Spiegel Dossier (German) Heidegger

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 der spiegel 37/2005 D ie ganze Woche über: Was ist Wil- le? Was ist Vernunft? Welche Kate- gorien begründen welche Urteile? Griechische Philosophie, mittelalterliche Scholastik. Seit einem Jahr tobt der Erste Weltkrieg. Und nun, am Freitagabend nach Tagen des Denkens, spricht das Gefühl: „Komm, Seelchen, und ruh Dich an mei- nem Herzen, ganz tief u. ewig lang will ich in Deine Märchenaugen schauen … sind meine Hände heilig genug um die Deinen bebend zu umfassen, ist meine durch alle Schauer des Zwe ifels hindurchgepeitschte Seele der würdige Schrein, um Deine Liebe in Ewigkeit drin wohnen zu lassen … verzeih Deinem Bub, verzeih, dass ich Sonntags so voll Unruh war.“ Der Bub, das ist der junge Freiburger Philosoph Martin Heidegger, 26 Jahre alt und immerhin schon habilitiert mit einer strengen Arbeit über „Die Kategorien- und Bedeutungslehre des Duns Scotus“. Das Seelchen heißt Elfride Petri, ist zu dieser Zeit 22 Jahre alt, studiert Nationalökono- mie und wird zwei Jahre später, 1917, die Ehefrau des bedeutendsten deutschen Phi- losophen des 20. Jahrhunderts. Die fruchtbare Spannung zwischen erns- ter, hochfahrender Begriffsstrapaze und anrührend alltäglichem „Herzensglück“, zwischen Hölderlin-Exegese und der Bitte um „Plätzchen und Zucker“ sollte knapp 60 Jahre anhalten, bis zu Heideggers Tod 1976. Die Briefe, die das belegen, die Brie- fe Martins an Elfride, werden jetzt erst- mals in einer umfangreichen Ausw ahl pu- blik. Herausgeberin ist Gertrud Heidegger, Enkelin des Philosophen und Tochter seines Sohnes Jörg*. Jörg wurde 1919 geboren, ein Jahr spä- ter kam Hermann zur Welt, der noch heu- in diesem Buch, der mit der Anrede „Lie- ber Martin“ beginnt; abgeschickt hat sie ihn nicht. Darin liest sie dem Schwerenöter die Leviten: Er werde wohl nie „begreifen“, schreibt sie am 28. Juni 1956, „wie ich – durch Dich – aus meiner Mitte geworfen bin“. Sie müsse den „unmenschlichsten Missbrauch“ ihres „Vertrauens“ – „nicht einmal, sondern immer wieder durch 4 Jahrzehnte“ – ertragen; „kann denn das ein Mensch, wenn er nicht oberächlich ist oder versteinert? Immer wieder sagst u. schreibst Du, dass Du mir verbunden seist – was ist das Band? Liebe ist’s nicht, Vertrauen ist’s nicht, bei anderen Frauen suchst Du ,Heimat‘ – ach Martin – wie sieht’s in mir aus – und diese eisige Ein- samkeit“. Unter den Frauen, die der vielreisende Denker in jenen Jahren liebte, sind auch die adligen Damen Margot von Sachsen- Meiningen und Sophie Dorothee von Podewils. Die Qual der Wahl zwischen „M.“, wie Margot in den Briefen genannt wird, und Elfride trägt 1946 dazu bei, dass der Professor, der wegen seiner Rolle als Mitläufer des NS-Regimes nicht mehr leh- ren darf, psychisch zusammenbricht. 1970 weilt Heidegger in Augsburg, wo er wiederum ein Rendezvous hat. Da kommt es schlimmer: Schlaganfall. Ein Kranken wagen bringt ihn nach Hause, El- fride pegt ihn gesund. Das Ehepaar be- zieht bald danach einen kleinen Alters- wohnsitz, den es sich im hinteren Garten- teil seines Freiburger Hauses bauen lässt. Fortan sind sie nur noch selten, und dann kurz, voneinander getrennt – keine Af- fären mehr, auch keine Briefe mehr. Am 26. Mai 1976 ist Heidegger morgens nicht mehr aufgewacht. In der Nacht dar- auf schläft Elfride im gemeinsamen E hebett – neben dem Toten. Wenigstens das „herzallerliebste Seel- chen“ hat wohl wirklich geliebt. Mathias Schreiber te die Gesamtausgabe der Schriften und Vorlesungen Heideggers betreut – seines Stiefvaters . Dass der Philosoph nicht wirk- lich sein V ater war (was dieser wohl wuss- te), erfuhr Hermann schon im Alter von 14 Jahren. Damals beichtete ihm Elfride, sein Erzeuger sei ihr Jugendfreund Frie- del Caesar, ein Arzt, der Hermanns Paten - onkel war und 1946 starb. Elfride nahm Hermann das Verspre- chen ab, solange sie lebe (sie starb 1992), dürfe er niemandem diese Vaterschaft ver- raten, außer seiner künftigen Frau. Her- mann hat sich daran gehalten und „befreit“ sich, wie er in einem Nachwort zu dieser Brief-Edition formuliert, jetzt mit einer knappen „Erklärung“ von einer „mich 71 Jahre lang bedrückenden und quälen- den Last“. Der folgenreiche Seitensprung Elfrides, knapp drei Jahre nach der Hochzeit, scho- ckiert den heutigen Leser weniger als die- se heroische Schweigeleistung über sieben Jahrzehnte. Heideggers Frau wollte unbe- dingt jeden Riss in der Fassade ihrer Ehe mit dem – spätestens seit der Veröffent- lichung von „Sein und Zeit“ im Jahr 1927 – berühmten Professor verhindern. Nur so wird auch verständlich, weshalb sie ihren Zorn über seine, wie sich jetzt herausstellt, sehr zahlreichen Affären mit kaum jemandem geteilt hat – bislang kann- te man allenfalls Heideggers über Jahr- zehnte immer wieder aufackernde Lie- besbeziehung zu der jüdischen Philosophin Hannah Arendt, die Elfride ja irgendwann halbwegs akzeptierte. Einen erschütternden Einspruch gegen seine von tiefsinnigem „Grunderfahrungs “- V okabular erfolgreich begleitete erotische Abenteuerlust legte Elfride d em Konvolut seiner Briefe bei, das sie der Enkelin Ger- trud vermacht hat. Es ist der einzige Brief * Gertrud Heidegger (Hg.): „,Mein liebes Seelchen!‘. Brie- fe Martin Heideggers an seine Frau Elfride. 1915– 1970“. Deutsche Verlags-Anstalt, München; 416 Seiten; 22,90 Euro. 206 PHILOSOPHEN Eisige Einsamkeit Martin Heidegger war ein erotischer Abenteurer, der nicht nur Hannah Arendt liebte. Das belegen die jetzt veröffentlichten Briefe des Denkers an seine Ehefrau. Philosoph Heidegger, Ehefrau Elfride (1917): „Ganz tief und ewig lang“    F    A    M    I    L    I    E    H    E    I    D    E    G    G    E    R Heidegger-P ost (vom 30. Juli 1918) „Plätzchen und Zucker“    F    A    M    I    L    I    E    H    E    I    D    E    G    G    E    R

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PHILOSOPHEN

Eisige EinsamkeitMartin Heidegger war ein erotischer Abenteurer, der nicht nur Hannah Arendt liebte. Das belegen die jetzt verffentlichten Briefe des Denkers an seine Ehefrau.FAMILIE HEIDEGGER

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ie ganze Woche ber: Was ist Wille? Was ist Vernunft? Welche Kategorien begrnden welche Urteile? Griechische Philosophie, mittelalterliche Scholastik. Seit einem Jahr tobt der Erste Weltkrieg. Und nun, am Freitagabend nach Tagen des Denkens, spricht das Gefhl: Komm, Seelchen, und ruh Dich an meinem Herzen, ganz tief u. ewig lang will ich in Deine Mrchenaugen schauen sind meine Hnde heilig genug um die Deinen bebend zu umfassen, ist meine durch alle Schauer des Zweifels hindurchgepeitschte Seele der wrdige Schrein, um Deine Liebe in Ewigkeit drin wohnen zu lassen verzeih Deinem Bub, verzeih, dass ich Sonntags so voll Unruh war. Der Bub, das ist der junge Freiburger Philosoph Martin Heidegger, 26 Jahre alt und immerhin schon habilitiert mit einer strengen Arbeit ber Die Kategorien- und Bedeutungslehre des Duns Scotus. Das Seelchen heit Elfride Petri, ist zu dieser Zeit 22 Jahre alt, studiert Nationalkonomie und wird zwei Jahre spter, 1917, die Ehefrau des bedeutendsten deutschen Philosophen des 20. Jahrhunderts. Die fruchtbare Spannung zwischen ernster, hochfahrender Begriffsstrapaze und anrhrend alltglichem Herzensglck, zwischen Hlderlin-Exegese und der Bitte um Pltzchen und Zucker sollte knapp 60 Jahre anhalten, bis zu Heideggers Tod 1976. Die Briefe, die das belegen, die Briefe Martins an Elfride, werden jetzt erstmals in einer umfangreichen Auswahl publik. Herausgeberin ist Gertrud Heidegger, Enkelin des Philosophen und Tochter seines Sohnes Jrg*. Jrg wurde 1919 geboren, ein Jahr spter kam Hermann zur Welt, der noch heu-

Philosoph Heidegger, Ehefrau Elfride (1917): Ganz tief und ewig lang

FAMILIE HEIDEGGER

te die Gesamtausgabe der Schriften und Vorlesungen Heideggers betreut seines Stiefvaters. Dass der Philosoph nicht wirklich sein Vater war (was dieser wohl wusste), erfuhr Hermann schon im Alter von 14 Jahren. Damals beichtete ihm Elfride, sein Erzeuger sei ihr Jugendfreund Friedel Caesar, ein Arzt, der Hermanns Patenonkel war und 1946 starb. Elfride nahm Hermann das Versprechen ab, solange sie lebe (sie starb 1992), drfe er niemandem diese Vaterschaft verraten, auer seiner knftigen Frau. Hermann hat sich daran gehalten und befreit sich, wie er in einem Nachwort zu dieser Brief-Edition formuliert, jetzt mit einer knappen Erklrung von einer mich 71 Jahre lang bedrckenden und qulenden Last. Der folgenreiche Seitensprung Elfrides, knapp drei Jahre nach der Hochzeit, schockiert den heutigen Leser weniger als diese heroische Schweigeleistung ber sieben Jahrzehnte. Heideggers Frau wollte unbedingt jeden Riss in der Fassade ihrer Ehe mit dem sptestens seit der Verffentlichung von Sein und Zeit im Jahr 1927 berhmten Professor verhindern. Nur so wird auch verstndlich, weshalb sie ihren Zorn ber seine, wie sich jetzt herausstellt, sehr zahlreichen Affren mit kaum jemandem geteilt hat bislang kannte man allenfalls Heideggers ber Jahrzehnte immer wieder aufackernde Liebesbeziehung zu der jdischen Philosophin Hannah Arendt, die Elfride ja irgendwann halbwegs akzeptierte. Einen erschtternden Einspruch gegen seine von tiefsinnigem GrunderfahrungsVokabular erfolgreich begleitete erotische Abenteuerlust legte Elfride dem Konvolut seiner Briefe bei, das sie der Enkelin Gertrud vermacht hat. Es ist der einzige Brief* Gertrud Heidegger (Hg.): ,Mein liebes Seelchen!. Briefe Martin Heideggers an seine Frau Elfride. 1915 1970. Deutsche Verlags-Anstalt, Mnchen; 416 Seiten; 22,90 Euro. d e r s p i e g e l 3 7 / 2 0 0 5

Heidegger-Post (vom 30. Juli 1918)

in diesem Buch, der mit der Anrede Lieber Martin beginnt; abgeschickt hat sie ihn nicht. Darin liest sie dem Schwerenter die Leviten: Er werde wohl nie begreifen, schreibt sie am 28. Juni 1956, wie ich durch Dich aus meiner Mitte geworfen bin. Sie msse den unmenschlichsten Missbrauch ihres Vertrauens nicht einmal, sondern immer wieder durch 4 Jahrzehnte ertragen; kann denn das ein Mensch, wenn er nicht oberchlich ist oder versteinert? Immer wieder sagst u. schreibst Du, dass Du mir verbunden seist was ist das Band? Liebe ists nicht, Vertrauen ists nicht, bei anderen Frauen suchst Du ,Heimat ach Martin wie siehts in mir aus und diese eisige Einsamkeit. Unter den Frauen, die der vielreisende Denker in jenen Jahren liebte, sind auch die adligen Damen Margot von SachsenMeiningen und Sophie Dorothee von Podewils. Die Qual der Wahl zwischen M., wie Margot in den Briefen genannt wird, und Elfride trgt 1946 dazu bei, dass der Professor, der wegen seiner Rolle als Mitlufer des NS-Regimes nicht mehr lehren darf, psychisch zusammenbricht. 1970 weilt Heidegger in Augsburg, wo er wiederum ein Rendezvous hat. Da kommt es schlimmer: Schlaganfall. Ein Krankenwagen bringt ihn nach Hause, Elfride pegt ihn gesund. Das Ehepaar bezieht bald danach einen kleinen Alterswohnsitz, den es sich im hinteren Gartenteil seines Freiburger Hauses bauen lsst. Fortan sind sie nur noch selten, und dann kurz, voneinander getrennt keine Affren mehr, auch keine Briefe mehr. Am 26. Mai 1976 ist Heidegger morgens nicht mehr aufgewacht. In der Nacht darauf schlft Elfride im gemeinsamen Ehebett neben dem Toten. Wenigstens das herzallerliebste Seelchen hat wohl wirklich geliebt.Mathias Schreiber

Pltzchen und Zucker 206

Kultur

Totale Herrschaft

im 20. Jahrhundert hat beide immer wieder beschftigt: den Historiker Joachim Fest, 77, und die jdische Philosophin Hannah Arendt (1906 bis 1975). Als Fest Hannah Arendt 1964 kennen lernte, hatte er gerade seine Studie Das Gesicht des Dritten Reiches (1963) verffentlicht, den Vorlauf zu seinem spteren Bestseller Hitler. Eine Biograe (1973). Hannah Arendts Hauptwerk ber Elemente und Ursprnge totaler Herrschaft (1951) war fr Fest nicht nur Quelle zahlreicher Einsichten, sondern auch eine frhe Ermutigung, strukturell zu vergleichen, was aus deutscher Sicht unvergleichlich

erscheint: die Terrorsysteme unter Hitler und Stalin. Noch in den achtziger Jahren kam es ber diesen Vergleich zum so genannten Historikerstreit, an dem Fest beteiligt war. Vergleiche der Art wie Hitler, so Stalin wagte Arendt schon 1951 gewiss einer der Grnde dafr, dass Fest in seinem Erinnerungsbuch Begegnungen. ber nahe und ferne Freunde, das nchste Woche im Rowohlt-Verlag erscheint, der Philosophin ein groes Portrt-Kapitel gewidmet hat. Der SPIEGEL druckt daraus Auszge, die vor allem Arendts Beziehung zu dem Philosophen Martin Heidegger in neuem Licht zeigen als einzig wahre Liebe eines ganzen Lebens.

BERT BOSTELMANN / ARGUM

Autor Fest

DENKER

Das Mdchen aus der FremdeHannah Arendts schwierige Liebe zu Deutschland und Heidegger / Von Joachim Festannah Arendt war Schriftstellerin, Politikwissenschaftlerin te sie. Sie sei weder links noch rechts, weder liberal noch prinziund Philosophin. Trotz aller Entschiedenheit im Auftreten pienstreng und glaube nicht einmal an irgendeinen Fortschritt und Meinen ging etwas schwer Bestimmbares von ihr aus. sei es in der Moral, sei es im Blick auf die gesellschaftlichen VerEs uerte sich in der Breite und Vielfalt ihrer Vorlieben sowie der hltnisse. Selbst als Auenseiter habe sie niemals gelten wollen, Erregbarkeit ihrer Interessen. Sie besa eine leidenschaftliche sondern immer nur vertreten, was ihr das Richtige schien. Aus dieWachheit, die sich bis zum Eindruck stndig gefhrdeter, un- sem Grund habe sie keine Theorie entwickelt und werde, zum schwer erschtterbarer emotionaler Balance steigerte. Ihre enge Kummer vieler Freunde, auch keine hinterlassen. Theorien seien, Freundin, die Schriftstellerin Mary McCarthy, hat von Hannah ergnzte sie ein andermal, pompse Masken fr drre Kpfe, die auf dem intellektuellen Karneval Arendts groer Verletzlichkeit geherumspringen. Ich gehe da nicht sprochen, ihrem Getriebensein, hin. Die Aufgabe, die mich in Andem sie den Anschein zu geben spruch nimmt, lautet ganz einfach: versuchte, sie sei zu stndig neudie Welt und die Menschen zu veren Aufbrchen unterwegs. Gleichstehen. Es gebe da keine Verwohl ist sie jeweils die ganze Wegbotsschilder. Nach allem, was das strecke zu Ende gegangen, die ein Jahrhundert der Welt angetan hat, Gedanke verlangte, und oftmals verlange gerade das Bse die in provokantem Mutwillen ber ganze Erkenntniskraft. Wer da mit das Ziel hinaus. Denken mu dem Kopf kapituliert, sei auch im man mit Haut und Haaren, Wirklichen nicht weit davon weg. uerte sie in einem unserer Wer ihr Leben berblickt, stt frhen Gesprche. Oder man denn auch immer wieder auf ablt es bleiben gebrochene, oft in Verstimmung Nach ihrer aufflligsten Eigenendende Zugehrigkeiten, weil sie schaft befragt, hat ihr Verleger Wilnicht bereit war, den Gedanken liam Jovanovich gesagt, mehr als irgendeiner taktischen berlegung alles andere bewundere er Hannah anzupassen oder gar zu unterwerArendts Tapferkeit, und als ihr die fen Nach unserem ersten, anuerung hinterbracht wurde, hat nhernd drei Tage whrenden sie mit der burschikosen Ironie, Zusammentreffen im Herbst 1964 die sie einmal mein schnstes notierte ich mir, da sie bei aller deutsches oder eigentlich berliniselbstentuernden Verve einen sches Erbteil nannte, gesagt: Ich seltsam ortlosen Eindruck maraufe nun mal gern! che. Womglich ging diese berIm kleinen Eckladen des Denlegung nicht zuletzt darauf zurck, kens, den sie querab von der da sie im Verlauf unseres ausgeZeit betrieb, wie sie mit Vorliebe dehnten Gesprchs ber Heimat, sagte, war sie glcklich ber jeden Emigrationsverlust und neu erBeistand, der ihr zuteil wurde, worbene Heimat sagte, sie sei sich doch mute er aus der Freiheit des durchaus bewut, wie tief und unUrteilens kommen: Wo von geistiverbesserlich deutsch sie sei: In gen Lagern die Rede ist, herrscht meiner Art zu denken und zu urmeistens der Ungeist, versicherPhilosophin Arendt (1963): Er rief, ich kam142d e r s p i e g e l 3 8 / 2 0 0 4SDDEUTSCHER VERLAG

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teilen komme ich noch immer aus Knigsberg. Manchmal verheimliche ich mir das. Aber es ist so. Amerikanerin bin ich sozusagen nur und zugleich von ganzem politischem Herzen. Nach einer kurzen Pause fgte sie hinzu: Genaugenommen war und bin ich, wohin ich auch kam, immer das Mdchen aus der Fremde gewesen, von dem ein Gedicht Schillers spricht in Deutschland nur ein bichen weniger fremd als in Amerika. Und hier wie da, am wenigsten noch im geliebten Italien, hat mich die Angst begleitet, ich knnte zuletzt mir selber verlorengehen Nach einem lngeren Interview-Termin im Sdwestfunk lieen wir uns hinunter nach Baden-Baden fahren. Sie wolle endlich einmal auf der Lichtenthaler Allee spazierengehen, sagte Hannah Arendt, im fernen Knigsberg sei das der Inbegriff des vornehmen Miggangs gewesen. Sie erzhlte von ihrem Elternhaus, vom frhen Tod ihres Vaters und wie sie im Alter von vierzehn Jahren Kants Kritik der reinen Vernunft gelesen und sozusagen vom Fleck weg beschlossen habe, Philosophie zu studieren. Sie lachte ber das, was sie ihr frhreifes Ungestm nannte, setzte aber mit einer kleinen Feierlichkeit im Ton hinzu, an diesem Entschlu habe sich niemals etwas gendert. Das war wirklich ernst!

ach einem kurzen Blick zu ein paar eilig hinziehenden Wolken sagte sie: Die Wolken da oben sind sehr deutsch. Die gibt es in Amerika nicht. So wechselnd, so umrilos und hastig. In lyrischen Stimmungen kann man da viel hineinlesen. Ich kenne die Versuchung. Doch mehr als diesen Anblick bentige ich nicht, um ihr zu widerstehen. Und nach kurzem Nachdenken noch: Glcklich macht mich das Bild trotzdem. bergangslos fragte sie dann, ob ich aus frhen Jahren hnlich bestimmende Leseerfahrungen htte wie sie, und ich berichtete kurz ber mein Elternhaus und die halbwchsigen Unentschiedenheiten zwischen mancherlei historischen Werken und der Literatur im engeren Sinn. Von Piper oder einem der Freunde in den Staaten hatte sie offenbar dies und jenes von meinen privaten Umstnden gehrt und fragte nach Einzelheiten. Kaum hatte ich geendet, begann sie gleichsam im Austausch von ihrer ersten Begegnung mit Martin Heidegger zu reden. Mit noch nicht achtzehn Jahren habe sie im akademischen Rumor erstmals von ihm gehrt und augenblicklich beschlossen, in Marburg, wo er lehrte, mit dem Studium zu beginnen. Es war eine Entscheidung wie keine andere, fuhr sie fort. Heidegger hat mich die Welt sehen und begreifen gelehrt und mir bei alledem das Empnden verschafft, er fhre mich zu mir selbst. Das galt fr das Denken wie fr das Fhlen und fr das mir damals schon so wichtige Verstehen auch. Heidegger hat mich in jedem Sinne zum Leben erweckt. Nach einigen anekdotischen Einschben setzte sie hinzu, sie sei ber die Jahre hin ihre Schulmdchenbefangenheit vor Heidegger nicht losgeworden. Sie habe das oft erzhlt: wie sie bald nach Beginn des Studiums zur Vorstellung bei dem Theologen Rudolf Bultmann erschien und ihm mit dem ganzen Hochmut meiner achtzehn Jahre erklrte, da sie sich jede antisemitische Philosoph Heidegger (1968): Er war auch ein Dichterd e r s p i e g e l 3 8 / 2 0 0 4

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uerung von ihm wie von einem der Seminarteilnehmer aufs entschiedenste verbitte. Bultmann habe sie dann einigermaen beschmt, sagte sie, indem er lchelnd erwiderte, gemeinsam wrden sie mit allen denkbaren Rpeleien schon fertig werden. Bei Heidegger hingegen, sagte sie, den sie um die gleiche Zeit aufsuchte, habe sie kaum ein Wort hervorgebracht und sich schon gar nichts verbeten: Ich habe nur zugehrt, dann und wann ein paar Schritte mitzugehen versucht, verzaubert von seiner Poesie, denn er war ja auch, bei aller Erkenntnisschrfe, ein Dichter. Immer wieder habe sie sich im Verlauf der Unterredung dabei ertappt, da sie ihn im sprachlichen Ausdruck unwillkrlich nachzuahmen versuchte, und etwas spter ja auch eine gedichtartige Reexion fr ihn verfat. Kurzum, meinte sie zusammenfassend, wie und was ich bin, geht auf Heidegger zurck; ihm verdanke ich alles! Und nach mehreren abgebrochenen Anlufen sagte sie: Zugleich hat er alles verdorben! Als ich in die entstandene Pause hinein fragte, wie das zu verstehen sei, erwiderte sie schlielich: Man knne das nicht sagen! Es klinge unendlich sentimental oder sogar kitschig wie jede erzhlte Affre, wenn nicht gerade Shakespeare der Erzhler ist. Also: Nach ungefhr zwei Jahren rettete ich mich durch Flucht. Ich nahm meine Siebensachen und machte mich davon. Nur eines lie ich in Marburg zurck und habe es mir nie zurckholen knnen: die Liebe. Dann lchelte sie halb verlegen, halb entschlossen: Kitschig genug? fragte sie. Erst in einem weiteren Gesprch, Jahre spter, hat mir Hannah Arendt Nheres ber den Liebessommer 1924 erzhlt: wie Heidegger bei jenem ersten Besuch, whrend es drauen bereits dmmerte und sie gerade aufbrechen wollte, pltzlich vor ihr auf die Knie gestrzt sei und sie mit stammelnd hervorgestoenen Worten an den Hften umklammert habe. Ihr ohnehin schwaches Widerstreben sei unter dem berfall einfach weggeschmolzen. Was kann man, fgte sie hinzu, als unerfahrenes und auerdem bewunderndes Mdchen schon tun? Sie sagte das in ihrer Wohnung am Riverside Drive, whrend sie mit irgendwelchen Verrichtungen zwischen Kche und Etisch beschftigt war, und trug das alles in einem etwas angestrengt beilugen Ton vor

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ie kam spter darauf, wie sie die Rendezvous in Heideggers Arbeitswohnung und in ihrer Dachkammer verabredeten, ein System der Geheimhaltung entwickelten mit Lichtsignalen, toten Briefksten und anderen Verschlsselungen; wie sie allezeit bereit war, sich seinen Wnschen zu fgen: Wir Weiber sind nun mal Sklavinnen! bekannte sie und erzhlte von einer nchtlichen Verabredung auf einem abgelegenen Provinzbahnhof: Er rief, ich kam auch noch, als ich Marburg seinetwegen schon verlassen hatte. Lange Zeit war das mein Problem immer wieder. Damals jedenfalls. Zum Glck ist die Jugend irgendwann vorbei. Natrlich war nichts vorbei. Doch meine Notizen ber Hannah Arendts frhe Affre mit Martin Heidegger brechen an dieser Stelle ab. Weitere im folgenden vermerkte Ausknfte, vor allem ber den spteren Verlauf der Liebesgeschichte, stammen berwiegend von Mary McCarthy, die wie143

DIGNE MELLER MARCOVICZ

Kulturwollte das nicht. Wer seine paar Sinne beisammen hatte, konnte mit Hnden greifen, wie aussichtslos alles Reden war. Die Ernennung Hitlers zum Kanzler sei denn auch kein Schock fr sie und ihre Freunde gewesen, setzte sie hinzu: Der Weltuntergang stand doch schon lange auf allen Programmzetteln, und eigentlich habe der 30. Januar nur besiegelt, was jeder von uns ohnehin wute. Nun muten wir politisch werden, sagte sie. Ich erinnere mich, im Frhjahr 1933 zu Gnther Anders gesagt zu haben: ,Aus dem schnen Paradies der luftleeren Rume, wo wir so frei atmen konnten, hat uns der Hitler schon vertrieben. Bald werden wir auch das Land verlassen mssen. Da Hannah Arendt stellungslos war und keine Aussicht auf irgendeine Beschftigung hatte, bat die Zionistische Vereinigung sie, eine Sammlung antisemitischer uerungen aus jngster Zeit anzulegen. Mit Freuden, hat sie spter versichert, habe sie nicht nur deshalb zugesagt, weil sie darin ebenso wie in der Zuucht, die sie seit dem Reichstagsbrand verfolgten Freunden bot, eine sinnvolle Aufgabe sah. Vielmehr habe jede gefhrliche Ttigkeit zugleich ihre Abenteuerlust befriedigt. Als der Ausschnittdienst nach kurzer Zeit aufog, hat sie hinzugesetzt, war mein erster, etwas verrckter Gedanke: groartig! Auch wenn es zu nichts gefhrt hat. Aber wenigstens bin ich nicht unschuldig! Denn das wre das Schlimmste, was einer wie Hitler mir nachsagen knnte: da ich uf hnliche Weise hat Heimich mir nichts, dir nichts zur degger die vielbegehrte Schlachtbank fhren lie. Ich htjunge Frau in den folgente mir das nie verziehen! den Jahren zu jedem Verehrer, Hannah Arendt wurde festgevon dem er erfuhr, beglcksetzt, verblieb aber nur acht Tage wnscht, so da Hannah Arendts in Haft. Zu ihrem Glck gelang es Bemhungen, die Eifersucht ihres ihr, den Gestapo-Beamten, der sie Geliebten zu erregen, ein ums anber Stunden verhrte, mit ihrem dere Mal ins Leere liefen. Von seiCharme gewissermaen zu vernen eigenen Ansprchen lie Heifhren. Ich beflirtete ihn nach degger gleichwohl nicht ab, und allen Regeln der Kunst, hat sie sie kam, wenn er nach ihr vererzhlt, und tischte ihm die aberAutorin McCarthy (1971): Das Herz auskippen langte. Selbst ber ihre Ehe mit witzigsten Geschichten auf. Natrseinem Schler Gnther Stern, lich hat er alles durchschaut, er der sich als Publizist Gnther Anders nannte, im September 1929, war ja nicht ,plemplem, wie man das nannte. Aber er machte gab er sich erfreut. Sie selber deckte in zwei Briefen, annhernd scheinheilige Miene zu meinem verlogenen Spiel und pltzlich, fnfundzwanzig Jahre spter, das verborgene Motiv ihrer Ver- auch nicht ganz ohne eigenes Risiko, lie er mich laufen. Er erhaltensweise auf. An Heidegger schrieb sie: Weggegangen aus teilte mir sogar ein paar gute Ratschlge: So was gabs damals Marburg bin ich ausschlielich Deinetwegen, was zugleich hie, noch. Kaum war ich frei, geriet ich aufs neue in Auseinandersetda sie stets gehofft hatte, ihn doch noch fr sich zu gewinnen, zungen mit meinen jdischen Freunden. Sie warfen mir ,Leichtund tatschlich lie sie ihn kurz vor ihrer Eheschlieung ver- sinn, ,Unverstand und ,Hasardeurlaune vor, whrend ich ihre zweifelt wissen, sie liebe ihn wie am ersten Tag. Ergnzend ge- generationenalte Unterwrfigkeit anklagte: den schrecklichen stand sie spter: Sie habe damals geheiratet, irgendwie ganz jdischen Gehorsam oder, was fast das gleiche ist, die Wichtiggleich wen. Doch von Heidegger kam kein Wort. Von Marburg tuerei. Wir kamen nicht zueinander. Im August 1933 hatte ich vom ging Hannah Arendt, der Empfehlung Heideggers folgend, ber einen wie vom anderen genug und ging aus Deutschland weg. Freiburg nach Heidelberg und promovierte 1928 bei Karl Jaspers. Es war noch einmal Arkadia, sagte sie in Erinnerung an diese enn sptestens zu diesem Zeitpunkt hatte sie eine Anzahl Zeit, so konzentriert im Denken und, trotz allen Tumults ringsbestrzender Erfahrungen gemacht. Nicht, da der Nazium, so weit aus der Welt. Ein politisches Interesse jedenfalls habe Pbel Ernst machte und jedermann wissen lie, wohin die sie damals und whrend der folgenden Jahre nicht aufgebracht, Reise ging. Ich hatte, sagte Hannah Arendt, wei Gott nichts das Geschft des Denkens verzehrte alles anderes erwartet von unseren geschworenen Feinden. Was mir Der Einbruch kam mit dem gewaltigen Politisierungsschub An- aber die Welt zum Einsturz brachte, war das Verhalten meiner fang der dreiiger Jahre. Die Weltwirtschaftskrise, die Radikali- Freunde. Sie liefen kolonnenweise ber. Oder elen einfach um. sierung links und rechts mitsamt den barbarischen Auswchsen Gestern hatten wir noch Anrufe, Briefe, Besuche von berall her. allenthalben, von den Brgerkriegssonntagen bis hin zum berall Jetzt wurde es mit einem Mal ganz still, und wir standen wie die sichtbar werdenden Antisemitismus, zwang jeden zur Parteinah- traurigen Kegel zwischen lauter umgestrzten Figuren. Sogar ein me. In Berlin, hat Hannah Arendt dazu gesagt, wo ich damals paar jdische Bekannte waren eingenommen von dem, was in mit meinem Mann lebte, vor allem vor den Arbeitsmtern und Deutschland passierte. Ein befreundeter Arzt sagte mir, die Deutrund um die Armenkchen, bildeten sich kleine primitive Laien- schen htten jetzt ihren Weien Ritter. ,Und wir stehen wieder mal parlamente. Unwillkrlich traten die Passanten herzu und hrten abseits und haben nichts als unseren Neid auf ihr Glck. Erregt mit. Das eine oder andere Mal habe ich sogar selber das Wort er- habe sie erwidert, manchmal verberge sich unter der weien Rgriffen. Aber hinterher kam mir immer der rger hoch. Denn ich stung auch ein Raubritter, und was ihm folge, seien bewaffnete keine andere Freundin eingeweiht war. Auf meine Frage, warum Hannah Arendt einem einigermaen Fernstehenden wie mir so bald nach dem Kennenlernen ihre privatesten Erfahrungen preisgegeben habe, antwortete sie: Ach, wissen Sie vor Jahren schon, als Hannah fnfzig wurde oder etwas spter, berkam sie das Bedrfnis, von frhen Tagen zu sprechen. Das hat man doch hug: da einer sein altes Herz auskippen und zumindest in der Erinnerung die groen Gefhle von einst noch einmal schmecken will. Wenn die stndige Heimlichtuerei mit Heidegger, trotz aller ungezhlten Lstigkeiten, der romantischen Natur Hannah Arendts anfangs entgegenkam, wurde sie ihrer doch im Fortgang der Zeit berdrssig. Nach rund einem Jahr begann sie, sich mit dem Gedanken vertraut zu machen, Marburg zu verlassen. Heidegger, so hoffte sie, wrde auf diese Weise der Ernst ihrer Liebe bewut werden. Um so berraschter und wie betrogen fhlte sie sich, als er ihr zuvorkam und ihr von sich aus einen Wechsel nach Freiburg zu seinem Lehrer Edmund Husserl und anschlieend nach Heidelberg zu seinem Freund Jaspers vorschlug. Mary McCarthy meinte, Heidegger sei zu dieser Zeit ebenfalls der Liebe im Versteck mde gewesen, habe sich aber Hannahs so sicher gefhlt, da er die rumliche Trennung in Kauf nahm; alles weitere, mochte er sich sagen, werde sich nden.

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PARSCHAUER / DPA

Zufall berlassen. Aber dann teilMordbrenner. Da gehren wir te sie ihm pltzlich mit, sie werde nicht hin! an einem der folgenden Tage in Am fassungslosesten aber habe Freiburg sein mssen (!), fgte Heideggers Verhalten sie gemacht, aber im Hinblick auf Heidegger so da sie nur verstummen hinzu, sie habe nicht die allerkonnte. Schon vor Beginn der geringste Lust, den Herrn wiederHitlerjahre habe sie gerchteweizusehen. Doch die fast schulse gehrt, da auf seiner Htte mdchenhafte Verlegenheit, mit in Todtnauberg tiefsinnige Geder sie mir ber das emotionale sprche ber Hitlers historischen Durcheinander jener Tage AusAuftrag gefhrt wrden, ber eine kunft gab, deutete darauf hin, da deutsche Ordnungsdiktatur, die Philosoph Heidegger (r., 1923)*: Die Welt begreifen sie wieder, diesmal vor allem mit dem drohenden Einbruch des Kommunismus die Stirn bieten werde. Doch habe sie gedacht, alle sich selber, das Versteckspiel vergangener Zeiten trieb. Jedenfalls Sorge sei bertrieben, solange Heideggers Philosophie von der- lie sie sich von einem Freund aus Studententagen, dem Romagleichen unberhrt bleibe. Verwehrt geblieben sei ihr damals die nisten Hugo Friedrich, die Adresse Heideggers geben. Am 7. FeEinsicht, sagte sie jetzt, da Heidegger lebenslang der Famulus bruar 1950 war sie in Freiburg. Zu ihrem Versteckspiel gehrte vermutlich auch die Behaupseines Denkens blieb und als Person weit schwcher war als sein Gehirn. Das aber war alsbald von Aufbruch, Gre und einer Art tung, Heidegger habe sich am frhen Abend dieses Tages einimetaphysischem Rausch so erfat, da er sich beugte. Als Jaspers germaen berraschend im Hotel Zum Ochsen eingefunden im Mai 1933 die Professorenfrage stellte, auf welche Weise wohl und nach ihr verlangt. Bezeichnenderweise weicht fast jede Schilein so ungebildeter Mensch wie Hitler Deutschland regieren sol- derung des Wiedersehens partienweise von der anderen ab. Die folle, bekam er von Heidegger die Antwort: Bildung ist ganz gleich- gende Version geht berwiegend auf Mary McCarthy zurck gltig Sehen Sie nur seine wunderbaren Hnde an! Gleich nach ihrer Ankunft im Hotel rief Hannah Arendt Mary Im spten Herbst 1949 kam sie erstmals wieder nach Deutsch- McCarthy in Paris an: Ob sie Heidegger ihre Ankunft melden solland: Unbeschreiblichstes, herrlichstes! Wiedersehen, schrieb sie le, wollte sie wissen, und die Antwort war, warum sie berhaupt in einem Brief, das groe Heulen sei ihr gekommen, als sie auf in Freiburg Station gemacht habe, wenn sie darber unsicher den Straen und in den Cafs Deutsch sprechen hrte sei. Aus Hannah Arendt brach es pltzlich heraus, fuhr Mary Die Stadt Freiburg mied Hannah Arendt zunchst, und als eine McCarthy fort, da Heidegger unausstehlich sei mit seiner pathoFreundin sie fragte, ob sie sich auf ein Wiedersehen mit Heideg- logischen Unaufrichtigkeit, seiner Klte und Schwarzwlder Schlauger freue, erwiderte sie: Um sich auf Freiburg zu freuen, dazu meierei. Aber jedem ihrer Worte war anzumerken, da sie an gehrt ein bestialischer Mut ber den ich aber nicht verfge. Und ihren Mann in New York lie sie wissen, sie wolle alles dem * Mit seinem Schler Hans-Georg Gadamer beim Holzsgen in Todtnauberg.DB / DPA

Kulturihm litt, wie nur eine Liebende leidet. Sie solle die Nachricht schicken, unterbrach die Freundin sie schlielich, um der Tirade ein Ende zu machen. Denn sie werde es sich nie verzeihen, wenn sie unverrichteter Dinge wieder abreise. Hannah schrieb daraufhin, ging der Bericht weiter, eine kurze Notiz und lie den Hoteljungen kommen. Sie gab ihm fnf Dollar und schrfte ihm ein, das Kuvert am Rtebuckweg 47 dem Professor persnlich zu bergeben. Nicht seiner Frau, nicht einem Hausmdchen oder einem der Shne. Sollte er ihren Auftrag, wie verlangt, ausfhren, werde sie ihm weitere fnf Dollar geben. Eine gute Stunde spter war der Junge zurck und meldete, er habe alles, wie von der Frau Professor gewnscht, erledigt. Einige Zeit lang tat sich nichts, und bei Mary McCarthy schrillte ungefhr alle dreiig Minuten das Telefon. Hannah Arendt war einmal emprt, dann ratlos, auch geknickt oder voller Hohn, bis alles von neuem begann. Es war eine hchst verwirrende, ratlos machende Geschichte. Gegen Abend endeten die Anrufe. hatte Heidegger dem Portier seinen Brief ausgehndigt, machte er sich auf den Heimweg, weil ihm die Dinge einen allzu berstrzten Lauf nahmen. Aber nach einigen Schritten kehrte er um und lie sich bei Frau Arendt melden. Er stand, als er ihr Zimmer betrat, wie ein begossener Pudel da, hat Hannah Arendt die Szene beschrieben, und viele ihrer Freunde haben von dem heimlichen Triumph gesprochen, den sie darber empfand, dem Geliebten erstmals ohne die alte Kinderangst gegenberzutreten. Schon bald nach der Begrung fand Heidegger ber seine Befangenheit hinweg, er schien, den Worten Hannah Arendts zufolge, absolut keine Vorstellung davon (zu haben, da) alles fnfundzwanzig Jahre zurcklag was immer sie damit andeuten wollte. Jedenfalls stellte sich bald wieder der vertraute Ton von einst zwischen ihnen her, und Hannah Arendt, so hat Mary McCarthy erzhlt, habe daraufhin den einen und anderen Anlauf unternommen, ihn zu ein paar Worten ber sein Verhalten 1933 und spter zu veranlassen. Doch Heidegger schwieg, und Mary McCarthy gewann den Eindruck, er habe die Aufforderungen kurzerhand berhrt und statt dessen von den Verleumdungen gesprochen, denen er seit Jahren ausgesetzt sei, den Entwrdigungen mitsamt dem Lehrverbot und den tausend qulenden Zumutungen einzig aufgrund eines politischen Irrtums. Die Bereitwilligkeit, mit der sie sich abfertigen lie, meinte Mary McCarthy, beweise, da der einstige Zauber schon zu dieser Stunde wieder zu wirken begann. Sie werde gleichwohl nicht preisgeben, setzte sie unaufgefordert hinzu, wie nahe die beiden sich in der evening-night ihrer Wiederbegegnung gekommen seien. Aber Hannah schrieb: Dieser Abend und dieser Morgen sind die Besttigung eines ganzen Lebens. Htte sie die Gelegenheit zu diesem Treffen ausgeschlagen, wre das etwa das gleiche gewesen, wie mein Leben zu verwirken, und ihrem Mann bekannte sie: Es sei von ihr ganz gewi richtig gewesen, Heidegger nie zu vergessen

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ie Mary McCarthy spter erfuhr, hatte Heidegger sich bald nach dem Besuch des Botenjungen auf den Weg zum Hotel gemacht und dort seinerseits einige Zeilen hinterlassen. Darin lie er sie in drren, nach Hannah Arendts eigener Bekundung unendlich fern klingenden Worten wissen, da er fr diesen Abend allein sei und sie gern wiedersehen wolle. Im Nebenhinein lie er die Bemerkung einieen, da seine Frau inzwischen ber ihre einstige Affre unterrichtet sei, und Hannah Arendt wird ihm dieses Bekenntnis hoch anrechnen, weil es ihrem uneingestandenen Wunsch entgegenkam, Rechtfertigungsgrnde fr Heidegger zu nden oder notfalls auch zu ernden. Er, der doch notorisch immer und berall lgt, schrieb sie an Heinrich Blcher, habe wenigstens seine Passion fr sie eingestanden, und da er damit seine Frau, die Rivalin vieler Jahre, gedemtigt hatte, verstrkte ihr Gefhl der Genugtuung. Kaum

NSDAP-Aufmarsch (1937)*, Philosoph Heidegger (1968): Die Unfhigkeit, das Kriminelle der Bewegung zu erkennen

DIE IRRTMER DER DENKERCarl Schmitt und Martin Heidegger kamen den Nazis nicht nur aus Opportunismus nahe. Ihre amoralische Philosophie weist Berhrungspunkte mit der NS-Ideologie auf. / VON VITTORIO HSLEm 20. Jahrhundert sind Intellektuelle, die fr Lenin, Mao oder auch Stalin geschwrmt haben, keine Raritt gewesen. Viel seltener aber waren Intellektuelle, die von Hitler eingenommen waren. Sptestens seit 1945 gehrte eine ganz besondere Niedertracht dazu, sich zu ihm zu bekennen. Aber vor 1945? Wichtige auslndische Intellektuelle nden sich, die nicht nur wie der groe amerikanische Lyriker Ezra Pound vom italienischen Faschismus, sondern die sogar vom Nationalsozialismus fasziniert waren etwa der norwegische Literatur-Nobelpreistrger Knut Hamsun. Freilich ist literarische Gre auch kein Entschuldigungsgrund fr Fehler der Urteilskraft oder gar fr Verbrechen, und daher gab es nach 1945 keinen Anlass, die Intellektuellen besser zu behandeln als andere Kollaborateure. Aber sollte man nicht wenigstens von den Philosophen, die doch in ganz anderem Mae als die Literaten in analytischen Fhigkeiten geschult sind, Widerstandskraft gegenber einem Phnomen wie dem Nationalsozialismus erwarten? Auch diese Erwartung wird enttuscht.* Oben: beim Erntedankfest auf dem Bckeberg bei Hameln; unten: auf dem Osloer Flughafen nach der Rckkehr aus Berlin 1943, mit Reichskommissar Josef Terboven (r.).

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In Deutschland war eine respektable Karriere als Wissenschaftler damals (und zu einem guten Teil auch heute noch) nur als Staatsbeamter mglich, und das erhhte nicht die Risikobereitschaft derjenigen, die Professoren waren oder es werden wollten. Der Eintritt in die Partei war die Regel, manchmal freilich ohne jede innere Sympathie fr die neue Regierung oder gar deren Ideologie. Daneben gab es freiHitler-Bewunderer Hamsun, deutsche Besatzer* lich auch GesinnungstNach dem Krieg als Kollaborateur behandelt ter, die von der Ideologie Wenig berraschend ist es, dass nach Hit- des Nationalsozialismus berzeugt, ja belers Machtergreifung die akademische geistert waren. Interessanterweise ist einer Philosophie sich genauso willig mit der von ihnen, der bedeutende Mathematikneuen Regierung arrangierte wie andere philosoph und -historiker Oskar Becker, nie universitre Disziplinen. Konformismus mit Mitglied der NSDAP gewesen, obwohl er Tendenz zum Selbstbetrug ebenso wie von Antisemitismus und nordischen Wahnblanker Opportunismus sind wichtige Mo- vorstellungen durchdrungen war. tive in der menschlichen Seele, und keine Um der Komplexitt der damaligen Zeit statistische Untersuchung hat je bewiesen, gerecht zu werden, ist erwhnenswert, dass dass sie bei Philosophieprofessoren seltener der einzige deutsche Philosoph, der seinen waren oder sind als bei anderen Menschen. Widerstand gegen Hitler mit dem Lebend e r s p i e g e l 2 9 / 2 0 0 1NTB / DPA

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BAYERISCHE STAATSBIBLIOTHEK (li.); DIGNE MELLER-MARCOVICZ (re.)

SERIE TEIL 11

DER NEUE MENSCH

bezahlte, seit 1940 NSDAP-Mitglied war: Kurt Huber, um den sich der Freundeskreis der Weien Rose in Mnchen bildete. Nun sind die Erwartungen an akademische Philosophen allerdings geringer als die an originelle Denker. Doch auch und gerade zwischen einigen der groen Denker und der NS-Ideologie gibt es Verbindungen, da der Nationalsozialismus tief gehende weltanschauliche Wurzeln und Ambitionen besa. In der Tat ist dies die eigentlich interessante Frage: Welche bedeutenden philosophischen Ideen trugen zur Bejahung des Nationalsozialismus bei, zumindest zur Unfhigkeit, die kriminelle Natur dieser Bewegung zu erkennen? Der erste groe Philosoph des 20. Jahrhunderts, der sich bewundernd zu Antisemitismus und Revanchismus der extremen Rechten uert und Hitler anerkennend in seinen Tagebchern erwhnt, ist Gottlob Frege. Dies mag bei einem so genialen Logiker, Sprach- und Mathematikphilosophen berraschen, zeigt freilich auch, wie wenig all das bei der geistigen Durchdringung der politischen Wirklichkeit hilft. Frege ist 1925 gestorben. Ihm kann man zugute halten, er habe einfach eine allgemeine Unzufriedenheit mit der Situation seiner Zeit ausgedrckt. Selbstkritisch wird nach dem Krieg der einussreiche Nazi-Philosoph Alfred Baeumler von der deutschen Zurckgebliebenheit hinter dem Westen (Weltfremdheit) schreiben, von einer Abstraktion ins Unbestimmte die Sehnsucht nach Erhabenheit in der Politik habe zur Ablehnung der Demokratie gefhrt. Baeumler hatte sich 1933 Hoffnung gemacht, im neuen Staat eine geistige Fhrungsrolle einzunehmen, zu der er sich unter anderem auf Grund seines Buchs ber Friedrich Nietzsche, 1931 verffentlicht, fr qualiziert hielt. Nietzsche mit dem Nationalsozialismus zu verbinden war ja wegen dessen Antipathie gegen Nationalismus, Sozialismus und Antisemitismus nicht einfach gewesen, und bis heute beharren

Nietzsches zahlreiche Verehrer darauf, dass ihr Philosoph vom Dritten Reich nur instrumentalisiert worden sei. Doch sind andere Zge bei Nietzsche offenkundige Voraussetzung fr den Nationalsozialismus: der aggressive Atheismus, das Leugnen einer objektiven Moral (und damit einer moralischen Bindung von Recht und Staat), die Verherrlichung brutaler Macht, das Pathos des Avantgardistischen und Heroischen. Arnold Gehlen, Carl Schmitt und natrlich Martin Heidegger setzten sich in ihrer philosophischen Arbeit mit Fragen auseinander, die mit dem Dritten Reich unmittelbar zu tun hatten. Alle drei Denker, die am 1. Mai 1933 in die NSDAP eintraten und ihr bis zum Kriegsende angehrten, waren von der so genannten konservativen Revolution geprgt. Manche von deren Vertretern lieen sich allerdings nicht durch den Nationalsozialismus vereinnahmen wie etwa Ernst Jnger und Oswald Spengler. Zur konservativen Revolution gehren Kritik an der Moderne, Angst vor dem Bolschewismus und eine positive Bewertung des Erlebnisses des Ersten Weltkriegs Letzteres manchmal nur auf Grund theoretischer Erwgungen. Heidegger etwa hatte im Ersten Weltkrieg blo bei der Postzensur und spter als Meteorologe gear-

VITTORIO HSLElehrt Kunst und Literatur an der Universitt von Notre Dame im US-Staat Indiana. Der Philosophie-Professor, der 17 Fremdsprachen lesen kann, war zu Fragen der Ethik im technischen Zeitalter, einem seiner Hauptgebiete, auch als Experte fr das Bundeskanzleramt ttig. Hsle, 41, hat ein Standardbuch ber Moral und Politik verffentlicht.d e r s p i e g e l 2 9 / 2 0 0 1

NORBERT ENKER

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DIE GEGENWART DER VERGANGENHEIT

NS-Apologeten Jnger, Schmitt (1941 in Rambouillet): Der Fhrer schtzt das Recht

beitet. Das hinderte ihn nicht daran (Kompensation ist eine wichtige Triebfeder des Menschen), sich als Rektor besonders soldatisch zu geben und gegen Ende des Russlandfeldzuges einem Schler zu schreiben: Das einzig wrdige Dasein fr einen Deutschen sei heute an der Front. Das Engagement Gehlens, Schmitts und Heideggers fr das Dritte Reich lsst Mitte der dreiiger Jahre nach. Ihre Ambitionen erfllten sich teils nicht, weil innerparteiliche Konkurrenten sich ihnen im Machtkampf berlegen zeigen; teils liegen ihnen zentrale Bestandteile der nationalsozialistischen Ideologie nicht Heidegger und Gehlen verabscheuen etwa den primitiven Biologismus. Dennoch nden sich bei den dreien bis kurz vor der deutschen Kapitulation Ideen, die dem Regime verwandt sind. Bezeichnenderweise war es Heidegger, der unmittelbar nach seiner Wahl zum Rektor der Freiburger Universitt Carl Schmitt brieich aufforderte, sich der Bewegung anzuschlieen. Die Motive fr die Nhe zum Nationalsozialismus waren bei den dreien freilich recht unterschiedlich. Whrend Heidegger und Schmitt den deutschen Idealismus ablehnten, sah Gehlen, damals Fichteaner, im nationalen Sozialismus Hitlers unter anderem eine Verwirklichung der wirtschaftspolitischen Ideen, die Johann Gottlieb Fichte im Geschlossenen Handelsstaat entwickelt hatte (einer einseitigen, aber bemerkenswerten Schrift, die heutigen Gegnern der Globalisierung gefallen msste). Auch begrte der Institutionendenker Gehlen einen starken Staat obgleich im Dritten Reich wie in der Sowjetunion die Partei wichtiger war als die Staatsorgane und obgleich das Resultat des Nationalsozialismus die vollstndige Zerstrung alter Institutionen war. Am ehesten von allen dreien hat Gehlen nach dem Krieg die mrderische Natur des Nationalsozialismus beim Namen genannt. Der konservative Katholik Schmitt stand dem Nationalsozialismus bis zur Machtergreifung kritisch gegenber. Im Prozess um die Entmachtung der preuischen Regierung durch das Reich hatte er die Reichsregierung Franz von Papens 1932 vor dem Staatsgerichtshof vertreten, und er hatte fr Kurt von Schleicher, den letzten Kanzler vor Hitler, gearbeitet. Aber weder Papen noch Schleicher waren Nationalsozialisten; Schleicher sogar ein Gegner Hitlers, der ihn mit vielen anderen am 30. Juni 1934 whrend der Niederschlagung des so genannten Rhm-Putsches ermorden lie. Schmitt, der inzwischen zum Preuischen Staatsrat ernannt worden war und die Deutsche Juristenzeitung herausgab, verteidigte in seinem wohl berchtigtsten Text Der Fhrer schtzt das Recht das Vorgehen beim Rhm-Putsch mit dem Argument, Hitler stehe auch an der Spitze der Judikative (in Wahrheit machte sich Hitler erst 1942 zum obersten Gerichts-

herrn). Schmitts Bewunderer entschuldigten diesen Artikel damit, er habe als ehemaliger Mann Schleichers um sein eigenes Leben gebangt. Dennoch bleibt Der Fhrer schtzt das Recht einer der beschmendsten Texte, die je ein bedeutender Kopf geschrieben hat. Denn natrlich ndert das Debakel nichts daran, dass Schmitts Verfassungslehre ein groes Werk ist und dass seine Schrift Legalitt und Legitimitt 1932 die Mglichkeit einer Selbstaufhebung der Weimarer Reichsverfassung durch Zweidrittelmehrheit im Reichstag vorhergesehen und mit guten Argumenten als rechtNSDAP-Werber Heidegger*: Willig mit der neuen Regierung arrangiert lich unzulssig erklrt hatte gegen die Mehrzahl der damaligen Staatsrechtler, Prmissen, denn eine objektive Differenz Ackerbau ist jetzt motorisierte Ernhauch und gerade der liberalen. Dass im zwischen Gut und Bse gehrt nicht zu rungsindustrie, im Wesen dasselbe wie die Bonner Grundgesetz Artikel 1 und 20 un- den Ausgangspunkten seines Denkens. Fabrikation von Leichen in Gaskammern. abnderlich sind (die Voraussetzung dafr, Heidegger hatte sich mit Mhe dem Auch seine Sptphilosophie ist durch und Parteien fr verfassungswidrig zu erkl- kleinbrgerlichen Katholizismus seiner durch amoralisch: Anstatt individueller Verren), geht auf eine von Schmitts zahlrei- Herkunft entwunden. Zum intellektuellen antwortung waltet das Sein. Daher war er chen, bleibenden Einsichten zurck. Ballast, den er abgeworfen hatte, gehrte zur Reue ber seine Rolle im Dritten Reich Doch wieso hat sich ein solcher Mann der Glaube an eine objektive Ethik. An- ebenso wenig fhig wie Schmitt, dessen dem Nationalsozialismus angeschlossen? ders als die Mehrzahl der deutschen Pro- Larmoyanz ber das ihm nach dem Krieg Neben Opportunismus und dem Willen, fessoren war er jedoch kein Opportunist; Angetane (Internierung und Untersudabei zu sein, spielt die Enttuschung ber 1933 denunzierte er besonders aggressiv chungshaft fr den Nrnberger Kriegsverdie Weimarer Republik eine Rolle. Dazu jene Kollegen, von denen er den Eindruck brecherprozess) angesichts der Verbrechen kommt seine Auffassung, dass politische hatte, sie wrden erst jetzt auf den natio- des NS-Regimes, das er untersttzt hatte, Normen sich nicht einer rationalen Be- nalsozialistischen Zug aufspringen. Er war fast noch schlimmer ist als seine Taten. grndung verdanken, sondern einer Ent- ein Gesinnungstter. Schon im Winter Heideggers Schler Hans Jonas, jdischeidung, einer klaren Grenzziehung zwi- 1931/32 sprach er sich vor Studenten fr scher Herkunft, hatte 1933 Deutschland mit schen Freund und Feind. eine NS-Diktatur aus. Zu der Erklrung verlassen, er wrde nur als Denn darin liegt nach seinem begeisterten Einsatz Soldat einer gegnerischen Armee zurckSchmitt das Wesen von Pofr den Nationalsozialismus kehren. 1945 traf er in Marburg ein und litik. Diese Wesensbestimtrug 1933 auch bei, dass er begegnete seinem Lehrer Julius Ebbingmung von Politik ist formal sich von den neuen Macht- haus wieder, einem heute vergessenen vllig leer und in ihren Konhabern eine neue Welle Neukantianer, der sich whrend des Dritsequenzen nihilistisch. Vom deutscher Gre erhoffte, ten Reiches untadelig verhalten hatte. Auch frhen Schmitt fhrt deseinen Bruch mit all der seinen zweiten Lehrer, Heidegger, suchte halb eine Brcke hinber Halbheit, die er um sich sah. er spter auf eine fr Jonas zutiefst entzum Nationalsozialismus. Man hat Heidegger damit tuschende Begegnung, denn Heidegger Analog zum Schmittschen zu entschuldigen versucht, sah sich auer Stande, Jonas zur ErmorDezisionismus spielt die dass er schon whrend des dung von dessen Mutter in Auschwitz auch Entschlossenheit in HeidegDritten Reiches eine kriti- nur zu kondolieren. gers Hauptwerk Sein und sche Theorie des NationalImmer wieder befasste sich Jonas seither Zeit (1927) eine wichtige sozialismus entwarf. Dies ist mit der Frage, ob Heidegger oder EbbingNietzsche-Portrt von Rolle auch wenn dieses sicher richtig und eine be- haus der Idee der Philosophie gerechter Edvard Munch (1906) Werk gewiss nicht notwenachtliche Leistung, aber das geworden sei. Die Frage ist nicht einfach zu Pathos des Heroischen dig eine Option fr den NaProblem besteht darin, dass beantworten, zumal dann, wenn man die tionalsozialismus enthlt: Joseph Rovan, Heideggers Deutung des Nationalsozialis- Hoffnung nicht aufgeben will, dass groe der zehn Monate im KZ Dachau inhaftiert mus als eine Manifestation des Willens zur Philosophie mit menschlichem Anstand war, begann damit, es ins Franzsische zu Macht ebenso amoralisch ist wie die Fun- vereinbar sein kann. bersetzen, als er in der Rsistance gegen damentalontologie von Sein und Zeit. Vermutlich besteht darin eine Lehre des die deutschen Besatzer ttig war. Man kann Heideggers hellsichtige Ana- 20. Jahrhunderts: Eine Philosophie, die Heidegger deutet in Sein und Zeit tra- lyse der Gefahren des technischen Zeit- nicht ihren Ausgang nimmt von der Einditionelle ethische Kategorien wie Schuld alters hoch schtzen, ja, in ihr eine wichti- sicht in einen objektiven Unterschied zwiund Gewissen auf subtile Weise um. Schul- ge Grundlage fr kologisches Denken er- schen Gut und Bse, mag zwar gro sein dig wird der Mensch nach Heidegger, weil kennen und trotzdem emprt sein ber aber auch die genialste Philosophie, die er nicht alle Seinsmglichkeiten verwirkli- seine berhmte Aussage von 1949 (die ein- amoralisch bleibt, ist in einem radikalen chen kann. Nun ist es sicher richtig, dass zige ffentliche ber den Holocaust): Sinne unvollstndig. man nicht gleichzeitig Heinrich Himmler und Raoul Wallenberg sein kann. Aber ist Im nchsten Heft lesen Sie: Teil 12 es sinnvoll zu sagen, dass beide deswegen gleichermaen schuldig geworden sind? DER ENGEL VON BUDAPEST Das aber folgt durchaus aus Heideggers Der Schwede Raoul Wallenberg rettete Zehntausende ungarische Juden. Noch immer ist ungeklrt, * Bei einer NS-Kundgebung deutscher Wissenschaftler am 11. November 1933 in Leipzig. ob die Russen ihn nach dem Krieg umbrachten.AKG

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DIE GEGENWART DER VERGANGENHEIT

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KULTUR

Philosophie

Knig in kurzer HoseJesuiten-Zgling und Liebhaber, Querdenker und Nazi-Claqueur eine Biographie beschreibt Leben und Werk Martin Heideggers.s ist eine lange Geschichte mit Heidegger, beginnt sein Biograph Rdiger Safranski*, mit seinem Leben, seiner Philosophie. Die Leidenschaften und Katastrophen eines ganzen Jahrhunderts seien darin versammelt. Und welch ein Stoff fr ein Drehbuch. Ein Visconti htte daraus groes Kino machen knnen, voller Schwarzwald und Sturm, faustischem Ringen und mephistophelischem Verrat, deutscher Innerlichkeit und deutscher Gemeinheit. Film ab: Anfangssequenz. Mekirch, Ende des vorigen Jahrhunderts, karge Landschaft zwischen Bodensee und Schwbischer Alb. Der kleine Martin, Sohn des Mesners der katholischen St.-Martin-Kirche, mit der Kerze in der Hand im Morgendunkel vor dem Altar, das herabflieende Wachs hinaufschiebend, damit das Licht nicht verlsche. Und doch ersehnt er gerade diesen Moment. Eine Urszene: All sein spteres Denken beschftigt sich mit der Nacht, dem Nichts, von dem sich ein Etwas abhebt. Schnitt: Konstanz, das Konradihaus. Der Konviktschler Martin, der von der Kirche alimentierte Kleine-Leute-Sohn, beim Studium heiliger Bcher. Er will Priester werden. Drauen tollen die weltlichen Mitgymnasiasten herum und reden von Tanzstunde, Mdchen und all den schnen Snden. 1909, es kommt ein erster Hauch von Dramatik in Heideggers Leben: Der strebsame Abiturient, ein Bcherwurm, tritt in das Noviziat der Gesellschaft Jesu in Tisis bei Feldkirch (Vorarlberg) ein. Auf einer Wanderung berwltigen ihn Herzschmerzen. Heidegger hat aus gesundheitlichen Grnden nicht das Zeug zum Priester. Es ist Krieg. Die Freiburger Studenten ziehen begeistert ins Feld. Der angehende Philosoph brtet derweil ber scholastischen Texten. Er wird sich habilitieren. Sein Fronterlebnis hat er in der Etappe, als Hilfsmeteorologe, um die gnsti-

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Philosoph Heidegger (um 1966): Wir Deutschen knnen nicht untergehengen Winde fr den Giftgaseinsatz zu bestimmen. Und als abkommandierter Landsturmmann in der Postzensurstelle. Wir springen. Heidegger hat einiges hinter sich: den Bruch mit der Kirche, die Freundschaft mit seinem Mentor Edmund Husserl, dem jdischen Professor. Dessen auf Kant fuende Phnomenologie ist dem jungen Privatdozenten insgeheim suspekt geworden. Er begehrt auf gegen den logischen Universalismus; er will, da sich der Mensch selbst ins Spiel bringt; er beginnt zu begreifen, was es heit zu saheit des metaphysischen Denkens, das sich ber das Leben erhebt. Ins schwarzwlderische Todtnauberg dort hat Heidegger seine spter berhmt gewordene Seinshtte gebaut ldt er whrend der Semesterferien bndisch bewegte Jugendliche. Wenn der Holzsto lodert, beschwrt er die Echtheit gegen die Phrasen der brgerlichen Welt: Wach sein am Feuer der Nacht. Doch der mnnerbndische Griechenfreund ist nicht nur aus Geist. Da steht sie im Februar 1924 im Regenmantel, den Hut tief ins Gesicht gezogen, in seinem Arbeitszimmer die 17 Jahre jngere, bildschne Studentin Hannah Arendt, hhere Tochter aus einer assimilierten jdischen Familie. Ihre abgrundtiefen Augen, umrahmt von einem Bubikopf, bezaubern die Kommilitonen. Hannahs Dachkammer ganz in der Nhe der Uni hier empfngt die verliebte Studentin zwei Semester lang den berhmten Professor. Heidegger, Vater zweier Shne, dringt auf Geheimhaltung. Ein kompliziertes Zeichensystem von ein- und ausgeschalteten Lampen organisiert die minutengenau geplanten Rendezvous. Kompliziert ist auch das Innenleben dieser Liaison: Bewunderung, Blindheit, spter Reserve bei Arendt. Und bei Heidegger? Hannah sei die Passion seines Lebens gewesen, beichtet er seiner Frau nach Jahren. Das Sein, das der Meister so wortreich beschwrt, hat zugeschlagen und bewirkt, da der Meister seine Denkanstrengungen nochmals verstrkt. Noch whrend er mit Hannah in Snde liebt, referiert Heidegger im Seminar des groen protestantischen TheologenDER SPIEGEL 40/1994

Das Leben liegt rein, einfach und gro vor der Seelegen: Ich bin. Ohne ergo, ohne cogito. Aber wir sind noch im Film. Und dem Szenaristen kommt Heideggers Berufung nach Marburg (1923) zugute, in die Hauptstadt der evangelischen Theologie. Was fr Bilder entstehen, als sich innerhalb von nur fnf Jahren dieser Doktor aus dem Schwarzwald zum Star der philosophischen Szene in Marburg, zum heimlichen Knig der Philosophie in Deutschland entwickelt. Im Winter sieht man ihn durch die Stadt mit Skiern laufen. Den Hrsaal betritt er bisweilen in Skikluft. Im Sommer beglckt er das Auditorium mit Lodenanzug und Kniebundhosen. Den Theologen gibt der entlaufene Katholiken-Zgling Rtsel auf: Die Theologie ehren wir, indem wir von ihr schweigen, erklrt er. Heidegger redet lieber von der Existenz, die von ihrem Tod wei, und von der Zeitenthoben-

* Rdiger Safranski: Ein Meister aus Deutschland. Heidegger und seine Zeit. Hanser Verlag, Mnchen; 544 Seiten; 58 Mark.

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D. MELLER MARCOVICZ

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KULTUR

Rudolf Bultmann ber den Sndenfall aus der Genesis. Wenig spter durchlebt er in einer angemieteten Stube bei einem Schwarzwaldbauern im Sommer 1927 die Muse Hannah hat sich gerade unter tiefem Schmerz von ihm getrennt den Hhepunkt seines Gelehrtendaseins. Das Leben, meldet er Freunden ins Tal, liegt rein, einfach und gro vor der Seele. Heidegger schliet Sein und Zeit ab, ein Werk, von dem Jrgen Habermas spter sagt, es habe einen so eminenten Stellenwert im philosophischen Denken unseres Jahrhunderts, da die Vermutung abwegig ist, die Substanz dieses Werkes knne durch politische Bewertungen von Heideggers faschistischem Engagement mehr als fnf Jahrzehnte danach diskreditiert werden. Was nun folgt, ist der Fall eines Denkers. Nicht mehr die Authentizitt eines von Gott verlassenen Individuums steht im Vordergrund seines Denkens. Das immer herrischer vorgetragene Pathos der Entschlossenheit zu einem Wozu (blo zu welchem?) verlangt nach konkretem Stoff. Am Ende sind es Volk und Fhrer, die dem geworfenen Dasein Sinn geben.

Heidegger-Biograph Safranski Existenzphilosophie als Echo der Zeitbereits entschieden. Die Herrlichkeit aber und die Gre dieses Aufbruchs verstehen wir dann erst ganz, wenn wir in uns jene tiefe und weite Besonnenheit tragen, aus der die alte griechische Weisheit das Wort gesprochen: ,Alles Groe steht im Sturm . . .

Heidegger-Geliebte Arendt (1927) Minutengenau geplante RendezvousDie Film-Bilder hierzu sind grotesk, bisweilen lcherlich. Heidelberg: Heidegger, inzwischen ber 40, in kurzen Hosen und mit Schillerkragen, spricht vor den in Amtstracht erschienenen Professoren Markiges: Wer den Kampf nicht besteht, bleibt liegen. 1933, in seiner berchtigten Rede bei der bernahme des Rektorats der Freiburger Universitt, erklrt der Philosoph:Wir wollen uns selbst. Denn die junge und jngste Kraft des Volkes, die ber uns schon hinweggreift, hat darber

Das Ende der Heidegger-Phantasie, er knne den Fhrer fhren, kommt schnell. Das Regime will keine Revoluzzer an den Unis, sondern rstungswichtige Forschungen. Heidegger denunziert den Chemiker Herrmann Staudinger als vaterlandslosen Gesellen (der Mann hatte den Ersten Weltkrieg in der Schweiz verbracht), dringt aber nicht durch. In Berlin verhindert ein Gutachten, das Heideggers Denken als schizophrenes Gefasel bezeichnet, da der Mann aus Freiburg die ganz groe NaziKarriere macht. Wie einst Platon als Helfer eines Diktators scheiterte, so ist auch der Seinsphilosoph gescheitert. Rcktritt vom Rektorat 1934. Die Zeit bis zum Krieg sieht einen Heidegger, der den Glauben an den Fhrer nicht verloren hat und der weiter von der inneren Wahrheit und Gre der nationalsozialistischen Bewegung redet. Allerdings: Hitlers Partei ist in Heideggers Sicht dabei, ihre eigentliche Mission zu verfehlen, nmlich den Nihilismus der trostlosen Raserei der entfesselten Technik und der bodenlosen Organisation des Normalmenschen zu berwinden. Und am 20. Juli 1945, Deutschland hat kapituliert, Millionen sind umgekommen, die KZs geffnet, heit es in einem Brief: Alles denkt jetzt den Untergang. Wir Deutschen knnen deshalb nicht untergehen, weil wir noch gar nicht aufgegangen sind und erst durch die Nacht hindurchmssen.

Der Seinsphilosoph, abgehoben in das Schemenreich des ewigen Advents, wird verstockt bleiben gegenber eigener und deutscher Schuld. Seine Abstraktion macht Kommunismus und Faschismus als Trger eines planetarischen Willens zur Macht gleich. Als Herbert Marcuse um ein Wort zur Judenvernichtung bittet, antwortet Heidegger, was die Alliierten mit den Ostdeutschen getan htten, sei vergleichbar. Nein, Safranski hat in seiner Biographie nichts im Fall Heidegger beschnigt. Er gibt im wesentlichen wieder, was seit Hugo Ott (Martin Heidegger. Unterwegs zu seiner Biographie, 1988) und Victor Faras (Heidegger und der Natio nalsozialismus, 1989) an Recherchen bekannt ist. Dafr nimmt das Buch den Leser mit auf Heideggers Denkweg. Der Untertitel heit mit Recht Heidegger und seine Zeit, denn Safranski bringt die Existenzphilosophie als Echo, Modulation oder Gegenstimme zum geistigen Getne der Zeit zum Klingen. Wo Safranski Heideggers Denken ausfhrlich schildert, im Falle von Sein und Zeit etwa, bleibt er zurckhaltend in der Rolle des Biographen: Er verkneift sich jede Bewertung darber, ob Denkfiguren Not der Notlosigkeit, Sein zum Tode, Geworfenheit, Entwurf jemals aus dem Gehege der nun schon historischen Philosophie Heideggers ausbrechen und die Gegenwart erhellen knnten. Diese bersetzungsarbeit bleibt dem Leser berlassen. Nimmt der sie in Angriff, kann er vielleicht lernen. Eine neue Sensibilitt beispielsweise fr die Selbstentfremdung durch die Gaukeleien der Kulturindustrie, die ihm den Tod wegzaubern, ihn Sorge und Angst vergessen lassen und seine Existenz in den Horizonten von tausendundeinem Niemand verschwinden lassen. Heidegger der Gegenpapst in der Cyberwelt? Schon Sokrates wute, da das hchste Wissen das Nichtwissen des Hchsten ist. Folgerichtig hat sich auch Safranski nicht gotthnlich auf die Richterbank ber das Leben und Denken dieses Meisters aus Deutschland gesetzt. Der professionelle Biograph (E.T.A. Hoffmann, Schopenhauer) schildert und richtet nicht. Und prsentiert am Ende seines Buches eine gelassen stimmende Szene: Nicht lange vor Heideggers Tod, 1976, traf der Intendant des Freiburger Theaters den alten Philosophen im Zug. Natrlich wollte der Bhnenmann ber Kunst und Literatur sprechen. Doch Heidegger hatte damit nichts im Sinn. Statt dessen schwrmte er von Franz Beckenbauer als genialem Spieler, seiner Unverwundbarkeit in den Zweikmpfen. Heidegger war sein Leben lang umstritten. Aber in diesem Punkt irrte er nicht. Nikolaus von Festenberg

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I. OHLBAUM