das Image Berlins von Bedeutung sind. In der Repräsentation der Quartiere auf der bezirklichen und städtischen Ebene ist qualitativ kein gravierender Unterschied auszumachen − weder zwischen arm und reich, noch zwischen Ost und West. Andererseits zementiert jedoch gerade diese Gleichbehandlung die ökonomischen und sozialen Unterschiede. Auf politischer E-bene wird zwar von einigen wenigen eingeräumt, dass es − über den Einsatz von Quartiersmanagements hinaus − eine stärkere Umverteilung der finanziellen und personellen Mittel zu Gunsten der ärmeren Quartiere geben sollte Dies wird jedoch keinesfalls systematisch gefordert oder gar verfolgt. Ebenso wenig gibt es Vernet-zungen zwischen den Bezirken, die durch gegenseitigen Austausch Veränderungen und solidarische Unterstützung fördern könnten. Es ist auffallend, dass das Engagement der BewohnerInnen meist parallel zum En-gagement der PolitikerInnen verläuft. Es wird kaum gegeneinander agiert, sondern miteinander: Von beiden Seiten werden Überforderung und Mangel an Ressourcen beklagt. In diesem Zusammenhang wäre es sicherlich aufschlussreich, genauer auf die politische Kultur in den Bezirken einzugehen und diese eventuell auch historisch zu untersuchen. So sind Zehlendorf und Lichtenberg durch eine relativ homogene und traditionelle Bewohnerschaft gekennzeichnet, die in ihrem Kontakt zu den Politi-kerInnen als „eingespieltes Team” erscheinen. Aber auch im Wedding ist eine gewis-se Tradition festzustellen − sozusagen eine Tradition der Überforderung und Resig-nation. Zwar fordern sowohl PolitikerInnen als auch BewohnerInnen voneinander mehr Aktion und Engagement, räumen gleichzeitig aber auch beide ein, dass auf-grund der vielschichtigen Benachteiligung keine große Veränderung zu erwarten sei. Wohl aufgrund der beträchtlichen Anzahl von ZuzüglerInnen zeigt sich Pankow in diesem Kontext noch unbestimmt, was sich in allgemeiner Zufriedenheit, wenig Kritik sowie wenig Interesse für die Belange im Bezirk äußert.

4.4. VERTRAUEN DER BEWOHNERINNEN IN DIE POLITIK Untersucht man das Vertrauen der BewohnerInnen in die Politik, so lässt sich vor allem folgendes feststellen:

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1. Die Unterschiede zwischen den Ostbezirken und Westbezirken sind fast zu ver-nachlässigen, während die Unterschiede zwischen armen und reichen Quartieren deutlich sichtbar werden.

2. Ganz allgemein betrachtet ist das Vertrauen in die Politik in den Bezirken Zehlen-dorf, Pankow und Lichtenberg größer als im Wedding.

3. Obwohl es in gewissen Punkten zwischen den beiden armen Quartieren Lichten-berg und Wedding Übereinstimmungen gibt, ist die Resignation und der Vertrau-ensverlust im Wedding am größten. Hier spielt die Ost-West-Dimension eine Rol-le, da in Lichtenberg in dieser Hinsicht viel von der PDS abgefangen wird.

Gerade bei der Wahrnehmung der Aufgaben des Staates zeigt sich eine Arm-Reich-Disparität. Im Wedding und in Lichtenberg ist die Mehrzahl der BewohnerInnen glei-chermaßen der Meinung, dass der Staat mehr tun müsste, und dass von den Be-wohnerInnen zu wenig komme. Sie stehen dem Staat grundsätzlich kritischer gegen-über als Zehlendorf und Pankow. Als wichtigsten Punkt nannten die BewohnerInnen der armen Quartiere den Erhalt von Sozialleistungen. In den reicheren Quartieren ist die Sichtweise der BewohnerInnen dem Staat gegen-über viel abstrakter. Während elementare Bedürfnisse, wie Sicherung der Sozialleis-tungen, unter ihrer Wahrnehmungsschwelle liegen, werden viel allgemeinere Prob-leme, wie die Verschlankung der Berliner Verwaltung genannt. Auch dem Punkt der Abgabe von staatlichen Aufgaben standen Zehlendorf und Pankow wesentlich positi-ver gegenüber als Wedding und Lichtenberg. Während Zehlendorf sich sehr indiffe-rent gegenüber dem Thema äußerte, sprachen sich die BewohnerInnen in Pankow einerseits für Privatisierungen im Bereich kommunaler Dienstleistungen, wie zum Beispiel Müllabfuhr oder Stromversorgung aus. Andererseits wollen sie aber sozial benachteiligten Gruppen den Zugang zu Einrichtungen wie beispielsweise Schwimmbädern durch günstige Eintrittspreise weiterhin ermöglichen und sprechen sich generell für eine gewisse staatliche Kontrolle privatisierter Bereiche aus. Die BewohnerInnen von Wedding und Lichtenberg zeigten eine höhere Abwehrhaltung gegenüber der Abgabe staatlicher Aufgaben. In Lichtenberg befürchten die Bewoh-nerInnen eher negative soziale Folgen von Privatisierungen und fordern deshalb eine starke staatliche Kontrolle bei privatisierten Unternehmen. Im Wedding sprechen sich die BewohnerInnen grundsätzlich gegen Privatisierungen aus. Sie fordern einen starken Staat als Regulierungsinstrument sozialer Ungleichheit. Die BewohnerInnen in Zehlendorf und Pankow sind in ihren Quartieren zufrieden. Vor allem die ZehlendorferInnen sind sehr an der Erhaltung des Status quo interes-siert. Das Vertrauen in das System ist hoch, auch da sie in diesem System ihre eige-nen Interessen meistens erfolgreich durchsetzen können. In Pankow zeigt die positi-ve Selbstwahrnehmung Differenzen zwischen Alteingesessenen und Neuzugezoge-nen: Vor allem die alteingesessenen BewohnerInnen nehmen Veränderungen im Stadtteil meist negativ wahr; so wird zum Beispiel das Bröckeln von Nachbarschafts-beziehungen als Folge der Zuzüge aus anderen Gebieten beobachtet. Dem politi-schen System stehen sie jedoch ebenfalls weitestgehend positiv gegenüber. In Lichtenberg und im Wedding ist die Selbstwahrnehmung negativer, wobei in Lich-tenberg die grundsätzliche Überzeugung vorherrscht, etwas verändern zu können. Im Wedding sind die BewohnerInnen resigniert und frustriert und glauben nicht, dass sie viel durch Eigeninitiative ändern können. Zusätzlich ist der soziale Zusammenhalt zwischen den BewohnerInnen in Lichtenberg größer, da die Bevölkerung in sich eth-nisch und kulturell weitestgehend homogen ist. Im Wedding ist die Bevölkerung stark

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heterogen. Die BewohnerInnen fühlen sich dort mit ihren Problemen allein gelassen, werden durch die lokalen PolitikerInnen nicht integriert. Das wiederum führt dazu, dass sie weniger Vertrauen in die Politik haben. Zugleich aber bemerken sie auch, dass die PolitikerInnen durch fehlende Gelder handlungsunfähig sind. Die politische Desintegration spiegelt sich auch in der geringen Wahlbeteiligung wider. Am Anfang haben wir betont, dass der Unterschied zwischen Arm und Reich deutlich wird, während der Ost-West-Unterschied eher eine untergeordnete Rolle beim Ver-trauen der BewohnerInnen in die Politik spielt. Dabei schlagen jeweils Zehlendorf und Wedding am meisten in ein Extrem aus: Die ZehlendorferInnen zeigen sich im allgemeinen zufrieden mit ihrer eigenen Lage, sind sich aber gleichzeitig der Proble-me bewusst, die Berlin als Stadt politisch und sozial hat. Trotzdem zeigen sie ein ho-hes Maß an Vertrauen in das politische System, vor allem, weil sie genug Selbstver-trauen in ihre eigenen Handlungsmöglichkeiten haben, die sie erfolgreich durchset-zen können. Die WeddingerInnen sind hoch frustriert und haben das Vertrauen in die Politik verloren. Hier zeigt sich, dass auch nach zwölf Jahren Wiedervereinigung eine weit stärkere soziale Polarisierung im Westteil der Stadt besteht als im stärker nivel-lierten Ost-Berlin.

4.5. SOLIDARITÄT, SICHT AUF DIE GESAMTSTADT, GERECHTIG-KEITSEMPFINDEN Eine Forderung nach stadtweiter Solidarität zur Lösung sozialer Probleme – wie eth-nische Segregation mit der Gefahr der Ghettobildung, Isolation und Marginalisierung mit der Tendenz zur Auflösung sozialer Kohäsion – erscheint utopisch, wenn durch Pluralisierung der Lebensverhältnisse und durch Differenzierung der Lebensstile ein Zusammenhalt selbst innerhalb von Nachbarschaftsverhältnissen bezweifelt werden kann. Dementsprechend wurden in dieser Untersuchung zunächst kleine sozialräum-liche Einheiten – Quartiere bzw. Kieze – betrachtet, um daraus Implikationen für die stadtweite Ebene erkennen zu können. Denn, so die These, quartiersinterne Solidari-tät und funktionierende Nachbarschaften stellen eine elementare Grundvorausset-zung für die Schaffung stadtweiter Solidarität dar, wogegen Benachteiligungs- und Isolationsgefühle unter den QuartiersbewohnerInnen eine Basis für Umverteilungs-forderungen bilden, die zur Auflösung jeglicher Solidarbeziehungen führen können. Betrachtet man nun die BewohnerInnenaussagen der vier Quartiere in einem Ost-West-Vergleich hinsichtlich ihrer Solidaritätseinstellungen, so kann man im Ostteil der Stadt zwischen den BewohnerInnenn der privilegierten und unterprivilegierten Gebie-te wenig Unterschiede feststellen. Die Hausgemeinschaften, die früher als intensiv und sehr persönlich bezeichnet wurden, befinden sich heute – nach Aussage beson-ders der älteren BewohnerInnen – zunehmend in einem Auflösungsprozess. Wäh-rend in Lichtenberg der Zerfall der Gemeinschaften dabei eher durch einen verstärk-ten Wegzug ausgelöst wird, verhält es sich in Pankow genau andersherum: Durch Zuzug junger Familien werden die alten, gewachsenen Nachbarschaftsverhältnisse von innen her blockiert, d.h. die Zugezogenen wollen oder können sich nicht in die bestehenden Gemeinschaften integrieren; sei es aus mangelndem Interesse, da man nicht auf diese engen Nachbarschaftsbeziehungen angewiesen ist, oder aus Unwis-senheit in Bezug auf quartiersinterne Probleme oder aus Unwillen, weil man sich ei-ner lokalen Gemeinschaft nicht zuordnen möchte. Im Westteil der Stadt kann man deutlichere Unterschiede zwischen den beiden Quar-tieren benennen. Während die MexikoplatzanwohnerInnen lose Nachbarschaftsver-

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hältnisse, die überwiegend auf „Sich-Grüßen“ beschränkt sind, bei Bedarf zu funktio-nalen Kooperationsgemeinschaften (Bürgerinitiativen, Fördervereine) intensivieren können, sind im Weddinger Quartier Resignationstendenzen zu beobachten, die ei-nem gemeinsamen Engagement die Basis entziehen. Ein gemeinsamer Kristallisati-onspunkt von BewohnerInneninteressen kann nicht festgestellt werden; ausgeprägte nachbarschaftliche Beziehungen sind eher innerhalb von ethnischen Minderheiten zu finden. Bezeichnend dafür ist die nötige professionelle Initiierung und Betreuung von Bewohner- und Bürgerinitiativen, die also nicht von innen heraus, durch das Interes-se der BewohnerInnen getragen werden, sondern von Seiten der PolitikerInnen or-ganisiert werden. Eine Ursache dafür scheinen die komplex gearteten Probleme zu sein, die im Bezirk Wedding zu beobachten sind (vgl. 3.2 und 4.2). An den beiden Quartieren im Westteil kann man das Verhältnis der Intensität von Problemen zum Engagement der BewohnerInnen verdeutlichen: Nur bei möglicher Aussicht, ein Problem erfolgreich zu bewältigen, zeigen die BewohnerInnen eine Bereitschaft, sich zu solidarisieren, zu organisieren und zu engagieren. Sind die Probleme zu klein, herrscht kein Bedarf für ein privates Engagement – wie das Beispiel Zehlendorf zeigt – oder andersherum: sind die Probleme zu groß, reagiert man mit Resignation, wie das Beispiel Wedding zeigt. Nimmt man diese Befunde der Ausprägung quartiersinterner Solidarität als Basis, um die Frage nach dem Vorhandensein stadtweiter Solidarität zu klären, lässt sich eine negative Zwischenbilanz ziehen: Die Untersuchungen der vier Quartiere dokumentie-ren – mit Ausnahme der BewohnerInnen vom Mexikoplatz, die bei Interventionsbe-darf ihr statusbedingtes hohes zivilgesellschaftliches Drohpotential einsetzen können – das fehlende Kooperations- und Solidaritätsbewusstsein innerhalb der Stadtteilbe-völkerung in Lichtenberg, Wedding und Pankow. Ergänzt man diese Befunde um die Ergebnisse zum Unsicherheitsempfinden in an-deren Bezirken und zum Aktionsradius der BewohnerInnen, so verstärkt sich der bis-her gewonnene Eindruck, dass nicht mehr in einem städtischen Gesamtverband ge-dacht wird. Der Aktionsradius beschränkt sich überwiegend auf die „eigene Hälfte“ der Stadt, wogegen Bezirke, in denen man sich ungern bis gar nicht aufhält, in der „anderen Hälfte“ liegen, so dass der Titel des Buches „Berlin: Von der geteilten zur gespaltenen Stadt?“ (Häußermann 2000) als pointierter Befund herangezogen wer-den kann. Wenn überhaupt von einem gesamtstädtischen Verband gesprochen wer-den kann, so ist zu konstatieren, dass sich dieser auf den West- bzw. Ostteil der Stadt beschränken muss. Doch wenn man von Problemen spricht, sollte auch die Frage nach Problemwahr-nehmung und Problembewusstsein gestellt werden, Aspekte, die in der Studie stark an ein subjektives Gerechtigkeitsempfinden gekoppelt sind. Trotz des Ergebnisses, dass das Zugehörigkeits- und Identifikationsgefühl der Befragten, bezogen auf die Stadt als Einheit, zunehmend erodiert, fühlen sich die „Benachteiligten“ nicht als be-nachteiligt und die „Bevorzugten“ nicht als bevorzugt; lediglich in Pankow und Zeh-lendorf kann bei wenigen BewohnerInnen ein Bewusstsein für Marginalisierung und Ausgrenzung festgestellt werden. Die in allen Quartieren fehlende Problemwahr-nehmung verdeutlicht, warum eine Forderung nach Umverteilung bzw. die Idee eines Bezirksfinanzausgleichs zugunsten benachteiligter Stadtteile seitens der Bewohne-rInnen nicht artikuliert wird. Eine weitgehend resignative Anpassung und bescheide-ne Zufriedenheit in Wedding und Lichtenberg und eine Verleugnung der ungleichen Lebensumstände zwischen sozialökonomisch starken und schwachen Quartieren,

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die mit kognitiver Dissonanz (Festinger 1957) beschrieben werden kann, bestätigen die Desintegrations- und Entsolidarisierungsthese des Studienprojekts. Allerdings unterscheiden sich dabei die Reaktionen und Antworten der Kommunalpo-litikerInnen deutlich von denen der BewohnerInnen. Ein Problembewusstsein ist klar vorhanden, vor allem im Problembezirk Wedding – doch erklärt man den einge-schränkten Handlungsspielraum hier mit dem Verweis auf die desolate Finanzsituati-on Berlins, die nur durch bundespolitische Maßnahmen zu lösen sei. Auch die Kom-plexität eines möglichen Bezirksfinanzausgleichs erzeugt Skepsis: Wonach richtet sich die Bemessungsgrundlage; hat nicht jeder Bezirk mit spezifischen Problemen zu kämpfen? So sehen sich die PolitikerInnen als überforderte und auch ratlose Akteu-rInnen, die eher Problemverwaltung als Problemlösung betreiben; immer mit dem Tenor, dass fortschreitende soziale Ungleichheit und sozialräumliche Spaltung in der Stadt im bezirkspolitischen Rahmen nicht lösbar seien. Trotz alldem konnte im Quartiersvergleich ein stadtweiter (Minimal-)Konsens zur Auf-rechterhaltung der elementaren sozialstaatlichen Sicherungssysteme festgestellt werden. Sowohl die wohlhabenden als auch die überforderten Quartiere fordern die Aufrechterhaltung der staatlichen Regulierungen und Förderungen, insbesondere im Bildungs- und Gesundheitswesen. Nur vereinzelt wurden Forderungen nach radikaler Privatisierung laut; für die Mehrheit der Befragten bildet der Sozialstaat immer noch eine wichtige Komponente im Integrationsprozess von Personen und Gruppen. Dass dieser Konsens allerdings dazu ausreicht, Stadt wieder als Einheit wahrzunehmen und dadurch eine Solidarität, die über die Bezirksgrenzen hinaus reicht, zu erzeugen, kann aufgrund der resignativen bzw. ignoranten Grundstimmung nicht erwartet wer-den.

4.6 SCHLUSSFOLGERUNGEN Zentrale Frage dieses Forschungsprojektes war, inwiefern es in der modernen Groß-stadt Anzeichen von Desintegration und Entsolidarisierung gibt, die sich hinsichtlich der politischen Integration bestimmter Stadtteile manifestieren. Die Interpretation der einzelnen Quartiersergebnisse hat gezeigt, dass sich unsere These bezüglich eines Zusammenhangs zwischen dem sozialen Status eines Quartiers, dem Grad der poli-tischen Integration der BewohnerInnen und seiner politischen Repräsentation im Hinblick auf eine politisch fragmentierte Stadt in Teilen bestätigt hat. Dieser Zusam-menhang muss allerdings modifiziert werden, denn es hat sich erwiesen, dass neben den sozialökonomischen Merkmalen der kulturelle Kontext in Form der ”Ost-Westdimension” sowie Aspekte der Quartiersbindung eine Rolle spielen. Die These der politischen Fragmentierung der Stadt konnte anhand einer unter-schiedlichen Ausgestaltung der politischen Prozesse sowohl seitens der politischen AkteurInnen als auch der BewohnerInnen sowie dem Vertrauen der letzteren in das politische System festgemacht werden. Einen wesentlichen Kontrast in dieser Hinsicht bilden die Quartiere Wedding und Mexikoplatz in Zehlendorf. Das Bewusstsein der BewohnerInnen, in einem privile-gierten bzw. armen Quartier zu leben, ist in beiden West-Quartieren vorhanden. Die-ses wiederum spiegelt sich in der Integration und dem Vertrauen der BewohnerInnen in das System. In Zehlendorf wird die Politik von den BewohnerInnen selbst getragen. Entsteht in Zehlendorf ein als Problem definiertes Anliegen, wird dieses unmittelbar angegan-

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gen, während im Wedding viele Teile der BewohnerInnen mit Resignation und Passi-vität auf eine weitaus größere Komplexität der Problemlage reagieren. Aus demokra-tietheoretischer Sicht übernimmt im Wedding die Politik die Stimme für die Bewohne-rInnen. Bedenkt man dabei, dass gerade die Stimmen der BewohnerInnen, die Druck auf die PolitikerInnen im Hinblick auf die Probleme im Quartier machen könnten, ausbleiben, erweckt die Initiierung von Initiativen von oben den Eindruck eines pater-nalistischen Selbstverständnisses der politischen AkteurInnen, die damit ironischer-weise genau das Gegenteil erreichen wollten. Dieser Kontrast spiegelt sich auch im Vertrauen in das politische Systems wider. Während die BewohnerInnen im Wedding geringeres Vertrauen in das politische System haben, das bis zur Resignation reicht, haben die ZehlendorferInnen ein ho-hes Vertrauen in das politische System, da sie ihre eigenen Interessen erfolgreich in diesem System durchsetzen können. Diese Ergebnisse konnten nicht auf die Quartiere im Osten Berlins übertragen wer-den. Es zeigte sich, dass auf Seiten der BewohnerInnen das Bewusstsein, in einem benachteiligten beziehungsweise privilegierten Quartier zu wohnen − wie wir es in den Quartieren des ehemaligen Westberlins vorfanden − so nicht vorhanden ist. Im Falle Lichtenbergs konnte dieser Befund im wesentlichen durch eine gute Lokalpolitik der PDS erklärt werden, die zugleich die Gefahr des Vertrauensverlustes der Bürge-rInnen in das politische System auffängt. Ebenso sind auch nicht-sozioökonomisch bedingte „Verwurzelungen” im Gebiet, zum Beispiel in Form von Hausgemeinschaf-ten, bedeutsam, die sich unter anderem im Engagement der BewohnerInnen bezie-hungsweise Bürgerinitiativen niederschlagen. Am Beispiel Lichtenberg zeigt sich, dass die Gestaltung der Lokalpolitik einen nicht unerheblichen Anteil am Vertrauen der BürgerInnen in das politische System haben kann. In Pankow spielt zum einen die Tatsache, dass es sich hierbei nicht um ein homogenes „reiches” Viertel handelt, für diesen Befund eine Rolle. Zum anderen ordnen sich die BewohnerInnen in ihrem Selbstverständnis tendenziell nicht einem reichen, sondern vielmehr einem alternativ-bürgerlichen Milieu zu, welches sich überraschenderweise als politisch passiv im Hinblick auf Eigeninitiativen und Engagement erwies. Dies ließ sich im Wesentlichen durch die (noch) schwache Quartiersbindung sowie den Lebensstil der BewohnerIn-nen erklären. Es bleibt allerdings offen, wie sich diese Quartiere zukünftig im Zuge der weiteren Sanierung in Pankow entwickeln. Die Rolle ostdeutscher Spezifika be-züglich ihrer Auswirkung auf den Grad politischer Integration in den einzelnen Quar-tieren wäre eine weitere Untersuchung wert. Insgesamt sind keine Anzeichen von politischer Desintegration in den untersuchten Quartieren im Osten Berlins zu ver-zeichnen. Eine allgemeine Solidaritätshaltung bezüglich der Gesamtstadt seitens der Politik konnte nicht ausgemacht werden. Die Idee z.B. eines „Bezirksfinanzausgleiches“ zugunsten der benachteiligten Quartiere gab es in keinem der vier Quartiere. Gerade Wedding, der Bezirk mit den meisten Problemen, betreibt vielmehr eine Poli-tik des status quo, mit Hinweis auf die allgemeinen schwierigen Rahmenbedingun-gen. Diese Probleme seien auf lokal-politischer Ebene eben kaum zu lösen. Somit verdichtet sich der Eindruck, dass gerade im Wedding die „Hände im Kopf gebun-den” sind. Die Bezirkspolitik tritt dabei deutlich in den Hintergrund und vermittelt den Eindruck einer Art Machtlosigkeit (Bezirksverwaltung statt Bezirkspolitik). Von allen PolitikerInnenn wird darauf verwiesen, dass durch den Schlüssel der Ver-teilung der Bezirksfinanzen ein entsprechender Ausgleich bereits gegeben ist. Der

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Eindruck der gerechten Verteilung wird dabei durch das Quartiersmanagement im Wedding noch zusätzlich verstärkt, denn „hier wird ja etwas gemacht”. Die fehlenden Möglichkeiten der Durchsetzung spezifischer Anliegen im Quartier von BewohnerIn-nen werden von der Politik jedoch nicht thematisiert. Am Beispiel Wedding und Zehlendorf hat sich somit der Zusammenhang von politi-scher Integration und sozioökonomischem Status nahezu sinnbildhaft bestätigt. Die Ergebnisse aus den Quartieren des ehemaligen Ostberlins zeigen aber, dass dieser Zusammenhang um Faktoren bezüglich der Bindung der BewohnerInnen an das Ge-biet und Fragen des Lebensstils, der lokalpolitischen Besonderheiten eines Bezirkes – also Merkmale, welche nicht in jedem Fall unmittelbar mit dem sozioökonomischen Status in Verbindung stehen – erweitert werden muss, da diese die Korrelation von sozialem Status und politischer Integration, wie es sich in Lichtenberg und Pankow gezeigt hat, teilweise durchkreuzen. Die These der Entsolidarisierung in privilegierten Gebieten erscheint im Angesicht der Forschungs- und Auswertungsergebnisse in einem neuen Licht. Offensichtlich werden „die Reichen” gar nicht erst herausgefordert, ihre Privilegien zu verteidigen. So ist auch ein Mitgefühl mit den armen Quartieren leicht, von denen offenbar nicht die Gefahr von Ausgleichsforderungen droht. Das vorherrschende, sozialdemokrati-schen Positionen nahe kommende Weltbild der BewohnerInnen wird von der Lokal-politik gar nicht erst in einem handlungsrelevanten Sinne herausgefordert. Daraus ist der Schluss zu ziehen, dass die Entsolidarisierungsthese als eine Lossagung von sozialem Verantwortungsgefühl der BürgerInnen in den privilegierten Quartieren für Berlin insofern nicht zutrifft, als dass Solidarität gar nicht erst gefordert wird. Man kann also genauso wenig von einer Solidarisierung sprechen. Vielmehr haben die benachteiligten und die reichen Quartiere offenbar schlichtweg überhaupt nichts mit-einander zu tun. Dabei schlagen sich die Probleme Berlins jedoch ungleich auf die Quartiere nieder, welche diese „für alle” auffangen. So scheint das Modell der Groß-stadt als Verwaltungsmaschine gegenüber der Stadt als solidarischem Gesamtver-band in Berlin die Überhand zu gewinnen. Wobei zu untersuchen wäre, inwiefern dieses Ergebnis auch auf andere Großstädte übertragbar ist. Es stellt sich jedoch perspektivisch die Frage, inwiefern Formen von Solidarität auf einer kleineren lokalen Ebene ausgemacht werden können und was diese im Hinblick auf Desintegration zu leisten vermögen.

99

5. Anhang

5.1. STICHPROBENBESCHREIBUNG

5.1.1 Lichtenberg

BewohnerInnen

Ge-schlecht

Alters-gruppe

Familien-stand

Monatl. Nettoein-

kom-men*1

Ausbildung*2 Berufliche Tätig-keit

Wohn- dauer

im Quartier

Gewähl-te Par-

tei*3

W 30-60 Familie 750-2000 Kranken-schwester

Betriebskranken-schwester 8 J. PDS

W < 30 Ledig <750 Steuerfach-angestellte k.A. 0,5 J. Nicht-

wähler

M > 60 Familie >2000 Ingenieurs-studium Rentner 31 J. SPD

M 30-60 LG <750 Musikstudium Freischaffender Künstler 22 J. PDS

M 30-60 Familie >2000 Jurastudium Selbst. Handels-vertreter 19 J. PDS

M <30 Ledig 750-2000 k.A. Energie-elektroniker 1,5 J. k.A.

M >60 Familie <750 Jurastudium Rentner 25 J. PDS

W 30 Ledig k.A. Studium Aufnahmelei-tung/ Film 7 J. k.A.

W 30-60 Ledig k.A. k.A Büro 32 J. Nicht-wähler

M <30 LG 750-2000 Elektro-installateur Selbständiger 1 J. ungültig

LG = Nichteheliche Lebensgemeinschaft Familie = Ehe/LG mit Kindern *1 Individualeinkommen in Euro *2 höchster erreichter Bildungsabschluss zum Zeitpunkt der Befragung *3 Abgeordnetenhauswahl 2001 GebietsexpertInnen Geschlecht Expertentätigkeit

W Betreuerin in einer Jugendbegegnungsstätte W Angestellte im Kieztreff / Öffentlichkeitsreferentin M Pfarrer der Evangelischen Gemeinde W Leiterin einer Seniorenbegegnungsstätte

100

PolitikerInnen Geschlecht Politische Position

M Bezirksstadtrat für Soziales und Bürgerdienste (CDU) W Bezirksstadträtin für Stadtentwicklung (PDS) M Bezirksbürgermeister (PDS) M Mitglied der BVV (SPD) W Mitglied der BVV (PDS)

5.1.2 Zehlendorf

BewohnerInnen

Ge-schlecht

Alters-gruppe

Familien-stand

Monatl. Nettoein-

kom-men*1

Ausbildung*2 Berufliche Tätig-keit

Wohn- dauer

im Quartier

Gewähl-te Par-

tei*3

M <30 ledig keines Schüler Schüler 4 J. Grüne

W >60 verheiratet >2000 Theologie-Studium

Rentner, ehren-amtlich tätig 35 J. k.A.

M 30-60 LG >2000 k.A. Selbständig 12 J. k.A.

M 30-60 ledig k.A. Studium Lehrer und Psy-chotherapeut 15 J. Grüne

W 30-60 Familie keines Abitur Hausfrau 10 J. k.A.

M 30-60 verheiratet >2000 Architektur-studium Architekt 10 J. k.A.

M 30-60 ledig >2000 Kaufmänn. Lehre

Inhaber einer Werbeagentur 7 J. k.A.

W

(M)*4

30-60

(30-60)

verheiratet

k.A.

Pädagogik-Studium (Jura-

Studium)

Rentnerin

(Rentner) 29 J.

FDP

(FDP)

M 30-60 Familie >2000 Studium Professor an FH 10 J. k.A. M

(W) > 60

(> 60) verheiratet >2000 (keines)

Studium (Lehre)

Pensionär (Rentnerin) 33 J. k.A.

LG = Nichteheliche Lebensgemeinschaft Familie = Ehe/LG mit Kindern *1 Individualeinkommen in Euro *2 höchster erreichter Bildungsabschluss zum Zeitpunkt der Befragung *3 Abgeordnetenhauswahl 2001 *4 in Klammern: bei Interview anwesendes Haushaltsmitglied GebietsexpertInnen Geschlecht Expertentätigkeit

M Aktiv in der BI Kulturbahnhof M Organisator des Kunstmarktes am Mexikoplatz M Pfarrer der Evangelischen Kirchengemeinde W Im Ortsverband der SPD aktiv zur BI Kulturbahnhof M Leiter der Beratungsstelle am Mexikoplatz

101

PolitikerInnen Geschlecht Politische Position

M Mitglied des Abgeordnetenhauses (CDU)

M Mitglied der BVV (SPD) und wissenschaftlicher Mitarbeiter der Bundestagsabge-ordneten des Wahlkreises

M Mitglied der BVV (CDU) W Mitglied der WUB* M Bezirksstadtrat für Bauen und Finanzen (SPD)

* Wählergemeinschaft Unabhängiger Bürger 5.1.3 Wedding

BewohnerInnen

Ge-schlecht

Alters-gruppe

Familien-stand

Monatl. Nettoein-

kom-men*1

Ausbildung*2 Berufliche Tätig-keit

Wohn- dauer

im Quartier

Gewähl-te Par-

tei*3

W 30-60 Familie 750-2000 BWL-Studium Existenz-Gründerberaterin 13 J. Nicht-

wähler

M 30-60 Familie 750-2000 Maschinen-schlosser Feuerwehrmann 15 J. Grüne

M 30-60 Familie 750-2000 Realschule, keine Ausbild.

Inhaber eines Cafés 14 J. Nicht-

wähler

M 30-60 LG k.A. Theologie-studium

Inhaber eines Cafés 4 J. k.A.

W 30-60 Familie 750-2000 Germanistik-studium Doktorandin 6 J. k.A.

W 30-60 Ledig, 1 Kind k.A Kaufmänn.

Ausbildung Erwerbslos

25 J. Grüne

M >60 Geschie-den k.A.

,Maschinen-bauer, Schlos-

ser Erwerbslos 23. J. CDU

M 30-60 Ledig k.A. Erzieher Erwerbslos 6 J. Nichtw.

W <30 LG <750 Abitur Inhaberin eines Cafés 5 J. PDS

M <30 Ledig, 1 Kind 750-2000 Diplom-

sozialarbeiter Sozialarbeiter 2 J. Grüne

LG = Nichteheliche Lebensgemeinschaft Familie = Ehe/LG mit Kindern *1 Individualeinkommen Euro *2 höchster erreichter Bildungsabschluss zum Zeitpunkt der Befragung *3 Abgeordnetenhauswahl 2001 GebietsexpertInnen Geschlecht Expertentätigkeit

M Mitarbeiter beim Kommunalen Forum Wedding e.V., Gemeinwesenarbeit und Be-teiligung am Quartiersmanagement

M Aktiv in der Bürgerinitiative Antonstraße und Seniorenvertreter im Präventionsrat des Bezirksamts

M Aktiv in der Bürgerinitiative Malplaquetstraße W Schulleiterin im Quartier M Ehem. Baustadtrat und bei GeSoBau beschäftigt

102

M Sozialarbeiter im Jugendzentraum Nauener Platz PolitikerInnen Geschlecht Politische Position

M Mitglied des Abgeordnetenhauses, SPD M Verwaltungsangestellter und Koordinator des Präventionsrats M Mitglied der BVV, B90/Die Grünen M Stadtrat für Gesundheit und Soziales, SPD

5.1.4 Pankow

BewohnerInnen

Ge-schlecht

Alters-gruppe

Familien-stand

Monatl. Nettoein-

kom-men*1

Ausbildung*2 Berufliche Tätig-keit

Wohn- dauer

im Quartier

Gewähl-te Par-

tei*3

M >60 Familie 750-2000 Masch. bau-schlosser

Personenschutz NVA; heute

Rentner 45 J. PDS

M 30-60 Familie 2000 Studium Bauingenieur

Selbständig: Sa-nierungsfirma 3 J. SPD,

Grüne

W 30-60 Familie >2000 Studium Literatur-übersetzerin 5 J. SPD,

Grüne

M 30-60 Familie >2000 Studium höhere Verwal-tung 1 J. k.A.

W 30-60 Familie >2000 Studium Juristin 3 J. k.A.

M 30-60 verheiratet 750-2000 Studium Ingenieur bei Verwaltung 2 J. k.A.

W 30-60 Familie >2000 FH f. öffentl. Verwaltung

Öffentl. Dienst, z.Z. beurlaubt 11 J. SPD,

Grüne W

(M) *4

30-60

(<30)

Gesch. 1Kind

(ledig)

>2000

(850)

VWL-Studium

(Polizei-anwärter)

Liegenschafts-verwaltung des

Bundes

19 J.

PDS

(k.A.)

W 30-60 Familie >2000 FH Angestellte im Bauwesen 5 J. k.A.

W 30-60 Familie >2000 Gehobener Dienst Beamte 3 J. FDP

LG = Nichteheliche Lebensgemeinschaft Familie = Ehe/LG mit Kindern *1 Individualeinkommen Euro *2 höchster erreichter Bildungsabschluss zum Zeitpunkt der Befragung *3 Abgeordnetenhauswahl 2001 *4 in Klammern: bei Interview anwesendes Haushaltsmitglied GebietsexpertInnen Geschlecht Expertentätigkeit

M Langjähriger und aktiver Bewohner W Pfarrerin W Mitarbeitende der Freien Schule Pankow W Stellvertretende Amtsleiterin Stadtplanungsamt

103

W Verwalterin bei einer Wohnungsbaugesellschaft W Cafébetreiberin M Stellvertretender Dienstgruppenleiter bei der Polizei

PolitikerInnen Geschlecht Politische Position

M Stadtrat für Gesundheit und Soziales (SPD) M Stadtrat für Umwelt, Wohnen und Bürgerdienste (SPD) M Mitglied der BVV (CDU), Vorsitender des Jugendhilfeauschusses M Mitglied der BVV ((PDS), Ausschuss für Bürgerbeteiligung der BVV W Mitglied des Abgeordnetenhauses (PDS), Petitionsausschuss

5.2 VERGLEICH DER WAHLERGEBNISSE IN ALLEN VIER QUARTIE-REN

Wahlen zur Bezirksverordnetenversammlung, zum Abgeordnetenhaus (Erst- und Zweitstimme) 2001 in den vier Quartieren im Vergleich*

Lichtenberg Wedding Zehlendorf Pankow BVV A1 A2 BVV A1 A2 BVV A1 A2 BVV A1 A2

Wahlbe-teiligung

50,3 51 47,1 45,7 47 47 60,8 59,9 59,9 58 58,3 58

CDU 12,1 14 11,2 27,5 28 25 33,7 33,2 29 12,3 12 10 SPD 22,2 25 21,9 39,5 44 38 22,5 30,7 25,7 29,5 30,7 24 PDS 50,9 51 53 11,2 11 13 2 2,1 4,1 40,9 43,6 48 B90/ Grüne

3,9 4,1 3,5 11,6 9,4 11 15,1 12,5 14,4 8,6 8 7,4

FDP 3,7 5,6 4,3 6,3 7,2 6,8 20,4 20,7 25 4,5 5,7 5,5 NPD/REP 5 4,7 3,9 3,3 0,7 0,8 2,8 2,8 Sonstige 2,2 0,3 1,4 2,9 5,6 0,8 1 1,2 0,0 1,7

*BVV = Wahlen zur Bezirksverordnetenversammlung; A1 = Erststimme bei den Wahlen zum Abge-ordnetenhaus; A2 = Zweitstimme bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus. Alle Angaben ohne Briefwähler. Die Wahlergebnisse der Parteien sind angegeben in Prozent der ab-gegebenen Stimmen; die Wahlbeteiligung in Prozent der Wahlberechtigten. *Ohne Briefwähler

104

105

5.3. INTERVIEWLEITFÄDEN

5.3.1 Interviewleitfaden für BewohnerInnen

Einleitung - Fragen allgemeiner Art zum Quartier

1. Wie lange wohnen Sie in diesem Gebiet? Warum sind Sie hierher gezogen?

2. Leben Sie gerne in Ihrem Stadtteil?

3. Wie charakterisieren Sie Ihren Kiez / Ihr Quartier? Was gefällt Ihnen an Ihrem Quartier besonders gut? Was gefällt Ihnen überhaupt nicht? Was würden Sie ändern? Was ist „Ihr Kiez“?

4. Was denken Freunde über den Stadtteil, in dem Sie wohnen?

5. Haben Sie manchmal Unsicherheitsgefühle? Warum?

Einstellungen bezüglich anderer Stadtteile

6. In welchen Bezirken halten Sie sich öfter auf? Warum? Gibt es andere Bezirke in denen Sie sich unsicher fühlen (würden)? Welche? Interessieren Sie sich auch für die Probleme anderer Bezirke? Warum? Woher beziehen Sie Ihr Wissen über diese Bezirke? (Tages-, Regional-, Kiez-

zeitung / Fernsehen / Radio / Hörensagen)

Der politische Prozess im Stadtteil

7. Wenn Sie ein Anliegen haben, das Ihren Stadtteil betrifft – an wen würden Sie sich wenden?

politische VertreterInnen, Organisation, Bürgersprechstunden

8. Welche Personen oder Organisationen haben Ihrer Meinung nach politischen Ein-fluss in Ihrem Stadtteil?

9. ⇒ ggf. anknüpfen an Problem X aus Frage 3: Welche Probleme gibt es im Quar-

tier? Wie wurden sie angepackt? Hat sich etwas bewegt?

10. Gab es schon einmal eine Bürgerinitiative in ihrem Stadtteil? Von wem wurde die Initiative initiiert? Um welches Problem handelte es sich? Hat diese Initiative Aufmerksamkeit oder Unterstützung von der Politik erfah-

ren?

106

Haben Sie daran teilgenommen? Vertrauen in die politische Repräsentation

11. Glauben Sie, dass die PolitikerInnen die Probleme in Ihrem Kiez kennen und in

der Lage sind, diese zu lösen? Wenn Sie PolitikerIn wären, was wären Ihre ersten Handlungsschritte?

12. Finden Sie, dass es genügend Möglichkeiten gibt, mit Politik und Verwaltung in

Kontakt zu treten, oder wünschen Sie sich mehr Angebote? Welche Angebote würden Sie für nötig halten?

13. Bezogen auf die Wahlen zur BVV: Sind Sie der Meinung, dass man auf Bezirks-

ebene etwas bewegen kann? Waren Sie bei der Wahl zur BVV?

14. Haben Sie den Eindruck, dass sich durch die letzten Berliner Wahlen etwas We-

sentliches verändert hat? Kennen Sie die Ergebnisse der letzten Wahl zur BVV?

15. Wie macht sich die Sparpolitik in Ihrem Stadtteil bemerkbar?

Politische Partizipation

16. Haben Sie sich schon einmal politisch oder sozial engagiert? wenn ja: Waren Sie damit erfolgreich?

wenn nein: Glauben Sie, dass man mit Bürgerinitiativen, Petitionen etc. etwas erreichen kann?

17. Unter welchen Bedingungen würden Sie sich engagieren?

18. Für wie wichtig halten Sie das politische Engagement von BewohnerInnen in Ih-

rem Stadtteil?

Gerechtigkeitsempfinden und Solidaritätsbereitschaft

19. Glauben Sie, dass Ihr Quartier im Vergleich zu anderen bevorzugt oder benach-teiligt ist?

z.B. Schulen, Schwimmbäder oder andere öffentliche Einrichtungen Was glauben Sie woran es liegt, dass die Ausstattung mit öffentlichen Einrich-

tungen in den Berliner Bezirken unterschiedlich ist?

20. Sie wissen ja, dass es in Berlin eine Finanzkrise gibt. Haben Sie Ideen, wie diese zu lösen wäre?

Z.B. Privatisierung, Kürzung der Sozialleistungen, Vermögenssteuer, Verant-wortung des Bundes?

21. Für welche Bereiche ist Ihrer Meinung nach der Staat verantwortlich?

107

Welche sollten privatisiert werden?

22. Finden Sie, dass wohlhabende BürgerInnen stärker als bisher in die soziale Ver-antwortung genommen werden sollten?

Finanzieller Ausgleich, ehrenamtliches Engagement?

23. Welche Aufgabe haben in diesem Zusammenhang Politik und Verwaltung?

Statistische Daten

24. Geschlecht: Ο männlich Ο weiblich 25. Alter: Ο unter 30 Ο 30 - 60 Ο über 60

26. Familienstand: Ο Familie Ο alleinstehend Ο .................................... 27. Schulabschluss: .................................... 28. Ausbildung: .................................... 29. Beruf: .................................... 30. Nettoeinkommen: Ο unter 750 Euro Ο 750 bis 2000 Ο über 2000 31. Haben Sie an der letzten Wahl zum Abgeordnetenhaus teilgenommen? Ο Ja Ο Nein 32. Wenn ja, verraten Sie uns auch, welche Partei Sie gewählt haben? ...................................

108

5.3.2 Interviewleitfaden für GebietsexpertInnen

Einschätzung des Stadtteils

1. Was meinen Sie, welches Bild die Öffentlichkeit von Ihrem Stadtteil hat? Halten Sie dieses Bild für angemessen?

2. Leben die Leute gern in diesem Gebiet? Warum, bzw. warum nicht? Was verstehen Sie unter „Ihrem Kiez“ / Stadtteil?

3. Welche Ressourcen sehen Sie für Ihren Stadtteil? Was sind die speziellen Vorzüge? Warum lohnt es sich, hier zu leben?

4. Wie ist generell die Bindung an den Stadtteil? Ziehen viele Leute weg oder denken darüber nach? Wer? Wie stark ist der Zuzug? Wer vor allem?

5. Wie schätzen Sie den Stellenwert von Solidarität innerhalb Ihres Stadtteils ein? Wie ist das Nachbarschaftsverhältnis? Helfen sich die Leute gegenseitig, wenn es Probleme gibt?

Gibt es benachteiligte BewohnerInnengruppen, und wie reagieren die anderen BewohnerInnen auf sie?

6. Übernehmen Sie Verantwortung für Ihr Wohngebiet? Setzen sich die BewohnerInnen ein, wenn es Missstände im Stadtteil gibt? An wen wenden sie sich? 7. Hören Sie Klagen, dass die BewohnerInnen sich mit Ihren Anliegen allein gelas-

sen fühlen? 8. Welche Initiativen (politisch / sozial / bürgerschaftlich) gibt es im Quartier? Wer sind die AnsprechpartnerInnen? 9. Gibt es Probleme in Ihrem Stadtteil? Welche?

Sicherheit/ Kriminalität

10. Wie schätzen Sie das Sicherheitsgefühl der AnwohnerInnen ein? Wenn niedrig: woran liegt das? 11. Gibt es besondere Probleme im Bereich Kriminalität? 12. Und speziell Gewaltprobleme auf der Straße, in der Schule, im Jugendclub...? 13. Wenn ja, gab es Gegenmaßnahmen (z.B. eine Bürgerwehr)? Gibt es Überlegun-

gen dazu?

109

Politische Partizipation/ Einschätzungen zur Repräsentation

14. Welche Bürgerinitiativen gibt es: Was ist ihr Anliegen? Wann war die Grünedung

der Initiative, wie verlief sie, was hat sie bewirkt?

15. Haben Sie das Gefühl, dass Ihre Anliegen (Beschwerden, Verbesserungsvor-schläge, finanzielle Unterstützung etc.) in der Politik Gehör finden?

Kennen Sie die Abgeordneten der BVV (Bezirksverordnetenversammlung), die für Ihre Interessen zuständig sind?

16. Müsste mehr getan werden? Könnte man mehr tun? 17. Denken Sie, dass Ihre Chancen, Gehör zu finden, im Vergleich zu anderen Stadt-

teilen besser, schlechter oder gleich sind? (Bsp. andere Untersuchingsgebiete...)

Gesamtstadt

18. Gibt es Partnerschaften von Initiativen mit anderen Bezirken? 19. Müsste eigentlich in Berlin bei der Verteilung der finanziellen Mittel etwas geän-

dert werden, weil sich die Probleme ja nicht über all gleich stark zeigen?

110

5.3.3 Inteviewleitfaden für PolitikerInnen

Tätigkeit des/r Befragten innerhalb der BVV/des BA

1. Können Sie uns zu Beginn etwas über Ihre politische Laufbahn / politische Bio-graphie erzählen?

Studium und berufliche Stellung Parteizugehörigkeit Allg. Schwerpunktsetzung zu politischen Programmen

2. Welches sind Ihre Aufgaben und Ziele im Rahmen der politischen Arbeit? Spielt das Quartier / die Quartiersebene dabei eine besondere Rolle?

3. Können Sie Ihre parteipolitischen Ziele und Vorstellungen im Rahmen Ihrer Tätig-

keit verwirklichen? BVV/BA und Quartier

4. Spielt dieses Quartier auf der Tagesordnung überhaupt eine Rolle? Wenn ja, welche?

5. Gab es spezifische Anliegen in Bezug auf dieses Quartier, die zu einem Konflikt

innerhalb der BVV/des BA führten? [evtl. auf bekanntermaßen umstrittene Projek-te zu sprechen kommen].

Seitens der BewohnerInnen / Institutionen/ BVV-Abgeordneten...

6. Wie funktioniert die Rückkopplung mit den BewohnerInnen im Quartier und in welcher Form findet sie statt?

Wie werden die Möglichkeiten dafür genutzt? Was können diese Rückkopplungen / Kontakte Ihrer Erfahrung nach bewir-

ken?

7. Welche Anliegen und Interessen werden von den BewohnerInnen im Quartier an Sie oder die BVV/das BA herangetragen? Nennen Sie bitte ein paar Beispiele.

Wie wird damit umgegangen?

8. Nun einige Fragen zur Finanzlage des Bezirks/Quartiers. Gab es in letzter Zeit Veränderungen für den Etat des Bezirks? Wo wurde gekürzt/eingespart? Gab es auch Bereiche, die jetzt eine höhere Zuwendung erhalten?

9. Können Sie einige größere Maßnahmen/Projekte/Investitionen, die innerhalb des

Quartiers getätigt wurden, genauer beschreiben? 10. Gibt es darüber hinaus noch Probleme, die von den BewohnerInnen nicht wahr-

genommen werden (die sich durch Ihre Arbeit innerhalb der BVV/des BA zeig-ten)?

Haben Sie einige Ideen, was noch für das Quartier getan werden müsste? Warum passiert das nicht?

111

11. Einige Probleme innerhalb des Quartiers wurden ja bereits angesprochen. Wir würden gerne an einem Beispiel konkreter den Umgang mit Problemen nach-zeichnen.

[an dieser Stelle spezielle Fragen zu offenen Problemen innerhalb des jeweili-gen Quartiers stellen]

Bsp. Mexikoplatz: Problembeschreibung: Können Sie kurz die Problematik, die mit dem „Kulturbahnhof“ Mexiko-

platz verbunden ist, skizzieren?

Akteur/ Bedenkenträger: Können Sie die Personen, die sich besonders stark engagieren, etwas

genauer charakterisieren? Wer kommt auf Sie zu und stellt Anträge/ hat Anfragen?

Aushandlung/ Interessenkonflikt: Sehen Sie Möglichkeiten, wie zwischen den verschiedenen Interessen

(z.B zwischen BürgerInnen und InvestorInnen) vermittelt werden könn-te?

Problembewältigung (politische Institutionen):

Wie wird dieses Problem zwischen Bezirksamt und Senat diskutiert? Gibt es zwischen diesen Institutionen erfahrungsgemäß Abstimmungs-

schwierigkeiten? (Wenn ja, welcher Art sind sie?) Quartiersvergleich

12. Gibt es noch weitere/überhaupt Probleme zwischen Bezirksamt und Senat? Zusammenarbeit Wie sind die Kompetenzen verteilt?

13. Glauben Sie, dass Ihr Bezirk / Quartier bezüglich des Ausmaßes und der Art der

Probleme, mit denen er/es zu kämpfen hat, vergleichbar mit anderen Berliner Be-zirken/Quartieren ist?

Wenn nein, worin liegen die Unterschiede und wie gravierend sind sie?

14. Denken Sie, dass es sinnvoll wäre, wenn – analog zu dem Modell des Länderfi-nanzausgleichs auf Bundesebene – auch das Land Berlin Umverteilungsmaß-nahmen zwischen den einzelnen Berliner Bezirken einführen würde?

Welche Rolle käme Ihrem Bezirk dabei zu?

112

6. Literatur

Anhut, Reimund/Heitmeyer, Wilhelm (Hrsg.), 1998: Die bedrohte Stadtgesellschaft. Soziale Desintegrationsprozesse und ethnisch-kulturelle Konfliktkonstellationen. Weinheim/München: Juventa

Anhut, Reimund/Heitmeyer, Wilhelm (Hrsg.), 2000: Bedrohte Stadtgesellschaft. Sozi-ale Desintegrationsprozesse und ethnisch-kulturelle Konfliktkonstellationen. Wein-heim/München: Juventa

Dangschat, Jens, 2000: Segregation. In: Häußermann, Hartmut (Hrsg.): Großstadt. Soziologische Stichworte. 2. Auflage, Opladen: Leske + Budrich, S. 209-222

Durkheim, Emile, 1988: Über soziale Arbeitsteilung. Frankfurt/M.: Suhrkamp Festinger, Leon, 1957: A Theory of Cognitive Dissonance. Stanford: Stanford Univer-

sity Press Habermas, Jürgen, 1995: Theorie des kommunikativen Handelns. Frankfurt/M.:

Suhrkamp Hamm, Bernd, 2000: Nachbarschaft. In: Häußermann, Hartmut (Hrsg.): Großstadt.

Soziologische Stichworte. 2. Auflage, Opladen: Leske + Budrich, S. 173-182 Häußermann, Hartmut/Siebel, Walter, 1996: Soziologie des Wohnens. Wein-

heim/München: Juventa Häußermann, Hartmut, 1998: Sozialorientierte Stadtentwicklung. Gutachten im Auf-

trag der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Umweltschutz und Technologie. Berlin: Kulturbuch-Verlag

Häußermann, Hartmut/Kapphan, Andreas, 2000: Berlin: von der geteilten zur gespal-tenen Stadt? Sozialräumlicher Wandel seit 1990. Opladen: Leske + Budrich

Heitmeyer, Wilhelm/Dollase, Rainer/Backes, Otto (Hrsg.): Die Krise der Städte. Ana-lyse zu den Folgen desintegrativer Stadtentwicklung für das ethnisch-kulturelle Zu-sammenleben. Frankfurt/M.: Suhrkamp, S. 443-464.

Hengsbach, Friedhelm (Hrsg.), 1995: Eure Armut kotzt uns an. Solidarität in der Kri-se. Frankfurt/M.: Fischer Taschenbuch-Verlag

Hermann, Sabine/Imme, Uwe/Meinlschmidt, Gerhard, 1998: Sozialstrukturatlas Berlin 1997: eine disaggregierte statistische Sozialraumanalyse. (Hrsg.: Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales Berlin). 2. Aufl., Berlin: Senatsverwaltung für Gesund-heit und Soziales , 1998

Kaufmann, Franz-Xaver: Schwindet die integrative Kraft des Sozialstaates? In: Berli-ner Journal für Soziologie, Heft 1 1997, S. 5-22

Kronauer, Martin, 2000: Armut, Ausgrenzung, Unterklasse. In: Häußermann, Hartmut (Hrsg.): Großstadt. Soziologische Stichworte. 2. Auflage, Opladen: Leske + Budrich, S. 13-27

Lockwood, David, 1970: Soziale Integration und Systemintegration In: Zapf, Wolf-gang (Hrsg.): Theorien des sozialen Wandels. Berlin/Köln: Kiepenheuer & Witsch

113

Münch, Richard, 1997: Elemente einer Theorie der Integration moderner Gesell-schaften. In: Heitmeyer, Wilhelm: Was hält die Gesellschaft zusammen? Bundesre-publik Deutschland: Auf dem Weg von der Konsens- zur Konfliktgesellschaft. Frank-furt/M.: Suhrkamp

Parsons, Talcott, 1975: Gesellschaften. Evolutionäre und komparative Perspektiven. Frankfurt/M.: Suhrkamp

Schoeck, Helmut, 1969: Kleines soziologisches Wörterbuch. Freiburg/Basel/Wien: Herder

Tönnies, Ferdinand, 1963: Gemeinschaft und Gesellschaft, Darmstadt: Wissen-schaftliche Buchgesellschaft

Wacquant, Loic J.D., 2002: Roter Gürtel, Schwarzer Gürtel: Rassentrennung, Klas-senungleichheit und der Staat in der französischen städtischen Peripherie und im amerikanischen Ghetto. In: Häußermann, Hartmut/Kronauer, Martin/Siebel, Walter (Hrsg.): Am Rande der Stadt: Armut und Ausgrenzung. Frankfurt/M.: Suhrkamp, S. 90-124

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