Sozialkapital, Vertrauen und Wissenstransfer in Unternehmen
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Manfred Fuchs
Sozialkapital, Vertrauen und Wissenstransfer in Unternehmen
WIRTSCHAFTSWISSENSCHAFT
Manfred Fuchs
Sozialkapital, Vertrauen und Wissenstransfer in Unternehmen
Deutscher Universitats-Verlag
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet (iber <http://dnb.ddb.de> abrufbar.
Habilitationsschrlft Universitat Graz, 2004
1.AuflageMarz2006
Alle Rechte vorbehalten © Deutscher Universitats-Verlag I GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2006
Lektorat: Ute Wrasmann / Anita Wilke
Der Deutsche Universitats-Verlag ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.duv.de
Das Werk einschlieBlich aller seiner Telle ist urheberrechtlich geschutzt. Jede Verwertung aulJerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulassig und strafbar. Das gilt insbe-sondere fiir Vervielfaltigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten waren und daher von jedermann benutzt werden diirften.
Umschlaggestaltung: Regine Zimmer, Dipl.-Designerin, Frankfurt/Main Druck und Buchbinder: Rosch-Buch, ScheBlitz Gedrucktauf saurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany
ISBN 3-8244-0779-5
Vorwort
Seit Jahrzehnten wird in der einschiagigen Literatur eine Diskussion geftihrt, die
darauf hinweist, dass MSrkte, Markttransaktionen und wirtschaftliches Handeln ganz
allgemein in soziale Strukturen eingebettet sind. Aus dieser Perspektive heraus werden
effiziente Markte als Ergebnis einer effizienten sozialen Struktur interpretiert. Das
zentrale Problem, das hier angesprochen wird, ist, dass wirtschaftliches Handeln nicht
nur das Ergebnis von Entscheidungen singularer nutzenmaximierender Akteure, son-
dem in soziale und kulturelle Strukturen (Institutionen) eingebettet ist. Der Nutzen von
Institutionen wird in der Organisationsokonomik nicht bestritten, aber sehr oft bleibt
unklar, wie diese Institutionen entstanden sind und wie sie sich verandem. Auch ist
unklar, wie die Institutionen das Handeln einzelner Akteure beeinflussen und umge-
kehrt, wie aus den Wirkungen der einzelnen Akteure eben diese Institutionen emer-
gieren. Dasselbe Problem tritt bei der Beschaftigung mit Fragen der Wirkung und
Entstehung von Sozialkapital auf. Sozialkapital, so wie es hier in dieser Arbeit
verstanden wird, und das PhSnomen Vertrauen sind zentrale Bestandteile dieser
Institutionen und diese Arbeit ist der Versuch, die Wirkungen von Sozialkapital und
Vertrauen, als auch die Entstehung von Sozialkapital und Vertrauen zu diskutieren,
well beide PhSnomene einen wesentlichen Einfluss auf die FShigkeit zeigen, wie in
Untemehmen Wissen produziert und ausgetauscht wird.
Ich mochte mich an dieser Stelle ftir jeden Kommentar und Hinweis bedanken, den ich
erhalten habe, insbesondere bei meinen Studenten und Studentinnen, deren Fragen ftir
mich immer eine besondere Anregung darstellten. Danken mSchte ich auch Frau
Heidemarie Schober ftir die Hilfe bei der Erstellung des Manuskripts. Ein besonderer
Dank gilt meinen Kolleginnen und KoUegen am Institut ftir Internationales
Management an der Karl Franzens Universitat Graz, die mich mit ihren anregenden
Kommentaren und Diskussionen ebenfalls untersttitzten.
Manfred Fuchs
Inhaltsverzeichnis
Vorwort V
Inhaltsverzeichnis VII
Tabellenverzeichnis XI
Abbildungsverzeichnis XIII
1. Problemstellung: Von der Organisation der manuellen Arbeit zur Organisation der Wissensarbeit 1
2. Fragestellungen 4
3. Theoretische Verankerung der Frage- und Problemstellung 6 4. Vorgehensweise undAufbau der Arbeit 10
I. Die Produktion von Wissen und die Organisation der Wissensarbeit 15 1. Das Modell von Max Boisot 16 1.1. Boisots Theorie - Pramissen und Definitionen 17
1.1.1. Kodifizierung 18 1.1.2. Abstraktion 19 1.1.3. Diffusion 22
1.1.4. Der I-Space (I-Information) oder soziale Lemzyklus 24 1.1.5. InstitutionenOkonomische LOsungen spezifischer Defizite im sozialen
Lemzyklus von Organisationen 28 1.1.5.1. Markte 29 1.1.5.2. Burokratien 30 1.1.5.3. Klan 32 1.1.5.4. Fiefs (Patron-Klientel-Beziehungen) 33
Exkurs implizites und explizites Wissen 35 2. Hedlunds konzeptionelle Skizze der N-Form als Modell des Wissensmanagements 37 2.1. Artikuliertes und stillscJmeigendes Wissen (tacit knowledge) und die
Interaktion von Individuen und Gruppen 37 2.1.1. OrganisationsUbergreifende Formen des Wissenstransfers 40 2.1.2. Intemalisierung 40 2.1.3. Reflexionsfahigkeit 40
2.1.4. Dialogisierung und Dialogfahigkeit 41 2.2. Das Rugby-Spiel als Metapher der Wissensproduktion (Nonakas SECI-Modell) 44 2.3. Das Konzept Ba als Erweiterung und Revision des SECI-Modells 50
3. Die Wissensaktivisten von Kdser und Miles 55 4. Die individualisierte Unternehmung als Konzept einer wissensorientierten
Organisationsform 61 4.1. Was ist das Neue am Modell von Bartlett und Ghoshal? 62
4.1.1. Das Modell der individualisierten Unternehmung 64
VII
4.1.2. Der behavioristische Kontext der traditionellen Untemehmung 66 4.1.3. Die Emeuerung der behavioristischen Grundlagen im Untemehmen.
Wie soil das geschehen? 68 4.1.4. Der emeuerte behavioristische Kontext der Untemehmung 69
5. Resumee 71
II. Sozialkapital und Vertrauen 77 1. Zum Begriff Sozialkapital 83 1.1. Sozialkapitaldefmitionen 84 1.2. Sozialkapitaltheorien 86
1.2.1. Pierre Bourdieu 86 1.2.2. James Samuel Coleman 88 1.2.3. Robert Putnam 90
1.2.4. Zur gegenwSrtigen Sozialkapitaltheorie 91 1.2.5. Die Sozialkapitaltheorie von Nahapiet und Ghoshal 94 1.2.6. Nan Lin's Sozialkapitaltheorie 97
1.3. Arbeitsdefmition von Sozialkapital 105 1.3.1. Wie entsteht der Wert von Sozialkapital? 109
1.3.2. Der Wert der Ressourcen und die Verfugbarkeit bzw. Kontrolle von Ressourcen Ill
1.3.2.1. Stabilitat als Voraussetzung ftir den Aufbau von sozialem Kapital 115 1.4. Vertrauen als Bestandteil und Voraussetzung zur Bildung von Sozialkapital 116
2. Die Struktur sozialer Netzwerke als Sozialkapital 125 2.1.Netzwerkanalyse 129
2.1.1. Grundbegriffe und Methoden der sozialen Netzwerkanalyse 134 2.1.2. Dichte 137 2.1.3. Ego-Netzwerk 137 2.1.4. Cliquen in Netzwerken 138 2.1.5. Position desAkteurs in Netzwerkstrukturen 139
2.1.5.1. Netzwerkredundanz 140 2.1.6. Effekte der Netzwerkredundanz , 141
2.1.6.1. Zwei Arten von Redundanz in Netzwerken 145 2.1.6.2. Structural holes - weak ties and strong ties 146 2.1.6.3. Tertium Gaudens Strategien 149
2.1.7. Empirische Arbeiten der Netzwerkanalyse 152 2.2. Zusammenfassung der Netzwerkeffekte 153
III. Das Modell fiber den Zusammenhang von Vertrauen und Sozialkapital 159 7. Zwei allgemeine Szenarien - ein konzeptionelles Modell. 162 1.1. Modellzusammenhang - Szenario 1 164 1.2. Modellzusammenhang - Szenario II (negativer Zyklus) 165
VIII
1.3. Soziales Kapital und Vertrauen als abhangige Variablen 167 1.4. Faktorenanalyse ausgewShlter Fragebogen-Items (abhangigen Variable) 172
1.4.1. Ergebnisse und Interpretation derFaktoren , 173
1.4.1.1. Faktor 1 - idiosynkratischer Arbeitsinhalt 173 1.4.1.2. Faktor 2 - partizipationsfbrdemde Managementsysteme (Partizipation). 174
1.4.1.3. Faktor 3 - feedbackorientierte Managementsysteme (Feedback) 176 1.4.1.4. Faktor 4-Aufgabenkontrolle (Autonomic) 178 1.4.1.5. Faktor 5 - individualisierte Entgeltsysteme und Leistungskontrolle 180 1.4.1.6. Faktor 6 - Arbeitsdruck und Stress 180 1.4.1.7. Faktor 7 - Untemehmenserfolg 181 1.4.1.8. Kontrollvariablen 182
2. Hypothesentest der Modellvarianten, Ergebnisse der Regressionsanalyse 182 2.1. Modellzusammenfassung Entstehung von Vertrauen (N = 245) 183 2.2. Modellzusammenfassung Entstehung von Sozialkapital (N = 245) 185 2.3. Entstehung von Vertrauen bei unbefristeten ArbeitsvertrSgen (N=187) 186
2.4. Entstehung von Sozialkapital bei unbefristeten ArbeitsvertrSgen (N = 187) 187 2.5. Aufbau von Sozialkapital bei befristeten Arbeitsvertragen (N = 49) 189 2.6. Aufbau von Vertrauen bei befristeten Arbeitsvertragen (N = 49) 190 2.7. Aufbau von Vertrauen und Sozialkapital bei Vollzeitbeschafligten (N=128) 193 2.8. Aufbau von Sozialkapital und Vertrauen bei Teilzeitarbeitskraften (N = 43) 194
3. Zusammenfassung der empirischen Ergebnisse der Untersuchung 196 IV. AbschlieBende Bemerkung 199 V. Anhang: Deskriptive Analyse der Untersuchung 209
2.1. Datenerhebung 211 2.2. Zusammenfassung und Interpretation 212
2.2.1. Ausbildungsgrad 212 2.2.2. Beschaftigungsvertrag, Art des Dienstverhaltnisses 212 2.2.3. Beschaftigungsdauer 213
2.2.4. Mobilitat der Beschaftigten 214 2.2.5. Vertrauen in KoUegen und Vertrauen in Vorgesetzte 215 2.2.6. Intcrdependenz 217 2.2.7. Identifikation 219 2.2.8. Feedback, Partizipation und Fehlertoleranz 220 2.2.9. Kontrolle 223 2.2.10. Aufgabensignifikanz, Aufgabenvielfalt, Arbeitszufriedenheit, Arbeitsdruck 224 2.2.11. Wissenstransfer, Wissensaustausch mit KoUegen 229 2.2.12. Soziales Kapital, Kontakt zu Mitarbeitem, VerlSsslichkeit von Kontakten ...233 2.2.13. Akzeptanz, Feedback und Partizipation bei Entscheidungsprozessen 239
Literaturverzeichnis 243
IX
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1 Informationseigenschaften und die entsprechende Institutionenform 35
Tabelle 2 Differenzierung der charakteristischen Eigenschaften zwischen N- und M-Form 43
Tabelle 3 Ein Ausschnitt und Uberblick uber Sozialkapitaldefmitionen 93
Tabelle 4 Handlungsmotive und Ressourcenausstattung 99
Tabelle 5 Effekte der Netzwerkstruktur 155
Tabelle 6 Ergebnis der Regressionsanalyse - abhSngige Variable Vertrauen 184
Tabelle 7 Modellzusammenfassung Entstehung Sozialkapital, Koeffizienten 185
Tabelle 8 Entstehung von Vertrauen bei unbefristeten ArbeitsvertrSgen 187
Tabelle 9 Sozialkapital bei unbefristeten AV 188
Tabelle 10 Aufbau von Sozialkapital bei befristeten ArbeitsvertrSgen 190
Tabelle 11 Aufbau von Vertrauen bei befristeten AV 191
Tabelle 12 Aufbau von Vertrauen bei VoUzeitbeschaftigten 193
Tabelle 13 Modell Entstehung von Sozialkapital Vollzeitbeschaftigte Koeffizienten(a) 194
Tabelle 14 Entstehung von Sozialkapital bei BeschSftigung Teilzeit 195
Tabelle 15 Entstehung von Vertrauen bei Beschaftigten Teilzeit Koeffizienten (a,b) 196
Tabelle 16 Ausbildung 212
Tabelle 17 Beschaftigungsvertrag (AusmaB der vertraglichen Beschaftigungsdauer) 213
Tabelle 18DauerderBeschaftig;ung(Wochenarbeitszeit) 213
Tabelle 19 MobilitSt der Arbeitnehmer (Wie lange machten Sie im Untemehmen bleiben?) 214
Tabelle 20 Finde rasch neue Arbeit 215
Tabelle 21 Gegentiber Vorgesetzten eine freundschaftliche Haltung 216
Tabelle 22 Vertraue meinen Kollegen 216
Tabelle 23 Ausmafi des Vertrauens, das in den unmittelbaren Vorgesetzten gesetzt wird 217
Tabelle 24 Ohne Unterstutzung der Kollegen nicht erfolgreich 217
Tabelle 25 Meine Arbeitsergebnisse sind sehr stark von Arbeitsergebnissen anderer abhMngig 218
Tabelle 26 Identifikation mit den Zielen des Untemehmens ist hoch 219
Tabelle 27 Verstehe mich mit Kollegen sehr gut 220
Tabelle 28 Fehler ansprechen ist in unserer Organisation kein Problem 221
Tabelle 29 Arbeiten von Kollegen zu kritisieren ist in unserer Organisation kein Problem 221
Tabelle 30 Fehler ansprechen in der Organisation ist positiv 222
Tabelle 31 Verbesserungsvorschlage werden sehr positiv aufgenommen 223
Tabelle 32 AufgabenerfUUung wird detailliert kontroUiert 224
Tabelle 33 Bin meinen Aufgaben gewachsen 225
Tabelle 34 Aufgaben machen SpaB 226
XI
Tabelle35 Bin mit erbrachter Leistung zufrieden 227
Tabelle 36 Aufgaben, die ich erfulle sind sehr wichtig (Aufgabensignifikanz) 228
Tabelle 37 Die eigenen Fahigkeiten und Qualifikation sind sehr vielfaltig (Aufgabenvariabilitat)...229
Tabelle 38 Die eigenen Qualifikationen sind nicht in kurzer Zeit erlembar (R) 230
Tabelle 39 Wissen ist in meinem Aufgabenbereich nur sehr schwer direkt Kollegen mitzuteilen ....230
Tabelle 40 QuaHfikationen sind sehr schwer in kurzer Zeit transferierbar 231
Tabelle 41 Zusammenarbeit mit Kollegen finde ich anregend, interessant und bereitet mir Freude .232
Tabelle 42 Viele meiner TStigkeiten sind in keiner expliziten Arbeitsbeschreibung erfasst 233
Tabelle 43 Mit unmittelbaren Kollegen ist dauerhafte Freundschaft mSglich 235
Tabelle 44 Kann bei Problemen auf Kollegen zahlen 235
Tabelle 45 Anzahl der Kontakte zu Kollegen pro Tag 237
Tabelle 46 Anzahl der privaten Kontakte zu Kollegen im letzten Monat 238
Tabelle 47 Personen, auf die Sie sich hundertprozentig verlassen kSnnen 239
Tabelle 48 Finde, bin von Kollegen akzeptiert 239
Tabelle 49 Eigene Meinung ist ftir den Vorgesetzten wichtig 240
XII
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Der Informationsraum (I-Space (Boisot, 1998)) 21
Abbildung 2: Der kreisformige Verlauf der Wissensproduktion (Boisot, 1998) 25
Abbildung 3: Die sechs Lemstufen im I-Space (Boisot, 1998) 28
Abbildung 4: Verbreitung von Wissen und die entsprechende Institutionenform (Boisot, 1998) 29
Abbildung 5 :Wissensfluss in der N-Form(Hedlund, 1994) 41
Abbildung 6: Das Seci Modell (Nonaka und Takeuchi, 1995) 47
Abbildung 7: Das Konzept Ba, die Revision des SECI-Modells (Nonaka und Konno, 1998) 52
Abbildung 8: Formen des Austauschs bei Wissensaktivisten (KSser und Miles, 2002b) 56
Abbildung 9: Kontext der individualisierten Untemehmung (Bartlett und Ghoshal, 1997) 68
Abbildung 10: Anderung der behavioristischen Grundlagen (Bartlett und Ghoshal, 1997) 69
Abbildung 11: Emeuerung der individuaHsierten Untemehmung (Bartlett/Ghoshal, 1997) 70
Abbildung 12: Konzept Sozialkapital (Nahapiet und Ghoshal, 1998) 96
Abbildung 13: Der relative Effekt von Sozialkapital (Nan Lin, 2001) 100
Abbildung 14: MessgrSBen von Sozialkapital (Nan Lin, 2001) 101
Abbildung 15: Relativer Vorteil der Position (Nan Lin, 2001) 102
Abbildung 16: Vorteile der Nahe zu strukturellen Brucken in Netzwerken (Nan Lin, 2001) 104
Abbildung 17: Die Sozialkapitaltheorie von Lin (Nan Lin, 2001) 105
Abbildung 18: Sozialkapital und Structural Holes (Burt, 1992) 110
Abbildung 19: Hierarchie in Netzwerkstrukturen (eigene Darstellung) 135
Abbildung 20: Egalitare Netzwerkstruktur (eigene Darstellung) 137
Abbildung 21: Position eines Akteurs imNetzwerk (eigene Darstellung) 139
Abbildung 22: Wachstum und Netzwerkredundanz (Burt, 1992) 140
Abbildung 23: Effekte der Netzwerkredundanz auf die Wissensproduktion (eigene Darstellung).... 142
Abbildung 24: Auswirkung der Reduktion von Redundanz auf die Wissensproduktion
(eigene Darstellung) 144
Abbildung 25: Kohasion und strukturelle Aquivalenz (Burt, 1992) 145
Abbildung 26: Bruckenfunktion und Wissenstransfer (eigene Darstellung) 148
Abbildung 27: Tertium Gaudens Strategie Beispiel A (Burt, 1992) 150
Abbildung 28: Tertium Gaudens Strategie Beispiel B (Burt, 1992) 151
Abbildung 29: Stabile Beschaftigung Szenario I (eigene Darstellung) 164
Abbildung 30: Instabile Beschaftigung Szenario II (eigene Darstellung) 166
XIII
1. Problemstellung: Von der Organisation der manuellen Arbeit zur Organisation der Wissensarbeit
Unilever, Motorola, General Electric, Ford und viele andere Untemehmen verbreiten
in ihren Jahresberichten die Botschaft, dass ihre Mitarbeiter die wichtigsten Ressour-
cen im Untemehmen sind. "The people are the glue that holds our company together!"
(Unilever, 1999). Microsoft untemimmt groUe Anstrengungen auch fUr temporare Ar-
beitskrafte attraktiv zu bleiben. Der Mensch gilt als entscheidender Produktionsfaktor
in einer extrem rasch und diskontinuierlich sich wandelnden Umwelt. Dennoch wer-
den massiv Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen freigesetzt. Traditionelle Organisations-
strukturen von Untemehmen werden im Zuge von Downsizing und Reengineering
umgestaltet und auf Dauer ausgerichtete Arbeitsverhaitnisse aufgelost. Charles Handy,
Beobachter der Untemehmenswelt bringt die Stimmung des Managements in Unter-
nehmen prSgnant auf den Punkt: "Why keep people working full-time, when you need
them only two or three days a week", so der Tenor von Fiihmngskraften in Unter-
nehmen (Handy, 1996:24). Diese Zeitdiagnose erinnert an Henry Ford, der einmal ge-
sagt haben soil: "When all I want is a good pair of hands, unfortunately I must take
them with a person attached" (Bartlett und Ghoshal, 1997:6).
Vor dem Hintergmnd des globalen Wettbewerbs sehen sich Untemehmen zunehmend
gezwungen, massive Umstmkturiemngs- und Rationalisierungsmafinahmen durchzu-
fiihren. Beispielsweise hat Philips seit 1994 mehr als 82.000 Beschaftigte entlassen
und viele weltweite Produktionsstandorte geschlossen. Im gleichen Zeitraum stieg der
weltweite EOT von 964 Mio. € auf 2,3 Mrd. € (siehe Philips, 2000 und 2004). In
vielen Konzemen schmmpft die Zahl der Kembelegschaft. Handy spricht in diesem
Zusammenhang davon, dass sich zukiinftige Untemehmensformen nur mehr einen
kleinen Kem von permanent Beschaftigten leisten werden. In welcher Form werden
Beschaftigte in Zukunft fiir ein Untemehmen arbeiten. Und es ist zunehmend schwie-
rig, festzustellen, wo ein Untemehmen anfSngt und wo es aufliQrt: "It isn't even clear
where the organization begins and ends, with customers, suppliers, and allied organi
zations linked into a networked organization. Work no longer means, for everyone,
having a 'job' with an employer. As organizations disperse and contract themselves,
more and more of us will be working for ourselves, often by ourselves" (Handy,
1994:79).
Diese Entwicklungen bestimmen Untemehmen und die Gesellschaft. Untemehmen
schlieBen sich in immer groBeren Netzwerken zusammen, um effizienter und wettbe-
1
werbsfMhiger zu werden. Lauberbach und Malone (1997b), die sich in mehreren Ar-
beiten mit der Aufl5sung der traditionellen Organisationsgrenzen auseinandersetzen,
diagnostizieren eine "Modularisierung" der einzelnen Untemehmensbereiche. Picot,
Reichwald und Wiegand hingegen sehen in der "Virtualisierung" der Untemehmens-
formen eine Antwort auf diese weltweiten Herausforderungen und sprechen davon,
dass die virtuelle Untemehmung flexibler, innovativer und erfolgreicher ist als die tra-
ditionelle Organisationsform (Picot, Reichwald und Wigand, 1996:273). Auch wenn
bis heute eine Virtualisierung nur in einzelnen funktionalen Teilbereichen der Unter-
nehmung realisiert wurde, so wird diese Organisationsform als Vorhaben der Zukunft
gezeichnet, durch das einzelne LeistungsauftrSge an quasi-selbstSndige, unabhSngige
Kontraktarbeiter, die als freie Dienstnehmer agieren, erbracht werden. Die Idealvor-
stellung dabei scheint zu sein, dass sich diese abhangigen, quasi-freien Arbeitnehmer
und Arbeitnehmerinnen in einem losen Netzwerk zusammenschliefien, um damit eben
auch komplexere AuftrSge erfiillen zu konnen. Rosabeth Kanter fasst diese Entwick-
lung unter den Stichwort "From Companies to Communities" (Kanter, 1995:29) zu-
sammen.
Die hier angesprochene AuflOsung der Untemehmensgrenzen wird als eine MaBnahme
thematisiert, mit der so genannte alte Organisationsstrukturen ersetzt werden. Der Er-
folg der Umsetzung eines derartigen Programms ist jedoch mit der Schaffung flexibler
inner- und interorganisationeller Strukturen in den Untemehmen selbst verkntipft. Ge-
lingt es die traditionelle Organisationsform und insbesondere die traditionellen Be-
schaftigungsformen durch weit reichende, aber zum Teil auch nur kurzfristig angelegte
Netzwerke zu ersetzen? Werden permanente, durch befristete und zunehmend prekSre
Beschaftigungsverhaltnisse ersetzt (vgl. dazu Laubacher und Malone, 1997b; Nohria
und Ghoshal, 1997; Laubacher und Malone, 1997a)? Wie stark wird die Bindung der
einzelnen netzwerkartigen Zusammenschlusse sein? Diese und zahlreiche andere Kli-
schees fmden sich in den Forderungen von Managem und in der popularen Manage-
mentliteratur ist die Rede von der Neuerfindung der Organisation, Handlungs-
empfehlungen lauten: ''small is better than larger", "less diversification is better than
more", "competition must be replaced by collaboration" oder "formal authority must
be diminished' (Eccles und Nohria, 1992:18). Zum Teil dient dieser Diskurs, die Auf-
lOsung der Organisationsgrenzen und die politischen und wirtschaftlichen Krafle, die
diese Auflosung einfordem, zu legitimieren. Im Zuge dessen werden gleichzeitig be-
stehende Arbeitsverhaltnisse flexibilisiert und aufgeldst.
Unstrittig ist freilich die Zunahme atypischer Arbeitsformen. Wenn auch uber das
AusmaB der Zunahme unterschiedliche Auffassungen vorherrschen. Unstrittig ist zu-
dem, dass viele Formen so genannter atypischer Beschaftigungsformen entstehen, wie
z.B. kontingente Arbeitsverhaltnisse, neue Teilzeitarbeitsformen, kapazitStsorientierte
Arbeitsformen und/oder Portfolio-Worker. Bin zentrales Merkmal dieser neuen Ar
beitsformen ist darin zu sehen, dass groBteils auf Dauer eingerichtete und formelle Ar-
beitsbeziehungen durch weitgehend informelle und vielfach prekSre Arbeitsverhalt
nisse ersetzt werden (vgl. hierzu Felstead und Jewson, 1999; Thompson und Warhurst,
2000). UnabhSngig von dem tatsSchlichen AusmaB stehen damit herkommliche - und
vielfach jahrzehntelang erfolgreiche - Organisationsprinzipien der Arbeit zur Dispo
sition. Die damit einhergehenden VerSnderungen werden auch mit der Entstehung ei-
ner Wissensokonomie und einer impliziten Aufwertung wissensorientierter Arbeit in
Verbindung gebracht. Ein grofier Teil der Arbeitstatigkeiten wird als "wissensvermit-
telnd" und/oder "wissensproduzierend" in diesem Diskurs klassifiziert (vgl. Stehr,
2001:254). Wiederum, unhangig vom tatsachlichen AusmaB der Wissensarbeit in un-
serer Gesellschaft werden dadurch die bisherigen Formen der Arbeitsorganisation in
Frage gestellt.
Peter Drucker (1999) vertritt hierzu in einem interessanten Uberblick zum Thema
"Knowledge-Worker Productivity" die These, die Erfolgsstory des Managements im
20. Jahrhundert bestehe darin, die Produktivitat der manuellen Arbeit in einem noch
nie da gewesenen AusmaB gesteigert zu haben. Als zentralen Faktor dieses Erfolgs
identifiziert Drucker (1999:80) die konsequente Anwendung der wissenschaftlichen
Methoden von Taylor. Dabei wird folgendermaBen argumentiert: Die Produktivitat der
manuellen Arbeit konnte seit der Einflihrung der Fabriksproduktion, so Drucker, des-
halb um das 50-fache verbessert werden, well (1) die einzelnen Arbeitsaufgaben einer
genauen Analyse unterzogen wurden, (2) die Arbeitsschritte exakt isoliert wurden, (3)
diese einzelnen Arbeitsbewegungen aufgezeichnet wurden, (4) tiberfltissige Arbeits-
bewegungen dadurch eliminiert werden konnten, (5) und sich so zeigtc, welche
Arbeitsschritte tatsachlich zur ErfuUung einer Aufgabe notwendig sind. (6) SchlieBlich
wurde durch die konsequente Anwendung der Prinzipien von Taylor, die verbleiben-
den Arbeitsschritte so einfach wie mSglich gestaltet, das heiBt alles unnStige Beiwerk
wurde entfemt. (7) Danach wurden diese einzelnen Arbeitsschritte zu einem ''job'' zu-
sammengefasst. (8) Und schlieBlich entwarfen die Ingenieure auch die notwendigen
Werkzeuge, damit die im Detail festgeschriebenen Arbeiten dem vorgegebenen Ent-
wurf entsprechend auch ausgefiihrt wurden (siehe hierzu Drucker, 1999:80). Ein Ef-
fekt dieser kontrollierten Organisation der Arbeit war die Moglichkeit der peniblen
Messung des exakten Arbeitsergebnisses des Einzelnen im gesamten Arbeitsprozess.
Arbeit selbst wurde damit auf das messbare Ergebnis reduziert und die Organisation
und die Gestaltung des gesamten Arbeitsprozesses in die Euros und in die K6pfe der
Ingenieure verlagert. Wesentlichstes Prinzip dieser Form der Arbeitsorganisation war
die von Taylor postulierte strikte und penibel durchgesetzte Trennung zwischen Hand-
und Kopfarbeit. In der Organisation der Wissensarbeit werden diese GrundsStze und
das damit verbundene Erfolgsrezept aber auBer Kraft gesetzt. Aber das Management
will weiter in herkommlicher Weise die Arbeit kontrollieren und die Steuerung der
Organisationsprozesse wird nicht leichtfertig aus der Hand gegeben. Und wShrend der
Input von Wissen immer wichtiger wird, lasst sich der Beitrag des Produktionsfaktors
Wissen am Output gar nicht oder nur sehr schwer messen (Lev, 2001).
Hier mochte ich an die angezeigte Auflosung von Organisationsgrenzen und der Ent-
stehung vermehrt unverbindlicher Beschaftigungsformen ankntipfen. Wenn, wie in der
einschlagigen Literatur zitiert, Wissen und organisationales Lemen als zentrale Er-
folgsfaktoren verstanden werden und davon auszugehen ist, dass die Produktion und
Diffusion von Wissen selbst - so eine wesentliche Uberlegung in dieser Arbeit - auf
stabile intersubjektive Bindungen und Beziehungen angewiesen ist, dann scheint es
plausibel zu sein, sich die Frage zu stellen, welche Folgen die Auflosung von Organi
sationsgrenzen und die damit einhergehende Auflosung stabiler Beschaftigungsformen
auf die FShigkeit eines Untemehmens hat, innerhalb ihrer Untemehmensgrenzen Wis
sen als Ressource nicht nur zu produzieren, sondem auch zu verwerten. Es drSngen
sich mit dieser knapp skizzierten Problematisierung folgende Fragen auf
2. Fragestellungen
Eine Frage, vor dem Hintergrund der Auslosung von Organisationsgrenzen, ist wie in
einschlagigen AnsStzen zum Wissensmanagement die Entstehung und die Verbreitung
von Wissen erklart wird. Bei der Beschaftigung mit dieser Frage geht es mir nicht so
sehr darum, wie nun Wissen in Organisationen zu managen ist, sondem von welchen
sozialen Beziehungen die Produktion und die Verteilung von Wissen in Organisa
tionen abhSngt und unter welchen Voraussetzungen diese sozialen Beziehungen in
Organisationen ermoglicht werden. Bei der Auseinandersetzung mit dieser Frage ist
eine Grunduberlegung der meisten Wissensmanagement-Modelle, dass das Wissen in
den K6pfen einzelner Individuen als implizites Wissen evolviert und die Diffusion
uber die Transformation von impliziten in explizite, d. h. artikulierte, systematisierte
und leicht mitteilbare Wissensformen zu voUziehen ist. Gerade aus diesem Grund wird
Wissen, dass nicht explizit mitteilbar ist, und sich damit einer Kontrolle entzieht, als
etwas damonisches bzw. nutzloses betrachtet.
Wissen entsteht jedoch keineswegs isoliert in den K6pfen einzelner Individuen. Eine
weitere Uberlegung beschaftigt sich deshalb mit der Frage, in welchem Zusammen-
hang soziale Bindungen, Sozialkapital und Vertrauen mit der FShigkeit Wissen zu
generieren, auszutauschen und neues Wissen zu schaffen, stehen. In der Beschaftigung
mit dieser Frage soil zuerst geklSrt werden, welchen wirtschaftlichen Wert Sozial
kapital und Vertrauen in Untemehmen haben kann und wie dieser wirtschaftliche Wert
mit der Struktur sozialer Netzwerke verkniipft ist. In der Behandlung dieser Frage
gehe ich davon aus, dass idiosynkratische (besondere und eigentumliche) Wissens
formen, eben auch implizites Wissens und Know-how, zwischen einzelnen Wissens-
trdgern in vertrauenswtirdigen Beziehungen nicht nur mit geringeren Transaktions-
kosten ausgetauscht wird, sondem dass die Vermittlung und Entstehung dieses
Wissens erst durch die intensiven Bindungen in sozialen Netzwerken moglich wird. In
der Beantwortung dieser Fragen mochte ich zeigen, wie die vielfMltigen organisatio-
nalen Beziehungsgeflechte, konkret die jeweiligen sozialen Netzwerke und ihre Struk
tur in Untemehmen, die Entstehung und die Diffusion von Wissen beeinflussen.
In dieser Arbeit wird die These diskutiert, warum die angesprochenen sozialen Netz
werke nicht nur soziales Kapital und Vertrauen produzieren, sondem einen essen-
tiellen Faktor in der Produktion und Diffusion von Wissen darstellen. Mithilfe der
sozialen Netzwerkanalyse und den in diesem Bereich verwendeten Untersuchungs-
methoden, werden konkrete Strukturen sozialer Netzwerke identifiziert, die fur die
Wissensproduktion bzw. fur den Wissenstransfer von Bedeutung sind. Mithilfe einer
Analyse der konkreten Netzwerkstrukturen zeigt sich deutlich der vimlente Wider-
spmch zwischen der beabsichtigten Kontrolle und dem Anspmch der moglichst
raschen Verbreitung von Wissen.
In diesem Zusammenhang gehe ich schlieBlich der Frage nach, unter welchen konkre
ten Bedingungen in Untemehmen soziales Kapital aufgebaut wird. Dabei unterstelle
ich, dass durch die Auflosung von permanenten BeschSftigungsformen soziales Kapi
tal sehr viel schwerer eingerichtet wird, als im Fall stabiler bzw. permanenter Be-
schafligungsformen. Um diese Fragen nicht nur theoretisch zu diskutieren, wurde eine
empirische Untersuchung durchgefiihrt. Ziel der Untersuchung ist es, das in Unter-
nehmen existierende soziale Kapital und Vertrauen zu erfassen und jene organisa-
tionalen Eigenschaften herauszuarbeiten, die soziales Kapital und Vertrauen be-
stimmen.
Zur Beantwortung der Fragen unter welchen Bedingungen Vertrauen und soziales Ka
pital in Organisationen entsteht, habe ich unter Einbeziehung der Ergebnisse der ein-
schiagigen Organisationsforschung eine Fragebogenuntersuchung durchgefiihrt. Dabei
habe ich einzelne Items konstruiert, die es ermQglichen, zu ausgewShlten organisatio-
nalen Eigenschaften, die Einstellung der BeschSftigten zu Fragen der Arbeitsqualitat,
Arbeitssignifikanz, Partizipation, Fragen zur Feedbackqualit^t, Fragen zur Koopera-
tion zwischen einzelnen Organisationsmitgliedem, um nur die wichtigsten hier heraus-
zugreifen, zu erheben. Mithilfe einer konfirmatorischen Faktorenanalyse wurden ein
zelne Gruppen von Fragebogen-Items zusammengefasst, um eine brauchbare Zahl von
Faktoren zu erhalten. Den Einfluss der Faktoren, die ausgewahlte organisational
Eigenschaften bezeichnen, auf die zwei unabhSngigen Variablen Vertrauen und
Sozialkapital wurde mithilfe einer multiplen Regressionsanalyse uberpriift. Diese
Fragen werden hier vor dem Hintergrund der diskutieren AuflOsung der Organi-
sationsgrenzen und der damit in Verbindung stehenden AuflOsung traditioneller Be-
schaftigungsformen thematisiert. In der Beantwortung der Fragen, wird jedoch nicht
die Auflesung der Organisationsgrenzen diskutiert, auch wird keine Untersuchung
uber den aktuellen Stand und das AusmaB bestehender flexibler Beschaftigungsformen
vorgenommen, sondem es wird anhand der in der Untersuchung erhobenen Be-
schaftigungsformen (befristete, unbefristete Beschaftigungsverhaltnisse, Vollzeit- und
Teilzeitzeitarbeit) der Frage nachgehen, ob und in welchem AusmaB Unterschiede
festzustellen sind, hinsichtlich der Wirkung der einzelnen Faktoren auf die Entstehung
von Vertrauen und Sozialkapital.
3. Theoretische Verankerung der Frage- und Problemstellung
Zur Beantwortung der angesprochenen Fragen greife ich auf mehrere Theorien zuriick.
Ein wichtiger Ausgangpunkt ist die ressourcenorientierte Theorie der Firma (Penrose,
1959; Wemerfelt, 1984; Barney, 1986 und 1991; Mahoney und Pandian, 1992;
Peteraf, 1993) und der kompetenzorientierte Ansatz (Prahalad und Hamel, 1990;
Teece, Pisano und Shuen, 1997), well beide Theorien, die Untemehmung als 'pro
cessor of knowledge' (vgl. Fransman, 1994) konzeptionalisieren. Verbindungen stelle
ich auch zur Transaktionskostentheorie her, well innerhalb dieses Ansatzes die Firma
als Instrument konzeptionalisiert wird, mit dem 'Informationen' verarbeitet werden
(Amin und Cohendet, 2000:93).
In der ressourcen- und kompetenzorientierten Perspektive wird die Firma als Organi
sation charakterisiert, deren Aufgabe es ist, nicht nur verschiedenste Leistungserstel-
lungsprozesse zu koordinieren, sondem primSr geht es darum, schwer imitierbare,
intangible und unverwechselbare, kurz firmenspezifische Ressourcen zu entwickeln
und fur die verschiedenen Leistungserstellungsprozesse zugSnglich zu machen. Uber
den tatsSchlichen Bestand und Nutzung dieser schwer imitierbaren und unver-
wechselbaren firmenspezifischen Ressourcen differenziert sich das Untemehmen ge-
genuber Konkurrenten (Kogut und Zander, 1996:503). Diese Fahigkeit sich gegentiber
Konkurrenten zu differenzieren fiihrt Penrose auf organisationale Fdhigkeiten,
(Penrose, 1959) zuriick. Die als zentral betrachteten organisationalen F^igkeiten ent-
stehen erst durch die Nutzung materieller Produktionsfaktoren. In der ressourcen-
orientierten Theorie der Firma wird deshalb immateriellen Faktoren wie z. B. dem
Talent, der Fahigkeit und der Kompetenz in einem Untemehmen ein spezifischer Wert
zugesprochen, der dann von groBer Bedeutung ist, wenn er unverwechselbar ist.
Penrose sieht in diesem Zusammenhang nicht einzelne Ressourcen, sondem jeweils
ein ganzes "Btindel an Ressourcen" bzw. ineinandergreifende organisationale FShig-
keiten als Quelle von Wettbewerbsvorteilen. Penrose selbst bezeichnete dieses BUndel
an Ressourcen auch als repository of knowledge (Penrose, 1959).
DarUber hinaus verdeutlicht sie, dass nicht einzelne Ressourcen und auch nicht der
bloBe Bestand eines ganzen BUndels an Ressourcen als Input in den Produktions-
prozess einflieBen, sondem die "Leistungen", die sie als das Ergebnis der Verwendung
dieser Ressourcen versteht (Penrose, 1959). In der ressourcenorientierten Theorie der
Firma werden diese Leistungen als Wissen begriffen. Dieses Wissen wie einzelne
Produktionsfaktoren zu Gutem und Dienstleistungen verarbeitet werden, wird in der
ressourcenorientierten Theorie der Firma als FShigkeiten, "capabilities" bezeichnet.
"It's never resources themselves that are the 'inputs' in the production process, but only
the services that the resources can render" (Penrose, 1959:25). Es wird in der res
sourcenorientierten Theorie der Firma nicht die Ressource selbst, als Quelle nachhalti-
ger Wettbewerbsvorteile verstanden, sondem die UmstSnde oder wie es Penrose nennt,
die "organisationalen Fahigkeiten" mit denen die firmeneigenen Ressourcen verwen-
det, eingesetzt und weiterentwickelt werden. Es ist in diesem VerstSndnis also dann so,
dass nicht nur Ressourcen, z. B. Wissen und Kompetenz als wichtige Faktoren eines
Untemehmenserfolges gelten, sondem hinzukommt, dass die Verwendung, der Einsatz
im Rahmen der Leistungserstellungsprozesse in einer Firma thematisiert werden muss.
Problematisch dabei ist, dass der Bestand an Ressourcen im Fall von Kompetenz, Wis-
sen, Know-how zum einen schwer erfassbar und zum anderen die kausale Wirkung
ambivalent ist (vgl. Teece, Pisano und Shuen, 1997; Lippman und Rumelt, 1992;
Schneider, 2001). Die ressourcenorientierte Theorie unterstreicht, dass die Kompe-
tenzen und/oder Fahigkeiten in einer Untemehmung nicht nur schwer zu greifen, son-
dem dass der Entstehungszusammenhang und die Wirkung ambivalent sind. Wenn der
Entstehungszusammenhang der Fahigkeiten nicht konkret nachvollziehbar ist, dann
entzieht sich dieser einer direkten Kontrolle und Steuerung. Die Verwendung und der
Einsatz von Wissen, Know-how und Kompetenz unterscheiden sich daher in der Ver-
wertung von herkOmmlichen materiellen Produktionsfaktoren im Untemehmen. Input-
und Output-Beziehungen lassen sich im Fall der Ressource "Geschicklichkeit",
"Fahigkeit" oder am Beispiel von "Kompetenz" nicht exakt feststellen. Der Beitrag
einzelner Organisationseinheiten und einzelner Organisationsmitglieder fliefit in ein
Gesamtergebnis der Untemehmung ein und lasst sich nicht exakt messen. Wie diese
Fahigkeiten innerhalb einer Untemehmung evolvieren, bleibt in der ressourcen-
orientierten Theorie der Firma vage.
Erganzend dazu bauen die hier angestellten Uberlegungen auf den Transaktionskosten-
Ansatz auf. Werden die organisationalen Fahigkeiten als eine idiosynkratische Leis-
tung (= eigentumliches, schwer greifbares Wissen) defmiert, dann zeigen sich die in
der Transaktionskostentheorie typischen Ubertragungsprobleme. Die Transaktions-
kostentheorie geht bekanntlich davon aus, dass einzelne Transaktionen, d. h. spezi-
fische Schritte in einem Leistungserstellungsprozess, dann innerhalb einer Unter-
nehmung durchgefiihrt werden, wenn es dafiir keine funktionierenden Markte gibt. Der
Vorteil der Untemehmung gegenuber dem Markt wird darin gesehen, dass innerhalb
der Untemehmung das Management auf Weisungen und Kontrollrechte zuriickgreifen
kann, um die Ubertragimg idiosynkratischer Leistungen zu koordinieren (vgl.
Williamson, 1985:19). Der grundsatzliche Vorzug der Untemehmung gegenuber dem
Markt, so Williamson liegt in der Fahigkeit ein direktes Kontrollrecht auf schwer
greifbare Transaktionsprozesse auszutiben. W5rtlich heifit es: der Vorzug der Firma
"inheres in its capacity to control information and achieve plan consistency among
interdependent activities, which may be regarded as an information processing
advantage" (Williamson, 1999:18). Im Fall von Wissen, Kompetenz und Know-how
ist jedoch einschrankend anzumerken, dass Wissensaktivitaten innerhalb der Unter-
nehmung ebenso schwer zu kontroUieren und zu tiberwachen sind, wie die voU-
standige Ubertragung auf Markten grofie Probleme bereitet, wenngleich die Sanktions-
moglichkeiten innerhalb der Untemehmung ausgepragter sind als auf Markten.
8
Vor dem Hintergrund dieser Uberlegungen greife ich schliefilich auf eine dritte Theo-
rie zuriick, die sich in den letzten zwei Jahrzehnten innerhalb der Wirtschaftssoziolo-
gie entwickelte. Diese Theorie wird als neue Wirtschaftssoziologie (new economic
sociology) bezeichnet und mit Arbeiten von Mark Granovetter (1985), Neil Fligstein
(2001) und Harrison White (2002) verbunden. Das Forschungsprogramm dieser neuen
Wirtschaftssoziologie zeigt, dass MSrkte, Markttransaktionen und wirtschaftliches
Handeln in soziale Strukturen eingebettet sind. EfFiziente MSrkte werden als Ergebnis
effizienter sozialer Strukturen interpretiert (siehe dazu Jacoby, 1997; Fligstein, 2001;
White, 2002; Granovetter, 1985), well sie in einem ganz erheblichen AusmaB Trans-
aktionskosten senken. Zudem werden Handlungen einzelner Akteure nicht isoliert von
den sozialen Strukturen, sondem in ihrer rekursiven Wechselwirkung untersucht (vgl.
Fligstein, 2001; White, 2002). Ganz ahnliche Uberlegungen werden in der neuen
Institutionenokonomie angestellt. In der Institutionen(5konomie wird zwar nicht von
sozialen Strukturen und von Einbettung einzelner Akteure in diese Strukturen ge-
sprochen, aber der zentrale Wert von Institutionen und die positiven Wirkungen auf
die wirtschaftlichen Handlungen einzelner Akteure und auf den wirtschafllichen Er-
folg ganzer Gesellschaften ist unstrittig (North, 1990). Unter Institutionen verstehen
Institutionenokonomen: "ein auf ein bestimmtes Zielbiindel abgestelltes System von
Normen einschlieBlich deren Garantieinstrumente (die 'Spielregeln') mit dem Zweck,
das individuelle Verhalten in eine bestimmte Richtung zu lenken" (Richter und Furo-
bothn, 1996:12). Die sozialen Spielregeln sind gewissermafien eingelassen in die ge-
sellschaftlichen Institutionen. North sieht den Efifekt von Institutionen unter anderem
darin, dass institutionelle Regeln Unsicherheit reduzieren: "Institutions reduce un
certainty by providing a structure to everyday life. They are a guide to human interaction
... [They] include any form of constraint that human beings devise to shape human
interaction ... [They] consist of formal written rules as well as typically unwritten code
of conducts that underlie and supplement formal rules ..." (North, 1990:3f).
Der Nutzen von Institutionen wird also in der neuen Institutionenokonomie nicht be-
stritten (Williamson, 1985; Coase, 1937; Picot, Dietl und Franck, 2002). Ganz allge-
mein formuliert teilt die Institutionenokonomie mit der neuen Wirtschaftssoziologie
wesentliche Forschungsfragen und Ergebnisse. Ein Unterschied besteht: Die neue
Institutionenokonomie teilt drei zentrale verhaltenswissenschaftliche Prtoissen mit
der Neoklassik, die von Vertretem der neuen Wirtschaftssoziologie abgelehnt werden.
Dazu zahlen der methodologische Individualismus, die individuelle Nutzenmaxi-
mierung und der potenzielle Opportunismus der Akteure (Picot, Dietl und Franck,
2002:31). Die rationalen Handlungen der Akteure* werden als Ergebnis dieser drei
Postulate konzeptionalisiert und nicht wie in der neuen Wirtschaftssoziologie als
emergente PhSnomene der sozialen Stmkturen, die InstitutionenSkonomen wurden
hier von Institutionen sprechen, in die die Akteure eingebettet sind. In dieser Hinsicht
stehen sich die zwei Theorien unversShnlich gegeniiber (Etzioni, 1994; Durlauf und
Young, 2002a). Gemeinsam ist den beiden Theorien jedoch, dass der Effekt von In
stitutionen auf die Effizienz der wirtschaftlichen Austauschbeziehungen thematisiert
wird. Zudem wird von beiden Disziplinen Vertrauen als ein PhSnomen betrachtet, das
Transaktionskosten senkt. Und in beiden Fallen wird nicht bestritten, dass dauerhafte
Beziehungen zwischen wirtschaftlichen Akteuren Unsicherheiten reduzieren und sta
bile Strukturen schaffen, in denen idiosynkratische Austauschbeziehungen tiberhaupt
erst produktiv mSglich werden (siehe North, 1990:50).
4. Vorgehensweise und Aufbau der Arbeit
Im ersten Kapitel dieser Arbeit werden einige ausgewahlte Wissensmanagementkon-
zeptionen kritisch beleuchtet, um zu zeigen, wie die Nutzung und die Produktion der
Ressource Wissen konzipiert ist. Die Auswahl der Modelle ist keine vollstandige. Es
geht mir in diesem Abschnitt nicht um eine Beantwortung der Frage, wie in einem
Untemehmen Wissen zu managen sei, auch nicht um eine allgemeine Kritik an beste-
henden Wissensmanagementkonzepten. Vielmehr geht es darum, sich damit ausein-
anderzusetzen, in welcher Weise in den einzelnen Modellen die Produktion, Diffusion
und letztlich immer die Kontrolle von Wissen gedacht wird und iiber einen Diskurs
der sich auf die groBe Bedeutung von Wissen in unseren Gesellschaften stutzt,
legitimiert wird.
Als Einstieg in diese Frage soil das Wissensmodell von Boisot (1995) diskutiert wer
den. Daran anschliefiend folgt die Besprechung der konzeptionellen Skizze der N-
Form (N steht fur Neu) als Modell des Wissensmanagements von Hedlund (1994). In
diesem Teil soil gezeigt werden, dass die Ubertragung verschiedener Wissensformen
1 Die Annahmen die mit rationalen Akteuren, oft unausgesprochen, in Verbindung stehen, sind fol-gende: (1) Akteure sind im Besitz von Ressourcen ("resourceful"); (2) Akteure sind in ihren MOglich-keiten eingeschrankt; (3) sie erwarten bestimmte Ergebnisse ihrer Handlungen ("expecting"); (4) sie bewerten die Ergebnisse ihrer Handlungen ("evaluating"); (5) und sie versuchen Handlungen so aus-zurichten, dass die erwarteten Ergebnisse maximiert werden ("maximising"); deshalb ist vom REEM (resourcefiil, expecting, evaluating and maximising men) die Rede.
10
innerhalb der Organisation als das zentraie Problem identifiziert wird. Zweck der Dis-
kussion des Ansatzes von Hedlund ist es hervorzuheben, in welcher Weise interaktive
Prozesse zwischen Individuen, zwischen Gruppen und in Organisationen mit der
Verbreitung und Emeuerung von Wissen in Zusammenhang gebracht werden.
An die Diskussion von Boisot und Hedlund schliefit die Besprechung des SECI-Mo-
dells von Nonaka und Takeuchi (1995b) und des Konzepts Ba von Nonaka und Konno
(1998) an. Anhand der Diskussion der zentralen Voraussetzung beider Modelle soil
gezeigt werden, inwieweit auf soziale Beziehungen verwiesen wird, damit Wissen
nicht nur in Organisationen ausgetauscht wird, sondem auch der Umgang mit und die
Schaffung von neuem Wissen produktiv sind.
Daran schlieBe ich eine Diskussion des Modells der Wissensaktivisten von KSser und
Miles (2002) an, well die beiden Autoren zeigen, dass Vertrauen in sozialen Bezie
hungen ein wesentlicher Aspekt in der Wissensproduktion und im Wissensaustausch
ist. Diesen Aspekt greifen Ghoshal und Bartlett (1997) in ihrer Konzeption der
individualisierten Untemehmung auf. Sie propagieren, dass nur Vertrauen wissens-
intensive WertschOpfungsprozesse hervorbringt. Das ist der Grund, warum es in Zu
sammenhang mit den ausgewahlten Wissensmanagement-Modellen besprochen wird.
In ihrer Darstellung der individualisierten Untemehmung, die die beiden Autoren als
neues Managementmodell favorisieren, werden organisationstypische Verhaltens-
orientierungen thematisiert, die als soziale Infrastruktur eines wissensorientierten bzw.
im weitesten Sinne als Modell des lemenden Untemehmens gelten konnen. Ich sehe
das Modell der individualisierten Untemehmung von Ghoshal und Bartlett deshalb als
Erganzung, weil sie explizit feststellen, dass Organisationen nur dann jene organisati-
onalen Fahigkeiten und Kompetenzen entwickeln k6nnen, wenn Vertrauen in Organi
sationen in ausreichendem AusmaB existiert.
Im daran anschliefienden zweiten Kapitel wende ich mich dem Thema Sozialkapital
und Vertrauen zu. In diesem Abschnitt entwickle ich die generelle These, dass in
Untemehmen intakte und vertrauenswurdige Beziehungen ein zentraler wirtschaftli-
cher Wert sind, der mit dem Aufbau von Sozialkapital in Zusammenhang steht. In
diesem Abschnitt werden verschiedene Sozialkapitaltheorien er5rtert. Anschliefiend
bespreche ich die Sozialkapitaltheorie von Nahapiet/Ghoshal und Nan Lin, weil hier
direkt der Zusammenhang mit der Produktion von Wissen thematisiert wird. In diesem
Abschnitt wird erlautert, warum Sozialkapital ein intangibler Verm6genswert ist, der
durch die reziproken Verpflichtungen in sozialen Netzwerken entsteht und fiir
11
wissensorientierte Untemehmen unverzichtbar ist, um vorhandenes Know-how zu
nutzen. Der Zweck des Abschnitts ist es zudem, eine Begriffsklarung von Sozial-
kapital und Vertrauen fur die daran anschliefiende empirische Untersuchung vorzu-
nehmen. Ein wesentlicher Aspekt von Sozialkapital hSngt mit der konkreten Struktur
von sozialen Beziehimgen zwischen einzelnen oder mehreren Akteuren zusammen.
Inwieweit die Struktur dieser Beziehungen den Austausch von Wissen beeinflusst,
wird anschliefiend erlSutert. Es geht hier im Besonderen darum, wie die Struktur
sozialer Netzwerke mit der Wirkung und dem Umfang von Sozialkapital in Verbin-
dung steht und wie die konkrete Struktur solcher sozialen Netzwerke analysiert wer-
den kann. Dabei greife ich auf Begriffe und Methoden der sozialen Netzwerkanalyse
zuruck. Erganzend dazu erlautere ich die einschlagige Sozialkapitaltheorie von Ron
Burt (1982, 1992), die mir in dieser Arbeit als Fokus dient, um die Struktur sozialer
Netzwerke und die Wirkung von Sozialkapital auf die Wissensproduktion und Wis-
sensdifflxsion zu illustrieren. Dabei werden einzelne Begriffe der Netzwerkanalyse,
wie Netzwerkredundanz, strukturelle Brucken, Netzwerkdichte, starke und schwache
Bindungen {strong vs. weak ties) diskutiert, well damit die strukturellen Eigenschaften
und die damit verbundenen Effekte von Sozialkapital erklart werden k6nnen.
Im dritten Kapitel der Arbeit werde ich schliefilich anhand einer empirischen Unter
suchung die Entstehung von Sozialkapital und die Entstehung von Vertrauen unter-
suchen. Im ersten Abschnitt in diesem Teil der Arbeit stelle ich mein konzeptionelles
Modell uber den Zusammenhang von Vertrauen und Sozialkapital dar. Zur empi
rischen Oberprufung des Modells habe ich eine Fragebogenuntersuchung zu ausge-
wahlten Eigenschaften und Charakteristiken von Organisationen durchgefUhrt um den
Einfluss zentraler Merkmale auf die Entstehung von Sozialkapital und Vertrauen zu
zeigen. Mit der Fragebogenuntersuchung habe ich einzelne Merkmale untersucht tiber
die Vertrauen und Sozialkapital in Organisationen in einen kausalen Zusammenhang
stehen. Dabei soil allerdings nicht nur der kausale Zusammenhang, sondem das je-
weilige Gewicht der einzelnen unabhangigen Faktoren auf die Entstehung der ab-
hangigen Faktoren Vertrauen und Sozialkapital tiberpriift werden.
Im Detail werden die einzelnen Faktoren Arbeitsinhalt, Partizipation, Feedback,
individualisierte Entgeltsysteme, Aufgabenkontrolle, Arbeitsdruck und Untemehmens-
erfolg auf ihre Wirkung in der Entstehung von Vertrauen und Sozialkapital geprtift. Im
letzten Abschnitt des Kapitel III werden die empirischen Ergebnisse der Hypothesen-
priiftmg aus den einzelnen Modellvarianten und die Ergebnisse der jeweiligen Re-
gressionsanalyse dargestellt.
12
Im vierten Abschnitt dieser Arbeit fasse ich die Ergebnisse noch einmal zusammen
und stelle sie in eine Diskussion der Gesamtzusammenhange. In diesem abschlieBen-
den Teil der Arbeit greife ich ruckblickend noch einmal die zentralen Fragen dieser
Arbeit auf und skizziere die wesentUchen Ergebnisse. Im funften Abschnitt der Arbeit
werden die deskriptiven Ergebnisse der Fragenbogenuntersuchung vorgestellt und
diskutiert.
13
I. Die Produktion von Wissen und die Organisation der Wissensarbeit
Wie in der Einleitung angekiindigt soil hier diskutiert werden, wie in einschlSgigen
Wissensmanagement-Ansatzen die Produktion und Diffusion von Wissen konzipiert
wird. Diese Konzeptionen sind nicht nur als theoretisches Modell zu verstehen, son-
dem auch als managementpolitischer Diskurs. Ziel hier ist neben einer Darstellung
auch eine Reflexion der Modelle. Stacey meint, dass der GroBteil der Wissensmana-
gement-Modelle von der naiven Vorstellung ausgeht, dass das Wissen in den K(3pfen
einzelner Individuen entsteht und es das Ziel ist, dieses personliche Wissen durch die
Transformation in explizites, d.h. artikuliertes und systematisiertes Wissen der Organi
sation als Ganzes zur Verfiigung zu stellen (Stacey, 2001:14). Ein weiterer Aspekt in
den meisten Wissensmanagement-Modellen ist die Unterscheidung zwischen Daten,
Informationen und Wissen. Diese dreistufige Hierarchie in der Organisation von Wis
sensarbeit bezeichnen Depres und Chauval (2002:89) als Eckpfeiler aller bekannten
Wissensmanagement-Modelle. Damit iSsst sich grundsatzlich in der Organisation der
Wissensarbeit eine Arbeitsteilung umsetzen, die auch der Kontrolle und dem Zugriff
von Wissen dienen kann. In einschlSgigen Wissensmanagement-Modellen wird diese
Hierarchie jedoch nicht mehr strikt vollzogen, wenngleich sie in den konzeptionellen
Modellen welter besteht. Auf der untersten Stufe dieser Hierarchie sind die Daten, die
Rohstoffe von Informationen und von Wissen. Aus rohen Daten werden Informationen
gewonnen. Aus den Informationen wird Wissen produziert. Dieses Wissen selbst wird
sehr oft in implizites und explizites Wissen unterschieden.
Entsprechend der hierarchischen Stufe in der Wissensarbeit wird der Verarbeitung von
Daten, der Produktion von Informationen und der Wissensgenerierung jeweils ein un-
terschiedlich hoher Grad an WertschQpfung zugesprochen. Die Daten, als unverarbei-
tete Rohstoffe, haben aus der Sicht eines wertorientierten Wissensmanagements den
geringsten Stellenwert. Nehmen Wissensmanagement-Modelle auf den sozialen Kon-
text der Organisation der Wissensarbeit Rticksicht, dann versuchen sie zumindest, das
Ineinandergreifen der Datenverarbeitung, der Informationsgewinnung und der Wis-
sensproduktion zu thematisieren. Aufgabe des Wissensmanagements ist es, diese ein-
zelnen Arbeitsprozesse zu integrieren (Schneider, 2001:25ff.).
Ich werde im Folgenden die Wissensmodelle von Boisot (1995 und 1998), von Hed-
lund (1994) und von Nonaka und Takeuchi (1995a) einer kritischen Diskussion unter-
ziehen. Die hier ausgewShlten Arbeiten stehen stellvertretend fur eine ganze Reihe von
Entwtirfen zum Management des Wissens, die insbesondere in der Praxis des Wis-
15
sensmanagements einen groBen Einfluss zeigen. AusgewShlt habe ich diese Arbeiten,
well sie theoretisch die anspruchsvollsten und in der Literatur die am haufigsten zi-
tierten sind. Wahrend ich in der Darstellung versucht habe, die Modelle in unter-
schiedlichem Umfang - soweit eben notwendig - zu diskutieren, habe ich im An
schluss daran, die einzelnen Modelle einer kritischen Wtirdigung unterzogen.
In vielen einschlagigen Wissensmanagement-Modellen werden verschiedene Wissens-
formen und deren Produktions- und Zugriffsbedingungen thematisiert (siehe Schnei
der, 2001:19). Ziel der meisten Ansatze ist es, die Prozesse der Produktion und die
Verteilung des Wissens in der Untemehmung einer effizienten Steuerung zuzuflihren.
Dabei scheint es in erster Linie darum zu gehen, wie Schneider es nennt: "vor-
handene[s] Wissen zu identifizieren, zu sichten und zu verdichten, darzustellen und in
aktualisierter Form zur Verfugung zu halten." Problematisch dabei ist, dass fiir dieses
„sehr aufwendige Projekt" ... „fur die Selektionsentscheidung, was als relevant und
daher aufzeichnungswiirdig gelten soil, keine eindeutigen Kriterien zu Verfugung
[stehen]" (Schneider, 2001:37). Bin Aspekt, der sich in den meisten Wissensmanage
ment-Modellen fmdet, ist wohl der, dass Wissen nicht nur als Ressource individueller
Akteure verstanden wird, sondem durch den Austausch zwischen einzelnen Akteuren
und konsequenterweise durch die Weitergabe und Transformation in verschiedene
Wissensformen institutioneller Bestand der Untemehmung wird (Boisot, 1995;
Nonaka und Takeuchi, 1995a; Schneider, 1996; Hedlund, 1994). In der Diskussion der
ausgewahlten Modelle wird insbesondere auf diesen Aspekt eingegangen.
1. Das Modell von Max Boisot
Im Folgenden mochte ich das Konzept von Boisot (1995) erortem und die wesent-
lichen Aspekte seines Modells kurz darstellen. AnschlieBend soil der von ihm als zent-
raler Aspekt der Wissensarbeit in Organisationen herausgearbeitete soziale Lemzyklus
erklart werden. Daran anschlieBend werden die von Boisot in Zusammenhang mit der
Organisation der Wissensarbeit genannten vier Institutionenformen (Markt, Biirokra-
tie, Klan- und Patron-Klientel-Strukturen) beschrieben.
Boisot entwirft in seinem Modell einen konzeptionellen Rahmen uber den der Aus
tausch von impliziten (personlichen) Wissensformen und expliziten (abstrakten) Wis
sensformen untersucht werden kann. Er nennt diesen konzeptionellen Rahmen Infor-
mationsraum oder I-Space. Der I-Space setzt sich aus drei Ebenen zusammen. Eine
Untersuchungsebene, nennt er E-Space (Episteme), well auf dieser Stufe epistemologi-
16
sche Grundsatzentscheidungen getroffen werden, z.B. welche Daten selektiert werden.
Die zweite Ebene wird U-Space (Utility) bezeichnet, weil auf dieser Stufe der Nutzen
von Wissen bzw. von Informationen durch den Grad der Verbreitung in einer Organi
sation bestimmt wird. Die dritte Ebene wird C-Space (Culture) genannt, weil hier der
Einfluss von Kultur, die die Aufhahme neuer Wissensformen fordert oder einschrankt,
untersucht werden kann. Alle drei Ebenen werden zum einem dreidimensionalen
Raum, der als I-Space bezeichnet wird, zusammengefasst, um das gegenseitige inein-
andergreifen der drei Untersuchungsebenen zu zeigen.
Die einzelnen Ebenen des I-Space, sowie die im I-Space zu beobachtenden Wissens-
produktions- und Wissensdiffusionsprozesse und die verschiedenen Stufen ein-
schlagiger sozialer Lemzyklen werden weiter unten noch im Detail besprochen. Dabei
soil gezeigt werden, dass Boisot die Produktion und den Austausch von Daten, Infor
mationen und Wissen aufeinander aufbaut und in seinem Konzept des sozialen Lem-
zyklus als rekursiven Prozess anlegt. Boisot betrachtet die Produktion und den Aus
tausch von Wissen als das Ergebnis komplexer ineinander greifender Informations-
fliisse. Diese ineinander greifenden Prozesse werden als Ergebnis spezifischer Daten-
/Informations-ZWissensverarbeitungsverfahren verstanden. Zentrale These in dem Mo-
dell von Boisot ist, dass die Aufarbeitung von Daten, die Gewinnung von Information
und die Produktion von Wissen in einer Organisation dann funktionieren wird, wenn
pers5nliches Wissen, das als kontextabhangiges und lokales Wissen verstanden wird,
in kontextwwgebundenes und abstraktes, explizites Wissen transformiert wird und so
von einzelnen Personen oder Gruppen uber diese Transformation far die Organisation
unabhangig von den Personen zuganglich ist.
1.1. Boisots Theorie - Pramissen und Definitionen
Wissen ist eine Fahigkeit, die durch die Verwertung, Verwendung und den Gebrauch
von Daten und Informationen entsteht. Informationen werden konzipiert als das Er
gebnis der Auswertung von Daten. Wahrend die Reproduktion von digitalisierten In
formationen nahezu grenzkostenlos erfolgt (Shapiro und Varian, 1999:35) trifft dies
bis zu einem gewissen Grad auch auf Wissen zu. Um den Zugriff bzw. die Reproduk
tion von Wissen auf verschiedenen organisatorischen Ebenen zu ermoglichen, muss
Wissen in Fluss gehalten werden. Ein Argument von Boisot ist, dass Wissen, das sich
in Bewegung beflndet, niitzliches Wissen in Organisationen ist. Personliches und
kontextgebundenes Wissen ist hingegen schwieriger zu verbreiten und hat einen ge-
ringeren Nutzen. Grundsatzlich geht es Boisot daher darum, welche Eigenschaften
17
jeweils die von ihm identifizierten Wissenstypen annehmen miissen, damit sie leicht
verbreitet werden konnen. Dabei identifiziert er drei zentrale Eigenschaften, namlich
den Grad an Kodifiziemng, den Grad an Abstraktion und den Diffusionsgrad von Wis-
sensformen.
1.1.1. Kodifiziemng
Boisot beginnt seine Analyse mit der Frage, wie tiberhaupt Informationen aus Daten
gewonnen werden und wie - daran anschliefiend - aus Informationen Wissen entsteht.
Zuallererst thematisiert er, dass bei der Auswahl von Daten immer Selektions-
leistungen durchgefuhrt werden miissen. In Organisationen werden hierftir institutio-
nalisierte Verfahren verwendet. In diese institutionalisierten Verfahren sind Kodifl-
zierungsmuster eingebettet, deren Ursprung nicht fUr jedermann zugSnglich ist. Boisot
beschreibt daher Verfahren mit dem in Organisationen Daten, Informationen und
Wissen verarbeitet werden, als Anwendung bereits existierender Kodifizierungsregeln.
Kodierungsregeln sind Instrumente mit denen Wahmehmung m^glich wird, aber auch
einer spezifischen EinschrSnkung unterworfen wird. Bereits bei der Aufarbeitung von
Daten werden also kognitive Vorleistungen genutzt. Wissensproduktion beginnt fiir
Boisot deshalb mit der Aufarbeitung von Daten. Um grofie Datenmengen effizient
aufzuarbeiten, so Boisot (1995), mtissen Selektionsleistungen erbracht werden. Das
Ziel dieser Selektionsprozesse besteht darin, nur ganz bestimmte Daten wahrzunehmen
und andere Daten auszuschliefien. Das gelingt nur liber die Etablierung von
Kodierungsschemata. Der Prozess der Kodifiziemng von Ph^omenen ist, wie Boisot
es formuliert: "fraught with problems and ambiguities" (Boisot, 1998:42). Neben der
Anwendung von Kodes zur Selektion von Daten, werden Daten, um sie wirtschafllich
verarbeiten zu kOnnen, mithilfe von Kategorien klassifiziert, mit dem Resultat, dass
alle Phanomene, die der ausgewahlten Klassifizierung nicht entsprechen, als un-
passend aussortiert werden. Boisot defmiert den Prozess der Kodifiziemng "als ein
Verfahren in dem konzeptionelle Kategorien verwendet werden, um PhSnomene zu
klassifizieren" (Boisot, 1998:42). Problematisch dabei ist jedoch, dass in einer Organi
sation dieser Prozess der Standardisierung der Wahmehmung institutionalisiert wird.
Die konkrete Zuweisung einzelner Phanomene zu Klassen wird als Kodifiziemng de
fmiert. Diese Arbeit der Kodifizierung kann umso rascher durchgefuhrt werden, je
effizienter entsprechende Klassifiziemngen verwendet werden (vgl. Boisot, 1998:42).
Je groBer die Heterogenitat einzelner PhSnomene, umso schwieriger gestaltet sich die
Kodifizierung, wenn eine Organisation gewissermafien noch sensibel auf die Unter-
18
schiedlichkeiten reagieren will. Einzelne Kategorien (z. B. die Kategorisiemng von
GroBe, Farbe, Gewicht, usw.) mtissen jeweils auf das wahrgenommene Phanomen an-
wendbar sein. Kategorien sollen zwar Merkmale genau erfassen, d. h. sie mtissen ein-
deutig sein und mehrere angewandte Kategorien mtissen sich gegenseitig ausschliefien.
Das AusmaB zur Verfiigung stehender Kategorien, h&igt, so Boisot (1998:43), von der
jeweils zur Verfiigung stehenden Erfahrung und vom Training der Anwender einer
Kategorie ab.
Boisot sieht in diesem Zusammenhang durchaus den ambivalenten Charakter der Ko-
difizierung im Prozess der Wissensgenerierung. Er spricht davon: "Codification con
stitutes a selection from competing perceptual and conceptual frames ... with repeated
use, it acquires inertia and becomes in consequence hard to modify or replace" (Boisot,
1995:48). Diese Ambivalenz von einmal etablierten Kodifizierungsschemen ist fUr den
Prozess der Produktion und Diffusion von Wissen zentral, well die Effizienz von Ko-
dierungsschemen von ihrer wwproblematisierten Anwendung bestimmt wird. Kodie-
rungsinstrumente sind deshalb wirtschafllich, weil sie groBe Mengen von Daten aufar-
beiten, aber die hohe Leistung der Datenverarbeitung wird durch eine Anderung der
Kodierungswerkzeuge zerstort. In Organisationen treten deshalb Effekte der Immuni-
sierung existierender Wahmehmungsinstrumente gegen ihre in Frage Stellung und
Veranderung in Kraft. Eine einmal getroffene Auswahl einer Kategorie, mit der PhS-
nomene perzipiert werden, ist also ambivalent, weil die die tatsSchliche Entscheidung
im Laufe der Anwendung nicht mehr thematisiert wird, zumindest soweit die Wirt-
schaftlichkeit der Anwendung einer Kategorie nicht in Frage gestellt wird. Der Prozess
der Kodifizierung ist gerade deshalb auch damit verkntipft, dass eine ganze Menge von
Daten einer Wirklichkeit zugedeckt und ausgegrenzt wird. In Krafl wird dieser Prozess
durch die anvisierte Effizienz der Kodifizierung gesetzt, der in der kompromisslosen
Umsetzung und Wirksamkeit der etablierten Filter der Wahmehmung und Perzeption
besteht.
1.1.2. Abstraktion
Da die Auswahl von Klassifizierungsschemen bereits konzeptionelle Uberlegungen
einschliefit, ist weiter zwischen perzeptiven und konzeptionellen Prozessen zu diffe-
renzieren. Boisot vermerkt hierzu: "where codification appears to be more conceptual,
it is either directly or indirectly the result of an abstraction from perceptual data"
(Boisot, 1998:48). Die konzeptionelle Vorstellung von ZusammenhSngen, die im De
sign von Kategorie und Klasse vorgenommen wird, sieht Boisot bereits als Abstrahie-
19
rung von Phanomenen an. Die Leistung der Abstraktion selbst steht in Verbindungen
mit einer konzeptiven Vorstellung tiber vermutete oder erwiesene kausale Zusammen-
hange der wahrgenommenen PhSnomene. Wichtig hierbei ist, dass das einmal ausge-
wShlte, ftir mSglichst realistisch gehaltene konzeptionelle Modell iiber die Wirkungs-
zusammenhSnge die Inforaiationsgewinnung insofem pragt, weil aus der Fulle von
uniiberschaubaren und komplexen PhSnomenen schlieBlich nur jene Daten herausge-
filtert werden, die ftir eine ganz bestimmte ErklSrung als notwendig erachtet werden.
Insofem versteht Boisot Kodifizierung und Abstrahierung zwar als zwei Verfahren,
die eng miteinander verbunden sind, aber den Unterschied sieht er darin, dass mit der
Kodifizierung wahrgenommenen PhSnomenen eine Form und mit der Abstrahierung
den Phanomenen eine Struktur gegeben wird.
Der Vorteil der Abstraktion liegt, so Boisot (1995), in der Generalisierung wahrge-
nommener PhSnomene. Idealtypisch wird hier angenommen, dass der Prozess der
Wahmehmung, der durch die Abstraktion erst mSglich wird, dazu fUhrt, dass wir kon-
krete unterschiedliche Kategorien (heterogene PhMnomene) in einem generalisierbaren
(d. h. homogenen) Zusammenhang verstehen, d.h. als Information verarbeiten, ohne
persSnlich oder tatsachlich eine Datenselektion durchfiihren zu mussen. Am effizien-
testen wird dieser Selektionsprozess von Maschinen durchgefiihrt, wenn es gelingt,
Daten in binSre Zeichensysteme zu transkribieren. Die Prozesse der Kodifizierung
(also die Produktion von Selektionskriterien in einer Organisation) und die Tatigkeit
der Abstraktion (die Produktion von Generalisierungen, also die Produktion von Sinn)
bilden in seinem epistemologischen Modell zwei Ebenen des I-Space. Jede Wissens-
form wird deshalb nach der AusprSgung des Kodifizierungsgrades und nach der H6he
des Abstraktionsgrades unterschieden. Boisot geht also in seinem Modell von folgen-
den Uberlegungen aus: Um Daten effizient zu verarbeiten miissen sie kodifiziert wer
den. Je besser das System der Kodifizierung, umso wirtschafllicher konnen Daten ver-
arbeitet werden. Mit der Kodifizierung selbst sind jedoch konzeptionelle, das heifit
bereits Vermutungen uber kausale ZusammenhSnge impliziert, die einmal getroffen, in
Organisationen nicht mehr so ohne weiteres in Frage gestellt werden. Die konzeptio-
nellen Uberlegungen und die daraus gewonnen Informationen werden schlieClich
durch die Abstraktion, deren Zweck es ist, aus dem Besonderen allgemeine Begriffe,
Normen, Prinzipien abzuleiten, die den kontextabhSngigen Informationen ein kontex-
tunabhSngiges VerstSndnis verschaffen. Der Kontext in dem Wissen generiert wird, ist
hierbei jedoch primSr einmal eine pers5nliche Erfahrung (Polanyi, 1967), vielfach ein-
gebettet in organisationale Routinen, aber auch Teil eines habituellen Verhaltens.
20
Kontextunabhangigkeit heiCt hier die Trennung von Erfahrung und Person, mit dem
Ziel, Erfahnmgen unabhSngig von der konkreten Person zu verwerten. Vor dem
Hintergrund dieser Problematik fragt Boisot nach Voraussetzungen, uber die die
Wissensproduktion und der Wissensfluss in Organisationen in Gang gebracht werden
k5nnen.
Br verpackt diese Uberlegungen in sein Modell des I-Space, das er als dreidimen-
sionalen Wurfel konstruiert, wobei jede Dimension, jeweils ftir den Grad der Kodi-
fikation, den Grad der Abstraktion und den Grad an Diffusion von Wissen steht.
Personliches, kontextgobundenQS und lokales Wissen ist dementsprechend gering ko-
difiziertes und nicht abstraktes Wissen (vgl. hierzu die Abbildung 1). Im E-Space wer
den also erhebliche erkenntnistheoretische Weichenstellungen getroffen, die in der
Praxis des Wissensmanagements Konsequenzen haben. Durch die im E-Space gesetz-
ten MaBnahmen und Entscheidungen, die ja nicht zuf^llig erfolgen, wird aus einer
Fulle von Phanomenen Sinn in der Organisation produziert (vgl. hierzu Weick, 1995).
Es werden Kategorisierungen etabliert, Klassifizierungen ubemommen und konzeptio-
nelle und perzeptive Filter eingerichtet, die nicht beliebig revidierbar sind.
Abbildung 1: Der Informationsraum (I-Space (Boisot, 1998))
abstraktes, kodifiziertes und diffundiertes Wissen
Kodfizierungsgrad
diffused
Diffussionsgrad ricodifizierl
abstrakt konkre^
Abstraktionsgrad
lokales personliches Wissen
21
Es iSsst sich hier argumentieren, dass das Ausmafi der Effizienz der Kodifizierung und
der Abstraktion in einer Organisation, letztendlich auf die ReflexionsfShigkeit zurUck-
wirkt. Etablierte Kodifizierungssysteme schrSnken so gesehen, unterschiedliche Wahr-
nehmungen, verschiedene Perspektiven und vielfSltige Interpretationen ein.
l.L 3, Diffusion
Die dritte Dimension bezeichnet das Ausmafi der Diffusion von Wissen im I-Space. 1st
Wissen ausreichend kodifiziert und in ein abstraktes Zeichensystem tibersetzt, so lasst
es sich leichter verbreiten, als gering kodifiziertes und kaum abstrahiertes Wissen. In
diesem Zusammenhang steilt Boisot fest, je hSher der Verbreitungsgrad von Wissen in
einer Organisation, umso grSfier der Nutzen (Boisot, 1995). Boisot unterscheidet hier
zwischen Nutzen und Wert von Wissen. Der Marktwert von Wissen reduziert sich
durch seine Verbreitung, wShrend der Nutzen durch die Diffusion nicht eingeschrSnkt
wird.
Um pers5nliches, konkretes und in organisationale Routinen eingebettetes Wissen in
einer Organisation zu verbreiten, muss es soweit wie mOglich kategorisiert und kiassi-
fiziert und in eine abstrakte Sprache tibersetzt werden. Ein Problem in diesem Zusam
menhang in Organisationen ist, dass sehr viele lokale, persSnliche Wissensformen in
eine nicht bewusste organisationale Praxis eingebettet sind. Die jeweiligen Erfahrun-
gen und das damit verbundene Wissen kann in vielen Fallen nicht artikuliert werden,
d.h. die persQnlichen Erfahrungen sind schwer in allgemeine Begriffe bzw. in eine abs-
2 Dazu ein Beispiel: In ein und derselben Situation ist es mOglich, dass zwei Personen oft ganz unterschiedliche Wahmehmungen machen. Ob das wOnschenswert ist oder nicht wird hier nicht in Frage gestellt. Czamiawska-Joerges berichtet (iber einen Vortrag, den zwei ihrer Kollegen gemeinsam be-sucht haben. Beide haben einen ganzlich unterschiedlichen Eindruck gewonnen: "My two colleagues went to hear a speech given by a wellknown businessman. One participated in a most exciting encounter between the wisdom of practice and curiosity of theory, whereas the other took part in an extremely boring meeting with an elderly gentleman who told old jokes" (Czamiawska-Joerges, 1999:33). Kodifizierungen sind demnach nur dann effizient, wenn unterschiedliche Wahmehmungen innerhalb der Organisation ausgeschlossen werden k5nnen. Anders formuliert, je effizienter Kodifizierung durchgeflihrt wird, umso wahrscheinlicher ist es, dass die EfFektivitat in der Organisation der Wissensarbeit leidet. Kodifizierung ist Selektion und Kategorisiemng von Daten gleichermaBen. Die Frage ist darm immer, gerade im Kontext der Organisation, mit welchem Kodierungsverfahren Daten organisiert werden. Wer entscheidet iiber die Auswahl des Kodierungsverfahrens? Gibt es dariiber aberhaupt eine Entscheidung? Im zitierten Beispiel von Czamiawska-Joerges (1999) haben beide Kollegen, obgleich sie eine gemeinsame Organisationskultur teilen, unterschiedliche Kodierungsverfahren verwendet. Wissen ist mit spezifischen Kategorisierungen, die bewusst und unbewusst ver-wendet werden, verflochten.
22
trakte Sprache zu ubersetzen. Boisot stellt zwar fest, dass lokales Wissen in vielen sei
ner Eigenschaften unkommunizierbar ist und stellt grundsatzlich den Nutzen persOnli-
cher und lokaler Wissensformen nicht in Frage. Er Mlt jedoch fest: Wissen, das in Or-
ganisationen zirkuliert, schafft einen grSBeren Nutzen. Insofem wird personliches, lo
kales Wissen, den objektivierbaren, abstrakten Wissensformen gegenubergestellt (vgl.
Boisot, 1995:130).
Boisot geht es hier darum, dass Organisationen nur dann neues Wissen schaffen und
sozusagen Lernen, wenn lokales Wissen, das in unkodifizierter, gering abstrahierter
und nicht-diffundierter Form vorliegt, in Wissensformen tibersetzt wird, die stark kodi-
fiziert sind und daran anschliefiend in abstrakte Sprache, d.h. allgemein verstSndliche
Begriffssysteme ubersetzt werden milssen, damit sie sich leicht verbreiten lassen. Ent-
sprechend verortet Boisot die Probleme in der Verbreitung von Wissen in erster Linie
in Zusammenhang mit den Auswirkungen unvereinbarer Interpretationskontexte, die
einen "Stqffwechser existierender Wissensformen blockieren; etwa wenn unterschied-
liche Kategorien und Klassifizierungen miteinander konkurrieren. In dieser Kon-
zeptionalisierung wird nicht-diffundiertes und diffundiertes Wissen gegentibergestellt.
(1) Nicht-diffundiertes Wissen ist eingebettet in die personliche Erfahrung einzelner
Individuen, entweder well es schwer mSglich ist, spezifische Erfahrungen auszuspre-
chen Oder weil diese Erfahrungen in einen Wissensvorrat eingebettet sind, der selbst
nicht bewusst ist und nicht artikuliert werden kann (Berger und Luckmann, 1984;
Schutz, 1972). Beispiele dafiir k^nnen spezifisches Know-how und ganz konkrete Er
fahrungen einzelner Arbeitnehmer sein, die sie im Rahmen ihrer TStigkeit erwerben
und die in organisational Routinen eingebettet sind. Es ist dies das praktische Wissen
iiber die konkrete Verwendung von Werkzeugen in spezifischen Arbeitssituationen. In
Organisationen ist diese Form des Wissens keinesfalls nutzlos, sondem im Kontext der
Organisation der Wissensarbeit ist es schwer ubertragbar und entzieht sich der kon-
textunabhangigen Reproduktion. Der interessante Aspekt ist in diesem Zusammenhang
der, dass die kontextunabhSngige Reproduktion dieser Wissensformen zum Teil sehr
zeitaufwendige soziale Interaktion in kleinen Arbeitsteams verlangt, damit dieses Wis
sen innerhalb von Gruppen transferiert werden kann.
(2) Diffundierbares Wissen kann hingegen mit anderen Organisationsmitgliedem sehr
viel einfacher geteilt werden. In der Regel ist dieses Wissen Faktenwissen, wie z.B.
explizite Gebrauchsanweisungen und Anleitungen zur Verwendung und zum Ge-
brauch von Maschinen und Apparaten. Es handelt sich dabei um systematisiertes
23
Wissen. Bin Beispiel dafur ist die chemische Zusammensetzung eines Impfstoffes, die
fur jeden Chemiker verstandlich ist. Fur solche Formen des Wissens zeigen Organisa-
tionen eine besondere Praferenz und Nachfrage. Die Anwendung dieses systemati-
sierten Wissens selbst ist aber verbimden mit kontextspezifischen Fahigkeiten, mit
einem Know-how, das als implizites Wissen verstanden wird. Beispielsweise ist die
Herstellung des Impfstoffs ohne die Beherrschung komplexer Produktionsverfahren
nicht so ohne weiteres durchfUhrbar.
Bei der Unterscheidung zwischen diffundierten und nicht-diffundierten Wissensfor-
men wird deutlich, dass Wissensformen zwar immer persSnliche, d.h. individuelle
Wissensformen sind, aber in ihrer Entstehung von der sozialen Umwelt gepragt wer-
den (Scheuble, 1998:18). DefmitionsgemaB sind diffundierte Wissensformen perma
nent einer eigenmachtigen, souverSnen und eigensinnigen Gestaltung und Manipula
tion ausgesetzt, soweit das in Organisationen zugelassen wird und damit grundsatzlich,
so Boisot, der Rohstoff des Lemens in einer Organisation.
1.1.4. Der I-Space (I-Information) oder soziale Lernzyklus
Wie in der folgenden Abbildung 2 zu sehen ist, bilden die Dimensionen Abstraktion,
Kodifizierung und Diffusion die drei Ebenen der Analyse im I-Space. Wird person-
liches, unkodifiziertes Wissen ausreichend kodifiziert und schlieBt daran ein Prozess
der Abstraktion an, diffundiert groBteils kontextgebundenes und lokales Wissen in der
Organisation (Boisot, 1998:60). Konkretes personliches Wissen, eingebettet in organi
sational Routinen, befindet sich in diesem dreidimensionalen Modell, dargestellt in
der Abbildung 2 im vorderen Bereich, rechts unten. Abstraktes, kodifiziertes und stark
diffundiertes Wissen ist in der Abbildung im hinteren Bereich links oben lokalisierbar.
Eine Entwicklung von Wissensformen, die im dreidimensionalen Raum rechts unten
im vorderen Feld lokalisierbar sind, hin zu Wissensformen im vorderen Bereich links
oben, bildet den Idealfall einer Konversion von pers5nlichen und lokalen Wissensfor
men in artikuliertes, systematisiertes Wissen, das jedoch noch nicht diffundiert ist.
Wird dieses Wissen, z.B. in Organisationen weiterverbreitet, so wandert es vom vorde
ren Bereich links oben in den hinteren Bereich des dreidimensionalen Raums.
Boisot argumentiert nun, dass sich fiir einen vollstSndigen Lernzyklus dieser kreisfbr-
mige Verlauf fortsetzen muss. Die einzelnen Phasen sind als sequentieller Prozess dar
gestellt, die im I-Space entlang der Dimensionen Kodifizierung, Abstraktion und
Diffusion analysiert werden. Ein vollstandiger Lernzyklus besteht aus sechs aufein-
ander aufbauenden Schritten. Im I-Space verlauft dieser Zyklus im Uhrzeigersinn. In
24
der folgenden Abbildung ist ein vollstandiger Lemzyklus im dreidimensionalen I-
Space nachgezeichnet. Als Ausgangspunkt im sozialen Lemzyklus wird Wissen als
konkrete pers5nliche Erfahrung im dreidimensionalen Raum im vorderen Feld rechts
unten generiert (Boisot, 1995:187). Dieses Wissen ist lokales, idiosynkratisches und
auf alien drei Ebenen, bezogen auf den Abstraktionsgrad, Kodifikationsgrad und
Diffusionsgrad, auf der untersten Stufe der AusprSgung. Die generelle These von
Boisot (1995:186f.) in diesem Zusammenhang lautet, dass die V/QitQrbewegung auf
dieser Stufe des sozialen Lemens, entlang der skizzierten Schleife, von Punkt X, der in
der Abbildung pers5nliches, lokales Wissens anzeigt, nur tiber einen zunehmenden
Kodifizierungs- und Abstraktionsgrad im I-Space stattfmdet. Wird der Kodifizierungs-
und Abstraktionsgrad erhoht, kann Wissen diffundieren und es bewegt sich in einer s-
fbrmigen Schleife nach oben iiber den als Punkt A gekennzeichneten Bereich zum
Punkt B.
Abbildung 2: Der kreisfBrmige Verlauf der Wissensproduktion (Boisot, 1998)
abstraktes, kodifiziertes und diffiindiertes Wissen
abstrakt
Kodfizierungsgrad
diffused
Abstraktionsgrad
Diffiissionsgrad
lokales personliches Wissen
25
Im Bereich A, bezogen auf den Wissensbestand einer Organisation, ist ein maximaler
Grad an Strukturgebung erreicht, der gleichzeitig ein Minimum an Entropie bedeutet.
Wissensformen auf der H6he von Punkt A werden in dieser Phase relativ schnell und
mit relativ geringem Aufwand difiundieren, wenn sie bestehende Wissensformen er-
gSnzen bzw. erweitem. Ist das der Fall, diffundiert Wissen in Richtung Punkt B.
Boisot nimmt nun an, dass nicht nur Wissensformen diffundieren, die bereits etablierte
WissensbestSnde ergSnzen, sondem zusehends Wissensformen, die gemeinsam und/
Oder in Konkurrenz zu bestehenden WissensbestSnden sich verbreiten. Dadurch be-
wegt sich der Wissensfluss in Richtung - des in der Abbildung eingezeichneten -
Punkt Y. An dieser Stelle emergieren verschiedene Wissensformen in der Organi
sation, die einen geringen Kodifizierungsgrad und einen geringen Abstraktionsgrad
aufweisen. Dadurch erhSht sich die Entropie bezogen auf die existierenden Wissensbe-
stande in der Organisation. Durch den hohen Grad an Unordnung im System wird es in
der Organisation mCglich, unterschiedliche, neue, nicht etablierte Wissensformen in
lokalen/konkreten Kontexten zu verwenden. Das auf dieser Stufe entstehende Wissen
ist schlieBlich wieder personliches, kontextgebundenes und spezifisches Wissen, das
einen geringen Kodifizierungsgrad, einen geringen Abstraktionsgrad und einen ge
ringen Diffusionsgrad aufweist. Boisot (1995:189) differenziert in seinem Modell des
sozialen Lemzyklus im I-Space mehrere aufeinander folgende und miteinander zusam-
menhangende Prozesse, die er in zwei Phasen unterteilt. Im Modell von Boisot wird in
Phase I Wert (value) von Wissen produziert. In Phase II des sozialen Lemzyklus wird
der organisationale Wert von Wissen realisiert.
Ein wichtiger Aspekt der das Ineinandergreifen der verschiedenen Phasen des organi-
sationalen Lemzyklus beeinflusst ist das AusmaB an organisationalem Freiraum
(Slack), den sich eine Organisation leistet oder leisten kann. Die Frage stellt sich hier
also, wie viel Freiraum (organisational slack) die Organisation den singulSren "Daten
verarbeitenden Agenten" in den einzelnen Phasen gewahrt, damit Blockaden autonom
aufgearbeitet werden konnen. Davon hangt die Qualitat der Weiterverarbeitung von
Wissen in Organisationen ab. Die Produktion von neuem Wissen beginnt mit dem ge-
3 D. h. ein Entropiegrad in einem System von 0 entspricht einem Maximum an Ordnung in der Struktur des Systems. Ein Entropiegrad von 1 entspricht einem Maximum an Unordnung. In diesem Umfeld der Unordnung wird es nach Boisot nun mOglich, neues Wissen in etablierte Kodifizierungs- und Kategorisierungssysteme zu importieren.
26
zielten Durchsuchen von Datenmengen imd dem Herausfiltem von brauchbaren In-
formationen zur Losung konkreter Fragestellungen. Bereits auf dieser Ebene ist theo-
retische Arbeit zu leisten. Das im sozialen Lemzyklus implizierte Abarbeiten der ein-
zelnen Phasen ist in der Realitat ein stSndiges Vor und Zuruck und ein Hin und Her
zwischen den folgenden und vorangehenden Phasen im sozialen Lemzyklus. Dazu
benOtigen die informationsverarbeitenden Akteure Zeit und Raum, die ihnen jedoch im
Alltagsgeschaft nicht zugestanden werden.
Der organisatorische Wissensprozess beginnt (wie in der Abbildung 3 zu sehen ist) mit
der (1) Phase der Sondierung (S) von Datenmengen. Der Daten verarbeitende Agent
reduziert auf dieser Stufe die notwendige Menge an Daten durch den Prozess der
Kodifizierung. Dabei werden nur diejenigen Daten- und Informationsmengen bertick-
sichtigt, die fiir die (2) Phase der Problemstellung (p) relevant sind. Auf dieser Ebene
entscheidet sich, wieweit die Selektion und Filterung von Datenmengen eigenstandig
in Bezug auf den Kontext der konkreten Problemstellung erfolgt, oder als ein hetero-
nomer, d.h. fremdbestimmter Prozess voUzogen wird. Mit der Phase (p) beginnt die
eigentliche Beschaftigung mit der Losung von Problemen. Sind ausreichend befriedi-
gende Losungen gefunden, so werden diese Losungen auf der nachsten Stufe in eine
abstrakte systematisierte Sprache iibersetzt (at). Zusammengefasst sind die drei Phasen
s, p, at (Phase I) der Prozess der Wissensgenerierung in der Untemehmung.
27
Abbildung 3: Die sechs Lemstufen im I-Space (Boisot, 1998)
abstraktes, kodifiziertes und difflindiertes Wissen
Kodfizierungsgrad
diffused
Diffussionsgrad rfcodifizierl
abstrakt konkret\
Abstraktionsgrad
lokales personliches Wissen
In der Phase II des sozialen Lemzyklus, die aus den Stufen d (Diffusion), ar (absorp
tion) und I (Impakt) besteht, wird existierendes Wissen verwertet (Boisot, 1995:189).
Die Verwertung ist dann erfolgreich, wenn lokale Wissensformen kontextunabhangig
in andere Organisationsbereiche diffundieren.
7.7.5. Institutionenokonomische Losungen speziflscher Defizite im sozialen Lemzyklus von Organisationen
Sowohl die fur die organisational Wissensproduktion notwendigen Prozesse der
Kodifizierung, Abstraktion und Diffusion, als auch der soziale Lemzyklus sind in
Organisationen nur denkbar als komplexe soziale Interaktion. Neben den drei zentra-
len Dimensionen (Kodifizierung, Abstraktion und Diffusion) und der Analyse des so
zialen Lemens als zyklisches Ineinandergreifen verschiedener Wissenstypen, greift
Boisots in seinem Wissensmodell zusatzlich eine wichtige Frage auf. Ftir ihn sind der
Erfolg der Verbreitung personlicher und lokaler Wissensformen und der gesamte Pro-
zess des Lemens nicht nur uber die epistemologischen Kategorien im I-Space zu er-
klaren. Ausgehend von den unterschiedlichen "Informationseigenschaften" der ver-
schiedenen Wissensformen (Boisot, 1998:125) zeigt er, dass unterschiedliche institu-
tionelle Govemance-Stmkturen Jewells idealtypischen Wissensformen in seinem
28
Modell entsprechen. Boisot unterscheidet hierbei vier institutionelle Arrangements,
nSmlich Markte, Biirokratien, Klan- und Patron-Klientel-Beziehungen.'* Auf welcher
Ebene jeweils welches institutionelle Arrangement den effizientesten Modus sozialer
Interaktion darstellt, ist in Abbildung 4 illustriert.
Abbildung 4: Verbreitung von Wissen und die entsprechende Institutionenform (Boisot, 1998)
BiirokratJe
F^trbn -Klientel
abstrakt , , , . ,*^onkret Abstraktionsgrad
.<r ^-^
LI.5.1. Markte
Auf Markten werden kodifizierte und abstrakte Informationen bereitgestellt, ohne dass
personliche Beziehungen zwischen KSufer und Verkaufer fur das Zustandekommen
und fur die Abwicklung der Transaktionen notwendig waren. Der Austausch von
Wissensaustausch auf Markten fmdet dann statt, wenn die Ubertragung der Wissens-
leistung tatsachlich vollstandig durchgefuhrt werden kann. Das schlieBt ein, dass die
Leistung durch die Preisinformation in einem ausreichenden AusmaB bewertet werden
Boisot verwendet den Begriff Fiefs in seinem Modell, der jedoch im deutschen korrekterweise als Feudalherr iibersetzt werden musste. Die sozialen Bindungen und Beziehungen, die er mit dem institutionellen Arrangement, das er Fiefs nennt beschreibt, lassen sich jedoch als Patron-Klientel-Be-ziehungen charakterisieren.
29
kann. Das ware der Fall in dem erwahnten Beispiel der chemischen Zusammensetzung
eines Impfstoffes. Im Grofien und Ganzen wtirde der Verkauf dieses Wissens keine
Probleme bereiten. Kaufpreis und Ubertragung lassen sich festschreiben und der
Schutz konnte durch Patentrechte gewahrleistet sein. Dartiber hinaus mussten KSufer
und Verkaufer keine gemeinschaftlichen Werte und kulturellen Eigenschaften teilen,
damit sie das iibertragene Wissensgut nutzen konnen. MOglicherweise wtirde sogar ein
kompetitiver Preis fur diese Form des Wissens festzumachen sein.
Markte als Institutionen werden als effizientes Instrument betrachtet, wenn die mit der
Ubertragung notwendigen verfUgungsrechtlichen Eigenschaften von Wissen im
Rahmen vollstandiger Vertrage geklart werden. Lasst sich also der Austausch von
Wissensleistungen durch Vertrage vollstandig regeln, konnen Mangel festgestellt
werden und ist es moglich, vereinbarte aber nicht gelieferte Leistungsbestandteile fest-
zustellen und einzufordem, dann sind MSrkte effiziente Institutionen in der Uber
tragung von Wissen.
Beim Kauf einer Idee besteht ftir den KSufer jedoch bereits ein hohes Risiko, ob tat-
sachlich z. B. eine Nachfrage existiert. Grundsatzlich wird der Kaufer einer Produkt-
idee dieses Risiko mit dem Verkaufer teilen. Das ist okonomisch kein Problem. Aber
in diesem Fall musste bereits eine auf Dauer angelegte Bindung zwischen Kaufer und
Verkaufer eingerichtet werden. Ein Vertrag uber den Verkauf einer Produktidee wtirde
moglicherweise nur dann zustande kommen, wenn keine allzu hohen Informations-
asymmetrien zwischen Verkaufer und Kaufer existieren. Je unvollkommener Markte,
umso wahrscheinlicher werden Tauschakte nur dann zustande kommen, wenn
zwischen Kaufer und Verkaufer von Wissen langerfristige Beziehungen etabliert
werden. Wenn das nicht der Fall ist, mtissen andere institutionelle Formen gefunden
werden. Im dreidimensionalen I-Space werden Markte im hinteren Bereich links oben
lokalisiert (Boisot, 1998:127).
1.1.5.2. Burokratien
Btirokratien werden als effiziente Institution im Fall von kodifizierten und abstrakten
Wissensformen betrachtet, bei denen keine personlichen Beziehungen notwendig sind,
um den Austausch und die Diffusion von Wissen in Gang zu setzen. In Btirokratien
sind kodifizierte und abstrakte Wissensformen nur beschrankt verbreitet und werden
zentral verwaltet und koordiniert. Der Wissensfluss wird in Hierarchien durch
Weisungen und Anordnungen koordiniert (Boisot, 1998:127). In Btirokratien besteht
30
nicht die Notwendigkeit gemeinsame Werte und kulturelle Eigenschaften zu teilen.
Bin GroBteil der Unsicherheit auf Markten - ganz im Sinne von Williamson (1985) -
soil von Burokratien abgefangen werden. Wie Markte sind BUrokratien abhangig von
ausreichend kodifizierten und abstrakten Informationen (z.B. Bilanzkennzahlen). Da
Boisot (1995:245) von der Uberlegung ausgeht, dass Informationen eine naturliche
Tendenz haben sich zu verbreiten, soweit sie ausreichend kodifiziert und abstrahiert
sind, wird die Btirokratie als Instrument eingesetzt, kiinstliche Schranken einzurichten,
um den freien (nicht-kontroUierten) Wissensfluss zu regulieren. Btirokratie ist insofem
ein Instrument mit dem Wissensfltisse reguliert, kontrolliert und eine als schadlich
eingestufte Verbreitung von Informationen oder Wissen eingeschrankt werden kann.
In Btirokratien ist ein freier Informationsfluss nicht immer wtinschenswert, und es ist
Aufgabe einer effizienten Organisationsgestaltung, den Informationsfluss zu regu
lieren. Das wichtigste Instrument hierzu ist die arbeitsteilige Hierarchic. Das entspricht
der Vorstellung von Weber (1922), der in der Btirokratie ein Instrument zur rationalen
Steuerung von Informationen sieht. Die Zuschreibung von Kompetenz ist in der btiro-
kratischen Organisation ein Instrument der KontroUe von Wissensfltissen. Damit wird
gewShrleistet, dass tatsachlich nur diejenigen die Informationen bekommen, far die sie
bestimmt sind. Damit wird gleichermaBen sichergestellt, dass einzelne Ebenen in der
Organisation gezielt mit Informationen versorgt werden und andere davon ausge-
schlossen. Das funktioniert in Hierarchien nicht immer besonders gut, aber sehr viel
besser als auf Markten.
Ein weiteres Kriterium in Organisationen, Informationsfltisse zu regulieren, ist der
privilegierte Zugang zu Informationen, um den missbrauchlichen Umgang damit ein-
zuschrSnken. Die hier genannten Eigenschaften werden von Boisot (1995:247f.) als
Requisiten der Kontrolle klassifiziert, die in die formalen und informalen Strukturen
der btirokratischen Organisation eingebettet sind. Die Werte der btirokratischen Orga
nisation wie Stabilitat, Hierarchic, Aktenmafiigkeit, Vollzug von Gesetzen und An-
ordnungen und die Ausschaltung der Willktir einzelner Akteure sind Prinzipien, die
der Effizienz von Anordnung und Unterordnung dienen.
Boisot (1995:250) versteht die Btirokratie als Werkzeug der "Nicht-Verbreitung" von
Wissen. Anzumerken ist hier, dass Burokratien in ihrem strengen Entwurf (Weber,
1922) gar nicht konzipiert sind, Wissen zu produzieren, sondem dazu, den Vollzug
von Anordnungen zu gewShrleisten. Btirokratien sind nicht konzipiert, um den Zweck
von Anordnungen zu reflektieren, sondem den angeordneten Aufgabenvollzug umzu-
31
setzen. Die Burokratie ist also kein Organisationsdesign, das zur Produktion von
Wissen geeignet ist, sondem zum Vollzug von Anordnungen. Wer also im Rahmen
des Wissensmanagements die Steuerung der Wissensverteilung als zentrale Aufgabe
begreift, wird mit den hier erwahnten "Eigenschaflen der Burokratie"^ konfrontiert
werden. Im I-Space sind Burokratien im vorderen Bereich links oben lokalisiert
(Boisot, 1998:127).
LL5.3.Klan
Der Klan mit seinen verwandtschafllichen sozialen Bindungen wird von Boisot
(1998:132) als Institution klassifiziert, mit der personliche, unkodifizierte und kon-
krete Wissensformen uber face-to-face Beziehungen effizient ausgetauscht werden.
Klanstrukturen zeichnen sich gegeniiber MSrkten und Burokratien dadurch aus, dass
sie Werte und kulturelle Glaubensgrundsatze teilen. Aufgrund der engen verwandt
schafllichen Bindungen wird der Klan als Instrument gesehen, mit dem die Diffusion
von Wissen kontroUiert werden kaim, ohne die chronischen Defizite der Btirokratie zu
ubemehmen. Im Klan sind AutoritSten und Kompetenzen klar markiert.
Bin Klan ist eine soziale Gruppe, deren IdentitSt und Beziehungen sich uber familiSre
Bindungen defmieren. Klans werden defmiert als Gruppen, die uber Heirat verbunden
sind und die auf der Basis gemeinsamer kultureller Erfahrungen zusammenarbeiten.
Innerhalb dieser Gruppe gibt es Hierarchien, der soziale Zusammenhalt ist jedoch sehr
viel groBer als in MSrkten und in Burokratien. AuBerhalb dieser Gruppen wird Infor
mation nur begrenzt verbreitet. Zwischen "Insidem" fmdet ein intensiver Austausch
statt, vorwiegend aufgrund der hohen Affmitat in der Gruppe, dadurch entstehen sehr
eng miteinander verkntipfte Wissensvorrate gemeinsamer Lebenswelten der Klanmit-
glieder. Die einzelnen Klanmitglieder sind uber persOnliche Bindungen miteinander
verknupft. In der Kegel existieren ein oder mehrere patemalistische Patriarchen, die
uber die gegenwartige und zukunftige Verwendung der existierenden Ressourcen ent-
scheiden. Ausbildung und Aufgaben werden auf einzelne Klanmitglieder verteilt, das
Risiko tragt der Klan.
5 SchreyOgg greift folgende Merkmale der Burokratie heraus: (1) strikte Regelgebundenheit der Amts-flihrung; (2) Abgrenzung von Autoritat und Verantwortung; (3) festgelegtes System der Uber- und Unterordnung (Hierarchie); (4) AktenmaBigkeit der Organe; (5) sachgemaBe Entscheidungsregeln; und (6) fachlich ausgebildete Sachbearbeiter (SchreySgg, 1999:35).
32
Sind bei bestimmten Wissensformen die damit verbundenen Informationsasymmetrien
unuberwindbar, findet z. B. auf MMrkten kein Leistungsaustausch statt. Der Klan ver-
teilt diese Effekte auf die gesamte Gruppe und federt so das Risiko bei einzelnen
Transaktionen ab. Der Austausch von Wissen uber die Klangrenzen hinweg bereitet
Probleme (vgl. Banfield, 1958).
Bezogen auf den Austausch von Wissen argumentiert Boisot (1995:250), dass sich der
im Uhrzeigersinn fortlaufende Zyklus von Schaffung und Verteilung von Wissen in
seiner Entwicklungsrichtung umkehrt, wenn innerhalb von Organisationen keine dem
Klan entsprechenden institutionellen Arrangements existieren. Klanstrukturen im Ver-
standnis von Boisot lassen sich mit der Funktion von Communities of Practice ver-
gleichen, wenngleich die sozialen Bindungen innerhalb von Communities of Practice
als sehr viel schwacher einzustufen sind (Wenger, 2001). In Klanstrukturen ist inter-
personales Vertrauen eine wichtige Voraussetzung stabiler sozialer Strukturen. Die
Institutionenform des Klans ist im dreidimensionalen I-Space von Boisot (1998:126)
im hinteren Bereich rechts unten zu lokalisieren.
1.1.5.4. Fiefs (Patron-Klientel-Beziehungen)
Fiefs, im iibertragenen Sinn verstanden als dyadische Beziehung zwischen Patron und
Klientel, werden als Gegenstuck zum Markt im I-Space eingeordnet. In Patron-
Klientel-Strukturen wird unkodifiziertes und konkretes Wissen ausgetauscht. Die Ver-
breitung des Wissens ist gering und durch face-to-face Kommunikation vermittelt. Die
Beziehungen in Patron-Klientel-Strukturen werden als feudal und/oder charismatisch
bezeichnet (Boisot, 1998:127). Der Austausch von Wissensformen findet innerhalb
fester personlicher Bindungen statt. Innerhalb dieser Bindungen existiert eine ein-
deutige Hierarchic. Patron-Klientel-Strukturen charakterisieren sich durch gemein-
6 Hall (1990) unterscheidet Klans, die in High-Kontext-Kulturen (HKK) und Low-Kontext-Kulturen (LKK) leben. FUr den Austausch idiosynkratischen Wissens wOrden sich demnach High-Kontext-Kulturen besser eignen als Low-Kontext-Kulturen, well sie lokales, konkretes, unkodifiziertes Wissen in einem geringeren AusmaB artikulieren mUssen, damit es verbreitet wird. In High-Kontext-Kulturen wird die Kommunikation als komplex, multidimensional und subtil bezeichnet (Hall, 1990). Insofem muss nicht jedes Detail erklart oder angesprochen werden, sondem wird tiber den Kontext der Kommunikation eingebettet. Low-Kontext-Kulturen orientieren sich hingegen am selektiven Gebrauch kodifizierter, abstrakter Informationen, die klar und einfach mitzuteilen sind. Low-Kontext-Kulturen wiirden also kodifizierte und abstrakte Wissensformen effizienter verbreiten, weil sie in unper-s5nlichen Kommunikationssituationen Informationen gut ubermitteln (vgl. Hall, 1990; Boisot, 1995)
33
same Werte und Glaubenssysteme. Boisot argumentiert, dass in all jenen Fallen, in
denen Markte, Burokratien und Klanstmkturen keine effizienten Strukturen bereit-
stellten, um nicht-kodifiziertes, lokales und konkretes Wissen weiterzugeben, die per-
sonliche Abhangigkeit zwischen Patron-Klientel der Modus sei, um Know-how und
schwer mitteilbares Wissen zu iibertragen.
Die Beziehung zwischen Meister und Geselle ist ein Beispiel fiir eine Patron-Klientel-
Beziehung, in der durch enge personliche Beziehungen idiosynkratische Wissensfor-
men gelemt und weitergegeben werden. Uber die Patron-Klientel-Beziehung hinaus ist
der Austausch jedoch problematisch und Wissen diffundiert nur durch die AuflQsung
der Bindung zwischen Patron und Klientel. Damit diese AuflOsung nicht stattfmdet,
werden sehr oft soziale und wirtschaftliche Abhangigkeiten eingerichtet, die als Not-
wendig erachtet werden, um wirtschaftliche Einheiten, z. B. Familienuntemehmen, zu-
sammenzuhalten (North, 1990).
Fiefs geniefien soziale Akzeptanz, solange sie sich gegeniiber ihrer Klientel fair ver-
halten. D.h. solange sie durch ihre wirtschaftlichen Eigeninteressen die reziproken
Verpflichtungen nicht verletzen. Die Akzeptanz von Autoritat wird uber loyale Fa-
milienmitglieder oder tiber loyale Klientel produziert, die ihrerseits nur dann diese
AbhSngigkeit als legitim erfahren, wenn ihre eigenen wirtschaftlichen und sozialen
Interessen befriedigt werden. In Patron-Klientel-Beziehungen existieren kaum Infor-
mationsasymmetrien, es existieren jedoch soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten.
Im dreidimensionalen Raum des I-Space von Boisot (1998:127) sind Fiefs (bzw. die
Patron-Klientel-Strukturen) im vorderen Bereich rechts unten lokalisiert.
7 In den Kulturwissenschaften und in der Ethnologic ist die von Boisot getroffene Unterscheidung nicht neu. Ruth Benedict, Margret Mead, George Bateson und Mary Douglas haben an ahnlichen kon-zeptionellen Ansatzen gearbeitet. Fiir sie stand allerdings nicht der Aspekt der Kontrolle und des Zu-griffs auf Wissen im Vordergrund, sondem die Frage, wie archaische Gemeinschaften ihre Beziehungen regulieren. Die fiir mich wichtige Unterscheidung, die in den genannten AnsStzen getroffen wird, ist die zwischen anonymen und persOnlichen identitatsstiftenden Sozialisationsstrukturen. Mary Douglas (1996) hat in ihrem Buch "Natural Symbols" die Beziehungen zwischen Wertesystemen und Kosmologien verschiedener sozialer Gruppen untersucht. Sie zeigt, dass in Familienstrukturen Werte, Glaubenssysteme, Regeln des Anstandes etc. und ihre Formen der Sanktionierung des Missbrauchs und der Weiterverbreitung (Sozialisation) kausal zusammenhSngen.
34
In der folgenden Tabelle sind die Informations- und Institutioneneigenschaften von
MSrkten, Burokratien, Kians und Patron-Klientei-Beziehungen noch einmal iiber-
sichtlich zusammengefasst.
Tabelle 1 Informationseigenschaften \ Attribute
Soziale Be-ziehungen Untemehmensform Informationseigen-schaften Kodifikation Abstraktion Diffusion Bedeutung gemein-samer Werte und Normen Koordinations-mechanismus
Markt
UnpersSnlich
Divisional
Hoch Hoch Hoch Gering
Selbstregulie-rend
irnd die entsprechende BUrokratie
Unpersdnlich
Funktional
Hoch Hoch Gering Gering
Hierarchie Weisung
Institutionenform Klan
PersOnlich
Netzwerk
Mittel Mittel Mittel Mittel
Verhandlung
Patron-Klientel-Beziehungen (Fiefs) Pers6nlich
Start-up
Gering Gering Gering Mittel bis Hoch
Loyalitat
Quelle: Boisot, 1998:145-151.
Exkurs implizites und explizites Wissen
Die Frage, inwiefem ein sozialer Kontext fiir die Schaffung und Verbreitung von
Wissen eine wesentiiche Voraussetzung darstellt, hSngt mit der jeweiligen Definition
und mit dem verwendeten VerstMndnis von Wissen zusammen. Wird, wie Schneider es
fordert, stillschweigendes, also implizites Wissen nicht ais Gegensatz zum expliziten
Wissen gefasst, wie dies "ein Gutteil der Wissensmanagementiiteratur tut" dann muss
"Wissensmanagement ...daher nicht nur Management des Wissens (z.B. Artikulation
bisher nicht artikulierter Erfahrungen), sondem vor allem auch Management des kom-
munikativen Kontexts" sein (Schneider, 2002b: 10). Und wenn "organisationales Wis
sen als komplexes, verteiltes" Wissen betrachtet wird, muss "die soziale Dynamik der
Organisation, der Einfluss von Raum und Zeit und die individuellen Lemgeschichten
der Organisationsmitglieder ins Spiel" (Schneider, 2002b: 15) gebracht werden. Damit
dies auch tatsachlich passiert, mussen die Betroffenen in Beziehung treten, und diese
Beziehung muss umso starker sein, so die Uberlegung, je weniger greifbar und je
weniger artikulierbar das Wissen, das vermittelt und ausgetauscht werden soil, ist.
Scheuble (1998) stellt in seiner Dissertation den Zusammenhang zwischen impliziten/
expliziten und artikulierten, artikulierbaren und transferierbaren Wissen folgender-
maBen dar. Er versteht in der Kategorisierung explizites Wissen als Teil von artiku-
35
lierten und artikulierbaren Wissensformen; alle drei Wissensbegriffe sind Bestandteil
des impliziten Wissens. Polanyi wiirde sogar von einem konstitutiven Teil sprechen
(1957). Transferierbares Wissen selbst uberschneidet sich mit artikulierbaren, artiku-
lierten und expliziten Wissensformen. Diese Kategorisierung dient Scheuble (1998:24)
dazu, den Unterschied herauszustreichen, inwieweit Wissen artikulierbar ist und in
Sprache iibersetzt werden kann. Scheuble geht hierbei von folgender Uberlegung aus,
nSmlich dass die Fahigkeit Wissen zu artikulieren, den Sender betriffl und die Fahig-
keit Wissen aufzunehmen den Empf^ger. Dabei ist fur den Empfanger die Frage
wichtig, inwieweit er das artikulierte Wissen als explizites aufnehmen, d.h. in erster
Linie auch verstehen kann. In einer Organisation ist jedoch nicht nur die Artikulation
von Wissen bedeutsam, sondem eben auch die Transferierbarkeit (Scheuble, 1998:27).
Mit diesen Fragen der Ubermittlung von Wissen in Organisationen hat sich auch
Szulanski (2003) beschaftigt. Er stellt deutlich fest: "The transfer of knowledge within
the firm takes time, sometimes as much as three years, and incurs costs and un
certainty..." (Szulanski, 2003:11). Wissenvermittlung in Organisation ist also nicht nur
sehr zeitaufwendig, sondem auch von einer ganzen Reihe spezifischer organisationaler
Faktoren beeinflusst. Szulanski identifiziert in seinen Arbeiten sieben Pradiktoren, die
den Transfer von Wissen bestimmen. Pradiktor (1) ist die kausale Ambiguitat,
Pradiktor (2) ist der fehlende Beweis, dass das Wissen niitzlich ist, Pradiktor (3) die
fehlende Motivation der Quelle Wissen zu transferieren, Pradiktor (4) fehlende Glaub-
wiirdigkeit der Quelle, Pradiktor (5) fehlende Motivation des Rezipienten, Pradiktor
(6) fehlende AufhahmefMhigkeit des Rezipienten und Pradiktor (7) fehlende Fahigkeit
des Rezipienten, das Wissen zu behalten (Szulanski, 2003:25-32). Transferiert und
produziert wird dieses Wissen jedoch immer in einem sozialen Kontext und durch
soziale Interaktion, so eine zentrale Uberlegung in dieser Arbeit.
Polanyi (1957) hat auf einen weiteren wichtigen Aspekt hingewiesen. In seiner Er-
klarung der beiden Wissensformen explizit und implizit, hat er mit Nachdruck argu-
mentiert, dass auf verschiedenen Ebenen die Schaffung von implizitem und explizitem
Wissen untrennbar miteinander verbunden ist und das eine nicht vom anderen zu
trennen ist (siehe Gill, 2000:39). Daran anschliefiend charakterisieren Nonaka und
Takeuchi implizites Wissen als "personliches, kontext-spezifisches und daher als
schwer zu formalisierendes und kommunizierendes Wissen" (Nonaka und Takeuchi,
1995a:59). Und sie unterstreichen: „Having an insight or a hunch that is highly per
sonal is of little value to the company unless the individual can convert it into explicit
knowledge, thus allowing it to be shared with others in the company" (Nonaka und
36
Takeuchi, 1995a: 11). Der intuitive und subjektive Charakter von impliziten Wissens-
fonnen macht es schwierig sich dieses Wissen systematisch anzueignen. Um dieses
Wissen zu kommunizieren muss es in Worte oder Zahlen konvertiert werden, die
jedermann versteht. Implizites Wissen wird nach Nonaka und Takeuchi mithilfe von
Metaphem, Analogien und figurativen Bildem kommuniziert. Explizites Wissen hin-
gegen ist grundsatzlich eindeutig und mithilfe fonnaler Sprachen kommunizierbar.
Nonaka und Takeuchi greifen in ihrer Unterscheidung zwischen impliziten und expli-
ziten Wissensformen auf die Arbeiten von Polanyi (1957) zuriick. Der Begriff impli
zites Wissen wird von Polanyi (1957) favorisiert, jedoch nicht in dieser scharfen ge-
genseitigen Abgrenzung. Ganz im Gegenteil zeigt Polanyi in seinen konzeptionellen
Uberlegungen, dass sowohl implizite als auch explizite Wissensformen sich jeweils
gegenseitig erganzen. Polanyi spricht von Interpenetration und Intersektion (1957)
dieser beiden Wissensformen und unterstreicht explizit die Verbundenheit und Zu-
sammengehorigkeit beider Wissenstypen. Bei Reber (1989) ist implizites Wissen inzi-
dentiell, d. h. es wird produziert bzw. akkumuliert ohne Intention und das Ergebnis des
impliziten Lernens ist keine bewusste Wissensbasis. Nur ein sehr geringer Teil des
Wissens lasst sich artikulieren. Dennoch iibertragt eine ganze Reihe von Wissens-
managementkonzepten diese Polarisierung beider Wissenstypen in ihre Konzeptionen
und etliche Konzepte, die sich mit dem Management von Wissen beschaftigten,
schreiben diese Polarisierung fest.
2. Hedlunds konzeptionelle Skizze der N-Form als Modell des Wissensmanagements
Vor dem Hintergrund der Debatte uber die effiziente Organisationsgestaltung be-
schaftigt sich Hedlund (1994), in einem Essay, das auf Vorarbeiten mit Nonaka (1991)
zuriickgeht, mit Fragen des Wissensmanagements. Fur ihn ist dabei die Frage von Be-
deutung, wie es einer Organisation gelingt, den Grofiteil ihres in organisational
Routinen eingebetteten Wissens, bereichsubergreifend zu nutzen. Dabei konzentrieren
sich seine Uberlegungen, die er im Grenzbereich von Organisationstheorie, Organisa-
tionsokonomik und Strategieforschung ansiedelt, auf die Frage des Organisations-
designs.
2.1. Artikuliertes und stillschweigendes Wissen (tacit knowledge) und die Interaktion von Individuen und Gruppen
Neben der bekannten Typologisierung von impliziten (tacit) und artikulierten {explicit)
Wissensformen in der Untemehmung (vgl. Nonaka und Takeuchi, 1995a; Choo, 2002;
37
Schneider, 2002b) entwickelt Hedlund (1994) das Modell der N-Form (N steht fiir
Neu) als Gegenentwurf zur M-Form (M steht fur multidivisionale Organisationsform).
Ausgangspunkt seiner tfberlegungen bilden Wissensformen einer Organisation, die
eingebettet sind in die tagliche Praxis und in Fertigkeiten von Arbeitsgruppen.
Hedlund geht in seinem Ansatz, den er als neues Organisationsmodell versteht,
welches der Generierung und Verbreitung von wissensintensiven Leistungen gerecht
werden soil, auf die zentrale Frage ein, wie die Transformation und der Austausch von
nicht-artikulierbaren und artikulierten Wissenstypen in einer Organisation verbessert
werden kann. Fiir ihn ist also die Frage von Bedeutung, wie in Organisationen impli-
zites Wissen, soweit es artikulierbar ist, transferiert werden kann.
Hedlund ubemimmt die Unterscheidung zwischen impliziten und artikulierten, also
expliziten Wissensformen auf und stellt fest, dass in Organisationen und (iber Organi
sationen hinausgehend, ein groBer Teil des impliziten Wissens in Produkte und
Leistungen eingebettet ist und so an andere Untemehmensbereiche weitergereicht
wird. Wissen, das allerdings nicht in Produkte und Dienstleistungen eingeht, die von
anderen Untemehmensbereichen als Vorleistungen verarbeitet werden, bleibt relativ
immobil. Deshalb geht es darum, wie in Organisationen dieses Wissen weiterver-
arbeitet und in vor- oder nachgelagerten Leistungserstellungsprozessen auch genutzt
werden kann. Hedlund sieht das Problem der Diffusion primSr darin, wie von ein-
zelnen Bereichen Wissen in andere Untemehmensbereiche iibertragen werden kann.
Als Antwort entwirft er eine Strategic, auf der von der Ebene des Individuums, iiber
Arbeitsgruppen und von der Arbeitsgruppe in andere Bereiche implizites Wissen trans
feriert werden soil. Die Stufen auf denen der Austausch von verschiedenen Wissens
typen favorisiert werden soil, sind die Ebene der sozialen Interaktion zwischen Indi-
viduen, der Austausch von Wissen in Gruppen im Zuge der sozialen Interaktion, die
Verteilung von Wissen in der Organisation als Ganzes und der organisationsuber-
greifende Austausch von Wissen. Transferprobleme von Wissen identifiziert Hedlund
zwischen Individuen, innerhalb von Gruppen, zwischen Gruppen und zwischen Orga
nisationen. Die Grtinde dafiir werden aber nicht erlautert. Das mag mit seinem Ver-
standnis von impliziten und expliziten Wissenmodi zu tun haben.
Die Entstehung von Wissen begreifl Hedlund als einen Austauschprozess zwischen
impliziten und expliziten Wissensformen. Auf den organisationalen Ebenen themati-
siert Hedlund dabei die jeweils fiir diesen Prozess notwendigen sozialen Interaktions-
formen. Diese sozialen Interaktionsformen identifiziert er als Formen der Intemali-
sierung, der Reflexion und des Dialogs. Hedlund behauptet, dass zwischen Individuen
38
implizites Wissen im Zuge der Sozialisation neuer Mitglieder und uber die Inter-
nalisierung praktizierter organisationaler Routinen ubertragen wird. In sozialen
Gruppen selbst, so Hedlund, wird die Ubeitragung impliziter Wissensformen durch
kongeniale Reflexionsfahigkeit bestimmt. Der Transfer von Wissen zwischen
einzelnen organisationalen Gruppen wird uber in Gang gesetzte Prozesse der Dialogi-
sierung in einer Organisation realisiert. Einmal davon abgesehen, wie tatsachlich diese
soziale Interaktion umgesetzt werden kann, sieht Hedlund als einer der ersten in der
Literatur zum Management des Wissens in komplexen multidivisionalen Unter-
nehmen, dass jedes Untemehmen mikroorganisationale und kontextuelle Bedingungen
schaffen muss, um den Transfer impliziter Wissensformen zu fordem.
Bei Hedlund (1994:75) wird also die Frage der Transferierbarkeit von Wissen mit
einer spezifischen Qualitat der Kommunikation und der sozialen Interaktion in einer
Organisation verzahnt. Diesen Schwerpunkt auf qualitative Aspekte legt er deshalb,
well er den GroBteil des Wissens in Untemehmen als organisational Routine inter-
pretiert, die in bereichsspezifische Verfahren und in sozialen Praktiken, eingebettet ist.
Dieses Wissen ist inzidentiell und implizit, so gesehen Know-how, also Wissen, wie
man eine Sache praktisch verwirklicht oder anwendet (Cyert und March, 1963; Nelson
und Winter, 1982; Teece, 2001:125f). Da diese Form des Wissens nicht so ohne
weiteres artikulierbar ist, kann es nur iiber kontextgebundene und personliche soziale
Beziehungen oder gruppendynamische Kommunikationsformen (dem Dialog) er-
schlossen werden. Insofem grenzt Hedlund implizites Wissen nicht mehr auf persSn-
liches oder individuelles Wissen ein, sondem verwendet den Begriff auch fiir koUek-
tive Wissensformen, was im Weiteren von daran anschliefienden Arbeiten aber nicht
mehr aufgegriffen wird.
Individuelles Wissen wird dementsprechend nicht in eine strikte Opposition zum orga
nisationalen Wissen gesetzt. Es geht vielmehr darum, das koUektive Wissen in
mehreren verschiedenen Untemehmensbereichen anzuwenden. Hedlund iSsst weniger
stark als Boisot (1995) den ambivalenten Zusammenhang zwischen individuellen und
organisationalen Wissensformen auf die Konstruktion seines Modells durchschlagen.
Das gelingt ihm vielleicht gerade deshalb, weil er die von ihm herausgestellten quali-
tativen Eigenschaften, wie die Intemalisierung auf individueller Ebene, die Re
flexionsfahigkeit in Gruppen und die Dialogfahigkeit der Organisation mit der An-
eignung und Ausweitung bestehender Wissensformen in Zusammenhang sieht. In
diesem Zusammenhang stellt Hedlund ausdriicklich fest: "that the texture of social
ecology matters a great dear (Hedlund, 1994:75).
39
2.1.1. Organisationsubergreifende Formen des Wissenstransfers
Hedlund differenziert drei Formen des inter- und intrafirmalen Wissenstransfers in der
Untemehmung. Erstens wird durch den Verkauf von Produkten Wissen verauBert und
tiber Organisationsgrenzen hinaus verbreitet. Zweitens wird durch Lizenzierungen
Wissen an Dritte weitergeben. Und drittens werden durch Direktinvestitionen voll-
standige ''sets of skills" transferiert. Mein Interesse gilt jedoch den organisations-
intemen Prozessen mit denen Hedlund den Transfer von Wissen verbindet.
2.1.2. Internalisierung
Im Hinblick auf den problematisierten Wissenstransfer in der Organisation selbst
unterscheidet Hedlund, wie bereits erwahnt, die Internalisierung, die Reflexionsfahig-
keit und die Dialogfahigkeit. Wissen wird auf der individuellen Ebene uber die
Sozialisation neuer Mitglieder vermittelt. Sozialisationsprozesse sind langwierig und
sind nur dann erfolgreich, wenn Organisationsmitglieder sich mit den Zielen einer
Untemehmung identifizieren. Deshalb, so Hedlund (1994:76) miissen permanente Be-
schaftigungsbeziehungen in der N-Form eingerichtet werden, damit Intemalisierungs-
prozesse ihre Wirkung zeigen. Die Internalisierung im Rahmen derartiger Sozialisa
tionsprozesse dient dazu, implizite Wissensformen, die in organisational Routine ein-
gebettet sind, an neue Organisationsmitglieder weiterzugeben. Die Internalisierung
selbst lasst sich insofem als reflexionsarmes Verfahren klassifizieren, weil die im Zuge
der praktizierten Tatigkeiten aufgenommenen impliziten Wissensformen groBteils un-
bewusst tibemommen werden.
2.1.3. Reflexionsfdhigkeit
Ein aktiveres und bewussteres Verfahren implizite und explizite Wissensformen aus-
zutauschen ist die Reflexion. Hedlund versteht den Reflexionsprozess als wesentliches
Moment uber das in Gruppen nicht artikulierbare und artikulierbare Wissensformen
ausgetauscht und generiert werden konnen (Hedlund, 1994:76). Reflexion bzw. Re-
flexionsfahigkeit ist mit Weick (1985:277) als Aktivitat zu verstehen, die es moglich
macht, aus einem Strom von Erlebnissen herauszutreten und iiber das Erlebte zu re-
flektieren. Dabei wird die Aufmerksamkeit auf das "was bereits passiert" ist gerichtet
(Weick, 1985:277). Uber Reflexion wird, so Hedlund, Wissen in Gruppen erweitert
und revidiert. Fiir diese Riickschau und dieses reflexive Betrachten muss aber in einer
Organisation Zeit und Raum vorhanden sein und es miissen auch die entsprechenden
sozialen Beziehungen und sozialen Interaktionen moglich sein.
40
2.1.4. Dialogisierung und Dialogfdhigkeit
Uber Gruppengrenzen hinaus wird Wissen erweitert, reproduziert und angeeignet,
wenn in Organisationen Dialoge auf verschiedenen organisationalen Ebenen prakti-
ziert werden. Dialog ist als ZwiegesprSch, WechselgesprSch oder ais Gesprach ganz
allgemein zu verstehen. Im dialogischen Gesprach kommt es nicht darauf an, eigene
Standpunkte und Uberzeugung mitzuteilen oder durchzusetzen, sondem darum, dass
unterschiedliche Auffassungen und Einsichten ausgetauscht werden.
Abbildung 5: Wissensfluss in der N-Form (Hedlund, 1994)
Assimilierung
Individuum Gruppe Inter-
Organisation organisational
i 1
'•$•
1 s, 1'
§1
1
.
Dialog
'
^ Ausweitung
Expansion ]3
" ^
Im Verstandnis von Hedlund ist der Prozess der Artikulation von Wissen auf den
Ebenen des Individuums, der Gruppe und der Organisation mit den beschriebenen
intersubjektiven sozialen Prozessen der Intemalisierung, der Reflexion und des Dia
logs verkettet. Damit verlagert sich die Problemstellung auf die Umsetzung und das
reibungslose Zusammenspiel der verschiedenen sozialen Ebenen. Der Reibungspuffer
auf der untersten Ebene ist die Intemalisierung, d.h. gelingt es der Organisation neue
Organisationsmitglieder auf die "implizite Routine" einzuschw6ren. Auf der Ebene der
Gruppe ist dieser Puffer die Reflexion. Beim Austausch von Wissen innerhalb von
Gruppen und im Austausch von Wissen einzelner Gruppen untereinander in der Orga-
41
nisation setzt Hedlund auf die Leistimg des Dialogs. Auf den Ebenen zwischen den
Organisationen selbst soil das der Export von Wissen, das in Produkten eingebettet ist,
leisten.
Fiir Hedlund ist die traditionelle, multidivisionale Organisationsform ungeeignet Pro-
zesse der Intemalisierung und der Reflexion zuzulassen und ist auch nicht zum Dialog
innerhalb und zwischen den einzelnen Abteilungen fShig. Gerade durch die Reflexion
und DialogfShigkeit soil ja sichergestellt werden, dass nicht nur Wissen transferiert
wird, sondem existierende "Gewissheiten" in Frage gestellt und thematisiert werden
und insofem neue Wissensformen emergieren.
Hedlund ist davon uberzeugt, dass sein Modell der N-Form das bessere Design fiir die
Transformation und den intrafirmalen Export der verschiedenen Wissensformen bietet.
Das Modell selbst dient vorwiegend dazu, den in der Literatur herausgegriffenen Er-
folg japanischer Untemehmen im Vergleich zu westlichen Untemehmen zu disku-
tieren. Innovationsprozesse, so wird argumentiert, bauen in westlichen Untemehmen
auf umfangreiche explizite Wissensbestande auf, wahrend die japanischen Unter-
nehmen in kleinen Schritten, inkrementell bestehende Wissensbestande emeuem und
verbessem und dadurch schneller innovieren als ihre westlichen Konkurrenten
(Hedlund, 1994:78). Das hat in den Uberlegungen von Hedlund aber vor allem auch
mit dem Organisationsdesign selbst zu tun.
Neben der Struktur der N-Form, die uber flache Hierarchien bereichsiibergreifende
Kommunikations- und Reflexionsprozesse fordert, wird in der Personalpolitik das Ziel
verfolgt, auf Dauer die Beschaftigten an das Untemehmen zu binden. Zum einen damit
das Wissen nicht verloren geht, zum anderen, damit die Bereitschaft gefordert wird,
Humankapital in anderen Organisationsbereichen einzubringen (Hedlund, 1994:80f).
Hedlund setzt die alte multidivisionale Organisationsform mit der N-Form in Kontrast,
um seine Argumente zu verdeutlichen. Er begreifl die N-Form als effizienteres Gegen-
stiick zur behabigen M-Form. Die Starke der N- Form soil vor allem darin liegen, dass
die in der M-Form strikt getrennten Divisionen uber miteinander verknupfte Prozesse
integriert werden. Diese Integration soil uber die mit wechselnden Aufgaben betrauten
Humanressourcen erfolgen, die sich mit dem Untemehmen stark identifizieren und
permanent an das Untemehmen gebunden sind. Die Vorteile bzw. die Leistung der N-
Form, besteht in der Integration, die uber die sozialen Prozesse der Intemalisiemng,
Reflexion und Dialogisiemng realisiert werden. Im Detail sind es folgende Eigen-
schaften der N- Form, die dies leisten soUen:
42
• Die N-Form fuhrt getrennte funktionale WertschSpflingsbereiche zusammen und
konzentriert sich auf die Kombination von Ressourcen verschiedener Organisa-
tionsbereiche.
• Die N-Form fordert die temporare Koalition (Zusammenarbeit) von Personen und
Abteilungen. Dafiir werden dauerhafte Beschaftigungsbeziehungen als notwen-
dige Voraussetzung erachtet.
• Die N-Form bindet Mitarbeiter auf den untersten Ebenen in die Gesamtarchitektur
des Untemehmens ein, weil iiber sie ein interfiinktionaler und interdivisionaler
Austausch des Wissens in der Untemehmung voUzogen wird, wenn es tats^chlich
gelingt, Reflexions- und Dialogfahigkeit zu realisieren.
• Die N-Form ist effizient, weil sie laterale Kommunikationsprozesse in der Unter-
nehmung zulasst. Vertikale Hierarchien werden abgebaut.
• SchlieBlich verzichtet die N-Form auf die Hierarchie als Organisationsmittel. Als
Organisationsform wShlt die N-Form die Heterarchy (Hedlund, 1994:83; siehe
hierzu auch Kutschker und Schmidt, 2002:294f).
In der folgenden Tabelle sind die unterschiedlichen qualitativen Eigenschaften der
beiden Organisationsformen als Ubersicht noch einmal gegeniibergestellt. Die von
Hedlund getroffene Gegenuberstellung zwischen N- und M-Form ist auf dichotome
Eigenschaften hin ausgerichtet und in Teilbereichen iiberzeichnet. Die Gegenuber
stellung unterstreicht jedoch, dass die im Zuge der Divisionalisierung beabsichtigten
Vorteile durch die Marktnahe innerhalb der Untemehmung nicht genutzt werden kon-
nen, weil sich die Divisionen untereinander nicht austauschen, sondem als Konkur-
renten begreifen.
Tabelle 2 Differenzierung der charakteristischen Eigenschaften zwischen N- und M-Form
Technologische Interdependenz Interdependenz von Personal
Kritische Ebene in der Organisation Kommunikationsnetzwerk Aufgaben des Top-Managements
Wettbewerbsfokus
Organisationsform
N-Form Kombination TemporSre Konstellatio-nen, Zugriff auf einen vor-handenen Pool von Hu-manressourcen Mittleres Management
Laterale Ausrichtung Kataiysator, Architekt, Protektor Economies of Depth, Komplementaritat Heterarchy
M-Form Teilung in Divisionen Fixe Strukturen, Wechsei des Personals
Top Management
Vertikale Gestaltung Monitoring, Ressourcenzu-teilung Scale und Scope, semi-unab-hangige Telle Hierarchy
Quelle: Hedlund (1994:83)
43
Der bemerkenswerteste Vorteil des Modells von Hedlund ist vor allem in den qualita-
tiven Eigenschaften der Reflexions- und Dialogfahigkeit zu sehen, die er mit der
Wissensproduktion und mit der Wissensdiffusion verbindet. Diese oft als weich be-
zeichneten organisationalen Eigenschaften, so Hedlund, entwickeln sich dann, wenn -
wie in der N-Form angelegt - zu den Beschaftigten aufDauer angelegte Beziehung
gepflegt werden. Hedlund sieht dafiir zwei wichtige GrQnde: (1) Durch die zuge-
sicherte Stabilitat zeigen Mitarbeiter eine grOBere Bereitschaft, sich flexibler in ver-
schiedenen Projekten einzubringen. Der flexible Einsatz in verschiedenen Organisa-
tionsbereichen wird als Abwechslung und Herausforderung gesehen. (2) Der Wechsel
zu verschiedenen Arbeitsbereichen uber die "Versetzung" in andere Arbeitskontexte
assimiliert neues Wissen und bereichsfremdes, nicht-artikuliertes und nicht-artikulier-
bares Wissen kann absorbiert werden (Hedlund, 1994:84).
2.2. Das Rugby-Spiel als Metapher der Wissensproduktion (Nonakas SECI-Modell)
Als eines der bekanntesten Wissensmanagement-Modelle kann das SECI-Modell von
Nonaka und Takeuchi (1995a) bezeichnet werden. Nonaka hat in Analogic zum Netz-
werk das Wissensmanagement mit einem Rugby-Spiel verglichen, in dem Wissen von
nach vome stiirmenden Spielem untereinander weitergereicht und so erfolgreich neue
Produktideen als gemeinsame Anstrengung ins Ziel getragen werden. In mehreren
Arbeiten hat Nonaka (1991) das SECI-Modell ausgearbeitet (Nonaka und Takeuchi,
1995a), erweitert und grofiteils umfassend erganzt. Zum Teil in wesentlichen Aspekten
revidiert, hat er das SECI-Modell in einer Arbeit mit Noburo Konno. In dieser Arbeit
argumentiert Nonaka auf der Basis einer existentialistischen Vorstellung uber die Be-
deutung des organisationalen Raumes, der "Ba" genannt wird, dass soziale und inter-
subjektive Beziehungen uneriassliche Faktoren in der Wissensgenerierung sind
(Nonaka und Konno, 1998).
Nonakas zentrales Argument ist dabei, dass das durch die abendlSndische Philosophic
gepragte Managementdenken in westlichen Untemehmen Wissensprozesse vor-
wiegend als individualistische denkt. In asiatischen Untemehmen hingegen stehen
kollektive Wissensprozesse im Mittelpunkt, well das Grundprinzip "Einheit der Ge-
meinschaff als zentraler soziokultureller Wert gepflegt wird.
In Nonakas Vorstellung interagiert das Individuum mit anderen Individuen und
Gruppen (Nonaka und Takeuchi, 1995a:IX) in der Wissensproduktion; primSr geht es
jedoch darum, das implizite Wissen einzelner Personen im Zuge interpersonaler
44
Kommunikation in explizites Wissen zu ubersetzen, damit die Zuganglichkeit und
Verwertbarkeit sichergestellt ist.
Nonaka begreift organisationales Wissen als Ergebnis zwei ineinander greifender Pro-
zesse: Einmal unterscheidet er den Prozess der Wissensinteraktion und zum anderen
den eigentlichen Prozess der Wissensproduktion. Interaktion wird bei Nonaka als Pro
zess bezeichnet in dem impiizite Wissensformen in explizite Wissensformen trans-
formiert und dadurch zwischen Individuum und Organisation ausgetauscht werden
(Nonaka und Takeuchi, 1995a:X). Dabei unterscheiden Nonaka und Takeuchi vier
Stufen in der Wissensproduktion und der Wissenstransformation.
Auf Stufe 1 wird tacit knowledge als tacit knowledge zwischen Individuen ausge
tauscht. Nonaka und Takeuchi nennen den damit verkniipften Prozess Sozialisation.
Auf Stufe 2 wird tacit knowledge in explizites Wissen transformiert, diesen Prozess
nennen sie Externalisierung. Auf Stufe 3 wird explizites Wissen als explizites an
andere Organisationsbereiche weitergeben, was Nonaka und Takeuchi als Kombi-
nation von Wissen bezeichnen. Auf Stufe 4 wird explizites Wissen wieder in tacit
knowledge konvertiert. Diesen Prozess nennen sie Intemalisierung (Nonaka und
Takeuchi, 1995a:62). AUe vier Stufen verstehen Nonaka und Takeuchi einmal als
Konversionsprozess (Stufe 1 und Stufe 3), zum anderen als Ubertragung von Wissen
(Stufe 2 und Stufe 4).
Nonaka und Takeuchi sprechen im Vorwort ihres Bestsellers „The Knowledge-
Creating Company", dass das Ergebnis, welches der Leser in den Handen halt, ex
plizites Wissen ist. Dieses explizite Wissen stellen sie als Ergebnis vieler Gesprache
und Diskussionen mit einer groBen Anzahl von Personen vor. Die GesprSche von
Nonaka und Takeuchi sind mit konkreten Konversionsprozessen der Stufe 1 bis 4 ver-
gleichbar. Es werden 50 Personen angegeben, die sie als unverzichtbar in der Pro-
duktion ihres Wissensmodells ansehen.
Aber wie wird daraus wertvoUes Wissen fur ein Untemehmen. Als organisationales
Wissen charakterisieren Nonaka und Takeuchi allein die FShigkeit neues Wissen in
Organisationen zu schaffen: "the capability of a company as a whole to create new
knowledge, disseminate it throughout the organisation, and embody it in products,
services and systems" (Nonaka und Takeuchi, 1995a:3). Wie noch zu zeigen ist, setzen
diese damit verbundenen Konversions- und Ubertragungsprozesse auf soziale Inter
aktion, damit uberhaupt tacit knowledge von einzelnen Individuen aufgenommen und
45
weitergegeben werden kann. Ahnlich, wie in den skizzierten Ansatzen von Boisot
(1998) und Hedlund (1994) ist der Ausgangspunkt der Uberlegungen von Nonaka und
Takeuchi, dass auf der untersten Stufe der Wissensproduktion, sozusagen als origi-
narer erster Schritt, implizites Wissen in den Kopfen der Individuen emergiert. An
diese originSre Phase schlieBen weitere kognitive Prozesse an, die primar als Aus-
tauschprozesse zwischen Individuen einerseits und andererseits als soziale Interaktion
in Gruppen konzeptionalisiert werden. Diese Konversions- und Austauschprozesse
pflanzen sich idealerweise, so postulierten die Autoren, spiralfbrmig auf immer
hoheren organisationalen Ebenen in einer Untemehmung fort. So schreitet die Ent-
wicklung und Verwertung von Wissen von der individuellen Ebene zur Gruppe weiter.
Auf jeder Ebene werden Transformationsprozesse zwischen impliziten und expliziten
Wissenstypen initiiert. Transformiert werden diese verschiedenen Wissenstypen aber
immer nur durch soziale Interaktion.
Der alle vier Stufen umfassende gesamte Vorgang wird von Nonaka und Takeuchi als
Wissensspirale bezeichnet. Antriebskraft, hinter der sich sequentiell, Schritt fiir Schritt
fortschreibenden Wissensspirale, sind die strategischen Ziele der Wissensunter-
nehmung. "The knowledge spiral is driven by organizational intention, which is
defined as an organization's aspiration to its goals" (Nonaka und Takeuchi, 1995a:74).
Die Wissensspirale, wie in der folgenden Abbildung skizziert, tiber die der Austausch
jeweils als einer zwischen impliziten und expliziten Wissensformen gedacht wird, be-
ginnt beim Individuum, schreitet fort zur Ebene der Gruppe(n) und mundet in ein Pro-
duktwissen, das fiir die gesamte Organisation steht.
46
Abbildung 6: Das Seci Modell (Nonaka und Takeuchi, 1995)
o
o
(D
Die spiralformige Transformation von Wissen Individuum
Kombination
Gruppe Organisation
Extemalisierung
Explizites Wissen
Implizites Wissen Sozialisation Intemalisierung
Quelle: Nonaka und Takeuchi, 1995:73 Ontologische Dimension
Damit auf der untersten Ebene der Wissensprozess uberhaupt in Gang kommt, muss
fur die sog. ''front-line worker'' das mittlere Management als Vermittler und Uber-
setzer der Visionen des Managements aufbereiten. Nonaka und Takeuchi verstehen
Wissen, das die front-line-worker im Zuge ihrer Arbeitspraxis und der damit ver-
bundenen Erfahrungen sammeln, als praktische Information. Aber diese praktische
Information, oder das praktische Wissen ist weit davon entfemt „wertvolles Wissen''
ftir die Organisation zu sein. Die Aufgabe dieses praktische Wissen in „wertvolles
organisationales Wissen" zu ubersetzen, kommt im SECI-Modell dem mittleren
Management zu, das zugleich als Ubersetzer der visionaren Strategien des Top-
Managements fungiert. Das mittlere Management nimmt so im SECI-Modell die
Funktion eines Transformators ein. Wahrend das Top-Management die grundsatzliche
StoBrichtung der Untemehmung festsetzt und fiir die Corporate Vision verantwortlich
zeichnet, ist das mittlere Management dazu da, diese Corporate Vision und die allge-
meinen Richtlinien in eine Konzeption zu ubersetzen, die dem "front-line Worker"
hilft, aus seinen personlichen Erfahrungen, jenes Wissen herauszufiltem, das fiir die
Organisation wichtig ist (Nonaka und Takeuchi, 1995a: 16). Insofem sprechen Nonaka
und Takeuchi davon, dass das mittlere Management die Aufgabe hat: "to remake
reality" (Nonaka und Takeuchi, 1995a: 16).
47
Implizites Wissen ist nach Nonaka (1991) schwer zu fonnalisierendes und person-
liches Wissen. Diese Form des Wissens ist verwurzelt in den Handlungen eines Indi-
viduums und zeigt sich als „Fahigkeit" (skill) oder Know-how. Entsprechend identifi-
zieren Nonaka und Takeuchi als eine der wesentlichen Schwierigkeiten in der Wis-
sensproduktion, das implizite, groBteils unbewusste Wissen bewusst zu machen, mit
anderen Individuen auszutauschen und schlieBlich zu formalisieren.
In der Gestaltpsychologie ist beispielsweise der dichotome Charakter, den Wissens-
management-Modelle ihren Konzepten zugrunde legen, nicht iiblich. Zum Beispiel
wird behauptet, wie im Fall von Nonaka und Takeuchi (1995a: 16), dass die ''front
line-Worker'' viele Informationen haben, aber daraus kein Wissen generieren konnen.
In der Gestaltpsychologie, die ihre Erkenntnisse aus einer Vielzahl an Experimenten
bezieht, ist bekannt, dass die Bilder, die wir erkennen, erst dadurch als Bilder erkenn-
bar werden, well wir iiber Jahre hinweg so sozialisiert wurden, bestimmte selektive
Anreize als solche zu interpretieren. Maturana zeigt das an einem Beispiel: "Das Wort
griin [bezeichnet] keinen auBeren Sachverhalt, sondem lediglich ein inneres Erleben..."
(1996:44). Bartlett (1932) hat in seinen experimentellen Forschungen gezeigt, dass
das, was wir als Wirklichkeit wahmehmen, sehr stark von unseren intemalisierten
Uberzeugungsvorraten bestimmt ist. Er hat z.B. Personen sehr exotische Geschichten
aus Indien erzShlt und beobachtet, wie diese Geschichten von den Personen (miindlich
und schriftlich) wiedergegeben wurden. Dabei war auffallig, dass fremde Phanomene
sehr haufig vergessen wurden bzw. in einer Form wiedererzahh, die an sehr pers5n-
liche und vertraute Situationen geknupfl waren. Ohne auf diese Ergebnisse hier weiter
einzugehen: Was ich hier deutlich machen mochte, ist, dass das Wissen und unsere
Erfahrungen immer im Austausch mit anderen Individuen generiert werden bzw.
dieser Austausch als bewusster und/oder unbewusster Vorrat an Wissen in uns exis-
tiert, aber nicht naher problematisiert wird (vgl. dazu Habermas, 1981; Berger und
Luckmann, 1984; Mead, 1934). Tsoukas streicht in diesem Zusammenhang heraus,
dass Polanyi (1957) implizites und explizites Wissen nicht als getrennt gedacht, son
dem immer im Zusammenspiel und in ihrer gegenseitigen ErgSnzung erortert hat:
„Tacit knowledge is the necessary component of all knowledge; it is not made up of
discrete beans which may be ground, lost or reconstituted ...to split tacit from explicit
knowledge is to miss the point - the two are inseparably related" (Tsoukas, 1997:10).
Nonaka und Takeuchi streichen jedoch mehrmals explizit heraus, dass ihr Modell der
Wissensgenerierung auf die dynamischen Prozesse sozialer Interaktion aufbaut: „Our
model of knowledge creation is anchored to a critical assumption that human know-
48
ledge is created and expanded through social interaction between tacit knowledge and
explicit knowledge. We call this interaction ,knowledge conversion'. It should be
noted that this conversion is a ,social'process between individuals and not confined
within an individual''(NonQka und Takeuchi, 1995a: 10). Sie streichen heraus, wie
wichtig dabei die intersubjektiven Kommunikationsformen mittels Metaphem, Sym-
bolen und intuitive Verstandigungsprozesse, also z. B. Gesten sind (Nonaka und
Takeuchi, 1995a: 12). Und sie sprechen von redundanten und ambiguitaren Kontexten
in denen Wissen entsteht (Nonaka und Takeuchi, 1995a: 12).
Wie Stacey hervorhebt, verweisen Nonaka und Takeuchi zwar immer wieder auf die
Notwendigkeit sozialer Interaktion als essentielles Element in den konzipierten Kon-
versionsprozessen, so favorisieren sie Dialoge und Diskussion in Organisationen
(Nonaka und Takeuchi, 1995a: 13), aber offen bleibt, wie diese Prozesse selbst zu er-
klaren sind. Wenngleich sie nachdrucklich auf diese sozialen Prozesse verweisen,
zentrieren sie die eigentliche Wissensgenerierung im Individuum: „In a strict sense,
knowledge is created only by individuals. The organization supports creative indi
viduals or provides contexts for them to create knowledge. Organizational knowledge
creation, therefore, should be understood as a process that,organizationally' amplifies
the knowledge created by individuals and crystallizes it as a part of the knowledge
network of the organization. The process takes place within an expanding community
of interaction,' which crosses intra- und interorganizational levels and boundaries...
Tacit knowledge is personal, context-specific" (Nonaka und Takeuchi, 1995a:59).
Die Entstehung von Wissen wird hier wieder als ein individueller Prozess verstanden,
insofem als implizites Wissen, das Individuen in Zuge ihrer Erfahrungen sammeln,
welches sichtbar und greifbar werden muss, damit es in den Kontext der Organisation
einflielJen kann. Das kann es nur, wenn es artikuliert und mit anderen Personen aus-
getauscht wird. Wie Stacey demonstriert, fuhrt diese Vorstellung zu einer linearen und
sequentiellen Sicht, wie implizites Wissen ausgetauscht wird. Nonaka und Takeuchi
halten jedoch fest: „The knowledge spiral is driven by organisational intention, which
is defined as an organization's aspiration to its goals. Effort to achieve the intention
usually takes the form of strategy within a business setting. From the viewpoint of
organizational knowledge creation, the essence of strategy lies in developing the orga
nizational capability to acquire, create and accumulate, and exploit knowledge. The
most critical element of corporate strategy is to conceptualize a vision about what kind
of knowledge should be developed and to operationalize it into a management system
for implementation... Organizational intention provides the most important criterion
49
for judging the truthfulness of a given piece of knowledge. If not for intention, it
would be impossible to judge the value of information or knowledge perceived or cre
ated" (Nonaka und Takeuchi, 1995a:74).
Nachdem Nonaka und Takeuchi auf die - wie Teece und seine Koautoren es nennen -
kausale Unsicherheit im Prozess der Wissensgenerierung hinweisen (vgl. Teece,
Pisano und Shuen, 1997), wenden sie sich der Diskussion zu, welche Untemehmens-
strategien in der Wissensproduktion erfolgreich sind. Stacey kritisiert in diesem Zu-
sammenhang Nonaka und Takeuchi dafiir, dass sie uber den bloBen Hinweis auf die
Bedeutung sozialer Interaktion zwischen Individuen und innerhalb von Gruppen nicht
hinausgehen: „[They] do not pay much attention to the ever-present possibility of
groups of people becoming stuck in some stable dynamic, or some fragmenting one
that kills off the knowledge-creating process" (Stacey, 2003:162). Mit dieser Perspek-
tive, die sich auf das Management von Wissen festschreibt, wird die ungluckliche
Dichotomisierung von impliziten und expliziten Wissen verstSndlich, well erst durch
die Trennung des impliziten Wissen von der eigentUmlichen Person der Zugriff und
die gezielte Steuerung realisierbar wird. Deutlich wird dieser Anspruch, wenn tatsSch-
lich das mittlere Management die Aufgabe hat, "to remake reality" (Nonaka und
Takeuchi, 1995a: 16). Weil damit das mittlere Management in eine Funktion gedrangt
wird, die an den "training officer" Taylors erinnert oder an Fayols "Administrator"
(vgl. dazu Jacques, 1996). In einer weiteren Arbeit beschafligt sich Nonaka (Nonaka
und Konno, 1998) jedoch ausfUhrlich zumindest mit der Frage, welche organisatio-
nalen RSume den Wissensprozess unterstiitzen.
2.3. Das Konzept Ba als Erweiterung und Revision des SECI-Modells
In einem Essay mit dem Titel "The Concept ofBa" erweiterten und revidieren Nonaka
und Konno (1998) das bekannte SECI-Modell. Sie verwenden den japanischen Begriff
Ba als Metapher fur sozialen Raum in Organisationen in denen Beziehungen ent-
stehen. "Ba can be thought of as a shared space for emerging relationships. This space
can be physical (e. g., office, dispersed business space), virtual (e. g., e-mail, telecon
ference), mental (e. g., shared experience, ideas and ideals)" (Nonaka und Konno,
1998:40). Von bloBen Raumlichkeiten unterscheiden sie das Konzept Ba dadurch, dass
sie es als Raum verstehen, in dem individuelles und koUektives Wissen generiert wird.
Ba und Wissensgenerierung stehen insofem in Verbindung, da Ba als Kontext fiir ge-
meinsame Bedeutungen steht. Nonaka und Konno sehen nun Wissensprozesse einge-
bettet in diese sozialen RSume, die sie mit ihrer Metapher des Ba umschreiben:
50
"Knowledge is embedded in ba (in these shared spaces), where it is then acquired
through one's own experience or reflections on the experience of others. If knowledge
is separated from ba, it turns into information, which can then be communicated inde
pendently from ba" (Nonaka und Konno, 1998:41).
Wissensproduktion wird nicht mehr auf die Konversion von impliziten in explizite
Wissensformen eingeschrankt, sondem als Ergebnis intensiver sozialer Austauschpro-
zesse begriffen, wie sie beispielsweise in kleinen Arbeitsgruppen mSglich werden.
"Within an organization, knowledge-creating teams or projects play a key role... Value
creation in knowledge-creating companies emerges from interactions within shared ba
but is not restricted to the physical ba. The concept of ba unifies the physical space,
the virtual space, and the mental spaces. Ba is the world where the individual realizes
himself as part of the environment on which his life depends" (Nonaka und Konno,
1998:41). Partizipieren Individuen im Ba (Sozialen Raum), dann teilen sie ihre eigenen
lebensweltlichen Erfahrungen mit, sie transzendieren ihren eigenen lebensweltlichen
Vorrat an Erfahrung im Austausch mit anderen und gleichzeitig beziehen sie ihr Ver-
standnis, verschiedene Werte und einzelne Bausteine ihrer eigenen Lebenswelt daraus.
Wissen ist so streng genommen kein individualistischer Prozess mehr. In der mit dem
Konzept Ba revidierten und erweiterten Version des SECI-Modells werden - wie
bereits in der ersten Version des SECI-Modells - vier Stufen der Wissensgenerierung
identifiziert. In der folgenden Abbildung sind diese vier Stufen nachgezeichnet und
sollen kurz erlSutert werden.
Im linken oberen Feld (siehe Abbildung 8) werden implizite Erfahrungen tiber Soziali-
sationsprozesse ausgetauscht. "Socialization involves the sharing of tacit knowledge
between individuals" (Nonaka und Konno, 1998:42). Auf dieser Stufe werden "pure
experience", reine Erfahrungen ausgetauscht. Der Austausch selbst erfolgt durch ge-
meinsame TStigkeiten, durch das Zusammensein und dadurch dass Individuen gemein-
same Zeit in einem spezifischen sozialen Milieu verbringen. Die eigenen Vor-
stellungen und lebensweltlichen Erfahrungen, Nonaka und Konno sprechen hier von
"the larger self, werden so gesehen in einen intersubjektiven Prozess eingebracht und
gleichzeitig wird das eigene SelbstverstSndnis im Austausch mit anderen Personen
erweitert und geformt.
51
Abbildung 7: Das Konzept Ba, die Revision des SECI-Modells (Nonaka und Konno, 1998)
r^ TACIT KNOWLEDGE TACIT KNOWLEDGE
- EXPLICIT KNOWL. EXPLICIT KNOWL.
I = Individuum G = Gruppe O = Organization
Insofem sehen Nonaka und Konno die Uberschreitung (Transzendierung) eigener Er-
fahrungen im Austausch mit anderen als den eigentlichen Prozess uber den tacit
knowledge geteilt wird. In der Praxis heifit dies, dass der Austausch impliziter
Wissensbestande nur durch physische Nahe erfolgen kann. Es wird also nicht mehr
davon gesprochen, dass tacit knowledge, das eingebettet in den Kopfen einzelner Indi-
viduen, transformiert werden muss, um ausgetauscht zu werden.
Die zweite Stufe der Wissensgenerierung ist die Externalisierung von tacit knowledge
in explizites Wissen. Auf dieser Stufe werden nun implizite Wissensbestande artiku-
liert. Nonaka und Konno sprechen in diesem Zusammenhang von der Notwendigkeit
die inneren und auBeren Grenzen des eigenen Selbstverstandnisses zu iiberwinden.
Individuen werden dadurch Teil einer Gruppe. In der Gruppe, illustriert in der Ab
bildung 7 durch die offenen Kreise der Individuen (i) und dem geschlossenen Kreis in
der Gruppe (g), fusionieren die Individuen in ein gemeinsames koUektives 'WIR".
52
"The sum of the individuals' intentions and ideas fuse and become integrated with the
group's mental world" (Nonaka und Konno, 1998: 44). In der Praxis einer Unter-
nehmung wird dieser Prozess der Extemalisierung durch die in einer Gruppe ent-
wickelten und benutzten Kommunikationsformen untersttitzt. Derartige Identifika-
tions- und Austauschprozesse entstehen in peer-groups. Als kollektiver Prozess wird
dann implizites Wissen in explizites Wissen konvertiert. Hierbei werden Bilder ver-
wendet, figurative Sprache, Metaphem, Analogien und ErzShlungen benutzt, die erst
durch die "Gemeinsamkeit" entstehen und verstanden werden k5nnen.
Auf der nachsten Stufe werden auf der Ebene der Organisation, die in Gruppen einge-
betteten Wissensformen, miteinander verbunden. In peer groups artikulierte Wissens-
formen werden dabei ausgetauscht. Der Prozess wird von Nonaka und Konno als
Kombination verschiedener expliziter Wissensformen gesehen. Auf dieser Stufe wer
den explizite Wissensformen in der Organisation verbreitet. Hier kommt es darauf an,
in welchem AusmaB neue Wissensformen angenommen werden. Nonaka und Konno
sprechen von der Fahigkeit "to capture and integrate new knowledge" (Nonaka und
Konno, 1988:45). Vorausgesetzt wird, dass die geschlossenen mentalen und physisch-
en Grenzen der einzelnen Gruppen in Organisationen aufgelost werden und der Aus-
tausch von explizitem Wissen gruppenubergreifend realisiert wird. Auf der vierten
Stufe, die Intemalisierung genannt wird, entwickelt sich mit importierten expliziten
Wissensbestanden neues organisationales implizites Wissen. "This requires the indi
vidual to identify the knowledge relevant for one's self within the organisational
knowledge" (Nonaka und Konno, 1998:45). Notwendig hierzu ist es, wie in der Ab-
bildung illustriert, dass sich Organisationsgrenzen und Gruppengrenzen - bezogen auf
den Wissenstransfer - offnen, aber nicht auflosen! In der Praxis der Untemehmen
vollzieht sich dieser Prozess durch die Einbettung expliziter Wissensformen in die
tagliche Arbeitsroutine (Nonaka und Konno, 1998:45).
Fiir jede dieser vier Stufen der Wissensproduktion und -konversion identifizieren
Nonaka und Konno eine charakterisierende Form des Ba, Im Folgenden sollen diese
vier Typen noch kurz dargestellt werden. Eine Form nennen sie originating ba. Dort
werden Sozialisationsprozesse realisiert und implizite Wissensformen intemalisiert.
"Originating ba is the world where individuals share feelings, emotions, experiences,
and mental models. An individual sympathizes or further empathizes with others, re
moving the barrier between the self and others'' (Nonaka und Konno, 1998:46). Uber
diese originare Form des Ba werden allerdings nicht nur gemeinsame Erfahrungen,
Geflihle und Emotionen ausgetauscht, sondem sie entstehen erst im Austausch mit
53
anderen Individuen. Grundsatzlich geschieht dies iXber face-to-face Interaktionen zwi-
schen Individuen. Diese originSre Fonn des Ba ist Ausgangspunkt der Entstehung von
Wissen im Konzept von Nonaka und Konno. Die zweite Form des Ba wird als inter
acting ba bezeichnet und steht mit der zweiten Stufe der Wissensproduktion, der
Extemalisierung in Zusammenhang in der implizite Wissensformen artikuliert werden.
Im Vergleich zur Form des originating ba ist das interacting ba bewusst; meistens
entwickelt sich interacting ba nur im Austausch mit ausgewShlten Personen. In der
Untemehmung wird dieser Prozess durch die Auswahl der Personen gezielt beein-
flusst, um einen passenden Mix verschiedener WissensbestSnde und Erfahrungen in
einem Projektteam zu schaffen, so die Vorstellung von Nonaka und Konno. Im inter
action ba wird implizites, persOniiches Wissen in explizites, koUektives Wissen trans-
formiert. Dabei spielt der Dialog bzw. die Dialogfahigkeit eine besondere Roile.
"Dialogue is a key for such conversions ...individuals share mental models of others,
but also reflect and analyse their own" (Nonaka und Konno, 1998:47). Die dritte Form
des Ba bezeichnen Nonaka und Konno als cyber ba. Cyber Ba steht ftir den virtuellen
Raum uber den mithilfe von Informationstechnologien existierende WissensbestSnde
erweitert werden. Cyber Ba steht in Verbindung mit Stufe drei der Wissensproduktion,
auf der explizites Wissen verschiedener Gruppen miteinander kombiniert wird. Cyber
Ba funktioniert am besten, so Nonaka und Koono, wenn kooperationsf^rdemde Infor
mationstechnologien diesen Prozess untersttitzen (Nonaka und Konno, 1998:47).
Exercising ba nennen die beiden Autoren die vierte Form, mit der die Intemalisierung
auf der vierten Stufe der Wissensproduktion realisiert werden soil. Exercising Ba wird
als "focused training with senior mentors and colleagues" bezeichnet (Nonaka und
Konno, 1998:47). Damit fokussiertes Training im Rahmen einer Mentorenschafl er-
folgreich umgesetzt werden kann, muss eine "aktive Partizipation" sichergestellt
werden (Nonaka und Konno, 1998:47).
Zusammenfassend iSsst sich also feststellen, dass in der erweiterten Form des SECI-
Modells durch das Konzept Ba primar soziale Interaktionsprozesse als wesentliche
Charakteristiken der Wissensgenerierung in Organisationen thematisiert werden. Inso-
fem schliefien Nonaka und Konno (1998) die in der ersten Version des SECI-Modells
noch deutlich konzeptionalisierte Trennung zwischen individueller und kollek-
tiver/organisationaler Wissensproduktion. Sie schenken sehr viel mehr Aufmerk-
samkeit der zirkulSren, systemischen Interaktion zwischen Individuen auf der einen
und der Interaktion von Gruppen in Organisationen auf der anderen Seite. Sie arbeiten
im Konzept Ba stSrker heraus, dass Wissensgenerierung, im weitesten Sinn organisa-
54
tionales Lemen, auf interaktive soziale und kognitive Prozesse nicht verzichten kann.
Stacey meint hierzu: "Effective learning and knowledge creation require widespread
sharing of values to do with openness, trust, affirmation, dialogue and empowerment.
Effectiveness of these processes is also said to require particular forms of leadership
that establish values of this kind and provide a central vision to guide the learning and
knowledge-creation process" (Stacey, 2003:166).
3. Die Wissensaktivisten von Kaser und Miles
Mit deutlichen Ankntipfungspunkten zur herkSmmlichen Literatur thematisieren Kaser
und Miles den Austausch verschiedener Wissensformen in Organisationen. Dabei
interessiert die Autoren, welchen Einfluss intrinsische Motivation und Vertrauen auf
den Austausch von Wissen ausuben. Sie vertreten die These, dass die H6he der intrin-
sischen Motivation (vgl. Deci und Flaste, 1995; Deci, Connel und Ryan, 1989; Frey,
1997) in einem positiven kausalen Zusammenhang mit dem AusmaB des Vertrauens in
Organisationen steht (Kaser und Miles, 2002a und 2002b). Mit Drucker (1999) stellen
sie fest, dass sich Firmen auf die Abhangigkeit von Wissensaktivisten einstellen mils-
sen und streichen heraus, dass verschiedene Typen von WissensaktivitSten jeweils
unterschiedliche Wissensformen besser oder schlechter innerhalb einer Organisation
aufnehmen und weitergeben. Zentrales Argument dabei ist, dass unterschiedliche
Agency-Beziehungen zwischen Empfanger und Sender von Wissen mit einem unter-
schiedlichen Vertrauen zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer nur jeweils ein-
zelne Wissensformen wirtschaftlich transferieren. Abhangig davon wie hoch das Ver
trauen zwischen Prinzipal und Agent und wie stark die intrinsische Motivation des
Gebers von Wissen ausgepragt ist, unterscheiden K ser und Miles funf verschiedene
Transaktionsmuster. Auf der untersten Stufe, mit sehr geringer intrinsischer Moti
vation und einem geringen Grad and Vertrauen identifizieren sie pekuniSre Wissens-
tauschformen. Diese pekuniaren Tauschformen lassen sich mit Marktbeziehungen ver-
gleichen, verlangen also in der Ubertragung von Wissen die Form und die MSglichkeit
von voUstandigen Vertragen. Sie unterscheiden pekuniMre Austauschbeziehungen von
sozialen Tauschformen, wie dem kommunitaren Tausch, Mentorenbeziehungen zwi
schen Prinzipal und Agent und koUaborative Tauschformen.
In der folgenden Abbildung 8 sind die funktionalen Zusammenhange zwischen der
H6he des Vertrauens, dem Grad an intrinsischer Motivation und den verschiedenen
Tauschformen und dem damit implizierten sozialen Beziehungen illustriert.
55
Abbildung 8: Formen des Austauschs bei Wissensaktivisten (Kaser und Miles, 2002b)
CO
i
KollaborativeJ
gemeinwirtschaftliche TauschfjjjiiffSi
soziale Tau^dWbrmen
Mentorenbezogenen Tauschformen
Pekuni are Tauschformen
Hohe der intrinsischen Motivatior
Beziehungen zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber in Organisationen werden von
Kaser und Miles (2002b: 162) als pekunidre Tauschformen bewertet. Damit unter-
stellen sie, dass Arbeitsvertrage und die mit diesen VertrSgen vereinbarte Leistungs-
verpflichtung praktisch iiber materielle Anreize (so gesehen aufierhalb der eigentlichen
Tatigkeit angesiedelte Anreizgestaltungssysteme) und somit eine extrinsische Motiva
tion vorherrschen. Sie teilen hiermit ein sehr Mufiges Menschenbild in der Manage-
mentlehre, nachdem Arbeiten nur aufgrund materieller Vergiitungen verrichtet werden.
Intrinsisch motivierte Tauschakte flnden, so die Autoren, in gemeinwirtschaftlichen
und „koUaborativen" Tauschformen statt. Ein intrinsischer Anreiz besteht darin, dass
die eigentliche Tatigkeit Freude bereitet. Bei pekuniSren Tauschakten sehen sie die
hierarchische Organisation der Beziehung zwischen Prinzipal-Agent und die vertrag-
liche Gestaltung der Pflichten und Rechte als charakterisierendes Merkmal. Im
Rahmen der vertraglichen Vereinbarung verpflichten sich Beschaftigte Auftrage gegen
Entgelt auszuftihren. Der Anreiz diese Auftrage vereinbarungsgemSB auszufuhren ist
das in Aussicht gestellte Entgelt. Die Leistungsbereitschaft wird neben den materiellen
Anreizen dadurch erreicht, dass bei Nichterfullung Sanktionen drohen. Die beiden
Autoren stellen fest, dass in derartigen Fallen der Austausch von impliziten, schwer
greifbaren wissensintensiven Leistungen problematisch ist. Ihre ErklMrung greift aller-
56
dings etwas zu kurz, wenn sie davon ausgehen, dass aufgrund der hierarchischen Orga
nisation der Auftragsbeziehungen die intrinsische Motivation gering ist und die Ver-
haltenssteuerung deshalb ausschliefilich uber materielle Anreize umgesetzt werden
muss. Der Grad an Vertrauen wird in dieser Auflragsbeziehung ais gering einge-
schatzt. Die in dieser Beziehung wirksame Form des Vertrauens nennen KSser und
Miles calculus-based trust (kalktilisierendes Vertrauen). Kalkulbasiertes Vertrauen de-
fmieren sie folgendermaBen: „[it] exists if individuals do what they say not primarily
because they fear the consequences of deceit but because they look forward to the
benefits of compliance" (Kaser und Miles, 2002b: 162). Sie unterstellen damit die Ver-
haltensannahmen der Transaktionstheorie von Oliver Williamson (1985) und nehmen
an, dass aufgrund der bestehenden Hierarchic in der betreffenden Beziehung der Grad
an intrinsischer Motivation gering bleibt und implizite Wissensformen daher kaum
Oder nur unzureichend ausgetauscht werden kOnnen, weil die Leistungstibertragung
nicht kontrollierbar ist und daher Sanktionen nicht greifen. In diesem Fall wird hier
modellhaft eine Verhaltensrealitat konstruiert, die so nicht existiert.
Sozialer Tausch ersetzt groBteils die Defizite der unvoUkommenen Verhaltens-
steuerung der pekuniaren Tauschakte. Sozial wird diese Tauschform wohl deshalb ge-
nant, weil soziale Normen (kurz ein gesellschaftlicher Zwang) die in Hierarchien
fehlende SanktionsmSglichkeit ersetzt. Wenn allerdings in pekuniSren Tauschformen
die Leistungstibertragung nicht kontroUiert werden kann, z.B. weil es sich um nicht-
greifbare intangible Leistungen und Dienste handelt, dann muss man sich fragen,
warum dieselben nicht-greifbaren intangiblen Leistungen durch sozialen Zwang er-
bracht werden sollen, wenn die Erbringung selbst nicht greifbar ist. Um dieses
Dilemma zu umgehen, scheint es, dass hier der Begriff Reziprozitat eingefiUirt wird,
um die Erbringung nicht-greifbarer intangibler Leistungen zu erklSren. KSser und
Miles stellen fest, sozialer Tausch funktioniert deshalb, weil dieser als reziproke Be
ziehung praktiziert wird und Uber freiwillig gekniipfte und selbstbestimmte Be-
ziehungen erfolgt. Es handelt sich hierbei vorwiegend um laterale Bindungen, die sich
jedoch dann in Richtung einer vertikalen bzw. hierarchischen Beziehung verandem,
wenn der jeweilige Beitrag, den einzelne in die soziale Beziehung einbringen, nicht
mit dem erwarteten Ertrag (ibereinstimmen (vgl. dazu Blau, 1964). Der Anteil an in
trinsischer Motivation ist beim sozialen Tausch nicht gering, aber er halt sich in
Grenzen, so Kaser und Miles: „Intrinsic motivation for sharing is about medium in
social exchange because the framework would suggest that, on the one hand, indi
viduals may share knowledge to gain hierarchical recognition or knowingly to move
57
upward in an informal status hierarchy. This increases extrinsic motivation for shar-
ing"(Kaser und Miles, 2002b: 163). Andererseits bestehen K ser und Miles darauf,
dass ihr Konzept erklSren kann, dass die mit dem Austausch von Wissen verbundene
intrinsische Motivation selbst den Austausch ermSglicht. „[I]ndividuals also share
knowledge because they value the relationship and/or because they simply enjoy
sharing so that intrinsic motivation increases" (Kaser und Miles, 2002b: 163).
Gemeinwirtschaftliche Beziehungen, KSser und Miles verwenden den Begriff
community relationships, werden groBteils als nicht-hierarchische Beziehung einge-
stuft und die Tauschakte selbst als Beziehung zwischen Individuum und Gemeinschaft
begriffen und eben nicht als Austausch zwischen einzelnen Individuen. Die Mitglieder
der Gemeinschaft teilen Werte, verstehen sich selbst als gleichrangig und ein Wettbe-
werb untereinander, um den eigenen Status zu verbessem, wird als illegitim betrachtet.
Austauschsbeziehungen werden in der Kegel freiwillig gekniipft und das Vertrauen
einzelner Mitglieder ist hoch. „Community relationships are typically marked by
identification-based trust so that the level of trust is almost medium-high. This type of
trust is developed among those sharing parties who start to identify themselves
strongly with one another and share common goals and needs. The sharing parties stop
calculating the balance of giving and receiving" (KSser und Miles, 2002b: 163). Inso-
fem produziert die Beziehung selbst den intrinsischen Wert und die Leistungen, die in
diese Gemeinschaft eingebracht werden.
Eine weitere Tauschform, die KSser und Miles in ihrem Konzept der Wissensakti-
visten unterscheiden, ist die kooperative Beziehung und die damit einhergehenden
Tauschbeziehungen. Zusammenarbeit oder Collaboration, wie Kaser und Miles diese
Form der Beziehung nennen, ist im weitesten Sinn nicht-hierarchisch, wird zwischen
zwei oder mehreren Individuen im Zuge einer gemeinsamen AktivitSt oder eines zeit-
lich begrenzten Arbeitsprojekts gekniipft. Die einzelnen BeitrSge der Kooperierenden
werden - soweit m5glich - bewertet. Im Unterschied zu community relations sehen
sich die Mitglieder eines gemeinsamen Projektes als eigenverantwortliche Akteure.
Kaser und Miles argumentieren, dass kooperative Beziehungen am leichtesten unter
erfahrenen und aktiven (self-actualizing) Personen gekniipft werden, well die in der
Lage sind die erbrachten Leistungen anderer Projektmitglieder zu bewerten. "Indi
viduals who engage in collaborative knowledge sharing are highly intrinsically moti
vated. Collaborators are highly self-determined because they take full responsibility
for their sharing behavior." (Kaser und Miles, 2002b: 164). Vertrauen entspringt in
dieser Beziehungsform dem hohen Grad an Identifikation den partizipierende Mit-
58
glieder zeigen. In derartigen Beziehungen wird in einem hohem AusmaB Wissen aus-
getauscht. "High intrinsic motivation for sharing and caring-based trust allows colla
borators to fully explore their creative potentials and to share knowledge in a genuine
and non-manipulative manner" (KSser und Miles, 2002b: 164). Eine Eigenschaft in
diesem Beziehungstypus besteht also in der aktiven Bereitschafl verschiedene Wis-
sensformen einzubringen und dem damit verbundenen Engagement, Bindungen einzu-
gehen, die die eigene Entwicklung fbrdem.
Als fUnfte - in ihrem Konzept typische - Beziehungsform, diskutieren Kaser und
Miles (2002b: 165) Beziehungen, die im Zuge einer Mentorenschafl aufrechterhalten
und gepflegt werden. Der Mentor, ein „vaterliche Freund und Erzieher" ist Vertrauter
und Lehrer. Er nimmt die Rolle eines Fursprechers und F5rderers. Die Beziehung, die
zwischen Mentor und „Schtiler" aufgebaut wird, ist charakteristischerweise durch die
Rolle des Lehrers und/oder Erziehers und durch die dem Schiller zugewiesene Rolle
des Lemenden bestimmt. Der Schiller selbst wird oft als Proteg^ bezeichnet. "Intrinsic
motivation for sharing is about medium in a mentoring relationship because [it is]
assumed that mentoring is practiced to gain hierarchical and social recognition as well
as to grow personally" (Kaser und Miles, 2002b: 165). Vertrauen wird hier erst im
Laufe der aufrechten Beziehung aufgebaut.
Kaser und Miles ziehen drei grundsatzliche Schlussfolgerungen aus ihren theore-
tischen Uberlegungen ilber den Zusammenhang von Vertrauen, der H5he der intrin-
sischen Motivation und den jeweiligen Tauschbeziehungen. Einmal vermuten sie, dass
Wissensaktivisten versuchen werden, Hierarchien und damit verbundene Schranken zu
umgehen oder zu vermindem, um Wissen effektiv austauschen zu konnen. Formale
Hierarchien werden also in Prozessen des Wissensaustauschs umgangen.
Zweitens denken KSser und Miles, dass der so genannte VerdrSngungseffekt zwischen
extrinsischer und intrinsischer Motivation, wie er in den Wirtschaftswissenschaften
diskutiert wird (vgl. hierzu Prey, 1997:24), starker berilcksichtigt werden muss, wenn
organisational Beziehungen eingerichtet werden, die den Wissensaustausch fordem
sollen. Zwei zentrale psychologische Krafte erklSren den VerdrSngungseffekt. (a) Ein-
griffe von aufien, die als kontrollierend empftinden werden verdrangen die intrinsische
Motivation, weil die Selbstbestimmung eingeschrMnkt wird und sich dieser Eingriff
negativ auf die individuelle SelbstwertschStzung auswirkt. (b) Eingriffe von aufien
verstarken jedoch die intrinsische Motivation, wenn sie als Unterstiitzung empftmden
werden, weil in diesen Fallen die individuelle Selbstwerrschatzung positiv beeinflusst
59
wird (Frey, 1997:25). Wie Frey (1997:25) anmerkt, sind diese Faktoren immer von
subjektiven EinscMtzungen eingefarbt und es kann durchaus sein, dass ein und der-
selbe Eingriff von verschiedenen Personen einmal als kontroUierend und ein anderes
mal als nicht kontroUierend interpretiert wird. Von Bedeutung ist also, dass materielle
Anreize und kontroUierende Eingriffe von auBen die intrinsische Motivation ver-
drSngen, wenn dabei die Selbstbestimmung eingeschrankt wird und die Selbstein-
schatzung bzw. der Sclhstwert geschmalert wird (Frey, 1997:25; vgl. hierzu insbe-
sondere die Arbeiten von Deci, Ryan, Gagne, Leone, Usunov und Komazheva, 2001;
Deci, Eghrari, Patrick, und Leone, 1994; Gagne und Deci, 2005).
Die dritte zentrale Schlussfolgerung, die Kaser und Miles aus ihren Uberlegungen her-
aus Ziehen, ist die, dass das Zusammenspiel von Vertrauen und Motivation einen
wesentlichen Einfluss auf die Bereitschaft austibt, Leistungen auszutauschen und auf
die Gestaltung von Austauschbeziehungen selbst Einfluss nimmt. Osterloh und Frey
(2000:538) behaupten beispielsweise hierzu in einer Arbeit, dass Vertrauen in Aus
tauschbeziehungen Folge des AusmaBes an intrinsischer Motivation ist. Erganzend
dazu stellen Kaser und Miles jedoch fest: "that individuals may gain intrinsic satis
faction from sharing even though the sharing relationship is characterized, at best, as
reflecting calculative trust. Thus, while motivation and trust are essentially inde
pendent, each may well moderate the other" (KSser und Miles, 2002b: 167).
Ich habe bereits in der Diskussion der ausgewahlten Wissensmanagement-Modelle zu
zeigen versucht, dass soziale Interaktion, das heifit sowohl verbale als auch non-ver-
bale Kommunikation, im Zuge persQnlicher Begegnungen als Voraussetzung fur den
Wissenstransfer und flir die Wissensproduktion gedacht wird. Ein kritischer Blick auf
die Wissensmanagementmodelle lasst vermuten, dass es vordergriindig nur darum
geht, implizites, nicht greifbares Wissen in explizites und damit in der Organisation
beliebig verfiigbares Wissen zu transformieren. In vielen Fallen ist dies aber gar nicht
moglich und auch nicht sinnvoll. Zudem wird dieser grobe Eingriff als vehemente Ein-
schrSnkung der Selbstbestimmung betrachtet (Cagne und Deci, 2005). Aufierdem wird
sehr oft nicht berucksichtigt, dass in vielen Untemehmen ja gerade das nicht-greift)are
und implizite Wissen Bestandteil der "organisationalen Fdhigkeiten" ist. Dieses
Wissen ist eingebettet in organisational Routinen und fmdet sich in den Institutionen
von Organisationen und Gesellschaften. Implizites Wissen ist vielfach auch Teil habi-
tualisierter Handlungen (Bourdieu, 1997) die im Zuge der Praxis von Akteuren und im
Zusammenspiel mit den sozialen Institutionen emergieren (Bourdieu, 1997). Dieses
Wissen ist, wie noch weiter unten erlSutert wird, Teil des symbolischen Kapitals in
60
ganz speziflschen sozialen Feldem, die fiir die einzelnen Akteure vorherbestimmen,
was als wertvoUes Wissen anerkennt wird (Bourdieu, 1997).
Bei Kaser und Miles (2002b) wird deutlich, dass komplementare Austauschprozesse
von idiosynkratischem Wissen nicht auf Abruf und Anordnung von oben flinktio-
nieren. Sie gehen aber tiber diese Feststellung auch nicht hinaus. Sie beklagen, dass
Wissen sehr oft innerhalb von Abteilungsgrenzen zirkuliert und es sehr aufwendig und
schwierig ist, uber spezifische Gruppeninteressen hinaus, Wissen zu transferieren.
Diesen Umstand erklaren sie hauptsachlich durch fehlendes Vertrauen und eine
mangelhafte intrinsische Motivation in einschlagigen wissensintensiven Tauschakten.
Beides, Vertrauen und intrinsische Motivation scheinen miteinander verkniipft zu sein,
aber sie zeigen nicht, in welchem sozialen Feld das Zusammenspiel von Vertrauen und
intrinsischer Motivation stattfindet, um Wissen auszutauschen. Die von den beiden
Autoren verwendeten Kategorien sozialer Tausch, pekuniarer und kommunitarer
Tausch stellen sich fur eine tiefergehende Beantwortung dieser Frage als zu grob her-
aus. Das hat mehrere Grunde auf die ich spater noch zuruckkommen werde. Diese
Problematik greifen Kaser und Miles zwar auf, indem sie beide Faktoren als wesent-
liche Eigenschaften wirtschaftlicher Beziehungen in Untemehmen verstehen. Unklar
bleibt aber, warum einzelne Mitarbeiter aktiv nicht-greifbares Wissen austauschen,
wenn ein hoher Grad an Vertrauen in den Transaktionsbeziehungen existiert und fiir
die Betroffenen selbst dieser Austausch und die damit einhergehenden sozialen Be
ziehungen Befriedigung erbringen. Unstrittig hingegen ist, dass intrinsische Moti
vation dann entsteht, wenn der Austausch im Rahmen existierender Arbeitsbe-
ziehungen nicht auf Anordnungen von "oben" erfolgt, sondem aufgrund "freiwilliger"
intersubjektiver Zusammenarbeit die den Selbstwert der Akteure stSrken (vgl. Deci,
Ryan, Gagne, Leone, Usunov und Komazheva, 2001; Deci, Eghrari, Patrick, und
Leone, 1994). Mit ahnlichen Fragen beschaftigten sich Bartlett und Ghoshal (1997) in
ihren Uberlegungen zur Theorie der individualisierten Untemehmung. Wenngleich die
Perspektive eine andere ist.
4. Die individualisierte Unternehmung als Konzept einer wissensorientierten Organisationsform
Bartlett und Ghoshal bezeichnen ihren Ansatz zu einer Theorie der individualisierten
Untemehmung als neuen Zugang zu zentralen Managementfragen. Wobei sie als zen-
trale Herausforderung den Wissenstransfer ansehen, den Untemehmen mit traditio-
nellen Organisationsstrukturen und herkommlichen Managementmethoden nicht
61
sicherstellen. Bartlett und Ghoshal fixieren ihr Interesse also an der Steuerung von
Wissen. In ihr Managementmodell fliefien verschiedenste Aspekte aus ihren fruheren
Arbeiten ein. Der Titel ihrer Arbeit ist zudem eine Anspielung darauf, dass traditio-
nelle Organisationsformen fur individuelle Talente, Kreativitat und individuelle Ent-
scheidungskompetenz wenig bzw. keinen Freiraum zur Verfiigung stellen. Die tradi-
tionellen Organisationsformen fSrdem nicht, sondem zerstQren die Kreativitat der
Menschen in Untemehmen. Ahnlich wie Nonaka und Konno (1998) in ihrem Konzept
Ba sind sie davon uberzeugt, dass explizites Wissen als wichtige Quelle der Wissens-
produktion gilt. Bartlett und Ghoshal begreifen ihre Forderungen jedoch sehr viel
starker als Alternative bzw. als Kontrastprogramm zu den klassischen, an Taylor aus-
gerichteten Organisationsformen und Managementsystemen. Sie selbst sprechen von
einem radikal neuen Organisations- und Managementmodell in ihrer Arbeit (Bartlett
und Ghoshal, 1997:3) und sie sind davon Uberzeugt, dass ihr neues Management
modell nur dann wirklich verstanden werden kann, wenn die Ursachen der Defizite
von Organisationen, die sie mit ihrem neuen Managementmodell iiberwinden wollen,
klar geworden sind.
4.1. Was ist das Neue am Modell von Bartlett und Ghoshal?
Im ersten Teil ihrer Arbeit werden zum Teil bekannte Defizite der klassischen Organi-
sationsform erortert. Bartlett und Ghoshal kritisieren dabei den fraglos umfangreichen
Einfluss von Frederick W. Taylor auf die Organisationsgestaltung und argumentieren
in ihrer Diskussion, dass in den meisten Fallen das Management noch an den Prin-
zipien von Taylor festhait und zeigen an ausgewahlten Beispielen, dass viele Unter-
nehmen immer noch durch die Auflosung von Aufgaben in ihre einzelnen Teilschritte
und durch das exakte Studium der einzelnen Arbeitsvorgange, die Effizienz der
Arbeitsorganisation revolutionieren mochten. Dabei interessieren sie sich fur die
Frage, in welcher Weise die alten Organisationsprinzipien auf Motivation, KontroUe
und Koordination hochspezialisierter Wissensarbeiter wirken. Sie greifen damit impli-
zit die beriihmte These des Fordismus auf, in dem die Auffassung vorherrschte, dass
mit zunehmender Teilung der Aufgaben und der damit einhergehenden Spezialisierung
die mit den Einzelaufgaben betrauten Beschafligten ihre Motivation verlieren.
Sie sprechen davon, dass in den traditionellen Managementkonzeptionen und in den
K5pfen der Manager eine Vorstellung von Arbeit vorherrscht, die im GroBen und
Ganzen mit der von Henry Ford zu vergleichen ist. In einem Zitat, das Henry Ford zu-
geschrieben wird, lasst sich dieses Verstandnis illustrieren: ''When all I want is a good
62
pair of hands, unfortunately I must take them with a person attached' (Bartlett und
Ghoshal, 1997:6). Mit diesem figurativen Beispiel soil deutlich gemacht werden, dass
die traditionelle Organisationsform die Arbeitskraft, nicht aber die KreativitSt und das
Talent der Beschaftigten nutzte. Das heifit nichts anderes, dass traditionelles Manage
ment noch immer von der Vorstellung ausgeht, der Arbeiter soil nicht denken, sondem
arbeiten. Aus heutiger Sicht, in der auf das Wissen der Arbeiter nicht verzichtet
werden kann, wird die Ambivalenz dieser Denkform offensichtlich. Sie zeigt ja damit
auch deutlich, dass es sich hier nicht nur um eine Form der Organisation von Arbeit,
sondem eben auch um eine Herrschaftsform handelt. GewissermaBen, so Ghoshal und
Bartlett, schreibt sich diese an dem Begriff der Kontrolle haftende Vorstellung in der
strikten Planung der Produktion fort, die als Voraussetzung fur reibungslose Organi-
sationsprozesse in der Untemehmung angelegt war. Ironischerweise wurde damit die
Forderung des Managements, namlich Eigeninitiative, damit es zu keiner Storung der
auf reibungslose Ausfiihrung geplanten Arbeitsprozesse komme, ausgeschlossen und
als StSrung identifiziert. Als Storung wird alles betrachtet was das unmittelbare Ar-
beitsvermogen, soweit nicht von oben gesteuert, beeintrachtigt. Mit zunehmender
Planung und Steuerung der Arbeitsprozesse wird Arbeit als kreativer Faktor aus den
Organisations- und Arbeitsprozessen hinausgedrSngt. In unterschiedlicher AusprSgung
schreibt sich diese Tendenz uber mehr als vier Jahrzehnte in der Struktur der traditio-
nellen Untemehmung fest. Ghoshal und Bartlett hierzu: "yet through all the adjust
ment, redesigns and change programs, the deeply embedded assumptions remained
unchallenged" (Ghoshal und Bartlett, 1997:7).
Mit dem von ihnen vorgeschlagenen neuen Organisationsmodell soil also der Produk-
tionsfaktor Mensch revitalisiert werden. Das Wissen des Arbeiters wird als neue Res-
source entdeckt! Wie soil das geschehen? Percy Bamevik, der Corporate Executive
Officer von Asea Brown Boveri wird mit vielsagenden Worten zitiert: "There is
tremendous unused potential in our people. Our organizations ensure they only use 5
or 10 % of their abilities at work" (Bartlett und Ghoshal, 1997:9). Das Problem wird
jedoch nicht darin gesehen, dass die Beschaftigten nur 5 oder 10 % ihres Talentes und
ihrer Kreativitat nutzen, sondem im Umstand, dass das traditionelle Untemehmen
durch ihre Organisationsstmktur nicht mehr Kreativitat verarbeiten kann. Das liegt
gmndsStzlich daran, so Bartlett und Ghoshal, dass: "Organisationen der zweiten
Generation mit Strategien der dritten Generation arbeiten, die von Managem der ersten
Generation implementiert werden" (Bartlett und Ghoshal, 1997:9).
63
4.1.1, Das Modell der individualisierten Unternehmung
Was kennzeichnet also nun die individualisierte Unternehmung und worin bestehen
die charakteristischen Merkmale dieser Organisationsform? Ganz allgemein werden
drei Merkmale, die das Wesen der "individualized company" ausmachen, hervorge-
hoben: (1) Soil die FShigkeit und Kreativitat der Mitarbeiter wieder reaktiviert werden.
(2) Geht es in der individualisierten Unternehmung darum, neugierige und wissbe-
gierige Mitarbeiter zu schaffen. (3) Wird eine Organisationsstruktur in Aussicht ge-
stellt die flexibel genug ist diese geforderten Emeuerungen zu ermSglichen.
Bartlett und Ghoshal sehen den GroBteil dieser Vorhaben in Untemehmen wie ABB
und 3M verwirklicht. In den von ihnen untersuchten Fallbeispielen, so behaupten sie,
sei es dem Management gelungen, einen tief greifenden Wandel herbeizufuhren und
umzusetzen. Fur Bartlett und Ghoshal (1997:13) ist es den genannten Untemehmen
tatsachlich gelungen, traditionelles Denken umzubauen und Hierarchien abzuschaffen
und durch ein neues ''Portfolio von Prozessen" zu ersetzen (Bartlett und Ghoshal,
1997:15). Dieses Portfolio stellt sich als metaphorisches Programm einer Netzwerk-
organisation heraus. Nicht mehr eine pyramidenfSrmige Hierarchie mit einer steilen
und eindeutigen Befehls- und Aufgabenstruktur, sondem ein Netzwerk von wenigen,
kaum mehr als 200 Mitarbeitem, lenkt - so das Beispiel ABB - die Geschicke des
Untemehmens. Hierzu Bamevik: „The only way to manage a large, complex company
like ABB is to make it as simple and local as possible. The press may describe us as a
$30 billion diversified global company, but we see ourselves as a portfolio of 1,200
companies, each with an average of two hundred employees. This is where the real
work gets done, and these people need well-defmed responsibilities, clear account
ability, and maximum degrees of freedom to execute" (Bartlett und Ghoshal, 1997:27).
Hier wird die Netzwerkidee ins Zentrum der Organisationsgestaltung gerUckt. Die
Netzwerkmetapher wird jedoch auch in ihrer symbolischen Wirkung instrumentali-
siert. Anstelle von fixen Strukturen der Autoritat - die sich in einem Auflosungs-
prozess befinden und die zunehmend als unbrauchbar und delegitimisiert verstanden
werden, wird die offene, fur die Eigeninitiative und selbstverantwortliche Eigen-
leistung bereite Netzwerkorganisation propagiert. Weil die exakte Bestimmung der
Arbeitsaufgaben immer ambivalenter wird, soil dieses Defizit in der Arbeitsgestaltung
durch Eigeninitiative ersetzt werden. In einer Arbeitswelt in der sich permanent das
Aufgabenspektrum verandert, greift die Autoritat und Befehlshoheit des Managers ins
Leere. Nicht nur, dass der Manager keine direkte Kontrolle mehr uber den konkreten
64
Arbeitsprozess ausuben kann, sondem auch die ergebnisabhSngige Entlohnung, wie
sie im Fordismus ublich war, stellt sich als inhaltsleeres Instrument heraus, Arbeiter zu
motivieren. Zum anderen wird der Erfolg einer Organisation unmittelbar davon in Ab-
hangigkeit gebracht, ob es gelingt, souverdne, selbststdndige und zu unternehm-
erischen Entscheidungen befdhigte Mitarbeiter zu schaffen. Man kOnnte auch meinen,
dass sich hier die auf Erfolg ausgerichtete Handlungsorientierung vom Typus instru-
mentelles und strategisches Handeln auf den Typus kommunikatives Handeln ver-
schiebt (Habermas, 1981). Offensichtlich ist freilich, dass die Vermittlung von Wissen
selbst auf kommunikative Kompetenz aufbaut. Aber hier geht es keinesfalls um eine
naive Vorstellung, denn die Selbstdndigkeit wird in der Managementpraxis gleichsam
wieder instrumentalisiert: Beispielsweise war es das Ziel bei ABB "[to] enable people
to think and act entrepreneurially within the boundaries of the company" (Bartlett und
Ghoshal, 1997:26). Bamevik erklart, seine Ingenieure wurden Untemehmer, die ihrem
Geschaftsbereich stark verbunden sind und sich mit den Zielen des Untemehmens
identifizieren. In der klassischen, divisionalen Untemehmung hat dies nicht funktio-
niert, im positiven wie im negativen. Grundsatzlich deshalb, weil die Funktion der
Managementinformationssysteme in der Untemehmung nicht primar der Steuerung
dienten, sondem als KontroUinstrumente, als effizientes aber keinesfalls effektives
Werkzeug eingesetzt wurden. Diese Informationssysteme hatten zwar das Ziel die
Geschaftseinheiten bei ihren Aufgaben zu unterstutzten, aber tatsachlich mutierten sie
zu einem Kommunikationsritual mit dem das Headquarter mit Informationen versorgt
wurde, die es fiir seine strategischen Zwecke erwartete und die in den Geschaftsein
heiten die geringsten Nachteile in der nachsten Planungsperiode erwarten lieBen. In
diesem Zusammenhang argumentieren Bartlett und Ghoshal (1997:55), dass es einem
Untemehmen von innen heraus gelingen muss, sich zu disziplinieren, wenn das her-
kommliche Design und die Funktion der betrieblichen Informationssysteme fallen ge-
lassen werden (Bartlett und Ghoshal, 1997:56). Hemntergebrochen auf einen zentralen
Kem heifit dies aber auch, dass die Steuemng und Kontrolle von oben, durch eine von
innen ersetzt werden soil.
Fiir Bartlett und Ghoshal ist das Problem der traditionellen Organisationsform, dass
die Initiativen anderer Organisationsbereiche nicht aufgegriffen werden, sondem je-
weils als Bedrohung eigener Vorhaben und Handlungsfreiraume interpretiert werden.
Dadurch entsteht zwangslaufig ein Klima, in dem Erfolge und Innovationen fremder
Bereiche mit Misstrauen betrachtet werden (Bartlett und Ghoshal, 1997: 59) und der
Erfolg des anderen eiferstichtig als Bedrohung der eigenen Leistung betrachtet wird.
65
Nach Bartlett und Ghoshal (1997:101) zeichnet sich die individualisierte Unter-
nehmung durch drei Eigenschaften aus:
• formalisierte horizontale Bindungen und Beziehungen;
• ein vollkommen neues Controlling und Steuerungsverstandnis des Managements;
• eine auf Vertrauen aufgebaute Organisationskultur, die Transparenz und Offenheit
fbrdert, Fairness und Gleichheit pflegt und in denen die Mitglieder gemeinsame
Werte teilen.
Formal ist die individualisierte Untemehmung eine integrierte Netzwerkorganisation
(Bartlett und Ghoshal, 1997:101; Nohria und Ghoshal, 1997:33), die der traditionellen,
funktionalen Organisationsstruktur gegenubergestellt ist. WShrend die funktionale
Organisationsstruktur Effizienz nur dadurch gewinnt, jede betriebliche Funktion ge-
trennt zu spezialisieren, soil die Netzwerkorganisation ihre Effizienz aus der inte-
grierten Nutzung spezialisierter Wissensformen der einzelnen Bereiche gewinnen und
verzichtet auf die Zentralisierung von Kommunikation und Entscheidungen. Ghoshal
und Bartlett sprechen hier von integrierter Interdependenz. Dieses Modell ist von einer
Reihe altemativer Verhaltensannahmen getragen, die den utilitaristischen und Zweck-
Mittel-orientierten Handlungsstrategien scheinbar widersprechen. Aber diese herkom-
mlichen Verhaltensannahmen haben tatsSchlich auch etwas mit unserem technischen
Verstandnis von Management - wie es innerhalb der traditionellen Organisationsform
jahrzehntelang kultiviert wurde - zu tun. Um herauszufmden, was dies heifit, ist es nur
notwendig auf die Bedeutung von Technik selbst einzugehen. Technik ist im engeren
Sinn die Naturbeherrschung und dient der Verwirklichung der Lebensfuhrung und Da-
seinsgestaltung und im weiteren Sinn ist unter Technik die Art zu verstehen, wie
Mittel fur vorgesetzte Zwecke angewendet werden (Gehlen, 2004:170).
4.1.2. Der behavioristische Kontext der traditionellen Untemehmung
Das zentrale Argument von Bartlett und Ghoshal ist nun, dass das individualisierte
Untemehmen, die verhaltenswissenschafllichen Grundpfeiler der traditionellen Orga
nisationsform aufgibt und durch neue ersetzt. In der folgenden Abbildung, die als "be-
havioristischer Kontext der Untemehmensfiihrung" tiberschrieben ist, sind diese vier
Parameter und ihre hypothetischen kausalen Wirkungen und ihr Symbolgehalt zu-
sammengefasst. Auf einen Nenner gebracht, das Ergebnis der klassischen Organisa
tionsstruktur ist die Kontrolle (control), die ausgetibt die noch vorhandenen Initiativen
vielfSltig beschrdnkt (constraint) und damit im Laufe der Zeit abtStet. Es tritt eine
66
organisatorische Lahmung ein (organisational inertia). Die einzelnen Akteure ver-
andem ihre Verhaitensweisen und passen sich den Werkzeugen der Kontrolle an. An-
gepasst an diese Beschrankungen und der Kontrolle kultivieren sie im Laufe der Zeit
ein passives EinverstSndnis {compliance) und verwenden diese Werkzeuge so effizient
es ihnen moglich ist. Sie treffen selbst keine Entscheidungen mehr, sondem warten bis
in der Organisation Entscheidungen getroffen werden (neue Werkzeuge zur Verftigung
gestellt werden). AUes was zu tun ist, wird soweit wie mOglich tiber explizite Vertrage
{contract) festgeschrieben, was wiederum die Eigeninitiative einschrSnkt. Das Werk-
zeug wird entsprechend der Gebrauchsanleitung verwendet. Es wird auf Anordnung
und nach Vereinbarungen gearbeitet. Mit dem Werkzeug des Hammers wird ge-
hSmmert, egal auf was. Wichtig erscheint nur, ob gut gehSmmert wird. Die vier Fak-
toren stehen in einem kohSrenten aber rekursiven Zusammenhang. Sie stellen die
Struktur dar, tiber die die einzelnen Akteure ihre Handlungen setzen, und die je-
weiligen vor dem Hintergrund dieser Struktur gesetzten Handlungen selbst verstSrken
den Effekt dieser Struktur. So entsteht ein sich gegenseitig verstMrkendes Zusammen-
spiel zwischen den vier Faktoren. McGregor hat in den 60er Jahren ein sehr ahnliches
Konzept diskutiert. Er hat seine Uberlegungen Theorie Y und Theorie X genannt und
damit das jeweilige negative und/oder positive Menschenbild mit einer negativen
und/oder positiven Organisationsdynamik in Zusammenhang gebracht. McGregor war
davon tiberzeugt, dass ein negatives Menschenbild zu kontroUorientierten Organisa-
tionsstrukturen fiihrt, diese Strukturen die betroffenen BeschSftigten demotiviert und
ein Desinteresse und eine zunehmende Passivitat erzeugt und dass diese Demotivation
und Passivitat vom Management als Bestatigung daftir verwendet wird, um die ge-
troffenen MaBnahmen zu legitimieren. Argyris hat daran anschliefiend an einem ver-
gleichbaren negativen Zyklus gearbeitet, bei dem durch die traditionelle Organisa-
tionsgestaltung, die auf Arbeitsteilung und Autoritat nicht verzichten will, unreife Mit-
arbeiter produziert werden (Argyris, 1957).
67
Abbildung 9: Kontext der individualisierten Untemehmung (Bartlett und Ghoshal, 1997)
Die strikte Linienverantwortlichkeit und die formalen Beziehungen in der traditio-
nellen Organisation entsprechen diesem verhaltenswissenschaftlichen Modell (Bartlett
und Ghoshal, 1997:145). Die Kontrolle in der Untemehmung wurde uber strenge
hierarchische Verantwortlichkeiten und Befehlsmuster verstSrkt. Damit produzierte die
Organisation quasi-automatisch ein defensives und passives Verhalten bei den einzel-
nen Akteuren. Beziehungen wurden liber vertragliche Vereinbarungen festgeschrieben
(Bartlett und Ghoshal, 1997:149). Bartlett und Ghoshal argumentieren nun, dass ihr
neues Modell diese alten Verhaltensparameter ersetzt.
4.1.3. Die Erneuerung der behavioristischen Grundlagen im Unternehmen. Wie soil das geschehen?
Die neuen Prinzipien der Verhaltenssteuerung sind uberschrieben als stretch, support,
discipline und trust. Frei ubersetzt substituieren FlexibilitSt (Stretch), Unterstiitzung
(Support), Disziplin (Discipline) und Vertrauen (Trust) die alten Eckpfeiler der Orga-
nisationsgestaltung, control, constraint, contract und compliance. Die Beziehungen
zwischen Management und Mitarbeitem werden nicht mehr als hierarchische Be
ziehungen zwischen Vorgesetzten und Untergebenen begriffen, die in einem strikten
Autoritatsverhaltnis stehen, sondem das Management nimmt die Rolle des Coaches,
des Betreuers, oder Mentors ein. Disziplin wird als Gegenstuck zu compliance (=
etwas Oder jemandem Folge leisten) verstanden und als Ergebnis eigenverantwort-
68
licher und aktiver Selbstverpflichtung verstanden, um die gesetzten Ziele zu verfolgen
und umzusetzen (vgl. Argyris, 1957 und 2000). Vertrauen ersetzt die in der
klassischen Organisationsform tibliche Fixiemng und Kontroile samtlicher Leistungs-
prozesse durch Vorgesetzte. Durch das in dem Untemehmen existierende Vertrauen
entsteht mehr Transparenz und Offenheit, die in weiterer Folge den Austausch und die
Kommunikation zwischen verschiedenen Organisationseinheiten verbessert. Stretch -
als vierte Dimension - (bezeichnet als das Streben nach mehr) ist zu verstehen als
Eigenschaft, die am besten damit umschrieben werden kann, dass in der individuali-
sierten Untemehmensform jedes Organisationsmitglied und jeder GescMftsbereich,
seine Fahigkeiten und sein Wissen ganz im Sinne des Kemkompetenzgedankens
permanent in neue und alternative Anwendungen und Bereiche einbringt und ver
bessert.
Abbildung 10: Anderung der behavioristischen Grundlagen (Bartlett und Ghoshal, 1997)
4.1.4. Der erneuerte behavioristische Kontext der Unternehmung
Im Zusammenspiel der vier Dimensionen stretch, support, trust und discipline ent-
wickelt die individualisierte Unternehmung neue Verhaltensparameter und daraus
emergieren neue Verhaltensorientierungen in der Organisation. Bartlett und Ghoshal
69
hierzu: "Discipline is more than compliance to directives or conformity to policies; it
is an embedded norm that makes people live by their promises and commitments ... if
discipline substitutes for compliance, then support replaces control... the relationship
between bosses and subordinates is then defined by characteristics of coaching,
helping, and guiding..." (Bartlett und Ghoshal, 1997:154). In diesem Umfeld ent-
wickelt sich schliefilich auch Vertrauen und darauf aufbauend Reziprozitat. "People
who trust one another rely on each other's judgment and depend on reciprocal commit
ment", so die Autoren (Bartlett und Ghoshal, 1997:155). Stretch interpretieren sie als
"the liberating and energizing element ... that raises individual aspiration levels and
encourages people to lift their expectations of themselves and others..." (Bartlett und
Ghoshal, 1997:157).
Abbildung 11: Emeuerung der individualisierten Untemehmung (Bartlett/Ghoshal, 1997)
Durch das Zusammenwirken von Stretch, "dem Streben nach mehr" - oder anders
Ubersetzt der Nutzung stotlicher Produktionsmittel und dem in der Organisation exis-
tierenden Vertrauen evolvieren neue selbstemeuemde, energisierende Verhaltens-
formen, wie "commitment (Leistungsbereitschaft) von den einzelnen Beschaftigten,
die fortan aus Eigeninitiative heraus ihre Aufgaben erfiillen. Durch das Zusammen-
spiel von Vertrauen und Support (UnterstUtzung durch Management und Organisa-
tionsstruktur) entwickelt sich die fur die individualisierte Untemehmung typische Ko-
70
operation und gegenseitige UnterstUtzung verschiedenster Arbeitsbereiche. Uber das
Zusammenwirken der Dimensionen Vertrauen und Selbstdisziplin entsteht VerlSss-
lichkeit {confidence). Durch das Ineinandergreifen der Faktoren Disziplin und Support
entwickelt sich die fur diese Organisationsform typische Umsetzungsstarke („Exe-
cution"). Das Zusammenwirken der Dimensionen Support und Stretch steigert die
Lemfahigkeit (Bartlett und Ghoshal, 1997:173). Diesen emeuerten behavioristischen
Kontext und die daraus emergierenden Verhaltensmuster in der individualisierten
Untemehmung, erklSren Bartlett und Ghoshal wie folgt: "The ability and willingness
of people to take initiative is rooted in the tension between stretch and discipline: the
former serving as the source of energy and the later converting that energy into
tangible and time-bound action. Stretch without discipline leads to dreaming, while
discipline without stretch locks the company into an ever narrowing spiral of refining
existing operations without the courage to make a creative lap [...] Similarly, it is the
combination of trust and support that motivates cooperation and collaboration. Trust
makes cooperation desirable; support enables individuals to convert that desire into
action. Each is a necessary element of the organizational glue, but only in combination
do they create the sufficient conditions for integrating the disparate actions of
dispersed people [...] Beyond initiative and cooperation, renewal also requires some
other kinds of behaviors in people - an openness to learning, the courage of self-
confidence, the willingness to commit, and the ability to execute. It is the same four
attributes of context that, in different combinations, provide the enabling conditions
for each of these behaviors" (Bartlett und Ghoshal, 1997:174).
5. Resiimee
Wie dargestellt, setzen in unterschiedlichem Umfang, alle hier diskutierten Wissens-
management-Modelle den Schwerpunkt in der Konversion von impliziten in explizite
Wissensformen. Diese Festsetzung ist eine wichtige Voraussetzung, von der die Mo-
delle nicht so ohne weiteres loskommen und an der die Praxis des Wissensmanage-
ments leidet. Damit die Transformation verschiedener Wissensformen effizient und
effektiv realisiert werden kann, haben die Autoren mit ihrer unterschiedlichen Pers-
pektive die Notwendigkeit institutioneller Arrangements erOrtert. Boisot thematisiert
die Frage, wie ambivalente Wissensproduktion und -konversion sich uber institutio-
nelle Organisationsbereiche verteilt und beschaftigt sich hierbei mit dem Problem, wie
einzelne organisatorische, groBteils in sich abgeschlossene Wissensprozesse wieder
zusammengebracht werden kOnnen. Ziel ist es, getrennt kognitive Prozesse wieder
miteinander zu verbinden. Die Verbindung selbst soil aber weitreichend sein und ge-
71
wahrleisten, dass einzelne Prozesse der Wissensproduktion wieder ineinander greifen.
Hierzu greift Boisot auf vier institutionelle Formen zuriick, die in der einschlagigen
Literatur grofiteils andere Aufgaben erfiillen. Interessant hierbei ist, dass in den vier
institutionellen Idealtypen jeweils eigene normative Regeln die Wissensproduktion in
Gang halten. Organisatorisches Lemen wird ais zyklische Wissensproduktion
konstruiert, die kreisformig die einzelnen institutionellen Typen durchlauft. In dem als
idealen Wissensprozess konstruierten sozialen Lemzyklus bedeutet dies, dass in den
konkreten Phasen der Wissensproduktion die sozialen Bindungen und normativen
Muster des Klans, abgel5st werden von den Regeln und Formen der Biirokratie, die
Funktion der Biirokratie durch die Funktionalitat des Marktes ersetzt wird und
schliefilich der Markt selbst durch sehr stark verpflichtende Patron-Klientel-Beziehung
ersetzt wird, um somit einen neuen, eben „alteritaren" Prozess der Wissensproduktion
zu initiieren. Eine Organisation benotigt damit alle vier Institutionenformen, um den
komplexen Stoffwechsel zwischen den verschiedenen Wissensformen zu garantieren.
Insbesondere ist in den singulSren Phasen des sozialen Lemzyklus, die Boisot als
Prozess konzipiert, mit dem Organisationen neues Wissen generieren, erkennbar, dass
die sechs Phasen nur dann ineinander greifen, wenn die dafur notwendigen inter-
subjektiven sozialen Kontexte vorhanden sind. Diese sozialen Strukturen werden aller-
dings nicht betrachtet. Auch bleibt bei Boisot voUkommen offen, wie jeweils die ganz
eigentumlichen Organisationsmuster, beispielsweise wie die Regeln und Handlungs-
muster der Biirokratie abgelOst werden von den Regeln auf Markten. Das Problem 16st
er damit, dass in einer Institutionenform jeweils die fiir die andere Institutionsform
idealtypische Wissensform bereits angelegt ist und somit den sensiblen Ubergang von
einem Ordnungsmuster in ein anderes sicherstellt. Die sozialen Regeln in den ein
zelnen Feldem der herausgegriffenen Institutionen werden aber nicht im Detail dis-
kutiert. Sie werden auch nicht mit einer besondem Bedeutung versehen, primSr des-
halb, so ist zu vermuten, well die dringliche Uberlegung darin besteht, die jeweils ent-
stehenden Formen des Wissen zum einen innerhalb der institutionellen Felder zu kon-
trollieren, was nichts anderes heiBt als in der Organisation den abstrakten Zugriff
sicher zu stellen und zum anderen, den Wissensfluss in Gang zu halten, der aber eben
dadurch bestimmt ist, Wissen von einem Ort (der Anwendung) zu einem weiteren Ort
(der Kontrolle) zu transplantieren. Interessant ist allerdings, dass diese spezifischen
Orte der Anwendung und Kontrolle eigentlich soziale Felder darstellen, die mit ganz
unterschiedlichen Macht- und Krafleverhaltnissen zwischen ihren Akteuren und der
Umwelt arbeiten.
72
Auch Hedlund selbst zeigt in seinem Design der N-Form, dass Wissensproduktion und
-diffusion in wesentlichem auf komplexe Interaktionen zurQckgreifl. Diese Inter-
aktionsformen kreisen um die Begriffe Dialog, Kommunikation und/oder Organi-
sationsroutine. Die in Organisationen stattfindenden sozialen Prozesse, wie die Inter-
nalisierung, die Reflexion und die Dialogisierung, die mit diesen Prozessen, die einen
sehr starken symbolischen Charakter im Managementdiskurs einnehmen, werden als
Kommunikationsprinzipien gebraucht bzw. an ein spezifisches Organisationsdesign
gehSngt, damit das in organisational Routinen eingebettete Wissen weitergeben
werden kann und bestehende Wissensbestande reflektiert und emeuert werden kSnnen.
Auch in diesem Modell sind die zentralen sozialen Prozesse nicht ohne soziale Inter-
aktion in Organisationen praktikabel. Auch wird das soziale Feld in dem diese Hand-
lungsakte und die eigentliche Handlungspraxis erfolgt ausgeklammert. Hedlund ver-
weist darauf, dass gerade organisational Eigenschaften, die Reflexions- und Dialog-
fMhigkeit ermoglichen, erst im Kontext der auf Dauer angelegten Beziehungen emer-
gieren und es darum gehen muss, soziale Bedingungen, unter denen neues Wissen
assimiliert und bestehendes Wissen infrage gestellt werden kann, zu schaffen
(Hedlund, 1994:84).
Nonaka und Takeuchi (1995a) und in weiterer Folge Nonaka und Konno (1998)
konstruieren die ''soziale Gemeinschqft" als Idealtypus der Wissensproduktion
(Nonaka und Takeuchi, 1995:DC). Im Gegensatz zu Boisot agiert die „soziale Gemein-
schaft" im insititutionenfreien Raum. Auf den verschiedenen Ebenen der Wissens
produktion und auf den einzelnen Stufen der Wissenskonversion sind die kognitiven
und sozialen Prozesse auf den Austausch zwischen Individuen und Gruppe verwiesen.
Nonaka und Takeuchi insistieren mehrmals und ganz explizit in ihren Texten darauf:
"knowledge creation is anchored to a critical assumption that human knowledge is
created and expanded through social interaction" (Nonaka und Takeuchi, 1999a: 10).
Gleichzeitig gehen sie - wie die Kognitionswissenschaflen - davon aus, dass Wissen in
den Kopfen einzelner Individuen sich befindet und produziert wird. In der Erg&izung
und Erweiterung des urspriinglichen Modells der Wissensproduktion verweist Nonaka
mit Nachdruck, dass organisational Wissensproduktion Ergebnis intersubjektiver
Austauschprozesse ist, die ihrerseits intensiv in Gruppenstrukturen eingebettet sind.
"The sum of individuals' intentions and ideas fuse and become integrated with the
groups mental world" (Nonaka und Konno, 1998:44).
KMser und Miles (2002a und 2002b) schliefien an diese Uberlegung an, wenngleich aus
einer anderen Perspektive und zeigen, dass der Austausch idiosynkratischer Wissens-
73
formen von Vertrauen und intrinsischer Motivation bestimmt wird. Eine zentrale
These in ihrer Argumentation ist, dass idiosynkratische Wissensfonnen nur in iSnger
andauemden vertrauenswiirdigen sozialen Beziehungen ausgetauscht werden.
Bartlett und Ghoshal (1997) thematisieren die Probleme im Umgang mit KreativitSt
und Talent in Organisationen vor dem Hintergrund der Defizite der traditionellen
Organisationsform und entwerfen, Shnlich wie Hedlund (1994) ein Organisations-
design, das jedoch weitreichender auf behavioristische PrSmissen zuruckgreift. Die
verhaltensorientierten Dispositionen, die Bartlett und Ghoshal fiir das individualisierte
Untemehmen entwerfen, heften sie an die Begriffe Vertrauen, Untersttitzung, Disziplin
und Stretch (das Streben nach Verbesserungen). Uber diese Eigenschaften sehen sie
Verhaltensmuster emergieren, die in Organisationen soziale und vertrauenswOrdige
Beziehungen begrtinden. Sie bringen hier die Idee selbstorganisierender Systeme ins
Spiel, bei der auf die zentrale Gestaltung von Strukturen verzichtet wird und das
Management auf Selbststeuerung im GroBen und Ganzen vertraut.
Auch in diesem Kontext sind es jeweils konkrete soziale Strukturen, in die die Hand-
lungen der Akteure eingebettet sind, die tiber Erfolg oder Misserfolg entscheiden. Un-
beriicksichtigt bleibt in alien hier diskutierten Varianten, dass die Handlungen ein-
zelner Akteure selbst wieder auf die Strukturen zurUckwirken (vgl. Giddens, 1984),
wenngleich soziale Strukturen als Voraussetzung thematisiert werden, damit Wissens-
produktion und Wissensdiffusion mSglich wird.
Ich mOchte mich deshalb im folgenden Abschnitt mit dem Okonomischen Wert so-
zialer Strukturen beschaftigen und auch - wo es notwendig ist - genauer auf die Frage
der Institutionen eingehen. Im Rahmen der Sozialkapitalliteratur wird der wirtschaft-
liche Wert sozialer Netzwerke als soziales Kapital bezeichnet. Der GroBteil der So
zialkapitalliteratur begrundet die Tatsache, warum einzelne Akteure in soziale Be
ziehungen investieren, mit dem Utilitarismus. Diese ErklSrung ist jedoch unvoUstandig
und es ist notwendig zu zeigen, wie im Zusammenspiel von Institutionen mit habitua-
lisierten Handlungen soziales Kapital erklart werden kann. Vorerst ist es aber not
wendig sich mit dem Thema und Begriff Sozialkapital auseinanderzusetzen. Im
folgenden Teil werde ich mich deshalb mit dem Begriff Sozialkapital auseinander-
setzen. Ich werde dabei einzelne Sozialkapitaldefinitionen herausgreifen. Im Vorder-
grund steht dabei, wie der 6konomische Wert von sozialen Netzwerken entsteht. Er-
gSnzend zu den Sozialkapitaltheorien von Bourdieu, Coleman und Putnam bespreche
ich zwei spezielle Varianten von Nahapiet und Ghoshal und von Nan Lin.
74
Daran anschlieBend diskutiere ich den Zusammenhang zwischen der Stmktur sozialer
Netzwerke und der Entstehung von Sozialkapital. Dabei greife ich auf zentrale Be-
griffe der sozialen Netzwerkanalyse und auf die Sozialkapitaltheorie von Burt (1982,
1992, 1997) zuriick. In diesem Abschnitt schien es mir notwendig, auf wesentliche
Begriffe und Definitionen der sozialen Netzwerkanalyse naher einzugehen, damit ge-
zeigt werden kann, in welcher Form Eigenschaflen wie die Netzwerkredundanz,
strukturelle Briicken, "strong ties", "weak ties", Ego-Netzwerke und Cliquen auf die
Produktion und Diffusion von Wissen wirken.
75
II. Sozialkapital und Vertrauen
Kogut und Zander (1996) verstehen die Firma als ein soziales Konstrukt, das sich auf
die Produktion und Koordination von spezialisiertem Wissen konzentriert. In diesem
Zusammenhang wird die Produktion und Verwertung von Wissen als zentrale Fahig-
keit eines Untemehmens thematisiert (Teece, Pisano und Shuen, 1997). Die res-
sourcenorientierte Theorie der Firma, die kompetenzorientierte Theorie der Firma und
die wissensorientierte Theorie der Firma beschSftigten sich mit der Frage wie durch
den Gebrauch von Ressourcen nachhaltige Vorteile erworben werden. Die Imitation
der als firmenspezifisch bezeichneten Ressourcen wird jedoch als problematisch be-
trachtet, weil es sich um inharente Spezialisierungsvorteile handelt, wie Know-how
Oder tacit knowledge (Lippman und Rumelt, 1982), das in organisational Tatigkeiten
eingebettet ist. Die Schwierigkeit, dieses Wissen zu imitieren, trifft jedoch, wie viel-
fach diskutiert, nicht nur auf konkurrierende Firmen zu, sondem bereitet bereits inner-
halb der Firma Probleme. Diese Schwierigkeiten sind vor allem damit verbunden, dass
sog. best practices und Verbesserungsprozesse im Untemehmen nur sehr langsam und
unvoUstandig in andere Bereiche diffundieren (Szulanski, 2003). Erstaunlicherweise
hangt die Diffusion letztlich aber zu einem groBen Teil davon ab, inwieweit erfolg-
reiche Praxis imitiert wird.
Wissen wird also zur zentralen Ressource erklart und einschlagige Wissensmanage-
ment-Modelle, wie die im vorigen Abschnitt besprochenen, diskutieren detailreich und
voraussetzungsvoU wie Wissen produziert wird und unter welchen Bedingungen
dieses Wissen in Organisationen unabhangig von Produzenten zur Verfiigung gestellt
werden kann (vgl. Schneider, 1996 und 2001). Dabei wird uber den Verweis auf Ver
trauen, die Frage diskutiert, welchen Effekt vertrauenswiirdige soziale Beziehungen
auf den Austausch von Wissen haben.
Im Rahmen der Sozialkapitaltheorie, die den Begriff Sozialkapital verwendet, um her-
auszustreichen, dass soziale Beziehimgen, einen wirtschaftlichen Wert haben konnen,
stehen interpersonale Austauschprozesse im Zentrum des Forschungsprogramms. In
diesem Zusammenhang interessiert mich in diesem Abschnitt die Frage, welchen
Effekt Sozialkapital auf die Produktion und den Austausch von Wissen hat. Die von
Kogut und Zander angesprochene soziale Konstruktion, kann auf die Funktionalitat
sozialer Beziehungen gar nicht verzichten, damit die Produktion realisiert und die
Koordination wissensintensiver Leistungen umgesetzt werden kann. Und wie von den
beiden Autoren in ihrer Begriffsverwendung beabsichtigt, ist Funktionalitat in der
77
Organisation nur iiber Vertrauen und soziale Bindungen zwischen einzelnen Akteuren
machbar. Es scheint, dass in den einfachsten Fallen die Durchftihrung einer Aufgabe
zwangslaufig ein MindestmaB an Vertrauen und eine ganze Reihe von sozialen Kon-
takten erfordert. Vielfach schenken wir Vertrauen unbewusst und nutzen soziale Be-
ziehungen zu Kollegen und Freunden, ohne dass wir uns dariiber im Klaren sind.
Diese Selbstverstandlichkeit mit der wir Vertrauen schenken und soziale Kontakte ein-
gehen, verstarken wir mit unserem habitualisierten (gewohnheitsmSBigen) Handeln im
Alltag bzw. in alltaglichen Arbeitsroutinen.
Cohen and Prusak stellen hierzu fest: "Most of us know from experience that trusted
colleagues help us to accomplish work. ...We know too that we are more likely to give
our energy, talent, and loyalty to an organization if those around us are helpful and
honest as opposed to uncooperative and devious, and if the leadership of the organi
zation takes a fair and equitable approach to the people who work for it." (Cohen und
Prusak, 2001 :IX). Cohen und Prusak erklaren hier, dass Arbeit als soziale Aktivitat er-
lebt wird und sie betonen: "Social activity that engages the same social needs and
responses as the other parts of our lives: the need for connection and cooperation,
support and trust, a sense of belonging, fairness, and recognition" (Cohen und Prusak,
2001 :X). Sie sprechen hier dem sozialen Kontakt selbst einen intrinsischen Wert zu.
Aber dieses intrinsische Bedlirfnis nach sozialen Kontakten nehmen wir, soweit es er-
fiiUt ist, gar nicht explizit wahr (Gehlen, 2004). Wie im vorigen Abschnitt erwahnt,
sind elementare Prozesse in der Wissensproduktion auf soziale Eigenschaften wie Ver
trauen, Kooperation und Reziprozitat aufgebaut und es ist unstrittig, dass ganz allge-
mein Vertrauen, Kooperation und Reziprozitat Merkmale sozialer Beziehungen sind.
Vertrauen, Kooperation und Reziprozitat sind keine Ergebnisse utilitaristischer Mo
tive, sondem sind in Institutionen eingebettet.
Die Frage, die im ersten Abschnitt dieser Arbeit anhand der Diskussion einschlagiger
Wissensmanagement-Modelle erortert wurde, ist also nicht nur, wie implizite Wissens-
formen, die zu einem uberwiegenden Teil in organisational Routinen der Organi
sation eingebettet sind, weitergegeben werden konnen, sondem wie vertrauenswUrdige
soziale Bindungen in Organisationen entstehen und unter welchen Voraussetzungen
die fur die Wissensproduktion notwendigen sozialen Netzwerke sich entwickeln.
Soziale Netzwerke sind far die Beantwortung dieser Frage deshalb von Bedeutung,
well sie nicht nur Rahmenbedingungen evozieren unter denen idiosynkratische Res-
sourcen ausgetauscht und produziert werden, sondem well diese sozialen Beziehungen
selbst eine wertvolle Ressource in der Wissensproduktion sind.
78
In einem Netzwerk sozialer Beziehungen werden also nicht nur einzelne Wissensres-
sourcen der Akteure getauscht, sondem durch die interaktiven Beziehungen emergiert
Wissen und es entstehen neue Ressourcen, die den Akteuren ftir ihre Handiungsop-
tionen zur Verftigung stehen. Die aufrechten Beziehungen schaffen nicht nur Zugang
zu bereits bestehenden Wissensressourcen, sondem durch den Austausch, den unmit-
telbaren sozialen Kontakt und durch die Reflexion vorhandener Ideen und Wissensbe-
st^de entsteht neues Wissen. Folgende Uberlegung ist hier bedeutend: Wissensorien-
tierte Leistungserstellungsprozesse sind auf soziales Kapital angewiesen, damit tiber-
haupt nicht greifbare Erfahrungen (z. B. Know-how) oder implizites Wissen sich effi-
zient in Untemehmen verbreiten kann. Eine Zielsetzung der wissensorientierten Orga
nisation mtisste es demnach sein, in den Aufbau vertrauenswurdiger und stabiler Be
ziehungen zu investieren. Vertrauenswtirdige und stabile Beziehungen sind aber keine
rationalen sozialen Konstrukte, sondem das Ergebnis und Folge der Funktion von Ins-
titutionen (Ostrom, 1990:51). Diese Institutionen ermOglichen erst das, was Bourdieu
als „praktische Schltissigkeit der Praktiken und Werke" (Bourdieu, 1997:169) be-
zeichnet. Konkrete Handlungen werden erst in Abstimmung mit den damit existieren-
den formalen und informellen Institutionen moglich. Gerade in Bezug auf die Wirkung
von Vertrauen, Reziprozitat und Stabilitat sind Institutionen das „Herz der Antriebe"
der Handlungen des Menschen (Gehlen, 1986:9). Institutionen bewirken flir das Indi-
vfduum in seinen Handlungen eine Entlastung von vielen Entscheidungen. Gehlen ver-
steht ganz in diesem Sinn Institutionen als Formen der BewSltigung lebenswichtiger
Aufgaben oder UmstSnde (Gehlen, 1986). Warum sind hier der Begriff und die Be-
deutung von Institution so zentral? Versuchen wir verstSrkt die Wirkung und Be-
deutung von Institutionen fur unser individuelles Handeln zu verstehen, wird die in
den Wirtschaflswissenschaflen dominante Stellung der utilitaristischen Konzeption des
homo oeconomicus, der als Einzelmensch, nutzenmaximierend und rational handelt,
zurechtgeriickt.
Hier ist folgendes festzuhalten: Akteure, auch wenn sie im Eigeninteresse handeln,
kniipfen zahlreiche soziale Beziehungen, gehen gegenseitig Verpflichtungen ein und
kommen diesen Verpflichtungen nach (Wasserman und Faust, 1999:13). Sie tun dies,
well sie auf die Kooperationsbereitschaft anderer Netzwerkmitglieder nicht verzichten
wollen und weil sie uber diese Kooperationsbereitschafl auch in Zukunft ihre Hand-
lungsfMhigkeit erhalten (so das utilitaristische Argument). Dieser Uberlegung gegenge-
stellt sind Verhaltensannahmen, wie sie in der Organisationsokonomik verwendet
werden. Beispielsweise muss eine Organisation MaBnahmen ergreifen, um sich gegen
79
das schadigende Verhalten einzelner Mitglieder oder Gruppen zu schiitzen, die ihre
eigenen Interessen verfolgen. Organisationen, die sich gegen den Missbrauch ihrer
Mitglieder nicht schiitzen, so die Begrundung, sind kurzlebig, weil der Opportunismus
ihrer Mitglieder eine Bedrohung darstellt (Williamson, 1985:64f.). Die behavioris-
tische Annahme, die hinter dieser Pramisse steht, ist der Modellmensch, der homo
oeconomicus der Neoklassik, der auch mit Arglist seine Eigeninteressen verfolgt
(Williamson, 1985:65). Die Schlussfolgerung, die die 5konomische Organisations-
theorie daraus zieht, ist die, dass jede Organisation, die es verabsaumt, sich gegen
diese Arglist zu schiitzen, dem Untergang geweiht ist. Die angebotene LcJsung dieses
zentralen Problems besteht ganz generell in der Schaffung von Anreizen, die die
Interessen des Akteurs (Auftragnehmers) und der Organisation (Auftraggeber) in
Ubereinstimmung bringen. Das lasst sich - in der herkommlichen Losung der Organi-
sationsokonomik - aber nur dann erfolgreich durchsetzen, wenn der rational handelnde
Akteure auf extrinsische Anreize anspricht. Von dieser Warte aus nicht thematisiert
wird der Umstand, dass eine Ubereinstimmung der Handlungsinteressen im umfang-
reichen AusmaB von Institutionen erbracht wird.
Aber nicht alle Handlungen, insbesondere nicht habitualisierte, sind immer auf ein
Eigeninteresse des Akteurs reduzierbar. Ganz im Gegenteil: Akteure kniipfen soziale
Beziehungen und halten die damit verbundenen Verpflichtungen ein, weil es ihnen die
formalen und informalen institutionellen Regeln gebieten. Einzelne Akteure stehen so
gesehen in vielfaltigen Beziehungen zu anderen Akteuren, sind Teil sozialer Produk-
tionsverhaltnisse, knupfen neue Beziehungen und verstarken existierende Be
ziehungen. Sie tun dies entweder aus Eigeninteresse oder sie folgen dabei habituali-
sierten Gewohnheiten und verstarken damit institutionelle Regeln und das eigene ha
bitualisierte Handeln. Akteure handeln also aus dem Kontext der sozialen Strukturen
heraus, in die ihre Handlungen, ihre Interessen und ihre Handlungsmoglichkeiten ein-
gebettet sind. Die Handlungen eines Akteurs sind aber vor allem dadurch Teil der
Handlungen anderer Akteure (Granovetter, 1985; Wasserman und Faust, 1999;
Macaulay, 1963). Aber dies sind sie nicht nur aufgrund der ReziprozitSt ihrer Hand-
lung, sondem weil sie durch ihre Handlungen die formgebende Ordnung der Institu
tionen verstarken und in Kraft setzen (Bourdieu, 1997:169).
Granovetter hat in seinem klassischen Essay mit dem Titel ''Economic Action and
Social Structure: The Problem of Embeddedness" argumentiert, dass das Verhalten
einzelner Akteure und die Entstehung von Institutionen von den sozialen Beziehungen
in ganz erheblichem AusmaB beeinflusst werden, das gilt auch - oder erst recht - fur
80
wirtschaftliches Handeln (Granovetter, 1985:481). Daruber hinaus haben Weingast
und Marshall in einer Studie uber den Einfluss US-amerikanischer Senatoren demons-
triert, dass die Handlungsfahigkeit (der politische Einfluss und die Wirkung einzelner
Senatoren) das Ergebnis informeller ("unwritten constraints") Riicksichtnahmen ist,
die im Kontext wiederholter Kooperation und gegenseitiger Unterstutzung unter den
Senatoren entsteht (1987:133). Diesem informellen in Kraft setzen einer Verhaltens-
regel der Riicksichtsnahme auf die Interessen anderer Senatoren fiigt Douglass North
hinzu: "...formal rules, in even the most developed economy, make up a small
(although a very important) part of the sum of constraints that shape choices; ...in our
daily interactions, or business activities, the governing structure is overwhelmingly
defined by codes of conduct, norms of behavior, and conventions" (North, 1990:36).
Diese Verhaltensregeln evolvieren im Zuge ihrer Anwendung und werden im Laufe
der Zeit verfestigt. Zur Gewohnheit geworden entwickeln sie eine eigene Stabilitat und
Ordnung (Gehlen, 1986). Wir investieren in soziale Beziehungen nicht nur deshalb,
weil wir niichteme Rechenmaschinen sind! Granovetter unterstreicht dies, wenn er da-
rauf insistiert: "This view sees the economy as an increasingly separate, differentiated
sphere in modem society, with economic transactions defined no longer by the social
or kinship obligations of those transacting but by rational calculations of individual
gain. It is sometimes further argued that the traditional situation is reversed: instead of
economic life being submerged in social relations, these relations become an
epiphenomenon of the market" (Granovetter, 1985:482).^
In den Wirtschaftswissenschaflen wird davon ausgegangen, dass das wirtschaftliche Verhalten des Akteurs von den sozialen Strukturen, in die die Handlung des Akteurs eingebunden ist, vollkommen unabhSngig zu betrachten ist. Soziale Verpflichtungen, Normen etc. werden bestenfalls - wenn liber-haupt als StOrfaktor klassifiziert. In der Analyse findet wirtschaftliches Handeln losgelQst von den tat-sSchlichen sozialen Beziehungen statt, in die die Akteure eingebettet sind. Es wird vorausgesetzt, dass vollkommene Effizienz nur dann zu realisieren sei, wenn keine sozialen Verpflichtungen und Bin-dungen die eigentlichen wirtschaftlichen Transaktionen stOren. Falls dann doch aus der Perspektive des nutzenmaximierenden homo oeconomicus erkiarungsbediirftige Sonderf^le auftreten, werden Handlungen als altruistisch oder untypisch klassifiziert (vgl. Boulding, 1969:6; Kasper und Streit, 1998:61fif.).
Wahrend also soziale Verpflichtungen und Bindungen als Ursache resp. als schadlich fiir einen effi-zienten Austausch verstanden werden, wird umgekehrt sehr wohl der positive Effekt von Beziehungen und Bindungen (vgl. Lamming, 1993; Dyer, 1996 und 2003) im Rahmen der Debatte strategischer Netzwerke diskutiert. In dieser Ausrichtung erfShrt das Thema Uber den Begriff "Netzwerk" eine regelrechte Konjunktur. Netzwerkstrukturen werden als hybride Organisationsformen, die zwischen der Institution Markt und der Organisation angesiedelt sind, verstanden. Die interorganisationalen Beziehungen, die damit Untemehmen eingehen, werden als strategische Ressource erfasst (Sydow,
81
Der positive wirtschaftliche Effekt sozialer Beziehungen - so die These hier - hangt
damit zusammen, dass durch den Aufbau dichter, reziproker und dauerhafter sozialer
Beziehungen nicht nur Verpflichtungen aufgebaut werden, denen sich opportune Ak-
teure entziehen mSchten, sondem organisationale FShigkeiten und neue Ressourcen in
diesen sozialen Beziehungen emergieren, die ganz im Sinne von Penrose (1959) die
eigenen und die koUektiven Handlungsmoglichkeiten verbessem und erweitem.
Im folgenden Abschnitt mOchte ich zunSchst Sozialkapital definieren und ausgewShlte
Ansatze kritisch darstellen. Dabei werden einige der zentralen Arbeiten zum Thema
Sozialkapital zusammengefiihrt. Es geht mir dabei darum, die in der Sozialkapital-
literatur verwendeten Begriffe Sozialkapital, Vertrauen, und Reziprozitat gegenein-
ander abzugrenzen und ihre gegenseitige interdependente Verbindung aufzuzeigen.
Der Zweck dieses Abschnittes ist es, die These zu erlSutem, dass Sozialkapital eine
wesentliche Voraussetzung daftir ist, um in Untemehmen uberhaupt idiosynkratische
Wissensformen zu produzieren und auszutauschen. Ich argumentiere hier, dass Sozial
kapital iiber den funktionalen Wert der Kultur, wie sie Boisot (1995), Nonaka und
Takeuchi (1995a) oder Hedlund (1994) und z. T. auch Bartlett und Ghoshal (1997) in
ihren Uberlegungen aufnehmen, weit hinausgeht. Was hingegen sehr wohl thematisiert
werden muss ist der Zusammenhang zwischen Sozialkapital, Institutionen und Hand-
lungsm5glichkeiten. Mit Sozialkapital wird, so die These in aller Kiirze, erst jenes
"Biindel an Ressourcen" und jene „organisationalen Fdhigkeiten'' (Penrose, 1959)
aktiviert, wir konnen hier auf von institutionellen Rahmenbedingungen sprechen, die
in der ressourcenorientierten Theorie der Firma als unverwechselbare Quelle von
Wettbewerbsvorteilen gelten. Die Uberlegung dabei ist, dass dieses BUndel an Res
sourcen eines Untemehmens in die organisationalen FShigkeiten und in ihr institutio-
nelles Regelwerk eingebettet ist. Konkrete Ressourcen und FShigkeiten sind aber, so
die Argumentation hier, in weitgehend habitualisierten Kontext die Praxis von sozialen
Beziehungen. Sozialkapital ist deshalb ein intangibler Vermogenswert, der nicht ohne
die Pflege der dazugehorigen sozialen Normen und koUektiven Werte und nicht ohne
die sozialen Verpflichtungen und Bindungen verwertet werden kann. Vertrauen ist
1993). Die FShigkeit von Untemehmen, Netzwerke mit anderen Untemehmen, Zulieferem oder Ab-nehmem zu bilden, wird dabei als wesentlicher Faktor von Untemehmenserfolg konzeptionalisiert (Nohria und Ghoshal, 1997; Gulati und Singh, 1998:781). Ganz allgemein wird in der einschiagigen Literatur und Forschung zu diesem Thema festgestellt, dass w/erorganisationale Netzwerke generell als positiver Faktor von Untemehmenserfolg interpretiert werden (Gulati und Gargiulo, 1999).
82
unter anderen ein zentraler Baustein von Sozialkapital. So wie Sozialkapital ist Ver-
trauen in Organisationen dafiir verantwortlich Transaktionskosten im Austausch
schwer greifbarer Wissensformen zu senken. Vertrauen ist nicht gleichzusetzen mit
Sozialkapital. WShrend der Effekt von Vertrauen darin besteht, auf kostspielige Ver-
trSge verzichten zu kOnnen, ist einer der Effekte von Sozialkapital, dass tiber die exis-
tierenden Bindungen in einem Netzwerk zusStzlich zu den vorhandenen Ressourcen
neue Ressourcen und Handlungsm6glichkeiten sich erst ergeben (Coleman, 1990).
Der existierende Vorrat an sozialem Kapital in Organisationen steht damit in einem
kausalen Zusammenhang mit der FShigkeit der Organisationen firmenspezifisches und
schwer greifbares Wissen zu verarbeiten und weiterzugeben (Leana und van Buren,
1999). Die Weitergabe von Wissen ist nicht als einfacher Transformationsprozess von
impliziten in explizite Wissensformen zu verstehen, wie ich im ersten Teil dieser Ar
beit gezeigt habe, sondem als untrennbares Zusammenspiel verschiedener Wissens-
arten. Wissen ist Teil einer Handlungspraxis, die im Zuge organisationaler Handlungs-
routinen erworben wird und ganz im Sinne der Komplementaritat ineinander greifen-
der Ressourcen, die, wie Milgrom und Roberts es auf den Punkt bringen, durch die
Verknupfung und Kombination mehr Wert schaffen als voneinander isoliert: ''each
makes the other more valueable" (Milgrom und Roberts, 1992:17).
1. Zum Begriff Sozialkapital
In den Sozialwissenschaften ist der Begriff Sozialkapital seit fast zwei Jahrzehnten
Thema fachspezifischer Forschungen (Lin, 2001). In den letzten Jahren erfuhr der Be
griff zudem in der einschlSgigen betriebswirtschaftlichen, insbesondere in der Mana-
gementliteratur, eine regelrechte Konjunktur und ist in Mode gekommen. Die Ausein-
andersetzung mit dem Thema Sozialkapital ist allerdings nicht neu. Die bloBe Fest-
stellung, dass soziales Kapital einen positiven Entwicklungseffekt auf Gesellschaften hat
geht auf die Arbeiten des Politologen Hanifan (1916) zurilck.
Der Begriff wird allerdings in Zusammenhang mit dem Untemehmenserfolg erst seit
kurzem verwendet. Das ist mehrfach verwunderlich, well erstens sowohl in der Unter-
nehmenstheorie als auch in der Organisationsforschung das Thema "Netzweik" umfang-
reich diskutiert wird. Zweitens wird ganz allgemein festgestellt, dass Netzwerke, Ko-
operationen und AUianzen grundsatzlich einen Wert darstellen. Das wird in der Netz-
werktheorie gar nicht bestritten, aber die Frage, wie dieser Wert entsteht, bleibt oft un-
klar (vgl. Sydow, 1993; Gulati und Singh, 1998). Inzwischen gibt es mehrere Ansatze zu
83
einer Theorie des Sozialkapitals, davon sind einige sehr umfassend (z.B. insbesondere
dieArbeiten von Ron Burt, 1982 und 1992; Putnam, 2000; Lin, 2001). Bezogen auf die
Produktion von Wissen in Untemehmen sind die AnsStze von Nahapiet und Ghoshal
(1998) und von Cohen und Prusak (2001) bedeutend.
Was ist also Sozialkapital? Sozialkapital ist ganz im Sinne des Kapitaibegriffs eine Res-
source, deren Einsatz eitragreich ist. Im strikt Okonomischen Sinn sind die Kosten der
Herstellung und Aufrechterhaltung sozialer Bindungen dem Ertrag bzw. der Rente der
sozialen Beziehungen gegentibergestellt. Sowohl die Quelle als auch das Ergebnis von
Sozialkapital lasst sich als Ressource verstehen. Nan Lin (2001), ein US-amerikanischer
Soziologie, unterscheidet in diesem Zusammenhang QinQn personlichen und einen sozi
alen RessourcenbegrifF. Die Unterscheidung trifft er, weil der Ertrag von Sozialkapital
den Charakter einer personlichen Ressource haben kann und damit in das Eigentum
einer Person ubergeht und die Nutzung von Vorteilen, die sich aus sozialkapitalreichen
Beziehungen ergeben, einzelnen Personen zugeschrieben bzw. von ihnen akquiriert wer-
den konnen. Eine rivalisierende Nutzung ist hierbei ausgeschlossen, der Ertrag sozialer
Ressourcen fliefit hingegen einer gesamten Gruppe zu und ist quasi innerhalb der
Gruppe ein offentliches Gut, eine rivalisierende Nutzung durch einzelne Akteure ist
ausgeschlossen.
1.1. Sozialkapitaldeflnitionen
Sozialkapital kann als privates und 5ffentliches Gut behandelt werden. In der Theorie ist
diese Trennung einfach vorzunehmen und es zeigt sich auf dieser Ebene der Be-
trachtung welche Vor- und Nachteile diese Unterscheidung mit sich bringt (z. B. das
Freerider-Problem). In der tatsachlichen Handlungspraxis der Akteure ist diese Unter
scheidung jedoch nicht exakt vorzunehmen. Cohen und Prusak defmieren Sozialkapital
als "the stock of active connections among people: the trust, mutual understanding, and
shared values and behaviors that bind the members of human networks and communities
and make cooperative action possible" (Cohen and Prusak 2001:4). Cohen und Prusak
verstehen also Sozialkapital als den Vorrat der aktiven sozialen Kontakte zwischen ein
zelnen Akteuren die durch Vertrauen, gemeinsames Verst^dnis und gemeinsame Werte
und durch ihre Handlungen miteinander verbunden sind und dadurch in ihrer Gruppe
kooperatives Handeln ermOglichen. Diese Definition ist ergSnzungsbedurflig. Tatsach-
lich ist der Vorrat an Sozialkapital das Ergebnis "existierender Beziehungen", also der
Bestand aktiver Bindungen zwischen einzelnen Personen. Vertrauen, gegenseitiges Ver-
standnis, gemeinsame Werte und gemeinsame Verhaltensweisen sind jedoch nicht sozi-
84
ales Kapital, sondem Eigenschaften, die die Qualitat und Stabilitat dieser "aktiven
Bindungen" bestimmen und sie sind zum institutionellen Bestand von Organisationen zu
zShlen, die in ihrem Zusammenwirken soziales Kapital bilden. Wiederum von den
Lebensumstanden und den Handlungen der Akteure in dieser sozialen Gruppe hangt es
ab, in welchem AusmaB der Bestand an sozialem Kapital fur einzelne Mitglieder oder
fUr die Gruppe als gesamtes einen Ertrag abwirft. Beispielsweise ist eine „aktive
Bindung" nur dann im engeren Sinn ertragreich, wenn ein Akteur mit einem gegebenen
Ressourcenbestand seine Handlungsmoglichkeiten dadurch erweitert oder anderen Ak-
teuren deren Handlungsmoglichkeiten vergroBert.
StoUe und Lewis hingegen erweitem diese ressourcenzentrierte Definition um den Be-
griff Reziprozitat. Sie charakterisieren Sozialkapital folgendermaBen: "social capital
characterizes a set of widely held expectations that other citizens will reciprocate. In
other words, when social capital exists in a group, village, region, or nation, self-
interested participants will want to cooperate because the institutionalized expectations
point to the fact that this is the most beneficial thing to do. The reason being that co
operation, trust, and reciprocity become generalized and widely held norms guiding de
cisions connected to everyday life" (Stolle und Lewis, forthcoming:3).
Grootaert und van Bastelaer definieren soziales Kapital wie folgt: "The social capital of
a society includes the institutions, the relationships, the attitudes and values that govern
interactions among people and contribute to economic and social development
(Grootaert und van Bastelaer, 2002:4). Beide Definitionen unterstreichen den positiven
Effekt sozialen Kapitals auf die wirtschaftliche und soziale Entwicklung.
Beide Zugange zum Thema unterscheiden sich nicht unwesentlich: Stolle und Lewis
verstehen soziales Kapital als ein Resultat reziproker Verpflichtungen, die im AUge-
meinen rationale Akteure einhalten, well sie ihnen vorteilhaft erscheinen. Grootaert und
van Bastelaer sehen Sozialkapital als Ergebnis koUektiver Normen und Werte, deren
positiver wirtschaftlicher Effekt in der Abstimmung und Koordination interagierender
Individuen besteht. Beide Interpretationen sind in der Sozialkapitalliteratur zu finden. ^
Es wUrde hier zu weit fiihren, eine kritische Diskussion der existierenden Sozialkapitalliteratur zu untemehmen. Einen Uberblick uber die Sozialkapitalliteratur bieten Portes (1998), Lin (2001), Adler und Kwon (1998) und Woolcock (1998).
85
In den meisten Fallen korrespondiert ein hoher Vorrat an Sozialkapital in Organisa-
tionen mit einem hohen Grad an Vertrauen. Sozialkapital ist der okonomische Wert,
den aufrechte Beziehungen stiflen und insofem vom Konstrukt Vertrauen zu unter-
scheiden. Wenngleich es in den meisten Fallen so ist, dass soziales Kapital und Ver
trauen miteinander auftreten, scheint es aus konzeptionellen Griinden von Vorteil zu
sein, Sozialkapital und Vertrauen jeweils als zwei PhMnomene zu betrachten.
Ich mSchte im Folgenden die Theorie des kulturellen Kapitals von Bourdieu, die
Theorie von Coleman und die Sozialkapitaltheorie von Putnam kurz diskutieren.
Daran anschliefiend soil die Sozialkapitaltheorie von Nahapiet und Ghoshal (1998)
und die Theorie von Nan Lin (2001) dargestellt werden. Im Anschluss daran sollen
ausgewahlte Aspekte der zentralen Elemente von Sozialkapital erQrtert werden.
1.2. Sozialkapitaltheorien
1.2.1. Pierre Bourdieu
Der franz()sische Soziologe Pierre Bourdieu hat in seinen Schriften nach und nach das
Konzept Sozialkapital entwickelt. Sein Zugang zu dem Thema soziales Kapital fand er
im Rahmen seiner Arbeiten uber die Entstehung von sozialen Klassen und den damit
in Verbindung stehenden Formen sozialer Ungleichheit. In seinen friihen Studien uber
die Entwicklung kultureller Werte und Normen verschiedener Klassen, prSgte er den
Begriff „Habitus". Als Habitus bezeichnete er Werte, die jeweils eine bestimmte so-
ziale Gruppe annimmt und sich aneignet und mit denen sie sich gegenuber anderen
gesellschaftlichen Klassen abgrenzt. Ein Habitus ist das Ergebnis der Sozialisation in
einem bestimmten sozialen Raum. Diesen sozialen Raum grenzt Bourdieu als soziales
Feld (Milieu) ein. Habitusformen versteht er als „Systeme dauerhafter und ubertrag-
barer Dispositionen, als strukturierte Strukturen" die ftlr unsere Handlungen „als Er-
zeugungs- und Ordnungsgrundlagen fiir Praktiken und Vorstellungen" darstellen, je-
doch nicht bewusst von Zwecken bestimmt sind (Bourdieu, 1997:98f). Bourdieu geht
davon aus, dass unsere Handlungen „objektiv geregelt und regelm^ig sind, ohne ir-
gendwie das Ergebnis der Einhaltung von Regeln zu sein" (Bourdieu, 1997:99). Die
Praxis unseres Tuns ist im „Verhaltnis zum Habitus als System kognitiver und moti-
vierender Strukturen" zu begreifen und die „Zwecke", „Gebrauchsanleitungen",
„Wegweisungen" und „Institutionen" sind bereits angelegt, die unser Handeln struk-
turieren (Bourdieu, 1997:100). Innerhalb der verschiedenen Felder und sozialen
Milieus existieren verschiedene Zwecke, Gebrauchsanleitung, Wegweisungen und
Institutionen. Das was „objektiv" an Handlungen mSglich ist unterscheidet sich von
86
sozialem Raum zu sozialem Raum. Die Abgrenzung selbst erfolgt, so Bourdieu's Ar
gument, uber symbolisches Kapital mit dem eine soziale Differenzierung und Zuge-
hfirigkeit zu den verschiedenen sozialen RSumen aufrechterhalten wird. Jedes Mitglied
eines sozialen Raums verfugt so Uber bestimmte kulturelle Ressourcen, die exklusiv
fur die Mitglieder der eigenen Klasse reserviert sind. Der zentrale Punkt dabei ist, dass
das Mitglied eines sozialen Raums deshalb Mitglied ist, well es sich dadurch von
anderen Mitgliedem anderer sozialer RSume unterscheidet (Bourdieu, 1998:22).
Habitus ist - wie Bourdieu herausstreicht - ein Produkt der Geschichte und die
Strukturen des Habitus produzieren, begrenzen und ermCglichen die „Grundlage der
Wahmehmung und Beurteilung" (Bourdieu, 1997:101). Der Habitus pragt so unsere
individuellen und kollektiven Praktiken und „gewahrleistet die aktive Prasenz fruherer
Erfahrungen" (Bourdieu, 1997:101). Im Habitus sind also vergangene Erfahrung, ver-
gangenes eigenes und kollektives Wissen eingebracht und lebt weiter. Bourdieu
spricht hier ahnlich wie Polanyi (1967) von einverleibten Erfahrungen (Bourdieu,
1997:135).
Fur den wirtschaftlichen Effekt, der mit dieser Ausgrenzung/Abgrenzung zu anderen
gesellschaftlichen Klassen verbunden war, pragte Bourdieu den Begriff „kulturelles
Kapital". Er umschrieb damit jenen materiellen Wert, der auf den kulturellen Status
einer sozialen Gruppe, u. a. akademische Titel, aristokratische Traditionen usw. zu-
ruckgefuhrt wird. Der wirtschaftliche Wert von kulturellem Kapital aus einem sozialen
Raum kann nicht nur zu materiellen Vorteilen in dem einen sozialen Raum fuhren in
dem die kulturellen Symbole vermittelt und produziert werden, sondem kann durch
den erleichterten Zutritt/oder den verweigerten Zugang materiellen Wert in anderen
sozialen Raumen bringen/verlieren. Der kulturelle Wert ist nach Bourdieu also nicht
nur ein sozialer Unterschied, den sich eine Klasse zuschreibt und aus dem heraus sie
ihre soziale Identitat gewinnt, sondem vor allem ein Effekt der Statuszuweisung
(Bourdieu, 1987:48). Den Begriff kulturelles Kapital verwendete er ursprunglich, um
das unterschiedliche Bildungsniveaus der verschiedenen Statusklassen in Frankreich
zu erklaren. Er argumentierte dabei, dass wohlhabende Familien in das kulturelle
Kapital ihrer Kinder investieren und dadurch die Karrieren ihrer Nachkommen
sichem. Er glaubte auch, dass Investitionen in kulturelles Kapital einen starken
generationeniibergreifenden Effekt auf den 5konomischen Erfolg von einzelnen
sozialen Gruppen bilden (Bourdieu, 1986).
Den Begriff Sozialkapital verwendete Bourdieu, um auf den Effekt der Reproduktion
sozialer Ungleichheit hinzuweisen. Dabei fand Bourdieu, dass die Dichte und die
87
Dauer von Beziehungen insofem ein wesentlicher Aspekt von Sozialkapital sind, da
die einzelnen Kontakte (die Anzahl und die QualitSt) innerhalb eines sozialen Raums
Zugang zu ganz bestimmten Ressourcen versprechen (Bourdieu, 1986:248). Er sprach
auch davon, dass der Wert der Beziehungen eines Individuums, bzw. der Bestand an
Sozialkapital, von der Anzahl der Kontakte abhangt, die mobilisiert werden konnen
(Bourdieu, 1986:249), um bestimmte wirtschaftliche Ziele zu erreichen. Bourdieu
fand, dass Okonomisches Kapital die Wurzel aller anderen Formen von Kapital sei
(Bourdieu, 1986:252) und untersuchte das Zusammenspiel zwischen kulturellem, oko-
nomischem und sozialem Kapital, indem er die Laufbahn der Mitglieder bestimmter
Berufsgruppen iiber mehrere Jahre hinweg ausftihrlich dokumentierte.
1.2.2. James Samuel Coleman
Der zweite Vertreter auf den sich ein groBer Teil der Sozialkapitalansatze bezieht, ist
der US-amerikanische Soziologe James S. Coleman. Coleman beschaftigte sich in
mehreren bildungssoziologischen Arbeiten mit der Frage, inwieweit der soziale Status
bzw. die soziale Herkunft Erfolg in der Schulausbildung erklSren kann. In seinen
Untersuchungen iiber die Leistung sozial schwacher Gruppen an US-amerikanischen
Schulen kam er zu dem Befund, dass soziales Kapital nicht nur positive Effekte in
wohlhabenden Klassen, sondem auch in sozial schwachen Klassen zeigt.
Coleman defmiert Sozialkapital als den wirtschaftlichen Effekt, der durch die in so
zialen Beziehungen zur Verfugung stehenden bzw. zuganglichen Ressourcen entsteht.
Er geht dabei von der Uberlegung aus, dass Ressourcen urspriinglich im Besitz von
Individuen stehen, uber die „sie eine Kontrolle ausuben" (Coleman, 1991:389). In
Netzwerken in denen vertrauenswurdige soziale Beziehungen existieren, stehen diese
Ressourcen zur Nutzung bereit. Coleman geht davon aus, dass soziale Beziehungen
immer dann von rationalen Akteuren gekntipfl werden, wenn sie versuchen ihre ihnen
zur Verfugung stehenden Ressourcen einzusetzen. Mit dem Begriff Sozialkapital wird
so der Bestand an Ressourcen, der in Familien, Gruppen und/oder sozialen Organisa-
tionen der Gemeinschaft zur Verfugung steht, erklart. Diese Ressourcenausstattung
und dieser Zugang vergroBem die Handlungsoptionen der jeweiligen Mitglieder in
einem Netzwerk (Coleman, 1990:30). Coleman argumentiert ahnlich wie Bourdieu,
wenngleich mit der Ausnahme, dass Coleman immer von Ressourcen spricht und
Bourdieu den Begriff Ressource auch auf Symbole und kulturelle Unterschiede an-
wendet, well letzterer sieht, dass in verschiedenen sozialen Raumen Zugange und
Ausgrenzungen zu den verschiedenen Kapitalformen iiber kulturelle Unterschiede
88
markiert und aufrechterhalten werden. Der Bestand an den in der Gemeinschaft vor-
handenen Ressourcen, so Coleman, fordert wiederum die Entwicklung des Human-
kapitals der Mitglieder (Coleman, 1991:389). Coleman unterstreicht dabei, dass die
Herrschafts- und Vertrauensbeziehungen Formen des sozialen Kapitals darstellen. Den
Nutzen der Verwendung des Begriffs Sozialkapital sieht Coleman darin, dass er be-
stimmte „Aspekte der Sozialstruktur tiber ihre Funktion identifiziert ...". Wobei
Coleman die Funktion, die der Begriff ,soziales Kapital' erfiillt, als Wert bezeichnet
"den diese Aspekte der Sozialstruktur fUr Akteure haben, und zwar in Gestalt von Res
sourcen, die von den handelnden Akteuren dazu benutzt werden kSnnen, ihre Interes-
sen zu realisieren" (Coleman, 1991:395).
Mit Sozialkapital selbst sind bestimmte Verpflichtungen und Erwartungen verbunden.
Wenn beispielsweise eine Person A eine Leistung fiir die Person B erbringt und in B
das Vertrauen setzt, dass B in Zukunft eine Gegenleistung erbringt, so wird dadurch in
Person A eine Erwartung entwickelt und in B eine Verpflichtung (Coleman,
1991:396). Coleman spricht hier von einer Art „Gutschrift" die Person A besitzt. Hat
Person A viele Gutschriften einer gr56eren Anzahl von Personen, dann spricht
Coleman von sozialem Kapital, das zu einem spSteren Zeitpunkt zur Verfugung steht
(Coleman, 1991:397). Existiert eine grofie Anzahl von Gutschriften innerhalb eines
Netzwerkes sozialer Beziehungen so ist von einem grofien Vorrat an Sozialkapital zu
sprechen. Coleman verweist auf zwei Bedingungen, die ftir diesen Typus Sozialkapital
von Bedeutung sind. (1) Zum einen spielt das AusmaB an Vertrauenswiirdigkeit eine
Rolle und (2) zum anderen das AusmaB der tatsSchlich eingelosten Verpflichtungen
(Coleman, 1991:397). Insofem sind in Fallen, wo sich Individuen auf eine groBe An
zahl von Verpflichtungen berufen konnen, ganz unabhangig, um welche Art von Ver
pflichtungen es sich handelt, mit einem hohen Vorrat an Sozialkapital ausgestattet
(Coleman, 1991:399).
Ein wesentlicher Unterschied zu anderen Sozialkapitaltheorien ist der, dass Coleman
die Entstehung von Sozialkapital vor dem Hintergrund der GrundprSmissen der Ratio
nal Choice Theory erklart. Fiir Coleman (1990), der sich im Rahmen seiner Sozial-
theorie auch ausftihrlich mit dem Entstehen von Vertrauen beschSftigt, ist es wichtig,
dass soziales Kapital von einer Gruppe von Individuen als gemeinschaftlicher Ver-
mogenswert geschaffen wird und dass dieser gemeinschaftliche VermQgenswert, die
Lebensm5glichkeiten der Gruppenmitglieder verbessert.
89
Coleman (1990) sieht darUber hinaus Sozialkapital als Teil der sozialen Struktur einer
Gesellschafl, tiber die sich erst die Handlungsmoglichkeiten der Akteure konstituieren.
Er versteht Sozialkapital insofem als den Bestand tatsachlicher oder potenzieller
Ressourcen, die durch soziale Kontakte geschaffen werden. Sozialkapital ist demnach
das tatsSchliche (oder potenzielle) Ergebnis der Nutzung und der zur Verfugung
stehenden Ressourcen in einem Netzwerk von Kontakten (Coleman, 1990; hierzu auch
Burt, 1992; Bourdieu, 1983).
1.2.3, Robert Putnam
Die dritte zentrale Sozialkapitaltheorie auf die die Sozialkapitalliteratur zurtickgreift,
sind die Arbeiten des US-amerikanischen Politologen Robert Putnam, der seit dem Er-
scheinen seiner umfangreichen Studie „Bowling Alone" (Putnam, 2000), als der
wichtigste Vertreter der Sozialkapitaltheorie gilt. Wahrend, wie Field (2003) in einem
Kommentar herausstreicht, Coleman oder Bourdieu nur sehr begrenzt aufierhalb ihrer
eigenen Disziplin bekannt wurden, zeigt Putnams Arbeit weit uber den eigenen Fach-
bereich hinaus Wirkung.
Putnam beschaftigt sich in der genannten Arbeit mit den Ursachen und Folgen der von
ihm festgestellten Erosion des zivilen Engagements in den USA. Seine erste Arbeit,
die sich mit diesem Thema beschaftigte, war eine Studie tiber die politische Stabilitat
und den wirtschaftlichen Erfolg in Italien (Putnam, 1993). Den Begriff Sozialkapital
verwendete Putnam zum ersten Mai in seiner Studie tiber Italien und erklSrte damit
den wirtschaftlichen Unterschied zwischen den nSrdlichen und sudlichen Regionen
Italiens.
Putnam defmierte Sozialkapital in dieser Studie wie folgt: „Social capital here refers to
features of social organisations, such as trust, norms and networks, that can improve
the efficiency of society by facilitating coordination actions" (Putnam, 1993:167). Den
positiven Effekt von Sozialkapital in sozialen Gemeinschaften erklart Putnam dadurch,
dass die Kosten einer defektierenden Handlung durch wirksame Normen und reziproke
Bindungen fur die einzelnen Mitglieder einer sozialen Gemeinschaft sehr hoch sind.
Einen weitere positive Wirkung von Sozialkapital identifiziert Putnam durch die ver-
besserten Informationsfltisse in Netzwerken mit hohen SozialkapitalbestSnden, dabei
schliefit er Informationen tiber die Reputation einzelner Akteure mit ein (Putnam,
1993:173). Wahrend Coleman den Wert von Sozialkapital daran festmacht, dass ge-
genseitige Verpflichtungen in vertrauenswurdigen Gemeinschaften zur Ansammlung
von zuktinftig zu erwarteten Gegenleistungen fuhrt und durch die Einlosung von
90
sozialen Gutschriften Wert erhalten, erklart Putnam den Effekt von sozialem Kapital
dadurch, dass kollektive Handlungen effizienter, d.h. mit geringeren Transaktionskos-
ten durchgeftihrt werden konnen. Diesen Effekt fuhrt er auf die Wirkung reziproker
Normen und die positive Wirkung der bereitgestellten Informationen tiber die VerlSss-
lichkeit und Kooperationsbereitschaft einzelner Mitglieder zuruck. In seiner umfang-
reichen empirischen Studie uber den Zustand des freiwilligen zivilen Engagements in
den USA greift er das Bov^ling-Spiel als Metapher heraus, um zu zeigen, in v^elchem
AusmaB verschiedene Formen der Solidaritat seit den 1940er Jahren zuruckgegangen
sind. Damit greift er ein altes aber wichtiges Argument in der Sozialkapitaltheorie auf
Bereits 1916 zeigte Hanifan an Studien kommunaler Entwicklungspolitik, auf den sich
auch Putnam beruft, wie wichtig soziales Kapital fur die produktive Entwicklung von
Gesellschaften sein kann (Hanifan, 1916:130ff). Hanifan streicht den privaten und
effentlichen Nutzen von Sozialkapital heraus: "Die ganze Gemeinschaft wird von der
Zusammenarbeit ihrer Teile profitieren, und der Einzelne wird infolge seiner Ver-
bindungen Vorteile wie Hilfeleistungen, Mitgefuhl und den Gemeinschaftsgeist seiner
Nachbam erfahren" (Hanifan, 1916:130). In weiterer Folge hat schliefilich Jacobs
(1961) den Begriff soziales Kapital verwendet, um ganz allgemein den materiellen
Wert nachbarschaftlicher Beziehungen zu bezeichnen. Daran anschlieBend hat Loury
(1987) wie Bourdieu (Bourdieu und Steinriicke, 1992) soziales Kapital mit der Dis-
kriminierung bzw. Beft)rderung individueller Karrieren verkniipft. Bourdieu versteht -
wie erwahnt - soziales Kapital einmal als symbolisches und dann wieder als kul-
turelles Kapital, das dazu dient, einer privilegierten Gruppe gegeniiber anderen
sozialen Gruppen Ressourcen zu sichem. ^
1.2.4. Zur gegenwdrtigen Sozialkapitaltheorie
Insgesamt teilen alle drei Vertreter die jeweils fiir eine HauptstrOmung in der Sozial-
kapitalliteratur stehen, die Auffassung, dass soziales Kapital einen materiellen und im-
"Das ekonomische Kapital ist unmittelbar und direkt in Geld konvertierbar und eignet sich besonders zur Institutionalisierung in der Form des Eigentumsrechts; das kulturelle Kapital ist unter bestimmten Voraussetzungen in Skonomisches Kapital konvertierbar und eignet sich besonders zur Institutionalisierung in Form von schulischen Titeln; das soziale Kapital, das Kapital an sozialen Verpflich-tungen oder 'Beziehungen', ist unter bestimmten Voraussetzungen ebenfalls in Skonomisches Kapital konvertierbar und eignet sich besonders zur Institutionalisierung in Form von Adelstiteln" (Bourdieu und Steinriicke, 1992:49).
91
materiellen Wert darstellt, der sich in besseren Entwicklungschancen der Mitglieder
einer Gemeinschaft mit sozialem Kapital niederschlagt. Dieser Aspekt wird auch von
einer Reihe von anderen Vertretem der Literatur herausgestrichen. Z.B. der nieder-
landische Soziologe Flap (1991 und 1994) zeigt wie Coleman (1990), dass Sozial-
kapital Ressourcen mobilisiert. Die tatsachliche Fahigkeit Ressourcen zu mobilisieren
wird von Flap mit drei elementaren Bestandteilen von Sozialkapital erklSrt. Bin Ele
ment ist die Anzahl der Personen, die miteinander in Beziehung stehen und die die
Bereitschaft haben, sich gegenseitig behilflich zu sein. Ein zweites Element ist die
Starke bzw. Tragfahigkeit dieser Beziehungen und Bereitschaft diese gegenseitige
Hilfe dauerhaft zu gewahren. Oder anders formuliert, in welchem AusmaB die be-
stehende Gegenseitigkeit als verlasslich gelten kann. Und das dritte Element sind die
jeweiligen Ressourcen der Personen, die in das bestehende Netzwerk von Beziehungen
eingebracht werden. Auf diesen Aspekt greifen auch Adler und Kwon (1998) zuriick.
Sie fmden in ihrer zusammenfassenden Darstellung verschiedener Arbeiten zum
Thema Sozialkapital zu folgender Definition, die diesen Aspekt der Bereitschaft einer
Gegenseitigkeit herausheben: "Social capital is the goodwill available to individuals or
groups. Its source lies in the structure and content of the actor's social relations. Its
effects flow from the information, influence, and solidarity it makes available to the
actor" (Adler und Kwon, 1998:93).
Sehr viel starker auf die strukturellen Aspekte von Sozialkapital setzt die Netzwerk-
analyse, die mit einer Reihe von empirischen Arbeiten sich mit dem Thema be-
schaftigt. Vor allem der in Chicago lehrende Soziologe Ron Burt (1982) beschaftigt
sich schon seit geraumer Zeit mit den wirtschaftlichen Effekten von Sozialkontakten.
Burt (1982 und 1992) - dessen Sozialkapitaltheorie noch ausfiihrlicher erortert wird -
betont in seinem VerstSndnis von Sozialkapital, dass die Struktur der Beziehungen in
einem Netzwerk personlicher Kontakte unterschiedliche Vorteile produziert, abhangig
von der jeweiligen Position eines Akteurs. Diesen strukturellen Aspekt von Sozial
kapital macht Nan Lin zum zentralen Ausgangspunkt seiner im Kontext der Netz-
werktheorie stehenden Ausarbeitung einer Sozialkapitaltheorie, die weiter unten, er-
iSutert wird.
Bei der Beschaftigung mit dem Thema Sozialkapital ist es inzwischen eher ein Pro
blem, dass das Thema und der Begriff Sozialkapital in Mode gekommen ist. Er wird in
den meisten Arbeiten sehr vage gebraucht und eine Differenzierung zwischen Quelle
und Wirkung von Sozialkapital findet sich eher selten. Grundsatzlich sehe ich es posi-
tiv, dass eine FuUe von Arbeiten existiert, die sich mit dem Thema Sozialkapital aus-
92
einandersetzen. Aber schon alleine ein sehr knapper Uberblick tiber die zur Zeit ge-
laufigsten Sozialkapitaldefinitionen zeigt die zunehmende Unscharfe im Gebrauch.
Offensichtlich wird der Terminus Sozialkapital nicht wie bei Bourdieu als Teil einer
komplexeren Handlungs- und Gesellschaftstheorie verwendet, sondem vorwiegend um
wirtschaftliche Entwicklungseffekte einzelner Gruppen oder Akteure zu erklaren.
Die folgende Tabelle bietet einen Uberblick iiber die inzwischen in verschiedenen
Arbeiten verwendeten Definitionen. Die Tabelle wurde von Adler und Kwon (1998)
entnommen und mit zusatzlichen Definitionen aus der Literatur erganzt. In alien hier
herausgegriffenen Sozialkapitaldefinitionen ist der Begriff Ressource zentral. Zusatz-
lich findet sich immer der Verweis auf die Bedeutung informeller Eigenschaften wie
Vertrauen, Normen und Werte, um den Zugang zu den genannten Ressourcen, die uber
soziales Kapital bereitgestellt werden, zu regeln. Die Regelung selbst erfolgt hierbei
uber Zugang oder Ausgrenzung.
Tabelle 3 Ein Ausschnitt und Uberblick Uber Sozialkapitaldefinitionen
Autoren Definition Baker „a resource that actors derive from specific social structures and then use to
pursue their interests; it is created by changes in relationships among actors" (1990:619).
Belliveau, „an individual's personal network and elite institutions affiliations" O'ReillyAVade (1996:1572) Bourdieu „the aggregate of the actual and the potential resources which are linked to
possession of a durable network of more or less institutionalized relationship of mutual acquaintance or recognition" „made up of social obligations (connections), which is convertible, in certain conditions into economic capital and may be institutionalized in the form of a title of nobility" (1986:243).
Boxman et al. „the number of people who can be expected to provide support and the resources those people have at their disposal" (1991:119)
Burt „friends, colleagues, and more general contacts through whom you receive opportunities to use your financial and human capital" (1992:52). „the brokerage opportunities in a network" (1997:355)
Coleman „Social capital is defined by its function. It is not a single entity, but a variety of different entities having two characteristics in common: They all consist of some aspect of social structure, and they facilitate certain actions of individuals who are within the structure. Like other forms of capital, social capital is productive, making possible the achievement of certain ends that would not be attainable in its absence" (1990:302)
Portes „the ability of actors to secure benefits by virtue of membership in social networks or other social structures" (1998:6)
Brehm/Rahn „the web of cooperative relationships between cititizens that facilitate resolution of collective action problems" (1997:999)
Fukuyama „the ability of people to work together for common purposes in groups and organizations" (1995:10). "Social capital can be defined simply as the existence of a certain set of informal values or norms shared among members of a group that permit cooperation among them" (1997)
93
Inglehart „a culture of trust and tolerance, in which extensive networks of voluntary associations emerge" (1997:188)
Thomas „those voluntary means and processes developed within civil society which promote development fort he collective whole" (1996:111)
Fortes/ „those expectations for action within a collectivity that affect the economic Sensenbrenner goals and goal-seeking behavior of its members, even if these expectations are
not oriented toward the economic sphere" (2001:1323) Putnam „features of social organizations such as networks, norms, and social trust that
facilitate coordination and cooperation for mutual benefit" (1995:67). "Whereas physical capital refers to physical objects and human capital refers to the properties of individuals, social capital refers to connections among individuals - social networks and the norms of reciprocity and trustworthiness that arise from them. In that sense social capital is closely related to what some have called "civic virtue." The difference is that "social capital" calls attention to the fact that civic virtue is most powerful when embedded in a sense network of reciprocal social relations. A society of many virtuous but isolated individuals is not necessarily rich in social capital." (2000: 19)
Loury „naturally occurring social relationships among persons which promote or assist the acquisition of skills and traits valued in the marketplace ... an asset which may be as significant as financial bequests in accounting for the maintenance of inequality in our society" (1992:100)
Nahapiet/ „the sum of the actual and potential resources embedded within, available Ghoshal through, and derived from the network of relationships possessed by an indi
vidual or social unit. Social capital thus comprises both the network and the assets that may be mobilized through that network" (1998:243)
Schiff „the set of elements of the social structure that affects relations among people and are inputs or arguments of the production and/or utility function" (1992:160)
Woolcock „the information, trust, and norms of reciprocity inhering in one's social networks" (1998:153).
Adler/Kwon "Social capital is the goodwill available to individuals or groups. Its source lies in the structure and content of the actor's social relations. Its effects flow from the information, influence, and solidarity it makes available to the actor" (1998:93).
1.2.5. Die Sozialkapitaltheorie von Nahapiet und Ghoshal
In einen breiteren Zusammenhang mit der Wissensproduktion in Untemehmen stellen
Nahapiet und Ghoshal ihr Verstandnis von Sozialkapital, das als Voraussetzung ge-
nommen wird, wie sie es nennen, um intellektuelles Kapital in einem Untemehmen zu
nutzen und aufzubauen. Produktion und Nutzung von Wissen skizzieren sie als einen
komplexen reflexiven Prozess, der von drei zentralen Dimensionen bestimmt ist. Sie
unterscheiden in ihrer konzeptionellen Erklarung der Wirkung von Sozialkapital auf
die Bildung von intellektuellem Kapital drei zentrale Gruppen von Einflussfaktoren.
(1) Einmal differenzieren sie, ganz in der Tradition der Netzwerkanalyse stehend die
eigentliche Struktur der Beziehungen. (2) Zweitens unterscheiden sie kognitive
Dimensionen, vor allem eine gemeinsame Sprache (Zeichen, Symbole) damit die in
diese Struktur eingebetteten Akteure sich auch tatsachlich verstandigen kOnnen.
SchlieBlich kategorisieren sie (3) die Beziehungen zwischen diesen Dimensionen
94
selbst als eigenen Einflussfaktor und nennen diesen die relationalen Dimensionen von
Sozialkapital.
Die strukturellen Eigenschaften von Sozialkapital thematisieren sie im Riickgriff auf
die besprochene Literatur als Netzwerkstmktur. Sie bestimmen die strukturellen
Eigenschaften von Sozialkapital weitgehend uber die Anzahl der Bindungen, der Kon-
figuration des Netzwerkes, also des Strukturmusters und uber die Eigenschaften, die
Zugriff und Aneignung, ebenso Diffiision und Kombination von intangiblen Res-
sourcen erm5glichen. Als kognitive Dimension von Sozialkapital erfassen sie die exis-
tierenden Symbole, Kodes und die gemeinsame Sprache. Kognitive Eigenschaften von
Beziehungen sind fiir die beiden Autoren deshalb so wichtig, well sie sehen, dass Uber
die Verwendung von Symbolen, Werten und verbalen und non-verbalen Artefakten in
Organisationen Bedeutung konstituiert wird. Sie nehmen dabei jedoch keinen Bezug
zu Bourdieu (1997 und 1998) der diese Aspekte im Detail als zentrale Elemente seiner
Theorie des Handelns erklart und damit die Funktion und Bedeutung von Sozialkapital
festmacht. Wichtig sind diese kognitiven Elemente ftir Nahapiet und Ghoshal deshalb,
weil uber gemeinsame Kodes und Kodifizierungen, also durch den Gebrauch einer
gemeinsamen Sprache Sinn gestiftet wird, der fur die Diffusion von Wissen uner-
lasslich ist. Sie verstehen deshalb Narrationen in Organisationen als ein Element,
wenngleich nicht das ausschlieBliche, um Sinn in Organisationen zu stiften. Kognitive
Dimensionen nehmen die Funktion der Sinnstiftung und der - wie Nahapiet und
Ghoshal (1998:133) es nennen - Antizipation von gemeinsamen Werten ein. Als
relationale Dimensionen von Sozialkapital verstehen Nahapiet und Ghoshal Vertrauen,
Normen, Verpflichtungen und Identifikation.
Alle drei Dimensionen nehmen Einfluss auf die FShigkeit einer Organisation, intel-
lektuelles Kapital zu produzieren und auszutauschen. Intellektuelles Kapital defmieren
Nahapiet und Ghoshal in diesem Zusammenhang folgendermaBen: „The term
,intellectual capital' [...] refers to the knowledge and knowing capability of a social
collectivity, such as an organization, intellectual community, or professional practice.
[...] Intellectual capital thus represents a valuable resource and a capability for action
based in knowledge and knowing" (Nahapiet und Ghoshal, 1998:124).
95
Abbildung 12: Konzept Sozialkapital (Nahapiet und Ghoshal, 1998)
I s
Sozialkapital
A. Strukturelle Netzwerkbeziehungen Netzwerkkonfiguration Aneignung
B. Kognitive gemeinsame Kodes gemeinsame Sprache Sinnstiftung und Identitat
C. Relationalitat Vertrauen Normen Verpflichtungen Identifikation
Austausch/Kom bination von Wissensformen
Zugang der Akteure zu gemeinsamen Ressourcen
Fahigkeit Wissen auszutauschen
Kombination und Austauscl von Wissen
Motivation Wissen auszutauschen und
zu kombinieren
Fahigkeit Wissen zu kombinieren
Quelle: Nahapiet/Ghoshal, 1998
Entstehung von neuem Intellektuellen Kapital
Beide Autoren verweisen in ihrem Konzept auf das dialektische Zusammenspiel der
drei Dimensionen. Die Pfeile zeigen hier in der Abbildung die kausale Wirkung aus-
gehend von den einzelnen Dimensionen auf konkrete organisational Eigenschaften.
Die drei Dimensionen nehmen jeweils in einem unterschiedlichen AusmaB Einfluss
auf die Prozesse/Fahigkeiten mit denen - in unserer Lesart - jene organisationalen
Fahigkeiten entstehen, die zur Produktion und fiir den Austausch und die Kombination
neuer Wissensformen zentrale Problemfelder darstellen.
Wie in der Abbildung 12 illustriert, wirken die strukturellen Dimensionen des Sozial-
kapitals auf die Faktoren Zugang, Zusammenfuhrung und Austausch von Wissen. Die
Struktur von Netzv^erkbeziehungen wirkt zudem auf den Faktor Antizipation von
Wissenswert. Die kognitiven Dimensionen bilden die Voraussetzung um verschiedene
Wissensformen zusammenzufuhren; kognitive Eigenschaften erleichtem den Zugang
zu Wissensformen und die Antizipation von Wissensv^ert, wenn Akteure eine gemein
same Sprache sprechen und sich mit der Organisation identifizieren. Die relationalen
Dimensionen von Sozialkapital nehmen Einfluss auf die Eigenschaften Motivation,
Antizipation und Zugang zu Ressourcen. Vertrauen verbessert den Zugang zu vor-
96
handenen Wissensressourcen, erleichtert den Austausch und die Kombination von
Wissen, vermehrt die Motivation unter den Akteuren dieses Wissen auszutauschen und
erhoht die FShigkeit der Organisation, Wissen zu kombinieren. Wie dargestellt wirken
die vier Merkmale Zugang, Antizipation, Motivation und organisational Fahigkeit auf
die Bildung von neuen Wissensformen positiv. Neues Wissen nimmt wiederum re-
kursiv Einfluss auf die Bildung der Dimensionen von Sozialkapital. Nahapiet und
Ghoshal argumentieren, dass eine starke Auspragung der relationalen und kognitiven
Dimensionen sich auf die Effektivitat der Netzwerkstruktur auswirkt. Die beiden
Faktoren verweisen zudem auf die Bedeutung von face-to-face Kommunikation in der
Ubertragung von Wissen (Nahapiet und Ghoshal, 1998:133). In der Abbildung ist Je
wells die Wirkung der einzelnen Dimensionen durch die Pfeilrichtung angezeigt. Die
strukturelle Dimension des Faktors Sozialkapital verweist auf eine fundamental Pro
position der Netzwerktheorie, namlich dass Netzwerkbeziehungen Zugang zu Res-
sourcen ermoglichen. Eine Sozialkapitaltheorie, die sich speziell mit dieser Facette
und mit dieser Wirkung von Sozialkapital auseinandersetzt, ist das Modell von Nan
Lin (2001), das im Folgenden diskutiert werden soil.
1.2.6, Nan Lin's Sozialkapitaltheorie
Neben Burt (1982, 1992) ist Lin (2001) ein Vertreter der Sozialkapitaltheorie, der den
kausalen Zusammenhang zwischen der Position eines Akteurs und den daraus resul-
tierenden Handlungsergebnissen aufgrund des Zugriffs zu Ressourcen anderer Netz-
werkkontakte in sein theoretisches Modell iiber den Zugang von Sozialkapital ein-
bringt. Dabei stellt er die Frage, welchen Einfluss die soziale Struktur auf die Ver-
wertung der zur Verftigung stehenden Ressourcen nimmt ins Zentrum seiner Uber-
legungen.
Ganz im Sinne der Netzwerktheorie defmiert Lin die soziale Struktur als "set of social
units (positions) that possess differential amounts of one or more types of valued
resources" (Lin, 2001:33). Dieses Set - hier verstanden als Menge von Kontakten einer
begrenzten sozialen Einheit besteht aus Akteuren, die in jeweils unterschiedlichen
hierarchischen Positionen zueinander stehen und ihre personlichen materiellen und
immateriellen Ressourcen in diese Menge von Beziehungen einbringen. Ein Ergebnis
der unterschiedlichen Position der Akteure in dieser Menge von Kontakten ist, dass
durch die in der Struktur der Beziehungen angelegte Hierarchic der einzelnen Kon-
takte es zu einem unterschiedlichen Zugang und einer unterschiedlichen Kontrolle
iiber vorhandene Ressourcen bzw. zur Verftigung gestellte Ressourcen in einem so-
97
zialen Netzwerk kommt. Die iiber die bloBen Kontakte hinausgehenden Normen und
Werte versteht Lin als Elemente, durch die gemeinsame Regeln fur die Verwendung
von Ressourcen fUr die Mitglieder festgelegt werden. Lin versteht in seiner Theorie
Embeddedness insofem, als auch dann, wenn die Akteure ihre Position in der Hierar-
chie selbst andem, die mit der Position verbundenen Ressourcen an die Position fixiert
sind. Vor aliem deshalb erklSrt Lin den Bestand und Zugang zu Ressourcen mit der
existierenden hierarchischen Struktur in Netzwerken. Die Hierarchic begreift er im
Extremfall als eine Pyramide, in der nach oben hin die Menge der Kontakte abnimmt,
aber diese kleinere Menge an Kontakten immer wertvoUere Ressourcen und/oder
Positionen mit den jeweiligen Ressourcen (z. B. Macht, Wohlstand, Reputation) dar-
stellen. Der Austausch von bzw. der Zugang zu Ressourcen erfolgt immer iiber zwei
interagierende Positionen in der Hierarchic. Dabei unterscheidet Lin (2001:38)
zwischen homophilen (mit gleichen Ressourcen ausgestatteten) und heterophilen (mit
unterschiedlichen Ressourcen ausgestatteten) Positionen. Redundanz im Sinne von
Burt ist also nur zu homophilen Mengen von Kontakten mOglich. Zwischen homo
philen Positionen werden eher gleiche Ressourcen ausgetauscht bzw. wird der Zugang
zu gleichen Ressourcen mOglich. In der Beziehung zwischen heterophilen Positionen
werden unterschiedliche bzw. "«ewe" Ressourcen ausgetauscht.
Mit diesen Uberlegungen differenziert Lin (2001:42) zwischen pers5nlichen und sozi-
alen Ressourcen. Personliche Ressourcen sind solche die tatsSchlich zum Besitz ein-
zelner Positionen gehoren und in das Eigentum der Personen ubergehen und unab-
hangig von anderen Akteuren verwendet werden kOnnen. Soziale Ressourcen sind
hingegen jene, die einzelne Akteure nur gemeinsam, d.h. in AbhSngigkeit von anderen
Akteuren konsumieren oder nutzen konnen. Die Nutzung und/oder Aneignung der
materiellen oder immateriellen Gewinne aus den sozialen Kontakten ist nicht per-
sonenbezogen, sondem kommt der Gemeinschaft zu gute. Kurz: der Konsum des
Nutzens der Menge der sozialen Kontakte in einem Netzwerk ist nicht-rivalisierend
und der Charakter der Leistung ist Qffentlich. Lin leitet hiervon zwei Handlungsmotive
her. Er bezeichnet das Streben (= Interesse) eines Akteurs eine bestehende Res-
sourcenausstattung zu erhalten und seine jeweilige Position in einer sozialen Einheit
zu befestigen als ein expressives Handlungsmotiv (Lin, 2001:48). Hingegen sind
Interessen als instrumentelle Handlungsmotive zu defmieren, wenn die Handlungen
des Akteurs darauf ausgerichtet sind, eine bestehende Position in einer gegebenen
Menge von sozialen Kontakten zu verbessem (Lin, 2001:48). Werden diese Annahmen
und Uberlegungen in einer Matrix zusammengefasst, so ergeben sich die folgenden
98
Interaktionsformen zwischen Akteuren in einem Netzwerk von Beziehungen. Mit
diesen Annahmen entwirft Lin (2001:56) eine Sozialkapitaltheorie, die darauf Rtick-
sicht nimmt, dass einerseits die Handlungen der Akteure in die soziale Struktur einge-
bettet sind und andererseits sie uber ihre Handlungen selbst die Ressourcenausstattung
der Sozialstruktur verandem. Man konnte somit davon sprechen, dass die Handlungen
der Akteure die Struktur des Netzwerkes strukturieren und die Struktur des Netz-
werkes die Handlungen der Akteure strukturiert.
Tabelle 4 Handlungsmotive und Ressourcenausstattung
Handlungmotivation
Erhaltung der bestehenden Ressourcen (expressiv)
Verbesserung/Ausweitung bestehender Ressourcen (instrumentell)
Ressourcen der interagierenden Partner
Gleiche Ressourcenausstattung unterschiedliche Ressourcen-Homophilitat
geringe Anstrengung/hoher Ertrag
ausstattung Heterophilitat hohe Anstrengung/geringer Ertrag
geringe Anstrengung/geringer hohe Anstrengung/hoher Ertrag Ertrag
Quelle: Lin, 2001:48
Die grundsatzliche theoretische Uberlegung von Lin ist die: Akteure greifen, damit sie
ihre Ressourcenausstattung erhalten (= expressive Motivation) oder verbessem
(= instrumentelle Motivation) auf intermediSre Positionen zu, d.h. sie nutzen die Kon-
takte zu anderen Akteuren im sozialen Netzwerk. Dabei unterstellt Lin, dass der Erfolg
von Handlungen einzelner Akteure positiv mit dem Sozialkapitalstand in Zusammen-
hang steht (Lin, 2001:60). Die verschiedenen Wirkungen von Sozialkapital werden
von Lin (2001:60) in seiner Sozialkapitaltheorie anhand von sechs Propositionen er-
ortert, die im Folgenden dargestellt werden.
99
Abbildung 13: Der relative Effekt von Sozialkapital (Nan Lin, 2001)
hoch
o
I S
el: ego 1 al: Alter 1 e2: ego 2 a2: Alter 2
gering Quelle: Lin, 2001:61
Die Proposition (1) erklSrt, wie sich Vorteile, aus einer konkreten strukturellen
Position ftir einen Akteur in einem sozialen Netzwerk ergeben. In der Abbildung 13 ist
dieser Effekt illustriert. Argumentiert wird folgendermafien: Da ai in der Hierarchie
die hohere Position einnimmt und den Annahmen von Lin entsprechend eine groBere
Ressourcenausstattung hat, ist der Ertrag der Beziehung fur den Akteur ei gr613er als
der von Akteur e2. Die Beziehung von e2 zu a2 bietet im Vergleich zur Beziehung von
ei zu ai also einen geringeren Ressourcenertrag.
Lin (2001:63) argumentiert nun, dass die Hohe des Sozialkapitals von drei weiteren
Eigenschaften der Positionen in einem Netzwerk bestimmt wird. Einmal geht er davon
aus, dass jeweils der Rang des Kontaktes in der Hierarchie den Ertrag beeinflusst. Je
hoher ein Kontakt in der Hierarchie, umso besser seine Ressourcenausstattung, so die
Annahme. Der ranghochste Kontakt, der fiir einen Akteur zugSnglich ist, wird von Lin
als "upper reachability" bezeichnet. Der Wert einer Beziehung wird durch die "am
hochsten positionierten Kontakte", die von einem Akteur erreichbar sind, bestimmt.
100
Abbildung 14: MessgroBen von Sozialkapital (Nan Lin, 2001)
hoch
I
I s is
upper reachability
HeterogenitSt
Anzahl der Positionen Extensity
gerrng Quelle: Lin, 2001:62
Waiters argumentiert Lin, dass das AusmaB an HeterogenitSt der existierenden Kon-
takte die Hohe des Ertrages von Beziehungen im Netzwerk beeinflusst. Angenommen
wird dabei, dass das AusmaB an Heterogenitat positiv auf den Ertrag wirkt, weil in
einem Netzwerk der Wert der zuganglichen Ressourcen durch die Unterschiedlichkeit
der Kontakte und damit die Unterschiedlichkeit der Ressourcenausstattung, die einem
Akteur zur Verfiigung steht, vergrOBert wird. Lin nennt das den Effekt von Hetero
genitat.
Drittens nimmt Lin an, dass die Anzahl der potenziellen Kontakte/Positionen, die
einem Akteur zur Verfugung stehen, den Ertrag von Netzwerkbeziehungen beein-
flussen. Lin nennt diesen Faktor auch Extensity und nimmt an, dass mit steigender An
zahl zur Verfugung stehender Kontakte in einem Netzwerk der Bestand an Sozial
kapital positiv beeinflusst wird. Mit diesen Uberlegungen werden von Lin weitere Pro-
positionen gebildet. Neben den drei genannten Faktoren nimmt nun Lin an, dass nicht
nur Eigenschaften der Struktur der Beziehungen, sondem auch die Eigenschaften der
Beziehungen zwischen einzelnen Akteuren auf den Ertrag der Bindungen einen
wesentlichen Einfluss nehmen. Dabei sieht er ganz generell vier Faktoren als wesent-
lich an: Die Starke der Position, die Starke der Bindung, die Starke schwacher Bin-
101
dungen und die Lokalisierung der Akteure. Alle vier Faktoren beschreiben strukturelle
Vorteile bezogen auf die jeweilige Position und auf die jeweilige Starke der Beziehung
eines Akteurs.
Abbildung 15: Relativer Vorteil der Position (Nan Lin, 2001)
hoch
I e
el : ego 1 a l : Alter 1 e2:ego 2 a2: Alter 2
germg Quelle: Lin, 2001:64
Die (3) Proposition in Lin's Sozialkapitaltheorie erklSrt den Einfluss der StSrke einer
Position {^'strength of position''). Lin nimmt an, dass der Akteur (el), der relativ zu
einem anderen Akteur (e2) eine bessere Position in der Hierarchie einnehmen, mit
groBer Wahrscheinlichkeit zu wertvolleren Ressourcen Zugang haben und daher iiber
mehr Sozialkapital verfugen kann. Dabei geht er von der Uberlegung aus, dass die
Ndhe zu einem in der Hierarchie hShergestellten Kontakt einen positiven Einfluss aus-
iibt (= Lokalisierungsvorteil). Die Zusammenhange sind in Abbildung 15 illustriert.
Hier ist zu sehen, dass Kontakt e2 der innerhalb der Hierarchie eine rangtiefere
Position einnimmt, der Annahme von Lin entsprechend zu Kontakt a2 und nicht zu
Kontakt ai eine Beziehung herstellt.
Proposition (4) von Lin lautet: "The Strength-of-tie" (Lin, 2001:64). Hier nimmt Lin
einen positiven Effekt der StMrke einer Bindung auf den Ertrag an. Seine These hierzu
lautet: "the stronger the tie, the more likely that the social capital accessed will
102
positively affect the success of expressive action" (Lin, 2001:65). Begriindet wird die
These mit der Annahme der Homophilitat. Dabei wird angenommen, dass starke
Bindungen zu eher gleichen Akteuren gekntipft werden. Je starker die Bindung also,
umso eher die Wahrscheinlichkeit, dass Zugang zu einer Shnlichen oder gleichen
Ressourcenausstattung gewonnen wird. Daher also die Annahme von Lin, dass auch
der Ressourcenbestand in Zuge solcher starken Beziehungen erhalten bleibt (ex-
pressives Handeln). Starke Bindungen sind durch eine hohe Frequenz, einen hohen
Grad an Vertrauenswiirdigkeit und durch ein hohes MaB an gegenseitigen Ver-
pflichtungen (Reziprozitat) gekennzeichnet.
Lin unterstreicht in diesem Zusammenhang: "stronger ties based on sentiment, trust,
and sharing resources and lifestyles support the maintanence and reinforcement of
existing resources" (Lin, 2001:66).
Proposition (5) in Lin's Theorie, steht in Verbindung zur Wirkung schwacher Bin
dungen zwischen Akteuren, die er "The Strength-of-Weak-Tie" nennt. Seine These
hierzu: "The weaker the tie, the more likely ego will have access to better soical
capital for instrumental action" (Lin, 2001:67); also je schwacher die Bindung, umso
groBer der instrumentelle Effekt, d.h. dass durch schwache Beziehungen bestehende
Ressourcenbestande erweitert werden. Schwache Bindungen werden hier als
"Briicken" zwischen verschiedenen heterogenen Gruppen mit jeweils eigener Res
sourcenausstattung interpretiert. Woolcock (1998) nennt diese Form des Sozialkapitals
auch bridging social capital. Das Kennzeichen schwacher Bindungen ist die geringe
Frequenz; Beziehungen werden nur gelegentlich geknupft. Schwache Bindungen
weisen sich eher durch einen geringeren Grad an sozialen Verpflichtungen aus und
einen geringeren Grad an Reziprozitat. Weil weak ties Ressourcen zu heterogenen
Gruppen erschliefien, also bestehende Ausstattungen erweitem, hat Granovetter (1973)
auch von der Starke schwacher Beziehungen {strength of weak ties) gesprochen.
Mit Proposition (6) erklart Lin (2001:71) den positiven Effekt von Positionen ein-
zelner Akteure, die sich in der Nahe eines intermediaren Akteurs in einem Netzwerk
befmden. Diese intermediaren Knoten werden - ich komme darauf welter unten noch
zu sprechen - auch Briicken genannt. Je naher ein Akteur zu einer Brucke lokalisiert
ist, deshalb auch die Bezeichnung "the-strength-of-localisation" (2001:72), umso
groBer der positive instrumentelle Effekt im Zugang zu und in der Verwertung von
Ressourcen anderer Positionen. Befmdet sich also ein Akteur in der Nahe einer
BrUcke, so ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein bestehender Ressourcenvorrat erweitert
103
wird, groBer, als in jenen Fallen, in denen sich Akteure weit (d. h. viele Kontakte von
einer Brticke) entfemt befinden (dieser Effekt ist in der Abbildung 16 illustriert).
Lins These in diesem Zusammenhang: "The closer individuals are to a bridge in a net
work, the better social capital they will access for instrumental action" (Lin, 2001:69).
Lin argumentiert, dass ein Kontakt, der sich jeweils in der Nahe der intermedidren
Kontakte befmdet mit grofierer Wahrscheinlichkeit als weiter entfemte Kontakte die
eigene Ressourcenausstattung vergrSBem kann (In unserem Beispiel sind dies die
Kontakte C und D, die sich in der NMhe des Kontaktes YOU befinden, der eine Briicke
zu den heterogenen Kontakten A und B einnimmt).
Abbildung 16: Vorteile der Nahe zu stmkturellen BrOcken in Netzwerken (Nan Lin, 2001)
hoch
u u
gering Quelle: Lin, 2001:72
Lin fasst nun seine Uberlegungen in ein Modell tiber die Entstehung von Sozialkapital
zusammen. Dabei nimmt er an, dass die drei Faktoren, die strukturelle Position in
einem hierarchischen Netzwerk, die Lokalisation in einer Struktur und die instrumen-
tellen oder expressiven Handlungsmotive Zusammensetzung und Hohe des Sozial-
kapitals bestimmen. In seinem Modell gelingt es ihm, relativ einfache und auch em-
pirisch greifbare Zusammenhange in eine Theorie des Sozialkapitals zu integrieren.
104
Die konkreten Zusammenhange der einzelnen Faktoren sind in der folgenden Ab-
bildung nachgezeichnet. Dabei ist zu sehen, dass die strukturelle Position sowohl einen
direkten Effekt auf die Produktion von Sozialkapital ausUbt, als auch einen indirekten
Effekt iiber die Lokalisierung der Akteure in einer konkreten Netzwerkstruktur. Die
(instrumentellen und expressiven) Handlungsmotive zeigen in Lin's Modell ebenfails
einen indirekten Effekt auf die Bildung von Sozialkapital.
Uber die Faktoren strukturelle Position, Netzwerk-Lokalisierung und Handlungsab-
sichten, werden je nach AusprSgung der upper reachability, der Heterogenitat und der
Extensitdt in einem konkreten Netzwerk der Bestand an Sozialkapital beeinflusst, der
wiederum den Ertrag des Sozialkapitals (Einfluss/Macht, Reputation und Wohlstand)
bestimmt.
Abbildung 17: Die Sozialkapitaltheorie von Lin (Nan Lin, 2001)
Structural Position hierarchy
Network Location tie strength and bridging
SOCL\L CAPITAL — upper reachability, heterogeneity,
and extensity of embedded resources
-• Return Wealth, Power,
Reputation
Purpose of Action instrumental/expressive
Quelle: Lin, 2001:76
1.3. Arbeitsdefinition von Sozialkapital
Soziales Kapital ist eine Ressource, die in die soziale Struktur von Beziehungen einge-
bettet ist und Mitgliedem der begrenzten Menge von Kontakten in dem Netzwerk fUr
ihre Handlungsinteressen zur Verfagung steht. Der Wert besteht darin, dass einzelne
Mitglieder mit Sozialkapital Interessen realisieren k5nnen, die sie ohne Zugriff und
Nutzung auf die bereitgestellten Ressourcen im Netz von sozialen Beziehungen nicht
umsetzen konnten. Eine solche Sichtweise hat drei Vorteile: (1) nimmt sie Rticksicht
darauf, dass Ressourcen in einem Netzwerk von Beziehungen wesentliche Bestandteile
von Sozialkapital sind. (2) Wird dadurch unterstrichen, dass die jeweiligen Ressourcen
105
in die Struktur der Beziehungen eingebettet sind. (3) Wird hervorgehoben, dass die
Stmktur und Position einzelner Akteure Uber den Wert von Sozialkapital entscheiden.
Dieser Effekt ist umso ausgeprSgter, je hierarchischer die Struktur in einem be-
stehenden Netzwerk ist. UnabhSngig von der Struktur der Hierarchie in einem Netz-
werk bestimmt der Grad an Heterogenitat der existierenden Menge an Kontakten den
Bestand an Sozialkapital.
Soziales Kapital ist zudem in den meisten Fallen ein intangibler Verm5genswert, der
dadurch entsteht, dass einzelne Personen in soziale Beziehungen investieren, die sie in
Netzwerken unterhalten (Burt, 1997; Coleman, 1990; Nahapiet und Ghoshal, 1998)
und durch diese Beziehungen symbolisches Kapital produzieren und einsetzen k5nnen
(Bourdieu, 1997). Hierbei wird angenommen, dass Akteure in soziale Beziehungen
deshalb investieren, well die damit geschaffenen Bindungen und Verbindlichkeiten fUr
sie in der Realisierung ihrer Handlungsinteressen einen Wert darstellen. Wenn Sozial
kapital als intangibler Vermogenswert bezeichnet wird, dann deshalb, weil der mate-
nelle und immaterielle Wert von Sozialkapital nicht so ohne weiteres greifbar ist und
nicht jederzeit zur Verwendung steht. Die Realisierung eines symbolischen Wertes ist
nicht jederzeit gegeben und hangt von verschiedenen Faktoren ab.
Mit dieser Eingrenzung von Sozialkapital soil gezeigt werden, dass soziale Bindungen,
aus denen der Wert von Sozialkapital entsteht, nicht statische Bausteine sind, sondem
fragil, sich stSndig verandem und damit sie stabil und brauchbar bleiben, gepflegt
werden mtissen (Bourdieu, 1997). Michael Woolcock und Deepa Narayan haben in
ihren Versuch Sozialkapital vor dem Hintergrund der expandierenden Literatur in
diesem Genre einzugrenzen folgende Definition vorgeschlagen:
„The basic idea of social capital is that a person's family, friends, and associates
constitute an important asset, one that can be called on in a crisis, enjoyed for its own
sake, and leveraged for material gain. What is true for individuals, moreover, also
holds for groups. Those communities endowed with a diverse stock of social networks
and civic associations are in a stronger position to confront poverty and vulnerability,
resolve disputes, and take advantages of new opportunities" (Woolcook and Narayan,
2000:226).
Sozialkapital ist - wenn dieses Zitat genauer betrachtet wird - also iiber die Unter-
sttitzung familiarer, freundschaftlicher und vereinsbezogener Kontakte hinausgehend,
die aus diesen Kontakten erwachsende Sicherheit bei Bedarf auf die Hilfe anderer zu-
106
ruckgreifen zu konnen. Die Wirklichkeit und Wirksamkeit von Sozialkapital hSngt
also von einem auf Dauer eingerichteten Zustand der Gegenseitigkeit ab, der nicht im
Bedarfsfall beliebig verweigert werden kann. Das paradoxe am Begriff Sozialkapital
scheint mitunter zu sein, dass gerade dann, wenn ganz gezielt in den Aufbau wert-
voller Beziehungen investiert wird, der versprochene Ertrag dennoch nicht ohne
ISngerfristige Bindung im Zuge sozialer Verpflichtungen und ReziprozitSt zu verein-
nahmen ist. Auch ist die angelegte Dauer einer auf Gegenseitigkeit aufgebauten sozi-
alen Bindung von Bedeutung, wenn versucht wird, den Wert von Sozialkapital zu be-
stimmen. Wenngleich der tatsSchliche Wert sehr oft kaum greifbar ist. Wie in den kon-
zeptionellen Uberlegungen von Lin (2001) ersichtlich, hat jede Position und jede
Bindung einen unterschiedlichen Wert in einem Netzwerk. Die Frage ist jedoch nicht
ausschliefilich, wie hoch der Wert von konkreten Beziehungen zu bewerten ist, die
geknupft werden, sondem welchen Effekt Sozialkapital fiir das gesamte Netzwerk hat
und in welchem Zusammenhang dieser Effekt mit der Ubertragung und Produktion
von idiosynkratischen Wissensformen steht?
Coleman grenzt in seinem Verstandnis Sozialkapital von Humankapital und dem
eigentlichen Kapital der Okonomie ab: "Just as physical capital and human capital
facilitate productive activity, social capital does as well. For example, a group within
there is extensive trustworthiness and extensive trust is able to accomplish much more
than a group without that trustworthiness and trust" (Coleman, 2000:22). Er zeigt mit
dieser Perspektive auf, dass nicht nur die Struktur der Beziehung von Bedeutung ist,
sondem in einem ganz entscheidendem AusmaBe die normative Qualit^t der sozialen
Beziehungen. Coleman mochte damit deutlich machen, dass die im Rahmen von
Sozialkapital aufgebauten Beziehungen deshalb wertvoll sind, well wie Hirschman
(1987) es ausdruckte, soziale Beziehungen eine "moralische Ressource" darstellen.
Das heifit, bestehenden Verpflichtungen gegeniiber Mitgliedem in intakten sozialen
Beziehungen wird Folge geleistet, well sie einen koUektiven Wert darstellen. Der Grad
an Vertrauenswurdigkeit gewinnt hier deshalb als Teil von Sozialkapital einen spezi-
fischen Wert, well angenommen wird, dass in extrem unsicheren Umwelten, dieselben
Austauschbeziehungen mit sehr hohen Transaktionskosten verbunden waren. Dieser
Aspekt verschwindet jedoch hinter der Argumentation von Reziprozitat in den sozialen
Bindungen der Akteure, wenn argumentiert wird, dass die Verpflichtung eine einmal
erhaltene Leistung im Zuge der Sozialisationsprozesse intemalisiert wird und in kul-
turelle Normen und in gesellschaftliche Werte einer Gemeinschaft eingebettet ist. Es
handelt sich also hier um jenen zweckmSBigen Effekt, der den Aufbau von Sozial-
107
kapital beeinflusst und als Vertrauen charakterisiert wird, aber diese Zweckmafiigkeit
lasst sich nicht auf die Handlung einzelner Akteure zuriickflihren. Nahapiet und
Ghoshal (1998) umschreiben diesen Effekt uber ihre relationalen Dimensionen von
Sozialkapital.
Die Starke der Verpflichtung in sozialen Beziehungen ist ein konstitutives Merkmal
und eine zentrale Eigenschafl von sozialem Kapital. In archaischen Gesellschaften ist
Reziprozitat als normativer Wert in verschiedenen wirtschaftlichen Beziehungen stark
ausgepragt (vgl. Maus, 1954; Henrich et al, 2001). Putnam identifiziert ganz allgemein
soziales Kapital als Wert in Gemeinschaften und betont: "Im Mittelpunkt des Sozial-
kapitals steht ein auBerordentlich schlichter Gedanke: Soziale Netzwerke rufen Wir-
kungen hervor. Vor allem weisen Netzwerke ftir die ihnen angeh5rigen Menschen
einen Wert auf und im weiteren defmiert er soziales Kapital als "connections among
individuals - social networks and the norms of reciprocity and trustworthiness that
arise from them'' (Putnam, 2000:19f). In der Soziologie wird Wert unterhalb der Norm
positioniert. Werte stellen etwas „wilnschbares" dar „ohne dass dahinter ein Impera-
tiv" stunde, der diesem Wert in der Gemeinschafl mehr Bedeutung geben wiirde.
Werte konkurrieren mit anderen Werten, hingegen stehen Normen fiir sich allein. Aber
interessant ist, dass in den Kulturwissenschaften davon ausgegangen wird, dass Ge-
wohnheiten (= habitualisiertes Handeln) Werte werden konnen und Werte konnen sich
zu Normen entwickeln (Hansen, 2003:151). Angetrieben wird die Transformation von
Gewohnheiten zu Werten und von Werten zu Normen von der Standardisierung, die
wiederum auf eine VerhaltensregelmaBigkeit zurUckzuftihren ist. Die Einhaltung
gegenseitiger Verpflichtungen lasst sich also als gewohnheitsmafiiges Handeln, als
Handeln das Werten folgt oder als normiertes Handeln begreifen. Die Einhaltung
gegenseitiger Verpflichtungen bildet also ein konstitutives Element von Sozialkapital
und diese Konstituierung ist je nachdem, ob sie auf der Grundlage von Gewohnheiten,
Werten oder Normen entsteht, unterschiedlich stark. In jedem sozialen Netzwerk ent-
stehen soziale Verpflichtungen, denen sich die Mitglieder nicht so ohne weiteres ent-
ziehen, ohne den Bestand an Sozialkapital zu geMirden auf den sie zugreifen. Je
starker die relationalen Dimensionen (Gewohnheiten, Werte und Normen) umso
schwieriger ist es soziale Verpflichtungen zu ignorieren, ohne einen Schaden zu er-
leiden.
Rationale Akteure, so Coleman (1990), halten Verpflichtungen deshalb ein, well sie in
Zukunfl auf Ressourcen der sozialen Gemeinschafl zugreifen wollen und auf deren Ko-
operation weiterhin zahlen mochten.
108
Dennoch gibt es in Netzwerken, insbesondere in sehr groBen, immer Falle, in denen
einzelne Mitglieder reziproke Verpflichtungen nicht einhalten. Auf Dauer scMdigt dies
den Vorrat an Sozialkapital, unabhangig von den zu erwartenden Sanktionen, weil durch
die Zunahme einer immer grofier werdenden Zahl an Akteuren, die ihren sozialen Ver
pflichtungen nicht nachkommen, insgesamt die Bereitschaft in einem sozialen Netzwerk
abnimmt, freiwillig und in Voraussicht auf zuktinftig garantierte Gegenleistungen, zu
kooperieren. Banfield (1958) hat die Strukturen der sozialen Verpflichtung in sud-
italienischen GroBfamilien untersucht, die diesen Punkt deutlich machen. Er hat fest-
gestellt, dass "ftir die Mitglieder einer Gruppe" eine bedingungslose gegenseitige Ver
pflichtung einen hohen Stellenwert einnimmt. In den von Banfield untersuchten Fallen
war es so, dass dann, wenn Verpflichtungen nicht eingehalten wurden, dem Mitglied
drastische Konsequenzen drohten und seine Reputation auf Dauer litt. Dieses Merkmal
einer verbindlichen Verpflichtung ist insofem als eine zentrale und konstitutive
Eigenschafl zu interpretieren, weil die Qualitdt des Sozialkapitals dadurch bestimmt
wird (Lin, 2001:7; Coleman, 1990; Binmore, 1994). Reziprozitat lasst sich so begriffen,
als Bindemittel in Netzwerken bezeichnen. Ohne dieses Bindemittel wurden die Be-
ziehungen in einem Netzwerk zerfallen. Insofem halt Reziprozitat die Struktur von
Netzwerken intakt und vergroBert damit den Wert des sozialen Kapitals.
1.3.1. Wie entsteht der Wert von Sozialkapital?
Lin hat gezeigt, unter welchen Voraussetzung sich die Hohe des Sozialkapitals in
einem Netzwerk bestimmen ISsst. Ein Teil der Sozialkapitaltheorie, der tiber das
Blickfeld des rationalen Akteurs hinausgeht, thematisiert die moralische Verpflichtung
und die dadurch entstehende Reziprozitat als zentrale Variable in der Entstehung von
Sozialkapital. Beitrage von Vertretem der "Rational Choice Schule" in der Sozial-
kapitalliteratur (wie z. B. Coleman, 1988 und 1990; Burt, 1992 und 1997; Lin, 2001)
definieren den Wert den Sozialkapital in einem Netzwerk sozialer Beziehungen stiflet,
allein dadurch, dass individuelle Akteure in die Beziehungen investieren, weil sie
ihren eigenen Nutzen dadurch maximieren. Dabei geht es nutzenmaximierenden Ak
teuren darum, die Struktur der Beziehungen in bestehenden Netzwerken so zu ge-
stalten, dass sie jeweils eine Position einnehmen, die ihnen - abhangig von alien
anderen Kontakten - einen optimierten Zugang zu den im Netzwerk bereitgestellten
Ressourcen gewShrt (vgl. Lin, 2001). Burt (1982, 1992) argumentiert in diesem
Zusammenhang, dass rationale Akteure in die Beziehungen zu jenen Kontakten
investieren, die ihnen „neue" Ressourcen und/oder Informationen erschlieBen.
109
Abbildung 18: Sozialkapital und Structural Holes (Burt, 1992)
YOU. B
Structural holes und schwache Bindungen (weak ties)
Vertreter der Rational Choice Richtung in der Sozialkapitalliteratur wie Burt und Lin
nehmen an, dass jeweils einzelne Positionen in einem sozialen Netzwerk sehr viel er-
tragreicher sind als andere Positionen (in der gezeigten Abbildung sind dies die Kon-
takte You, A und B). Bin rationaler Akteur You investiert also in die Kontakte A und B
und reduziert seine Investitionen entweder zu Kontakt C oder D, Vor diesem Hinter-
grund hat Burt (1992) seine Theorie der strukturellen BrUcken (struktural holes) for-
muliert, auf die spater in der Diskussion der sozialen Netzwerkanalyse noch zuruckge-
kommen wird. In dem hier angeftihrten Beispiel ist zu sehen, dass die Kontakte You, A
und 5, die uber so genannte schwache Bindungen (punktierte Linien) Zugang zu einer
Menge anderer Kontakte in dem Netzwerk mit starken Bindungen (feste Linien)
haben, jeweils unterstellte ertragreichere Positionen einnehmen als die anderen Kon
takte. In der skizzierten Menge von Netzwerkkontakten sind drei Gruppen zu er-
kennen, die jeweils untereinander intensive (d.h. dichte) Netzwerkstrukturen bilden
und von denen angenommen wird, dass sie untereinander deshalb weniger ertragreiche
Kontakte unterhalten, weil sie redundant sind und daher die gleichen Ressourcen aus-
tauschen.
110
1.3.2. Der Wert der Ressourcen unddie Verjugbarkeit bzw. Kontrolle von Ressourcen
Esser (1999:140) definiert vertrauenswiirdige Beziehungen in Netzwerken als Res-
source: "Die Kontrolle uber eine Ressource ist der Grad der Verfugbarkeit daruber im
Moment des Handelns. Die unter Kontrolle stehenden Ressourcen sind das Budget,
das Einkommen bzw. das Kapital des Akteurs, das er fiir die Nutzenproduktion ein-
setzen kann. Die Kontrolle uber eine Ressource ist zunachst eine Angelegenheit des
Akteurs, eine Frage seiner Moglichkeiten, seiner physischen KrSfte, seiner psycho-
sozialen Kunste und aller seiner Mittel, die ihm zur Verftigung stehen, eine schlag-
kraftige Faust oder sein Fachwissen zum Beispiel. Es ist aber auch eine Angelegenheit,
bei der die Umgebung mitspielen muss: Ob jemand zum Beispiel ein Stiick Land als
Ressource unter Kontrolle bekommen und dann nutzen kann, hangt von der Ein-
richtung von sog. Eigentumsrechten ab" (Esser, 1999:140).
Worauf es ankommt sind also keineswegs bloB die eigenen subjektiven physischen
und psychischen Ressourcen, sondem inwieweit die objektive "soziale Umgebung" es
den einzelnen Akteuren ermoglicht diese Ressourcen nutzbringend einzusetzen. Wobei
hier subjektiv und objektiv nicht in der Trennung und gegenseitigen Abgrenzung des
traditionellen Denkens zu verstehen ist. Insofem ist ein soziales Netzwerk, das es einer
konkreten Menge von einzelnen Personen ermoglicht personliche Ressourcen im
Austausch mit anderen Akteuren nutzbringend einzusetzen, ein Bestandteil von so-
zialem Kapital. Braucht also die Person A in der Ausiibung ihrer Aufgaben bzw. in der
Umsetzung ihrer Handlungsinteressen das Wissen/die Ressourcen der Person B, oder
die Kooperation von Person B, dann ist anzunehmen, dass die Kooperationsbereit-
schaft vom Grad des existierenden Vertrauens abhSngt. Die Handlungsinteressen und
der Erfolg der Handlungen von Person A ist aber in jedem Fall von der Verfugbarkeit
der Ressourcen, die Person B kontrolliert abhangig. Insofem ist Vertrauen als Be
standteil von Sozialkapital anzusehen, der den Zugang zu Ressourcen erleichtert oder
uberhaupt erst moglich macht. Besteht also zwischen Personen eine vertrauenswiirdige
Beziehung, die es moglich macht, dass Person A auf die Unterstutzung und/oder Res
sourcen von Person B zugreifen kann, dann kann diese Beziehung als Sozialkapital
definiert werden. Anzumerken ist hier: Jeder Leistungsaustausch von intangiblen Ver-
mQgenswerten ist mit den typischen Problemen, die eine Informationsasymmetrie her-
vorruft, konfrontiert, wie von der Agency-Theorie thematisiert (vgl. Richter und
Furubotn, 1996:163ff.). Fiir die Okonomen ist dies deshalb ein Problem, well keine
voUstandigen Vertrage uber den Austausch dieser Leistungen geschlossen werden
konnen. Sozialkapital kann diese negativen Effekte minimieren und zum Teil voU-
111
kommen ausschliefien (Ostrom, 1990), weil Leistungen zwischen Mitgliedem in sozia-
len Netzwerken ohne moralisches Risiko ausgetauscht werden, solange bestehende
Werte und Normen ihre Giiltigkeit besitzen. Sieht man die unter Kontrolle stehenden
Ressourcen als Kapital der aufrechten Beziehungen an, so gewinnt man ein Ver-
standnis von soziaiem Kapital, das dem von Bourdieu (1983) sehr ahnlich ist. Fur
mich ist hier von Bedeutung, dass jedes Mitglied eines sozialen Netzwerks im Rahmen
seiner Aufgaben auf die Ressourcen eines Netzwerks zugreifen kann, weil als Mitglied
dieses sozialen Netzwerks im Gegenzug anderen Mitgliedem die gleichen Rechte und
Ressourcen gewahrt werden. Das heiUt aber nichts anderes, als dass die QualitSt der
Beziehungen in einem sozialen Netzwerk von besonderer Bedeutung ist. Die Qualitat
erschSpft sich aber nicht in dem im Netzwerk existierenden Vertrauen. Durch die
Nutzung und den Zugang zu Ressourcen in einem Netzwerk konnen Leistungen und
Rechte erworben werden. Was ist darunter zu verstehen. "Erwerb meint, dass erst ge-
wisse Leistungen zur Kontrolle uber die Eigenschaft fiihren: Wissen wird - beispiels-
weise - durch die Leistung des Lemens erworben. Der Akteur kann dabei also selbst
etwas fur die Kontrolle der Eigenschaft tun. Zuschreibung heifit: Der Akteur hat es
nicht selbst in der Hand, ob er die Kontrolle ubemimmt oder nicht, ob er sie abgeben
kann oder nicht" (Esser, 1999:141). In Netzwerken kSnnen also Leistungen erworben
Oder zugeschrieben werden. Anzunehmen ist, das Person B die Unterstiitzung der
Handlungsinteressen von Person A aber nur dann auf Dauer durchflihren wird, wenn
Person B in der Umsetzung eigener Handlungsinteressen auf die Unterstiitzung ent-
weder von A oder auf andere Akteure innerhalb des existierenden sozialen Netzwerkes
zahlen kann.
Warum werden reziproke Beziehungen aufrechterhalten? Sozialkapital entsteht da-
durch, weil sich einzelne oder eine begrenzte Menge von Akteuren in der Umsetzung
ihrer Handlungsinteressen gegenseitig unterstutzt. Der Bestand von Sozialkapital ist
nicht nur von der spezifischen Position und von der strukturellen Eigenschaft einer
Bindung abhSngig, sondem im Wesentlichen auch davon, dass innerhalb von sozialen
Netzwerken kooperiert wird. Der Zugang zu Ressourcen ist fur einzelne Akteure
immer nur soweit gegeben, insofem andere Akteure, die den Zugang zu bestimmten
Ressourcen kontrollieren, die Nutzung notwendigen Ressourcen ermoglichen. Kon-
trollieren einzelne Akteure den Zugang so sprechen wir von Brokerage Positionen
(Burt, 1992). Hierzu ein sehr allgemeines Beispiel: Ist ein Akteur zur Nutzung eigener
Ressourcen auf Zufahrtsrechte die von anderen Akteuren kontrolliert werden ange-
wiesen, z.B. kann durch die Gewahrung eines Zufahrtsrechts uberhaupt erst die eigene
112
Grundstucksparzelle genutzt werden, so hat die Gewahrung des Zufahrtsrechts einen
konkreten wirtschaftlichen Wert. Wahrend in diesem Fall eine vertragliche Regelung
iiber die vollstSndige Gewahrleistung der Nutzung in der Kegel moglich ist und kein
vertragstechnisches Problem darstellt, sind jedoch viele Nutzungsrechte nicht ein-
deutig definierbar und der wirtschaftliche Wert der Nutzung von Ressourcen ist des-
halb von, allgemein definiert, "intakten sozialen Beziehungen" abhangig.
In jeder Gesellschaft existieren Eigentumsrechte, Rechtsysteme die die Nutzung von
Eigentum mOglich machen. Ganz allgemein haben diese institutionellen Rahmenbe-
dingungen, wie sie in der neuen Institutionenokonomik thematisiert werden, einen ganz
konkreten okonomischen Wert. Dieser okonomische Wert wird aber in einem hohen
MaB durch sozial verpflichtende Normen geschaffen. Institutionen sind aber sehr wohl
auch das Ergebnis von Gewohnheiten und Werten (Gehlen, 1986). Es bildet kein
Problem, die Bereitstellung materieller Leistungen iiber VertrSge vollstandig auszuver-
handeln und festzuschreiben. Es existieren jedoch daruber hinaus jede Menge sozialer
Bindungen, die selbst einen okonomischen Wert haben. In den meisten Verein-
barungen gibt es eine Menge von Erwartungen (Werte) von denen ganz allgemein aus-
gegangen wird, dass sie eingehalten werden. Daruber hinaus ist aber nicht nur der
Wert der gegenseitigen Unterstutzung in der Umsetzung eigener und im Weiteren auch
kollektiver Handlungsinteressen ein wichtiges Merkmal von Sozialkapital, welches die
konkrete Struktur der Beziehungen einzelner Akteure in einem Netzwerk bestimmt.
Aus der Sicht der Untemehmung ist die Frage interessant, warum soziale Netzwerk-
beziehungen fur die Mitglieder so wertvoll sind? (vgl. Gulati und Gargiula, 1999).
Die Funktionalitat der Bindung in Netzwerken steht mit der Reziprozitat in Verbin-
dung. In den eingangs herausgegriffenen Sozialkapitaldefmitionen, ist immer wieder
von sozialen Verpflichtungen und von Reziprozitat als ein Bestandteil von Sozial
kapital die Rede. Gegenseitige Verpflichtungen sind Teil der Funktionalitat von So
zialkapital. Was aber unter Reziprozitat zu verstehen ist, daruber gibt es zwischen
Vertretem der Rational Choice Theorie und Institutionalisten grobe Missverstandnisse.
Wie Binmore herausstreicht, der als Vertreter der Rational Choice Theorie gilt, ist
Reziprozitat nicht das Ergebnis einer einmalig ausgefiihrten Interaktion zwischen zwei
Oder mehreren Akteuren: "It is impossible for reciprocity to emerge in a one-shot
game" (Binmore, 1998:10). Binmore der darauf besteht Entscheidungen als rationale
Handlungen zu untersuchen, fiihrt fiir seine These ein eindrucksvoUes Beispiel an, das
auf den ersten Blick sehr uberzeugend und rational aussieht: "The gains available to
Adam from betraying Eve today will then outweigh the advantages to be gained from
113
maintaining their relationships" (Binmore, 1998:110). Worum geht es in diesem Zitat?
Ein Betrug Adams wtirde ihn der noch ausstSndigen Vorteile aus einer aufirechten Be-
ziehung zu Eva berauben. Das ist offensichtlich einleuchtend. Weniger offensichtlich
ist allerdings, ob Adam tatsSchlich im Fall eines Betruges alle zuktinftigen Folgen
seiner Handlung einzuschatzen vermag. Es ist auch im Weiteren sehr wohl mOglich,
dass Adam vor einem Betrug Evas zuruckschreckt, well es ihm institutionalisierte
Werte und Normen verbieten. Das Beispiel von Binmore zeigt uns also zwar dass Re-
ziprozitat ein auf Dauer angelegter Wert in sozialen Beziehungen ist, aber es beweist
keineswegs, dass rationale Entscheidungen diesen Wert begrllnden.
Ein anderes Beispiel: Putnam streicht Reziprozitat als wesentlichen Bestandteil von
Sozialkapital heraus: "Social connections are also important for the rules of conduct
that they sustain. Networks involve (almost by definition) mutual obligations; they are
not interesting as mere 'contacts.' Networks of community engagement foster sturdy
norms of reciprocity: I'll do this for you now, in the expectation that you (or perhaps
someone else) will return the favor. [...]Yogi Berra who offered the most succinct
definition of reciprocity: "If you don't go to somebody's funeral, they won't come to
yours" [...] Even more valuable, however, is a norm of generalized reciprocity: I'll do
this for you without expecting anything back from you, in the confident expectation
that someone else will do something for me down the road" (Putnam, 2000:19-20).
Coleman erklart die Motivation eines rationalen Akteurs in reziproke Beziehungen zu
investieren, folgendermaBen: "When I do a favor for you, this ordinarily occurs at a
time when you have a need and involves no great cost to me. If I am rational and
purely self-interested, I see that the importance to you of this favor is merely the
lending of money, since a unit of money holds about the same interest to a person over
time. When the favor involves services, expenditure of time, or some other non-
fungible resource, however, or when it is of intrinsically more value to the recipient
than to the donor (such as help with a task that can be done by two persons but not by
one), this kind of mutually profitable exchange is quite possible. The profitability for
the donor depends on the recipient's not repaying the favor until the donor is in need.
...Thus creating obligations by doing favors can constitute a kind of insurance po
licy..." (Coleman, 1990:310). Coleman folgt hier der Argumentation von Hume. David
Hume beschreibt die Griinde fur reziprokes Verhalten in einem interessanten Beispiel
folgendermaBen und zeigt, wie vor dem Hintergrund rationaler Nutzenerwartungen
einzelner Akteure reziproke Handlungen entstehen: "Your com is ripe today; mine will
be so tomorrow. 'Tis profitable for us both, that I shou'd labour with you today, and
114
that you shou'd aid me tomorrow. I have no kindness for you, and know you have as
little for me. ...Hence I learn to do a service to another, without bearing him any real
kindness; because I foresee that he will return my service, in expectation of another of
the same kind, and in order to maintain the same correspondence of good offices with
me or with others" (Hume, 1784: 86).
Unter der Annahme rationaler Nutzenerwartungen, wie sie von der Theorie des ratio-
nalen Handelns vorausgesetzt wird, entsteht Soziales Kapital, wenn in einer Gruppe
von Personen gegenseitige Bindungen eingegangen werden, die Beziehungen Mit-
gliedem eine Leistung versprechen und von den Mitgliedem erwartet wird, dass die
eingebrachten Leistungen erwidert werden. Sozialkapital baut damit auf die reziproken
Bindungen in einer Gemeinschaft auf. Die positive Wirkung von Sozialkapital hin-
sichtlich reziproker Verpflichtungen setzt auf Dauer angelegte Beziehungen voraus.
Hinzukommt, dass die positive Wirkung von Normen und Werten, die in Verbindung
mit Sozialkapital stehen, nach Coleman (1988 und 1990; siehe auch Burt, 1982) ftir
den Aufbau von sozialem Kapital selbst wichtig, nur dann ihre Gtiltigkeit und
Wirkung entfalten, wenn Bindungen in einer Gruppe auf Dauer angelegt sind. Re-
ziprozitat in einer Gruppe funktioniert, so gesehen nur dann, wenn gtiltige Normen
existieren, die dieses Verhalten belohnen bzw. eine Verletzung des erwarteten Verhal-
tens bestrafen.
1.3.2.1. Stabilitdt als Voraussetzungfur den Aufbau von sozialem Kapital
Der Zugang zu Ressourcen, bzw. der Gebrauch und die Nutzung und der damit be-
griindete Wert von Sozialkapital setzt jedoch in vielen Fallen die dauerhafte Ko-
operation in einem Netzwerk von Beziehungen voraus. Aus der Perspektive der Ratio
nal Choice Schule liefie sich argumentieren, dass rationale Akteure nur insofem in so-
ziale Beziehungen und der damit verbundenen Kooperation investieren, wenn sie an-
nehmen konnen, dass die Beziehung zumindest so lange andauert, bis der Zugang ge-
wahrt bzw. die Nutzung der Ressource abgeschlossen ist. Insofem argumentiere ich ja
auch, dass es plausibel ist anzunehmen, dass Organisationsmitglieder, die befristete
bzw. auf kurze Dauer angelegte ArbeitsvertrSge haben, in einem weitaus geringeren
AusmaB in soziale Beziehungen investieren als BeschSftigte mit unbefristeten bzw. auf
langere Dauer ausgerichtete Arbeitsbeziehungen. Hingegen ist anzunehmen, dass
Organisationsmitglieder deren Arbeitsvertrage auf Dauer angelegt sind, in soziale Be
ziehungen investieren, weil sie erwarten konnen, in Zukunfl den Wert dieser sozialen
Beziehungen zu nutzen.
115
Den positiven Effekt stabiler Arbeitsbeziehungen hat Pfeffer (1994 und 1998) in
mehreren Arbeiten untersucht. Er argumentiert, dass uber verschiedene MaBnahmen^ ,
die die StabilitSt der Beziehimgen der Mitarbeiter zum Untemehmen verbessem, die
Leistung des Untemehmens gesteigert werden kann (Pfeffer, 1998:301). Die Ursache
der positiven Wirkung vennutet Pfeffer in der hOheren Identifikation der Mitarbeiter
mit dem Untemehmen. ^
Insofem ist also die Bereitschaft einzelner Akteure in einem Netzwerk bei Bedarf
UnterstUtzung zu gewahren ein wichtiger Bestandteil von sozialem Kapital. Im Gegen-
satz zur idealtypischen Konzeption anonymer und einmaliger Markttransaktionen, bei
der weder Kaufer noch VerkSufer Uber die Transaktion hinaus eine Beziehung auf-
rechterhalten mussen, bieten soziale Netzwerke den Vorteil, dass Bindungen und Be-
ziehungen nicht stSndig aufgebaut, beendet und bei Bedarf wieder hergestellt werden
mtissen.
1.4. Vertrauen als Bestandteil und Voraussetzung zur Bildung von Sozialkapital
Die Netzwerktheorie argumentiert, dass in sozialen Netzwerken die Kontrolle Uber
existierende Ressourcen von der Struktur der Beziehungen abhangt. Fukuyama hin-
gegen fmdet nicht nur die Struktur der Beziehungen, sondem das existierende Ver
trauen ein zentrales Merkmal von Sozialkapital ist (Fukuyama, 1995). Die Vertrauens-
wUrdigkeit der Beziehungen ist bei Fukuyama das Kapital, Uber das Akteure verfiigen
und das sie zur Realisierung ihrer Interessen einsetzen. Da die jeweilige Struktur der
Beziehungen in einem Netzwerk Uber die Verfiigbarkeit vorhandener Ressourcen be-
12 Pfeffer (1998) verweist in diesen Arbeiten nicht auf die Bedeutung von sozialem Kapital. Likert und Hayes (1957), die sich mit Shnlichen Fragen beschaftigten, haben dies in ihren empirischen Arbeiten zu kohSsiven Arbeitsgruppen gemacht. Diese Uberlegungen greifen einschlagige Humanressourcenpolitiken auf. Der positive Effekt von High Performance Work Systems bzw. von High Involvement Work Systems auf den Erfolg von Untemehmen ist inzwischen in zahlreichen empirischen Studien untersucht worden. Diese Arbeiten schlieBen in ihren Intentionen an den bereits in den Hawthome-Experimenten von Mayo (siehe Roethlisberger und Dickson, 1961) festgestellten, positiven Effekt psychohygienischer Management-politik an. High Performance Work Systems bzw. High Involvement Work Systems gehen aber nur teilweise Ober die Konzepte von Hackman und Oldham (1980) in der Neugestaltung hinaus. (Bei-spiele dafUr sind Arthur (1994) und Seiling (1997), die jeweils in ausftihrlichen Feldstudien den Erfolg der an HPWS orientierten Beschaftigungspolitik bestatigen (vgl. dazu Cappelli und Singh, 1992). In diesen Studien ist jedoch der Zusammenhang, warum BeschSftigungsformen die Stabilitat der Bindung zwischen Mitarbeiter und Untemehmen verbessem, nicht erklSrt.
116
stimmt und der Wert einer Ressource dadurch zustandekommt, wenn bei Bedarf der
Zugriff gewahrt wird, kann zwar die Struktur eines Netzwerkes selbst als eine Res-
source begriffen werden (Esser, 1999:140; Burt, 1992:30) aber die Handlungsfahig-
keiten und Handlungsmoglichkeiten hangen nicht nur vom Zwgr/^selbst, sondem vom
in der Gemeinschaft existierenden Vertrauen ab (Putnam, 2000; Fukuyama, 2000).
Vertrauen verbessert bzw. ermoglicht soziale Interaktion unter der Bedingung von Un-
sicherheit. Die Verwendung und der Zugriff auf immaterielle Ressourcen - wie zum
Beispiel nicht-artikulierbares Wissen - ist in einem erheblichen Grad von der frei-
willigen Kooperation anderer bestimmt. Beispielsweise wird implizites Wissen im
Zuge von Arbeitsroutinen erworben, dabei kann man als einzelne Person lemen, oder
man lemt mit der Unterstutzung einer Gruppe. Likert hat gezeigt, dass in Arbeits-
gruppen mit einem hohen Grad an Vertrauen produktiver gearbeitet wird als in Ar-
beitsgruppen mit einem geringen Grad an Vertrauen (Likert, 1961). Durch diese
Unterstutzung kann sich alleine die Leistung des Lemens erheblich verbessem. Inso-
fem sind die Beziehungen in einem Netzwerk okonomisches Wissenskapital (Esser,
1999:141). Das Ergebnis der Leistung des Lemens ist eine Ressource, die von der
Struktur und dem Grad der Kooperation in einem sozialen Netzwerk bestimmt wird.
Also nicht nur die Verbreitung und der Zugang zu konkreten Ressourcen, sondem die
organisational Fahigkeit uberhaupt zu kooperieren und das damit verbundene Er
gebnis des "Lemens" ist als Wert existierender sozialer Bindungen zu defmieren.
Diese Uberlegungen sind eigentlich nichts Neues. In Organisationen mit einem hohen
Vorrat an Sozialkapital ist diese Leistung des Lemens, die hier mit Edith T. Penrose
(1959) als organisational Fahigkeit interpretiert wird, effektiver und effizienter zu
erbringen, als in Organisationen mit einem geringen Vorrat an Sozialkapital. Die
Leistung des Lemens einzelner Akteure, bzw. die Leistung eines Kollektivs sich
Wissen anzueignen, ist also von der Stmktur der Bindungen der einzelnen Akteure und
dem in Netzwerken vorhandenen Grad an Vertrauen bestimmt. "
14
Die zentralen Bausteine des individualisierten Untemehmens, die Bartlett und Ghoshal (1997) allge-mein als "stretch", "support" und im Kompetenzansatz von Prahalad und Hamel (1990) als "leverage" bezeichnet werden, sind als soziale Beziehungsfaktoren zu interpretieren, die einen ganz konkreten Qkonomischen Wert haben, der iiber die Struktur der vertrauenswiirdigen Bindungen in einem sozialen Netzwerk als Sozialkapital zu verstehen ist.
117
Damit ist eine wesentliche Qualitat der wissensorientierten bzw. lemenden Organi
sation angesprochen. Bin Akteur kann zwar eine FShigkeit selbst erwerben und die
Kontrolle uber diese Fahigkeit (Ressourcen) ausuben, d.h. souverSn und eigenstandig
(Coleman 1990:307) uber den Gebrauch entscheiden/^ Bzw. entscheidet in vielen
Fallen der Akteur selbst, in welchem AusmaB Wissen weitergegeben wird. KSser und
Miles (2002) haben das AusmaB an Vertrauen - wie diskutiert - mit der Freiwilligkeit
und dem Grad an Selbstbestinmitheit ^ im Zuge des Austauschs von Wissen als intrin-
sische Motivation bezeichnet.*^
Salam versteht Vertrauen als Grundlegung fUr den Erfolg sozialer Beziehungen, in
seinen Worten: „a foundation of any beneficial and successful relationship between
individuals and between organizations" (Salam, 2000:274). Coleman, der sich aus-
fUhrlich mit der Wirkung von Vertrauen im Rahmen seiner Sozialtheorie beschafligt,
macht auf einen weiteren Aspekt von Vertrauen aufmerksam: "The first point to note
is that the placement of trust allows an action on the part of the trustee that would not
have been possible otherwise" (Coleman, 1990:97). Der wesentliche Punkt ist also der,
dass die GewShrung von Vertrauen fur das Zustandekommen von Austauschbe-
ziehungen unerlSsslich ist. Ganz allgemein ist es einsichtig, dass in Vertragsverhalt-
nissen, in denen zwei Parteien sich verpflichten eine Leistung auszutauschen, darauf
zu vertrauen ist, dass die vereinbarte Leistung auch erbracht wird, gerade dann, wenn
es sich um schwer eingrenzbare, also intangible Leistungen handelt. Bin Aspekt von
Vertrauen, besteht in der Wirkung Kosten unter unsicheren Transaktionsbedingungen
Ganz im Sinne der Definition elementarer Handlungssysteme von Coleman (1990:28f) besteht eine Handlungssituation aus einem Akteur, aus einer Ressource und der iiber diese Ressource auszu-iibenden oder vorhandenen Kontrolle (siehe dazu Esser, 1999:37). In der traditionellen Organisationsform wird diese Frage Uber die Zuweisung und Ubertragung von Kompetenz, Recht und AutoritSt iiber das Design der Struktur gelOst. Das zentrale Instrument dieser Zuweisung ist dabei die Hierarchie. TatsSchlich ist dies jedoch kein effizientes Instrument zur Steuerung der Verbreitung von impliziten Wissensformen (Drucker, 1999:80) Zudem ist es innerhalb von Organisationen wichtig, inwieweit erworbene Ressourcen reproduzierbar sind und innerhalb der Organisation weitergegeben werden kOnnen. Das ist problematisch im Fall von Wissen bzw. intangiblen VermOgenswerten. In diesen Fallen ist auch die Obertragung und die Ober-wachung bzw. die Gestaltung ein grunds^tzliches, aber lOsbares Problem. Hingegen sind intangible Ressourcen nur schwer ubertragbar, der Gebrauch und der Kreis der Nutzniefier sind nicht streng kontrollierbar. Die Ubertragung an Dritte vielfach problematisch. "Herrschaft und Rechte sind vor allem dann wichtig, [wenn] die Kontrolle Uber eine Ressource nicht vom isolierten Handeln eines Akteurs allein, sondem von den kollektiven Handlungen einer Mehrzahl von Akteuren abhSngig ist" (Esser, 1999:141).
118
zu minimieren (Jost, 2000:583; Dyer, 2003; Arrow, 1974). Die Minimierung bezieht
sich allerdings auf die Reduzierung von Kosten bei aufwendigen Vertragserstellungs-
prozessen.
Der Begriff Vertrauen selbst wird in der Sozialkapitalliteratur oft synonym mit dem
Begriff Sozialkapital verwendet. Das mag damit zu tun haben, dass auch Vertrauen
einen wirtschaftlichen Wert hat. Die synonyme Verwendung beider Begriffe ist aber
unprSzise. Unstrittig ist jedoch, dass Vertrauen ein elementarer Bestandteil sozialer
Beziehungen ist (Seligman, 2000) und als Ergebnis vergangener Erfahrungen ange-
sehen wird. "The existence of trust is an essential component of all enduring social
relationships. ...You can do anything with bayonets except sit on them' ....Power,
dominance, and coercion can ...be a temporary solution to the problem of social order
and the organization of the division of labor therein, but they will not in themselves
provide the basis for the maintenance of said order over time" (Seligman, 2000:13).
Die Arbeiten von Seligman (2000) und Stompka (1999) zeigen die unterschiedlichen
Facetten des Begriffs Vertrauen. Stompka verweist darauf, dass es in komplexen Ge-
sellschaften nicht mehr mSglich ist, eine voUkommene KontroUe uber Personen und
Situationen auszuuben. Deshalb kann ohne Rtickgriff auf Vertrauen nicht gehandelt
werden: "It is very rarely that we have fiall control over others. It is only the extremes
of physical coercion that fall under this rubric. In such cases there is no place for trust"
(Stompka, 1999:23).
In all jenen Fallen in denen also keine direkte oder vollkommene KontroUe uber
Situationen und Personen ausgeubt werden kann, mlissen wir, um handlungsMiig zu
bleiben, auf Vertrauen zu bauen. Stompka defmiert mit dieser Perspektive im Hinter-
grund Vertrauen wie folgt: "Trust is a bet about the fiiture contingent actions of others"
(Stompka, 1999:25). Vertrauen hat also im weitesten Sinn immer etwas mit Er-
wartungen zu tun, die wir hinsichtlich zukiinftiger Handlungen oder Ergebnisse vor-
nehmen, aber nicht mit Sicherheit einschatzen konnen (vgl. Luhmann, 1968).
Luhmann argumentiert, dass nur wenn eine vollkommene Beherrschung uber die
Handlungen von Personen und uber zukiinftige Ereignisse sichergestellt werden kann,
kein Vertrauen notwendig sei (Luhmann, 1968:19). Insofem reduziert Vertrauen un-
uberschaubare Komplexitat. Vertrauen dient so der Uberbrtickung von Unsicherheit.
"In dem MaBe, als der Bedarf fUr Komplexitat wachst und der andere Mensch als alter
ego, als Mitverursacher dieser Komplexitat und ihrer Reduktion, in den Blick kommt.
119
muss das Vertrauen erweitert werden ..." (Luhmann, 1968:27). Je umfangreicher die
Komplexitat in Austauschbeziehungen, umso wichtiger wird Vertrauen, um uberhaupt
handlungsf^ig zu bleiben.
Fehlendes Vertrauen fiihrt in wechselseitigen Beziehungen zu erheblichen Problemen.
In unserem Zusammenhang von Interesse ist jedoch, dass fehlendes Vertrauen es viel-
fach unmoglich macht, Austauschbeziehungen zu etablieren und in weiterer Folge
auch aufrechtzuerhalten. Dennoch zeigt sich die Organisationsokonomik in Bezug auf
die positive Wirkung von Vertrauen skeptisch. Williamson (1999) und Levi (2000)
vertreten neuerdings den Standpunkt, dass nicht Vertrauen, sondem Misstrauen fiir
eine efFiziente Gestaltung von Transaktionen notwendig ist. Levi stellt sich hierzu die
Frage: "Do we really need trust and social capital to improve exchange relationships"
(Levi, 2000:137)? Ihre Antwort ist Nein. Fur Levi ist es nachrangig zu fragen, welchen
Vorteil Vertrauen in wechselseitigen Austauschbeziehungen stiftet. Sie interessiert
sich allein dafiir, welche Kosten bzw. welche Schaden durch vorzeitiges Misstrauen zu
vermeiden sind. Levi (2000:138) begriindet ihre Position damit, dass sie zuerst einmal
annimmt, dass Menschen faul oder fleiBig sind und dass in all jenen Fallen, in denen
die Handlungen der Akteure nicht beobachtbar sind, sich Akteure dafiir entscheiden,
faul zu sein bzw. sich wenig anstrengen. Um dies zu vermeiden, miisse man in organi-
sationalen Beziehungen entsprechende Vorsichtsmafinahmen und eine entsprechende
Vorsorge treffen. Vor dem Hintergrund dieses Menschenbildes argumentiert nun Levi
(2000), aufbauend auf Williamson (1985), dass rationale Akteure, wenn ihnen die Ge-
legenheit dazu geboten wird, mit Arglist tauschen, und sich einseitig Vorteile ver-
schaffen, wenn ihr Verhalten nicht kontrolliert wird. Organisationen, die sich auf Ver
trauen stutzen, sind nicht iiberlebensfdhig, so Williamson (1985), weil sie sich nicht
effektiv gegen opportunistisches Verhalten schutzen: "One of the implication of
opportunism is that 'ideal' cooperative modes of economic organization, by which I
mean those where trust and good intentions are generously imputed to the member
ship, are very fragile. Such organisations are easily invaded and exploited by agents
who do not possess those qualities" (Williamson, 1985:65). Diesen Effekt stelle ich
nicht voUkommen in Abrede. Ich bezweifle allerdings, ob dies eine Beschreibung des
zentralen Problems in Organisationen ist, die ihre Beziehungen zu ihren Organisa-
tionsmitgliedem auf Dauer auszurichten (Coleman, 1990:96ff.). Das Problem an dieser
Argumentation ist nicht, dass opportunes Verhalten und die schadigende Absicht indi-
vidueller Akteure ins Zentrum der Aufgaben der Organisationsgestaltung gestellt wird,
sondem dass dadurch Handlungen die auf Vertrauen aufbauen, ausgeschlossen bleiben
120
bzw. gar nicht zustande kommen. Die damit verbundenen Residualverluste nicht zu-
stande gekommener Austauschbeziehungen mussten dann eigentlich als Kosten des
fehlenden Vertrauens in Betracht gezogen werden.
Arrow beispielsweise hat Vertrauen als uneriassliches ''Schmiermitter wirtschaftlicher
Transaktionen klassifiziert (Arrow, 1974). Und selbst Williamson bestreitet den Effekt
von Vertrauen auf die H(3he der Transaktionskosten nicht, storend findet er alleine den
Umstand, dass Vertrauen schwierig zu operationalisieren ist (Williamson, 1985:405).
Umgekehrt lasst sich jedoch auch argumentieren, dass Misstrauen in wechselseitigen
Austauschbeziehungen hohe Kosten verursacht. Und es aus derselben Uberlegung her-
aus vemunflig ist, in vertrauenswurdige Beziehungen zu investieren. Investitionen in
Vertrauen machen aber nur dann einen Sinn, wenn die Beziehungen auf Dauer ange-
legt sind. *
Coleman hat Uberlegungen angestellt, unter welchen Voraussetzungen es fiir einen
rationalen Akteur sinnvoll ist, in Vertrauen zu investieren. Eine Investition in Ver
trauen ist, so Coleman, dann ertragreich, wenn die Kosten des Misstrauens grOfier sind
als die Kosten des Vertrauens (1990). Seine Argumentation soil hier kurz skizziert
werden.
In vertrauensvollen Beziehungen interagieren zumindest zwei Parteien, eine Person,
die Vertrauen schenkt und eine Person, der Vertrauen gewShrt wird. Coleman unter-
scheidet zwischen den Handlungsmotiven des Akteurs der Vertrauen gewShrt und den
Handlungsmotiven des Akteurs dem Vertrauen gewShrt wird: "It is not only the
Nun lieBe sich aber auch argumentieren, dass durch die bloBe BeschSftigung mil alien mCglichen Aus-wirkungen und Folgen von Misstrauen unsere Aufmerksamkeit praktisch von dem Thema "Misstrauen" gefangen wird und wir durch unsere intensive BeschSftigung mit Misstrauen ein besonderes FingerspitzengefUhl entwickeln, in jeder wechselseitigen Austauschbeziehung potentiell schadliche Effekte zu identifizieren, die dadurch vermieden werden k5nnen, indem ausreichende Schutz- und VorsichtsmaBnahmen getroffen werden. Der optimale Schutz bei Misstrauen ist allerdings, keine Transaktionen durchzufUhren. Dann kOnnen wir sicher sein, nicht enttSuscht zu werden. Aber wie wahrscheinlich ist es, dass Vertrauen gebrochen oder eingehalten wird? Der klassische Fall in der traditionellen Organisationstheorie ist der positive und negative Zyklus von Vertrauen und Misstrauen, wie er von McGregor (1960) in seiner Theorie X und Y identifiziert wurde. Ein Vorwurf, der von der Organisationspsychologie (vgl. von Rosenstiel, 2000) und der Organisationstheorie kommen kann (SchreySgg, 1999) ist der, dass wir alleine durch unser misstrauisches Vorgehen gewissermaBen die unverrOckbaren Fundamente zum Aufbau einer auf Misstrauen basierenden Organisationskultur implizieren. SchreySgg (1999) meint, dass damit die tatsSchlichen Organisationspathologien erst produziert werden.
121
potential trustor whose decision must be considered. In many cases the trustee has a
choice between keeping the trust or breaking the trust. The trustee may in certain
cases, find it is to his benefit to break the trust, when he stands to gain in the short run
but lose in the long run by never again being trusted by that trustor (Coleman,
1990:96).
Der Treuhander, dem Vertrauen gewShrt wird, kann das in ihn gesetzte Vertrauen
rechtfertigen oder brechen. Wesentlich zuerst einmal ist aber, dass Handlungen da-
durch erst mOglich werden, well dem TreuhSnder Vertrauen gewahrt wird. Coleman
diskutiert in diesem Zusammenhang das Beispiel eines Bankdirektors der einem
FrSchter einen Kredit gewShrt, ohne die entsprechende Uberprufung der Bonitat
durchzuftihren, well er aus der Vergangenheit im Umgang mit dem Kreditnehmer nur
gute Erfahrungen gemacht hat und darauf vertraut, dass dies auch in Zukunft so
bleiben wird. Durch den gewShrten Kredit wird die Reparatur eines Transportfahr-
zeuges bezahlt und dadurch die Aufi-echterhaltung des Geschaftsbetriebes des
FrSchters mOglich (Coleman, 1990:97).
Coleman skizziert hierfiir auch ein Modell unter welchen Bedingungen Vertrauen ge
wahrt wird mit dem dieser Fall betrachtet werden kann (Coleman, 1990:97). Ftir das
Modell gelten folgende Annahmen: Wenn p die Wahrscheinlichkeit des zu erwarten-
den Gewinns ist, L der potenzielle Verlust, wenn das gewShrte Vertrauen vom Treu-
hander gebrochen wird, und G der potenzielle Gewinn, wenn das gewahrte Vertrauen
gerechtfertigt war, dann lassen sich drei Handlungssituationen differenzieren
(Coleman, 1990:97).
(1) Wenn - ^ > — dann gewahrt der rationale Akteur Vertrauen. \ — p G
(2) Indifferent verhah sich der Akteur, wenn folgende Bedingung herrscht - ^ = —; 1-/7 G
(3) kein Vertrauen gewahrt der rationale Akteur wenn, -^— < —. 1-/7 G
Mit diesem Modell im Hintergrund definiert Coleman, in Anlehnung an Deutsch
(1962), vertrauensvolles Verhalten als eine Situation "that increases one's vulner
ability to another whose behavior is not under one's control in a specific type of
situation in which the loss one suffers if the other (trustee) abuses that vulnerability is
122
greater than the gain one receives if the other does not abuse that vulnerability"
(Coleman, 1990:100). Das Modell zeigt nicht, dass Akteure umso vorsichtiger Ver-
trauen gewahren, je unverbindlicher der Zusammenhalt innerhalb einer konkreten
Gruppe von Akteuren tatsachlich ist. Diese Uberlegungen gelten auch fiir Organisa-
tionen. Existiert tiber eine einmalig gekniipfte wirtschaftliche Beziehung hinaus
zwischen zwei Personen keine verpflichtende Bindung, so ist es wahrscheinlich, dass
eine Gelegenheit, sich eigennutzig zu verhalten, wahrgenommen wird. Der Anreiz
eigene Interessen, die den anderen Akteur mSglicherweise schadigen, zurtickzustellen
ist bei einmaligen und kurzfristigen Beziehungen gering. Existieren jedoch uber die
konkrete wirtschaftliche Beziehung hinaus verpflichtende Verbindungen, dann ist es,
so die Uberlegung, sehr viel unwahrscheinlicher, dass opportunes Verhalten praktiziert
wird. ^ Besteht zusStzlich ein Interesse auch in Zukunft eine wirtschaftliche Beziehung
einzugehen, dann ist es wahrscheinlich, dass eigene Interessen, die den anderen Akteur
benachteiligen, zuriickgestellt werden.
In der von Coleman skizzierten Situation ist das Handeln der Akteure durch die Ge-
winnerwartung bzw. den mfiglichen Verlust abhangig. Zu bedenken ist jedoch, dass in
den meisten Handlungssituationen weder der wahrscheinliche Gewinn noch der wahr-
scheinliche Verlust in die Kalkulation aufgenommen werden kann, sondem auf eine
mehr oder weniger vage Einschatzung zuriickgegriffen wird, wenn iiberhaupt eine
solche vorgenommen wird. Das von Coleman (1990) skizzierte Modell des rationalen
Akteurs, der aufgrund erwarteter ErtrSge, bekannter Kosten und bekannter Wahr-
scheinlichkeiten Vertrauen gewahrt oder nicht gewShrt, ist zumindest am Beispiel der
Vertrauensguter nicht anwendbar (vgl. Picot, Dietl und Franck, 2002:24), well hier der
rationale Akteur keine Informationen hat, ob seine Erwartungen erfiillt wurden und in
den meisten Fallen auch gar nicht uberpnifen kann, ob das von ihm gewahrte Ver
trauen gebrochen wurde.
Das von Coleman als allgemeines Paradigma formalisierte Handlungsmodell trifft je
doch nur in wenigen Fallen zu, so meine Uberlegung. Es ist auch gewissermafien er-
staunlich, dass die von ihm angefiihrten Beispiele gerade mit seinem Schema nicht
19 Mit Arrow ist festzuhalten, dass die Effizienz altemativer Transaktionsformen in verschieden Kul-turen aufgrund der Unterschiede im Vertrauen variiert. Im Original heil3t es: "The efficacy of alternative modes of contracting will thus vary among cultures because of differences in trust" (Arrow, 1974:62).
123
uberzeugend analysiert werden konnen (z.B. der Bankier, der einen kurzfristigen
Kredit gewahrt, well er alle notwendigen inoffiziellen Informationen iiber die Kredit-
wurdigkeit und VertrauenswUrdigkeit des Kreditnehmers besitzt). Ganz im Gegenteil
ist festzustellen, dass sehr oft Vertrauen dann gewahrt wird, wenn kaum oder keine
verlasslichen Informationen liber potenzielle Kooperationspartner vorhanden sind
(Axelrod, 1984). Unabhangig von existierenden Anreizen schenken wirtschaftliche
Akteure Vertrauen in der Mehrheit der Falle ohne hinreichende Griinde dafiir nennen
zu konnen.
Wie ist also die Frage zu beantworten, warum in wechselseitigen Austauschbe-
ziehungen Akteure anderen Akteuren Vertrauen schenken? Wie entsteht in wechsel
seitigen Austauschbeziehungen Vertrauen? Worauf grunden wir unsere Annahmen,
dass in wechselseitigen Austauschbeziehungen nicht einseitig schadigendes Verhalten
virulent wird. Was sind gute Griinde, eine wechselseitige Beziehung vor einseitigem
Missbrauch zu schutzen. Oder was sind vemtinftige Bedingungen, wechselseitige Aus
tauschbeziehungen auf Vertrauen zu errichten?^^ In vielen wichtigen Entscheidungs-
situationen handeln Individuen vertrauenswiirdig, ohne Griinde dafiir zu nennen und
sie sind in vielen Fallen misstrauisch, ohne fUr ihr Misstrauen Griinde zu haben.
Vertrauen dient, wie bereits erwahnt, der Reduktion von Komplexitat (Luhmann,
1968). Oder wie es Gambetta formuliert: "Trust is particularly relevant in conditions of
ignorance or uncertainty with respect to unknown or unknowable actions of others"
(Gambetta, 1990:218). In vielen Situationen, in denen keine sicheren Informationen
zur Verfiigung stehen, greifen Akteure auf Vertrauen zuriick (March, 1999; Gambetta,
20
Die NIE (Neue InstitutionenOkonomik) sieht die Organisation als soziales Interaktionssystem, als einen Nexus von Vertragen und als Ort Okonomischer Aktivitaten (Jost, 2000:17). Die an der NIE orientierte Skonomische Organisationstheorie, der sehr viel abgewonnen werden kann, nimmt die Organisation als soziales Interaktionssystem auf eine ganz spezifische Weise wahr, die sich von meinen Uberlegungen aber in wesentlichen Teilen ganz erheblich unterscheidet. Die Organisation als soziales Interaktionssystem wird in der NIE vorwiegend (wenn nicht ausschliefilich) aus der strikten Perspektive des nutzenmaximierenden Individuums heraus gesetzt. Jedes rationale Individuum, als Mitgiied einer Organisation, setzt entsprechend dieser Theorie Handlungen als einzelnes Ent-scheidungssubjekt (Richter und Furobotn, 1996:3). Damit ist gemeint, jede Person entscheidet auf-grund persSnlicher, eigener und eigenstSndiger Praferenzen, hat eigene Ziele, verfolgt eigene Zwecke und hat eigene Ideen und verfolgt diese unabhangig von dem sozialen Kontext, in den das Individuum eingebettet ist. Der Fokus ist damit nicht das Kollektiv der interagierenden Individuen, sondem alleine das mit anderen Individuen interagierende einzelne Entscheidungssubjekt. Mit dem Ergebnis, dass die Okonomische Entscheidungstheorie grundsatzlich noch immer davon ausgeht, handeln wir als singulare Einzelpersonen, die ausschlieBlich persQnliche und individuelle Interessen maximieren.
124
1990). Dabei lassen sich verschiedene Formen des Vertrauens unterscheiden. Von
dyadischem (zweiseitigem) Vertrauen wird Vertrauen abgegrenzt, das in einer
grOBeren, generalisierten Gnippe existiert. Der Grad an Vertrauen steht in Zusammen-
hang mit der Qualitat der zur Verfugung stehenden Informationen. Aber auch Miss-
trauen wird von vorhandenen Informationen genahrt. In beiden Fallen ist es jedoch so,
dass Vertrauen und Misstrauen in einem ganz entscheidenden AusmaC von den
eigenen Erfahrungen aktueller und vergangener Beziehungen bestimmt wird.
2. Die Struktur sozialer Netzwerke als Sozialkapital
Die Netzwerktheorie geht von der zentralen Annahme aus, dass Akteure nicht unab-
hangig, sondem interdependent handeln (Sydow, 1993:75). Individuen sind keine iso-
lierten Einzelwesen, die auf der Grundlage ihrer genetischen Disposition determi-
nistisch handeln, sondem ebenso von Kultur in ihrem Denken und Handeln beeinflusst
werden. Die Biologie spricht deshalb von einer Ko-Evolution von Genen und Kultur
(Wilson, 1998:171). Insofem sind in einem Netzwerk die existierenden Bindungen
bzw. der Umfang und die Qualitat der Beziehungen zwischen Akteuren von Be-
deutung, weil sie nicht nur das Handeln der Akteure beeinflussen, sondem auch die
kulturellen Institutionen die ihr Handeln beeinflusst in Kraft setzen. Unsere Wahr-
nehmungen und unsere Erfahrungen sind von unseren sozialen Beziehungen stark be
einflusst (Kilduff und Tsai, 2003:5). Die Netzwerkstmktur sozialer Beziehungen wird
als Kontext der individuellen Handlungen verstanden und als Muster der Beziehungen
interdependenter Akteure untersucht (Wasserman und Faust, 1999:4). Netzwerke sind
so gesehen mehr als methodische Konstmkte. Das Verhalten und die Handlungen
einzelner Akteure begreift die Netzwerktheorie also nicht unabhangig voneinander,
sondem eingebettet in eine Stmktur von Beziehungen. Sie lehnt hierbei die zentralen
Annahmen des methodologischen Individualismus ab. Dementsprechend konzentriert
sich die Netzwerktheorie und Analyse auf die formale Beschreibung bestehender
Strukturen sozialer Beziehungen.
Mitglieder in einem Netzwerk, so die Theorie, erhalten essentielle Informationen
schneller als Nicht-Mitglieder (Burt, 1992:206). Der Charakter der Mitgliedschaft in
einem bestimmten Netzwerk kann zwischen einer sehr verbindlichen bis hin zu einer
eher unverbindlichen Mitgliedschaft schwanken. Netzwerke mit vielen Bindungen fur
Mitglieder gelten als attraktiver als Netzwerke mit wenigen Mitgliedem. Eine rein auf
Kosten/Nutzen Kalkulen basierende Mitgliedschaft musste die tatsachlichen Aus-
zahlungen/Ergebnisse der Mitgliedschaft permanent einer Bewertung unterziehen und
125
die weitere Aufrechterhaltung der sozialen Bindungen danach ausrichten. In Netz-
werken ist das nur in wenigen Fallen moglich. Soziales Kapital ist nicht nur das Er-
gebnis rationaler Akteure. Zum Teil ist das so, weil komplexe Informationsasym-
metrien, unterschiedliche Risikoneigungen und Anreizstrukturen fur die in einem
Netzwerk Beteiligten zu beobachten sind.
Mitglieder in einem Netzwerk partizipieren nicht nur am sozialen Kapital des Netz-
werkes, sondem vermehren durch ihre Teilnahme und Nutzung bestehendes Sozial-
kapital. In diesen bestehenden Vorrat an Sozialkapital investieren Mitglieder im Zuge
der Aufrechterhaltung der Beziehungen auch ihre eigenen Fahigkeiten, ihre Talente
und ihre materiellen und immateriellen Ressourcen, sie greifen dabei auf die Fahig
keiten, Talente und Ressourcen anderer Mitglieder zu und vermehren dadurch den
vorhandenen Bestand an Sozialkapital.
Diese Wirkung ist ganz besonders in der Nutzung und bei der Produktion von in-
tangiblen Leistungen zu beobachten. Je unvoreingenommener in einem Netzwerk
Fahigkeiten und Ressourcen zirkulieren, je offener existierende Arbeitsroutinen in
Zweifel gezogen werden konnen, umso grOfier ist der Wert des sozialen Kapitals, der
in einer Menge von Netzwerkkontakten produziert wird. Netzwerke sind so gesehen
nicht nur soziale Raume in denen Reflexion von Handlungspraxen stattfmdet -
Bourdieu (1997) wurde hier von sozialem Feld sprechen - sondem in der hervorge-
brachten sozialen Interaktion, wird permanent soziales Kapital reproduziert und neu
bewertet. Gleichzeitig werden durch die Handlungen der Akteure Gewohnheiten,
Werte und Normen in Kraft gesetzt und verstarkt und so die Wirkung von Institutionen
selbst evoziert. Institutionen stabilisieren so ihrerseits die Handlungen und „der Stoff
aus dem die Institutionen sich erheben", wie Gehlen es nennt „sind wiederum die in-
einander verschrankten, regulierten, obligatorisch gewordenen wirklichen Handlungen
selbst" (Gehlen, 1986:9). Vertrauen wirkt in diesen rekursiven Prozessen in der
Nutzung und Produktion von sozialem Kapital als Katalysator. Je hOher das Vertrauen,
umso produktiver - so die Uberlegung - ist die Nutzung bestehender VorrSte an So
zialkapital.
Das zeigt sich insbesondere dann, wenn es darum geht, zwischen einer bestimmten
Menge an Kontakten in einem Netzwerk intangible Leistungen (Wissen) auszu-
tauschen. In diesen Fallen existieren zwar Informationsdefizite zwischen Spezialisten
und Nicht-Spezialisten, die negativen Effekte, so meine These, sind in Netzwerken mit
einem hohen Grad an Vertrauen und mit einem hohen Bestand an Sozialkapital
126
weniger ausgepr^gt als in steilen Hierarchien, well der Anreiz fehlt, exzessiv zu be-
trtigen oder well die existierenden Institutionen (hervorgebracht durch die geltenden
uber die Handlungen ausgedriickten Gewohnheiten, Werte und Normen) es nicht zu-
lassen, weil die Handlungen selbst durch den Akteur immer vor dem Hintergrund
dessen was als angemessen gilt, gesetzt werden (Bourdieu, 1997). Diese Wirkung iSsst
sich dadurch erklaren, weil der Wert sozialer Netzwerke nicht durch kurzfristige Bin-
dungen, sondem erst durch dauerhafte Beziehungen und durch die in Kraft gesetzten
Gewohnheiten, Werte und Normen entsteht.
ZusStzlich hat dieses als angemessen bewertete Handeln, als habitualisiertes (auf Ge
wohnheiten basierendes Handeln), auf Werte sich beziehendes und den existierenden
Normen entsprechendes Handeln auch einen intrinsischen Wert fur die Akteure. Ganz
im Sinne von Coleman entsteht Sozialkapital, weil ganz bestimmte soziale Be
ziehungen einen intrinsischen Wert evozieren: "Social relations are self-sustaining in
the sense that incentives to both parties to continue the relation are intrinsic to the
relation. The incentives are generated by the relation itself, and continuation of the
relation depends on its generating sufficient incentives for both parties" (Coleman,
1990:43). Soziale Netzwerke sind efflzient, weil sie nicht nur Normen, Werte und Ge
wohnheiten in Kraft setzen (Coleman, 1990; Bourdieu, 1998, 1997; Gehlen, 1986), die
Opportunisten bestrafen, sondem die intakte Struktur besitzen diese Bestrafung auch
umzusetzen, weil die Institutionen habitualisiertes Verhalten verstarkt, das als ange
messen in dem jeweils konkreten sozialen Raum gilt. ^
Vertrauenswurdige soziale Beziehungen bieten jedoch zusatzlich einen intrinsischen
Wert. Damit dieser intrinsische Wert entsteht, mtissen Netzwerke ganz bestimmte
Viele der Ressourcen in einem Netzwerk sozialer Beziehungen sind grundsatzlich nicht greifbar. Wenn allerdings ein vollstSndig rationales Verhalten neu eintretender Mitglieder unterstellt wird, dann dUrfte der Neuzutritt nur dann erfolgen, wenn die erwarteten Ertrage (die Rente des Netzwerks) h6her eingeschatzt werden, als die Kosten. Der effektive Sanktionswert von "starken Beziehungen" in sozialen Netzwerken besteht darin, dass durch die "intensiven" gegenseitigen Kontakte der Mitglieder untereinander Trittbrettfahrer identifiziert werden. Reputation ist deshalb ein essentieller Wert in Netzwerken. Die Kosten der Defektion sind dann als Verlust entgangener zukiinftiger Renten zu verstehen. In Netzwerken, in denen der Reputationseffekt wirksam ist, sinken daher auch die Be-obachtungskosten, weil jedes Mitglied einen Anreiz hat, defektierendes Verhalten anderer publik zu machen. Diese Fahigkeit, in einem Netzwerk Publizitat zu erzeugen, hSngt von den strukturellen Eigenschaften des Netzwerks ab. Soziale Netzwerke reduzieren also typische Informationsasym-metrien.
127
qualitative Eigenschaften haben. Ganz allgemein lassen sich diese qualitative!! Eigen-
schaften mit Begriffen wie Selbstbestimmtheit, Selbsteffizienz, Vertrauen, Rezipro-
zitat und Identifikation umschreiben.
Es soil hier nicht der Eindruck vermittelt werden, dass soziale Netzwerke immer und
iiberall idealtypische Organisationsformen darstellen, aber in all jenen Fallen, in denen
idiosynkratisches Wissen und Werte produziert und ausgetauscht werden, sind die
positiven Effekte unstrittig (vgl. hierzu Gulati und Singh, 1998; Blau, 1982). Dichte
und bestandige Netzwerke produzieren einen Vorrat an Sozialkapital und Vertrauen
und sind effizienter und effektiver im Austausch und in der Produktion intangibler
Ressourcen als MSrkte (Nahapiet und Ghoshal, 1998). Markte mit ihren zum Teil ex-
tremen Informationsasymmetrien sind ungeeignet Wissen zu verwerten, well die tat-
sachliche VerauBerung von einer Reihe von Wissenstypen, wie z.B. von Software,
praktisch grenzkostenlos erfolgen kann (Shapiro und Varian, 1999). Deshalb inves-
tieren Untemehmen ungeheure Summen an materiellen und immateriellen Kapital um
dies zu verhindem und die Ware Wissen kiinstlich knapp zu halten (Gorz, 2004). Auf
dieses Problem verweist auch Gorz, wenn er insbesondere kritisiert, dass alles formali-
sierte Wissen, um dessen Herstellung es im Wissensmanagement primSr geht, „von
seinen stofflichen und menschlichen Tragem abgetrennt" werden kann und „praktisch
kostenlos vervielfaltigt werden und in Universalmaschinen unbeschrankt gentitzt
werden" (Gorz, 2004:10) kann. Wie Shapiro und Varian (1999), allerdings aus einer
vollkommen anderen Perspektive heraus, stellt Gorz fest, dass der „Warenwert" (also
der wahre Wert) „hingegen schwindet mit seiner Verbreitung und es wird zum allge
mein zuganglichem Gemeingut [...] Um hingegen als Ware verkauflich und als Kapi
tal verwertbar zu sein, muss Wissen folglich in Privateigentum verwandelt und ver-
knappt werden" (Gorz, 2004:11).
Die Netzwerkstruktur und die Diffusion von Wissen und Information ist mit derselben
Problematik konfrontiert. Soziale Netzwerke reduzieren die Koordinationskosten, die
in jeder Organisation mit zunehmender Ausdifferenzierung der Arbeitsteilung ent-
stehen und sie sichem die Appropriierbarkeit der erstellten tangiblen und intangiblen
Leistungen (Gulati und Singh, 1998: 789). Das heifit hier nichts anderes, als dass das
Wissen von seinen - wie Gorz es nennt „stofflichen und menschlichen Tragem" abge
trennt wird. Auf der anderen Seite ist es offensichtlich, dass die schrankenlose und
damit auch unkontrollierte Verbreitung von Wissen niemand, und schon gar nicht das
Management als wunschenswert erachtet. Und so werden schlieBlich durch kost-
spielige MaBnahmen die Verbreitung und der Zugriff auf Wissen eingegrenzt. Das
128
Problem im Wissensmanagement besteht in diesem Punkt wohl nur darin, dass diese
Aneignung durch eine strenge imd vollstandige Kontrolle erfolgen soil und dadurch
die Voraussetzungen der Produktion, bzw. die Bedingungen, unter denen Wissen evo-
ziert, zerstort werden. Wie diese sozialen Netzwerke in denen Wissen zirkuliert, kon-
trolliert und die Verbreitung einem strengen Reglement unterworfen wird tatsachlich
aussehen (kurz welche Struktur sie haben), lasst sich durch die Analyse sozialer
Netzwerke untersuchen. Im Folgenden mochte ich deshalb einen Uberblick uber die
hier verwendeten Grundbegriffe der Netzwerktheorie und Netzwerkanalyse darstellen
und ftir die Zwecke dieser Arbeit zusammenfassen.
2.1. Netzwerkanalyse
Neben den vorab diskutierten qualitativen Problemen und den erlauterten Voraus
setzungen unter denen Sozialkapital entsteht, soil hier nun die Struktur von sozialen
Netzwerken diskutiert werden. Einer der Griinde dafiir ist, dass sich zeigen lasst, unter
welchen strukturellen Mustem jeweils unterschiedliche Bedingungen fiir die Pro
duktion und Diffusion von Wissen ergeben. Die Netzwerkanalyse ist in den letzten
Jahrzehnten nicht zuletzt deshalb ein sehr interessanter und in vielen Disziplinen ver-
wendeter Ansatz geworden, well die Struktur von Netzwerken wissenschaftlich be-
schrieben werden kann, sondem well mit der Netzwerkanalyse mathematische Me-
thoden verwendet werden, um die Struktur der Netzwerke exakt zu untersuchen. Die
ganze Vielfalt und Tiefe dieses Ansatzes soil hier nicht dargestellt werden. Zu diesem
Zweck stehen bereits einige sehr wertvolle Arbeiten zur Verfiigung. Zum Beispiel er-
lauben Wasserman und Faust (1999) einen sehr umfangreichen und genauen Uberblick
uber die Methoden und Inhalte der Netzwerkanalyse.
Einen sehr informativen Uberblick iiber die Entstehung der Netzwerkanalyse bietet
Scott (1991). Ausgehenden von den Wurzeln der Netzwerkanalyse, die in der Gestalt-
theorie liegen, die eine recht eigenstandige Entwicklung innerhalb der Psychologic
durchgemacht hat, setzen sich die Entwicklung und die Auslaufer uber die Organisa-
tionsforschung, insbesondere in den Arbeiten zur Gruppendynamik weiter (Lewin,
1938). Wichtige Telle dieser Verzweigungen der Ursprunge fmden sind auch in der
Logistik und in der Wegeplanung, die mit der mathematischen Graphentheorie ar
beiten. Elton Mayo, kein Unbekannter, hat in den 1920er und 1930er Jahren die Ent
wicklung der Netzwerkanalyse stark mitgepragt. Vielfach sind diese Wurzeln aus der
Sicht der heutigen Netzwerkanalyse etwas aus dem Blickfeld geraten. In erster Linie
ist die struktural-funktionalistische Schule um Homan (1961) zentraler Angelpunkt in
129
der sozialen Netzwerkanalyse (z. B. Burt, 1982; White, 2002; Granovetter, 1973).
Wesentliche Impulse erhielt die Netzwerktheorie auch von der interpretativen Sozio-
logie von Georg Simmel (1922). Siehe hierzu auch die Gesamtdarstellung von Kilduff
und Tsai (2003). Eine der wichtigsten Vertreter, der gerade in Bezug auf Fragen des
Wissensmanagements Antworten diskutiert ist Ronald Burt, der sich in mehreren Ar-
beiten mit methodischen Fragen beschafligt (1982 und 1992). Hier im Folgenden wird
die Netzwerkanalyse in zentralen Aspekten dargestellt. Bei der Auswahl der Themen
war folgende Uberlegung von Bedeutung. Der Wert von Sozialkapital hSngt nicht nur
von der Qualitat der Beziehungen ab (z. B. wie hoch das Vertrauen in einer Organi
sation ist und wie tragMig die existierenden Beziehungen sind), sondem ebenso sehr
von der konkreten Struktur der Beziehungen zwischen einer bestimmten Menge von
Akteuren in einem Netzwerk.
In jeder Organisation stehen einzelne Mitglieder in einem unterschiedlichen AusmaC
miteinander in Verbindung. Jedoch ergibt sich durch die Arbeitsteilung in einer Ge-
sellschaft eine Struktur von Beziehungen, die in einigen Bereichen als sehr dicht be-
zeichnet werden kann und in anderen Bereichen praktisch keine Beziehungen/
Bindungen existieren. tjberspitzt formuliert sind damit immer eine konkrete Menge
von Akteuren, die untereinander in Kontakt stehen gleichzeitig von einer unbe-
stimmten Menge anderer moglicher Kontakte getrennt. Die Verbreitung von Wissen
stellt zwischen den Gruppen mit dichten Kontakten und anderen Gruppen mit dichten
Kontakten, die aber untereinander nicht verbunden sind, ein zentrales Problem dar. Mit
zunehmender Ausdifferenzierung einer Gesellschaft verstarkt sich dieses Problem als
Ergebnis arbeitsteiliger Systeme. In hochgradig arbeitsteiligen Systemen ist die
Struktur der Arbeitsbeziehungen reduziert auf eine anonyme funktionale Verkettung.
Diese funktionale Anonymitat wird - nicht nur bei immer wiederkehrenden Dys-
funktionalitaten - in Frage gestellt, und zumindest innerhalb einer Organisation auf
vielfaltige Weise von informellen Kontakten und personlichen Netzwerken uber-
bruckt.
In der Netzwerkanalyse geht es darum, die Struktur der Verbindungen einzelner Ak-
teure zu beschreiben und zu analysieren. Dabei wird angenommen, dass das Handeln
und die Rationalitat des Akteurs iiber seine Beziehungen zu anderen Akteuren erklart
werden kann bzw. in einem erheblichen AusmaB beeinflusst wird. Ziel der Netzwerk
analyse ist es, die bestehenden Bindungen in einem Netzwerk und das daraus erkenn-
bare Muster der interdependenten Vemetzung einzelner Akteure zu analysieren (Scott,
1991:8). Als Akteure werden Personen, Firmen, Abteilungen und/ oder Organisationen
130
untersucht. In der sozialen Netzwerkanalyse stehen das Verstandnis der Beziehungen
sozialer Einheiten und deren Wirkungen auf die soziale Einheit im Vordergrund.
Wasserman und Faust unterstreichen: „social network analysis is concerned with
understanding the Unkages among social entities and the implications of these
linkages" (Wasserman und Faust, 1999:17). Die Netzwerkanalyse richtet ihr Interesse
auf eine jeweils begrenzte Menge von Kontakten. Den Akteuren werden haufig die
Bezeichnung Knoten oder Kontakt gegeben, weil durch jede bestehende bzw. fehlende
Beziehung zwischen den in einem Netzwerk existierenden Punkten jeweils ein be-
stimmtes Muster erkennbar ist. Die zwischen Akteuren zustande kommenden Be
ziehungen werden als Bindung oder ties bezeichnet. Diese Bindungen kSnnen einseitig
Oder zweiseitig sein. Ziel der Netzwerkanalyse ist es die Struktur dieser Austausch-
beziehungen zu untersuchen. Wasserman und Faust stellen dazu fest: „The defining
feature of a tie is that it establishes a linkage between a pair of actors'' (Wasserman
und Faust, 1999:18).
Die Bindungen werden als ties bezeichnet und kOnnen sehr unterschiedliche Be
ziehungen zwischen jeweils zwei oder mehreren Akteuren kennzeichnen. Bindungen
konnen verschiedene Beziehungen zwischen einzelnen Kontakten sein: z.B. kann es in
einer Beziehung um die Bewertung eines Akteurs A durch einen anderen Akteur B
handeln (etwa eine existierende Freundschaft, vorhandene Sympathie, das Ausmafi an
Respekt); oder es wird als Beziehung der Transfer oder Austausch materieller
Ressourcen zwischen einzelnen Akteuren erhoben (wie z. B. geschaftliche Trans-
aktionen, Zulieferbeziehungen, Kredite, Zahlungen, etc.); Bindungen kSnnen ebenfalls
die Vereinszugehorigkeit oder eine im Verein mit anderen Akteuren erfolgte Tdtigkeit
sein, wie z.B. der gemeinsame Besuch einer Veranstaltung von einer bestimmten
Menge von Akteuren, die ZugehOrigkeit zu einem Verein. Es werden ebenso ver-
haltensbezogene Eigenschqften einer Beziehungen zwischen einzelnen Kontakten
untersucht, wie z. B. die Anzahl der Telefonate, die Anzahl der Email-Nachrichten
oder die Anzahl der personlichen GesprSche pro Beobachtungseinheit. Es kQnnen aber
ebenso physische Verbindungen, wie ein Verkehrsnetz, beispielsweise die Verkehrs-
verbindungen zwischen verschiedenen Orten (Knoten) oder die Anzahl der Brucken
untersucht werden. Als Beziehung lassen sich auch hierarchische Beziehungen
zwischen Vorgesetzten und Untergebenen untersuchen (z. B. die Entscheidungswege
und -strukturen in einer Organisation, welcher Akteur anweisungsbefugt gegentiber
anderen Akteuren ist) und es werden in der Netzwerkanalyse auch der Aufbau von
Verwandtschaftssystemen untersucht (Wasserman und Faust, 1999:18).
131
Durch die gesamte Anzahl der moglichen paarweisen Beziehungen ergibt sich die kon-
krete Stmktur in Netzwerken. Sowohl die Beziehungen als auch die Struktur (das
Muster) werden in der Netzwerktheorie untersucht, weil angenommen wird, dass die
Struktur der Beziehungen die Handlungen (Granovetter, 1985) bzw. die Handlungs-
optionen Burt, 1992) der Akteure beeinflusst. Der Hintergrund dieser Untersuchungs-
methode ist eine theoretische Position, die darauf beruht, dass jede Handlung in ein
Netzwerk bestehender persSnlicher Beziehungen eingebettet ist und nicht das Ergebnis
eines atomisierten Akteurs: „Economic action is embedded in ongoing networks of
personal relationships rather than being carried out by atomized actors" (Granovetter
und Swedberg, 2001:11).
Als eine bemerkenswerte Pramisse der sozialen Netzwerktheorie ist zu nennen, das sie
die Handlung eines Akteurs mit der Beziehung, die durch diese Handlung zu anderen
Akteuren hergestellt wird, erklart. Die unterste Ebene der Analyse ist also die Bindung
zwischen zwei Akteuren durch eine Beziehung. Diese Beziehung wird nicht als Er
gebnis eines einzelnen Akteurs betrachtet, sondem in ihrer Wirkung auf beide
Akteure, die mit dieser Bindung in Zusammenhang stehen: „At the most basic level, a
linkage or relationship establishes a tie between two actors. The tie is inherently a
property of the pair and therefore is not thought of as pertaining simply to an indi
vidual actor'' (Wasserman und Faust, 1999:18). Vor diesem Hintergrund verstehen
Granovetter und Swedberg unter einem sozialen Netzwerk „a regular set of contacts or
social connections among individuals or groups. And action by a network member is
embedded, since it is expressed in interaction with other people" (Granovetter und
Swedberg, 2001:11). Eine der wichtigsten Verhaltensannahmen der sozialen Netz
werktheorie ist dementsprechend, dass das Verhalten eines Akteurs i, durch die
Bindung und das Verhalten eines anderen Akteurs j beeinflusst (Wasserman und Faust,
1999:7). ^
22
In der Netzwerktheorie wird welters zwischen Dyaden (zweiseitigen Bindungen; d.h. einzelne miteinander verbundene Paare von Akteuren), Triaden (dreiseitige Bindungen, d.h. mOgliche oder tat-sSchliche Verbindungen zwischen drei Akteuren in einem Netzwerk), Subgruppen unterschieden. Wenn Mitglieder dieser Subgruppen untereinander vollstSndig verbunden sind, wird auch von einer Clique gesprochen. Gruppen sind wie folgt definiert: ,A finite set of actors who for conceptual, theoretical, or empirical reasons are treated as a finite set of individuals on which network measures are made" (Wasserman und Faust, 1999:19).
132
Der Terminus soziales Netzwerk bezieht sich immer auf eine Gruppe von Akteuren,
die imtereinander in Beziehung stehen (Wasserman und Faust, 1999:9). Die soziale
Netzwerktheorie geht also bereits davon aus, dass die Verbindungen zwischen ein-
zelnen Akteuren, und nicht der unmittelbare, kurzfristige Kontakt, zentrales Struktur-
merkmal ist. Es ist also nicht der Akteur, der als Referent der Handlung X eine Be-
deutung verleiht, sondem erst durch die Struktur der Bindungen zwischen den Ak
teuren gewinnt die Handlung X an Bedeutung. Dabei ist wesentlich, dass das
Handlungsinteresse und die HandlungsmOglichkeiten der Akteure durch die Netzwerk-
kontakte erst entstehen. Die Struktur der Beziehungen strukturiert die Handlungs-
moglichkeiten der Akteure.
Die Struktur eines sozialen Netzwerks steht, so die These hier, mit der FShigkeit einer
Organisation in Verbindung, Wissen zu produzieren und dieses Wissen innerhalb der
Organisation zur Verfugung zu stellen. Der Ubergang von einer Netzwerkstruktur zu
einer anderen stellt allerdings ein zentrales Problem dar (siehe unsere Kritik an der
Wissensmanagementkonzeption von Boisot und Nonaka). Es ist also nicht das Indi-
viduum, das Wissen produziert, sondem die Struktur der Beziehungen in einer be-
grenzten Menge von Kontakten strukturiert die kognitiven Moglichkeiten unter denen
Wissen evoziert. Durch die Analyse der Struktur eines Netzwerks lasst sich zeigen, in
welchem AusmaB verschiedene Wissensformen innerhalb existierender Beziehungen
ausgetauscht und verbreitet werden. Was die Netzwerkanalyse interessant macht, ist
dass sie die konkrete Struktur von Beziehungen identifiziert, uber die verschiedene
Wissenstypen generiert und ausgetauscht werden konnen. In der sozialen Netzwerk
theorie werden also nicht isolierte Akteure, sondem der strukturelle Kontext der
sozialen Bindungen untersucht. Wesentliche Annahme dabei ist: "actor exists within a
system of actors and evaluates altemative actions within that context" (Burt,
1982:331). Das heifit nichts anderes, als dass die Netzwerkanalyse der simplen Tat-
sache verpflichtet ist, dass Handlungen einzelner Akteure interdependent sind (Weick,
1995; Giddens, 1984) und gerade im Austausch idiosynkratischer Leistungen viel-
faltige, reziproke Verpflichtungen und dauerhafte Handlungsreferenzen hergestellt
werden. Nicht der einzelne nutzenmaximierende Akteur ist Untersuchungsgegenstand,
sondem die Strukturen, in denen seine Handlungen und seine Handlungsmoglichkeiten
eingebettet sind und die dadurch hervorgebrachte Handlung.
133
2.1 A. Grundbegriffe und Methoden der sozialen Netzwerkanalyse
Im Folgenden soil hier allerdings nur ein Uberblick Uber zentrale Grundbegriffe der
Netzwerkanalyse geboten werden. Dieser Uberblick kann freilich kein vollstSndiger
sein (vgl. hierzu die Ubersicht von Scott, 1991; Burt 1982; Wasserman und Faust,
1999). Ganz allgemein wird in der einschlagigen Literatur festgehalten, soziale Netz-
werke bieten Informationsvorteile. Informationsvorteilsreiche Netzwerke sind solche,
die reich an Kontakten sind und die Zugange zu neuen Informationen garantieren (vgl.
Burt, 1992:15). Mit dieser Perspektive zeigt sich jedoch bereits ein wesentlicher bias
der Netzwerkanalyse. Informationen sind nur dann wertvoU, wenn sie neu sind und sie
werden als wertvoll nur dann betrachtet, wenn sie nicht mit jedem Kontakt in einem
Netzwerk geteilt werden. Das hat den banalen aber schwerwiegenden Effekt, dass In
formationen an Wert gewinnen, wenn sie durch eine eingeschrankte Verbreitung
ktinstlich verknappt werden. Die tatsachliche Netzwerkstruktur bildet so gesehen die
Grundlage Wissen knapp zu halten und den Wissensstrom zu beherrschen. Das
zentrale Paradox ist, dass die meisten Wissensformen durch ihre Kontrolle zerst5rt
werden. In diesem eingeschrankten Sinn bieten wertvolle soziale Netzwerke selektiv
Kontakte, das heilit, die Anzahl der Bindungen - aus strategischen Uberlegungen her-
aus - wird minimiert. So dienen hierarchische Netwerkstrukturen immer einem Herr-
schaftsinteresse. Informationsreiche und informationsarme Netzwerke lassen sich an
ihrer Struktur differenzieren. Zur Illustration dieses zentralen Merkmals ein fiktives
Beispiel, das die Eigenschaft der Hierarchic und seiner Folgen in einer Netzwerk
struktur zeigt (siehe Abbildung 19).
134
Abbildung 19: Hierarchic in Nctzwcrkstrukturcn (cigenc DarstcUung)
Das hier dargestellte Netzwerk besteht aus 11 Kontakten, wobei der Kontakt mit der
Bezeichnung EGO zu alien anderen jeweils eine Bindung unterhSlt. Es handelt sich
hierbei um ein informationsreiches Netzwerk, well keine redundanten Kontakte im
Netzwerk existieren. Untereinander haben die einzelnen Kontakte keine Verbindung.
Das heifit, dass all die Informationen, die jeweils andere Kontakte in diesem Netzwerk
besitzen, nur iiber den Kontakt Ego zugeteilt werden. Das dargestellte Netzwerk ist,
ein sehr hierarchisches Beziehungsmuster. Hierarchie in Netzwerken hat den Effekt,
das es einzelnen Kontakten moglich ist, Informationen oder ganz allgemein formuliert,
Austauschbeziehungen zu kontroUieren. Ihre privilegierte Position hat aber auch einen
entscheidenden Nachteil, sie sind umgekehrt ebenso abhSngig von alien anderen Kon
takten. In hierarchischen Netzwerken haben einzelne privilegierte Kontakte die Mog-
lichkeit den Zufluss und die Diffusion von Information zu regulieren. Der Effekt der
Hierarchie in Netzwerkstrukturen, wie in dem betrachteten Beispiel ist der, dass die
Kontakte 1 bis 10 keinen direkten Zugang zu Ressourcen der anderen Kontakte haben.
Z.B. hat Kontakt 9 keinen direkten Zugang zu Ressourcen von Kontakt 7. Das gilt far
alle Kontakte, die Ego, als privilegierter Kontakt, der den gesamten Informationsfluss
kontrolliert. Ego hat in dem dargestellten Netzwerk die zentrale Stellung, von der her-
aus die KontroUe uber bestehende Ressourcenflusse ausgetibt wird. Das dargestellte
Netzwerk ist allerdings keine realistische Darstellung sozialer Beziehung, allerdings
135
haben alle baumartigen Netzwerkstrukturen die Tendenz zur Kontrolle (Zunick-
haltung) von Informationen.
Das Gegenstuck hierzu stellt eine Netzwerkstruktur dar, in dem jeder Akteur mit
jedem anderen Akteur direkt in Verbindung steht. Ein solches Netzwerk ist in der
folgenden Abbildung 20 dargestellt. In dem gezeigten Netzwerk unterhalt jeder Kon-
takt mit jedem anderen Kontakt eine Verbindung. Es existieren sehr viele redundante
Bindungen, d. h. es werden sehr oft gleiche oder ahnliche Informationen zirkulieren,
jedoch ist zugleich keine privilegierte Position mehr in der Netzwerkstruktur vor-
handen. Der Kontakt Ego ist nicht mehr privilegiert und besitzt keine Kontrolle mehr
uber die Ressourcenfltisse durch seine Position in der Struktur des Netzwerkes, da alle
anderen Kontakte unabhangig von seiner Position Zugriff auf Ressourcen der anderen
Kontakte besitzen.
Es besteht also die Moglichkeit die beschrankende Position von Kontakt Ego zu um-
gehen. Eine Kontrolle der Ressourcenfltisse von einem Punkt aus ist nicht mehr mog-
lich. Informationen und Ressourcen konnen frei in der Netzwerkstruktur diffimdieren.
In derartigen Netzwerken ist die Wahrscheinlichkeit sehr groB, dass Ressourcen, die
im Netzwerk zirkulieren, grundsStzlich alien Kontakten zur Verftigung stehen. Ein
weiterer Effekt ist, dass sehr ahnliche oder tiberhaupt die gleichen Informationen und
Ressourcen zirkulieren. Handelt es sich aber im Fall der jeweiligen Kontakte um
Akteure, die beispielsweise nicht artikulierbares Wissen oder idiosynkratische Er-
fahrungen mit andere Kontakten teilen, so kann eigentlich nicht argumentiert werden,
dass die gleichen Informationen oder Ressourcen verteilt bzw. geteilt werden. Im
idealtypischen Fall ist es in diesem - hier als egalitar bezeichneten - Netzwerk so, dass
jeder Akteur, unabhangig von EGO, der keine privilegierte Position mehr einnimmt,
auf die Ressourcen der anderen Kontakte im Netzwerk Zugang hat. Ein typisches
Merkmal in dem hier gezeigten Netzwerk von Beziehungen ist zudem, dass es keine
Lucken aufweist. Es bietet somit keine Moglichkeit, dass sich einzelne Akteure
gegentiber anderen Akteuren Vorteile verschaffen, auf diesen Punkt komme ich spater
noch zurtick.
136
Abbildung 20: Egalitare Netzwerkstruktur (eigene Darstellung)
3 ^ 6.
2.1.2. Dichte
Die Dichte informiert uber das AusmaB, mit dem ein Akteur im Netzwerk mit anderen
Knoten verkniipft ist. Burt beschreibt die Dichte eines Netzwerkes als die Anzahl der
m5glichen Paare (d. h. die Anzahl der mSglichen Zweierbeziehungen in einer Menge
von Akteuren) geteilt durch die tats^chliche Anzahl der Beziehungen (Burt, 1982:45).
Die Eigenschaft der Dichte ist also ein sehr aufschlussreicher Parameter in einer Netz
werkstruktur und es lasst sich argumentieren, je dichter ein Netzwerk von vertrauens-
wtirdigen Kontakten, umso grOfier die FShigkeit in dem jeweiligen sozialen Netzwerk
idiosynkratische Wissensformen auszutauschen.
2.1.3. Ego-Netzwerk
Eine weitere MOglichkeit die Struktur eines Netzwerkes zu untersuchen ist die Be-
trachtung der zu- und abfliefienden Bindungen aus der Sicht eines einzelnen ausge-
wShlten Akteurs. Das Netzwerk dieses ausgewahlten Akteurs wird in der Netzwerk-
analyse als Ego-Netzwerk bezeichnet. Burt (1982:31) defmiert ein Ego-Netzwerk
durch die direkten Kontakte, die ein Akteur (j) mit anderen Akteuren (i) in einem
137
Netzwerk (z) unterhalt. Solche Netzwerke werden in der Literatur auch als primare
Netzwerke, primare Sterne oder als pers5nliche Netzwerke bezeichnet. Aus der Be-
trachtung der Ego-Netzwerke kdnnen Reichweite und Dichte als soziometrische Daten
im Netzwerk erfasst werden.
Borgatti, Everett und Freeman (2002) schlagen folgende soziometrischen Parameter
ftir die Analyse eines Netzwerkes vor:
• die Gr66e des Ego-Netzwerks, defmiert durch die Zahl der direkten Bindungen
des Kontaktes EGO zu anderen Kontakten im Netzwerk,
• die Anzahl der gesamten Bindungen im Ego-Netzwerk (also nicht nur der
Kontakte von Ego, sondem auch alle anderen Kontakte werden mitgezahlt;
• die Paare im Ego-Netzwerk, defmiert durch die gesamte Zahl der mOglichen
Bindungen im Netzwerk;
• die Dichte (Density) defmiert als die Anzahl der aufrechten Bindungen durch die
Anzahl der mSglichen Verbindungen;
• die langste Distanz im Netzwerk, defmiert als jene Distanz, die die beiden am
weitesten entfemten Knoten tiberwinden miissen, um eine Verbindung mitein-
ander herzustellen (= Anzahl der notwendigen Bindungen, die uberbrUckt werden
miissen).
2.1.4. Cliquen in Netzwerken
In der Netzwerkanalyse wird einer Gruppe von Akteuren die untereinander in Kontakt
stehen, eine besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Diese Gruppen bilden sich aus ver-
schiedenen Cliquen. Als Clique wird in der Netzwerkanalyse eine Menge von Kon
takten bezeichnet bei denen jeder Kontakt mit jedem Kontakt in Beziehung steht. Eine
Clique wird als vollstandiger Sub-Graph bezeichnet und besteht aus zumindest drei
Kontakten. Cliquengrenzen konnen sich innerhalb von Gruppenkontakten Uber-
schneiden. Eine paarweise Beziehung wird nicht als Clique betrachtet. Bindung in
einer Clique werden als starker ausgeprSgte Bindungen in einem Netzwerk betrachtet.
Festinger (1957:175) stellt hierzu fest, je gr613er die KohSsion innerhalb einer Gruppe
ist, umso mehr Freundschaften existieren in der Gruppe und umso grOfier ist der Effekt
der Homophilitdt (d.h., dass Kontakte mit gleichen Eigenschaften sich mit grSfierer
Wahrscheinlichkeit in Cliquen zusammenschlieBen bzw. von ihren Attributen her ge-
sehen ahnliche Kontakte stabilere Beziehungen unterhalten). Granovetter bezeichnet
diesen Effekt als Transitivity (Granovetter, 1973).
138
2.1.5, Position des Akteurs in Netzwerkstrukturen
Die Position eines Akteurs im Netzwerk hangt nicht nur von der Gestaltung der auf-
rechten Bindungen zu anderen Akteuren ab, sondem von den fehlenden Bindungen des
Akteurs zu alien iibrigen potenziellen Kontakten. Der soziometrische Parameter, der
diese Eigenschafl in einem Netzwerk misst, ist die Zentralitat. Ein ZentralitatsmaB
wird ftir die Position eines Akteurs in einem Netzwerk dadurch ermittelt, dass die
Anzahl seiner Bindungen durch die Anzahl der moglichen Bindungen im Netzwerk
geteilt wird. Der Zweck einer Positionsanalyse ist die Reduktion von Information Uber
die komplexe Struktur in einem Netzwerk (Wasserman und Faust, 1999:361).
Abbildung 21: Position eines Akteurs im Netzwerk (eigene Darstellung)
4 -3
Netzwerkzentralitat lasst sich durch die kurzeste Distanz einer Position zu alien
anderen Positionen in einem Netzwerk ebenso definieren. Wichtig dabei ist, dass die
LSnge eines Weges die Anzahl der Bindungen zwischen den Knoten ist. Ein Eckpunkt
in einem Netzwerk ist dadurch defmiert, dass kein weiterer Weg (Kontakt) zu anderen
Knoten im Netzwerk fUhrt, in dem gezeigten Beispiel trifft diese Eigenschafl auf die
Knoten 1, 2, 3 und 4 zu (vgl. Freeman, 1979; Borgatti, Everett und Freeman, 2002).
Position, Dichte, GrOBe des Ego-Netzwerkes z. B. zeigen, inwieweit Kontakte in der
Lage sind, auf die Expertise bzw. Unterstutzung anderer Kontakte zuzugreifen. In
139
diesem Zusammenhang diskutiert Burt (1992) die Netzwerkredundanz, also die An-
zahl sich wiederholender Bindungen, als zentralen Netzwerkparameter.
2.1.5.1. Netzwerkredundanz
Wird der Wert von Kontakten danach beurteilt, in welchem AusmaB gleiche oder ahn-
liche Ressourcen zuganglich werden, dann ist die Gr56e des Netzwerks ein ambi-
valentes Kriterium fiir die Effizienz. Burt argumentiert deshalb, dass informationsvor-
teilsreiche Netzwerke jene sind, in denen selektiv Kontakte unterhalten werden (vgl.
Burt, 1992:15). Das begrundet er damit, dass Kosten der Aufrechterhaltung von redun-
danten Kontakten mit dem Ertrag der Kontakte in Beziehung zu setzen sind. Illustrie-
ren lasst sich seine Uberlegung durch die folgende Abbildung. In dieser Abbildung ist
in der oberen Reihe ein auf drei Stufen expandierendes Netzwerk dargestellt (Burt,
1992:16).
Abbildung 22: Wachstum und Netzwerkredundanz (Burt, 1992)
Quelle: Burt, 1992:17 u. 20
140
Im Netzwerk Ai unterhalt der Kontakt Ego (A) vier primare Bindungen zu anderen
Kontakten. Keine der vier illustrierten Bindungen zu den peripheren Kontakten ist
redundant. Weil die peripheren Kontakte untereinander nicht in Verbindung stehen, ist
jede Information, die Ai von den vier peripheren Kontakten bekommt neu. Im zweiten
Beispiel Bi ist dieses Netzwerk um vier weitere Kontakte vergroBert. In diesem Fall
unterhalt Kontakt B jedoch vier redundante Bindungen zu den peripheren Kontakten,
well diese Kontakte in der Peripherie miteinander in Beziehung stehen und Bi zu
jedem einzelnen Kontakt eine eigene Verbindung unterhalt. Im Netzwerk Bi werden
insgesamt 12 Bindungen und im Netzwerk Ci 40 Bindungen unterhalten. Fiir den
Akteur B sind im Fall Bi ein Viertel der Bindungen redundant. Fiir den Akteur C sind
im Fall Ci 12 Bindungen redundant.
Burt (1992) zeigt, dass mit steigender Anzahl nicht-redundanter Kontakte die Wahr-
scheinlichkeit zunimmt, neue Informationen zu erhalten und umgekehrt, dass mit
steigender Anzahl redundanter Kontakte die Menge neuer Informationen abnimmt. So
gesehen sind Netzwerke dann far Akteure effizient, wenn die Anzahl der Kontakte
zunimmt, aber die Redundanz der Kontakte reduziert wird oder gleich bleibt. Das heifit
je hoher die Anzahl der Kontakte und je geringer die Anzahl der Bindungen der Kon
takte untereinander, umso mehr Informationen sind in diesem Netzwerk zuganglich.
Dieser Effekt ist umso groBer, je geringer die Verbindungen der Kontakte unterein
ander sind. Burt erganzt, dass der Unterhalt einer Bindung Kosten verursacht und diese
Kosten dem Ertrag (Informationswert) gegenuberstehen.
Burt (1992) argumentiert deshalb, dass nicht die Anzahl der Kontakte, sondem die
Anzahl der nicht-redundanten Bindungen iiber die Effizienz von Netzwerkstrukturen
entscheidet. Im illustrierten Ego-Netzwerk Ai (in der Abbildung 23) bestehen keine
redundanten Beziehungen der Kontakte untereinander. Die Netzwerkredundanz des
Ego-Netzwerks Ai ist 0 (vgl. Borgatti, Everett und Freeman, 2002). Die im Ego-Netz
werk Ci unterhaltenen Bindungen zeigen hingegen eine hohe Redundanz. Die hohe
Redundanz der Bindungen verursacht hohe Kosten, well jeder einzelne Kontakt unter
halten werden muss, ohne dass dadurch die Effizienz erhoht wird (beurteilt nach dem
Grad der Neuheit der Informationen).
2.1.6. Effekte der Netzwerkredundanz
Aus dieser Perspektive heraus wird daher argumentiert, [a] "sparse network provides
more information benefits" (Burt, 1992:17). Plausibel sind diese Uberlegungen von
Burt (1992) allerdings nur, wenn in redundanten Netzwerken Kontakte Informationen
141
teilen, die alle anderen Kontakte bereits besitzen. Unstrittig ist, dass Redundanz
Kosten verursacht. Die Kosten betreffen die Herstellung, Unterhaltung und Aufrecht-
erhaltung von Bindungen ohne mit Sicherheit den Zugang zu neuen Informationen zu
gewahren. Deshalb ist ein Netzwerk mit hoher Redundanz, nach Burt ein ineffizientes
Netzwerk und ein Netzwerk mit einer hohen Anzahl an nicht-redundanten Bindungen
ein effizientes (vgl. Burt, 1992:24).
In Abbildung 23 sind unterschiedliche Effekte bezogen auf die Effizienz des Aus-
tauschs von Daten, Informationen und Wissen und den Zusammenhang zur Netzwerk-
redundanz illustriert. Die These dabei ist, dass differenziert werden muss, ob jeweils
Daten, Informationen oder Wissen in dem Netzwerk zirkulieren. Burts Theorie der
Netzwerkeffizienz und der effektiven GroBe eines Netzwerks ist zuzustimmen, wenn
innerhalb eines Netzwerks Daten und Informationen zirkulieren. Ganz anders verhalt
es sich jedoch, wenn implizite Wissensformen in Organisationen ausgetauscht werden.
In der folgenden Abbildung habe ich den Aufsvand, verstanden als die Kosten der Auf-
rechterhaltung von Bindungen und den Ertrag, den die Kontakte abwerfen fur die Bei-
spiele des Daten-, Informations- und Wissenstransfers skizziert.
Abbildung 23: Effekte der Netzwerkredundanz auf die Wissensproduktion (eigene Darstellung)
Ertrag/Aufwand
f Daten
V hoc
steile
Effizienz
h
J (informationen)
Redundanz
Effekt
Hierarchie
f Wissen J gering
flache
Effektivitat
Ausreichend kodifizierte Daten konnen, so die These der Redundanz in Netzwerken,
in nicht redundanten Strukturen ohne Qualitatsverlust transferiert werden. Insofem
trifft die Annahme von Burt zu, dass Redundanz Kosten verursacht, aber keinen
weiteren Ertrag abwirft. Die Ubermittlung von Informationen, soweit sie ausreichend
142
kodifiziert sind, kann in nicht-redundanten Stmkturen effizient durchgeflihrt werden.
Zudem ISsst sich in nicht-redundanten Stmkturen der Zugang zu Informationen besser
kontrollieren als in redundanten Stmkturen. Das heiBt, dass in der Ubermittlung von
Daten und Informationen, Nicht-Redundanz als effizientes und effektives Kriterium
gelten kann, uber das der Informations- und Datentransfer einer effektiven KontroUe
unterliegt. Ganz anders steht es mit den Wirkungen von Redundanz bei der Trans
mission von schwer artikulierbaren Wissens- und Praxisformen. Die Verbreitung von
nichtartikuiierbarem Wissen ist auf personliche, dauerhafte Kontakte angewiesen;
Cliquen mit ihren redundanten, sehr oft transitiven Bindungen eignen sich demnach als
Netzwerk-Struktur ftir die Verbreitung und Ubermittlung von nicht-artikulierbaren
Wissensformen.
Bin effizientes Netzwerk fiir die Verbreitung von Informationen ist dann eines mit
einer hohen Zahl nichtredundanter Kontakte, ein effektives Netzwerk fur die Pro-
duktion von Wissen ist ein Netzwerk mit einer groBen Anzahl redundanter Kontakte.
Die Optimierung der Effizienz eines Netzwerks erfolgt durch die VergroBerung der
Zahl der nicht-redundanten Kontakte bzw. durch die Reduzierung vorhandener redun
danter Kontakte. Burt bezeichnet deshalb auch das Design der Netzwerkbindungen als
Mittel, um die Netzwerkstruktur zu optimieren: „Maximize the number of nonredun-
dant contacts in the network to maximize the yield in stmctural holes per contact.
Given two networks of equal size, the one with more nonredundant contacts provides
more benefits. There is little gain from a new contact redundant with existing contacts.
Time and energy would be better spent cultivating a new contact to unreached people"
(Burt, 1992:20). In beiden Fallen wird der Ertrag des Netzwerks gesteigert, wenn die
Anzahl der unterhaltenen Kontakte gleich bleibt. Ein einfaches Beispiel wie der Ertrag
eines Netzwerks erhoht wird, ist in der folgenden Abbildung illustriert (vgl. Burt,
1992:20).
143
Abbildung 24: Auswirkung der Reduktion von Redundanz auf die Wissensproduktion (eigene Darstellung)
Hohe Redundanz
Effiziente Produktion und Austausch idiosynkratischer
Wissensformen und
Geringe Redundanz
Effiziente Kontrolle und Daten- und Informations-
austausch
Wie dargestellt ist, lasst sich die Rentabilitat der Informationsverarbeitung von Netz-
werken durch eine geringe Veranderungen des Designs der Struktur verbessem. Opti-
miert Kontakt Ci zu jeder der peripheren Kontaktgruppe seine Bindungen, indem er
drei Beziehungen zu jeder Subgruppe aufgibt, so verbessert sich die Netzwerkstruktur
deshalb, weil dadurch keine Informationen verloren gehen. Es gehen C2 deshalb keine
Informationen verloren, weil die Subgruppen selbst jeweils untereinander Kontakte
unterhalten. Fur C2 ist es wichtig, eine primare Bindung zu einem peripheren Kontakt
zu unterhalten, der mit alien anderen Bindungen unterhalt. Kontakt Ci reduziert also
seine Bindungen in C2 von 16 auf 4. Dadurch erhoht sich, in dem hier diskutierten
Beispiel, der Informationswert bei gleich bleibendem Informationsertrag von 0,0625
auf 0,125 (vgl. Burt, 1992:21). Allerdings ist anzumerken, dass hier Burt den Effekt
der Informationsasymmetrie vollkommen auBer Acht lasst.
In der Praxis ist dieser Effekt dadurch zu erreichen, dass redundante Bindungen durch
einen vertrauenswurdigen und verldsslichen Kontakt ersetzt werden. Dadurch lassen
sich Informationsflusse effizienter gestalten, jedoch nicht, so meine These, wenn es
144
um den Austausch nicht artikulierbarer Wissensformen geht. Problematisch erscheint mir dieser Fall der Optimienmg einer Netzwerkstruktur aber in nichtvertrauens-wtirdigen Organisationen, da dadurch die potentiell negativen Folgen von Infor-mationsasymmetrien vergr613ert werden.
2.1.6.1. Zwei Arten von Redundanz in Netzwerken
Redundanz begreift Burt also eher als negatives Strukturdesign, was allerdings in Zweifel zu Ziehen ist. Burt unterscheidet deshalb in Netzwerken zwei Arten von Redundanz. Redundanz, die durch Kohasion in Netzwerken entsteht, z.B. in einer Clique, und Redundanz, die aus strukturell aquivalenten Beziehungen von Kontakten hervorgeht. Von Kohasion wird in der Netzwerkanalyse immer dann gesprochen, wenn zwei Kontakte oder mehrere durch starke Beziehungen {strong ties) verbunden sind. Daraus wird ein starkerer Zusammenhalt abgeleitet. Beispiele dafur sind fami-liare Bindungen zwischen Vater-Sohn-Tochter; Mutter-Tochter-Sohn, enge Freund-schaften und lange Partnerschaften).
Abbildung 25: Kohasion und strukturelle Aquivalenz (Burt, 1992)
Redundanz durch Kohasion
Beispiel A
Redundanz durch strukturelle Aquivalenz
C
Beispiel B
Quelle: Burt, 1992: 18
145
Unter struktureller Aquivalenz ist zu verstehen, wenn einzelne Kontakte in einem
Netzwerk, die zu strukturell gleichen Kontakte unterhaiten. Hierbei werden, im Ver-
stSndnis von Burt (1992), grundsatzlich keine neuen Informationen im Netzwerk ge-
neriert. In der Abbildung 26 ist dargestellt, dass Kontakt A, B und C zwar untereinan-
der keine direkten Bindungen aufrechterhalten, aber jeder Kontakt fiihrt zu einer
Menge von gleichen Beziehungen. Diesen Fall bezeichnet Burt (1992:19) als Redun-
danz durch strukturelle Aquivalenz. Kontakte A, B oder C besitzen theoretisch also
keine Informationsvorteile untereinander. Insofem argumentiert Burt (1992), dass
strukturelle Aquivalenz in Netzwerkstrukturen Informationsasymmetrien reduzieren
aber keine neuen Informationen generieren. Das bedeutet, dass alle Knoten als Sender
und EmpfSnger die gleichen Informationen oder potentiell den gleichen Zugang zu
vorhandenen Ressourcen teilen.
In diesem Zusammenhang verwendet Burt seine Theorie der struktural holes. Den
Begriff strukturelle LOcher verwendet Burt (1992:18) als Kennzeichnung jener Kon
takte in einem Netzwerk, die zwischen nichtredundanten Kontakten eine Verbindung
herstellen, also die strukturellen Locher im Netzwerk uberbriicken. Die Anzahl der
strukturellen Locher wird deshalb von Burt als ein Merkmal gesehen, das den strate-
gischen Wert von Netzwerken steigert.
2.1.6.2. Structural holes - weak ties and strong ties
Mit der Theorie der strukturellen L6cher steht die These uber die Starke schwacher
Bindungen in Netzwerken von Granovetter (1973) in Zusammenhang. Zum Teil ist sie
eine Weiterfuhrung dieser berUhmten These. Granovetter untersuchte in seiner Dis
sertation, ob zwischen der Struktur von Netzwerken und dem Erfolg bei der Suche
nach Arbeitsplatzen ein Zusammenhang existiert. In dieser Studie zeigte Granovetter,
dass innerhalb eines bestimmten sozialen Milieus von Arbeitssuchenden sich
schwache Bindungen (weak ties) bei der Suche nach einem neuen Arbeitsplatz als hilf-
reicher herausstellen, als starke Beziehungen (strong ties). Das verbluffende Ergebnis
in dieser Studie war, dass in den meisten Fallen die befragten Personen nicht aufgrund
ihrer Kontakte zu Personen mit starken/engen Beziehungen erfolgreich waren, sondem
durch Kontakte zu Personen, zu denen sie schwache/gelegentliche Beziehungen
hatten. Das wurde damit erklSrt, dass Arbeitslose zumeist (unter der Annahme der
Transitivitat) mit anderen Arbeitslosen strong ties unterhaiten und daher durch
schwache Bindungen eher einen Kontakt fmden, der zu einem neuen Job fiihrt. Das
Ergebnis seiner Untersuchung zeigte, dass Beziehungen zu distanzierten Kontakten
146
eine groBere Erfolgsquote hatten, um einen neuen Arbeitsplatz zu finden. In einem viel
zitierten Aufsatz mit dem Titel ''The strength of weak ties'' hat Granovetter gezeigt,
dass Starke Bindungen (strong ties) transitiv sind (Granovetter, 1973). Transitivitat
bedeutet fUr Granovetter (1973), dass Kontakte in Netzwerken, die gegenseitig durch
eine starke Verbindung verknupft sind, mit grofier Wahrscheinlichkeit zu anderen
ahnlichen Kontakten in einem Netzwerk fUhren. In einem hypothetischen Beispiel,
siehe die folgende Abbildung, wurde dies bedeuten, dass Paula und Martin, die mit-
einander durch starke Bindungen verknupft sind, und Martin zu Elisabeth eine starke
Beziehung unterhSlt, es sehr wahrscheinlich ist, dass auch Elisabeth zu Paula eine
starke Beziehung knupft.
Wegen dieser Eigenschaft transitiver Bindungen schreibt Burt (1992:27) schwachen,
nicht transitiven Bindungen die Funktion zu, intra- und intemetzwerkformige
BrUckenfunktionen einzunehmen. Burt (1992:18) sieht diesen Effekt durch seine
These der strukturellen Brucken in Netzwerken bestatigt. Intra- und intemetzwerk
formige Briicken werden als strategische Positionen verstanden. Aus der Eigenschaft
schwacher Beziehungen entsteht also das strategische Potential der weak ties in Netz
werken. Die Starke einer Bindung {strength) kann mit quantifizierbaren Attributen
gemessen werden z. B. wie hSufig Informationen zwischen Kontakten ausgetauscht
werden (Frequenz), mit welcher Geschwindigkeit Inft)rmationen ubertragen werden,
wie groB die Distanz zwischen den Knoten im Netzwerk ist und wie hoch die Frequenz
(Haufigkeit) sonstiger sozialer Interaktionen zwischen den Kontakten ist.
Starke Verbindungen sind eingebettet in enge, homophile Cluster von Kontakten und
sind gleichzeitig auch das Ergebnis dieser Kontakte. Starke Bindungen sind verbind-
liche reziproke Bindungen zwischen Kontakten (z.B. innerhalb der Familie). WShrend
weak ties Verbindungen zu heterogenen Personen sind, stellen strong ties Ver
bindungen zu homogenen Personengruppen her. Da enge, homophile Cluster tiber
strukturelle Brticken mit anderen engen homophilen Clustem verbunden werden
kSnnen sind strukturelle L6cher Voraussetzungen, um heterogene (neue) Inft)r-
mationen in homophile Gruppen zu importieren.
147
Abbildung 26: BrUckenfunktion und Wissenstransfer (eigene Darstellung)
.Franz
Elisabeth
Martin
In der gezeigten Abbildung 26 ist weiters zu sehen, dass die jeweiligen Cluster (Mar
tin/Elisabeth/Paula und Fritz/Heidrun/Karl) nur uber die strukturelle Brucke, die Paula
und Fritz unterhalten, verbunden sind. Diese Brucke bezeichnet Burt (1992) als
structural hole. Sowohl Granovetter (1973) als auch Burt (1992) argumentieren nun,
dass uber derartige Broker-Positionen, die in der Netzwerktheorie als Brucken be
zeichnet werden, jeweils neue Informationen in bestehende Netzwerkstrukturen
importiert werden. Wird diese Brucke nur gelegentlich benutzt, dann sprechen beide
von einer schwachen Bindung. Die Kontakte in der Beziehung von Paula und Fritz, die
die Eigenschaften haben, zwei Cluster von Beziehungen zu verbinden, werden in der
Netzwerkanalyse als Brucken oder cutpoints bezeichnet. Burt argumentiert, dass in
groBen Netzwerken strukturelle Brucken den Kontakt zu heterogenen Gruppen auf-
rechterhalten. Fur Burt ist deshalb die Anzahl der strukturellen Brucken ein wichtiges
Kriterium in der Bewertung von Netzwerken. Akteure, denen eine BrUckenfunktion
zukommt, nehmen daher eine besondere strategische Stellung ein. Weil beispielsweise
Paula und Fritz jeweils dariiber entscheiden, in welchem AusmaB neue Informationen
in die von ihnen kontrollierte Clique fliefien.
Folgende Uberlegung kann hier angestellt werden: Der Unterschied zwischen den Uber
strong ties verbundenen homophilen Gruppen und den tiber weak ties hergestellten
Verbindungen ist der, dass Informationen in homophilen Gruppen uber starke
Bindungen symmetrischer verteilt werden als tiber schwache Bindungen {weak ties).
Anders formuliert, je vertrauenswiirdiger die Kontakte, umso grofier der positive
Effekt fiir die gesamte Zahl der Kontakte; je weniger vertrauenswiirdig die Kontakte,
148
und je groBer das Eigeninteresse der Kontakte mit einer Bruckenfunktion, umso ge-
ringer der positive Effekt fiir die gesamte Anzahl der Kontakte. Einen weiteren Effekt
aus dieser Form der Positionierung in einem Netzwerk diskutiert Burt als tertium
gaudens Strategien.
2.1.6.3. Tertium Gaudens Strategien
Kontakte in Netzwerken, mit denen structural holes uberbruckt werden, bieten
groBeren Verhandlungsspielraum und Einfluss. Diese Verhandlungsmacht ist Folge
des Zugangs zu altemativen und/oder exklusiven Kontakten in anderen Clustem. Kon
takte in Netzwerken k6nnen diese zusatzlichen Informationen weitergeben oder zu-
ruckhalten. Zugang erhalten sekundare Kontakte nur (iber den primaren Kontakt. Der
Zugang zu altemativen und/oder exklusiven Ressourcen ist sekundaren Kontakten also
nicht moglich bzw. nur im Konsens mit dem outpoint. Ein Cluster von Kontakten
entsteht dadurch, dass Personen uber strong ties, d. h. intensive Beziehungen unterein-
ander verbunden sind. ^ Informationen zirkulieren in diesen Clustem mit einer hohen
Geschwindigkeit. Da Kontakte mit der Moglichkeit, mehrere strukturelle Locher zu
uberbrucken, den strategischen Spielraum in Netzwerken maximieren, gewinnt das
Ziel, redundante Kontakte zu minimieren, seinen strategischen Charakter. Rational ist
diese Strategic aber nur bezogen auf die Verteilung, die KontroUe und den Zugang zu
bereits vorhandenen Informationen und in Bezug auf stark kodifizierte und/oder arti-
kulierte Wissensformen. Diese Uberlegungen sind in der Darstellung der Netzwerk-
struktur in der folgenden Abbildung illustriert.
Dichte Netzwerke mit hoher Redundanz eignen sich weniger fur tertium gaudens
Strategien als groBe, extensive Netzwerke mit einer geringen Anzahl nicht-redundanter
Bindungen. Die Vorteile strategischer Netzwerkpositionen sind davon bestimmt,
welchen Spielraum einzelne Kontakte in Verhandlungen mit anderen Kontakten ein-
23
Diese Perspektive wurde schon in den 50er-Jahren von Likert Uber einen personenzentnerten Ftihrungskontext (aufgabenorientierter Managementprozesse) eingefordert. Er stellte fest, dass wenig produktive Arbeitsgruppen systematisch kontrolliert werden, hingegen in produktiven Arbeitsgruppen geringer Kontrollaufwand notwendig ist bzw. zu beobachten war. Die Fiihrungsebenen, so Likert, re-agieren auf Fehler von Gruppen in produktiven Organisationen mit VerstSndnis, in gering produktiven mit Sanktionen und negativer Kritik. Davon abgeleitet wurden in vielen Untemehmen sog. "freie-autonome" Arbeitsgruppen, die dann am produktivsten sind, wenn die Ziele allgemein formuliert sind (vgl. Likert und Hayes, 1957).
149
nehmen. Dieser Spielraum ist nicht nur von der Zahl der strukturellen Locher im Netz-
werk abhSngig, sondem auch von bestehenden sekundSren Bindungen. Burt (1992:38)
spricht von sekundSren strukturellen Lochem, wenn innerhalb eines Clusters redun-
danter Bindungen strukturelle L6cher existieren, bei denen tertium gaudens Strategien
w irksam werden konnen. In dem hier dargestellten Beispiel handelt es sich um einen
KSufer und zwei Verkaufer. Der Kaufer, der in Verhandlungen mit zwei nicht mitein-
ander in Verbindung stehenden VerkSufem kann - well die beiden VerkSufer unterein-
ander keine Informationen austauschen kSnnen - beide VerkSufer gegeneinander aus-
spielen. Bei Verhandlungsstrategien lassen sich dementsprechend die zwei im An
schluss skizzierten Situationen beobachten. Im Beispiel A handelt es sich um einen
funktionierenden Wettbewerb zwischen Kaufer und VerkSufer (siehe dazu Burt,
1992:39).
Abbildung 27: Tertium Gaudens Strategic Beispiel A (Burt, 1992)
kVk2
'Vkl
In diesem Fall kann der KSufer Ka von beiden Kontakten (VerkSufem) Vkl und Vk2
Angebote einholen und entscheiden, welches attraktiver ist. Oufer Ka kann jeweils
den anderen Anbieter mit einem geringeren Angebot unter Druck setzen und abwarten,
ob einer der Verkaufer sein urspriingliches Angebot verbessert. Da beide Verkaufer
(Vkl und Vk2) in keiner Beziehung zueinander stehen, argumentiert nun Burt, dass sie
jeweils sehr gut gegeneinander ausgespielt werden kOnnen. Burt (1992:30) nennt
diesen Fall eine tertium gaudens Strategic. Anders ist dies im nachsten Fall der in Ab
bildung 28 illustriert ist.
150
Abbildung 28: Tertium Gaudens Strategic Beispiel B (Burt, 1992)
.Vk3
Vkl
Vk2
In diesem zweiten Beispiel B stehen dem Kaufer Ka vier alternative VerkSufer (Vkl,
Vk2, Vk3, und Vk4) gegenuber. Der Unterschied zum Beispiel A ist nicht die groBere
Anzahl der VerkSufer, sondem dass diese Verkaufer untereinander in Beziehung
stehen und anzunehmen ist, dass Informationen iiber ihre Verhandlungsstrategien zu
Kontakt Ka austauschen. Dadurch ist der KSufer Ka nicht mehr in der Lage einen der
Verkaufer Vkl, Vk2, Vk3 oder Vk4 mit nicht richtigen besseren Angeboten anderer
Verkaufer unter Druck zu setzen und sie gegeneinander auszuspielen.
Die Kontrollvorteile entstehen in dieser spezifischen Netzwerkstruktur durch geg-
nerische bzw. feindliche Positionen. Erst daraus entstehen Kontrollvorteile bei tertium
gaudens Strategien. Daraus lasst sich aber folgem, dass Netzwerkstrukturen mit einem
hohen Grad an Vertrauen und vielen redundanten Bindungen weniger anfSllig fiir
tertium gaudens Strategien sind. Hingegen sind Netzwerkstrukturen mit einem hohen
MaB an Misstrauen und mit effizienten Netzwerkstrukturen im Sinne von Burt eher ge-
eignet fiir tertium gaudens Strategien. GleichermaBen kann argumentiert werden, dass
Kontrollvorteile der tertium gaudens Strategien sich nicht in einem kooperativen und
vertrauenswurdigen Organisationsumfeld umsetzen lassen. Die Schlussfolgerungen
sind hier folgende: Dissens der Kontakte Vk fSrdert tertium gaudens Strategien und
macht es fur den Kontakt Ka einfacher tertium gaudens Vorteile zu generieren. Bin
Konsens der Kontakte Vk erschwert es oder macht es unmOglich tertium gaudens Vor
teile zu lukrieren.
151
2.1.7. Empirische Arbeiten der Netzwerkanalyse
In einer Untersuchung uber die sozialen Eigenschaflen von Netzwerken, in denen
Wissen geteilt und entwickelt wird, zeigen Cross, Borgatti und Parker (2001) einige
zum Teil verbluffende, zum Teil auch erwartete Ergebnisse uber das AusmaB der
sozialen Interaktion in Organisationen im Zuge des Austauschs idiosynkratischen
Wissens. Ausgehend von der wesentlichen Bedeutung der sozialen Interaktion in
Wissensproduktions- und Wissensaustauschprozessen haben Cross, Borgatti und
Parker (2001) mithilfe von Tiefeninterviews 40 Manager einer globalen Unter-
nehmensberatung nach einzelnen Projekten befragt (Cross, Borgatti und Parker,
2001:216). In dieser Untersuchung wurden die Befragten gebeten, jeweils drei Per-
sonen zu nennen, von denen sie denken, dass sie fiir ihre Karriere eine besondere Be
deutung hatten. Anschliefiend wurden sie gefragt, inwiefem die genannten Personen
eine spezielle Hilfe in beruflich sehr wichtigen Projekten waren und ob sie angeben
konnten, in welcher Weise die genannten Personen sie mit "wichtigen" Informationen
versorgt haben. Die Ergebnisse von Cross, Parker und Borgatti (2002:44) zeigen, dass
die Personen in dem untersuchten Netzwerk grundsatzlich funf (wissensorientierte)
Hilfeleistungen in Anspruch nahmen. (a) Hilfe in der Losung bestimmter Probleme,
(b) Meta-Wissen, (c) Hilfe bei der Neuformulierung der Problemstellung, (d) Vali-
dierung der Ergebnisse oder der Fragestellung und (e) Legitimierung der Ergebnisse
bzw. der angestrebten LOsung. In 57 % der Falle gaben die Befragten an, dass die kon-
sultierten Kontakte ihnen bei der Formulierung der Losung eine wichtige Hilfe waren;
in 45 % der Falle wurde angegeben, dass die konsultierten Kontakte Meta-Wissen an-
boten (d.h. wer fiir die Frage oder ftir das jeweilige Problem zustandig ist und weiter-
helfen kann), in der Mehrheit bestand dieses Wissen darin, einen Kontakt zu einer Per
son herzustellen; in 45 % der Falle bestand die bereitgestellte Hilfe darin, dass das
Problem umformuliert wurde und so eine effektivere Losung mSglich war. In 49 % der
Falle bestand die Hilfe darin, dass der Kontaktierte die "Richtigkeit" der angestrebten
Losung bestatigte; und in 36 % der Falle wurden Personen kontaktiert, damit die ange-
strebte L5sung legitimiert werden konnte. Von den insgesamt 68 aufgenommen Fallen,
in denen bei einer Kontaktierung eine Losung thematisiert wurde, waren es 9 % der
Falle, in denen die Befragten angaben, dass sich die Hilfestellung in einer Klarung des
Know-what zeigte und in 68 % der Falle bestand die Hilfeleistung in der KlSrung des
Know-how (Cross, Borgatti und Parker, 2001:218).
Handelte es sich bei den Konsultationen um die Bereitstellung von Meta-Wissen, so
wurde von den Befragten behauptet, dass die konsultierten Kontakte in der Halfte der
152
Falle sehr starke Bindungen zum Befragten unterhielten. Bemerkenswert ist, dass in
70 % der FSlle Meta-Wissen darin bestand, dass der Kontakt zu Personen hergestellt
wurde, die Losungen anbieten konnten und nur in knapp 30 % die Befragten auf das in
der Organisation vorhandene explizite Wissen (Computerdatenbanken, Memoranden,
etc.) verwiesen wurden. Ein Ergebnis dieser Forschungen ist: 'People do matter* oder
'matter more than paper work or explicit knowledge'. Wurden Personen konsultiert
und das Ergebnis war eine Reformulierung des Problems bzw. der angestrebten
Losung, dann antworteten die Befragten, dass 45 % der Kontakte hilfreich waren. In
diesen Fallen kann man die Hilfestellung so interpretieren, dass die Arbeit dadurch
effektiver wurde. Anzumerken ist jedoch, dass die traditionelle Organisationsge-
staltung fur diese Form der Hilfestellung keinen Platz bzw. keine Legitimierung vor-
sieht, da sie auf den schlichten VoUzug vordefmierter Aufgaben ausgerichtet ist. Die
beiden letztgenannten Vorteile, die in der Untersuchung genannt wurden, Validierung
einer angestrebten oder fertigen Losung und die Legitimierung einer Losung, sind in
dieser Hinsicht schon weitaus kompatibler mit der traditionellen Organisationsge-
staltung. Was die Validierung betrifft, so wurde bestatigt, dass sie zur Konformitat der
angestrebten Ergebnisse fuhrt; noch starker ist dieser Effekt in der von Befragten ge-
suchten Legitimierung von Losungen zu beobachten. In der Studie wird aber bestatigt,
dass die Legitimisierung von LOsungen, die am geringsten beanspruchte Hilfeleistung
war und wenn, dann nur durch hierarchisch Vorgesetzte erfolgte, die in den anderen
Fallen nicht als hilfreiche Kontakte genannt wurden (Cross, Borgatti und Parker,
2001:220).
2.2. Zusammenfassung der Netzwerkeffekte
Ronald Burt, ein Schtiler von Coleman, der an einer Strukturtheorie des Handelns ar-
beitet, hat wesentliche Beitrage zur Netzwerkanalyse geliefert (Burt, 1982 und 1997).
In mehreren empirischen Arbeiten hat er den Verlauf von Karrieren einzelner Manager
mit dem sozialen Kapital, auf das sie im Zuge ihrer beruflichen Laufbahn zugreifen
konnten, erklart. In seiner bekanntesten Arbeit mit dem Titel "Structural Holes: The
Social Structure of Competition" (Burt, 1992) wurde argumentiert, dass nicht nur die
Verbindungen, die Akteure in ihrem Netzwerk von Beziehungen haben, eine wesent
liche RoUe spielen, sondem eben auch die Lucken in den jeweiligen Netzwerken.
Diese Lucken, so die tjberlegung, bieten in einzelnen Fallen spezielle Moglichkeiten,
um aus einer strategisch vorteilhaften Position Zugang und KontroUe zu Informationen
(und anderen wichtigen Leistungen) in Netzwerken herzustellen.
153
Jedes Netzwerk bildet konkrete Muster von Beziehungen aus, es entwickeln sich Sub-
gruppen oder Untergruppen (sie werden auch Cliquen genannt). Gruppen uberlappen
sich. Einzelne Akteure nehmen unterschiedliche Position ein, wie dies beispielsweise
in der bereits diskutierten Sozialkapitaltheorie von Lin (2001) erOrtert wurde. Uber die
Aufzeichnung der gesamten existierenden Bindungen aller Akteure in einer Organisa
tion lieBe sich eine vollstMndige Netzwerkstruktur nachzeichnen. Es wtirde sich dabei
zeigen, dass sich kleinere Gruppen von anderen Gruppen abspalten und iiber einzelne
Kontakte zu anderen Gruppen im Netzwerk verbunden sind. Es wtirden sich dichte
und weniger dichte Netzwerkstrukturen offenbaren. Die Bindungen konnen als Netz
werk der informellen freiwilligen Hilfeleistungen der existierenden Kontakte skizziert
werden. Je nachdem, welche Forschungsfrage in Zentrum steht, werden konkrete
Bindungen (informeller Austausch von Expertise, Hilfe, Unterstutzung in schwierigen
Fragen) untersucht.
Burt (1982, 1992) identifiziert die Vorteile der Netzwerkstrukturen primer Uber vor-
handene Lucken, die er structural holes nennt. Liicken in einem Netzwerk sind Unter-
brechungen von einzelnen Gruppen mit engen bzw. starken Bindungen (vgl. dazu
Burt, 1992:2). Einzelne Personen, die in einem Netzwerk Positionen besetzen, die
structural holes verbinden, werden als Briicken oder "cutpoint" bezeichnet und
nehmen jeweils privilegierte Positionen ein, weil sie den Kommunikations- bzw. In-
formationsfluss in der Gesamtstruktur aus diesen strategischen Positionen heraus re-
gulieren bzw. kontrollieren kOnnen. Strukturelle BrUcken bieten den Vorteil eines pri-
vilegierten Zugangs. Damit in Zusammenhang stehen die Kontrollvorteile der von
Burt (1992) diskutierten tertium gaudens Strategien, die jedoch nur dann wirksam
werden, wenn Kontakte untereinander in Konkurrenz stehen. In vertrauenswiirdigen
Netzwerken sollte demnach der Erfolg von tertium gaudens Strategien weniger wahr-
scheinlich sein. Damit steht jedoch auch der Zugang zu den Ressourcen im Netzwerk
in Verbindung. Insofem ISsst sich also annehmen, dass eine grofie Anzahl von struk-
turellen Briicken in wenig vertrauenswiirdigen Kontexten zwar fur einzelne privi
legierte Kontakte Vorteile erwarten lassen, sich also aus der Sicht der privilegierten
Kontakte die Netzwerkeffizienz erhOht, aber bei der Betrachtung der Gesamtstruktur
die Effizienz des Netzwerkes darunter leidet.
Ressourcen konnen in diesem Sinn Fahigkeiten, Talente, GeschSftsmoglichkeiten und
viele andere intangible und tangible Verm5genswerte sein, die iiber die Struktur des
Netzwerks ausgetauscht werden. Diese Ressourcen werden durch die Beziehungen
(ties), die einzelne Personen unterhalten (Knoten, Untemehmen, Geschaftsbereiche
154
usw.), erschlossen (Knoke und Kuklinski, 1982). Werden die Bindungen betrachtet,
die Akteure in Netzwerken unterhalten, dann iSsst sich eine Tendenz zur kulturellen,
materiellen bzw. sozialen AfFinitat von Personen, die miteinander auf Dauer Kontakte
aufrechterhalten, beobachten (lacobucci, 1999:150; Granovetter, 1973).
Ein Uberblick der Effekte ausgewShlter Netzwerkeigenschaften ist in Tabelle 5 zusam-
mengestellt. Dieser Uberblick zeigt, dass der die Grofie eines Netzwerks, die Dichte,
die Heterogenitat, die Qualitat der Zusammensetzung, die effektive GroBe und der
Constraint, als Parameter der Netzwerkeigenschaften, sehr unterschiedliche Effekte
auf die Bildung von sozialem Kapital zeigen. Unterschiede sind aber - und dies ist mir
hier besonders wichtig - auch bezogen auf die Auswirkung auf die Produktion,
Verbreitung und Kontrolle von Wissensformen erkennbar.
Tabelle 5 Effekte der Netzwerkstruktur Begriffund Autor (Quelle) Gr66e/Grad (size/degree) (Burt, 1982) Dichte (density) (Burt, 1982)
Heterogenitat (heterogenity) (Burt, 1982)
Qualitat der Zusammensetzung (Compositional Quality) Effektive GrOBe (Burt, 1992)
Beschrankung (constraint) (Burt, 1992)
Definition
Die Anzahl der Bindungen, die Ego direkt hat (gewichtet mit der Starke der Verbindung) Das Verhaitnis der Anzahl der aufrechten Bindungen zur Anzahl der mSglichen Bindungen
Die Varianz der einzelnen Bindungen bezogen auf den Inhalt (Geschlecht, Beruf, Talent, Fahigkeiten etc.)
Die Anzahl der Verbindungen mit einem hohen Auspragung der jeweiligen Eigenschaft (Wohl-stand, Wissen, Einfluss, Macht) Die Anzahl der Bindungen, gewichtet mit der Starke der Verbindung, durch die Kontakt Ego direkt mit anderen Kontakten ver-bunden ist, abzuglich der redun-danten Kontakte
Das AusmaB der von Ego unter-haltenen singuiaren Beziehungen (d.h. Bindungen zu "sonst iso-lierten Kontakten"
Wirkung auf Sozialkapital
Je grOBer die Anzahl der Verbindungen, umso hOher Sozialkapital
Je hOher die Dichte des Netzwerks, umso h5her die Anzahl redundanter Verbindungen (Einfluss negativ auf Informations-wert, Einfluss positiv auf Wissenspro-duktion und Wissensdiffusion) Positive Wirkung auf den Vorrat an Sozialkapital, da viele verschiedene Res-sourcen in das Netzwerk eingebracht werden; positiver Einfluss auf die Produktion von Wissen (viele heterogene Eigenschaften werden importiert); Konflikt mit Homophilitat Je heher die Qualitat der Zusammensetzung umso grOBer der positive Effekt von Sozialkapital
Positive Wirkung auf Sozialkapital, weil die Heterogenitat der eingebrachten Res-sourcen erhSht wird; negativer Effekt auf den Austausch idio-synkratischer Wissensformen; positiver Effekt auf den Austausch ex-pliziter Wissensformen und auf den Austausch von Informationen Auswirkungen negativ, weil die Hand-lungsmOglichkeiten eingeschrankt werden; positiv bezogen auf den Austausch idiosynkratischer Wissensformen iso-lierter Bereiche
Quelle: zusammengestellt aus Burt, 1982 und 1992; Borgatti und Cross, 2003
155
In Netzwerken, in denen viele strukturelle Locher uberbriickt werden, vergroBert sich
zwar der Verhandlungsspielraum und die Verhandlungsmacht einzelner effektiv posi-
tionierter Akteure, aber gleichzeitig vergroBert sich die Informationsasymmetrie im
Netzwerk und die damit verbundenen negativen Folgen.
• Fiir die Produktion von Wissen und fiir den Austausch nicht artikulierbarer
Wissensformen lassen sich insofem zwei zentrale Effekte identifizieren.
• In Netzwerken mit vielen redundanten und starken Verbindungen wird der
reziproke Austausch von nicht-artikulierbarem Wissen gefordert.
• EingeschrSnkt wird dadurch jedoch der Austausch von Informationen und/oder
expliziten Wissensformen iiber die Netzwerkgrenzen hinaus.
Coleman nannte diesen zweiten Effekt closure (Coleman, 1990:318), verstand jedoch
diesen Closure-Effekt nicht als negative Eigenschaft von sozialen Gruppen, sondem
als wichtige Voraussetzung, damit Vertrauen innerhalb von Netzwerkbeziehungen ent-
wickelt wird. Von dieser Annahme ausgehend nahm Coleman an, dass die Wirkung
der Stabilitat, die das Ergebnis von Closure-Ejfekten ist, als wichtiges Element be-
trachtete, dass sich in einer begrenzten Menge von Kontakten Sozialkapital entstehen
kann (Coleman, 1990:320). Als weiteren Closure-Effekt ist die verstarkende Wirkung
von Normen und Ideologien in geschlossenen Netzwerkstrukturen zu nennen. Hierzu
stellt Coleman fest: "One indirect and somewhat surprising effect has been noted from
the comparison of religious and secular schools. Religiously affiliated private schools
in the United States, despite their more rigid disciplinary standards, have dropout rates
much lower than those of secular private schools or public schools. ...The apparent
cause is a quantity of social capital available to the religiously affiliated school that
does not exist for most other schools, private or public. This depends in part on the
social-structural connections between school and parents, through the religious
community" (Coleman, 1990:321). Trifft dies zu, dann wOrden sich die Bedingungen
unter denen nicht-artikulierbare Wissensformen einerseits ausgetauscht werden,
andererseits uberhaupt erst dadurch hervorgebracht werden, in Netzwerkstrukturen mit
einer geringen Anzahl von structural holes verbessem, well hierbei innerhalb der
einzelnen Clustergruppen mehr Vertrauen und ein hoherer Grad der Verpflichtung
innerhalb der Gruppen durch den Closure-Effekt geschaffen wird. Idealerweise
mussten nun iiber Clustergrenzen hinaus mithilfe von einzelnen, vertrauenswiirdigen
Kontakten Briicken zu anderen Netzwerken geknupft werden, ohne dabei die intemen
Clusterverpflichtungen zu schadigen oder einzelne Akteure in der Gruppe zu uber-
vorteilen.
156
Die Absicht dieses Abschnittes war es, eine Zusammenfassung und soweit in diesem
Rahmen moglich, eine Beschreibung der Netzwerkanalyse zu geben. Wichtig scheint
mir, dass das Ego-Netzwerk als eine Struktur von Beziehungen eines Akteurs gesehen
wird, die Vorteile in empirischen Netzwerken deutlich werden lasst und auf die
Schwierigkeiten und Moglichkeiten der Transaktionen zwischen Akteuren aufmerk-
sam macht. Die Netzwerkanalyse erlaubt es, Bindungen zu Freunden, Arbeitsbe-
ziehungen und intime, idiosynkratische Formen der Beziehungen zu erfassen und mit
quantifizierbaren GroBen eine Beschreibung und Analyse der QualitSt der Struktur
eines Netzwerks als Binnenstruktur zu analysieren.
Die Daten, die von einem Netzwerk auf diese Weise erfasst werden, ermCglichen es,
die Position von Akteuren zu analysieren und die ihnen durch diese Position er-
wachsenden Rollenerwartungen. Diese Positionen selbst ergeben sich aus der Struktur
des gesamten Netzwerkes und ermoglichen es einzelnen Akteuren bestimmte strate-
gische Schliefiungsprozesse als cutpoint zu kontrollieren. Dieses strategische Handeln
einzelner Akteure kann zum Nachteil einzelner nachgeordneter Positionen fuhren,
muss aber nicht. Neben der Position der Akteure ist die Differenzierung und Zentrali-
sierung des Netzwerks identifizierbar, well iiber die Distanz, die zwischen einzelnen
Akteuren existiert, und der Position (Hierarchic) qualitative Aussagen gemacht werden
konnen. Die Stratifikation des Netzwerks ist deshalb eine interessante Eigenschaft der
Struktur von Netzwerken, weil damit die Beziehungen (und die nicht vorhandenen
Beziehungen) deutlich ausgewiesen werden konnen. Welters ist anzunehmen, dass in
strukturell aquivalenten Netzwerkstrukturen die Diffusion von Wissen gleichmaBiger
erfolgt als in sehr starken hierarchisch ausgepragten Netzwerkstrukturen. Wahrend in
hierarchischen Netzwerkstrukturen die Kontrolle der Wissensdiffusion als einfacher zu
realisieren erscheint, wirkt sich dieser Nachteil an Kontrollierbarkeit in strukturell
aquivalenten Beziehungen offenbar als Vorteil der Wissensgenerierung und Diffusion
aus, weil dadurch nicht nur strukturelle Dimensionen der Wissensproduktion (vgl.
Nahapiet und Ghoshal, 1998) verbessert werden, sondem daruber hinaus die kogni-
tiven und relationalen Dimensionen sich gegenseitig unterstutzen. Insbesondere das
Ineinandergreifen der relationalen und kognitiven Dimensionen fiihrt - so unsere
These - zu einer VerstSrkung von habitualisierten Handlungen, zu einer Verstarkung
von Werten und zur Festigung von Normen und somit insgesamt zur in Kraflsetzung
des institutionellen Rahmens, der die Handlungen der Akteure ermoglicht und ein-
schrankt.
157
Dichte Netzwerke erlauben es unterschiedliche Wissensformen (und ganz allgemein
Austauschbeziehungen) im Netzwerk effizienter zu gestalten und ftihren dazu nicht-
greifbare Wissenstypen besser (iber ein breiteres Spektmm an Kontakten zu verteilen.
Der Zugriff auf Wissen in Organisationen kann so durch die Netzwerkanalyse empi-
risch exakt untersucht und zentrale Defizite dargestellt werden. Beispielsweise kann
durch eine Analyse der Muster der Beziehungen der Akteure in einem Dendogramm
erkenntlich gemacht werden, iiber welche Kontakte jeweils einzelne Cliquen in einem
Netzwerk miteinander in Verbindung stehen. Und schiieClich ist anzumerken, wenn
ein Muster von Beziehungen in Netzwerken identifiziert werden kann, dann ist es auch
moglich, die Effizienz des Austauschs in den Beziehungen iiber die tatsSchliche
Struktur der Bindungen zu untersuchen. Die Netzwerkanalyse ist in dem hier ver-
wendeten Verstandnis nicht nur ein methodisches Werkzeug um Netzwerkstrukturen
zu analysieren, sondem auch eine empirisch fundierte Theorie, weil die einzelnen
Akteure im Netzwerk ihre Handlungen immer im Kontext der Beziehungen, in die sie
eingebettet sind durchfuhren und damit die Struktur in Kraft setzen, die wiederum ihre
Handlungen bestimmt (vgl. Giddens, 1984).
158
III. Das Modell iiber den Zusammenhang von Vertrauen und Sozialkapital
In diesem Teil der Arbeit mOchte ich die in den beiden vorangehenden Abschnitten
diskutierten Uberlegungen in ein konzeptionelles Modell zusammenfassen und daran
anschliefiend zentrale Telle des Modells einer empirischen Uberprtiflmg unterziehen.
Aufgabe dieses Abschnittes ist es, im Rahmen einer empirischen Untersuchung die im
Modell formulierten Hypothesen zu uberprufen. Sowohl Vertrauen als auch Sozial
kapital wird von makroorganisationalen, als auch von mikroorganisationalen Faktoren
bestimmt. Handlungsanreize sind nicht nur das Ergebnis individueller nutzenmaxi-
mierender Entscheidungen, sondem werden durch die Einbettung der Akteure in eine
soziale Struktur beeinflusst (Granovetter/Swedberg, 2001). Die Schwierigkeit besteht
hier darin, dass weder individuelles Handeln vollstandig die soziale Struktur, noch die
soziale Struktur das individuelle Handeln bzw. die individuellen Handlungsmoglich-
keiten determiniert, sondem beide sich gegenseitig beeinflussen.
Wie in den vorangehenden Abschnitten festgestellt, ist soziales Kapital ein intangibler
Vermogenswert, der den Erfolg von Untemehmen bestimmt. In meiner zentralen
Uberlegung, gehe ich davon aus, dass Firmen, die prekare BeschSftigungsformen
unterhalten, den Aufbau einer dauerhaften sozialen Bindung erschweren, und dadurch
weniger soziales Kapital bilden. Es ist also zuerst einmal die Frage interessant, wie
Vertrauen und Sozialkapital entsteht? Und in weiterer Folge in welchem AusmaB
Unterschiede zwischen Vollzeit- und Teilzeitbeschaftigten, befristeten und unbe-
fristeten Arbeitnehmem im Aufbau von Vertrauen und Sozialkapital zu beobachten ist.
In meiner Diskussion ausgewShlter Wissensmanagement-Modelle habe ich zu zeigen
versucht, dass die Voraussetzungen, unter denen Wissen ausgetauscht und produziert
wird mit komplexen, sehr intensiven sozialen Beziehungen verbunden sind. In der
Praxis des Wissensmanagements wird vielfach jedoch nur von der Speicherung, Ver-
waltung und Kontrolle expliziter WissensbestSnde gesprochen (Probst, Raub und
Reinhardt, 1997). Man gewinnt den Eindruck, als wiirde es nur darum gehen, Wissen
zu verwalten und dass diese Verwaltungsanstrengung dazu dient, um das Wissen weit-
gehend unabhSngig von Personen zu verarbeiten und zu nutzen. Arbeiten wie die von
Pelz und Andrews (1966), die Untersuchungen von Mintzberg (1973) und die Studie
von Bums und Stalker (1961) haben gezeigt, dass Individuen bevorzugt andere Indi-
viduen um Informationen und um RatschlSge bitten und nur relativ selten auf Wissen
in Dokumenten zurtickgreifen. Cross (2001) fand heraus, dass in Forschungsein-
159
richtungen funfmal ofter auf personliches Wissen von Kollegen zuriickgegriffen wird
als auf Wissen, das in Datenbanken zur Verfiigung gestellt wird. Er zeigt in seinen
Untersuchungen, dass sogar in Firmen, die tiber hoch entwickelte elektronische Daten
banken verfugen, eine signifikant hohere Nachfrage nach personlichem Wissen und
Gespralchen mit Kollegen besteht, als nach Wissen, das in Datenbanken gespeichert
vorliegt. Burt (1992) hat in mehreren Studien herausgefunden, dass personliche Kon-
takte eine wichtige Quelle von Informationen sind?"* Wenger (2001) hat zeigen kon-
nen, dass sozialen Beziehungen eine zentrale Rolle am Arbeitsplatz zukommt, um ein-
gespielte Arbeitsroutinen von Kollegen zu lemen. Eine Reihe von empirischen Studien
hat nachweisen konnen, je starker die Bindung zwischen einzelnen Individuen, umso
wahrscheinlicher ist ein erfolgreicher Wissensaustausch zu realisieren (vgl. Hansen,
1999; Szulanski, 2003; Uzzi, 1997). Krackhardt hat in mehreren Arbeiten zeigen kon
nen, dass die Starke der Bindung zwischen zwei Akteuren, eine Voraussetzungen dar-
stellt, damit Wissen iiberhaupt ausreichend verstanden wird, und somit ausgetauscht
werden kann (Krackhardt, 1992:218f.).
Warum sollen aber feste Beziehungen (also strong ties) vorteilhafter in der Uber-
tragung von Wissen sein? Tsai und Ghoshal (1998) stellen fest, dass starke Bindungen,
strong ties in einem sehr viel starkeren Umfang Vertrauen aufbauen und fiir den Aus-
tausch von Wissen unersetzlich sind, erganzend merken sie an: "knowledge generated
by individual units does not come to bear on an organization independently [...]
Knowledge and ideas are shared and common meanings are developed through inter
actions. Knowledge is socially constructed, and organizational learning involves a
complex social process in which different units interact with each other [...] An
organization is a repository of knowledge. The ability to access knowledge and to
integrate it effectively is truly a source of competitive advantage" (Tsai and Ghoshal,
1998:1014). Szulanski fugt in diesem Zusammenhang hinzu: "knowledge is difficult to
spread across different units within an organization in which pre-existing relationships
among units are absent. Indeed, innovative ideas are often at the nexus of interunit
links. To foster innovation, information and knowledge should be deliberately dis-
Ich verwende hier den Begriff Informationen, persOnliches Wissen so wie sie von den Autoren jeweils in der entsprechenden Literatur verwendet wurden. Damit ist zwar nicht der Unterschied deutlich ge-macht, der zwischen impliziten und expliziten Wissensformen existiert; aber es ist ein Verfahren, so denke ich, das der ursprunglichen Verwendung und der Quelle, aus der der Begriff entnommen wurde, gerechter wird.
160
tributed. A network of interunit links provides channels for distributing information
and knowledge in such a way as to stimulate and support innovative activities. A
central network position is associated with innovation outcomes for individual units
within an organization" (Szulanski, 1996:27f)
Im vorigen Abschnitt wurde erortert, dass Vertrauen und soziales Kapital nicht nur die
Transaktionskosten in der Wissensproduktion reduzieren, sondem konkrete Strukturen
sozialer Netzwerke erst das Talent, die Kreativitat, bzw. das implizite und/oder nicht
artikulierbare Wissen verteilen und zwischen den Kontakten zur Verfligung stellen.
Ein hoher Grad an Vertrauen und dichte soziale reziproke Bindungen erhohen zudem
die intrinsische Motivation zu kooperieren (Deci, Ryan, Gagne, Leone, Usunov und
Komazheva, 2001; Deci, Eghrari, Patrick, und Leone, 1994). Wahrend im traditio-
nellen Managementverst^ndnis, das vorwiegend durch den Fordismus gepragt war, es
hauptsachlich - wenn nicht ausschlieBlich - darum ging (bzw. geht), "die menschliche
[...] Arbeit und [das] menschliche [...] Zusammenleben durch die Technik des Zer-
legens" wie McLuhan vor mehr als vierzig Jahren (1964:22) feststellte "zu be-
stimmen", scheint mir, dass dies eine giiltige Beschreibung fur die Praxis des Wissens-
managements von heute ist. Dabei ist es vollkommen gleichgultig, wie dieser Prozess
des Zerlegens genannt wird, er dient der Kontrolle. Paradox wird dieses Vorhaben der
Kontrolle erst dann, wenn durch das Zerlegen das zu KontroUierende verloren geht.
Auch organisationsokonomische Ansatze wie der Transaktionskostenansatz verstehen
Vertrauen als einen essentiellen Bestandteil funktionaler Organisationsroutinen.
Wie ich noch zeigen werde, unterstelle ich in dem hier diskutierten Modell, dass mit
einer sinkenden, subjektiv wahrgenommenen Beschaftigungssicherheit die Bereit-
schaft der Mitarbeiter abnimmt, in die sozialen Beziehungen am Arbeitsplatz zu in-
vestieren. Dadurch werden, so meine Argumentation, reziproke und interdependente
Austauschbeziehungen formeller und informeller Natur in der Organisation briichig,
und in dem relativ kurzen Zeitraum einer Beschaftigung nur weniger intensiv in den
Aufbau von Vertrauen und Sozialkapital investiert. Fehlt es in der Untemehmung an
Sozialkapital, so gelingt es der Organisation als ganzes nur schwer, idiosynkratische
Ressourcen (d. h. implizite, nicht-artikulierbare oder nicht artikulierte Wissensformen
und persOnliche Erfahrungen und personengebundenes Know-how) auszutauschen. An
dieser Fahigkeit, personliche, lokale (Hayek, 1937) und implizite Wissensformen
(Polanyi, 1957) auszutauschen, hangt letztlich die Fahigkeit, so die These hier, uber-
haupt Wissen in einem Untemehmen zu generieren. Gerade deshalb ist ganz im Sinne
der ressourcenorientierten Perspektive die Untemehmung als "Repositorium von
161
Wissen" (Penrose, 1959; Foss, 1998:2) zu konzeptionalisieren. Penrose (1959) be-
zeichnete die Firma nicht nur als ein Repositorium produktiver Wissensformen,
sondem verwies auch darauf, dass ein Untemehmen als Institution zu denken ist die
Wissen produziert. Dieses Wissen ist allerdings kein materieller Vermogensbe-
standteil, sondem entsteht erst durch das Zusammenspiel von materiellen Produktions-
faktoren und immateriellen Leistungen des Humankapitals. Konkret verweist Penrose
darauf, dass die Produktion und das Management des Wissens wie ein Untemehmen
produziert, nicht in der Theorie, erst recht nicht in der Praxis zu trennen ist. Aber
gerade das scheint das Ziel eines auf das Untemehmen zugespitzten Wissensmanage-
ment zu sein. Aber im Vordergrund steht nicht die abstrakte Festschreibung von
personenbezogenen Wissensformen, die vielfach in habitualisierten Praktiken und
organisationalen Routinen stecken, sondem die Produktion und Diffusion dieser
idiosynkratischen Ressourcen. Diese Produktion und Diffusion ist als zentrale
Voraussetzungen zu sehen, um firmenspezifische Kompetenz und firmenspezifische
Ressourcen aufzubauen, also jene FShigkeiten, die Nelson und Winter (1982) in An-
lehnung an Penrose (1959) als ganzes Biindel von Fahigkeiten "bundle of resources"
und Teece, Pisano und Shuen (1997 als dynamische Fahigkeiten ausweisen.
Dementsprechend mOchte ich im Folgenden der Frage nachgehen, unter welchen orga
nisationalen Bedingungen Vertrauen und Sozialkapital entstehen? Warum engagieren
sich Beschaftigte und investieren sie Zeit und Energie in soziale Beziehungen und von
welchen organisationalen Rahmenbedingungen hSngt dieses Engagement ab? Unter
welchen Voraussetzungen investieren Organisationsmitglieder in den Aufbau von So
zialkapital? Und von welchen Faktoren wird der Aufbau von Vertrauen in Organi-
sationen beeinflusst?
1. Zwei allgemeine Szenarien - ein konzeptionelies Modell
Um diese Frage zu beantworten, gehe ich von einem konzeptionellen Modell aus, das
im Folgenden erortert wird. Im dem ersten Fall unterstelle ich einen positiven Zusam-
menhang zwischen der Stabilitat von ArbeitsverhSltnissen und dem Aufbau von
Sozialkapital und Vertrauen. In sozialen Netzwerken mit einem hohen Vorrat an So
zialkapital und Vertrauen ist eine positive Wirkung auf den Austausch von idiosyn
kratischen Wissensformen zu vermuten (Hansen, 1999; Uzzi, 1997; Szulanski, 2003).
Wenn das so ist, dann hat ein Untemehmen jene Voraussetzungen erfUllt, die es in die
Lage versetzt firmenspezifische Kompetenzen und Ressourcen zu entwickeln, die wie-
derum eine positive Wirkung auf den Untemehmenserfolg zeigen (Tsai und Ghoshal,
162
1998). In weiterer Folge unterstelle ich eine positive Wirkung des Untemehmenserfol-
ges auf die Stabilitat von Beschaftigungsverhaltnissen. Damit setzt sich in diesem Mo-
dell ein positiver Zyklus in Gang, der bestehendes Vertrauen verbessert und erweitert,
der die Motivation der Mitarbeiter verstSrkt vorhandene soziale Kontakte weiter zu
pflegen und in neue Kontakte zu investieren. Damit erhSht sich der existierende Be-
stand an Sozialkapital und Vertrauen und die Bedingungen werden weiter verbessert,
um nicht-artikuliertes und nicht-artikulierbares Wissen, das in organisational
Routinen eingebettet ist, auszutauschen. In diesem Szenario kann eine Organisation
die Transaktionskosten in der Ubertragung und in der Nutzung idiosynkratischer Er-
fahrungen gering halten, wenn es gelingt ein soziales Klima zu initiieren in dem die
Kooperation zwischen Mitarbeitem und dem Management nicht nur gewahrleistet
wird, sondem auch einen hohen intrinsischen Wert fur die Betroffenen bringt (Deci,
Ryan, Gagne, Leone, Usunov und Komazheva, 2001). Sozialkapital und Vertrauen er-
mQglichen es, so verstanden, Organisationen Kompetenz und firmenspezifische Res-
sourcen auszubauen und produktiv zu nutzen. Dieser erweiterte Bestand an firmen-
spezifischen Kompetenzen und FShigkeiten wirkt sich wiederum positiv auf das Ge-
samtergebnis der Untemehmen aus.
Die ressourcenorientierte Theorie der Firma geht davon aus, dass intangible Ver-
mSgenswerte wichtige Quellen von Wettbewerbsvorteilen sind (Wemerfelt, 1984;
Barney, 1991 und 2001). In dem hier skizzierten Modell werden der Austausch und
die Produktion von impliziten Wissensformen als Voraussetzung verstanden, damit in
einem Untemehmen firmenspezifische Ressourcen und Kompetenzen aufgebaut wer
den konnen. Damit jedoch nicht-artikulierbares Wissen iiberhaupt ausgetauscht wer
den kann, mussen zum einen ein hoher Grad an Vertrauen und zum anderen ein hoher
Vorrat an Sozialkapital vorhanden sein, so die These. Nur in einer vertrauenswiirdigen
Organisation mit einem hohen Vorrat an Sozialkapital, so die Uberlegung, entstehen
jene positiven, rekursiven, sich selbstverstarkenden sozialen Interaktionen, die den
Austausch und die Generierung neuen Wissens fSrdem. Ein hoher Bestand an Sozial
kapital verbessert dariiber hinaus die AufhahmefShigkeit neuer Wissensformen und
sichert nicht nur den Zugang zum impliziten Wissen einzelner oder koUektiver Ak-
teure. Sozialkapital und Vertrauen werden also nicht nur als Bedingungen konzeptio-
nalisiert, damit in Untemehmen Wissensproduktion und Wissensaustausch stattfinden,
sondem ein hoher Grad an Vertrauen minimiert zusatzlich im Austausch intangibler
Leistungen die damit verbundenen Transaktionskosten und verbessert die Aufiiahme-
fShigkeit nicht artikulierbarer und nicht-artikulierter Wissensformen (Szulanski, 2003).
163
1.1. Modellzusammenhang - Szenario I
Abbildung 29: Stabile Beschaftigung Szenario I (eigene Darstellung)
Aufbau firmenspezifischer Kompetenz und
Ressourcen
Untemehmens-erfolg
Stabile Beschaftigungs-verhaltnisse
Zugriff und Produktion idiosynkratischen
Wissens
Sozialkapital
Vertrauen
In der folgenden Abbildung sind die einzelnen Zusammenhange illustriert. Erfolg-
reiche Untemehmen, so die Uberlegung kQnnen langerfristige und stabile Beziehungen
zu ihren Beschaftigten aufbauen und garantieren. Von dieser Voraussetzung aus-
gehend, so die zentrale Uberlegung, ist es Organisationsmitgliedem eher moglich ver-
trauenswiirdige Beziehungen aufzubauen und in soziales Kapital zu investieren. Es ist
plausibel anzunehmen, dass kurzzeitig Beschaftigte, oder nur im Rahmen eines ein-
zigen Auftrages beschaftigte freie Mitarbeiter beispielsweise, kaum Energie und Zeit
in den Aufbau von dauerhaflen sozialen Beziehungen investieren werden. Anzu
nehmen ist, dass jeweils nur in dem AusmaB in soziales Kapital investiert wird, damit
der jeweilige Auflrag erfolgreich bzw. zufrieden stellend durchgefiihrt werden kann.
Es ist zudem plausibel, dass in diesen Fallen nur insoweit kooperiert wird, wie dies zur
Erfiillung des Auflrages notwendig ist. LSngerbindende soziale Verpflichtungen und
Hilfestellungen, die erst in Zukunft erwidert werden konnen, werden dann gar nicht
erbracht.
Die beschriebenen Zusammenhange sind in der dargestellten Abbildung noch einmal
zusammengefasst. Folgende Uberlegungen sind hier also skizziert. Unterstellt wird,
dass stabile Beschafligungsformen einen positiven Einfluss auf den Aufbau von
Sozialkapital zeigen. Gleichzeitig wird uber stabile Beschafligungsformen auch der
164
Aufbau von Vertrauen in Organisationen beeinflusst. Ich gehe davon aus, dass Ver-
trauen ebenso wie Sozialkapital von einer Reihe mikro-organisationaler Variablen -
die ich im weiteren ausfuhrlich bespreche - wie z. B. idiosynkratischer Arbeitsinhalt,
partizipationsfordemde Managementstrukturen, feedbackorientierte Managementstruk-
turen, Fehlerakzeptanz in der Untemehmung, partizipative Managementstrukturen,
individualisierte Entgeltsysteme und individuelle Leistungskontrolie, Stress und Kon-
trolle, bestimmt werden.
Unterstellt wird dabei, dass ein hoher Grad an Sozialkapital und Vertrauen positiv auf
den Zugriff und auf die Produktion von idiosynkratischem Wissen wirkt. Damit baut
sich - so die Uberlegung - ein Untemehmen einen nachhaltigen Vorrat an firmen-
spezifischen Ressourcen und Kompetenzen auf. Von der Nutzung dieses Vorrats an
firmenspezifischen Ressourcen und Kompetenzen, der mit Teece, Pisano und Shuen
(1997) als ''dynamic capabilities'' konzeptionalisiert wird, ist der Erfolg des Unter-
nehmens bestimmt (Penrose, 1959). Ein erfolgreiches Untemehmen wird sehr viel
wahrscheinlicher in dauerhafte Beschaftigungsbeziehungen investieren kOnnen und
damit das Wissen, das Talent und die Fahigkeiten von Mitarbeitem binden konnen.
1.2. Modellzusammenhang - Szenario II (negativer Zyklus)
Im Szenario II - illustriert in der Abbildung 30 - sind die negativen Zyklen der Zu-
sammenhange skizziert. Ausgangspunkt sind unbest^ndige und kurzfristige Arbeits-
beziehungen in Untemehmen. Angenommen wird, dass BeschSftigte in prekaren und
unsicheren Beschaftigungsformen weniger Energie und Zeit in den Aufbau von sozia-
lem Kapital investieren.
165
Abbildung 30: Instabile Beschaftigung Szenario II (eigene Darstellung)
Erosion firmenspezifischer Kompetenz und
Ressourcen
Verschlechterung des Untemehmens-
erfolg
Erschwerter Zugriff und ^geringere Produktion
idiosynkratischen Wissens
Weniger Vorrat an Sozialkapital
instabile und kurzfristige Beschaftigungs-
verhaltnisse
Geringeres Vertrauen
Wenn ilberhaupt, so ist zu vennuten, dass sie dies nur dann tun, wenn sie tiber das
veraiutete BeschaftigungsausmaB hinaus Vorteile erwarten. Entsprechend ist anzu-
nehmen, dass unsicher Beschaftigte auch kein groBes Interesse haben werden in sozi-
ale Verpflichtungen zu investieren, die tiber ihren zeitlich befristeten Horizont der Be
schaftigung hinausgehen. Angenommen wird auch, dass sie ein geringeres Interesse
haben, in vertrauenswurdige Beziehungen tiber den engsten Kreis ihrer KoUegenschaft
hinaus zu investieren.
Es ist zu vermuten, dass BeschSftigte in prekSren Arbeitsverhaltnissen in einem ge-
ringeren AusmaB in reziproke Verpflichtungen investieren, ais Beschaftigte mit sta-
bilen und dauerhaften Arbeitsvertragen. Weniger plausibel ist es, anzunehmen, dass
kurzfristig Beschaftigte auf Vertrauen gSnzlich verzichten. Es ist allerdings keines-
wegs anzunehmen, dass komplexe, unsichere Umwelten Misstrauen automatisch auf-
bauen. Gerade das Gegenteil ist der Fall. Weick (2001:33If.) sieht Organisationen in
komplexen unsicheren Situationen immer nur dann fahig mit unvorhergesehenen
Pannen erfolgreich umzugehen, wenn sie ein hohes MaB an Vertrauen ausgebildet
haben. Das ist keine nebensachliche These, sondem stellt sich als elementare Voraus-
setzung heraus. Vertrauen ist so verstanden ein essentieller Bestandteil um in kom
plexen und unsicheren Situationen angemessen reagieren und handeln zu kSnnen.
166
1.3. Soziales Kapital und Vertrauen als abhangige Variablen
Karl Weick zeigt, dass mit zunehmender Unsicherheit Vertrauen eine immer grSBere
Rolle spielt (Weick, 2001:331) urn Uberhaupt die Handlungsfahigkeit in komplexen
Situationen aufrechtzuerhalten. Nicht viel anders Luhmann (1968), er sieht die Funk-
tion von Vertrauen primSr in der Reduktion von Komplexitat. Vertrauen reduziert in
sozialen Beziehungen aufwSndige Kommunikationsrituale und minimiert gerade in
Okonomisierten Beziehungen auftretende Transaktionskosten. Es liefie sich hier die
These vertreten, dass vollkommen okonomisierte Beziehungen in einer Gesellschaft,
ebenso in einem Untemehmen, in der Praxis nicht umsetzen lieBen, weil sie mit ex-
trem hohen Transaktionskosten in Verbindung sttinden. Es konstituieren sich also viel-
fSltige Austauschbeziehungen erst durch ein gewisses MaB an Vertrauen. Vertrauen
wurde in der vorliegenden Untersuchung tiber Fragebogen-Items operationalisiert, bei
denen die Einstellung erhoben wurde, in welchem AusmaB Befragte Kollegen und
Vorgesetzten Vertrauen schenken und wie hoch Befragte das Vertrauen, das Kollegen
und Vorgesetzte in sie setzen, einschatzen.
Soziales Kapital und Vertrauen wurden in der vorliegenden Untersuchung als zwei ab
hangige Variable konstruiert. Unter Bezugnahme auf die existierende Sozialkapital-
literatur werden oft beide Konstrukte zusammenzufuhren. Vertrauen bildet aber eine
Voraussetzung fiir die Ausbildung von sozialem Kapital (Putnam, 2000). Werden beide
Merkmal sozusagen ftisioniert, gehen - so die hier vertretene Auffassung - wichtige In-
formationen verloren. Die in der Untersuchung verwendeten Fragebogen-Items lassen
sich fiir das Konstrukt Vertrauen als auch filr das Konstrukt Sozialkapital in einer Ge-
genuberstellung mit der existierenden Literatur zum Thema Sozialkapital als approxi
mative Variable legitimieren. Die Fragebogen-Items fiir das Konstrukt Vertrauen wur
den als fiinfstufige Ratingskala formuliert. Soziales Kapital wird in dieser Untersuchung
durch die tatsachliche Anzahl verschiedener sozialer Kontakte gemessen. Auch wenn in
der einschlSgigen Literatur eine Vielzahl verschiedener Sozialkapitaldefmitionen exis-
tiert, haben alle mehr oder weniger gemeinsam, dass es dabei um die Quantitat und
Qualitat der sozialen Kontakte in einer sozialen Gemeinschaft geht. In dem hier in dieser
Untersuchung implizit verwendeten Verstandnis, geht es aber in dem Versuch, soziales
Kapital festzumachen, immer um das AusmaB der sozialen Einbettung einzelner Ak-
teure in einen Verband anderer sozialer Akteure und den Ressourcen, die dadurch zur
Verfiigung stehen.
167
Im vorhergehenden Abschnitt wurde die Vielfalt der verschiedenen Sozialkapitaldefini-
tionen diskutiert. Es ging dabei nicht eine Perspektive gegeniiber einer anderen zu dis-
kriminieren. Wie gezeigt wurde, ist mit dem Begriff Sozialkapital eine komplexe soziale
Wirklichkeit von sehr verschiedenen Standpunkten heraus beschrieben. In einer empi-
rischen Untersuchung stellt sich aber immer die Frage, in welchem AusmaB diese Viel-
faltigkeit eines Konstrukts auf eine messbare Grofie, die reliable und valide fiir das
Konstrukt steht, heruntergebrochen werden kann. Einen Vorteil dieser Untersuchung
sehe ich darin, dass ein erster Versuch gemacht wird, um dieses komplexe Phanomen zu
beschreiben und einer empirischen Uberprufung zuzufuhren. Zentrales Erkenntnis-
interesse hierbei ist es einzelne Faktoren herauszuarbeiten, die das AusmaB und das Ent-
stehen von sozialem Kapital erklaren. Die tatsSchliche empirische Realitat dieser Fak
toren kreist - wie sich zeigen wird - um die Frage der Integration (Eingrenzung) und
Ausgrenzung sozialer Akteure in einer konkreten Menge von sozialen Beziehungen.
Allerdings soil hier nicht der Eindruck vermittelt werden, dass die Struktur das be-
stimmende Element ist bzw. die einzelnen Moglichkeiten und Handlungen der Akteure
determiniert. Putnam beispielsweise hat Sozialkapital hauptsachlich mit dem zivilgesell-
schaftlichen Engagement gleichgesetzt. Den von ihm verwendeten Sozialkapitalindex
hat er aus folgenden vierzehn Indikatoren zusammengesetzt (siehe hierzu: Putnam,
2000:414ff.). Folgende Fragebogen-Items verwendet Putnam zur Generierung des Vor-
rats an Sozialkapital. 1. Agree that "I spend a lot of time visiting friends"; 2. Agree that
"Most people can be trusted"; 3. Agree that "Most people are honest"; 4. Attendance at
any public meeting on town or school affairs in last year (percent); 5. Number of civic
and social organizations per 1000 population; 6. Average number of club meetings
attended in last year; 7. Average number of group memberships; 8. Average number of
times volunteered in last year; 9. Average number of times entertained at home in last
year; 10. Average number of times worked on community project in last year; 11.
Number of non-profit organizations per 1000 population; 12. Served as officer of some
club or organization in last year (percent); 13. Served on committee of some local
organization in last year (percent); 14. Turnout in presidential elections, 1988 and 1992.
Putnams Ansatz soziales Kapital zu messen hat Vor- und Nachteile. Der zentrale Vorteil
liegt darin, dass es sich hierbei um relativ einfach zu erhebende Daten handelt. Auch
sind die Daten eindeutig messbar, was ein wichtiges, jedoch sehr oft tibergangenes
Kriterien in sozialwissenschaftlichen Untersuchungen ist. Insbesondere in den USA sind
tiber mehrere Jahrzehnte hinweg umfangreiche Datensatze zu den von Putnam heraus-
gegriffenen Fragen vorhanden. Putnam hat auch auf seiner Webseite die Datensatze zur
Verfiigung gestellt. Ein weiterer Vorteil liegt darin, dass hier das Konstrukt Sozial-
168
kapital mit der Annahme verbunden ist, dass ein freiwilliges und unentgeltliches
Engagement in gesellschaftlichen Bereichen (z. B. in Vereinen, Nachbarschaftsgruppen
etc.) das soziale Engagement einer untersuchten Population zeigt. Ein Nachteil ist je-
doch, dass diese Methode der Messung des zivilen Engagements mit Reziprozitat
gleichgesetzt wird (vgl Putnam, 2000: 505).
Ich der vorliegenden Untersuchung wurde durch die foigenden Fragebogen-Items
Soziaies Kapital operationalisiert. Aus den einzelnen Fragebogen-Items wurde ein Index
konstruiert, der aus der Summe der jeweiligen sozialen Kontakte des Befragten besteht.
Die abhSngige Variable Sozialkapital wurde also durch
• die Anzahl der Kontakte die Beschaftigte mit Kollegen unterhalten,
• die Anzahl der Kontakte zu Kollegen, auf die sich - in ihrer EinschStzung - die Be
fragten 100%ig verlassenkonnen;
• die Anzahl der Kontakte zu Kollegen und die Anzahl der Kontakte zu Vorge-
setzten, die von den Probanden als freundschaftliche Kontakte eingestuft werden;
und durch
• die Anzahl der sozialen Kontakte zu Kollegen mit denen aktiv Freizeit verbracht
wird.
Welters bin ich von der Uberlegung ausgegangen, dass jene Kontakte besonders starke
Bindungen aufweisen, mit denen die Befragten auBerhalb der Arbeitszeit Freizeitaktivi-
taten durchftihren.
Vertrauen zu messen erscheint auf den ersten Blick problematischer. In einer wissen-
schaftlichen Analyse von Vertrauen lassen sich einige zentrale Komponenten identifi-
zieren. In der durchgefuhrten Untersuchung ging es primSr darum, festzuhalten, in
welchem Ausmafi einzelne Akteure anderen Kollegen und ihren Vorgesetzten Ver
trauen schenken und welche Einschatzung sie selbst haben, in welchem Ausmafi
Kollegen und Vorgesetzte ihnen selbst Vertrauen schenken. Gemessen wurde dies mit
der Formulierung geeigneter Fragebogen-Items mit einer ftinf-stufigen Ratingskala
und es wurde daraus ein Index fur das Konstrukt Vertrauen gebildet.
Die ganze Komplexitat von Vertrauen und die einzelnen Funktionen von Vertrauen
standen also hier nicht im Vordergrund. Gemessen wurde die Einschatzung der Be
fragten wer ihnen vertraut und wem sie selbst Vertrauen schenken. Das andert nichts
daran, dass Vertrauen die im konzeptionellen Modell dieser Untersuchung unter-
169
stellten Funktionen erfUUt. Wie in den vorigen Abschnitten erlSutert, besteht diese
Funktion darin, dass Vertrauen die Handlungsfdhigkeit von Akteuren in komplexen
und groBteils unsicheren Umwelten sicherstellt. Vertrauen ist ein unerlSssliches
Schmiermittel in wirtschaftlichen Transaktionen (Arrow, 1974).
Mit Luhmann iSsst sich feststellen, wie erwahnt, dass Vertrauen Komplexitat reduziert
und damit erst eine Systemfunktionalitat herstellt. Auf dieser Ebene Vertrauen zu
messen ist schwierig. Ein weiterer angesprochener Aspekt von Vertrauen bezieht sich
auf die Einschatzung von Risiken, die jegliche Handlung eines Akteurs einschliefit.
Vertrauen impliziert somit immer das Risiko der Enttauschung durch eine Handlung
Oder ein Handlungsergebnis, das erst in der Zukunfl eintritt. Der Versuch Vertrauen
auf dieser kognitiven und handlungspraktischen Ebene zu messen ist schwierig, well
damit mit groBer Wahrscheinlichkeit nicht das Vertrauen, sondem das AusmaB an
Enttauschung gemessen wird. Da Vertrauen immer mit einer zukiinftigen Verhaltens-
erwartung in Zusammenhang steht, ist es zudem problematisch konkrete Einstellungen
von gegenwartigen, vergangenen und erwarteten zukiinftigen Handlungen abzu-
grenzen.
Vor dem Hintergrund dieser Uberlegungen habe ich mich entschieden, standardisierte
Fragebogen-Items in der Untersuchung zu verwenden, die sich darauf beschrSnken den
jeweiligen Grad an Vertrauen der Befragten in Kollegen und Vorgesetzte mit einer
fiinfstufigen Ratingskala zu messen. Der Vorteil standardisierter Fragebogen-Items mit
einer Ratingskala liegt darin, dass es sich hier um ein bewShrtes Testverfahren handelt,
mit dem Einstellungen gemessen werden konnen. Vertrauen als abhangige Variable
habe ich aus den Fragebogen-Items konstruiert, die primSr direkt die Einstellimg der
Befragten messen, ob sie ihren unmittelbaren Kollegen Vertrauen schenken, ob sie
ihren Vorgesetzten Vertrauen schenken, und inwiefem sie fmden, dass ihre Vorge-
setzten Vertrauen in sie setzen.
Sozialkapital und Vertrauen wurden aus pragmatischen Grthiden als zwei getrennte
abhangige Variable konstruiert. Primar deshalb, well ich die Anzahl der freundschaft-
lichen und verlasslichen Kontakte ein ganz zentrales Merkmal von Sozialkapital-
defmitionen ist. Innerhalb der Sozialkapitalliteratur lassen sich zwei Richtungen fest-
machen in denen diese beiden Defmitionen gebrauchlich sind. Eine Richtung betrifft
hauptsachlich Arbeiten von Burt (1992, 1997), Fortes (1998) und Lin (2001) die So
zialkapital mit der Struktur und der Qualitat von sozialen Netzwerken in Verbindung
bringen. Woolcock (1998) bezeichnet diese Form der Messung von Sozialkapital als
170
eine Bewertung des sog. linking social capital, well vorwiegend die Anzahl der
Bindungen bewertet werden. Eine andere Richtung in der Sozialkapitalliteratur, die
mit Arbeiten von Putnam (2000) in Verbindung gebracht wird, versucht Sozialkapital
Uber die Eigenschaft der Solidaritat, des zivilen Engagements und des Vertrauens, das
in soziaien Gruppen oder Gesellschaften existiert zu messen.
Grundsatzlich geht es in dieser Untersuchung ja darum, diejenigen organisationalen
Faktoren herauszuarbeiten, die das AusmaB von Vertrauen und Sozialkapital beein-
flussen. Zurzeit existiert in der einschlSgigen Literatur zum Thema Sozialkapital und
Vertrauen keine einschlagige empirische Untersuchung zu dieser Frage. Neuere
Arbeiten konzentrieren sich primSr darauf, die Dimensionen von Sozialkapital zu er-
heben (vgl. hierzu Grootaert, Narayan, Jones, und Woolcock, 2003). Andere Arbeiten
konzentrieren sich auf die Untersuchung der Wirkung von Sozialkapital und kon
zentrieren sich auf die Frage, welchen wirtschaftlichen Wert Vertrauen in Orga-
nisationen einnimmt (Woolcock, 1998).
Die generelle These in dieser Arbeit ist, dass prekSre und instabile Beschafligungs-
formen kaum oder in einem sehr geringen AusmaB den Aufbau von Vertrauen und
Sozialkapital ermQglichen. Daruber hinaus ist es von Interesse, von welchen organi
sationalen Faktoren der Vorrat an Vertrauen und Sozialkapital in Organisationen be-
stimmt wird. Um diese Frage zu beantworten wurde eine Fragebogenuntersuchung
durchgefuhrt mit der verschiedene organisational Eigenschaften gemessen wurden. In
der Erstellung des Fragebogens konzentrierte ich mich darauf, jene Merkmale einer
Organisation als Fragebogen-Items zu formulieren, die mit der Produktion und dem
Austausch von Wissen in Zusammenhang stehen und von denen im Ruckgriff auf die
existierende Literatur angenommen werden kann, dass sie sowohl den Bestand an
Vertrauen als auch den Vorrat an Sozialkapital beeinflussen. In der Untersuchung
wurden daher die folgenden Faktoren erhoben:
• die Kritikfahigkeit der Organisation;
• das AusmaB des praktizierten Feedbacks in einem Untemehmen;
• die Kooperationsbereitschaft der Mitarbeiter;
• den Umfang der Einbindung der Mitarbeiter in organisationale Entscheidungspro-
zessen;
• die Identifikation der Probanden mit den eigenen organisationalen Arbeitsauf-
gaben;
• das AusmaB der von den Befragten wahrgenommen Aufgaben-Interdependenz;
171
• der Umfang der Abgeltung der individualisierten Leistungserbringung in der Ein-
schatzung der Befragten;
• in weichem Umfang Befragte, die eigenen Arbeitsaufgaben unter Stress und
Arbeitsdruck ausiiben;
• dariiber hinaus wurden allgemeine soziodemografische Merkmale erfasst, wie
z.B. EinkommenshShe, Alter, Beschaftigungsdauer im Untemehmen, Ein-
schatzung der eigenen Mobilitat und Fragen zur Stellung in der Hierarchie in der
Organisation, neben den sonst iiblichen soziodemografischen Angaben.
Das erkenntnisleitende Interesse in der vorliegenden Arbeit richtete sich darauf,
mikro-organisationale Faktoren herauszuarbeiten, die die Entstehung von Sozialkapital
und Vertrauen erklaren. Im empirischen Teil dieser Arbeit steht jedoch weniger die
Sichtweise bzw. die Bewertung des Managements und der leitenden Angestellten im
Mittelpunkt des Interesses, sondem die Befragung richtete sich auf die Messung der
Einstellungen einfacher und mittierer Beschaftigter in Untemehmen. Mit dem Ergeb-
nis der Befragung wurde eine konfirmatorische Faktorenanalyse durchgefiihrt. Ergeb-
nis dieser Faktorenanalyse waren mikro-organisationale Faktoren, die als unabhangige
Variable in das Modell und in die Hypothesenformulierung einfliefien.
1.4. Faktorenanalyse ausgewahlter Fragebogen-Items (abhangigen Variable)
Bei der Faktoranalyse geht es um die Reduktion von Informationen. In diesem Ver-
fahren werden Kommunalitaten einer groBeren Anzahl von Variablen reduziert, indem
Items mit sehr ahnlichem Antwortverhalten zusammengefasst werden. Hinter den zu-
sammengefassten Items steht ein Konstrukt, das fiir das gemessene Merkmal steht. Die
Faktorenanalyse ist ein Verfahren, mit dem einzelne Gruppen von Faktormustem
identifiziert werden. Das Verfahren pruft, inwieweit eine Gruppe von Items starker
miteinander zusammenhangt und welche Gruppe von Items nicht mit dem ausge-
wiesenen Faktor in Zusammenhang steht. Im Rahmen der fur diese Arbeit durchge-
fuhrten Faktorenanalyse wurden die im Folgenden diskutierten Faktoren extrahiert.
Die Darstellung der Ergebnisse der Faktorenanalyse dient nicht nur der Beschreibung
der in die Modellrechnung eingebrachten unabhangigen Variablen, sondem dient auch
der Diskussion der Faktoren vor dem Hintergrund der einschlagigen Literatur und hat
zum Ziel, die zentralen Thesen, die einer empirischen Prtifung unterzogen werden,
vorzustellen.
172
1.4.1. Ergebnisse und Interpretation der Faktoren
1.4.1.1. Faktor 1 - idiosynkratischer Arbeitsinhalt
Die Gestaltung von Arbeitsaufgaben ist in der Organisationsforschung eine der zen-
tralen Herausforderungen. Ausgehend von den Hawthome-Studien hat sich die Orga
nisationsforschung immer wieder mit ArbeitsgestaltungsmaBnahmen auseinanderge-
setzt, um die Produktivitat in Untemehmen zu verbessem. Eine kritische Auseinander-
setzung mit dieser Thematik steht dabei jedoch in der einschlagigen Literatur nicht im
Vordergrund. Das mag damit zu tun haben, dass die Fragestellung und die Auftrag-
geber der Forschungsfragen, von der privilegierten Sicht des Managements ausgehend
sich mit dieser Problematik auseinandersetzten und die Perspektive des Forschers
dabei eine sehr eingeschrankte blieb. Arbeitsgestaltungsaufgaben sind immer einge-
bettet in einen Diskurs der in konkreten sozialen Feldem Macht und Herrschaft legi-
timiert (Bourdieau, 1999). Fragen der ArbeitsqualitSt, Uberlegungen zum An-
reicherung von Arbeitsaufgaben, die in der US-amerikanischen Literatur unter dem
Etikett Job enrichment diskutiert werden und damit in Verbindung stehende Arbeitsge
staltungsmaBnahmen, die Anreicherung der Entscheidungsfreiheit in der Ausfiihrung
von Arbeitsaufgaben, oder die Autonomisierung von Arbeitsaufgaben, im US-ameri
kanischen Kontext als empowerment diskutiert werden, haben vorwiegend einen
instrumentellen Charakter und sind seit geraumer Zeit implizite Elemente in der exis-
tierenden Forschungsliteratur (Lawler, 1992; Ichniowski, Kochan, Levine, Olson und
Strauss, 1996). Dieser Diskurs ist zum GroBteil darauf zuriickzuftihren, dass ein-
schlagige Arbeitsaufgaben in der industriellen Produktion und im Speziellen per-
sonenbezogene Dienstleistungen sich in einem immer groBeren AusmaB einer direkten
Kontrolle durch das Management entziehen und es deshalb zunehmend darum geht,
den personlichen Einsatz der ArbeitskrSfte, ihr Engagement durch MaBnahmen der
Integration zu verbessem. In der Organisationstheorie und im Humanressourcen-
management wird dabei unterstellt, dass ArbeitsgestaltungsmaBnahmen, die im Modell
der "High-Involvement-Work-Systeme" gipfeln (vgl. hierzu Becker, Huselid und
Ulrich, 2001), einzelne Arbeitnehmer in die Lage versetzen, Informationen besser zu
verarbeiten und zu verstehen (Spreitzer, 1996). Empirische Studien zum Thema
streichen heraus, dass high involvement work practices positive Effekte auf die
Produktivitat und den Untemehmenserfolg zeigen (Guthrie, 2001; Kochan und
Osterman, 1994; Lawler, 1992; Pfeffer, 1998). In diesen Untersuchungen wird implizit
die These vertreten, dass die Humanressourcen eine zentrale Quelle nachhaltiger
Wettbewerbsvorteile sind (Barney, 1991; Wemerfelt, 1984; Huselid, 1995).
173
Die Auswertung und Interpretation der Faktorenanalyse weist darauf hin, dass die in
der neu generierten Variablen (Arbeitsinhalt) zusammengefassten Items fur das von
den Probanden selbsteingeschatzte und in ihrer personlichen Realitat wahrgenommene
AusmaB der Qualifikation und der Qualitat der ausgeubten Tatigkeiten steht. In diesen
Faktor fliefien folgende Fragebogen-Items ein: Einmal steht der Faktor Arbeitsinhalt
fiir die Einschatzung der Befragten inwieweit eigene FShigkeiten und Qualifikationen
als abwechslungsreich wahrgenommen werden (task variety); weiters sammeh der
Faktor die Einstellung der Befragten, ob die eigenen beruflichen Qualifikationen und
Fertigkeiten schwer anzueignen sind; weiters steht der Faktor fiir die Einsch^tzung, ob
die eigenen Arbeitsaufgaben als wichtig eingeschatzt werden und schlieBlich ist in
dem Faktor Arbeitsinhalt die Einstellung zusammengefasst, in welchem Ausmafi sich
die Befragten mit ihren Arbeitsaufgaben identifizieren. In diesem Faktor sind also
Merkmale zusammengefasst, die die Aufgabenvariabilitat, die Aufgabensignifikanz
und im weitesten Sinn die Zufriedenheit mit der ausgetibten Tatigkeit bewerten.
Der Faktor "Arbeitsinhalt" steht sowohl als MaB ftir den Grad der Qualifikation und
fur die Qualitat des Arbeitsinhaltes als auch fur die Identifikation mit den jeweiligen
Arbeitsaufgaben. Die mit diesem Faktor in Verbindung stehende These nimmt an, dass
die Aufgabensignifikanz, die Identifikation und die Variabilitat der Arbeitsaufgaben
einzelne BeschSfligte motivieren, in die Festigung und in den Ausbau existierender
sozialer Beziehungen und in den Aufbau von Vertrauen zu investieren. Entsprechend
lautet Hypothese 1 (HI): Idiosynkratischer Arbeitsinhalt erhoht die intrinsische Moti
vation und fbrdert die Bereitschafl eines Beschaftigten in den Aufbau von Sozial-
kapital und Vertrauen zu investieren.
1.4.1.2. Faktor 2 - partizipationsfordernde Managementsysteme (Partizipation)
Eine daran anschlieBende Uberlegung ist die Frage, in welchem AusmaB Beschaftigte
im Rahmen ihrer Arbeitstatigkeit in organisational - und ihren Aufgabenbereich
betreffende - Entscheidungen durch das Management eingebunden sind oder im
weitesten Sinn durch die Organisation die Partizipation in Entscheidungsstrukturen
fordert. In einschlagigen Studien wird darauf verwiesen, dass partizipative Manage-
mentstrukturen zu besseren Entscheidungen in Organisationen fuhren (Pasmore und
Friedlander, 1982: 343). Der Erfolg partizipativer Managementmodelle wird insbeson-
dere damit in Verbindung gebracht, well damit die Ideen und das Wissen der Mitar-
beiterinnen in die Losung von Organisationsproblemen integriert werden. Beschaftigte
akzeptieren auch sehr viel eher Entscheidungen, wenn sie daran partizipieren und
174
nehmen Veranderungen positiver wahr, die mit organisationalen Entscheidungen zu-
sammenhangen, wenn sie in die Entscheidungsprozesse selbst integriert wurden. Die
von Hersey und Blanchard aus ihrer situativen Perspektive heraus entwickelten
Fiihrungskonzeptionen, identifizieren beispielsweise den partizipativen Fiihrungsstil
als einen, der bezogen auf das beziehungsorientierte Verhalten der Mitarbeiter einen
hohen Grad an Unterstutzung entstehen iasst (Hersey und Blanchard, 1988). Partizi-
pation fbrdert also die Kooperation in Organisationen. Dieser auf der Beziehungsebene
hohe Grad an Unterstutzung, so Hersey und Blanchard (1988) erlaubt es, die Ideen und
die Unterstutzung der Beschaftigten zu nutzen. Einmal abgesehen von der Gefahr der
Instrumentalisierung von partizipativen FuhrungsansStzen, ist es unstrittig, dass Mitar
beiter in Zuge der Teilhabe an Entscheidungsprozessen prinzipiell mehr Engagement
entwickeln und sich in einem sehr viel grOBeren AusmaB in die Organisation ein-
bringen, als ohne Partizipation. Welters ist anzumerken, dass wir als Personen nicht
isoliert lemen, sondem in einen sozialen Kontext eingebettet sind. Der thematische
Hintergrund dieser Frage zielt darauf ab, dass es eine Bedeutung hat, ob Aufgabenbe-
reiche als eigenbestimmt oder fremdbestimmt wahrgenommen werden. Argyris unter-
strich: "all people learn from experience" (Argyris, 1957:15). Erfahrung ist das Ergeb-
nis des Austauschs impliziter und expliziter Wissensformen (Polanyi, 1957). Die Be-
dingungen dieses Austauschs sind eingebettet in organisational Routinen. In der ein-
schlagigen Literatur wird das AusmaB, in dem Beschaftigte sich in verschiedene Ent-
scheidungsroutinen einbringen konnen, als wesentlicher Prozess konzeptionalisiert
(Argyris, 1965; Likert und Hayes, 1957; Deci und Flaste, 1995). Die Organisations-
theorie hat verschiedene Faktoren identifiziert, die die Bereitschaft von Beschaftigten
fordert/zerstort, sich aktiv mit ihren konkreten Fahigkeiten einzubringen (March, 1994
und 1999; Deci, Ryan, Gagne, Leone, Usunov und Komazheva, 2001).
Die in diesem Faktor zusammengefassten Items beziehen sich auf die von den Be-
fragten subjektiv wahrgenommene Partizipation im Zuge getroffener Entscheidungen
der unmittelbaren Vorgesetzten. Es handelt sich um folgende Fragebogen-Items: Ent
scheidungen, die mich betreffen, werden ohne mich getroffen; Entscheidungen, die
meine Arbeit betreffen, werden mir nur mitgeteilt, wenn sie gefallen sind; ich habe
Probleme bei Anwesenheit von Vorgesetzten, eine abweichende Meinung zu vertreten;
die eigene Meinung ist ftir den Vorgesetzten bei Entscheidungsprozessen wichtig.
Bei der Formulierung dieser Fragebogen-Items ging ich von der Uberlegung aus, dass
die Integration von Beschaftigten als wesentliches Kriterium einer lemenden resp.
wissensorientierten Organisation gelten kann. Daruber hinaus zeigen Deci und Flaste
175
(1995) im Rahmen vieler Experimente, dass Integration ein konstitutives Element von
Selbstwert ist. Vor diesem Hintergrund scheint es plausibel, folgende Hypothese Nr. 2
zu formulieren.
H2: Partizipative Managementsysteme unterstutzen die Bereitschaft von Beschaf-
tigten, in den Aufbau von Vertrauen und Sozialkapital zu investieren.
1.4.1.3. Faktor 3 -feedbackorientierte Managementsysteme (Feedback)
In komplexen Organisationsumwelten ist Feedback eine wesentliche und bestands-
kritische Eigenschaft. Feedback dient der Steuerung von Untemehmen und ist unver-
zichtbar um die Produktion und den Austausch von Wissen zu unterstutzen. System-
orientierte Ansatze in der Managementforschung sprechen in diesem Zusammenhang
von der Notwendigkeit eine lemende Architektur zu schaffen (Sanchez, 2002:223).
Diese lemende Architektur ist ganz unzweideutig der Bauplan oder die Struktur ftir die
handelnden Akteure. Einzelne Handlungsergebnisse werden als Interaktion (interagier-
ender Personen) konzeptionalisiert (Weick, 1995) und Koordinations- und KontroU-
aufgaben in einer Organisation werden dabei als Reaktionen auf bereits stattgefundene
Handlungen und Handlungsprozesse problematisiert, die nicht von isolierten, sondem
von in einer Struktur von Handlungen miteinander interagierenden Akteuren erfolgen.
Weick sieht darin das Ergebnis bzw. die „Entstehung von dauerhaften sozialen Be-
ziehungen" (Weick, 1995:131). Organisieren wird hier als Prozess begriffen und dieser
Prozess ist bestimmt durch ineinandergreifende Handlungen von zwei oder mehreren
Personen. Weick vertritt die These, dass dabei eine wechselseitige Aquivalenz (das
heifit anders formuliert eine ReziprozitSt) entsteht mit einer minimalen Gemeinsamkeit
(Weick, 1995:148). Minimale Gegenseitigkeit kann sich zu dauerhaft wechselseitig
vorteilhaften Interaktionen entwickeln (Weick, 1995:152; Axelrod, 1984). Sozialkapi
tal und Vertrauen werden hier als konstitutive Elemente einer ubergreifenden Infra-
struktur der wissensorientierten Organisationsform verstanden, die die Entwicklung
wechselseitig vorteilhafler Interaktionen dauerhaft unterstutzen. Ein unverzichtbares
Element, das Lemen und Wissensaufl^au ermoglicht, ist, ob es einer Untemehmung
gelingt, selbstreferentielle Feedbackschleifen zu installieren (Weick, 1995). In diesem
Zusammenhang ist es von Bedeutung, inwiefem das Management sich ftir die
Perspektiven, Ansichten und Angelegenheiten der Beschaftigten interessiert (Deci,
Eghrari, Patrick und Leone, 1994). Wesentliche Teilbereiche der Organisationstheorie
gehen ja davon aus, dass ganz allgemein die "gemeinsame Interpretation" von Tat-
sachen als Bindemittel zu verstehen ist, die das Konstrukt Organisation zusammenhalt
176
(Smircich, 1983; Weick, 1995 und 2001). Aus ganz unterschiedlichen methodolo-
gischen Positioner! heraus sehen Hayek (1937) und Polanyi (1957), Wissen erst durch
den Austausch gemeinsamer Erfahnmgen entstehen. Wenn gemeinsame Erfahnmgen,
die eingebettet sind in soziale Strukturen, als wichtig verstanden werden, dann ist es
notwendig, dass Organisationen Feedback zulassen. Vor diesem Hintergrund und mit
diesen Uberlegungen habe ich einzelne Fragebogen-Items konstruiert, die dieses
Merkmal messen.
Die in diesem Faktor zusammengefassten Fragebogen-Items soUen die Einstellung der
Befragten, die in Zusammenhang mit dem Feedback stehen, erheben. Dabei wurde
untersucht, ob die Befragten der Meinung sind, dass Vorgesetzte sich fiir die Sicht-
weise der Mitarbeiter interessieren; ob Verbesserungsvorschiage in der Organisation
positiv angenommen werden und ob die Befragten den Eindruck haben, dass sie tiber
Informationen verfiigen, mit denen die eigenen Arbeitsprozesse verbessert werden
konnen.
Feedbackfahige Management- und Organisationsstrukturen verstehe ich also als Vor-
aussetzung einer wissensorientierten Untemehmung, well die Anforderung in einer
komplexen Aufgabenumwelt, Korrekturen auch bei eingespielten Organisations-
routinen und Handlungspraxen vorzunehmen, von dem in der Organisation produ-
zierten Feedback abhangt. Dieses Feedback kann negativ oder positiv sein. Unab-
hangig davon ist Feedback als Information zu interpretieren, die uber die von der Um-
welt wahrgenommene Qualitat des Outputs Auskunfl gibt. Es ist anzunehmen, dass
Mitarbeiter, die Feedbackprozesse als positive Organisationsprozesse kennen lemen,
sehr viel aktiver in den Aufbau von Sozialkapital und Vertrauen investieren. Unab-
hangig vom Grad und der Qualitat des Feedbacks ist es nicht unbedeutend, wie Orga
nisationen mit Fehlem umgehen. Die Frage lautet daher, ist eine Organisation in der
Lage Fehler anzusprechen und zu verarbeiten oder werden Fehler ignoriert oder iiber-
haupt nicht verarbeitet? Wie Organisationen mit unliebsamen Entscheidungen um
gehen, haben March und Olsen (1989) mit ihrer Metapher des "garbage can" um-
schrieben. Unangenehme und schwierige Entscheidungen werden aufgeschoben oder
unter den Tisch gekehrt. Komplexe und unsichere Entscheidungssituationen bleiben
unangegriffen. Virulente Probleme manifestieren sich so in nicht voUzogenen Ent
scheidungen und werden uber komplexe Prozesse der VerdrSngung im Laufe der Zeit
delegitimiert. Sachzwange und Zeitdruck sind zentrale Bestandteile dieser Delegi-
timierungsstrategien einer Organisation und des prinzipiell dafur zustandigen Manage
ments. Feedbackprozesse stSren diese Verdrangungsprozesse. Wesentlich hierbei ist,
177
dass die Qualitat der Feedbackprozesse daruber entscheidet, ob identifizierte Fehler in
die offiziellen Kommunikationsprozesse eingespeist werden.
In diesen Faktor sind also Fragebogen-Items zusammengefasst, die die Sensibilitat und
die positive Aufnahme von Fehlem in der Organisation messen. Ich interpretiere den
Faktor 3 ais eine Organisationsvariable, die dazu beitrSgt, ob tiberhaupt Fehler-
meldungen in einer Organisation als Motivation gelten. Eine geringe AusprSgung der
Variable weist hingegen auf eine organisational Pathologie bin, die es den Be-
schaftigten quasi unmoglich macht, im Arbeitsalltag Fehler einzugestehen und wahr-
zunehmen, well SachzwSnge und Zeitdruck eine Auseinandersetzung mit Fehlem als
Stoning, im schlimmsten Fall als lamentieren erscheinen lassen.
Mit den in diesem Faktor zusammengefassten Items wurde die Einstellung der Be-
fragten zu den folgenden Aussagen gemessen: 1st das Ansprechen von Fehlem eine
positive Erfahrung im Untemehmen? Werden VerbesserungsvorschlSge positiv aufge-
nommen? Interessieren sich Vorgesetzte fur die Sichtweise der Mitarbeiter? In alien
drei Fragebogen-Items habe ich eine positive Einstellung zur Formuliemng, zur Arti-
kulation und zur Aufnahme von Fehlem ausformuliert und die Einstellung der Be-
fragten gepruft. Ich nehme also an, dass eine so verstandene Fehlerakzeptanz der
Organisation sich positiv auf den Aufbau von Vertrauen und Sozialkapital auswirkt.
Hypothese Nr. 3 lautet daher: (H3) Feedbackorientierte Organisationen untersttitzen
Mitarbeiter in ihrer Bereitschaft in Sozialkapital und Vertrauen zu investieren.
1.4.1.4. Faktor 4 - Aufgabenkontrolle (Autonomie)
Organisationen untersttitzen und zerstOren in vielfHltiger Weise die Kooperationsbe-
reitschaft interdependenter Organisationsmitglieder. Fiir den Austausch einer intangib-
len Leistungen (wie z. B. Wissen) ist dies im besonderen AusmaB von Bedeutung, weil
die konkreten Inhalte vielfach nicht vor, noch nach der Ubertragung eines Leistungs-
austauschs festzumachen sind. In der Okonomischen Theorie spricht man deshalb von
Vertrauensgtitem. Nun ist es aber gerade so, dass in sehr vielen Organisationen nicht
Vertrauen vorherrscht, sondem in vielen Fallen kultivieren Organisationen ein Klima
des Misstrauens und der Kontrolle, das freiwillige Kooperation zerstSrt bzw. er-
schwert. UmstmkturierungsmaBnahmen, standige VerSnderungen von Leistungsver-
einbarungen, MaBnahmen im Zuge von Dovmsizing und Reengineering Projekten
haben gezeigt, dass Sozialkapital und Vertrauen in einem groBen AusmaB in den
Untemehmen zerstort (Herriot, Hirsh und Reilly, 1998:17). Tatsache ist, dass Unter-
178
nehmen, in denen ein hoher Grad an Misstrauen existieit, grundsStzlich auf die intelli-
gente Steuerung durch Selbstreferenz ihrer Organisationsmitglieder verzichten. An die
Stelle von Kritikfahigkeit und Selbstandigkeit treten Fremdbestimmung und instru-
mentelles Denken. Managementsysteme, die ihre Planungssicherheit uber strikte Hier-
archien gewinnen, laufen Gefahr, mit ihren Kontrollinstrumenten permanente Uber-
steuerungen vorzunehmen, die in ihrer Wirkung kontraintuitiv (Crozier und Friedberg,
1993) und kostenintensiv sind. Misstrauen und strikte Kontrolle zeigen sich als kontra-
produktive Steuerungs- und Koordinationsinstrumente in Organisationen. Tatsachiich
verzichten Organisationen damit auf die Fahigkeiten und das Talent ihrer Be-
schaftigten (Leonard-Barton, 1992 und 1998).
Deci und Flaste (1995) zeigen in ihren experimentellen Studien den Einfluss ver-
haltenswissenschaftlicher Faktoren auf die Entstehung intrinsischer Motivation. Sie
weisen nach (Deci, Driver, Hotchkiss, Robbins und Wilson, 1993), dass autonome und
selbstbestimmte Aufgaben (im Gegensatz zu kontroUierten und fremdbestimmten) den
Grad der intrinsischen Motivation bestimmen. Intrinsische Motivation versteht Deci
(Deci, Connel und Ryan, 1989) als Prototyp autonomen Handelns (Gagn^ und Deci,
2005). An diese Forschungsarbeiten anschliefiend argumentiere ich, dass idiosynkra-
tische Fahigkeiten und Wissensformen nur freiwillig in vollem Umfang weitergegeben
werden, wenn der Sender idiosynkratischer Wissensformen intrinsisch motiviert ist, so
die These, dann ist der Einfluss der Faktoren Autonomic und Selbstbestimmung von
Bedeutung. Das AusmaB der intrinsischen Motivation, die implizit tiber den Umfang
der Autonomic, bzw. wie Deci es formuliert, den Grad an Selbstbestimmung bestimmt
wird (Gagne und Deci, 2005) ist ein ganz zentrales Element einer Organisationskultur
in der Vertrauen und Sozialkapital willig sind. Die Verkntipfung zwischen Autonomic
und Selbstbestimmung und dem Aufbau von Sozialkapital sehe ich tiber freiwillig ein-
gegangene reziproke Verpflichtungen gegeben. Diese reziproken Verpflichtungen
sind, wie ich im vorigen Abschnitt zu zeigen versucht habe, eingebettet in cine soziale
Struktur. Die Uberlegung ist aber die, dass diese Einbettung von interdependenten Be-
ziehungen nur dann positiv auf Vertrauen auf Sozialkapital wirkt, wenn Autonomic
und Selbstbestimmtheit nicht beschrSnkt werden. In Organisationen ist die Ein-
grenzung von Selbstbestimmtheit vor allem durch cine strikte Aufgabenkontrolle ge
geben. Einzelne Fragebogen-Items in der vorliegenden Untersuchung, die ftir das
Merkmal Autonomic im positiven und fiir das Merkmal Aufgabenkontrolle im nega-
tiven Sinne stehen, wurden durch die konfirmatorische Faktorenanalyse bestatigt.
179
Hypothese Nr. 4 lautet daher (H4): Bin hoher Grad an Aufgabenkontrolle wirkt sich
negativ auf den Grad an Selbstbestimmtheit aus und wirkt negativ auf die Merkmale
Vertrauen und Sozialkapital.
L4.L5. Faktor 5 - individualisierte Entgeltsysteme undLeistungskontrolle
In der Organisationsforschung ist die Frage der Anreizgestaltung eine zentrale (Jost,
2000) - aber inzwischen auch umstritten, da eine wachsende Anzahl von BeitrSgen in
der einschlagigen Literatur existieren, die sich mit den kontr ren Effekten extrin-
sischer und intrinsischer Motivation auseinandersetzen (vgl. Frey, 1997; Fehr, Gachter
und Kirchsteiger, 1997). Extrinsische Leistungsanreize werden in der Untemehmung
nur dann als effizientes Instrument der Verhaltenssteuerung interpretiert, wenn es sich
um so genannte einfache Aufgaben {simple Jobs) handelt. Insofem ist es also interes-
sant, Informationen iiber das Ausmafi der individuell gestalteten Entgelt- und
Leistungssysteme zu sammeln. Im Faktor 5 wurden Fragebogen-Items zusammenge-
fasst, die ich unter der Rubrik "individualisiertes Leistungs- und Entgeltsystem" ge-
stellt habe. Ein Item misst die Einstellung des Befragten, ob die eigene Leistung in der
Untemehmung individuell festgestellt wird. Das zweite Item misst die Einstellung, ob
der Befragte denkt, dass seine individuelle Aufgabenerfullung detailliert kontrolliert
wird. Bei beiden Items liegt die Vermutung nahe, dass eine hohe Auspragung des Fak-
tors "individuelle Entgelt- und Leistungskontrolle" einen negativen Zusammenhang
auf die Kooperationsneigung hat und sich damit, so meine Uberlegung, ein negativer
Einfluss auf die Bildung von Vertrauen und auf die Bereitschaft in Sozialkapital zu in-
vestieren zeigen wird. Hypothese Nr. 5 lautet daher folgendermafien (H5): Individu
alisierte Leistungskontrolle und Entgeltsysteme zeigen einen negativen Einfluss auf
die Variable Sozialkapital und Vertrauen.
1.4.1.6. Faktor 6 - Arbeitsdruck und Stress
Allgemein wird Stress als Reaktion auf bedrohliche Situationen verstanden. Stress
wird in diesen Situationen als Antrieb interpretiert, latente Energien zu mobilisieren.
Der Begriff Stress stammt aus der Physik. Stress bezeichnet in diesem Fall jene Kraft,
die elastische K6rper angreift. Im Deutschen sprechen wir daher von Belastung. Was
die Arbeitssituation betrifft, so ist es sinnvoU, von "Beanspruchung" zu sprechen. Als
Stressoren werden in der einschlSgigen Literatur ungiinstige Bedingungen (z. B. Larm,
Hitze, Konflikte) bezeichnet, die Stress auslosen. Uber die Bedeutung von Stress exis-
tiert ein heftiger Streit. Dabei geht es um die Frage, ob Stress als "Reiz" oder "Re-
180
aktion" anzusehen ist (Semmer, 1984:744). Als positives Steuerungsinstrument wird
insbesondere durch den politisch nicht neutralen Diskurs des Managements der Begriff
als Handlungsreiz versucht zu installieren, wenngleich ganz allgemein Bum Out und
andere stressbedingte Erkrankungen sehr stark zunehmen. Damit in Zusammenhang
wird in der Literatur von Coping-Strategien, d. h. wie mit Stress umgegangen wird,
bzw. wie Stress verarbeitet wird, gesprochen. GemaB dem Streit, ob Stress positiv,
negativ oder neutral definiert werden soil, werden positive und negative Coping-
Strategien genannt. Semmer (1984:750) ftihrt zwei Argumente an, die fiir eine nega
tive Definition von Stress sprechen. Erstens wurde nachgewiesen, dass Stress Er
krankungen begiinstigt und zweitens ist eine positive oder neutrale Definition von
Stressfolgen so allgemein und unprazise, dient dem instrumentellen Denken, dass in
der Regel damit nichts anzufangen ist. Dementsprechend wird Stress, der Folge von
hohem Arbeitsdruck ist, als Faktor interpretiert der die Fahigkeit autonom und selbst-
bestimmt zu handeln einschrankt. Entsprechend lautet These Nr. 6, dass "work
pressure" und "stress" einen negativen Einfluss auf die Bildung von Vertrauen und
Sozialkapital zeigen wird. Hypothese Nr. 6 ist daher folgendermaBen zu formulieren:
(H6) Der Grad an Stress und Arbeitsdruck, den BeschSftigte erfahren, hat einen nega
tiven Einfluss auf die Bildung von Sozialkapital und Vertrauen.
1.4.1.7. Faktor 7 - Unternehmenserfolg
Die Hauptidee der ressourcenorientierten Theorie der Firma ist die, dass die Unter-
nehmung als ein "pool of resources, the utilization of which is organized in an ad
ministrative framework" (Penrose, 1959:149) konzipiert wird. Hedlund (1994) hat in
seiner Skizze der N-Form die Wichtigkeit eines permanenten Pools an Humanressour-
cen, der fix an ein Untemehmen gebunden ist, herausgestrichen. In der Theorie der
Untemehmung werden dynamische Faktoren (sog. dynamic capabilities) wie Innova-
tionsfahigkeit, Lemen, das leveraging und stretching vorhandener Ressourcen (Bartlett
und Ghoshal, 1997; Foss, 1998:15; Prahalad und Hamel, 1994) in einem komplexen
Verstandnis als Erfolgsfaktoren stilisiert. Granovetter (1985) und Uzzi (1997) haben
gezeigt, dass die spezifischen Fahigkeiten einer Untemehmung von den sozialen
Stmkturen, in die die einzelnen Akteure eingebettet sind, abhangen. In einer Reihe von
Studien wird - wie im Faktor 1 bereits erlSutert - darauf hingewiesen, das sog. High-
Ivolvement-Human-Resource-Strategien positiv zum Unternehmenserfolg beitragen.
Die Frage der Kausalitat ist dabei jedoch oft unklar. Wirken die genannten Personal-
strategien auf den Untemehmenserfolg, oder tragt der Untemehmenserfolg dazu bei,
dass Personalagenden mit der notigen Ausstattung und den notwendigen Budget-
181
mitteln ausgestattet werden, dass Mitarbeiter besser ausgebildet werden konnen und
iSngerfristig dadurch starker integriert werden. In der vorliegenden Fragebogenunter-
suchung wurden Items formuliert, die die Einschatzung der Befragten testen, inwie-
weit sie personlich denken, dass das Untemehmen, in dem sie arbeiten, erfolgreich ist.
Die einschlagigen Items wurden in den Faktor Untemehmenserfolg zusammengefasst.
Die These ist nun folgende, dass wir davon ausgehen, dass in erfolgreichen Unter-
nehmen, Beschaftigte eher in Soziales Kapital und Vertrauen investieren ais in Unter-
nehmen, die „als wenig erfolgreich" eingeschatzte werden. Hypothese Nr. 7 lautet da-
her (H7): Untemehmenserfolg zeigt einen positiven Einfluss auf die abhangige Vari
able Sozialkapital und Vertrauen.
1.4.1.8. Kontrollvariablen
Fur den Hypothesentest wurden folgende Kontrollvariablen verwendet. Einmal wurde
in der Untersuchung erhoben, wie lange der/die Befragte in den gegenwMigen Unter-
nehmen tatig ist (BeschSftigungsdauer); zum anderen wurden Daten iiber das monat-
liche Nettoeinkommen erhoben (Einkommen). Es ist naheliegend anzunehmen, dass
Beschaftigte die bereits langere Zeit in einem Untemehmen tatig sind, mehr Sozial
kapital aufgebaut haben als Beschaftigte, die erst kurze Zeit in einem Untemehmen
tatig sind. Einkommen wird ebenso als Kontrollvariable verwendet, weil in der ein
schlagigen Literatur (insbesondere bei Burt, 1992 und 2000) die These vertreten wird,
dass einkommensstarkere soziale Schichten einen hSheren Vorrat an Sozialkapital be-
sitzen (vgl. hierzu auch Bourdieu und Steinbrucke, 1992; Granovetter, 1973 und
1985). Ein positiver Einfluss ist auch von der Variable Alter anzunehmen, weil es nahe
liegend ist, dass altere Arbeitnehmerinnen mehr soziale Kontakte in einem Unter-
nehmen haben als jiingere Arbeitnehmerinnen.
2. Hypothesentest der Modellvarianten, Ergebnisse der Regressionsanalyse und Interpretation
Im Folgenden werden die Ergebnisse der verschiedenen Varianten der multiplen Re
gressionsanalyse vorgestellt. Es wird jeweils der Einfluss der Pradiktoren auf die ab
hangige Variable Vertrauen und auf die abhangige Variable Sozialkapital diskutiert.
Nach der Vorstellung der empirischen Ergebnisse wird anschliefiend im Gesamtzu-
sammenhang eine Interpretation und Einordnung der Ergebnisse in die vorher-
gehenden Kapitel durchgefiihrt. Im folgenden Abschnitt werden ausgewahlte Modell
varianten und Hypothesen zur Entstehung von Vertrauen und Sozialkapital einer
empirischen Pruftmg unterzogen. In den modelltheoretischen Konzepten bin ich davon
182
ausgegangen, dass in der Unterstutzung der Hypothesen zwischen den Gruppen der
Falle mit stabilen (unbefristeten), instabilen (befristeten) Beschaftigimgsformen und
den Fallen der VoUzeitbeschaftigten, der Teilzeitbeschaftigten, der freien Mitarbeiter
Unterschiede festzustellen sind. In den vorhergehenden Abschnitten habe ich argu-
mentiert, dass diese Unterschiede, sowohl in der Bereitschaft Vertrauen als auch in
dem Vermogen Sozialkapital aufzubauen, auftreten werden. In einem ersten Schritt
geht es mir daher darum, das allgemeine Modell (iber den Einfluss der PrSdiktoren
(Faktoren 1 bis 7) auf die abhangigen Variablen Vertrauen und Sozialkapital zu uber-
pnifen.
2.1. Modellzusammenfassung Entstehung von Vertrauen (N = 245)
Der Grad an Vertrauen, so die Uberlegung, wird durch Zusammenhange, wie sie in
den Hypothesen Nr. 1 bis 7 skizziert wurde, bestimmt. Zum Test der einzelnen
Modellvarianten wurde jeweils eine multiple Regressionsanalyse durchgefuhrt. Dabei
wurden die PrSdiktoren schrittweise in die Modellrechnung integriert. In der Ubersicht
der Ergebnisse sind jeweils die Regressionskoeffizienten und die B-Werte (in stan-
dardisierter und nicht-standardisierter Form), die T-Werte und die Signifikanz der Beta
Werte ausgewiesen. In der folgenden Tabelle ist das Ergebnis der Regressions-
gleichung dargestellt. Wie ersichtlich, wird die Varianz des Kriteriums Vertrauen
durch die im Modell aufgenommenen Pradiktoren zu 44 % (korr. R = 0,44) erklart.
Die Faktoren Alter, Einkommen pro Monat und Beschaftigungsdauer im Untemehmen
sind in die Modellrechnung als Kontrollvariablen aufgenommen.
Bemerkenswert ist, dass die Faktoren Arbeitsinhalt, Partizipation und Feedback einen
groBen Einfluss auf die Entstehung von Vertrauen einnehmen. Die Hypothesen 1, 2,
und 3 werden also bestatigt. Alle drei Faktoren sind auf einem sehr hohen Signifikanz-
niveau. Ich interpretiere dieses Ergebnis dahingehend, dass die Merkmale Aufgaben-
variabilitat, Aufgabensignifikanz, der Grad der Identifikation mit dem Untemehmen,
die im Faktor Arbeitsinhalt zusammengefasst sind, alles Merkmale sind, die die Be
reitschaft eines Beschaftigen positiv beeinflussen, in vertrauenswurdige Beziehungen
zu investieren.
183
Tabelle 6 Ergebnis der Regressionsanalyse -UnabhSngige Variablen (Konstante) Arbeitsinhalt Partizipation Aufgabenkontrolle (fehlende Autonomic) Feedback Untemehmenserfolg Arbeitsdruck individualisiertes Entgelt Alter Einkommen in € pro Monat (netto) Beschaftigungsdauer im Untemehmen R R2 korrigiertes R2
- abhangige Variable Vertrauen B 9,28 1,02 1,07 -0,50 1,27 0,40 -0,49 0,33 0,04 0,00 0,01 0,685 0,470 0,443
SF 0,60 0,17 0,16 0,16 0,16 0,17 0,16 0,19 0,02 0,00 0,03
Beta
0,34 0,35 -0,16 0,41 0,13 -0,16 0,09 0,16 0,06 0,02
T-Wert 15,60 5,97 6,49 -3,07 7,85 2,45 -3,07 1,71 1,88 0,86 0,21
Sign. 0,000 0,000 0,000 0,002 0,000 0,015 0,002 0,088 0,062 0,391 0,832
Der ausgewiesene Beta-Wert der Faktoren zeigt, dass den Merkmalen Arbeitsinhalt,
Partizipation und Feedback das grofite Gewicht auf die Hohe der AusprSgung des Fak-
tors Vertrauen zuzuschreiben ist. Einen negativen Einfluss nimmt hingegen der Faktor
Arbeitskontrolle, der - wie erwahnt - im Rahmen der Faktorenanalyse als fehlende
Autonomie interpretiert wurde, ein. Positiv wirkende Faktoren wie Arbeitsinhalt, Parti
zipation, Feedback und negativ Einfluss nehmende fehlende Autonomie sind hoch
signifikant (die ersten drei Faktoren haben ein Signifikanzniveau von p < 0,001, der
letzte ein Niveau von p < 0,002). Einen ebenfalls positiven Einfluss auf die Entstehung
von Vertrauen nimmt der Faktor Untemehmenserfolg ein. Entgegen den hypo-
thetischen Uberlegungen nimmt der Faktor individualisiertes Entgelt einen positiven
Einfluss auf die Entstehung von Vertrauen, jedoch ist der Einfluss nicht signifikant.
These Nr. 5 wird also nicht bestatigt. Die Kontrollvariablen Alter, Einkommen und
Beschaftigungsdauer zeigen zwar alle einen leicht positiven, wenn auch einen sehr
geringen Einfluss, jedoch ist der Wirkungszusammenhang kein signifikanter. Einen
negativen Einfluss nimmt der Faktor Arbeitsdruck in der AusprSgung des Faktors
Vertrauen ein, dieser Wirkungszusammenhang ist zudem signifikant (auf dem Niveau
von 0,002). Arbeitsdruck und Aufgabenkontrolle, werden also als negativer Einfluss in
einer Organisation gesehen und wirken sich negativ auf das Merkmal Vertrauen aus.
These Nr. 6 wird also bestatigt.
Das Ergebnis interpretiere ich folgendermafien: Kompetente Mitarbeiter, die eigen-
standige Aufgabenbereiche und Entscheidungen durchfuhren, entwickeln eine grOBere
Bereitschaft in vertrauenswurdige Beziehungen zu investieren, als Mitarbeiter die sich
inkompetent und fremdbestimmt wahmehmen. Hier mag das Zusammenwirken der
Merkmale Arbeitsqualifikation, Aufgabensignifikanz und Aufgabenvariabilitat ins
184
Spiel kommen, da anzunehmen ist, dass kompetente und selbsteffiziente Mitarbeiter,
diese Wahmehmung nicht unabhSngig von der Bedeutung der Aufgaben, die sie in
einem Untemehmen erfiillen, entwickeln. Zusatziich ist im Modell der Einfluss der
Variable Feedback und Partizipation nicht zu tibersehen; auch der Faktor Arbeitsdruck
ist in die ErklSrung einzuschliefien.
2.2. Modellzusammenfassung Entstehung von Sozialkapital (N = 245)
Die Faktoren Feedback, Arbeitsinhalt und Partizipation sind auch fiir die ErklSrung
von Sozialkapital von Bedeutung. AUerdings ist der Erklarungswert der in die Modell-
gleichung inkludierten Variablen geringer als im Fall von Vertrauen. Jedoch ist das
Ergebnis der Regressionsgleichung brauchbar. Immerhin werden mit den im Modell
verwendeten Faktoren knapp 18 Prozent der Varianz erklSrt. Das Merkmal Feedback,
Arbeitsinhalt, und Partizipation nehmen jeweils einen hoch signifikanten Einfluss auf
die Auspragung der abhSngigen Variable Sozialkapital. Einen ebenso positiven Ein
fluss nimmt die Variable Untemehmenserfolg auf die AusprSgung von Sozialkapital.
Unsere Thesen 1,2,3 und 7 werden also bestatigt. Der Einfluss der Merkmale Arbeits-
kontrolle, Arbeitsdruck und Entgelt sind auf die Auspragung des Merkmals Sozial
kapital nicht signifikant. Sie konnen also in der ErklSrung vemachlassigt werden. Die
Thesen Nr. 5 und 6 werden in Bezug auf die Entstehung von Sozialkapital nicht be
statigt. Auch die Kontrollvariablen Beschaftigungsdauer, Einkommen und Alter
nehmen haben keinen signifikanten Erklarungswert. Was bedeutet dieses Ergebnis.
Tabelle 7 Modellzusammenfassung Entstehung Sozialkapital,
Modell Abhangige Variable: Sozialkapital (Konstante) Arbeitsinhalt Partizipation Aufgabenkontrolle (Autonomie) Feedback Untemehmenserfolg Arbeitsdruck individualisiertes Entgelt Alter Beschaftigungsdauer Einkommen in € pro Monat (netto) R R2 Korrigiertes R2
B
18,094 0,849 0,611 -0,134 1,060 0,504 0,033 0,185 0,041 0,070 0,000 0,465 0,217 0,176
SF
0,905 0,260 0,251 0,252 0,246 0,251 0,272 0,293 0,035 0,048 0,000
Koeffizienten
Beta
0,225 0,159 -0,034 0,276 0,129 0,008 0,041 0,120 0,145 -0,095
T-Wert
19,999 3,269 2,436 -0,534 4,313 2,006 0,121 0,633 1,174 1,482 -1,202
Signi-fikanz ,000 ,001 ,016 ,594 ,000 ,046 ,904 ,527 ,242 ,140 ,231
Zum einen heiBt dies, dass Mitarbeiter in einem Untemehmen soziales Kapital auf-
bauen, wenn sie in interessanten und wichtigen Aufgabenbereichen tatig sind und uber
185
partizipative Entscheidungsstnikturen in die Gestaltung von Arbeitsprozessen, die fur
sie wichtig sind, eingebunden werden. Bin ganz wesentliches Element in diesem
Komplex von Merkmalen, die den Aufbau von Sozialkapital erkl^ren, spielt die Vari
able Feedback. Der Einfluss auf den Aufbau von Sozialkapital kann so erklart werden,
dass Mitarbeiter in soziale Beziehungen investieren, wenn sie Feedback als positive
Kommunikationsprozesse wahmehmen. Dieser Gesamtzusammenhang wird dadurch
verstarkt, dass soziales Kapital in Untemehmen aufgebaut wird, die von den eigenen
Mitarbeitem als erfolgreich wahrgenommen werden.
Von Bedeutung ist nicht nur der allgemeine Zusammenhang iiber die Entstehung von
Vertrauen und Sozialkapital, sondem dass der Einfluss der unabhSngigen Faktoren auf
die Bildung von Vertrauen und der Einfluss auf die Bildung von Sozialkapital sich
darin unterscheiden, je nachdem, welches Beschaftigungsverhaltnis besteht. Im Fol-
genden habe ich die DatensStze des Fragenbogensamples nach den Kriterien "Be-
schaftigungsvertrag" differenziert. Dabei wurden alle Falle, die iiber einen unbe-
fristeten Arbeitsvertrag verfugen, zusammengefasst und von den Fallen mit befristeten
ArbeitsvertrSgen getrennt. Die befristeten BeschaftigungsverMltnisse wurden in der
Fragebogenuntersuchung in einjahrige, ein- bis zweijShrige und dreijahrige Arbeits-
vertrSge unterschieden. In der verwendeten Modellvariante habe ich sie alle in eine
Kategorie der befristeten ArbeitsvertrSge zusammengefasst.
2.3. Entstehung von Vertrauen bei unbefristeten Arbeitsvertragen (N=187)
Neben der zentralen Frage, von welchen Merkmalen die Faktoren Vertrauen und
Sozialkapital erklSrt werden, ist die Uberlegung wichtig, ob zwischen den einzelnen
Beschaftigungsgruppen Unterschiede festzustellen sind. Abgesehen davon, dass der
ErklMrungswert in den einzelnen Modellgruppen unterschiedlich ist, was aber auch zu
einem erheblichen Teil darauf zurUckzuftihren ist, dass die Gr5Be der Samples in den
einzelnen Beschaftigungsgruppen variiert (vgl. hierzu Hair et al, 1998), ist fur mich
von Interesse, ob ftir die einzelnen Beschaftigungsgruppen selbst die einzelnen mikro-
organisationalen Variablen in ihrer Erklarung von Vertrauen und Sozialkapital dif-
ferieren? Welches Ergebnis liegt also bei der Entstehung von Vertrauen in der Gruppe
der unbefristeten Beschafligungsverhaitnisse vor?
Das Ergebnis der Auswertung zeigt, dass der Regressionskoeffizient 34 Prozent der
Varianz der Faile in der Gruppe der unbefristeten Beschafligungsverhaitnisse erklart.
Das Gewicht der einzelnen unabhangigen Faktoren und ihr jeweiliges Signifikanz-
niveau sind in der folgenden Tabelle ausgewiesen. Welches Gewicht kommt den ein-
186
zelnen Faktoren in der ErklSmng von Vertrauen zu? Wie in den Thesen formuliert, bin
ich davon ausgegangen, dass die Faktoren Arbeitsinhalt, Partizipation, Feedback einen
positiven Einfluss auf das Merkmal Vertrauen ausiiben. Dies wird auch in der Gruppe
der unbefristeten BescMftigten bestatigt. Wenngleich es nur geringe Unterschiede zur
Gruppe der gesamten Beschaftigten sind, zeigt sich dennoch, dass die Merkmale Parti
zipation und Feedback einen gro6eren Einfluss fur die unbefristeten Beschaftigten
ausiiben. Auch ist der Einfluss hoch signifikant. Der Einfluss des Untemehmenser-
folges bei der Gruppe der unbefristeten Beschaftigten ist wie in der Gesamtgruppe der
Beschaftigten auch positiv, aber etwas geringer.
Tabelle 8 Entstehung von Vertrauen bei unbefristeten ArbeitsvertrSgen Modell
(Konstante) Arbeitsinhalt Partizipation Aufgabenkontrolle (Autonomic) Feedback Untemehmenserfolg Arbeitsdruck individualisiertes Entgcit Alter Beschaftigungsdauer Einkommen in € pro Monat (nctto) R R2 Korr.R2
B
9,448 0,894 1,067 -0,498 1,061 0,402 -0,438 0,357 0,041 0,014 0,000
0,619 0,383 0,341
SF
0,701 0,212 0,194 0,189 0,189 0,184 0,179 0,227 0,026 0,035 0,000
Beta
0,298 0,372 -0,174 0,370 0,144 -0,161 0,104 0,164 0,038 0,028
T-Wert
13,479 4,219 5,493 -2,633 5,604 2,188 -2,449 1,573 1,576 0,385 0,350
Sign.
,000 ,000 ,000 ,009 ,000 ,030 ,016 ,118 ,117 ,701 ,727
Mit der entsprechenden Vorsicht lasst sich folgende Schlussfolgerung daraus ableiten.
Fiir die Entstehung von Vertrauen ist der Einfluss von Partizipation und Feedback bei
den Arbeitnehmem mit unbefristeten Arbeitsvertragen geringfugig starker ausgepragt
als im gesamten Sample der Befragten. Die Faktoren individualisiertes Entgelt, Alter,
Einkommen und Beschaftigungsdauer zeigen keinen signifikanten Wirkungszusam-
menhang. Ahnlich negativ (und ebenfalls sehr signifikant) ist die Wirkung des Merk-
mals Aufgabenkontrolle bzw. fehlender Autonomic auf die Auspragung des Merkmals
Vertrauen.
2.4. Entstehung von Sozialkapital bei unbefristeten Arbeitsvertragen (N = 187)
In Tabelle 9 ist zu sehen, dass der zentrale Einfluss auf die Entstehung von Sozial
kapital in der Gruppe der unbefristeten Beschaftigten durch das Merkmal Feedback
ausgeubt wird. Das Gewicht dieser Variable ist hoch signifikant. Daneben ist noch ein
signifikanter Einfluss durch die Variablen Partizipation und Untemehmenserfolg fest-
187
zustellen. Insgesamt wird in dem Modell knapp 20 Prozent der Varianz der Falle er-
klart. Die ErklSrung von Sozialkapital in der Gruppe der unbefristeten BeschSftigten
muss sich also auf die Variablen Feedback, Partizipation und Untemehmenserfoig
konzentrieren. Die anderen im Modell aufgenommen Variablen, zeigen zwar einen
unterschiedlichen Einfluss, aber auf einem unbrauchbaren Signifikanzniveau. Bin
solches Ergebnis wurde also grundsatzlich unserer allgemeinen These zuerst einmal
widersprechen, dass die einzelnen Merkmale bei unbefristeten BeschSftigungsformen
in einem hQheren Ausmafi soziales Kapital erklSren; dazu ist es jedoch wichtig sich
zuerst die Gruppen der befristeten Beschaftigungsverhaltnisse genauer anzusehen.
Allerdings lasst sich zwischen der Gruppe der gesamten Beschaftigungstypen und der
Gruppe der unbefristeten Beschaftigten ein Unterschied feststellen, der wohl dahin-
gehend zu interpretieren ist, dass die unbefristeten Beschaftigten weniger sensible auf
zentrale mikro-organisationale Variablen reagieren.
Tabelle 9 Sozialkapital bei unbefristeten AV Modell
(Konstante) Arbeitsinhalt Partizipation Aufgabenkontrolle (Autonomie) Feedback Untemehmenserfoig Arbeitsdruck individualisiertes Entgelt Alter BeschSftigungsdauer Einkommen in € pro Monat (netto) R R2 Korr.R2
B
18,026 0,751 0,511 -0,199 1,025 0,425 -0,015 0,118 0,053 0,077 -0,001 0,450 0,203 0,148
Standard-fehler 1,054 0,320 0,294 0,286 0,285 0,277 0,308 0,343 0,039 0,053 0,000
Beta
0,190 0,135 -0,052 0,271 0,115 -0,004 0,026 0,158 0,162 -0,163
T-Wert
17,110 2,349 1,737 -0,695 3,598 1,537 -0,050 0,345 1,333 1,438 -1,769
Sign.
,000 ,020 ,085 ,488 ,000 ,126 ,960 ,731 ,185 ,153 ,079
In der Interpretation der Ergebnisse ist also zu beriicksichtigen, dass reziproke Arbeits-
beziehungen und kooperationsfordemde Ftihrungsstrukturen, die Mitarbeitem erlaubt,
an konkreten Entscheidungen zu partizipieren, die Mitarbeiter motiviert in Sozial
kapital zu investieren. Untemehmen in denen Partizipation und Kooperation einen ge-
ringen Stellenwert einnehmen, kurz auf ein instrumentelles Managementverstandnis
setzen, haben schlechtere Voraussetzungen, um Sozialkapital aufzubauen. Zudem ist
die Interpretation zulassig, dass bei unbefristeten Arbeitsvertragen, die Wirkung dieser
Faktoren geringer ausfallt. Hingegen ist in beiden Gruppen das subjektiv eingeschatzte
Merkmal Untemehmenserfoig von groBer Bedeutung, sowohl in der Erklarung von
Vertrauen als auch in der Erklarung von Sozialkapital. Daruber hinaus ist es aber ins-
188
besondere wichtig, dass soziales Kapital insgesamt nur dann gebildet wird, wenn in
den entsprechenden Untemehmen partizipative, kooperationsfordemde und reziproke
Arbeitsbeziehungen existieren. Die hier favorisierte Lesart der Ergebnisse bestatigen
die in dieser Arbeit formulierte Kritik am instrumenteilen Verstandnis vieler Wissens-
management-Modelle und unterstreichen die Forderung eines systemischen Ansatzes,
wonach den organisationalen Eigenschaften Feedback, Partizipation und Reziprozitat,
alles Eigenschaften, die der lemenden Organisation zugeschrieben werden (Stacey,
2001; Bartlett und Ghoshal, 1997), mehr Bedeutung beigemessen werden muss, wenn
eine Organisation nicht auf soziales Kapital verzichten will.
2.5. Aufbau von Sozialkapital bei befristeten Arbeitsvertragen (N = 49)
Wahrend zwischen der Gruppe der gesamten Beschaftigten und der Gruppe der unbe-
fristeten Beschaftigten noch kein so groBer Unterschied zu erwarten war, ist bei den
befristeten Beschaftigungstypen sehr wohl ein deutlicher Unterschied zu erkennen. Die
in der Modellzusammenfassung ausgewiesenen Regressionskoeffizienten zeigen je-
doch keine grofien Unterschiede zu dem weiter oben diskutierten Regressionsmodell
fiir die unbefristeten Arbeitsvertrage. Das ist aber in zweifacher Hinsicht erklarungs-
und interpretationsbediirftig. Statistisch betrachtet erklSrt das verwendet Modell 35
Prozent der Varianz in der Gruppe der befristeten Beschaftigten. In diese Gruppe
wurden einjShrige, ein- bis zweijahrige und auf 3 Jahre befristete ArbeitsverhSltnisse
aus dem Sample herausgegriffen. Fur die Gruppe der befristeten Beschaftigten lasst
sich folgendes - von den empirischen Ergebnissen unterstutzt - formulieren. Ein ganz
wesentlicher Punkt, der den Auft au von Sozialkapital bestimmt, ist der konkrete
Arbeitsinhalt. Es ist also fUr die befristeten Beschaftigten von groBer Bedeutung, in
welchem AusmaB sie sich mit ihren eigenen Arbeitsaufgaben identifizieren und ob sie
die eigenen Arbeitsaufgaben als wichtige ansehen. Kurz: nur wenn sich befristet Be-
schaftigte mit ihren Arbeitsaufgaben identifizieren, investieren sie in soziales Kapital.
Die Gruppe der befristet Beschaftigten erachten zwar - ebenso wie die Gruppe der
gesamten Beschaftigten - Partizipation und Feedback als wichtige Faktoren, aber
ihnen ist keine signifikanter Wirkung zuzuschreiben. Auch dem Faktor Untemehmens-
erfolg ist keine signifikante Wirkung auf die Entstehung des Merkmals Sozialkapital
in der Gruppe der befristet Beschaftigten zuzuschreiben.
Das vorliegende Ergebnis lasst also vermuten, dass bei befristeten Arbeitsvertragen die
Bereitschaft der Beschaftigten geringer ist, in Sozialkapital zu investieren. Tatsachlich
scheint es so, dass in der Gruppe der befristet Beschaftigten nur mehr der Arbeitsinhalt
189
einen Einfluss auf ihre Bereitschaft, in soziales Kapital zu investieren ausiibt, alle
anderen organisationalen Faktoren sind hingegen fiir diese Gruppe nicht unwichtig,
aber in ihrer Wirkung bedeutungslos.
Tabelle 10 Aufbau von Sozialkapital bei befristeten Arbeitsvertragen Modell
(Konstante) Arbeitsinhalt Partizipation Aufgabenkontrolle (Autonomic) Feedback Untcmehmenserfolg Arbeitsdruck individualisicrtes Entgelt Alter Beschaftigungsdaucr Einkommen R R2 Korr.R2
B
18,299 1,081 1,009 0,211
1,096 0,955 0,502 0,636 -0,019 -0,002 0,001 0,597 0,357 0,168
Standard fehler 2,675 0,528 0,627 0,745
0,605 0,830 0,769 0,688 0,105 0,124 0,001
Beta
0,318 0,253 0,047
0,273 0,188 0,105 0,142 -0,039 -0,003 0,188
T-Wert
6,842 2,046 1,609 0,282
1,811 1,151 0,653 0,924 -0,186 -0,016 1,153
Sign.
0,000 0,049 0,117 0,779
0,079 0,258 0,518 0,362 0,853 0,987 0,257
Interpretiert werden kann dieses Ergebnis dahingehend: Bei unbefristeten Arbeitsver
tragen wird durch die Merkmale Arbeitsinhalt, Partizipation, Feedback und Unter-
nehmenserfolg die Variable Sozialkapital positiv beeinflusst.
2.6. Aufbau von Vertrauen bei befristeten Arbeitsvertragen (N = 49)
Welchen Einfluss die ausgewahlten Variablen auf den Aufbau von Vertrauen bei Ar-
beitnehmem mit befristeten Arbeitsvertragen austiben, zeigen die folgenden Ergeb-
nisse. Wieder fallt zuerst einmal auf, dass in der Gruppe der befristeten Arbeitsverhalt-
nisse die erklarte Varianz im Regressionsmodell hoch ist (korr. R^ = 0,70). Das ist
dadurch zu erklaren, dass die Anzahl der Beobachtungen in dem herausgegriffenen
Sample gering ist. Zunachst ist bemerkenswert, dass drei Faktoren Feedback, Arbeits
inhalt und Partizipation hoch signifikant bzw. signifikant die Auspragung von Ver
trauen erklaren. Im Vergleich zu unbefristeten Arbeitsvertragen fallt jedoch auf, dass
der Faktor Feedback viel mehr Einfluss auf Vertrauen einnimmt. Gegeniiber den
anderen Beschafligungsgruppen ist das Gewicht dieses Faktors fast doppelt so hoch.
Das Ergebnis zeigt, dass befristete Mitarbeiter, in ihrer Einschatzung des Vertrauens,
das ihnen entgegengebracht wird und das sie entgegenbringen durch das Merkmal
Feedback erklSrt werden kann. Zusatzlich sind sie in ihrer Einschatzung von der ihnen
gewahrten Partizipation und den Arbeitsaufgaben beeinflusst. Im Vergleich zu den
anderen Gruppen in einem sehr viel starkeren AusmaB.
190
Tabelle 11 Aufbau von Vertrauen bei befristeten A V Modell
(Konstante) Arbeitsinhalt
Aufgabenkontrolle (Autonomic) Feedback Untemehmenserfolg Arbeitsdruck individualisiertes Entgelt Alter Beschaftigungsdauer Einkommen R R2 Korrigiertes R2
B
7,473 1,301 0,718 -0,126 2,270 0,526 -0,702 0,266 0,097 -0,054 0,001 0,877 0,770 0,702
Standard-fehler 1,504 0,297 0,353 0,419 0,340 0,467 0,433 0,387 0,059 0,070 0,001
Beta
0,407 0,191 -0,030 0,601 0,110 -0,156 0,063 0,207 -0,090 0,132
T-Wert
4,968 4,378 2,034 -0,300 6,671 1,128 -1,622 0,688 1,644 -0,776 1,351
Sign.
0,000 0,000 0,050 0,766 0,000 0,267 0,114 0,496 0,109 0,443 0,186
Fur die Gruppe der befristet Beschaftigten sind aber auch der konkrete Inhalt und die
Identifikation mit ihren Aufgaben, ihre Einschatzung ob sie wichtige Aufgaben wahr-
nehmen, zentrale Faktoren, die Vertrauen bestimmen. Hingegen sind die Faktoren
Aufgabenkontrolle, Untemehmenserfolg, Alter, Einkommen und Beschaftigungsdauer
EinflussgroBen, die keine signifikante Wirkung auf die abhangige Variable Vertrauen
zeigen.
Folgende Schlussfolgerung lasst sich also formulieren: Beschaftigte mit einem be
fristeten Arbeitsvertrag investieren nur dann in Vertrauen, wenn sie selbst ihre Arbeits-
aufgaben als qualifizierte einstufen, die eigenen Aufgaben als wichtig bewerten und
wenn sie in eine Organisation so eingebunden sind, dass sie ein ftir sie wichtiges Feed
back uber ihre Arbeitsaufgaben bekommen und in Entscheidungsprozesse integriert
werden, die ihre Arbeitsprozesse betreffen. Verkniipft damit ist die besondere Be-
deutung des Faktors feedbackorientierte Managementmafinahmen, tiber den Mitar-
beiter motiviert werden, sich aktiv in Kommunikationsprozesse einzubringen und ent-
sprechend unserer Interpretation sich dadurch als kompetente Mitarbeiter wahr-
nehmen. Derartige Kommunikationskulturen sind anscheinend bei befristeten Be-
schaftigten noch sehr viel bedeutender, um ein vertrauensbasiertes Arbeitsklima einzu-
richten. Umgekehrt heifit dies aber auch, dass gering qualifizierte Beschaftigte in be
fristeten Arbeitsverhaltnissen, bei fehlendem Feedback und wenig partizipations-
orientierten Managementstrukturen kein oder sehr wenig Vertrauen aufbauen. Es ist
also die Interpretation zulassig, dass bei befristeten ArbeitsvertrSgen die Variablen
Feedback, Partizipation und Arbeitsinhalt, entscheidende EinflussgrOBen ftir den ein-
zelnen Arbeitnehmer sind, um in vertrauenswiirdige Beziehungen zu investieren. Iden-
191
tifizieren sich Arbeitnehmer nicht mit den Aufgaben und Zielen des Untemehmens,
werden keine vertrauenswurdigen Beziehungen aufgebaut. Besonders diskussions-
wtirdig ist der Einfluss der Variable Feedback im Modell: das Merkmal Feedback
wurde in der Untersuchung iiber die Einstellung der Befragten zu den folgenden
Fragebogen-Items gemessen, (1) Fehler konnen in der Organisation offen diskutiert
werden, (2) Verbesserungsvorschlage werden positiv aufgenommen und (3) Vorge-
setzte interessieren sich fur die Sichtweise ihrer Mitarbeiter. Es zeigt sich also, dass
diese Eigenschaften gerade bei unsicheren und/oder befristeten Arbeitsverhaltnissen
eine zunehmende Wichtigkeit einnehmen, wenn es darum geht, vorhandenes oder
fehlendes Vertrauen in einer Organisation zu erklaren. Es ist nun durchaus anzu-
nehmen, dass Beschaftigte mit befristeten Arbeitsvertragen unvoreingenommener
"Fehler ansprechen" und "auf Verbesserungen hinweisen" als die Gruppe der Be-
schaftigten mit unbefristeten Arbeitsvertragen, aber dennoch muss fiir eine derartige
Kommunikationskultur die entsprechende Unterstutzung vorhanden sein. Umgekehrt
liefie sich argumentieren, dass unbefristet Beschaftigte sich eher zuriickhalten in ihrer
Kritik gegenuber anderen Organisationsmitgliedem, um das Verhaltnis zwischen
Kollegen nicht zu belasten. Dies wiirde jedoch auf eine eher negative oder regressiv
wirkende Organisationskultur hinweisen, was durch das Modell nicht unterstutzt wird.
Das ware kein positiver Beflind. Insgesamt zeigt sich in dem Zusammenspiel der
einzelnen Faktoren, dass Arbeitnehmer mit befristeten Arbeitsvertragen Kommuni-
kationsspielraume und die Integration in Entscheidungen sehr wichtig nehmen, zumin-
dest bezogen auf das Merkmal Vertrauen wichtiger als unbefristet Beschaftigte. Von
letzteren lieBe sich durch so einen Befiind annehmen, dass sie sich im Laufe der Zeit
gegen die negativen Auswirkungen einer fehlenden Kommunikationskultur und Unter
stutzung durch das Management immunisiert haben.
Von Interesse ist hier auch, wie groB der Unterschied zwischen Voll- und Teilzeitbe-
schaftigten ist; darauf komme ich noch zuriick. In den Hypothesen bin ich von der
Uberlegung ausgegangen, dass Arbeitnehmer mit unbefristeten Arbeitsvertragen sehr
viel aktiver in Vertrauen und in Sozialkapital investieren, als befristete Beschaftigte.
Wie dargestellt, sind zwar Unterschiede vorhanden, aber die Aussage ist nicht
zulassig, dass befristete Beschaftigte nicht in den Aufbau von Vertrauen und So
zialkapital investieren. Vielmehr ist festzuhalten, dass diese beiden Beschaftigungs-
gruppen aus ganz verschiedenen Voraussetzungen heraus in Sozialkapital und Ver
trauen investieren und den unabhangigen Variablen ein ganz unterschiedliches Ge-
wicht zukommt. Als vorlaufiges Fazit liefie sich formulieren, dass befristet Be-
192
schaftigte sehr viel sensibler auf positive und auch negative Kommunikations- und
Partizipationsstrukturen reagieren, fiir beide Gruppen ist jedoch die Bedeutung und
Identifikation mit den eigenen Arbeitsaufgaben wichtig.
Im Foigenden soil gepriift werden, in v^elcher Form Unterschiede im Aufbau von Ver-
trauen und Sozialkapital bei den jeweils herausgegriffenen Fallen der VoUzeitbe-
schaftigten und der Teilzeitbeschaftigten festzustellen sind.
2.7. Aufbau von Vertrauen und Sozialkapital bei Vollzeitbeschaftigten (N=128)
Es ist zu vermuten, dass zwischen VoUzeit- und Teilzeitbeschaftigten ein geringerer
Unterschied als zwischen unbefristet und befristet Beschaftigten festzustellen ist. Im
Detail sind fiir die Gruppe der Vollzeitbeschaftigten die Ergebnisse der Regressions-
analyse in der foigenden Tabelle dargestellt. Durch die in die Regressionsgleichung
aufgenommenen unabhangigen Variablen wird in diesem Fall fast 55 Prozent der
Varianz des Kriteriums Vertrauen erklart.
Tabelle 12 Aufbau von Vertrauen bei Modell
(Konstante) Arbeitsinhalt Partizipation Aufgabenkontrolle (Autonomie) Feedback Untemehmenserfolg Arbeitsdruck individualisiertes Entgelt Alter Beschaftigungsdauer Einkommen R R2 KorrR2
Vollzeitbeschaftigten B
9,715 1,369 1,170 -,384 1,298 0,322 -0,708 0,411 0,034 0,023 0,000 0,754 0,568 0,523
Standard-fehler 0,854 0,235 0,240 0,218 0,231 0,203 0,201 0,274 0,030 0,037 0,000
Beta
0,410 0,344 -0,121 0,385 0,108 -0,239 0,106 0,124 0,064 0,033
T-Wert
11,378 5,815 4,876 -1,764 5,616 1,586 -3,520 1,497 1,147 0,615 0,421
Sign.
,000 ,000 ,000 ,081 ,000 ,116 ,001 ,138 ,254 ,540 ,675
Der Unterschied der Gruppe der Vollzeitbeschaftigten zur Gruppe der unbefristet Be-
schaftigten ist erwartungsgemaB nicht groB. Die Merkmale Feedback, Arbeitsinhalt
und Partizipation nehmen das grSfite Gewicht in der Erklarung des Merkmals
Vertrauen ein. Bemerkenswert ist, dass die Wahmehmung von Arbeitsdruck einen
signifikanten negativen Einfluss auf Vertrauen ausiibt und Aufgabenkontrolle zwar
einen negativen Einfluss einnimmt, aber keinen signifikanten Zusammenhang zeigt.
Die Kontrollvariablen Alter, Beschaftigungsdauer und Einkommen zeigen einen
geringen aber keinen signifikanten Einfluss. Die Frage ist nun, in welcher Weise sich
ein Unterschied zwischen Vollzeitbeschaftigten und Teilzeitbeschaftigten zeigt.
193
Was die Auspragung des Merkmals Sozialkapital in der Gruppe der Vollzeitbe-
schaftigten betrifft, so ist bemerkenswert, dass nur mehr die Faktoren Feedback und
Arbeitsinhalt eine Auswirkung auf die Hohe der Auspragung des Merkmals zeigen.
Insgesamt erklSren diese Faktoren aber nahezu 19 Prozent der Varianz von Sozial
kapital. Die Faktoren individualisiertes Entgelt, Arbeitsdruck und Aufgabenkontrolle
sind in ihrer Wirkung zwar negativ aber nicht signifikant. Auch der positive Einfluss
des Merkmals Untemehmenserfolg ist kein signifikanter. ErwMhnenswert ist zudem,
dass die Kontrollvariablen Alter, Beschaftigungsdauer und Einkommen keinen be-
merkenswerten Einfluss auf die Auspragung der abhangigen Variable Sozialkapital
zeigen, wenngleich es plausibel ist, anzunehmen, dass bei zunehmender Be
schaftigungsdauer die sozialen Kontakte in einer signifikanten Weise positiv beein-
flusst werden. Die Ergebnisse sind in der folgenden Tabelle dargestellt.
Tabelle 13 Modell Entstehung von Sozialkapital VoUzeitbeschaftigte Koeffizienten(a)
Modell
(Konstante) Arbeitsinhalt Partizipation Aufgabenkontrolle (Autonomie) Feedback Untemehmenserfolg Arbeitsdruck individualisiertes Entgelt Alter Beschaftigungsdauer Einkommen R R2 Korr.R2
B
18,719 1,045 1,018 -0,283
1,075 0,198 -0,229 -0,300 0,032 0,088 -0,001 0,519 0,269 0,193
Standard-fehler 1,367 0,382 0,390 0,349
0,372 0,326 0,397 0,440 0,048 0,060 0,001
Beta
0,254 0,243 -0,073
0,260 0,054 -0,052 -0,063 0,092 0,197 -0,136
T-Wert
13,690 2,735 2,609 -,810
2,894 ,610 -,577 -,683 ,654 1,462 -1,312
Sign.
,000 ,007 ,011 ,420
,005 ,544 ,565 ,496 ,515 ,147 ,193
2.8. Aufbau von Sozialkapital und Vertrauen bei Teilzeitarbeitskraften (N = 43)
Werfen wir einen Blick auf die Ergebnisse der Regressionsrechnung in der folgenden
Tabelle, so fallt zuerst einmal auf, dass fur Teilzeitbeschaftigte der Einfluss der
Variablen Untemehmenserfolg auf die Auspragung des Merkmals Sozialkapital hoch
ausfallt und dieser Zusammenhang signifikant ist. Einen etwas geringem Einfluss
nimmt das Merkmal Feedback ein, hat aber eine sehr signifikante Auspragung. Noch
signifikant bleibt der Einfluss des Merkmals Arbeitsinhalt in der Gruppe der
Teilzeitbeschaftigten. Die in die Regressionsgleichung aufgenommenen Variablen
erklaren 15 Prozent der Varianz des Merkmals soziales Kapital. Die Ergebnisse sind in
der folgenden Tabelle zusammengefasst.
194
Tabelle 14 Entstehung von
Modell
(Konstante) Arbeitsinhalt Partizipation Aufgabenkontrolle (Autonomic) Feedback Untemehmenserfolg Arbeitsdruck individualisiertes Entgelt Alter Besch ftigungsdauer Einkommen R R2 Korr.R2
1 Sozialkapital bei Beschaftigung Teilzeit
B "
18,282 0,789 0,238 -0,001
0,921 1,060 0,464 0,601 0,029 0,004 0,000 0,490 0,240 0,154
Standard-fehler 1,411 0,389 0,335 0,379
0,342 0,461 0,397 0,418 0,053 0,092 0,001
Beta
0,219 0,068 0,000
0,260 0,244 0,115 0,143 0,074 0,006 0,030
T-Wert
12,958 2,031 0,711 -0,002
2,694 2,302 1,169 1,440 0,546 0,045 0,267
Sign.
,000 ,045 ,479 ,998
,008 ,024 ,246 ,153 ,587 ,964 ,790
Wie in der folgenden Modellzusammenfassung zu sehen, werden durch die Faktoren
Aufgabenkontrolle, Feedback, Partizipation und den Faktor Arbeitsinhalt die Aus-
pragung des Faktors Vertrauen in der Gruppe der TeilzeitbeschSftigten erklSrt. AUe
vier Faktoren zeigen eine signifikante oder sehr signifikante Wirkung. Das Modell er-
kiart in der Gruppe der Teilzeitbeschaftigten 33 Prozent der Varianz der abhSngigen
Variable Vertrauen. Im Vergleich zur ErklSrung des Merkmals Sozialkapital ist inter-
essant, dass fur den Aufbau von Vertrauen das Merkmal Untemehmenserfolg keinen
signifikanten Einfluss nimmt, fiir die Auspragung von Sozialkapital aber in der Gruppe
der Teilzeitbeschaftigten ein wichtiger und signifikanter Faktor ist. Dieser Unterschied
M\t auch zur Gruppe der VoUzeitbeschaftigten auf. Die Ergebnisse fiir die Gruppe der
Teilzeitbeschafi;igten sind in der folgenden Tabelle zusammengefasst.
195
Tabelle 15 Entstehung von
(Konstante) Arbeitsinhalt Partizipation Aufgabenkontrolle (Autonomic) Feedback Untemehmenserfolg Arbeitsdruck individualisiertes Entgelt Alter Beschaftigungsdauer Einkommen R R2 Korr.R2
Vertrauen bei Beschaftigten Teilzeit Koeffizienten (a,b)
B
9,226 0,675 0,970
-0,708
1,070 0,518 -0,018 0,250 0,053 -0,042 0,000 0,631 0,398 0,329
Standard-fehler 0,980 0,270 0,233
0,264
0,237 0,320 0,276 0,290 0,037 0,064 0,001
Beta
0,240 0,356
-0,228
0,387 0,153 -0,006 0,076 0,173 -0,081 0,040
T-Wert
9,415 2,501 4,169
-2,688
4,506 1,621 -0,066 0,861 1,431 -0,653 0,395
Sign.
,000 ,014 ,000
,009
,000 ,109 ,948 ,392 ,156 ,515 ,694
3. Zusammenfassung der empirischen Ergebnisse der Untersuchung
Welche Schlussfolgerungen sind aus dem hier vorliegenden Befund zu ziehen? Be-
zogen auf die ErklMrung des Faktors Vertrauen zeigt sich, dass kompetente und eigen-
stSndige Mitarbeiter, die an Entscheidungen partizipieren, mehr Vertrauen ausbilden,
als wenig kompetente und unselbstSndige Mitarbeiter, die kaum oder gar nicht in orga-
nisationale Entscheidungsprozesse integriert sind. ZusStzlich zeigt sich die positive
und signifikante Wirkung von feedbackfShigen Organisationsstrukturen auf die Ent
stehung von Vertrauen. Der Aufbau von Vertrauen und das Merkmal Feedback stehen
in einem zentralen Wirkungszusammenhang. Das heifit, Organisationen mit Manage-
mentstrukturen die Feedback von kompetenten und selbstbestimmten Mitarbeitem zu-
lassen, kurz Organisationen in denen Offenheit und Transparenz zugelassen wird,
fbrdem gleichzeitig den Aufbau von Vertrauen. Eine damit vergleichbare jedoch nega
tive Wirkung zeigt der von Beschaftigten wahrgenommene Stress und Arbeitsdruck.
Zusammengefasst uben die Merkmale Arbeitsinhalt und Partizipation den deutlichsten
Einfluss aus. Daraus ISsst sich folgende Schlussfolgerung ziehen: Qualifizierte Mitar
beiter, die ihrer eigenen Einschatzung zufolge kompetent und selbstbestimmt sind und
daher intrinsisch motiviert, entwickeln in feedback-orientierten Organisationen leichter
Vertrauen als geringqualifizierte, ihrer eigenen Einschatzung zufolge wenig-kompe-
tente und fremdbestimmte Beschaftigte in feedback-aversen Organisationen.
In der Gruppe der Beschafligten mit befristeten Arbeitsvertragen wird Vertrauen eben-
so durch die Merkmale Arbeitsinhalt, Partizipation und Feedback erklart. Im Vergleich
zur Gruppe aller Beschafligten nimmt die subjektive Einschatzung, in welchem Um-
196
fang qualifizierte Aufgaben durchgefuhrt werden, einen hoheren Stellenwert ein; ge-
ringfugig starker ist auch der Faktor Partizipation zu bewerten. Ein im Vergleich zu
den beiden genannten Faktoren jedoch hSheres Gewicht auf die Entstehung von Ver-
trauen nehmen feedbackorientierte Fuhrungs- und Managementstrukturen bei be-
fristetet Beschaftigten ein. Welche Schlussfoigerungen sind daraus zu Ziehen? Bei be-
fristetet Beschaftigten Arbeitnehmem ist die EinschStzung, inwieweit sie selbst quali
fizierte, kompetente und selbstbestimmte Aufgaben ausfuhren und in welchem Aus-
maB feedbackorientierte Managementstruktur als Unterstutzung vorhanden ist, aus-
schlaggebend dafur, ob Vertrauen in Organisationen ausgebiidet wird. In alien Be-
reichen ubt jedoch der Untemehmenserfolg, bzw. seine Einschatzung einen positiven
Einfluss auf die Bildung von Vertrauen aus.
Welche Schlussfoigerungen sind mit den vorliegenden Ergebnissen im Bezug auf die
Entstehung von Sozialkapital zu ziehen? Im Sample der gesamten Beschaftigten
nehmen das gr5Bte Gewicht die Faktoren Feedback, Arbeitsinhalt und partizipative
Management- und Fuhrungsstrukturen ein. Beide Faktoren legen die Schlussfolgerung
nahe, dass die Mitarbeiter durch diese Merkmale hochgradig motiviert werden, in den
Aufbau von Sozialkapital zu investieren. Merkmale wie der subjektiv wahrgenom-
mene Stress und Arbeitsdruck lassen keinen Einfluss erkennen. Hingegen sind feed
backorientierte und partizipative Management- und Fiihrungsstrukturen Merkmale, die
mit dem Bestand an Sozialkapital in Organisationen positiv in Zusammenhang stehen.
Was den Aufbau von Sozialkapital in Organisationen betrifft, so ist also festzuhalten,
dass nur Mitarbeiter in partizipativen und feedbackorientierten Organisationsstruk-
turen in den Aufbau von Sozialkapital investieren. Die Nutzung von Sozialkapital ist
also verknUpft mit Managementstrukturen die Feedback und Partizipation fordem. Da
der Einfluss von individualisierten Entgeltsystemen, d.h. auf die personliche Leistung
abgestellte Entgelt oder Pramiensysteme praktisch keinen Einfluss zeigt, ist die
Schlussfolgerung zulassig, dass partizipations- und kooperationsfordemde Strukturen
die intrinsische Motivation bestimmen und nicht extrinsische Anreize. Ein solcher
Befund sollte einen erheblichen Einfluss auf die Gestaltung von Arbeitsaufgaben
nehmen. Vermutlich steht damit auch der positive kausale Effekt auf den Vorrat an
Sozialkapital in Zusammenhang.
Unterscheidet sich nun dieser Befund in den jeweiligen Beschafligungsgruppen? Bei
der Gruppe der Beschaftigten mit unbefristeten Arbeitsvertragen lasst sich ein erkenn-
barer Unterschied in der relativen Wirkung der genannten Faktoren erkennen. In dieser
Gruppe ist das Gewicht der genannten Faktoren ein geringeres. Bei unbefristeten Be-
197
schaftigten lassen partizipative und kooperationsfSrdemde Organisationsstrukturen
einen leicht geringeren Effekt auf den Bestand an Sozialkapital erkennen. Das relative
Gewicht von partizipativen und kooperationsfSrdemden Organisationsstrukturen ist
jedoch wieder starker ausgepragt in der Gruppe der TeiizeitbeschSftigten. Hier spielt
auch der Faktor Feedback wieder eine relativ gr56ere RoUe in der ErklSrung von So
zialkapital.
Welche Schlussfolgerung konnen aus diesem Ergebnis gezogen werden: Bei be-
fristeten ArbeitsverhSltnissen zeigen partizipative und kooperationsf<5rdemde Orga
nisationsstrukturen eine geringere Wirkung in Bezug auf den Bestand an Sozialkapital.
Der Befund legt nahe, dass gerade wenig stark an das Untemehmen gebundene Be-
schaftigte sehr viel starker auf die positive Wirkung von Partizipation und Feedback
ansprechen. Umgekehrt zeigt sich aber auch, dass befristete BescMftigte davon aus-
gehen, dass aufgrund der begrenzten Dauer ihres BeschaftigungsverMltnisses es
weniger sinnvoll scheint in soziales Kapital zu investieren. Hingegen zeigen die Er-
gebnisse in der Gruppe der TeilzeitbeschSftigten, dass partizipative und kooperations-
fbrdemde Organisationsstrukturen, und insbesondere eine feedbackorientierte Orga-
nisationsstruktur teilzeitbescMftigte Mitarbeiter starker motivieren, in soziales Kapital
zu investieren.
198
IV. AbschlieBende Bemerkung
Der ressourcenorientierte Ansatz wird innerhalb der Strategieforschung als neuer und
rigoroser Ansatz bezeichnet, der ganz im Gegensatz zu herkommlichen Management-
ansatzen, den Erfolg von Untemehmen durch den unterschiedlichen Bestand an Res-
sourcen, uber den eine Firma verftigt, erklSren (Foss, 1998). Wie zu Beginn dieser Ar
beit angesprochen, unterscheidet sich der ressourcenorientierte Ansatz in mehrfacher
Hinsicht von traditionellen AnsStzen. Das liegt daran, dass der ressourcenorientierte
Ansatz die Unterschiede zwischen Untemehmen dadurch erklM, dass Ressourcen,
unterschiedlich effizient und effektiv eingesetzt und verwendet werden. Der res
sourcenorientierte Ansatz ist interessant, weil der Erfolg einer Untemehmung iiber die
unterschiedliche Ausstattung mit Ressourcen erklM wird. Untemehmen unterscheiden
sich also nicht dadurch, dass sie eine starkere/schwachere Position mit ihren Produkten
in einer bestimmten Branche gegenuber ihren Konkurrenten einnehmen, sondem weil
Ressourcen in einer Art und Weise eingesetzt, entwickelt und verwendet werden, die
anderen konkurrierenden Untemehmen nicht zur Verftigung stehen. Edith Penrose ist
die Idee zuzuschreiben, dass der Einsatz von Ressourcen ein "dynamischer Inter-
aktionsprozess ist, den das Management der Firma organisiert" (Penrose, 1959:5). Von
Penrose stammt die Uberlegung, dass die "internen Ressourcen einer Firma" als die
"produktiven, zur Verfugung stehenden Leistungen" (Penrose, 1959:5) zu kon-
zeptionalisieren sind. Daraus leitet sie in ihrer Theorie die "begrenzten M5glichkeiten"
(Penrose, 1959:18) des Wachstums der Firma her. Dierickx und Cool (1989:1504)
haben diese Sichtweise insofem ergSnzt, indem sie darauf verweisen, dass nicht
einzelne Ressourcen, sondem ein ganzes "Bundel an Ressourcen" in Untemehmen
eingesetzt wird, um privilegierte Produkt-Markt-Positionen zu erreichen und zu
verteidigen und sie verweisen darauf, dass dieses Btindel an Ressourcen nicht einfach
zugekauft werden kann oder innerhalb einer Firma nicht einfach zuganglich ist.
Wichtige untemehmensspezifische Ressourcen sind also nicht so ohne weiteres repro-
duzierbar und zuganglich. Es ist keine Frage, dass Wissen eine unverzichtbare Res-
source in einem Untemehmen darstellt. Aber vor dem Hintergrund der ressourcen-
orientierten Perspektive habe ich mir die Frage gestellt, wie diese Ressource produ-
ziert, zur Verfugung gestellt und genutzt wird, wenn sich traditionelle Organisations-
grenzen und damit einhergehend, traditionelle Beschaftigungsformen auflosen. In
dieser Arbeit wurde deshalb argumentiert, dass gerade vor dem Hintergrund der Ver-
anderung einer "old economy" hin zu einer "new economy", wobei im Zuge dieser
Verandemng immaterielle und intangible Ressourcen einen immer grSfieren Stellen-
199
wert einnehmen und damit die Organisation, die Produktion und die Nutzung von
Wissen eine wesentliche Quelle von Untemehmenserfolg ist. Die Verarbeitung von
Wissen wird in den einschlagigen Wissensmanagement-Modellen als arbeitsteiliger
Prozess verstanden, bei dem Daten und Informationen verarbeitet werden und daraus
in Organisationen Wissen produziert wird. Ganz zentral ist dabei das Verstandnis, dass
in den einschlagigen Wissensmanagement-Modellen zwischen impliziten und expli-
ziten Wissensformen differenziert wird.
Wie Dierickx und Cool (1989) aber in ihrer Auseinandersetzung mit der Position von
Barney (1986) gezeigt haben, geht es nicht nur um die Produktion unverwechselbarer,
knapper und schwer imitierbarer Ressourcen, sondem eben darum, diese Ressourcen
im Produktionsprozess zur Verfugung zu stellen. Die Implikationen fUr das Manage
ment einer Untemehmung sind damit klar: Es geht nicht (oder nicht nur) um die Posi-
tionierung am Markt, sondem der Fokus der Aufgaben muss sich auf die Nutzung und
damit den Einsatz der "einzigartigen Fahigkeiten und Ressourcen" richten (Dierickx
und Cool, 1989:1504). Dass zum einen "einzigartige FShigkeiten und Ressourcen"
nicht auf Faktormarkten zur Verfugung stehen, sondem in der Untemehmung produ
ziert werden, ist ein wichtiger Aspekt der Argumentation. Zum anderen machen je-
doch Dierickx und Cool (1989:1508) darauf aufmerksam, dass die Spezifitat von Res
sourcen vielfach erst durch die Interdependenz mit anderen spezifischen Ressourcen
und Fahigkeiten entsteht. Penrose hat beispielsweise argumentiert: "It is the heteroge
neity ... of productive services available or potentially available from its resources that
gives each firm its unique character" (Penrose, 1959:75). ^ Der wesentliche Vorteil der
ressourcenorientierten Theorie der Firma, gegeniiber herkommlichen Theorien
(Schmidt, 1998) ist nicht nur der, dass die Organisation der Wertsch5pfungsprozesse,
also die Produktion, nicht als "Black Box" betrachtet wird, sondem die Herstellung
und Verwendung wesentlicher untemehmensspezifischer Ressourcen als Ergebnis
endogener Faktoren gesehen wird. ^ In diesem Zusammenhang wird der Entstehungs-
25 "Productive services are not man-hours, or machine-hours or bales of cotton, or tons of coal, but the actual services rendered by the men, machines, cotton, or coal in the productive process" (Penrose, 1959:74). Mahoney und Pandian (1992) differenzieren fUnf Schulen in der OrganisationsOkonomik: Agency Theory (Eisenhardt und Martin, 2000), Property-Rights-Ansatz (Alchian und Woodward, 1988), der Transaktionskostenansatz (Williamson, 1985), evolutionSre Ansatz (Nelson und Winter, 1982) und der ressourcenorientierte Ansatz (Barney, 1986; Penrose, 1959).
200
prozess untemehmensspezifischer Ressourcen als ein stochastischer begriffen, well
nicht alle relevanten Variablen (a) identifiziert und (b) kontrolliert werden kQnnen
(Dierickx und Cool, 1989:1509). Es l sst sich also folgende Uberlegung formulieren:
Untemehmensspezifische Ressourcen und Fahigkeiten sind elementare Quellen nach-
haltiger Wettbewerbsvorteile. Die relevanten Organisationsvariablen ihrer Entstehung
kOnnen weder voUstandig identifiziert, noch kontrolliert werden.
Wenn diese Feststellung emsthaft in die weitere Uberlegungen aufgenommen wird,
dann sollte sich zeigen, dass nicht spezifische Faktoren jeweils kontrolliert bzw. ge-
steuert werden konnen, sondem - was hier nicht strittig sein soil - allgemeine Eigen-
schaften der Organisation (wie sie im empirischen Teil dieser Arbeit diskutiert wur-
den). In einschlSgigen Wissensmanagement-Ansatzen ist es das Ziel die Produktion
und Distribution von Wissen in Organisationen zu managen. Die zentrale Aufinerk-
samkeit widmet man dabei der Transformation von impliziten in explizite Wissens-
formen. Ich habe in dieser Arbeit argumentiert, dass ein Grofiteil des tatsachlichen
Wissens einer Organisation implizit bleibt und in organisationalen Routinen einge-
bettet ist. Vielfach wird dieses Wissen als lokales Wissen bezeichnet. Man geht davon
aus, dass der Umstand, dass es lokal ist, etwas Negatives an sich hat. Lokales Wissen
wird im extremen Fall als ein isoliertes Wissen verstanden. Es ist Wissen, das un-
mittelbar durch Erfahrungen generiert wird und in Zusammenhang mit einer konkreten
Tatigkeit erworben wurde. Aus der Sicht der Wissensmanagement-Modelle ist dieses
Wissen in einer Organisation nur von begrenztem Nutzen, well es sich dabei um per-
sOnliche Erfahrungen handelt, die fur andere Organisationsmitglieder nicht unmittelbar
greifbar und zugMnglich sind (vgl. Boisot, 1995:115). Wie ich in dieser Arbeit zu
zeigen versucht habe, telle ich diese Schlussfolgerungen nicht. Der GroBteil dieser
persSnlichen Wissensformen Wird tiber informelle Beziehungen ausgetauscht.
Wahrend - so meine Interpretation - die Wissensmanagement-Modelle den Re-
flexionsprozess, der in der Produktion und Reproduktion von Wissen ein wichtiges
Element darstellt, auf der Ebene der Experten (d. h. des Managements, Stabstellen,
konkreter Hierarchien) konzipiert, sehe ich es als unverzichtbar, auf der persOnlichen
Ebene, bzw. dort wo lokales und konkretes Wissen entsteht. Reflexion zu erm5glichen
und zuzulassen. Wie ich argumentiert habe, ist dieser Reflexionsprozess nur dann tat-
sachlich moglich, wenn neue Wissensformen nicht als Bedrohung bestehender
Routinen, Kompetenzen und Hierarchien interpretiert werden, sondem als Verbes-
serung und Emeuerung derselben. Ist das nicht so, dann riicken die KontroUe des Wis-
sensaustauschs und die Kontrolle der Mechanismen der Wissensgenerierung und
201
-verbreitung in den Vordergmnd. Die effizientesten Mechanismen der Kontrolle blei-
ben dann die Strukturierung der Information, die Selektion und Sondierung von Daten,
mit denen ein fest etablierter Filter (Kode) installiert wird, damit Wissen greifbar und
zugSnglich wird. Aus der Sicht des Wissensmanagements wird dadurch der Wert Res-
source Information erhSht, weil der Kreis der NutznieBer beschrSnkt werden kann.
Gleichzeitig werden damit aber Wissensformen depersonalisiert. Der Effekt ist je-
doch, dass die Produktion und die Verbreitung von Wissen nicht zwangslSufig verbes-
sert werden.
Fiir die Organisationsgestaltung stellt sich damit die Frage, ob Transparenz und Frei-
raum, partizipative Entscheidungsstrukturen und selbstbestimmtes und selbst-effi-
zientes Handeln gefordert wird. Ich habe zu zeigen versucht, dass die wesentliche
Barriere fiir die effiziente Verbreitung von Wissen die in der Praxis fehlende Integra
tion der ausdifferenzierten Aufgaben darstellt. In diesem Zusammenhang ist festzu-
stellen, dass die Abstimmung intangibler Leistungserstellungsprozesse erhebliche Ko-
ordinationskosten verursacht. Diese Kosten entstehen aber niclit nur dadurch, dass
Informationsasymmetrien existieren, sondem sie entstehen vor allem dadurch, dass bei
einem hohen Abstraktionsgrad, der fiir eine effiziente Diffusion von Wissen einge-
fordert wird, in der Anwendung des Wissens Probleme auftreten, weil der Kontext der
Interpretation und der Kontext der Abstraktion nicht mehr zugSnglich ist.
Mit diesen Uberlegungen habe ich dann zu zeigen versucht, dass jedes Organisations-
mitglied in einem unterschiedlichen AusmaB in ein soziales Netzwerk von Be-
ziehungen eingebettet ist. In meiner Diskussion der N-Form von Hedlund (1994) habe
ich herausgestrichen, dass der "Kontext der sozialen Struktur" eine wichtige Funktion
nicht nur in der Diffusion, sondem gerade auch in der Produktion von Wissen ein-
nimmt. Diesen von Hedlund (1994:75) eingeforderten Kontext der sozialen Struktur
habe ich in dieser Arbeit mit den Uberlegungen von Penrose (1959) in Verbindung ge-
setzt. Wie ich zeigte, sieht Penrose (1959) und im Anschluss an sie eine Reihe von
Autoren (Barney, 1986; Peteraf, 1993) gerade das "organisationale Beziehungsgeflecht
von Fahigkeiten" als zentrales Konzept, das erklart, warum Firmen unverwechselbare
Ressourcen nicht nur produzieren, sondem auch produktiv nutzen. Damit verlagert
sich jedoch die Problemstellung (vgl. Boisot, 1995; Nonaka und Takeuchi, 1995a) von
der Transformation impliziter Wissensformen auf die Herstellung und Gestaltung jener
sozialen Struktur und/oder jenes organisationalen Beziehungsgeflechts mit der/dem
Firmen "ihre produktiven Ressourcen nutzen" (Penrose, 1959:15). In diesem Kontext
habe ich die Struktur sozialer Netzwerke thematisiert.
202
In meiner Diskussion von Nonaka und Takeuchi (1995a) habe ich kritisiert, dass ihr
Managementkonzept sich darauf beschrankt, das Management zu beraten, ohne sich
tatsachlich mit der Population der Wissensarbeiter im Untemehmen auseinanderzu-
setzen. Wie erwShnt, scheint das paradoxe an diesem Modell zu sein, dass das Pro
blem, wie es sich vor nahezu 100 Jahren fur Taylor stellte, auf den Kopf gestellt wird.
Wahrend Taylor nicht die Absicht hatte den eigentlichen Arbeiter in seine Vision der
effizienten Fabriksproduktion einzubeziehen, soil im SECI-Modell das Management
dafur sorgen, dass Wissen produziert und verteilt wird, aber die tatsSchlichen Wissens-
produzenten spielen dabei eine Nebenrolle. An diese Kritik anschliefiend habe ich
deshalb den Ansatz von Kaser und Miles (2002) diskutiert, die sich mit der Funktion
von Vertrauen und der Wirkung der intrinsischen Motivation auf den Austausch von
Wissen beschafligen. Sie unterscheiden dabei zwischen extrinsischen und intrinsischen
Anreizen, greifen diese Idee von Deci und Flaste (1995) auf und zeigen, dass implizite
Wissensformen nur dann ausgetauscht werden, wenn der Grad an intrinsischer Motiva
tion hoch ist. ErgSnzend stellen sie fest, dass Vertrauen selbst ein notwendiger Be-
standteil ist, damit uberhaupt zwischen Akteuren implizite Wissensformen ausge
tauscht werden.
In meiner Diskussion des Konzepts der individualisierten Untemehmung von Bartlett
und Ghoshal (1997) habe ich in einer kritischen Aufarbeitung der Argumente der
Autoren zu zeigen versucht, welche Eigenschaften eine Organisation entwickeln muss,
damit Wissen produziert werden kann. In meiner Darstellung habe ich darauf aufmerk-
sam gemacht, dass eines der wesentlichen Probleme, mit denen sich das Modell von
Bartlett und Ghoshal auseinandersetzt, jenes ist, wie Organisationen die Kreativitat
und das Talent ihrer Mitarbeiter freisetzen konnen. Auch sie setzen auf vertrauens-
wiirdige interpersonale Beziehungen in Organisationen, die sie flir den Austausch und
fur die Produktion von Wissen als unverzichtbar erachten. Ich habe deshalb jene
Strukturen thematisiert, unter denen Vertrauen, Kooperation, Wissensproduktion und -
diffusion in Untemehmen moglich werden. Das zentrale Thema dabei ist Sozialkapital,
das ich als wesentliche Infrastruktur verstehe, die es ermOglicht, Wissen nicht nur zu
produzieren, sondem produktiv zu teilen. Ganz im Gegensatz zur Transaktionskosten-
theorie (Williamson, 1985) argumentierte ich, dass die Produktion und Koordination
von spezialisiertem Wissen in eine soziale Struktur von Beziehungen eingebettet ist.
Ich habe zu zeigen versucht, dass in jeder Organisation soziale Bindungen existieren,
die nicht ausschliefilich iiber den rationalen, nutzenmaximierenden Akteur erklSrt
werden kOnnen. Akteure sind keineswegs nur herzlose Rechenmaschinen, sondem
203
setzen ihre Handlungen eingebettet in soziale Beziehungen (vgl. Wassermann und
Faust, 1999:13). Einzelne Akteure stehen in vielfaltigen reziproken Beziehungen zu
anderen Akteuren. Sie sind in diese Beziehungen unterschiedlich stark eingebettet. Das
AusmaB dieser Einbettung beeinflusst in unterschiedlichem AusmaB die tatsachlichen
Handlungen der Akteure (vgl. Granovetter, 1985). Wie ich argumentiert habe, ist auf
Dauer jenes Verhalten, das nicht uber materielle Anreize gesteuert wird, wie der
informelle Austausch von Wissen, oder die Kooperation zwischen Akteuren in
Organisationen, nur uber wirksame Normen und Regeln, die in den institutionellen
Apparat der Organisation eingebettet sind, zu gewahrleisten. Meine zentrale These in
diesem Zusammenhang war, dass die Effizienz und die EffektivitSt des Austauschs
idiosynkratischer Ressourcen vom existierenden Sozialkapital und dem bestehenden
Vertrauen bestimmt werden. Wahrend in der orthodoxen Wirtschaftstheorie, soziale
Verpflichtungen und Normen iiberhaupt als Storfaktor klassifiziert werden, lasst sich
zeigen, dass vielfach wirtschaftliche Transaktionen uberhaupt erst stattfinden, wenn
zwischen Anbieter und Abnehmer eine vertrauenswiirdige Beziehung existiert. Ist das
nicht der Fall, entstehen zum Teil erheblich h5here Transaktionskosten, oder es findet
uberhaupt kein Austausch statt.
Zudem ist festzuhalten, dass wir als Personen, permanent in soziale Beziehungen in-
vestieren. Ein Effekt davon ist, dass die damit konstituierte soziale Struktur, in die wir
eingebettet sind, uns erst als wirtschaftliche Akteure handlungsfahig werden lasst.
Wahrend beispielsweise Williamson (1985) und Levi (2000) argumentieren, dass
soziale Verpflichtungen sich schadlich auf wirtschaftliche Transaktionen auswirken,
zeigen eine Reihe von empirischen Studien (z. B. Lamming, 1993; Dyer, 1997), dass
vertrauensvoUe soziale Bindungen und Beziehungen, die auf Dauer angelegt sind,
einen positiven wirtschaftlichen Effekt erkennen lassen. Dieser Punkt ist in der Netz-
werktheorie unumstritten. In der Netzwerktheorie wird beispielsweise argumentiert,
dass uber interorganisationale, feste, d. h. dauerhafte Bindungen "strategische Res
sourcen" (vgl. Sydow, 1993; Gulati und Singh, 1998:781) erschlossen werden. Dies ist
nicht nur zwischen Organisationen ein wichtiges Element, um Ressourcen zu nutzen,
sondem auch innerhalb der Organisationsgrenzen.
Ich habe in diesem Zusammenhang meine These diskutiert, dass der wirtschaftliche
Erfolg sozialer Beziehungen damit zusammenhangt, dass dichte, reziproke und dauer
hafte soziale Bindungen erst die Produktion, den Austausch und den Zugang zu idio-
synkratischen Wissensformen in einer Organisation ermoglichen. Ich habe dabei argu
mentiert, dass Sozialkapital uber den funktionalen Wert der Kultur, wie sie Boisot
204
(1995), Nonaka und Takeuchi (1995a), Hedlund (1994) oder Bartlett und Ghoshal
(1997) in ihren Ansatzen diskutieren, hinausreicht. Zentral in den Uberlegungen in
dieser Arbeit war, dass soziales Kapital ein intangibler Vermogenswert in Unter-
nehmen ist. Die Intangibilitat besteht darin, dass soziales Kapital erst den Wert des als
essentiell betrachteten Bundels an Ressourcen in Untemehmen aktiviert und als ein-
zigartige und unverwechselbare Quelle von Wettbewerbsvorteilen greifbar und pro-
duktiv werden lasst. Wahrend der Effekt von Vertrauen darin besteht, auf Weisungs-
rechte und kostspielige Vertrage zu verzichten, ist der Effekt von Sozialkapital, dass
durch die bestehenden Bindungen nicht nur vorhandene Ressourcen erschlossen
werden, sondem neue Ressourcen uberhaupt erst entstehen. Sozialkapital ist so inter-
pretiert die soziale Infrastruktur fiir ein intelligentes Untemehmen.
Soziales Kapital wurde vor dem Hintergrund dieser Uberlegungen in dieser Arbeit als
der Vorrat an aktiven Beziehungen definiert. Sozialkapital ist so gesehen ein Ver-
mSgenswert, der durch die intensive Nutzung der existierenden Beziehungen erst akti
viert wird. Es ist somit das Ergebnis intakter sozialer Bindungen.
Ein wichtiger Aspekt in der Diskussion meiner Thesen ist, dass die Bereitschaft in
soziale Beziehungen zu investieren, von der Dauer der Beschaftigung in einem Unter-
nehmen abhSngt. Dies ist auch der Punkt, an dem ich meine These aufhSnge, warum in
all jenen Fallen, in denen in Organisationen prekare und kurzfristige Beschaftigungs-
formen existieren, weniger Sozialkapital aufgebaut wird.
Ganz generell war es mir ein wichtiges Anliegen in dieser Arbeit, nicht nur die posi-
tiven Effekte von Sozialkapital in einer allgemeinen Theorie auszuarbeiten, sondem
vor allem auch Hypothesen zu generieren, die im Rahmen einer empirischen Unter-
suchung iiberpruft werden konnten. Ich habe mich daher in einem eigenen Abschnitt
mit der sozialen Netzwerkanalyse beschafligt und gezeigt, mit welchen Instrumenten
und mit welchen Methoden der Vorrat an Sozialkapital und die tatsachliche Struktur
des sozialen Netzwerkes in Untemehmen untersucht werden konnen. Dabei habe ich
versucht herauszuarbeiten, dass Mitglieder in einem Netzwerk nicht nur am Vorrat an
Sozialkapital partizipieren, sondem durch die Nutzung der vorhandenen Ressourcen
und Beziehungen das vorhandene Sozialkapital vergroBem. Ich nenne dies, wie er-
wahnt, die intelligente Infrastruktur funktionierender sozialer Bindungen in Organi
sationen. Soziale Netzwerke sind so verstanden effizient, well sie nicht nur die
Normen und Werte konstituieren (Coleman, 1990), die z.B. Opportunisten bestrafen,
sondem die intakte Struktur besitzen, die Bestrafung effektiv auch umzusetzen. So-
205
ziale Netzwerke sind in diesem Sinne effizient, weil sie nicht nur die Struktur besitzen,
mit der Fahigkeiten, Talent, tangible und intangible Ressourcen bereitgestellt werden,
sondem diese Ressourcenflusse in hohen MaBe selbst steuem und dadurch permanent
neue Ressourcen schaffen.
Im empirischen Teil der Arbeit wurde vor diesem konzeptionellen Hintergrund ein
Modell skizziert, das zeigen soil, unter welchen Bedingungen Sozialkapital und Ver-
trauen in Organisationen entstehen. Zu diesem Zweck wurde eine Fragebogenunter-
suchung durchgefiihrt. Vor dem Hintergrund einer kritischen Diskussion der ein-
schlagigen Literatur wurden Items konstruiert, mit denen konkrete Organisations-
variablen im Rahmen der Befragung erfasst wurden. Mithilfe einer Faktorenanalyse
wurden mikro-organisationale Variablen generiert. Unter Rtickgriff auf die ein-
schlagige Organisations- und Wissensmanagementliteratur habe ich, bezogen auf die
einzelnen Variablen sieben Hypothesen konstruiert. Die Diskussion der generierten
mikro-organisationalen Faktoren hatte den Zweck zu zeigen, unter welchen Be
dingungen einerseits Vertrauen und Sozialkapital in Organisationen gebildet wird.
Dieser empirische Befund ist allerdings als ein erster Schritt zu sehen, von dem aus es
vor allem darum geht, sich mit dem Thema und der Entstehung von Vertrauen und
Sozialkapital noch weiter zu beschaftigten. Der Befund zeigt sehr deutlich, dass Ar-
beitsinhalt, Partizipation, Feedback und der Untemehmenserfolg wichtige Wirkungs-
zusammenhange markieren, um Vertrauen und Sozialkapital in Untemehmen zu er-
klaren. Daruber hinaus zeigt der Befund, dass wissensorientierte Untemehmen letzt-
lich nicht auf partizipative Managementstrukturen verzichten konnen und es primar
darum geht autonomiefordemde ArbeitsgestaltungsmaBnahmen einzurichten, um die
Produktion und die Diffusion von Wissen zu starken. Die vorherrschende Doktrin der
Kontrolle von Wissensproduktions- und Wissensdiffusionsprozessen zeigt sich hierbei
offensichtlich als kontraproduktiv.
In der empirischen Analyse hat sich gezeigt, dass der Aufbau von Vertrauen von den
Faktoren Arbeitsinhalt, Partizipation, Feedbackorientierung, Selbstbestimmtheit posi-
tiv und von den Faktoren Arbeitsdruck/Stress negativ beeinflusst wird. Der Vorrat an
Sozialkapital wird jedoch, wie der Befund nahe legt, von den Faktoren Partizipation
und Feedbackorientierung erklart. Ein Aspekt der empirischen Priifung der formu-
lierten Hypothesen war, konkret jene Unterschiede zu priifen, die zwischen den ver-
schiedenen Gruppen von Beschaftigungsformen festzustellen sind (VoUzeitbe-
schaftigte, Teilzeitbeschaftigte, befristet und unbefristet Beschaftigte). Dabei wurde
angenommen, dass zwischen Vollzeit- und Teilzeitbeschafligten einerseits und zwi-
206
schen befristet und imbefristeten Beschaftigten jeweils gravierende bzw. deutliche
Unterschiede festzustellen sind. Diese Vermutung hat sich nur zum Teil bestatigt. In-
sofem ist dem zuzustimmen, well zwischen den einzelnen Gruppen, z. B. den befristet
und unbefristet Beschaftigten und zwischen den VoUzeit- und Teilzeitbeschaftigten
tatsachlich Unterschiede, sowohl im Aufbau von Vertrauen, als auch im Aufbau von
Sozialkapital zu beobachten sind. Der Unterschied zeigt sich in den verschiedenen
Gruppen darin, wie in der Zusammenfassung der empirischen Ergebnisse dargelegt,
dass jeweils die Faktoren mit denen Vertrauen und Sozialkapital erklSrt werden, je
weils ein sehr unterschiedliches Gewicht bzw. einen unterschiedlichen Einfluss auf die
abhSngigen Variablen einnehmen.
Letztlich zeigt sich deutlich, dass Organisationen, die ihre intangiblen Ressourcen pro-
duktiv nutzen, in kompetente und selbstandige ArbeitsgestaltungsmaBnahmen inves-
tieren mussen und nicht darauf verzichten konnen, Mitarbeiter in Entscheidungspro-
zesse zu integrieren. Wissensorientierte Untemehmen benotigen feedbackorientierte
Management- und Fuhrungsstrukturen, wenn sie Vertrauen und Sozialkapital in ihren
Organisationen aktivieren wollen. Und diese Untemehmen werden auf Management-
konzepte setzen, die mit Offenheit und Transparenz arbeiten, well damit Voraus-
setzungen geschaffen werden, dass Mitarbeiter selbstverantwortlich in den Aufbau von
Vertrauen investieren und aktiv soziales Kapital generieren.
207
V. Anhang: Deskriptive Analyse der Untersuchung
Im Rahmen der fur diese Arbeit durchgefuhrten Untersuchung wurden mithilfe eines
strukturierten Fragebogens 278 Interviews mit Beschaftigten in osterreichischen und
deutschen Untemehmen, die ihren Standort in Osterreich haben, durchgefiihrt. Ziel der
empirischen Untersuchung war es, fur das in dieser Arbeit skizzierte konzeptionelle
Modell und die explizierten Hypothesen einen empirischen Test durchzufiihren. Die
empirische Arbeit verstehe ich als explorative Studie, die dazu dienen soil, eine empi-
rische Uberprufung der Hypothesen Nr. 1 bis 7 vorzunehmen.
Ziel der empirischen Arbeit ist es nicht, ein neues Wissensmanagementmodell zu ent-
werfen. Der Weg einer empirischen Studie mithilfe eines strukturierten Fragebogens
wurde gewahlt, um konkrete Bedingungen und Charakteristika in einer Organisation
im Rahmen dieser explorativen Studie herauszuarbeiten. Der Fragebogen ist im An
hang dieser Arbeit wiedergegeben. Ich habe auf die in derartigen Arbeiten sehr oft be-
liebte Darstellung der Ergebnisse in Form von Kreuztabellen verzichtet. Vor allem
deshalb, well es hier primar darum geht, den generellen Zusammenhang zwischen den
herausgearbeiteten Variablen im Rahmen einer multiplen Regressionsanalyse und
durch die Berechnung der einzelnen B-Werte der ausgewiesenen Faktoren das je-
weilige Gewicht der einzelnen Faktoren zu untersuchen.
Im Vordergrund steht also der empirische Test der Hypothesen Nr. 1 bis 7. Im Rahmen
dieser empirischen Studie geht es mir nicht primSr darum, eine representative Be-
standsaufnahme des Wissensaustauschs in ausgewahlten osterreichischen und
deutschen Untemehmen - unter Berucksichtigung der einschlagigen Variablen - her
auszuarbeiten. Mir geht es vielmehr darum, eine empirische Arbeit durchzufiihren, mit
deren Ergebnissen weitere Untersuchungen initiiert werden konnen. Es geht also, ein-
mal einen ersten Schritt in der Erhebung valider und verlasslicher Daten durchzu-
ftihren, um die theoretischen Uberlegungen im Rahmen des empirischen Modells zu
testen.
Mir ist bewusst, dass derartige empirische Arbeiten immer nach Verbesserungen und
Erganzungen verlangen. Beispielsweise ware es wunschenswert, Daten zur Verfugung
zu haben, die das Ergebnis einer Langsschnittanalyse in ausgewahlten Untemehmen
sind. Eine Vergleichbarkeit iiber mehrere Untemehmen und uber mehrere Jahre hin-
weg wurde es erlauben, eine Vergleichbarkeit iiber den Verlauf der von mir hier aus
gewahlten organisationalen Variablen, gerade in Bezug auf Aussagen iiber den Aufbau
209
von Vertrauen und sozialem Kapital in Untemehmen zu erzielen. Aus pragmatischen
GrOnden habe ich mich jedoch entschieden, an der Verfeinerung meines konzeptio-
nellen Modells zu arbeiten und die Verbesserung und Absicherung meiner Hypothesen
in den Vordergrund zu steilen, auch deshalb, um den Rahmen dieser Arbeit nicht zu
sprengen. Es zeigt sich aber an derartigen Anmerkungen, in welche Richtung zusatz-
liche und an diese Arbeit anschliefiende empirische Vorhaben gehen mussen.
Zur Berechnung der ZusammenhSnge in meinem konzeptionellen Modell (bzw. in den
verschiedenen Modellvarianten) habe ich mich fur die gSngige multiple Regression
(Bortz und D5ring, 1995:298) entschieden, da es das in den sozialwissenschafllichen
Disziplinen noch immer am haufigsten verwendete statistische Verfahren darstellt. Der
Vorteil dieses Verfahrens besteht meines Erachtens darin, dass die im Rahmen des
getesteten Modells aufgestellten Hypothesen einem sehr brauchbaren empirischen Test
unterworfen werden. ZusammenhSnge, die also im Modell eine sehr wichtige RoUe
spielen und als Hypothesen ausformuliert sind, kSnnen einem expliziten Test unter-
zogen werden. Vor allem kann ich damit Aussagen iiber den Erklarungswert der
Hypothesen treffen und muss nicht auf mehr oder weniger plausible Vermutungen
Oder konstruierte Einzelfallbeispiele in der Argumentation zuriickgreifen.
Im Rahmen des Fragebogens habe ich neben den tiblichen soziodemographischen
Daten (Alter, Einkommen, Geschlecht etc.) im Wesentlichen versucht, zwei Aspekte
zu untersuchen. Einmal ging es mir darum, spezifische Charakteristika der Organi
sation (des Untemehmens), der die Befragten angehoren, zu erheben. Die Ergebnisse
dieser Fragebogenuntersuchung habe ich im vorangestellten Teil der Faktorenanalyse
diskutiert. Zum anderen diente die Untersuchung dazu, sowohl das vorhandene Sozial-
kapital zu bewerten bzw. zu messen und den Vorrat an Vertrauen zu erheben.
Da ich in dieser Arbeit primSr daran interessiert bin, den Einfluss auf die Bildung von
Sozialkapital und Vertrauen herauszuarbeiten und die gewonnenen Ergebnisse resp.
Zusammenhange mit der Qualitat der Beschaftigungsverhaitnisse in Zusammenhang
zu steilen, war die Schwierigkeit, mit welchen Fragebogen-Items am verlSsslichsten
Eigenschaften der Organisation (wie Kooperationsbereitschafl, Reziprozitat, Ver
trauen, Zufriedenheit, Ehrgeiz, Feedback) erhoben werden konnen. Was die empi
rische Literatur zu diesen Fragen betrifft existieren wenige unmittelbar brauchbare
Vorarbeiten, auf die ich mich in der Befragung stUtzen konnte. Einzelne Aspekte habe
ich von Likert (1961), Hackman und Oldham (1980) und Deci und Flaste (1995) auf-
genommen und in meine Formulierung der Fragebogen-Items eingearbeitet. Auch
210
habe ich versucht, Fragebogen-Items zu formulieren, um die Identifikation und die
Loyalitat der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber gegeniiber festzustellen. Dabei war die
Uberlegung die, von welchen Faktoren die Bindung des Arbeitnehmers an die Organi
sation (bzw. an den Arbeitgeber) abhSngig ist.
Ganz zentral in meinem konzeptionellen Modell ist die Uberlegung, dass die Loyalitat
vom Beschaftigungsverhaltnis selbst (der Vertragsform, befristet bzw. unbefristet und/
Oder Dauer der Beschaftigung) abhSngt. Freilich spielt dabei die Uberlegung eine
RoUe, ob die Qualitat des Beschaftigungsverhaltnisses selbst (Arbeitsinhalt, Be-
ziehungen zu KoUegen und Vorgesetzten resp. die Einstellung der Organisation zu
Fragen der Partizipation) eine Wirkung zeigt. Aber der Unterschied zwischen einem
standardisierten VoUzeitarbeitsplatz, der in der Kegel unbefristet ist, und ver-
schiedenen atypischen Arbeitsformen - so meine Vermutung - soUte sich in der unter-
schiedlichen Wirkung der verwendeten Faktoren zeigen. Die Gr66e dieses Unter-
schiedes soUte sich in der Annahme und in der Ablehnung der Hypothesen bezogen
auf die Differenzierung der verschiedenen Arbeitsverhaltnisse zeigen. Aus erkennt-
nistheoretischen Uberlegungen heraus wSre nattirlich die Frage interessant, wie grol3 in
der gemessenen Einstellung Unterschiede zwischen den Geschlechtem, bei ver
schiedenen Alters- und Einkommensgruppen und auf verschiedenen hierarchischen
Ebenen zum Tragen kommen. Diese Fragen standen aber nicht im Vordergrund der
hier untersuchten Uberlegungen.
Ich habe mich letztlich entschieden, den Fragebogen so gestalten, dass sich die Be-
fragten auf eine jeweils ausformulierte Aussage festlegen sollten. Fiir den Grofiteil der
Fragen habe ich mich fiir eine fiinfstufige Likert-Skala entschieden, um die Einstellung
der Befragten zu einem vorformulierten Item festzustellen. Die von Likert ver
wendeten Rating-Skalen erlauben es, zu verschiedenen Behauptungen die Einstellung
der Befi-agten festzustellen. Likert-Skalen haben den Vorteil, dass die Einstellung zu
schwer quantifizierbaren Merkmalen getestet werden kSnnen. Der Nachteil liegt darin,
dass der mittlere Skalenwert sehr oft nicht eindeutig interpretierbar ist (Bortz und
Doring, 1995:204).
2.1. Datenerhebung
Im Rahmen von zwei Serien einer Fragebogenuntersuchung (eine im Herbst 2001 und
eine im Fruhjahr 2002) v^oirden insgesamt 278 Fragebogeninterviews durchgefuhrt. 93
Fragebogeninterviews wurden mit Unterstiitzung von Studierenden und der Rest vom
Autor selbst durchgefiihrt. Die Arbeitnehmer, die den Fragebogen ausfiillten, ar-
211
beiteten in osterreichischen und deutschen Untemehmen in Osterreich. Das Daten-
sample umfasst dabei 53 Untemehmen aus verschiedenen Branchen.
2.2. Zusammenfassung und Interpretation
2.2.1. Ausbildungsgrad
Einen Uberblick Uber den Ausbildungsgrad und die Verteilung der Ausbildung ist in
Tabelle 16 zu sehen. Mehr als 50 % verfugen uber eine Matura, ein Studium ohne Ab-
schluss bzw. Studium mit Abschluss; 35 % der Befragten geben an, eine Lehre oder
Matura und Lehre abgeschlossen zu haben.
Tabelle 16 Ausbildung
GUltig
Fehlend Gesamt
Pflichtschule abgeschlossene Lehre Lehre mit Matura Matura ohne Lehre Studium ohne Abschluss Studium mit Abschluss Gesamt System
HSufigkeit
12 69 16 96 45 33 271 7 278
Prozent
4,3 24,8 5,8 34,5 16,2 11,9 97,5 2,5 100,0
GUltige Prozente 4,4 25,5 5,9 35,4 16,6 12,2 100,0
Kumulierte Prozente 4,4 29,9 35,8 71,2 87,8 100,0
Das durchschnittliche Alter der Befragten liegt bei 31,7 Jahren. Das durchschnittliche
monatliche Nettoeinkommen liegt bei den Befragten bei knapp €1.270,--; 55 % der
Befragten sind Manner, 45 % Frauen. Im Ausbildungsgrad ist in dem Fragebogen-
sample kein wesentlicher geschlechtsspezifischer Unterschied festzustellen. Sehr wohl
aber ist in dem Sample der Befragten deutlich sichtbar, dass Frauen erheblich weniger
verdienen als Manner.
2.2.2. Beschdftigungsvertrag, Art des Dienstverhdltnisses
Eines der wesentlichen Ziele der Fragebogenerhebung war es, Daten zu gewinnen, mit
denen, Unterschiede zwischen der Mobilitat von Arbeitnehmem, der Bereitschafl von
Beschaftigten in vertrauenswiirdige Beziehungen mit KoUegen und Vorgesetzten zu
investieren und der Dauer und Art der Beschafligung im Untemehmen zu gewinnen.
In dem Fragebogensample wurden folgende Beschaftigungsverhaltnisse bei den Be
fragten erhoben. Tabelle 17 gibt dazu einen Uberblick.
212
befristet (< 1 Jahr) Befristet(>l < 2 J ) befristet > 3 Jahre unbefristet ungliltige Angaben Gesamt System
HSufigkeit
27 18 13 207 3 268 10
Prozent
9,7 6,5 4,7 74,5 1,1 96,4 3,6
GUltige Prozente 10,1 6,7 4,9 77,2 1,1 100,0
Kumulierte Prozente 10,1 16,8 21,6 98,9 100,0
Tabelle 17 Beschaftigungsvertrag (AusmaB der vertraglichen Beschaftigungsdauer)
GUltig
Fehlend Gesamt 278 100,0
Ganz in Sinne des allgemeinen Trends sind 10 % der Befragten in einem Arbeitsver-
haltnis, das auf weniger als 1 Jahr befristetet ist. 6,7 % der Befragten verfugen iiber
einen auf weniger als zwei Jahre befristeten Arbeitsvertrag. Knapp 5 % verfugen iiber
ein auf drei Jahre befristetes Arbeitsverhaltnis; 74,5 % der Befragten stehen in einem
unbefristeten Arbeitsverhaltnis.
2.2.3. Beschdftigungsdauer
Knapp 20 % der Befragten geben an, weniger als ein Jahr bei dem gegenwSrtigen Ar-
beitgeber beschaftigt zu sein; immerhin knapp 30 % geben an, seit fiinf Jahren beim
gegenwartigen Arbeitgeber beschaftigt zu sein; 20 % der Befragten geben mindestens
10 Jahre und wieder 20 % mehr als 10 Jahre als gegenwSrtige Dauer der Be-
schaftigung beim aktuellen Arbeitgeber an.
Tabelle 18 Dauer der BeschSftigung (Wochenarbeitszeit)
GUltig
Fehlend Gesamt
Vollzeitbeschaftigung Teilzeit > 20 h Teilzeit < 20 h geringfiigig B freie(r) MA Gesamt System
HSufigkeit
146 47 12 39 27 271 7 278
Prozent
52,5 16,9 4,3 14,0 9,7 97,5 2,5 100,0
GUltige Prozente 53,9 17,3 4,4 14,4 10,0 100,0
Kumulierte Prozente 53,9 71,2 75,6 90,0 100,0
Tabelle 18 zeigt einen Uberblick iiber die Verteilung von Teil- und Vollzeitbeschafti
gung bzw. geringfiigig Beschaftigten und freien Mitarbeitem bei den Befragten. Fast
54 % der Befragten sind in einem VoUzeitbeschaftigungsverhaltnis, etwa 17 % geben
an, in einem TeilzeitarbeitsverhSltnis mit 20 Wochenarbeitsstunden zu arbeiten, nur
4,4 % geben an, eine Teilzeitbeschaftigung mit einer Wochenarbeitszeit von weniger
als 20 Stunden zu haben. 15 % der Befragten sind geringfiigig beschaftigt und
immerhin 10 Prozent sind freie Mitarbeiter.
213
2.2.4. Mobilitdt der Beschdftigten
Eine der Fragen der Untersuchung lautete, wie hoch die Loyalitat der Mitarbeiter ge-
genuber ihrem gegenwartigen Arbeitgeber ist. Eine MSglichkeit dies festzustellen ist,
zu fragen, wie lange der Befragte die Absicht hat, beim aktuellen Arbeitgeber weiter-
hin beschafligt zu sein. Dabei ist es interessant, gewisse Abstufungen zu unter-
scheiden; wollen Arbeitnehmer auf jeden Fall bei dem jetzigen Arbeitgeber weiterbe-
schaftigt sein, wie lange noch, oder suchen sie z. B. schon aktiv eine neue Be-
schaftigung bzw. wiirden sie einem guten Freund empfehlen in dem Untemehmen in
dem sie selbst tatig sind, zu arbeiten. Tabelle 19 gibt tiber das Antwortverhalten einen
Uberblick.
Tabelle 19 Mobilitat der Arbeitnehmer (Wie lang(
GUltig
Fehlend Gesamt
; mQchten Sie im Untemehmen bleiben?)
so lange ich kann IMnger als 5 Jahre 3 bis 5 Jahre 2 bis 3 Jahre 1 bis 2 Jahre solange ich kein anderes Angebot habe suche aktiv einen anderen Job Gesamt System
HSufigkeit
97 19 31 30 36 33 24 270 8 278
Prozent
34,9 6,8 11,2 10,8 12,9 11,9 8,6 97,1 2,9 100,0
GUltige Prozente 35,9 7,0 11,5 11,1 13,3 12,2 8,9 100,0
Kumulierte Prozente 35,9 43,0 54,4 65,6 78,9 91,1 100,0
Es ist plausibel, wenn die Daten in der Tabelle 19 angesehen werden, zumindest fiir 36
% der Beschaftigten anzunehmen, dass sie eine hohe Loyalitdt zu ihren Arbeitgebem
besitzen. Knapp 20 % (darunter etwa 9 %, die bereits aktiv einen anderen Job suchen
und immerhin 12 % der Befragten, die solange im jeweiligen Untemehmen arbeiten,
bis sie ein anderes, bessere Angebot haben) lieBen sich in die Kategorie von Be-
schaftigten einordnen, die ihre zukiinftigen Karrierechancen auBerhalb der Unter-
nehmung suchen. Fast ein Drittel der Befragten sind aber (wenn auch in unterschied-
lichen Zeitperspektiven von 1 bis 5 Jahren) darauf eingestellt, in der gegenwSrtigen
Firma zu bleiben. Insgesamt ist dieses Antwortverhalten als Indikator brauchbar, um
uber die Mobilitat der Beschdftigten Aussagen zu trefFen. Es ist sinnvoll davon auszu-
gehen, dass die Einschatzung der Mobilitat in groBem AusmaB davon abhangt,
welcher Wert den eigenen Qualifikationen beigemessen wird bzw. welche Ein-
schatzung uber die existierende Nachfrage dieser Qualifikationen auf dem Arbeits-
markt aktuell existiert.
214
Die Tabelle 20 fasst die Ergebnisse der Einschatzung der Befragten uber den poten-
ziellen Wert ihrer Quaiifikationen am Arbeitsmarkt zusammen. Zu sehen ist das Ant-
wortverhalten auf die Frage, wie sehr die Befragten glauben, mit den eigenen Quaii
fikationen relativ rasch eine andere Arbeit zu fmden. Es ist offensichtlich, dass dieses
Antwortverhalten insgesamt sowohl von subjektiven Faktoren (Selbstbewusstsein) als
auch von objektiven Faktoren (Arbeitsmarktiage, Konjunktur etc.) abhSngt; ich gehe
jedoch von der Uberlegung aus, dass der Verbleib in der Firma mit der EinscliStzung
dieser Frage in Zusammenhang steht. Ein sehr loyaler Mitarbeiter ware dann eine Per
son, die aufgrund ihrer Quaiifikationen am Arbeitsmarkt relativ rasch einen anderen
Job annehmen konnte und sich dennoch entscheidet, in der gegenwartigen Firma zu
bleiben bzw. die eigene Karriereplanung in der aktuellen Firma verfolgt.
Tabelle 20 Finde rasch neue Arbeit
GUltig trifft sehr stark zu trifft eher zu welB nicht so recht trifft eher nicht zu trifft iiberhaupt nicht zu Gesamt
Fehlend System Gesamt
HSufigkeit
65 110 71 18 7 271 7 278
Prozent
23,4 39,6 25,5 6,5 2,5 97,5 2,5 100,0
Gultige Prozente
24,0 40,6 26,2 6,6 2,6 100,0
Kumulierte Prozente 24,0 64,6 90,8 97,4 100,0
Es ist zu sehen, dass 64 % der Befragten davon uberzeugt sind, relativ rasch eine
andere Arbeit zu fmden. Knapp 27 % wissen nicht so recht, ob das zutrifft oder ob das
ftir ihre Situation nicht zutrifft. Nur knapp 10 % (6,6 und 2,6) - und das fmde ich er-
staunlich - sehen es keinesfalls so, dass sie in relativ kurzer Zeit eine andere Arbeit in
einer anderen Firma fmden wiirden. LieBe man die Ergebnisse so einfach stehen, hiefie
das, dass nur 10 % der Befragten aufgrund mangelnder oder fehlender Altemativen in
der Firma verbleiben und mehr als zwei Drittel aller Befragten fest daran glauben, mit
ihren Quaiifikationen in anderen Firmen eine Arbeit zu finden, die ihren Interessen
entspricht. Man kann sich natiirlich auch fragen, ob dieses Bild der einzelnen Be
fragten in der Mehrzahl der Falle nicht ein sehr positives ist, das mit der tatsachlichen
Realitat nicht in Uberstimmung zu bringen ist.
2.2.5. Vertrauen in Kollegen und Vertrauen in Vorgesetzte
In Tabelle 21 und Tabelle 22 ist das Antwortverhalten auf die Fragebogen-Items zu-
sammengefasst, mit denen das AusmaB des Vertrauens gegeniiber Kollegen und
gegentiber Vorgesetzten bewertet wurde.
215
Tabelle 21 GegenUber Vorgesetzten eine freundschaftliche Haltung
Giiltig
Fehlend Gesamt
trifift vollkommen zu trifft eher zu weiB nicht so recht trifft eher nicht zu trifft tiberhaupt nicht zu Gesamt System N
Haufigkeit
88 104 42 35
1 7
276 2 278
Prozent
31,7 37,4 15,1 12,6 2,5 99,3 0,7 100,0
GUltige Prozente 31,9 37,7 15,2 12,7 2,5 100,0
Kumulierte Prozente 31,9 69,6 84,8 97,5 100,0
Zwei Drittel der Befragten (siehe Tabelle 21) geben an, dass sie gegeniiber ihrem un-
mittelbaren Vorgesetzten eine freundschaftliche Haltung einnehmen. Nur knapp 14 %
finden, dass sie eher keine oder (nur 2 %) uberhaupt keine freundschaftliche Haltung
ihrem Vorgesetzten gegeniiber einnehmen. Auch hier lieBe sich vermuten, dass sich
hinter dem Antwortverhalten eine prinzipiell positive Bewertung einer vielleicht gar
nicht so positiven Situation versteckt. Fur die Einschatzung des Grades an Vertrauen,
der in einer Organisation existiert, ist dies zwar zu berucksichtigen, es ist aber immer-
hin auch zulassig, davon auszugehen, dass in einem weniger positiv wahrgenommenen
Arbeitsumfeld noch immer "positive Einstellungen" generiert werden.
Ein ahnliches Bild zeigt das Antwortverhalten in Bezug auf die Frage "Wie hoch das
Vertrauen in KoUegen eingeschatzt wird". Tabelle 22 gibt dazu einen Uberblick.
Tabelle 22 Vertraue meinen KoUegen
GUltig
Fehlend Gesamt
trifft vollkommen zu trifft eher zu weiB nicht so recht Trifft eher nicht zu trifft Uberhaupt nicht zu Gesamt System
Haufigkeit
83 127 51 12 1 274 4 278
Prozent
29,9 45,7 18,3 4,3 0,4 98,6 1,4 100,0
GOltige Prozente 30,3 46,4 18,6 4,4 0,4 100,0
Kumulierte Prozente 30,3 76,6 95,3 99,6 100,0
Immerhin 30 % der Befragten fmden, dass sie ihren unmittelbaren KoUegen uneinge-
schrankt vertrauen und 45,7 % denken, dass sie "eher" ihren unmittelbaren KoUegen
vertrauen. Immerhin 20 % kOnnen diese Frage weder bejahen noch vemeinen. Die
Frage ist zweckmSBig, ob dieses indifferente Antwortverhalten tatsachlich als In-
differenz zu interpretieren ist oder doch eher als Zuriickhaltung, sich in dieser Frage
positiv oder negativ zu auBem. Knapp 4,5 % der Befragten geben an, ihren unmittel
baren KoUegen eher kein und 0,5 % uberhaupt kein Vertrauen zu schenken.
216
Tabelle 23 AusmaB des Vertrauens, das in den unmittelbaren Vorgesetzten gesetzt
GUltig
Fehlend Gesamt
sehr hoch eher hoch mehr oder weniger eher gering sehr gering Gesamt System
Haufigkeit
55 149 48 20 4 276 2 278
Prozent Gultige Prozente
19,8 19,9 53,6 54,0 17,3 17,4 7,2 7,2 1,4 1,4 99,3 100,0 ,7 100,0
wird.
Kumulierte Prozente 19,9 73,9 91,3 98,6 100,0
In der Tabelle 23 zeigt sich ebenso ein recht positives Bild des Vertrauens der Be-
schaftigten gegeniiber ihrem unmittelbaren Vorgesetzten.
In den hier getroffenen Uberlegungen wird davon ausgegangen, dass Vertrauen als
Arbeitsgrundlage eine wesentliche Voraussetzung ist, um die intangible Ressource
Wissen, die nicht (iber formale Kommunikations- und Auflragswege weitergegeben
werden kann, zu nutzen. In hochgradig misstrauischen Arbeitsumwelten ist es wahr-
scheinlich, dass existierende Informationsasymmetrien in der AufgabenerfuUung hohe
Transaktionskosten in der Zusammenarbeit und im Austausch impliziter Leistungs-
erstellungsprozesse hohe Kosten verursachen. Neben derartigen Uberlegungen ist des-
halb auch wichtig, wieweit die Zusammenarbeit zwischen Mitarbeitem als sehr gut
bzw. erfolgreich eingeschatzt wird.
2.2.6. Interdependenz
Im Rahmen der Befragung habe ich die Einstellung zu folgender Frage erfasst: Kann
ich ohne Unterstutzung von Kollegen meine eigenen Aufgaben erfolgreich ausfiihren?
Im Normalfall zeigt das Antwortverhalten auf diese Frage den Grad an Interdependenz
fur eine erfolgreiche Aufgabenerflillung. In der Tabelle 24 ist das Antwortverhalten
zusammengefasst. Dabei ist zu erkennen, dass knapp 5 % in hohem MaBe auf die
Unterstutzung anderer Kollegen angewiesen sind. Noch immerhin bei knapp 22 % der
Befragten lautet die Antwort auf die eingangs formulierte Frage "trifft eher zu".
Tabelle 24 Ohne Unterstutzung der
GUltig trifft vollkommen zu trifft eher zu weiB nicht so recht trifft eher nicht zu trifft uberhaupt nicht Gesamt
Kollegen nicht erfolgreich
zu
Haufigkeit
13 61 73 86 45 278
Prozent
4,7 21,9 26,3 30,9 16,2 100,0
GUltige Prozente 4,7 21,9 26,3 30,9 16,2 100,0
Kumulierte Prozente 4,7 26,6 52,9 83,8 100,0
217
Fast 27 % der Befragten sind von der Unterstutzung anderer Kollegen und Kollegen
abhSngig. Immerhin etwas mehr als 26 % konnen (oder wollen) diese Frage weder
positiv noch negativ beantworten; knapp 31 % sind der Uberzeugung, dass sie ihre
eigenen Arbeiten eher ohne Unterstutzung der Kollegen durchfiihren kSnnen und 16 %
vertreten die Auffassung, dass sie ihrer Einschatzung nach voUstandig auf die Unter
stutzung von Kollegen verzichten kCnnen. Das ergibt insgesamt ein interessantes Bild
von der Einschatzung der Befragten iiber die notwendige und die existierende Inter-
dependenz in ihrem unmittelbaren Arbeitsumfeld.
Des Weiteren ist die Frage interessant, wie groB die einzelnen BeschSftigten die
gegenseitige AbhSngigkeit einscMtzen. In der Tabelle 25 geben 6,8 % der Befragten
an, von den Arbeitsergebnissen anderer Abteilungen in einem sehr starken AusmaB
abhangig zu sein. 23,4 % finden, dass diese Feststellung auf ihre konkrete Arbeits-
situation "eher zutrifft". Knapp 15 % der Befragten wollten sich zu dieser Frage nicht
SuBem. Immerhin - und das fmde ich erstaunlich - denken 30,3 % der Befragten, dass
ihre Arbeitsergebnisse "eher nicht" und 22,3 %, dass ihre Arbeitsergebnisse "iiber-
haupt nicht" von anderen Kollegen abhSngen.
Tabelle 25 Meine Arbeitsergebnisse sind sehr stark von
Gtiltig
fehlende Gesamt
triflft vollkommen zu trifft eher zu weiB nicht so recht trifft eher nicht zu trifft Uberhaupt nicht zu Gesamt System
Haufigkeit
19 65 43 83 61 274 4 278
Arbeitsergebnissen anderer Prozent Gultige
Prozente 6,8 6,9 23,4 23,7 15,5 15,7 29,9 30,3 21,9 22,3 98,6 100,0 1,4 100,0
abhangig Kumulierte Prozente 7,3 31,0 46,7 77,0 99,3
Dieses Antwortverhalten ist insgesamt bedeutsam, da mehr als 50 % der Befragten
davon ausgehen, von anderen Arbeitsergebnissen unabhSngig zu sein. Das wtirde be-
deuten, dass fremder "throughput", also vorgelagerte Inputs und nachgelagerte Ar-
beitsprozesse als "irrelevant" ftir die eigene Arbeit eingestuft werden. Aus der Pers-
pektive der wissensorientierten Untemehmung ist dies paradox. Das Antwortverhalten
kann aber dahingehend interpretiert werden, dass subjektiv ineinander greifende
Arbeitsprozesse nicht wahrgenommen werden. Das kann positiv und negativ ver-
standen werden. Positiv dann, wenn Zusammenarbeit einfach funktioniert und kein
Problem in Organisationen darstellt, negativ, wenn davon ausgegangen werden kann,
dass Zusammenarbeit einfach vermieden wird.
218
2.2.7. Identiflkation
Eine andere Frage ist, wie hoch die Mitarbeiter ihre Identiflkation mit den Zielen des
Untemehmens einschatzen. In der Tabelle 26 ist das Antwortverhalten auf dieses
Fragebogen-Item zusammengefasst. Knapp 55 % der Befragten identifizieren sich mit
den Zielen der Untemehmung.
Tabelle 26 Identiflkation mit den Zielen des Untemehmens ist hoch
GUltig
Fehlend Gesamt
trifft vollkommen zu trifft eher zu weiB nicht so recht trifft eher nicht zu trifft (iberhaupt nicht zu Gesamt System
HSufigkeit
44 109 72 37 14 276 2 278
Prozent
15,8 39,2 25,9 13,3 5,0 99,3 0,7 100,0
GUltige Prozente 15,9 39,5 26,1 13,4 5,1 100,0
Kumulierte Prozente 15,9 55,4 81,5 94,9 100,0
Etwas mehr als ein Viertel der Befragten gibt auf diese Frage keine positive oder nega
tive Antwort. Immerhin fast 20 % identifizieren sich mit den Zielen der Untemehmung
uberhaupt nicht (4,5 %) bzw. eher nicht (14,5 %). Interessant ist dieses Antwort
verhalten deshalb, well angenommen wird, dass der Grad an Identiflkation mit den
Zielen der Untemehmen in Zusammenhang mit der Bereitschaft steht, in Sozialkapital
und Vertrauen zu investieren. Es ist meines Erachtens plausibel anzunehmen, dass
Mitarbeiter, die sich nicht mit den Zielen der Untemehmung identifizieren, sehr viel
weniger in die sozialen Beziehungen investieren, als Mitarbeiter, die sich hochgradig
mit der Untemehmung identifizieren k6nnen. So gesehen, ist die Identiflkation des
Mitarbeiters mit dem Untemehmen ein Indikator bzw. eine Voraussetzung, dass in den
Aufbau sozialen Kapitals Zeit und Energie investiert wird. Die Identiflkation von
Mitarbeitem mit einem Untemehmen ist aber nicht unabhSngig von ihrem subjektiven
und (soweit mSglich) objektiven Grad an Zufiiedenheit mit ihrer jeweiligen Arbeits-
situation, die wiedemm nicht unabhSngig von verschiedenen auBerbetrieblichen Fak-
toren zu sehen ist.
Die Tabelle 27 zeigt einen Uberblick tiber das Antwortverhalten der Befragten auf die
Frage, wie gut sich der Befragte mit unmittelbaren Kollegen versteht. Erstaunlich ist,
dass 46,7 % ihr Verhaltnis mit Kollegen als "sehr gut" bezeichnen, 38 % der Befragten
bezeichnen das Verhaltnis zu ihren Kollegen als eher gut. Diese hochgradig positive
Einschatzung ist bemerkenswert. Sie dtirfte aber zum Teil darauf zuruckzuftihren sein,
dass wir dazu neigen, Situationen positiver einzuschatzen als sie es tatsSchlich sind.
219
Tabelle 27 Verstehe mich mit KoUeg
Gultig
Fehlend Gesamt
trifft vollkommen zu trifift eher zu weiB nicht so recht trifft eher nicht zu trifft iiberhaupt nicht zu Gesamt System
;en sehr gut Haufigkeit
129 105 37 3 2 276 2 278
Prozent
46,4 37,8 13,3 1,1 0,7 99,3 0,7 100,0
Gultige Prozente 46,7 38,0 13,4 1,1 0,7 100,0
Kumulierte Prozente 46,7 84,8 98,2 99,3 100,0
Knapp 13,5 % geben keine eindeutig positive oder negative EinschStzung auf diese
Frage an. Erstaunlich ist, dass nur knapp 2 % und darunter nur 0,7 % sich subjektiv
eingestehen, dass sie sich mit Kollegen eher nicht bzw. iiberhaupt nicht verstehen.
2.2.8. Feedback, Partizipation und Fehlertoleranz
Wissensintensive Leistungserstellungsprozesse konnen auf den intensiven, kommu-
nikativen Austausch innerhalb der Organisation nicht verzichten. Die Weitergabe und
die Produktion von Wissen stellt ein zentrales, konstitutives Element in der Wissens-
organisation dar. Ich habe deshalb in der Fragebogenerhebung Items konstruiert, die es
erlauben, den Grad an Partizipation, Feedback, Reziprozitat und Fehlertoleranz in
Organisationen zu bewerten. Hintergrund dieser Fragebogen-Items ist die Uberlegung,
dass Organisationen mit einem hohen Grad an Vertrauen und einem hohen Grad an
Sozialkapital mit geringen Transaktionskosten Wissen innerhalb und zwischen Ab-
teilungen austauschen. Zudem scheint es vorerst plausibel, dass in Untemehmen, in
denen Mitarbeiter sowohl untereinander als auch gegentiber ihren Vorgesetzten, und in
denen Vorgesetzte gegeniiber ihren Mitarbeitem Vertrauen haben, sehr viel produk-
tiver mit Kritik und Fehlem, die in einem Untemehmen formuliert und entdeckt
werden, umgegangen wird. Umgekehrt ist es offensichtlich, dass Organisationen, die
als konstitutives Element ihrer Organisationskultur Misstrauen pflegen, gegenUber
intemen und extemen Partnem bzw. Mitarbeitem einen pathologischen Umgang mit
Fehlem und Kritik praktizieren.
220
Tabelle 28 Fehler ansprechen ist in unserer
Giiltig
Fehlend Gesamt
trifft vollkommen zu trifft eher zu weiB nicht so recht trifft eher nicht zu trifft aberhaupt nicht zu Gesamt System
Organisation
HSufigkeit
27 83 67 88 12 277 1 278
kein Problem
Prozent
9,7 29,9 24,1 31,7 4,3 99,6 ,4 100,0
GUltige Prozente 9,7 30,0 24,2 31,8 4,3 100,0
Kumulierte Prozente 9,7 39,7 63,9 95,7 100,0
Die Frage, ob die Organisationskultur den konkreten Mitarbeiter unterstiitzt eine ab-
weichende Meinung kundzutun, haben 9,7 % als vollkommen zutreffend und 29,9 %
als eher zutreffend bezeichnet (immerhin fast 40 % der Befragten). Mitarbeiter, die
diese Bewertung abgeben, gehen also davon aus, dass eine abweichende Meinung im
GroBen und Ganzen positiv wahrgenommen wird. Knapp ein Viertel der Befragten
nimmt auf die formulierte Feststellung eine indifferente Haltung ein. Immerhin sind es
aber 32 % der Befragten, die die Einstellung vertreten, dass eine abweichende
Meinung zu auBem im Untemehmen eigentlich nicht erwiinscht ist und 4,3 % geben
an, dass es uberhaupt nicht zutrifft, dass die jeweilige Organisationskultur eine ab
weichende Meinung zulSsst. Eine andere Frage ist, welche Einschatzung die Mit
arbeiter in Bezug auf die Bereitschafl "Arbeiten anderer Kollegen zu kritisieren"
haben. In der Tabelle 29 ist das Antwortverhalten der Befragten zu diesem Frage-
bogen-Item zusammengefasst.
Tabelle 29 Arbeiten von Kollegen zu kritisieren ist
GUltig
Gesamt Fehlend Gesamt
trifft vollkommen zu trifft eher zu weifl nicht so recht trifft eher nicht zu trifft Uberhaupt nicht zu
HSufigkeit
16 80 42 111
I 26 275 3 278
in unserer Organisation kein Problem Prozent Gtiltige
Prozente 5,8 5,8 28,8 29,1 15,1 15,3 39,9 40,4 9,4 9,5 98,9 100,0 1,1 100,0
Kumulierte Prozente 5,8 34,9 50,2 90,5 100,0
Das Antwortverhalten der Befragten zur Frage in Tabelle 28 kommt also hier noch
deutlicher zum Tragen, so die hier vertretene Interpretation der Ergebnisse. Dieses
Fragebogen-Item ist in der Absicht formuliert worden, festzustellen, ob eine Messung
der Kritikfahigkeit der Organisation als Ganzes vorgenommen werden kann. Das
Antwortverhalten auf die Frage der Kritikfahigkeit der Organisation ist bemerkens-
wert: Knapp 6 % fmden, dass es "vollkommen zutreffend" ist, Kritik zu auBem; noch
221
28,8 % finden, es "trifft eher zu" Kritik zu auBem. Von den Befragten wissen 15 %
nicht, ob sie diese Frage zustimmend oder ablehnend beantworten soUen. Erstaunlich
ist, dass 40,4 % die Auffassung vertreten, es trifft eher zu, dass Kritik als negatives
Element interpretiert wird und 9,5 %, dass dies "vollkommen zutrifft". Das heiBt, dass
immerhin 50 % der Befragten eine negative Einstellung zur KritikauBerung haben.
In der klassischen Organisation, in der Uberwachungs- und Kontrollmechanismen zum
Alltag und zu den konstitutiven Elementen der praktizierten Managementphilosophie
zShlen, ist dies kein uberraschender Befund; fur eine wissensorientierte Untemehmung
ist dieser Gesamtbefund jedoch bedenklich. Es zeigt sich in der Bewertung dieser
Frage, dass die vorwiegende Mehrheit der Befragten Kritik als negativ erfahren. Es ist
also plausibel anzunehmen, dass Kritik subjektiv als "Verargerung, Misstrauen, Feind-
seligkeit" (Weinert, 1998:593) interpretiert wird.
Das Antwortverhalten auf einzelne Fragebogen-Items hangt naturgemaB in einem sehr
starken AusmaB von der gewahlten Formulierung ab. Ich habe deshalb versucht, die
Frage der Fehlertoleranz bzw. der Kritikfahigkeit der Organisationskultur in ver-
schiedenen Abstufungen und Formulierungen zu variieren. Eine Moglichkeit diese
wichtige Frage zu bewerten ist das Fragebogen-Item, mit dem ich versucht habe, die
Einstellung der Befragten zu messen, wie positiv ihrer Meinung nach die Organi-
sationen auf Verbesserungsvorschlage ihrerseits reagiert. Tabelle 30 "Fehler an-
sprechen ist positiv" und Tabelle 31 "Verbesserungsvorschlage" fassen das Antwort
verhalten der Befragten zusammen. AuffMllig ist, dass der Hinweis auf Fehler sowohl
subjektiv als auch im Kontext der Organisationskultur eine sehr positive Bewertung
erkennen lasst.
Tabelle 30 Fehler ansprechen in der
GUltig
Fehlend Gesamt
trifft vollkommen zu trifft eher zu weiB nicht so recht trifft eher nicht zu trifft Uberhaupt nicht zu Gesamt System
Organisation Haufig-keit 35 139 37 59 7 277 1 278
ist positiv Prozente
12,6 50,0 13,3 21,2 2,5 99,6 0,4 100,0
Gultige Prozente 12,6 50,2 13,4 21,3 2,5 100,0
Kumulierte Prozente
12,6 62,8 76,2 97,5 100,0
Etwas weniger als zwei Drittel der Befragten finden, dass es "vollkommen zutrifft"
(12,6 %) bzw. "eher zutrifft" (50,2 %), dass das Ansprechen von Fehlem positiv auf-
genommen wird. Aber immerhin knapp die Halfte ist indifferent (13,4 % der Be-
222
fragten), 21,3 % finden, dass es "eher nicht positiv" ist, auf Fehler hinzuweisen und
immerhin 2,5 % meinen, dass dies tiberhaupt nicht positiv gesehen wird. Noch
differenzierter fallt das Antwortverhalten aus, wenn das Item in die Frage um-
formuliert wird, ob es in der Untemehmimg gem gesehen wird, wenn Verbesserungs-
vorschlage eingebracht werden.
Tabelle 31 Verbesserungsvorschiage
Giiltig trifft vollkommen zu trifft eher zu weiB nicht so recht trifft eher nicht zu trifft tiberhaupt nicht zu Gesamt
werden sehr positiv aufgenommen Haufigkeit
31 128 94 24 1 278
Prozent GUltige Prozente
11,2 11,2 46,0 46,0 33,8 33,8 8,6 8,6 0,4 0,4 100,0 100,0
Kumulierte Prozente 11,2 57,2 91,0 99,6 100,0
Mehr als die Halfte der Befragten interpretiert das Einbringen von Verbesserungsvor-
schlagen als positive Erfahrung bzw. sieht die allgemeine Reaktion im Kontext der
Organisationskultur positiv. Darunter sind 11,2 %, fiir die dies "vollkommen zutrifft"
und 46 % der Befragten meinen, dies wiirde "eher zutreffen". Bemerkenswert ist den-
noch, dass knapp 34 % die Frage weder positiv noch negativ beantworten - was im
Vergleich zu den anderen Fragen ein relativ hoher Anteil ist. Immerhin etwas mehr als
8 % der Befragten fmden, dass dies "eher nicht zutrifft" und 0,4 % vertreten die Auf-
fassung, dass dies "tiberhaupt nicht zutrifft". Der Befund ist eindeutig - die Halfte aller
Befragten kann festhalten, dass "Verbesserungsvorschiage" im Organisationsalltag
positiv aufgenommen werden. Auch dieses Fragebogen-Item interpretiere ich als Indi-
kator der Funktionalitat einer wissensorientierten Organisation.
2.2,9. Kontrolle
Der Eindruck, den Uberwachungs- und KontroUmechanismen bei Mitarbeitem hinter-
lassen, hat bis zu einem gewissen Grad Einfluss auf die Effizienz und Effektivitat der
praktizierten Kommunikation. Deci und Flaste (1995) vertreten die Auffassung, je
hoher der Grad der subjektiv wahrgenommenen Kontrolle ist, verstanden auch als Ein-
schrankung der Autonomic und SouverSnitat des Einzelnen, umso geringer ist die Be-
reitschaft, "eigenstandig" und intrinsisch motiviert zu handehi. Es ist daher die Frage
interessant, wie einzelne Beschaftigte ihrer Einschatzung nach die "Kontrolle der Auf-
gabenerfullung" wahmehmen. Die Tabelle 32 "AufgabenerfUUung wird detailliert kon-
troUiert" fasst das Antwortverhalten der Befragten zusammen. Von den Befragten
fmden 44,2 %, dass die AufgabenerfUUung detailliert kontroUiert wird. 12,2 % fmden.
223
dass eine detaillierte Kontrolle "voUkommen zutrifft" und 32,2 % finden, eine de-
taillierte Kontrolle "trifft eher zu"; ein relativ hoher Anteil (31,3 %) ist in dieser Frage
indifferent.
Tabelle 32 Aufgabenerftillung wird detailliert kontrolliert
Giiltig trifift vollkommen zu trifft eher zu weiB nicht so recht trifft eher nicht zu trifft uberhaupt nicht zu Gesamt
HSufigkeit
34 89 87 52 16 278
Prozent
12,2 32,0 31,3 18,7 5,8 100,0
GUltige Prozente
12,2 32,0 31,3 18,7 5,8 100,0
Kumulierte Prozente 12,2 44,2 75,5 94,2 100,0
Aber immerhin 18,7 % finden, dass ihre AufgabenerfUllung "eher nicht detailliert
kontrolliert wird" und noch 5,8 % denken, dass ihre Aufgabenerfiillung "iiberhaupt
nicht detailliert kontrolliert", wird. Insgesamt interpretiere ich das Antwortverhalten
auf einzelne Fragebogen-Items aber nicht isoliert, sondem denke, dass die Gesamtheit
der einzelnen Charakteristiken, die mit diesen Fragebogen-Items in Zusammenhang
stehen, herausgearbeitet werden kSnnen.
2.2.10. Aufgabensigniflkanz, Aufgabenvielfalt, Arbeitszufriedenheit, Arbeitsdruck
Fur das in dieser Arbeit vorliegende Forschungsinteresse ist es hilfreich der Frage
nachzugehen, in welchem AusmaB Beschaftigte den Eindruck haben, ihren Aufgaben
gewachsen zu sein. Das Geftihl der Uber- und Unterforderung bei der Arbeit bildet -
wie bereits erwahnt - ein wesentliches Element der intrinsischen Motivation, d.h. der
tiber die Arbeit unmittelbar erfahrbaren Befriedigung. Hackman und Oldham (1980)
haben in mehreren Arbeiten in den 1970er und SOer Jahren gezeigt, dass Mitarbeiter
dann zufriedener sind, wenn sie Gelegenheit haben, aktiv an Entscheidungen, die ihre
Arbeitssituation betreffen mitzuwirken. Hackman und Oldham (1980) haben als eines
ihrer Ergebnisse der Motivationsforschung zum Teil recht konkrete Hinweise zur Um-
gestaltung der Arbeitsprozesse {job enrichment, job enlargement etc.) entwickelt.
Diese Vorschlage wurden von einer Reihe von Untemehmen in produktiver Weise
tibemommen (SchreySgg, 1999). Im Rahmen dieser Forschung geht man von der
Uberlegung aus, dass Mitarbeiter durch die gezielte Umgestaltung der Arbeit insge
samt "motivierter, produktiver und zufriedener" sind (Weinert, 1998:182). Diese An-
sStze stehen in der Tradition der bekannten Hawthome-Experimente, die soziale Be-
ziehungen als produktiven Faktor identifizierten (vgl. Roethlisberger und Dickson,
1961). Insgesamt haben derartige empirische Arbeiten auf die Praxis einen relativ
224
groBen Einfluss. Dies ist erstaunlich, da der Zusammenhang zwischen Arbeitszu-
friedenheit und Arbeitsleistung in vielen verschiedenen Studien als sehr gering
(r=0,17) ausgewiesen wurde (vgl. Weinert, 1998:81). Hingegen ist der Einfluss von
"Partizipation" auf den Faktor Arbeitszufriedenheit und auf die Leistung der Be-
schaftigten weitaus starker nachweisbar (siehe dazu Weinert, 1998:82) und dennoch
wird der Faktor "Partizipation" bei Arbeitsgestaltungsmafinahmen kaum beruck-
sichtigt.
Vor dem Hintergrund dieser empirischen Ergebnisse habe ich in der Konstruktion
meines Fragebogen-Items versucht, einzelne Einstellungen von Mitarbeitem bezogen
auf den konkreten Arbeitsinhalt zu messen. Ein interessantes Datum in diesem Zu
sammenhang ist, wie sehr Mitarbeiter die Auffassung vertreten, dass sie den Auf-
gaben, die sie im Rahmen ihrer Arbeit erfullen, gewachsen sind. Studien weisen in
dieser Frage immer wieder aus, dass Beschaftigte das Gefuhl haben, der Arbeitsdruck
sei in den letzten Jahren permanent gestiegen (vgl. Merllie und Paoli, 2000). Von den
Befragten im Sample geben mehr als 93 % an, dass sie ihren konkreten Arbeitsauf-
gaben gewachsen sind. Diese hochgradige Zustimmung lasst vermuten, dass die sub-
jektive Wahmehmung moglicherweise verzerrt ist und die These wahrscheinlich, dass
Personen dazu neigen, nach aufien eine positive Darstellung einer nicht so rosigen
Realitat abzugeben. Bemerkenswert an diesem Antwortverhalten ist wohl auch, dass
sich keiner der Befragten "als vollkommen uberfordert" einstuft. Fur die Untemeh-
mung selbst ist dieses Ergebnis positiv als auch negativ: Positiv ist es in dem Sinne,
well das Antwortverhalten auf sehr selbstbewusste und souverane Mitarbeiter ver-
weist; negativ hingegen kann dieser Befund interpretiert werden, well es den Befragten
moglicherweise nicht gelingt, eine kritische Selbstreflexion vorzunehmen. Aufierdem
kann ein derartiges Antwortverhalten auf eine sehr stark ausgepragte Konkurrenz und
einer daraus folgenden Belastung hinweisen.
Tabelle 33 Bin meinen Aufgaben
Gultig
Fehlend Gesamt
gewachsen Haufigkeit
trifft vollkommen zu 141 trifft eher zu weiB nicht so recht trifft eher nicht zu Gesamt System
115 14 5 275 3 278
Prozent
50,7 41,4 5,0 1,8 98,9 1,1 100,0
Gultige Prozente 51,3 41,8 5,1 1,8 100,0
Kumulierte Prozente 51,3 93,1 98,2 100,0
225
Eine ahnlich hochgradig positive Einschatzimg zeigt das Fragebogen-Item "Die Auf-
gaben, die ich bei der Arbeit zu erfiillen habe, machen mir im Grofien und Ganzen
Spafi". Die Verteilung der Antworten ist in Tabelle 34 zusammengefasst. Fiir 31,2 %
der Befragten trifft diese Aussage "vollkommen zu", fiir 55 % der Befragten trifft
diese Aussage "eher zu" - insgesamt verbinden also 86,2 % der Befragten mehr oder
weniger ein positives Erlebnis mit den ihnen zugewiesenen Aufgaben.
Tabelle 34
Gttltig
Fehlend Gesamt
Aufgaben machen SpaB
trifft vollkommen zu trifft eher zu weiB nicht so recht trifft eher nicht zu trifft Uberhaupt nicht zu Gesamt System
HSufigkeit
86 152 17 17 4 276 2 278
Prozent
30,9 54,7 6,1 6,1 1,4 99,3 0,7 100,0
Gultige Prozente 31,2 55,1 6,2 6,2 1,4 100,0
Kumulierte Prozente 31,2 86,2 92,4 98,6 100,0
Immerhin sind es 7,8 % der Befragten, die sich eingestehen, mit den ihnen zuge
wiesenen Aufgabe "eher keinen" bzw. "uberhaupt keinen" SpaB zu haben. Was ich
hier nicht beabsichtige, ist eine fur den Praktiker nahe liegende Schlussfolgerung zu
unterstiitzen, dass mit dieser Einschatzung des jeweiligen Fragebogen-Items eine Aus
sage iiber die Qualitat der erbrachten Leistung zu machen sei. Bodek unterstreicht
hierzu: "Above all, people need to feel valued for their skills, their knowledge, and
their participation in the creative improvement process. Without this, people can be
comparatively well paid and still be dissatisfied with the quality of their work life".
(Bodek, 2003:36)
In einem zu diesem Fragenkomplex ergSnzenden Fragebogen-Item (siehe Tabelle 35)
wurde die Frage formuliert "Im Grofien und Ganzen bin ich mit der Leistung, die ich
im Untemehmen erbringe, zufrieden." Hier fallt das Antwortverhalten der Befragten
wieder differenzierter aus. Obwohl noch immer ein relativ hoher Anteil der Befragten
eine "sehr starke" oder "eher starke" Zustimmung zur Aussage "mit der erbrachten
Leistung zufrieden" abgibt, zeigt sich, dass zumindest ein Viertel der Befragten "eher
unzufrieden" mit der erbrachten Leistung ist. Knapp zwei Drittel der Befragten (63 %)
sind mit der erbrachten Leistung entweder "vollkommen" oder "eher" zufrieden. Nur
1,5 % der Befragten geben an, "uberhaupt nicht zufrieden" mit der erbrachten Leistung
zu sein.
226
Tabelle 35 Bin mit erbrachter Leistung
GOltig
Fehlend Gesamt
trifft vollkommen zu trifft eher zu weiB nicht so recht trifft eher nicht zu trifft iiberhaupt nicht zu Gesamt System
zufrieden Haufigkeit
84 88 33 63 4 272 6 278
Prozent
30,2 31,7 11,9 22,7 1,4 97,8 2,2 100,0
GUltige Prozente
30,9 32,4 12,1 23,2 1,5 100,0
Kumulierte Prozente
30,9 63,2 75,4 98,5 100,0
Diese Einschatzung ist insgesamt ein interessanter Indikator, inwiefem eine Orga
nisation bzw. ihre Mitglieder sich mit den erbrachten Leistungen zufrieden geben. Die
in der Literatur diskutierten Motivationstheorien legen nahe, dass das Ergebnis in
vielerlei Hinsicht diskussionswurdig ist. Die Einschatzung von "Zufriedenheit" hSngt,
so die einschiagige empirische Organisationsforschung, davon ab, wie groB der Grad
der subjektiven Einflussnahme auf den Erfolg von Arbeitsprozessen ist. Weinert unter-
scheidet in diesem Zusammenhang zwischen zwei Personentypen. Ein Typus, der
"intem-orientierte", findet, dass sein eigenes Verhalten sehr wohl eine positive
Wirkung auf den Arbeitserfolg austibt und ein dem gegentiber gestellter Typus, der
"extem-orientierte", findet, dass der Arbeitserfolg durch "exteme" von ihm nicht be-
einflussbaren Faktoren bestimmt wird (Weinert, 1998:107). Einen nicht kontrSren,
aber qualitativ anderen Standpunkt vertritt Deci und Flaste (1995), die beide aufgrund
ihrer empirischen Arbeiten davon tiberzeugt sind, dass Mitarbeiter, die als souver^ne
und autonome Personen in Arbeitsprozesse integriert sind, in einem hohen MaBe in-
trinsisch motiviert auch eine positive Einstellung zur Leistungserbringung haben.
Selbststeuerung und Self-Monitoring sind qualitative Eigenschaflen von Arbeitspro
zessen, die als Ergebnis dieser Einstellung interpretiert werden kSnnen. Ebenso ist die
Einschatzung des eigenen Wertes und der Selbstwirksamkeit (Bandura, 1977 und
1997) als Konstrukt dieser Einstellungen zu verstehen. Nicht untypisch ist, dass die
empirische Forschung gezeigt hat, dass die konstruktiven Eigenschaflen "Selbstwirk
samkeit" und "Selbstwertschatzung" miteinander in hohem MaBe korrelieren (vgl.
Bandura, 1997). Ohne auf die komplexen Details dieser personlichen Charakteristika
hier weiter einzugehen, ist es dennoch plausibel anzunehmen, dass ein hoher Grad an
Selbstwirksamkeit und Selbstwertschatzung als positiver Input zu interpretieren ist, da
ich annehme, dass die Reflexionsfahigkeit der Organisation als Ganzes (vgl. Oldham
und Cummings, 1996:614) von diesen organisationalen Eigenschaften abhSngt.
227
Zwei weitere Fragebogen-Items erganzen diesen hier angesprochenen Fragekomplex
der ReflexionsMigkeit einer Organisation. Zum einen ist es fiir einzelne Mitarbeiter
wichtig, wie bedeutend zugewiesene Aufgaben eingestuft werden. Und zum anderen
ist es von Bedeutung, wie abwechslungsreich die eigenen Aufgaben eingestuft bzw.
wahrgenommen werden. In der Tabelle 36 "Aufgaben sind sehr wichtig" ist das Ant-
wortverhalten zusammengefasst. Zu sehen ist, dass 21,6 % der Befragten die Signi-
fikanz der Aufgaben als sehr wichtig einschatzen; noch immerhin 55,8 % sehen die
von ihnen durchgefuhrten Aufgaben als "eher" sehr wichtig an. Insgesamt schatzen
etwas mehr als drei Viertel der Befragten in meinem Sample die von ihnen durchge-
fUhrten Aufgaben als "signifikant" ein.
Tabelle 36 Aufgaben, die ich erftille sind sehr wichtig (Aufgabensignifikanz)
GUltig trifft vollkommen zu trifft eher zu weiB nicht so recht trifft eher nicht zu trifft tiberhaupt nicht zu
Gesamt
HSufigkeit
60 155 32 27 4
278
Prozent GUltige Pro-zente
21,6 21,6 55,8 55,8 11,5 11,5 9,7 9,7 1,4 1,4
100,0 _ 100,0
Kumulierte Prozente 21,6 77,3 88,8 98,6 100,0
Etwas weniger als 12 % nehmen zu diesem Fragebogen-Item eine indifferente Position
ein. Knapp 10 % der Befragten stufen die von ihnen durchgefuhrten Aufgaben als
"eher nicht signifikant" und nur 1,4 % der Befragten stufen die Aufgaben, die sie
durchfiihren, als "tiberhaupt nicht signifikant" ein.
Auch diese Organisationsvariable sehe ich als ein konstitutives Element wissens-
fundierter Leistungserstellungsprozesse. In den Uberlegungen dieser Arbeit ist dieses
Item bedeutsam, well davon ausgegangen wird, dass Mitarbeiter mit "wichtigen" Auf
gaben (vgl. Oldham und Cummings, 1996:614) sehr viel aktiver und positiver Lem-
prozesse aufgreifen (Bandura, 1997) als Mitarbeiter, die glauben, eher unbedeutende
Aufgaben zu erfUUen. Aufgabensignifikanz als Eigenschaft sehe ich vor dem Hinter-
grund der empirischen Befunde, zudem als Voraussetzung und/oder Indikator eines
hohen Grades potenzieller intrinsischer Motivation bei den Mitarbeitem. Ein weiterer
Aspekt - inwieweit einzelne Mitarbeiter ihre FMhigkeiten und Qualifikation, die sie im
Rahmen der ihnen zugewiesenen Aufgaben einsetzen, als "vielfaltig" bzw. "ab
wechslungsreich" interpretieren bzw. einschatzen, sehe ich ebenso als wesentlichen
Faktor, der die intrinsische Motivation der Beschaftigten und ihr Selbstwertgefuhl be-
einflusst.
228
Tabelle 37 Die eigenen Fahigkeiten und Qualifikation sind sehr vielfdltig (Aufgabenvariabilitat) Haufigkeit Prozent GultigePro- Kumulierte
Gultig trifft voUkommen zu trifft eher zu weiB nicht so recht trifft eher nicht zu trifft uberhaupt nicht zu
72 112 33 48 13
25,9 40,3 11,9 17,3 4,7
zente 25,9 40,3 11,9 17,3 4,7
Prozente 25,9 66,2 78,1 95,3 100,0
Gesamt 278 100,0 100,0
Auch in der Frage der "Aufgabenvariabilitat" fallt zunachst die sehr positive Ein-
schatzung der Befragten auf. 26 % vertreten die Auffassung, dass es "vollkommen
zutreffend ist", dass die eingesetzten Qualifikationen und Fahigkeiten "sehr vielfaltig"
sind. Noch immerhin 40 % schatzen, dass dies "eher zutrifft" und nur knapp 12 % der
Befragten sind in dieser Frage indifferent. Obschon 17, 3 % der Befragten finden, dass
die notwendigen Qualifikationen und Fahigkeiten eher nicht "vielfaltig" sind und 4,7
%, dass die eingesetzten Fahigkeiten und Qualifikationen uberhaupt nicht als "viel
faltig" einzuschatzen sind, uberrascht der eher positive Eindruck der Befragten.
2.2.11. Wissenstransfer, Wissensaustausch mit Kollegen
In wissensorientierten Leistungserstellungsprozessen ist die Frage des zeitlichen Auf-
wands, der investiert werden muss, um sich wichtige einschlagige Qualifikationen zur
Aufgabenerfiillung anzueignen von Bedeutung. Daneben ist die Frage wesentlich, wie
schwer oder wie leicht dieses Wissen transferierbar ist. Neben qualifikationsspezi-
fischen Aspekten beeinflussen den Transfer von Wissen nicht nur personenspezifische
Eigenschaflen, sondem auch allgemeine Charakteristika der Organisationskultur. Eine
Reihe von Aspekten wurde in diesem Zusammenhang in der Diskussion der Faktoren-
analyse und in der Entwicklung meiner Hypothesen angesprochen (z.B. Reflexions-
und Kritikfahigkeit der Organisation). Wissen zu transferieren, setzt voraus, dass
dieses Wissen in einer mitteilbaren Form vorliegt. Ich habe in der Untersuchung eine
Reihe von Fragebogen-Items konstruiert, um diese Frage beurteilen zu konnen. In ein-
schlagigen Wissensmanagement-Modellen wird diese Frage viel diskutiert. GroBteils -
so mein Eindruck - werden offensichtliche Fragen der Informationsasymmetrie in der
einschlagigen Diskussion in den Wissensmanagement-Modellen aber vemachlassigt.
Die von mir in der Befragung konstruierten Items erfassen jedoch nicht die vielfach
typischen Informationsasymmetrien, die zwischen einzelnen Bereichen und Personen
gerade im Hinblick auf die unterschiedlichen Wissensformen auftreten konnen.
229
Dennoch ist es interessant zu wissen, wie aufwSndig die Erarbeitung einzelner ein-
schlagiger Qualifikationen und Fahigkeiten eingeschatzt wird. Diese Einschatzung ist
nicht mit dem tatsachlichen Aufwand zu verwechseln. Sie kann aber als Indikator
verwendet werden, der Auskunft darUber gibt, ob berufliches Wissen bezogen auf kon-
krete Aufgabenerfullungen eher schwer oder eher leicht zu erwerben ist.
Tabelle 38 Die eigenen Qualifikationen sind nicht in kurzer Zeit erlembar (R)
gUltige Faile trifft vollkommen zu trifft eher zu weiB nicht so recht trifft eher nicht zu trifft iiberhaupt nicht zu Gesamt
HSufig- Prozent giiltige keit Prozente 30 10,8 10,8 54 19,4 19,4 58 20,9 20,9 97 34,9 34,9 39 14,0 14,0 278 100,0 100,0
kumulative Prozent 10,8 30,2 51,1 86,0 100,0
Tabelle 38 gibt einen Uberblick der EinschStzung der Befragten zu diesem Frage-
bogen-Item. Bemerkenswert ist allemal, dass immerhin knapp 11 % denken, die
eigenen beruflichen Fertigkeiten sind in relativ kurzer Zeit erlembar und knapp 20 %
meinen, dies wiirde "eher zutreffen". Knapp 21 % der Befragten nehmen zu dieser
Frage eine indifferente Stellung ein. Knapp 35 % fmden, dass ihre eigenen Qualifi
kationen und Fertigkeiten "eher nicht" in kurzer Zeit erlembar und 14 % finden, dass
ihre Qualifikationen und Fertigkeiten "iiberhaupt nicht" in kurzer Zeit erlembar sind.
Damit in Zusammenhang ist noch keine Information dartiber gewonnen, ob das er-
worbene Wissen einfach oder schwer an andere Kollegen und an andere Abteilungen
weiterzugeben ist bzw. wie schwierig oder diffizil sich dieses Wissen kommunizieren
lasst.
Tabelle 39 Wissen ist in meinem Aufgabenbereich nur sehr schwer direkt Kollegen mitzuteilen
GOltig
Gesamt 278 lOOjO 100^0
In der Tabelle 39 ist das Antwortverhalten auf das Fragebogen-Item "Wissen ist in
meinem Arbeitsbereich nur sehr schwer direkt anderen Kollegen mitteilbar" zusam-
mengefasst. Knapp ein Drittel der Befragten fmden, dass das Wissen ihres Aufgaben-
bereichs sehr schwer direkt Kollegen mitzuteilen ist; darunter sind 4 %, die diese Ein-
230
trifft vollkommen zu trifft eher zu weifi nicht so recht trifft eher nicht zu trifft Uberhaupt nicht zu
Haufigkeit
11 72 50 112 33
Prozent
4,0 25,9 18,0 40,3 11,9
GUltige Prozente 4,0 25,9 18,0 40,3 11.9
Kumulierte Prozente 4,0 29,9 47,8 88,1 100,0
schatzung als "vollkommen zutreffend" bewerten und knapp 26 %, die sie als "eher
zutreffend" bewerten. Etwas mehr als die HSlfte der Befragten findet, dass diese Ein-
schatzung "eher nicht" bzw. "uberhaupt nicht" zutrifft. 40 % der Befragten finden, dass
Wissen aus ihrem Arbeitsbereich "eher nicht schwer" bzw. fast 12 % als "uberhaupt
nicht schwer" mitteilbar ist.
Die subjektive Einschatzung des Schwierigkeitsgrades von Wissenstransfer ist in einer
Organisation nicht unabhangig von der Auspr^gung spezifischer mikro-organisa-
tionaler Variablen zu treffen. Vordergrundig ist die allgemeine Kommunikations-
fahigkeit der Organisation zu nennen; ich gehe hier von der Uberlegung aus, dass eine
ganz spezifische Struktur des sozialen Netzwerks (der Dichte der Bindungen, der
Qualitat der Beziehungen) die Diffusion von Wissen beeinflusst. Ich denke allerdings
auch, dass konkrete personliche Erfahrungen, die im Rahmen der alltaglichen Routine
gemacht werden, zwar als Wissen fur die Organisation von groBer Bedeutung ist, aber
nicht im Detail explizit vorliegt und maximal als "Erfahrungsaustausch" anderen
Organisationsmitgliedem in impliziter Form zur Verfiigung gestellt werden kann.
Tabelle 40 Qualifikationen sind sehr schwer in kurzer Zeit transferierbar
Gultig
Fehlend Gesamt
trifft vollkommen zu
trifft eher zu weifi nicht so recht trifft eher nicht zu trifft uberhaupt nicht zu
Gesamt System
Haufigkeit
35
86 68 63 24
276 2 278
Prozent GUltige Prozente
12,6 12,7
30,9 31,2 24,5 24,6 22,7 22,8 8,6 8,7
99,3 100,0 0,7 100,0
Kumulierte Prozente 12,7
43,8 68,5 91,3 100,0
Dabei spielt die Einschatzung der Beteiligten eine RoUe, wie aufwandig in zeitlicher
Hinsicht der Transfer eigener FShigkeiten und Qualifikationen gesehen wird. Die Ein
schatzung des Zeitaufwandes ist in Tabelle 40 wiedergegeben. Immerhin fmden 43,9
% der Befragten, dass die Qualifikationen "sehr schwer" (diese Einschatzung teilen
12,7 % der Befragten) und dass Qualifikationen "eher schwer" (diese Einschatzung
teilen 31,2 % der Befragten) transferierbar sind. Knapp ein Viertel beantwortet diese
Frage indifferent. Interessant ist, dass fast 30 % die Einschatzung teilen, dass die
eigenen Qualifikationen "eher nicht" (22,8 %) bzw. "uberhaupt nicht" (8,7 %) in
kurzer Zeit transferierbar sind. Dieser Befund ist interessant, es ist aber nicht mQglich
daraus abzuleiten, dass 43,8 % der Falle "Wissen in schwer transferierbarer Form" und
in 30 % der Falle "Wissen in leicht transferierbarer Form" in Organisationen vorliegt.
231
Diese EinscMtzung und dieser Befund mussen wohl dahingehend interpretiert werden,
dass sie teilweise auf einer vagen Beurteilung dessen beruhen, was als "Wissen bzw.
Qualifikation" bewertet wird. Damit in Zusammenhang ist aber dennoch die Frage
wichtig, wie "gut die Zusammenarbeit zwischen Kollegen und Kollegen" funktioniert.
Ich ging in der Konstruktion diesbezuglicher Fragebogen-Items davon aus, dass
einzelne Mitarbeiter die "Zusammenarbeit mit Kollegen" auch als anregend, interes-
sant und als positives Erlebnis erfahren mussen, damit schwierige Abstimmungs-
prozesse funktionieren konnen. Zumindest vertrete ich die Auffassung, dass Mitar
beiter, die Interaktionen mit anderen Kollegen als anregend, interessant und als
freudiges Ereignis wahmehmen, mit sehr viel geringeren Transaktionskosten mit
anderen Kollegen interagieren als Mitarbeiter, die eine Zusammenarbeit als belastend
und uninteressant interpretieren. In der Tabelle 41 ist das Antwortverhalten auf das
Fragebogen-Item "Zusammenarbeit ist anregend" zusammengefasst.
Tabelle 41 Zusammenarbeit mit Kollegen fmde ich anregend, interessant und bereitet
Gaitig
Fehlend Gesamt
trifft vollkommen zu trifft eher zu weiB nicht so recht trifft eher nicht zu trifft tiberhaupt nicht zu Gesamt System
HSufigkeit
39 181 32 20 5 277 1 278
Prozent Gultige Prozente
14,0 14,1 65,1 65,3 11,5 11,6 7,2 7,2 1,8 1,8 99,6 100,0 0,4 100,0
: mir Freude
Kumulierte Prozente 14,1 79,4 91,0 98,2 100,0
Fast 80 % der Befragten fmden die Zusammenarbeit mit Kollegen interessant und an
regend. Das ist ein hoher Anteil. 14 % der Befragten fmden die Aussage "Zusammen
arbeit mit Kollegen sei anregend und interessant" als vollkommen zutreffend fiir ihre
eigene Arbeitssituation. Immerhin sehen 9 % der Befragten die Zusammenarbeit als
"eher nicht" oder (1,8 %) als "tiberhaupt" nicht anregend und interessant. Knapp 12 %
deklarieren sich in dieser Frage nicht. Ganz allgemein fallt die sehr positive Ein-
schatzung auf.
Welters soUte mithilfe der Fragebogenuntersuchung festgestellt werden, wie stark die
Arbeitsaufgaben durch Vorgaben strukturiert sind. Damit kann eine Information
gewonnen werden, die zeigt, wie groB der Grad an eigenstandiger Aufgaben-
strukturierung ist und damit kann gezeigt werden, wie groB der Anteil des per-
sonlichen und idiosynkratischen Wissens an der Leistungserstellung ist. Das Antwort
verhalten zu diesem Fragebogen-Item ist in der Tabelle 42 zusammengefasst.
232
Tabelle 42 Viele meiner TStigkeiten sind
Gaitig
Fehlend Gesamt
trifft vollkommen zu
trifft eher zu weifi nicht so recht trifft eher nicht zu trifft Uberhaupt nicht zu
Gesamt
System
I in keiner expliziten Arbeitsbeschreibung < Haufigkeit
56
100 62 46 13
277 1 278
Prozent Guhige Prozente
20,1 20,2
36,0 36,1 22,3 22,4 16,5 16,6 4,7 4,7
99,6 100,0
0,4 100,0
erfasst Kumulierte Prozente 20,2
56,3 78,7 95,3 100,0
56,3 % der Befragten finden, dass fur ihre Tatigkeiten, die sie im Rahmen ihrer Arbeit
durchfUhren, keine explizite Arbeitsbeschreibung vorhanden ist. 22,4 % der Befragten
deklarieren sich in dieser Frage nicht. Immerhin 21 % der Befragten meinen, dass
viele ihrer Tatigkeiten sehr wohl tiber eine explizite Arbeitsbeschreibung verfugen.
Ganz allgemein ist hier festzuhalten, dass nahezu 50 % der Befragten in der Auf-
gabenerfullung sehr stark auf eigene Entscheidungs- und Handlungsoptionen zurQck-
greifen konnen, wahrend 21 % iiber explizite Arbeitsbeschreibungen bzw. Arbeitsauf-
trage verfugen. Dieser empirische Befund iSsst zuerst einmal keine positive oder
negative Bewertung dieser unterschiedlichen Auspragung vermuten. Anzunehmen ist
jedoch, dass in den Fallen, in denen explizite Arbeitsbeschreibungen vorhanden sind,
die Organisation als solche davon ausgeht, "eindeutig" zu wissen "welche Aufgaben"
in konkreten Fallen "wie" zu erfullen sind. In dieser Hinsicht fmde ich die Inter
pretation zuiassig, dass die Organisation Mitarbeitem "zumindest" formal einen ge-
ringeren Handlungsspielraum zugesteht, als in den Fallen, in denen explizite Arbeits
beschreibungen fehlen.
2.2.12. Soziales Kapital, Kontakt zu Mitarbeitem, Verldsslichkeit von Kontakten
Soziales Kapital in Untemehmen entsteht, wenn einzelne Personen mit anderen Per-
sonen Beziehungen unterhalten. Der Wert des sozialen Kapitals entsteht auch durch
den Zugang zu den Ressourcen der verbundenen Personen, die untereinander Kontakte
unterhalten. Ganz im Sinne der ressourcenorientierten Theorie der Firma stelle ich
fest, dass nicht nur die Kontakte und die Bindungen wichtige Ressourcen sind, sondem
was daraus entsteht oder in der Organisation aus diesem organisationalen Beziehungs-
geflecht (Penrose, 1959) gemacht wird. Eine der zentralen Uberlegungen in dieser
Arbeit ist ja, dass Sozialkapital Transaktionskosten beim Austausch idiosynkratischer
Wissensformen senkt bzw. uberhaupt erst entsprechende Transaktionen ermOglicht.
Ohne Sozialkapital - so meine These - kommt es zu standigen Blockaden im sozialen
233
Lemzyklus in der Organisation (zum sozialen Lemzyklus siehe meine Diskussion von
Boisot, 1995), die nur dann uberbriickt werden kOnnen, wenn Wissen in explizite
Formen transformiert wird oder in expliziter Form vorliegt.
In der Untersuchung, die ich fiir diese Arbeit durchgefiihrt habe, ging es darum, Frage-
bogen-Items zu konstruieren, die es mir erlauben, die abhangige Variable "Sozial-
kapital" zu messen. Ich habe dies mit mehreren Fragebogen-Items versucht. Zum einen
wollte ich wissen, mit wie vielen Personen der Befragte im Rahmen seiner Aufgaben-
erftillung pro Tag Kontakt hat? Welters habe ich danach gefragt, mit wie vielen Per
sonen der Befragte im letzten Monat auBerberuflich Kontakt hatte? Dann schien mir
die Frage wichtig, auf wie viele Personen sich der Befragte seiner Einschatzung nach
hundertprozentig verlassen kann? Eine Shnliche Frage lautete, in welchem AusmaB
sich der Befragte bei Problemen auf Kollegen verlassen kann? Mit diesen Fragebogen-
Items habe ich die Variable Sozialkapital konstruiert.
Es ist aber insgesamt nicht nur die Anzahl der Kontakte von Bedeutung, so meine ich
in Anlehnung an die bestehende Literatur zu diesem Thema, sondem es ist sinnvoll
davon auszugehen, dass die Bereitschaft, Kontakte zu knupfen, die im Rahmen der
Aufgabenerfiillung hilfreich sind, von Eigenschaften gepragt sind, die im weitesten
Sinne von einer vertrauensorientierten Organisationskultur abhangen. Neben den kon-
kreten Fragen der Einschatzung der Hohe des Vertrauens gegeniiber Vorgesetzten,
Kollegen etc. sehe ich deshalb die Bereitschaft in soziales Kapital zu investieren, also
soziale Beziehungen aufzubauen, primar davon bestimmt, ob Personen mit ihren un-
mittelbaren Kollegen eine freundschaftliche Beziehung unterhalten. In der Regel ist es
doch so, dass in Untemehmen sehr strikt zwischen reinen Arbeitsbeziehungen und
freundschaftlichen Beziehungen unterschieden wird.
Ich gehe also davon aus, dass in Arbeitsbeziehungen, die zusStzlich tiber freundschaft
liche Bindungen verstSrkt werden, idiosynkratisches Wissen in sehr viel starkerem
AusmaB verbreitet wird und dass dieser Austausch mit sehr viel weniger opportunen
Elementen durchsetzt ist.
234
Tabelle 43 Mit unmittelbaren Kollegen ist dauerhafte Freundschaft m^glich
Gtiltig trifft vollkommen zu trifft eher zu weiB nicht so recht trifft eher nicht zu
trifft Uberhaupt nicht zu
Gesamt
HSnfigkeit
48 135 48 34
13
278
Prozent GUltige Prozente
17,3 17,3 48,6 48,6 17,3 17,3 12,2 12,2
4,7 4,7
100,0 100,0
Kumulierte Prozente 17,3 65,8 83,1 95,3
100,0
Tabelle 43 fasst das Antwortverhalten der Befragten fur das Fragebogen-Item "mit
unmittelbaren Kollegen dauerhafte Freundschaft" zusammen. 17,3 % der Befragten
fmden, dass die Moglichkeit einer dauerhaften Freundschaft mit Kollegen ihrer Ein-
schatzung nach "vollkommen zutrifft"; 48,6 % der Befragten (also fast die Halfte)
fmden, dass dies "eher zutrifft". Immerhin 17,3 % wollen oder kOnnen sich in dieser
Frage nicht deklarieren. 12,2 % fmden, dass sie eher keine Freundschaft mit ihren
Kollegen eingehen kOnnen/woUen und immerhin 4,7 % meinen, dass sie mit der Vor-
stellung, eine freundschaftliche Beziehungen mit ihren Kollegen einzugehen "uber
haupt nichts" anfangen kSnnen.
Eine andere interessante Frage ist, wie sehr sich die Befragten nach eigener Ein-
schatzung auf ihre unmittelbaren Arbeitskollegen verlassen konnen. Mit der Antwort
auf diese Frage glaube ich einen brauchbaren Hinweis darauf zu haben, welche Quali-
tat die sozialen Bindungen aufweisen. In kniffligen Arbeitsprozessen und ganz be-
sonders bei Verbesserungsprozessen, wie sie die lemende Organisation in den Mittel-
punkt stellt, sehe ich es als notwendig an, dass sich Beschaftigte, wenn Probleme auf-
treten, "auf die Hilfe von Kollegen" verlassen kOnnen. In der Tabelle 44 sind die Ant-
worten auf diese Frage zusammengefasst.
Tabelle 44 Kann bei Problemen auf Kollegen zShlen
Gultig
Fehlend Gesamt
trifft vollkommen zu trifft eher zu weiB nicht so recht trifft eher nicht zu trifft Uberhaupt nicht zu Gesamt
System
Haufigkeit
96 119 47 11 4 277 1 278
Prozent
34,5 42,8 16,9 4,0 1,4 99,6
0,4 100,0
GUltige Prozente 34,7 43,0 17,0 4,0 1,4 100,0
Kumulierte Prozente 34,7 77,6 94,6 98,6 100,0
Bemerkenswert scheint zunachst, dass sich knapp 35 % "vollkommen" und noch
immerhin 43 % "eher" auf ihre Kollegen verlassen konnen; so gesehen ist das ein sehr
235
hoher Prozentsatz. 17 % der Befragten geben eine indifferente Antwort. Ein relativ
geringer Prozentsatz der Befragten findet, dass sie "eher nicht" (4 %) und nur 1,4 %
denken, dass sie "uberhaupt nicht" auf ihre Kollegen zShlen konnen. Der Befund ist
interessant. Auf der Ebene "der Kollegen" scheint ein recht groBer Grad an Zusam-
menhalt gewahrleistet zu sein. Das ist fur die Frage des Sozialkapitals insofem von
Bedeutung, da mit groBer Wahrscheinlichkeit angenommen werden kann, dass Per-
sonen mit Personen, zu denen eine hohe Affinitat gegeben ist, in sehr viel grofierem
Umfang "Bindungen aufrechterhalten" als mit Personen, zu denen keine AffmitSt be-
steht (vgl. Granovetter, 1973; Wasserman und Faust, 1999:30). Fiir den Wissensaus-
tausch kQnnte das dann bedeuten, dass der Austausch von formalen und informalen
Wissensformen, darunter fielen auch implizite und idiosynkratische Wissensformen,
gerade auf der Ebene der unmittelbar zusammenarbeitenden Kollegen effizient flink-
tionieren musste. Dariiber hinaus der Austausch aber Probleme bereitet. Im AUge-
meinen wiirde dies die soziale Lemzyklus-Theorie von Boisot (1995) unterstlitzen.
Damit stellt sich aber auch die Frage, mit wie vielen Personen grundsStzlich ein Mit-
arbeiter pro Tag im Durchschnitt Kontakt hat. Eine vollstandige Erhebung sSmtlicher
Kontakte, wie sie in der sozialen Netzwerkanalyse vorgenommen wird, wiirde ein sehr
konkretes Bild des sozialen Netzwerks einer Untemehmung liefem. In der Befragung
habe ich aus Zeit und Kostengrunden darauf verzichten mussen und mich darauf be-
schrSnkt zu fragen, mit wie vielen Personen Kontakte pro Tag unterhalten werden.
Die Tabelle 45 "Kontakt zu Mitarbeitem pro Tag" zeigt eine Zusammenfassung der
Antworten. Im Detail ist das Ergebnis interessant. Von den 274 gultigen Antworten,
die in die Auswertung aufgenommen worden sind, weisen mehr als 50 % aus, dass sie
mit 5 Personen pro Tag im Durchschnitt Kontakt haben. Fast 34 % der Befragten
haben mit nicht mehr als 10 Personen Kontakt. Weitere 10 % geben an, mit durch-
schnittlich 20 Personen Kontakt zu unterhalten. Es zeigt sich, dass die Zahl der Per
sonen, mit denen pro Tag im Durchschnitt Kontakt besteht, relativ gering ist. Fur die
Frage der Wissensproduktion und Wissensdiffusion bedeutet dies, dass sich der inten
sive Austausch auf eine relativ kleine Gruppe von Personen eingrenzt.
236
Tabelle 45 Anzahl der Kontakte zu Kollegen
GUltig
Fehlend Gesamt
0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 12 13 15 18 19 20 25 30 36 40 50 250 Gesamt System
Haufigkeit
5 12 25 36 31 35 18 5 13 1 49 4 1 14 1 1 8 4 6 1 2 1 1 274 4 278
pro Tag Prozent
1,8 4,3 9,0 12,9 11,2 12,6 6,5 1,8 4,7 ,4 17,6 1,4 ,4 5,0 ,4 ,4 2,9 1,4 2,2 ,4 ,7 ,4 ,4 98,6 1,4 100,0
Gultige
1,8 4,4 9,1 13,1 11,3 12,8 6,6 1,8 4,7 ,4 17,9 1,5 ,4 5,1 ,4 ,4 2,9 1,5 2,2 ,4 ,7 ,4 ,4 100,0
Prozente Kumulierte Prozente 1,8 6,2 15,3 28,5 39,8 52,6 59,1 60,9 65,7 66,1 83,9 85,4 85,8 90,9 91,2 91,6 94,5 96,0 98,2 98,5 99,3 99,6 100,0
Die Frage der Qualitat der Kontakte ist damit jedoch noch nicht untersucht. In der Re-
gel wird im Rahmen der sozialen Netzwerkanalyse unterstellt, dass die Beziehungen,
die Mitarbeiter untereinander im privaten Rahmen in ihrer Freizeit aufrechterhalten,
qualitativ sehr viel wertvoller sind als rein berufliche. Plausibel ist, dass im Rahmen
von privaten Kontakten - im Sinne der Netzwerktheorie - starke Bindungen bestehen
{strong ties) mit denen, so meine These, sehr viel intensiver idiosynkratisches Wissen
ausgetauscht werden als uber schwache Bindungen (weak ties). Als zusatzliche
qualitative Auszeichnung privat unterstutzter beruflicher Beziehungen ist zu nennen,
dass grundsatzlich in der Anknupfung und Aufrechterhaltung von Beziehungen eine
hohe Transitivitat festzustellen ist. Tabelle 46 fasst die Antworten auf die Frage "Mit
wie vielen Kollegen hatten Sie im letzten Monat auBerberuflich Kontakt" zusammen.
237
Tabelle 46 Anzahl der privaten Kontakte zu Kollegen im letzten Monat
GOltig
Fehlend Gesamt
0 1 2 3 4 5 6 7 8 10 12 15 20 40 Gesamt System
HSufigkeit
37 41 55 39 21 28 7 9 2 13 3 5 4 1 265 13 278
Prozent
13,3 14,7 19,8 14,0 7,6 10,1 2,5 3,2 ,7 4,7 1,1 1,8 1,4 0,4 95,3 4,7 100,0
GUltige Prozente 14,0 15,5 20,8 14,7 7,9 10,6 2,6 3,4 ,8 4,9 1,1 1,9 1,5 0,4 100,0
Kumulierte Prozente 14,0 29,4 50,2 64,9 72,8 83,4 86,0 89,4 90,2 95,1 96,2 98,1 99,6 100,0
Die Halfte der Befragten gibt an, im letzten Monat mit zwei Personen auBerberuflich
Kontakt gepflegt zu haben. 34 % der Befragten unterhalten mindestens zu fiinf Per
sonen pro Monat Kontakt. Abgesehen von eher extremen AusreiBem unterhalten 10 %
der Befragten im Durchschnitt pro Monat zu 10 Personen auBerberuflichen Kontakt.
Erganzend zu den beiden diskutierten Fragen hat mich interessiert, auf wie viele Per
sonen sich die Befragten hundertprozentig verlassen kSnnen. In der Tabelle 47 sind die
Antworten zu dieser Erhebung zusammengefasst.
Es ist erstaunlich, dass sich fast zwei Drittel der Befragten auf einen relativ kleinen
Kreis von Personen hundertprozentig verlassen konnen. 3 bis 4 Personen sind im un-
mittelbaren Arbeitsumfeld fiir knapp zwei Drittel der Befragten sozusagen "absolut"
vertrauenswtirdig. Ich interpretiere dieses Ergebnis dahingehend, dass in meinem
Sample der Kreis der "absolut vertrauenswurdigen Personen" eine relativ kleine
Gruppe von 3 bis 4 Personen ausmacht (immerhin fiir fast 70 % der Befragten). Diese
Gruppe der "absolut vertrauenswurdigen Personen" defmiere ich als "eine Gruppe mit
sehr starken, strapazierfahigen sozialen Bindungen" und ich verstehe diese Ergebnisse
gemeinsam mit den anderen Fragebogen-Items als aussagefahigen Messwert des vor-
handenen Sozialkapitals in Untemehmen.
238
Tabelle 47 Personen, auf die Sie sich hundertprozentig verlassen konnen
GUltig
Fehlend Gesamt
0 1 2 2 3 4 5 6 7 8 9 10 12 15 20 Gesamt System
Haufigkeit
12 31 1 58 56 30 31 13 6 6 1 13 2 5 5 270 8 278
Prozent Giiltige Prozente
4,3 4,4 11,2 11,5 ,4 ,4 20,9 21,5 20,1 20,7 10,8 11,1 11,2 11,5 4,7 4,8 2,2 2,2 2,2 2,2 0,4 0,4 4,7 4,8 0,7 0,7 1,8 1,9 1,8 1,9 97,1 100,0 2,9 100,0
Kumulierte Prozente 4,4 15,9 16,3 37,8 58,5 69,6 81,1 85,9 88,1 90,4 90,7 95,6 96,3 98,1 100,0
2.2.13. Akzeptanz, Feedback und Partizipation bei Entscheidungsprozessen
Die Fahigkeit, wie intensiv einzelne Personen in einem Untemehmen in soziale Be-
ziehungen Zeit und Energie investieren, hangt, so die hier angestellte Uberlegung,
nicht nur von makrosozialen, sondem auch von mikrosozialen Variablen der Organi
sation ab. Ein Faktor, der konkret untersucht wurde, ist die eigene EinscMtzung der
sozialen Akzeptanz. Ich bin dabei davon ausgegangen, dass Personen, die ein hohes
MaB an sozialer Akzeptanz erfahren, eher Kontakte zu anderen Kollegen kntipfen als
Personen mit einer subjektiv wahrgenommenen geringen sozialen Akzeptanz. Diese
Interpretation wird von Bandura (1977 und 1997) in seinen Arbeiten gestutzt. In der
Tabelle 48. "Finde bin von Kollegen akzeptiert" ist das Antwortverhalten zu diesem
Fragebogen-Item zusammengefasst.
Tabelle 48 Finde, bin von Kollegen akzeptiert
GUltig
Fehlend Gesamt
trifft vollkommen zu
trifft eher zu wei6 nicht trifft eher nicht zu trifft Uberhaupt nicht zu Gesamt System
Haufigkeit
126
124 23 3 0 276 2 278
Prozent
45,3
44,6 8,3 M 0 99,3 0,7 100,0
GUltige Prozente
45,7
44,9 8,3 1,1 0 100,0
Kumulierte Prozente 45,7
90,6 98,9 100,0
239
Was uberrascht, ist die hochgradig positive Einschatzung der sozialen Akzeptanz der
eigenen Person. Ein Anteil von etwas mehr als 45 % der Befragten schatzt sich als
"vollkommen akzeptiert" ein, und weitere 45 % finden, dass sie "eher akzeptiert"
werden. Nur 1,1 % finden, dass dies "eher nicht zutrifft" und 8,3 % der Befragten
deklarieren sich in dieser Frage nicht eindeutig. Offensichtlich ist, dass in dieser Frage
ein sehr positives Bild gezeichnet wird. Auch in diesem Fall ist die Wahrscheinlichkeit
groB, dass die Befragten sehr stark dazu neigen, eine sehr positive Realitat zu zeich-
nen. Ftir die Organisation als heiBt dies aber dann, dass Personen in sehr starkem
AusmaB "soziale Akzeptanz" als extrem wichtigen mikro- und makrosozialen Faktor
einstufen. Es ist plausibel, dass Konstrukte wie die "soziale Akzeptanz" einen erheb-
lichen Einfluss auf die Effizienz und Effektivitat von Kommunikationsprozessen und
damit auch auf die Wissensproduktion und -diffusion in Organisationen haben. Wie
dieser Einfluss gestaltet ist, darauf gibt wieder die soziale Netzwerktheorie bei Vorlie-
gen konkreter Daten Auskunft, weil dann die entstehenden und vorliegenden Cluster in
einem Netzwerk mit der existierenden sozialen Akzeptanz der Gruppenmitglieder ver-
glichen werden konnen. Das wurde aber in einer empirischen Untersuchung dieser
speziellen Frage die Erhebung der kompletten Ego-Netzwerke in einem Untemehmen
erfordem, was ein sehr kostenintensives und aufwendiges Forschungsvorhaben be-
deuten wurde.
Ein Fragebogen-Item, das in dieser Hinsicht aufschlussreich sein kann, ist die von mir
im Rahmen der Untersuchung gestellte Frage, "wie wichtig die eigene Meinung far
den Vorgesetzten bei Entscheidungen ist". Das ist - so meine Uberlegung - aber nur
dann der Fall, wenn einzelne Personen davon uberzeugt sind, dass ihre Meinung bzw.
ihr Input auch in das generelle Verhalten der Organisation einfliefit, d.h. die person-
lichen Erfahrungen diesen Eindruck auch bestatigen. In der Tabelle 49 "eigene
Meinung ist fur den Vorgesetzten wichtig" ist das Antwortverhalten auf diese Frage
zusammengefasst.
Tabelle 49 Eigene Meinung ist fUr den Vorgesetzten wichtig
Giiltig trifft vollkommen zu trifft eher zu weiB nicht so recht trifft eher nicht zu trifft uberhaupt nicht zu Gesamt
Haufigkeit
52 102 77 41 6 278
Prozent
18,7 36,7 27,7 14,7 2,2 100,0
Gultige Prozente 18,7 36,7 27,7 14,7 2,2 100,0
Kumulierte Prozente 18,7 55,4 83,1 97,8 100,0
240
Als langerfristige Auswirkung dieses Konstrukts einer Feedbackqualitat bzw. der FS-
higkeit zur Selbstreferenz einer Organisation hat Fiedler (1967) in seinen Unter-
suchungen zur Dynamik des Verhaltens von Gruppen zwischen "interagierenden, ko-
agierenden und konteragierenden Gruppen" gesprochen. Es lieBe sich so gesehen also
argumentieren, dass in all jenen Fallen, in denen der eigene Input "eher nicht" oder
"uberhaupt nicht" fur den Vorgesetzten zahlt bzw. als wichtig erachtet wird, sich
langerfristig kaum interagierende bzw. koagierende Handlungsstrukturen herausbilden,
sondem eher konteragierende Verhaltensmuster. Ich glaube, fiir die Produktion und die
Verbreitung von Wissensformen ist das ein wichtiger Faktor. In der ausgewiesenen
Tabelle 49 ist zu sehen, dass immerhin fast 19 % der Befragten finden, dass ihre
Meinung als Input "sehr wichtig" ist, noch 36,7 % der Befragten denken, dass dies
"eher zutrifft". Ein relativ grofier Anteil von 27,7 % weiB nicht genau "ob die Meinung
wichtig oder nicht wichtig ist". Fast 15 % der Befragten finden jedoch, dass ihre
eigene Meinung "eher nicht wichtig ist" und 2,2 % der Befragten finden, dass ihre
Meinung als Input "uberhaupt nicht" als wichtig betrachtet wird. Damit in Zusammen-
hang sehe ich das Antwortverhalten auf das Fragebogen-Item (siehe Tabelle 30 und
Tabelle 31), mit dem die Einstellung der Befragten erfasst wurde, ob Verbesserungs-
vorschlage bzw. die Ansprache von Fehler als positiver Input in der Organisation auf-
genommen wird.
241
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