Spiel Als Weltsymbol

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    EUGEN FINK GESAMTAUSGABEA

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    Eugen Fink

    Spiel als Weltsymbol

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    Eugen Fink Gesamtausgabe

    Herausgegeben von Stephan Grtzel, Cathrin Nielsen undHans Rainer Seppunter Mitwirkung von Annette Hilt und Franz Anton Schwarz

    Wissenschaftlicher Beirat:Damir Barbaric (Zagreb), Rudolf Bernet (Leuven),Walter Biemel (Aachen), Ronald Bruzina (Lexington),Renato Cristin (Triest/Berlin), Natalie Depraz (Paris),Wolfhart Henckmann (Mnchen), Annette Hilt (Mainz),Guy van Kerckhoven (Brssel), Pavel Kouba (Prag),Alfredo Marini (Mailand), Javier San Martn (Madrid),Kte Meyer-Drawe (Bochum), Yoshihiro Nitta (Tokio),Helmuth Vetter (Wien)

    Abteilung IIOntologie Kosmologie Anthropologie

    Band 7Spiel als Weltsymbol

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    Eugen Fink

    Spiel als Weltsymbol

    Herausgegeben vonCathrin Nielsen und Hans Rainer Sepp

    Verlag Karl Alber Freiburg/Mnchen

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    INTERNATIONALE EUGEN FINK-FORSCHUNGSSTELLE MAINZEUGEN FINK-ARCHIV FREIBURG

    Originalausgabe

    VERLAG KARL ALBERin der Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2010Alle Rechte vorbehaltenwww.verlag-alber.de

    Satz: SatzWeise, FhrenDruck und Bindung: AZ Druck und Datentechnik, Kempten

    Gedruckt auf alterungsbestndigem Papier (surefrei)Printed on acid-free paperPrinted in Germany

    ISBN 978-3-495-46315-4

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    Inhalt

    Oase des Glcks (1957) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

    Spiel als Weltsymbol (1960) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30

    Erstes Kapitel:Das Spiel als philosophisches Problem

    1. Das Spiel als mglicher und als wrdiger Gegenstand derPhilosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30

    2. Die Weltbedeutung des Menschenspiels . . . . . . . . . . . . . . 393. Methodologische berlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 494. Die Stellung des Menschen in der kentaurischen Metaphysik des

    Abendlands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 595. Welt als Spiel? Ansatz beim Spielwelt-Schein . . . . . . . . . . 68

    Zweites Kapitel:Die Spieldeutung der Metaphysik

    6. Der Unwirklichkeitscharakter des Spiels . . . . . . . . . . . . . 797. Das Spiel und die anderen menschlichen Lebensfelder . . . . . . 88

    Platons Mischung von Sein und Nichts. . . . . . . . . . . . . . . 888. Platons Spieldeutung am Leitfaden des Spiegels, seine

    Dichterkritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 989. Die Optik des Entzauberten. Kritik des Platonischen

    Spiegel-Modells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10710. Ontologische Abwertung des Spiels in der beginnenden

    Metaphysik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117Das Symbol-Problem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117

    Drittes Kapitel:Die Spieldeutung des Mythos

    11. Grundzge des mythischen Kultspieles . . . . . . . . . . . . . . 12712. Das kultische Sinnbild und seine verhllte Weltverweisung . . . 136

    Der Umgang mit Dmonen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136

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    13. Kosmischer Rang der Spielsymbolik . . . . . . . . . . . . . . . 146Dmonenglaube der archaischen Zeit . . . . . . . . . . . . . . . 146Der Maskenzauber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155

    14. Sakraltechnik, kosmische Gleichung, Initialzauber . . . . . . . . 155bergang zum Kult-Spiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165

    15. Das Kultspiel als Verstellung des Weltbezugs . . . . . . . . . . . 165Gtterspiel und Spiel der Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175

    16. Spiel und Weihe Kultspiel und Religion . . . . . . . . . . . . . 175Das Spiel der Gtter selbst kein Kultspiel . . . . . . . . . . . . . 184

    17. Die Natur voll von Gttern im Mythos, leer von Gttern inder Sptkultur. Religionskritik am Modell derSelbstentfremdung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184Die Frage nach der Weltlichkeit des Spiels weder sakralnoch profan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184

    Viertes Kapitel:Die Weltlichkeit des Menschenspiels

    18. Vieldeutigkeit des Begriffs weltlich . . . . . . . . . . . . . . . 19519. Die Weltlichkeit des Spiels im Gegenzug gegen die

    metaphysische und mythologische Deutung . . . . . . . . . . . 20420. Spiel als Ekstase des Menschen zur Welt und als Rckschein

    der Welt in das weltoffene Seiende . . . . . . . . . . . . . . . . 214Die Welt als Spiel ohne Spieler . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214

    Spiel und Feier (1975) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225

    Ergnzende Texte

    Das kindliche Spiel (1959) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236

    Spiel und Philosophie (1966) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238

    Die Weltbedeutung des Spiels (1973) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243

    Spiel und Kult (19721973 ?) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259

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    Inhalt

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    Notizen

    Das philosophische-pdagogische Problem des Spiels (1954) . . . . . . 262

    Sport-Seminar (1961) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282

    Spiel und Sport (1962) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285

    Notizen zu Spiel und Philosophie (1966) . . . . . . . . . . . . . . . . 288

    Notizen zu Die Weltbedeutung des Spiels (1973) . . . . . . . . . . . 292

    Anhang

    Textkritischer Apparat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305

    I. Der Aufbau des Bandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305

    II. Beschreibung der Texte und textkritische Anmerkungen . . . 307

    Verzeichnis der von Fink zitierten Texte . . . . . . . . . . . . . . . . 321

    Nachwort der Herausgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323

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    Oase des GlcksGedanken zu einer Ontologie des Spielsh1957i

    | Die Einsicht in die groe Bedeutsamkeit des Spiels im Gefge1 des mensch-lichen Daseins ist in unserem vom Lrm der Maschinen durchtosten Jahr-hundert bei den fhrenden Geistern der Kulturkritik, bei den Pionieren dermodernen Pdagogik, bei den Wissenschaftlern der anthropologischen Dis-ziplinen im Steigen, durchdringt in einem erstaunlichen Ausmae das lite-rarisch reflektierte Selbstbewutsein des heutigen Menschen, dokumentiertsich auch in dem leidenschaftlichen Interesse der Massen an Spiel und Sport.Als ein Lebensimpuls von eigenstndigem Wert und eigenem Rang wird dasSpiel bejaht, gepflegt, als ein Heilmittel gegen Zivilisationsschden neuzeit-licher Technokratie verstanden, als verjngende, lebenserneuernde Kraftgepriesen gleichsam als ein Zurcktauchen in morgenfrische Ursprng-lichkeit und plastisches Schpfertum. Sicher gab es Zeiten in der Geschichtedes Menschen, die mehr als unsere Gegenwart das Signum des Spielstru|gen, die heiterer, gelster, verspielter waren, die mehr noch die Muekannten und mit den himmlischen Musen vertrauten Umgang hatten aberkein Zeitalter hatte mehr objektive Spielmglichkeiten und Spielgelegen-heiten, weil keines noch ber einen so gigantischen Lebensapparat verfgte.Spielpltze und Sportfelder werden stdtebaulich geplant, die Spielsittenaller Lnder und Nationen im internationalen Verkehr zusammengebracht,Spielzeuge in industrieller Massenfertigung hergestellt. Aber es ist eine of-fene Frage, ob unsere Zeit ein tieferdringendes Verstndnis vom Wesen desSpiels erreicht, ob sie ber einen Durchblick durch die mannigfaltigen Spiel-erscheinungen verfgt, ob sie einen zureichenden Einblick hat in den Seins-sinn des Spielphnomens, ob sie philosophisch wei, was Spiel und Spielenist. Damit wird das Problem einer Ontologie des Spiels berhrt.

    Was im folgenden versucht wird, ist eine Besinnung auf den seltsamenund eigentmlichen Seinscharakter des Menschenspiels, eine begrifflicheFormulierung der2 Strukturmomente und eine vorlufige Anzeige des spe-kulativen Spielbegriffs. Das mag manchem vielleicht als eine drre und ab-strakte Sache vorkommen. Man wrde es vorziehen, unmittelbar einen |Hauch zu verspren von der schwebenden Leichtigkeit spielenden Lebens,von seiner produktiven Flle, seinem quellenden Reichtum und unerschpf-lichen Reiz. Der geistreiche Essay, der mit dem Hrer oder Leser gewisser-

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    maen spielt, den zauberischen Hintersinn der Worte und Dinge in ber-raschenden Wortspielen herauslockt, scheint das geme Stilelement freinen Traktat ber das Spiel zu sein. Denn ber das Spiel ernst zu redenund gar mit dem finsteren Ernst der Wortklauber und Begriffsspalter giltam Ende als barer Widerspruch und arge Spielverderbnis. Zwar hat die Phi-losophie, etwa bei Platon3, auch in groen Gedanken den leichten, beflgel-ten Gang gewagt und ber das Spiel so nachgedacht, da dieses Denkenselber zu einem hohen Spiel des Geistes wurde. Aber dazu gehrt das atti-sche Salz.4

    Der Gang unserer einfachen und nchternen Besinnung gliedert sich indrei Schritte, 1. in die vorlufige Charakteristik des Spielphnomens, 2. indie Strukturanalyse des Spiels, 3. in die Frage nach dem Zusammenhang vonSpiel und Sein.

    | I

    Das Spiel ist ein Lebensphnomen, das jedermann von innen kennt. Jederhat schon einmal gespielt und kann aus eigener Erfahrung darber aus-sagen. Es handelt sich also nicht um einen Forschungsgegenstand, der erstentdeckt und freigelegt werden mte. Spiel ist allbekannt. Jeder von unskennt das Spielen und eine Vielzahl von Spielformen, und zwar aus demZeugnis seines eigenen Erlebens; jeder war schon einmal ein Spieler. DieBekanntheit mit dem Spiel ist mehr als eine nur individuelle, es ist einegemeinsam-ffentliche Bekanntheit. Das Spiel ist eine vertraute und gelu-fige Tatsache der sozialen Welt. Man lebt zuweilen im Spiel, man tut, manvollzieht es, man kennt es als eine Mglichkeit unseres eigenen Tuns.5 Dabeiist der einzelne nicht in seine Einzelheit eingekapselt und eingesperrt, imSpielen sind wir des gemeinschaftlichen Kontaktes mit den Mitmenschen ineiner besonderen6 Intensitt gewi. Jedes Spiel, auch das ver|stockte Spieldes einsamsten Kindes, hat einen mitmenschlichen Horizont. Da wir alsoim Spielen leben, es nicht als ein uerliches Vorkommnis vorfinden, weistauf den Menschen als das Subjekt des Spieles. Spielt er allein? Spielt nichtauch das Tier, steigt die Woge des Lebensberschwangs nicht in das Herzjeder lebendigen Kreatur? Die biologische Forschung gibt verblffendeSchilderungen von tierischem Benehmen, das im Erscheinungstyp und inder motorischen Ausdrucksgestalt dem Menschenspiel gleicht. Aber die kri-tische Frage erhebt sich, ob das, was im ueren Bilde gleich aussieht, seins-mig gleich ist. Es wird hier nicht bestritten, da mit gutem Rechte einbiologischer Begriff des Spielbenehmens fixiert werden kann, der Menschund Tier in animalischer Verwandtschaft erscheinen lt. Doch ist damitnoch nicht7 entschieden, welche Seinsweise das hnlich aussehende Be-

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    nehmen jeweils hat. Dieses Problem knnte erst spruchreif werden, wennzuvor die Seinsverfassung des Menschen und die Seinsart des Tieres onto-logisch erhellt und bestimmt sind. Wir sind der Meinung, das menschlicheSpiel habe einen eigenen, genuinen Sinn nur in unerlaubten Metaphernknne man von einem Spiel der Tiere oder auch der antiken Gtter spre-chen. Schlielich kommt es | eben darauf an, wie wir den Terminus Spielgebrauchen, welche Sinnflle wir damit meinen, welchen Umri und welchebegriffliche Durchsichtigkeit wir diesem Begriff zu geben vermgen.

    Wir fragen nach dem Menschenspiel. Und dabei fragen wir zunchst angerade bei der alltglichen Bekanntheit dieses Phnomens. Spielen geschiehtnicht einfach schlechthin in unserem Leben wie die vegetativen Prozesse, esist immer ein sinnhaft aufgehelltes Geschehen, ein erlebter Vollzug. Wirleben im Genu der Spielhandlung (was allerdings kein reflexives Selbst-bewutsein voraussetzt). In vielen Fllen intensiver Hingegebenheit an dasSpiel sind wir von jeder Reflexion weit entfernt und doch hlt sich jedesSpiel in einem verstehenden Selbstumgang des menschlichen Lebens. ZurBekanntheit des Spiels gehrt auch die alltgliche, gngige Auslegung, einezur selbstverstndlichen Herrschaft gekommene, landlufige Interpreta-tion. Ihr zufolge gilt das Spiel als ein Randphnomen des Menschenlebens,als eine periphere Erscheinung, als eine nur gelegentlich aufleuchtende Da-seinsmglichkeit. Offenbar auf anderen Dimensionen liegen die groen Ak-zente unseres irdischen Daseins. Man sieht zwar die Hufig|keit des Spie-lens, das heftige Interesse der Menschen am Spiel, die Intensitt, mit der siees betreiben aber man setzt doch blicherweise das Spiel als Erholung,als Entspannung, als heiteren Miggang der ernsthaften und verant-wortlichen Lebensttigkeit gegenber. Man sagt, das Leben der Menschenerflle sich im harten, ringenden Streben nach Einsicht, im Streben nachTugend und Tchtigkeit, nach Ansehen, Wrde und Ehre, nach Macht undWohlstand und dergleichen. Das Spiel dagegen habe den Charakter der ge-legentlichen Unterbrechung, der Pause, und verhalte sich zum eigentlichen,ernsthaften Lebensvollzug gewissermaen analog wie der Schlaf zum Wa-chen. Der Mensch mu zeitweilig das Joch der Fron abschirren, sich einmalloslassen vom Druck der unentwegten Strebungen, von der Last der Ge-schfte sich entlasten, von der Enge der eingeteilten Zeit sich lsen in einenlssigeren Umgang mit der Zeit, wo sie verschwendbar, ja sogar so ppigwird, da wir sie mit einem Zeitvertreib wieder verscheuchen. In derkonomie unseres Lebenshaushaltes wechseln wir ab mit Spannung undEntspannung, mit Geschft und Zerstreuung, wir praktizieren das be-kannte Rezept von den sauren Wochen und den frohen Festen. DasSpiel | scheint so im Rhythmus menschlicher Lebensfhrung einen legiti-men, wenn auch beschrnkten Platz einzunehmen. Es gilt als Ergnzung,als Komplementrphnomen, als erholsame Pause, als Freizeitgestaltung,

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    als Ferien von der Pflichtenbrde, als Aufheiterung in der strengen unddunklen Landschaft unseres Lebens. blicherweise grenzt man so das Spielab kontrastierend gegen den Lebensernst, gegen die verbindliche sitt-liche Haltung, gegen die Arbeit, gegen den nchternen Wirklichkeitssinnberhaupt. Man fat es mehr oder weniger als Tndelei und vergngtenUnfug auf, als ein unverbindliches Schweifen im luftigen Reich der Phanta-sie und der leeren Mglichkeiten, als ein Ausweichen vor dem Widerstandder Dinge ins Traumhaft-Utopische. Aber um eben nicht gnzlich der danai-denhaften Dmonie der modernen Arbeitswelt zu verfallen, um im ethi-schen Rigorismus nicht das Lachen zu verlernen, um nicht zum Gefangenenbloer Tatschlichkeit zu werden, wird dem heutigen Menschen von denKulturdiagnostikern das Spiel empfohlen gleichsam als therapeutischesMittel fr seine kranke Seele. Aber wie wird bei einem solchen gut-gemeinten Rat die Natur des Spiels verstanden? Gilt es weiterhin als Rand-phnomen 8 | zum Ernst, zur Echtheit, zur Arbeit? Leiden wir sozusagennur an einem berma von Arbeit, an einer titanisch besessenen Arbeits-wut, an einem finsteren, unaufgelichteten Ernst? Bedrfen wir ein wenigdes gttlichen Leichtsinns und der frhlichen Leichtigkeit des Spiels, umwieder den Vgeln des Himmels und den Lilien auf dem Felde nahe-zukommen? Soll das Spiel nur eine seelische Verkrampfung auflockern, inder sich der heutige Mensch mit seinem unbersehbaren Lebensapparat ver-fangen hat? Solange man bei solchen Gedankengngen immer noch naivoperiert mit den populren Antithesen von Arbeit und Spiel, von Spielund Lebensernst und so fort, ist das Spiel in seinem Seinsgehalt und seinerSeinstiefe nicht verstanden. Es bleibt im Kontrastschatten der angeblichenGegenphnomene, wird dadurch verdunkelt und entstellt. Es gilt als das Un-Ernste, das Un-Verbindliche und Un-Eigentliche, als Mutwillen und Mig-gang. Gerade in der Art, wie man positiv die Heilwirkung des Spiels emp-fiehlt, kommt zum Ausdruck, da man es immer noch als Randerscheinungbetrachtet, als ein peripheres Gegengewicht, gleichsam als eine wrzendeZutat zu dem schweren Gerichte unseres Seins.

    Ob aber in einer solchen Blickbahn auch nur | der Phnomencharakterdes Spiels angemessen erfat wird, ist mehr als fraglich. Dem Anschein nachzeigt allerdings das Leben der Erwachsenen nicht mehr allzuviel von derbeschwingten Anmut spielerischen Daseins; ihre Spiele sind zu oft routi-nierte Techniken des Zeitvertreibs und verraten ihre Herkunft aus der Lan-geweile. Selten vermgen die Erwachsenen noch unbefangen zu spielen.Beim Kinde aber scheint das Spiel noch heile Daseinsmitte zu sein. Spiel giltals Element des kindhaften Lebens. Bald aber fhrt der Lebensgang aus sol-cher Mitte heraus, die heile Kindheitswelt zerbricht, und die rauherenWinde des ungeschtzten Lebens nehmen berhand: Pflicht, Sorge, Arbeitbinden die Lebensenergie des jungen, heranwachsenden Menschen. Je mehr

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    der Ernst des Lebens offenbar wird, desto mehr schwindet auch offensicht-lich das Spiel nach Umfang und Bedeutung. Als kindgeme Erziehungwird gepriesen, wenn diese Metamorphose vom spielenden zum arbeiten-den Menschen ohne harte und schroffe Brche bewirkt, wenn die Arbeitdem Kinde fast als Spiel nahegebracht wird als eine Art methodischenund disziplinierten Spiels, wenn man langsam erst die schweren und drk-kenden Gewichte zum Vorschein kommen lt. Dadurch will | man mg-lichst viel erhalten von der Spontaneitt, von der Phantasie und Initiativedes Spielens; man will vom kindlichen Spielen her einen kontinuierlichenbergang schaffen zu einer Art schpferischer Arbeitsfreude. Als Hinter-grund dieses bekannten pdagogischen Experiments finden wir die gngigeMeinung, das Spiel gehre vor allem im Kindesalter zur psychischen Ver-fassung des Menschen und trete dann im Gang der Entwicklung immermehr zurck. Sicher zeigt das kindliche Spiel bestimmte Wesenszge desMenschenspieles offener aber es ist auch zugleich harmloser, weniger hin-tergrndig und versteckt als das Spiel der Erwachsenen. Das Kind wei nochwenig um die Verfhrung der Maske. Es spielt noch unschuldig. Wievielverborgenes, verstelltes und heimliches Spiel ist auch noch in den sogenann-ten ernsten Geschften der Erwachsenenwelt, in ihren Ehren, Wrden, inden gesellschaftlichen Konventionen wieviel Szene in der Begegnungder Geschlechter! Am Ende ist es gar nicht wahr, da vorwiegend nur dasKind spielt. Vielleicht spielt ebensosehr auch der Erwachsene, nur anders,nur heimlicher, maskierter. Wenn wir das Leitbild unseres Spielbegriffsdem kindlichen Dasein allein entnehmen, hat das zur Folge, da die | un-heimlich-hintergrndige, zweideutige Natur des Spiels verkannt wird. InWahrheit reicht seine Spannweite vom Puppenspiel des kleinen Mdchensbis zur Tragdie. Das Spiel ist keine Randerscheinung in der Lebensland-schaft des Menschen, kein gelegentlich nur auftauchendes, kontingentesPhnomen Das Spiel gehrt wesenhaft zur Seinsverfassung des mensch-lichen Daseins, es ist ein existentielles Grundphnomen. Gewi nicht daseinzige, aber doch ein eigenes und eigenstndiges, das von anderen Lebens-erscheinungen nicht abgeleitet werden kann. Die bloe Kontrastierung zuanderen Phnomenen ergibt noch keine zureichende begriffliche Durch-sicht. Doch kann anderseits nicht geleugnet werden, da die entscheidendenGrundphnomene der menschlichen Existenz miteinander verflochten undverklammert sind. Sie kommen nicht isoliert nebeneinander vor, sie durch-dringen und durchmachten sich. Jedes solche Grundphnomen durchstimmtden Menschen ganz. Die Verflechtung der elementaren Existenzmomente,ihre Spannung, ihren Widerstreit und ihre gegenwendige Harmonie zu er-hellen, bleibt die noch offene Aufgabe einer Anthropologie, welche nichtbiologische, seelische und geistige Tatsachen blo abschildert, die vielmehrver|stehend in die Paradoxien unseres gelebten Lebens eindringt.

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    Der Mensch ist in der Gnze seines Daseins, und eben nicht blo ineinem Bezirk, bestimmt und gezeichnet durch den hereinstehenden undbevorstehenden Tod, dem er entgegengeht, wohin immer er auch geht. Alsleib-sinnliches Wesen ist er ebenso im Ganzen bestimmt durch den Bezugzum Widerstand und zum schenkenden Segen der Erde. Und gleiches giltfr die Dimensionen der Macht und der Liebe im Mitsein mit Mitmenschen.Der Mensch ist wesenhaft Sterblicher, wesenhaft Arbeiter, wesenhaftKmpfer, wesenhaft Liebender und wesenhaft Spieler. Tod, Arbeit, Herr-schaft, Liebe und Spiel bilden das elementare Spannungsgefge und denGrundri der rtselhaften und vieldeutigen menschlichen Existenz. Undwenn Schiller sagt: der Mensch ist nur da ganz, wo er spielt ,9 so giltauch, da er nur da ganz ist, wo er arbeitet, kmpft, wo er sich dem Todentgegenhlt, wo er liebt. Es ist hier nicht Ort und Gelegenheit, den grund-stzlichen Stil einer auf die Grundphnomene zurckfragenden Daseins-interpretation darzulegen. Als Andeutung aber kann bemerkt werden, daalle wesenhaften Grundphnomene der menschlichen Existenz schil|lernund in zweideutiger Weise nigmatisch scheinen. Das hat seinen tieferenGrund darin, da der Mensch zugleich ausgesetzt und geborgen ist. Er istnicht mehr wie das Tier gehalten im Naturgrund und noch nicht frei wie derkrperlose Engel er ist eine in die Natur eingesenkte Freiheit, er bleibtgebunden an einen dunklen Drang, der ihn einnimmt und durchmachtet.Er ist nicht einfach und einfltig, er bezieht sich verstehend auf sein eigenesDasein aber er kann anderseits sich nicht vllig bestimmen durch die Ak-tionen seiner Freiheit. Menschliches Existieren ist durch diese Verschrn-kung von Aussetzung und Bergung immer ein gespanntes Sich-zu-sich-selbst-Verhalten. Wir leben in unaufhrlicher Selbstbekmmerung. Nurein Lebewesen, dem es in seinem Sein um sein Sein geht (Heidegger),10

    kann sterben, arbeiten, kmpfen, lieben und spielen. Nur ein solches Wesenverhlt sich zum umgebenden Seienden als solchem und zum allumfangen-den Ganzen: zur Welt. Das dreifaltige11 Moment des Selbstverhltnisses,des Seinsverstehens und der Weltoffenheit ist vielleicht am Spiel wenigerleicht zu erkennen als bei den brigen Grundphnomenen des menschlichenDaseins.

    Der Vollzugscharakter des Spiels ist spon|tane Handlung, aktives Tun,lebendiger Impuls; Spiel ist gleichsam in sich bewegtes Dasein. Aber dieSpielbewegtheit fllt mit aller anderen Lebensbewegtheit des Menschennicht zusammen. Das sonstige Tun hat in allem, was jeweils getan wird, obes einfache Praxis, die ihr Ziel in sich selber hat, oder ob es Herstellung(Poiesis) ist, die ihr Ziel in einem Werkgebilde hat, grundstzlich eine Vor-weisung auf das Endziel des Menschen, auf die Glckseligkeit, auf dieEudaimonia. Wir handeln, um im rechten Lebensgang dem glckenden Da-sein zuzustreben. Wir nehmen das Leben als eine Aufgabe. Wir haben

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    sozusagen in keinem Moment einen ruhigen Aufenthalt. Wir wissen unsunterwegs. Immer werden wir aus jeder Gegenwart weg- und vorwrts-gerissen von der Gewalt unseres Lebensentwurfes auf das rechte und glk-kende Dasein hin. Alle streben wir nach Eudaimonie aber wir sind unskeineswegs einig in dem, was sie sei. Wir haben nicht nur die Unruhe derfortreienden Strebung, auch die Unruhe der Interpretation des wahrenGlcks. Es gehrt zu den tiefsinnigen Paradoxien menschlicher Existenz,da wir in der unablssigen Jagd nach der Eudaimonie sie nicht erreichenund im vollen Sinne niemand vor dem Tode glcklich zu prei|sen ist. Solan-ge wir atmen, sind wir in einem sturzartigen Lebensgeflle befangen, sindwir hingerissen von dem Drang nach Vollendung und Erfllung unseresfragmentarischen Seins, leben wir im Vorblick auf die Zukunft, empfindenwir die Gegenwart als Vorbereitung, als Station, als Durchgangsphase. Die-ser merkwrdige Futurismus des Menschenlebens hngt aufs engste zu-sammen mit dem fundamentalen Grundzug, da wir nicht nur einfachhinund schlicht sind wie Pflanze und Tier, da wir vielmehr uns um einenSinn unseres Daseins bemhen, da wir verstehen wollen, wozu wir aufErden sind. Es ist eine unheimliche Leidenschaft, welche den Menschen zurInterpretation seines irdischen Lebens antreibt, die Leidenschaft des Geistes.In ihr haben wir die Quelle unserer Gre und unseres Elends. KeinemLebewesen ist das Bestehen dadurch verstrt, da es nach dem dunklen Sinnseines Hierseins frgt. Das Tier kann nicht, und der Gott braucht nicht nachsich selbst zu fragen. Jede menschliche Antwort auf die Frage nach demLebenssinn bedeutet die Setzung eines Endzweckes. Bei den meistenMenschen geschieht dies zwar nicht ausdrcklich; aber immer regiert allihr Tun und Lassen eine Grundvorstellung von dem, was ihnen das hchste| Gut ist. Alle alltglichen Zwecke sind architektonisch verspannt in derZielung auf den Endzweck alle Sonderzwecke der Berufe einigen sich imgeglaubten letzten Zweck des Menschen berhaupt.

    In diesem Gefge der Zwecke bewegt sich die ganze menschliche Ar-beit, bewegt sich der Lebensernst, bewegt und bewhrt sich die Echtheit. Diefatale Situation des Menschen aber zeigt sich daran, da er von sich aus desEndzwecks nicht absolut gewi werden kann, da er in der wichtigsten Frageseiner Existenz, wenn ihm keine bermenschliche Macht hilft, im Dunkelntaumelt. Deswegen finden wir unter den Menschen eine heillose12 Sprach-verwirrung, sobald es darum geht, zu sagen, was der Endzweck, was dieBestimmung, was das wahre Glck des menschlichen Wesens sei. Deswegenfinden wir auch die Unruhe, die Hast, die qulende Ungewiheit als kenn-zeichnende Zge des projektiven menschlichen Lebensstils.

    In diesen Stil fgt sich nun das Spiel nicht ein wie sonst jede andereHandlung. Auffllig hebt es sich von dem ganzen13 futuristischen Lebens-zug ab. Es lt sich auch nicht ohne weiteres eingliedern in die komplexe

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    Architektur der Zwecke, es geschieht nicht um des Endzweckes willen,wird nicht beunruhigt und | gestrt wie unser Handeln sonst durch die tiefeUnsicherheit in unserer Auslegung des Glckes. Das Spielen hat im Verhlt-nis zum Lebensgang und zu seiner unruhigen Dynamik, dunklen Frag-wrdigkeit und forthetzenden Zukunftsweisung den Charakter beruhigterGegenwart und selbstgengsamen Sinnes es gleicht einer Oase ange-kommenen Glckes in der Wstenei unseres sonstigen Glckstrebens undtantalischen Suchens. Das Spiel entfhrt uns. Spielend sind wir fr eineWeile entlassen aus dem Lebensgetriebe wie versetzt auf einen anderenStern, wo das Leben leichter, schwebender, glckender scheint. Man sagt oft,Spielen sei ein zweckloses, zweckfreies Tun und Handeln. Das trifftnicht zu. Es ist als Gesamthandlung zweckhaft bestimmt und hat auch inden einzelnen Schritten des Spielverlaufs jeweils Sonderzwecke, die sichzusammenfgen. Aber der immanente Spielzweck ist nicht, wie die Zweckeder brigen menschlichen Handlungen, auf den hchsten Endzweck hin ent-worfen. Die Spielhandlung hat nur interne, keine sie berschreitendenZwecke. Und wo wir etwa spielen zum Zwecke der Leibesertchtigung,der kriegerischen Ausbildung oder um der Gesundheit willen, ist das Spielbereits verflscht, zu einer | bung fr etwas anderes geworden. In solchenPraktiken wird das Spiel von fremden Zielstellungen gefhrt, geschiehtdann nicht klar um seiner selbst willen. Gerade das reine Selbstgengen,der runde, in sich geschlossene Sinn der Spielhandlung lt im Spiel eineMglichkeit des menschlichen Aufenthalts in der Zeit aufscheinen, wo sienicht das Reiende und Forttreibende hat, vielmehr Verweilen gewhrt,gleichsam ein Lichtblick der Ewigkeit ist. Weil das Kind vorwiegend spielt,ist ihm am meisten noch dieser Zeitbezug eigentmlich, den der Dichteransagt: O Stunden der Kindheit, / da hinter den Figuren mehr als nur /Vergangnes war und vor uns nicht die Zukunft. / Wir wuchsen freilich undwir drngten manchmal, / bald gro zu werden, denen halb zulieb, / dieandres nicht mehr hatten, als das Grosein. / Und waren doch, in unseremAlleingehn, / mit Dauerndem vergngt und standen da / im Zwischenrau-me zwischen Welt und Spielzeug / an einer Stelle, die seit Anbeginn / ge-grndet war fr einen reinen Vorgang. (Rilke, 4. Duineser Elegie).14

    Fr den Erwachsenen aber ist das Spiel seltsame Oase, vertrumterRuhepunkt auf ruheloser Wanderung und stndiger Flucht. Das Spielschenkt Gegenwart. Nicht jene Gegen|wart zwar, wo wir, in der Tiefe unse-res Wesens still geworden, den ewigen Atem der Welt vernehmen, die rei-nen Bilder schauen im Strome der Vergnglichkeit. Spiel ist Aktivitt undSchpfertum und doch steht es in einer Nhe zu den ewigen und stillenDingen. Das Spiel unterbricht die Kontinuitt, den endzweckbestimmtenZusammenhang unseres Lebensganges; es tritt aus der sonstigen Weise derLebensfhrung eigentmlich heraus, es ist in Distanz. Aber indem es sich

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    dem einheitlichen Lebensflu zu entziehen scheint, bezieht es sich geradesinnhaft auf ihn: nmlich in der Weise der Darstellung. Wenn man dasSpiel, wie es blich ist, nur abgrenzt gegen Arbeit, Wirklichkeit, Ernst undEchtheit, wird es flschlich nur neben andere Lebensphnomene gestellt.Spiel ist ein Grundphnomen des Daseins, ebenso ursprnglich und eigen-stndig wie der Tod, wie die Liebe, wie Arbeit und Herrschaft, aber es istnicht mit den anderen Grundphnomenen verfugt durch eine gemeinsameStrebung auf den Endzweck. Es steht ihnen gleichsam gegenber um siedarstellend in sich aufzunehmen. Wir spielen den Ernst, spielen die Echt-heit, spielen Wirklichkeit, wir spielen Arbeit und Kampf, spielen Liebe undTod. Und wir spielen sogar noch das Spiel.

    | II

    Das Spiel des Menschen, das wir alle von innen her als eine oft schon ver-wirklichte Mglichkeit unseres Daseins kennen, ist ein Existenzphnomenvon ganz rtselhafter Art. Vor der Zudringlichkeit des rationalen Begriffsentflieht es selber in die Vieldeutigkeit seiner Masken. Unser Versuch einerbegrifflichen Strukturanalyse des Spiels mu mit solchen Verlarvungenrechnen. Es wird sich uns wohl kaum als ein glasklares Strukturgefge dar-bieten. Jedes Spiel ist lustvoll gestimmt, in sich freudig bewegt be-schwingt. Wenn diese befeuernde Spielfreude erlischt, versiegt alsbald dieSpielhandlung. Diese Spiellust ist eine seltsame, schwer begreifliche Lust,weder nur sinnlich noch nur intellektuell; sie ist eine schpferische Gestal-tungswonne eigener Art und in sich vieldeutig, vieldimensional. Sie kanndie tiefe Trauer und das abgrndige Leid in sich aufnehmen, sie kann dasEntsetzliche noch lustvoll umklammern.15

    | Die Lust, welche die Spielhandlung der Tragdie durchwaltet, schpftihre Entzckung und ihre schaudernd-beseligende Erschtterung des Men-schenherzens aus solchem Umgriff des Furchtbaren.16 Im Spiel wird auchdas Antlitz der17 Gorgo verklrt. Was ist das fr eine verwunderliche Lust,die in sich so weitrumig ist und die Gegenstze so mischt, Grauen und dasbittere Herzeleid umspannen kann18 und dabei doch der Freude ein berge-wicht gibt, so da wir unter Trnen ergriffen lcheln ber die spielhaft ver-gegenwrtigte Komdie und Tragdie unseres Daseins? Enthlt die SpiellustTrauer und Schmerz nur so, wie eine jetzige Erinnerung, froh gestimmt,sich auf vergangenes Leid bezieht? Ist es nur die Ferne der Zeit, welche dieabgelebten Bitternisse, die einstmals wirklichen Schmerzen leichter macht?Keineswegs. Im Spiel erleiden wir ja berhaupt keine wirklichen Schmer-zen und doch durchschwingt die Spiellust auf eine seltsame Weise einLeid, das gegenwrtig und doch nicht wirklich ist19 uns aber ergreift, packt,

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    rhrt, erschttert. Die Trauer ist nur gespielt und ist doch im Modus desSpielerischen eine Macht, die uns bewegt.20

    Diese Spiellust21 ist Entzckung ber eine Sphre, Entzckung bereine imaginre22 | Dimension, ist nicht blo Lust im Spiel, sondern Lust amSpiel.

    Als weiteres Moment der Spielstruktur ist herauszuheben der Spiel-sinn. Zu jedem Spiel als solchem gehrt das Element des Sinnhaften. Eineblo leibliche Bewegung, etwa gliederlsender Art, die wir rhythmisch wie-derholen, ist strenggenommen kein Spiel. In unklarer Ausdrucksweisenennt man allzu oft solches entspannendes Benehmen von Tieren oderKleinkindern bereits ein Spielen. Dergleichen Bewegungen haben keinenSinn fr den Bewegenden. Von Spiel knnen wir erst dort reden, wo eineigens produzierter Sinn den leiblichen Bewegungen zukommt. Und dabeimssen wir noch unterscheiden den internen Spielsinn eines bestimmtenSpieles, das heit den Sinnzusammenhang der gespielten Dinge, Taten undVerhltnisse und den externen Sinn, das heit die Bedeutung, welche dasSpiel fr diejenigen hat, die sich erst zu ihm entschlieen, die es vorhaben oder auch den Sinn, den es eventuell fr Zuschauer hat, die sich daran nichtbeteiligen. Natrlich gibt es viele Spiele, bei denen die Zuschauer selber alssolche mit in die gesamte Spielsituation hineingehren (etwa bei den zirzen-sischen oder kul|tischen23 Spielen) und anderseits gibt es Spiele, denenZuschauer auerwesentlich sind.

    Hier kann schon ein drittes Moment der Spielverfassung genannt wer-den: die Spielgemeinde. Spielen ist eine Grundmglichkeit sozialer Existenz.Spielen ist Zusammenspiel, ist Miteinanderspielen, eine innige Form dermenschlichen Gemeinschaft. Das Spielen ist strukturell keine individuelle,isolierte Handlung es ist offen fr Mitmenschen als Mitspieler. Es bedeu-tet keinen Einwand, wenn man darauf hinweist, da vielfach doch Spielendeganz allein, abseits von anderen Mitmenschen, ihre eigenen Spiele trei-ben. Denn erstens ist die Offenheit fr mgliche Mitspieler im Sinn desSpiels schon eingeschlossen, und zweitens spielt ein solcher Einsamer oftmit imaginren Partnern. Die Spielgemeinschaft braucht nicht aus einerAnzahl realer Personen zu bestehen. Aber zum mindesten mu es einenreal-wirklichen Spieler geben, wenn es sich um ein wirkliches, nicht nurgedachtes Spiel handeln soll. Weiterhin ist wesentlich das Moment derSpielregel. Das Spielen ist durch eine Bindung gehalten und verfat,24 esist eingeschrnkt in der willkrlichen Abwandlung beliebiger Handlungen,es ist nicht schrankenlos frei. Wenn keine Bindung angesetzt und angenom-men wird, | kann man berhaupt nicht spielen. Doch ist die Spielregel keinGesetz. Die Bindung hat nicht den Charakter des Unabnderlichen. Sogarmitten im Gang der Spielhandlung knnen wir die Regel ndern mit demEinverstndnis der Mitspieler; aber dann gilt eben die genderte Regel und

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    bindet den Flu der wechselseitigen Handlungen. Wir kennen alle den Un-terschied zwischen traditionalen Spielen, deren Satzungen man bernimmt,die ffentlich-bekannte und vertraute Mglichkeiten spielenden Verhaltenssind, und den improvisierten Spielen, die man sozusagen erfindet woman in der Spielgemeinde sich auf die Regel erst einigt. Man mchte viel-leicht meinen, die improvisierten Spiele htten einen greren Reiz, weilhier der freien Phantasie mehr Raum gegeben ist, weil man ausschweifenknne in das luftige Reich der bloen Mglichkeiten, weil hier die Selbst-bindung gewhlt wird, weil hier die Invention, der ungehemmte Einfalls-reichtum, sich bettigen knne. Das ist aber nicht unbedingt der Fall. Viel-fach wird gerade die Gebundenheit an eine schon geltende Spielregellustvoll und positiv erlebt. Das ist verwunderlich, erklrt sich aber daraus,da es sich in den berlieferten Spielen zumeist um Produkte der kollekti-ven Phantasie, | um Selbstbindungen archetypischer Seelengrnde handelt.Manche einfltig scheinenden Kinderspiele sind Rudimente ltester Zauber-praktiken.

    Zu jedem Spiel gehrt auch das Spielzeug. Spielzeuge kennt jeder vonuns. Aber es bleibt schwierig zu sagen, was ein Spielzeug ist. Es kommt nichtdarauf an, irgendwelche Typen von Spielzeugen aufzuzhlen, sondern dar-auf, die Natur des Spielzeuges zu bestimmen oder doch als ein echtes Pro-blem zu erfahren. Die Spielzeuge umgrenzen nicht einen in sich abgeschlos-senen Bezirk von Dingen wie etwa die knstlich verfertigten Dinge. In derNatur (in dem weiten Sinne des von sich selbst her Seienden) kommen keineKunstdinge vor unabhngig vom herstellenden Menschen. Der Menschverfertigt in seiner Arbeit erst die knstlichen Dinge, er ist der Technit einerhumanen Umwelt, er bebaut den Acker, zhmt Wildtiere, gestaltet Natur-stoff zu Werkzeugen, formt die Tonerde zum Krug, hmmert das Eisen zurWaffe. Ein Werkzeug ist ein Kunstding, in der menschlichen Arbeit zu sei-ner Form gebracht. Kunstdinge und Naturdinge lassen sich unterscheiden,aber alle beide sind Dinge in einer gemeinsamen und umfangenden Gesamt-wirklichkeit.

    | Das Spielzeug aber kann ein knstlich hergestelltes Ding sein, mu esaber nicht. Auch ein einfaches Stck Holz, ein abgebrochener Ast, kann alsPuppe fungieren. Der Hammer, der ein einem Holz- und Eisenstck auf-geprgter Menschensinn ist, gehrt wie das Holz, das Eisen und der Menschselber in eine und dieselbe Dimension des Wirklichen. Anders das Spiel-zeug. Sozusagen von auen gesehen, das heit mit den Augen eines Nicht-spielenden betrachtet, ist es selbstverstndlich ein Teilstck, ein Ding derschlicht wirklichen Welt. Es ist ein Ding, das zum Beispiel den Zweck hat,Kinder zu beschftigen; die Puppe gilt als Erzeugnis der Spielwarenindu-strie, ist ein Balg aus Stoff und Draht oder Kunstmasse und ist zu einembestimmten Preise kuflich zu erwerben, ist eine Ware. Mit den Augen des

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    spielenden Mdchens aber gesehen, ist die Puppe ein Kind, und das Md-chen ist seine Mutter. Dabei ist es keineswegs so, da das kleine Mdchenwirklich meinen wrde, die Puppe sei ein lebendiges Kind, es tuscht sichnicht darber, es verwechselt nicht eine Sache auf Grund eines trgerischenAussehens. Es wei vielmehr gleichzeitig um die Puppenfigur und um derenBedeutung im Spiel. Das spielende Kind lebt in zwei Dimensionen. DasSpielzeug|hafte am Spielzeug, sein Wesen, liegt in seinem magischen Cha-rakter: es ist ein Ding in der schlichten Wirklichkeit und hat zugleich eineandere, geheimnisvolle Realitt. Es ist also unendlich mehr als nur einInstrument der Beschftigung, mehr als ein zuflliges fremdes Ding, mitdem wir manipulieren. Das Menschenspiel braucht Spielzeuge. Der Menschkann gerade in seinen wesenhaften Grundhandlungen nicht frei von denDingen bleiben, er ist auf sie angewiesen: in der Arbeit auf den Hammer,in der Herrschaft auf das Schwert, in der Liebe auf das Lager, in der Dich-tung auf die Leier, in der Religion auf den Opferstein und im Spiel auf dasSpielzeug.

    Jedes Spielzeug ist Stellvertretung aller Dinge berhaupt; das Spielenist immer eine Auseinandersetzung mit dem Seienden. Im Spielzeug kon-zentriert sich das Ganze in einem einzelnen Ding. Jedes Spiel ist ein Lebens-versuch, ein vitales Experiment, das am Spielzeug den Inbegriff des wider-stndigen Seienden berhaupt erfhrt. Aber nicht nur geschieht dasmenschliche Spielen als der eben angezeigte magische Umgang mit demSpielzeug. Es gilt, den Begriff des Spielenden schrfer und strenger zu fas-sen. Denn hier liegt eine ganz eigentmliche, wenn auch keineswegs krank-hafte | Schizophrenie vor, eine Spaltung des Menschen. Der Spielende, dersich auf ein Spiel einlt, vollfhrt in der wirklichen Welt eine bestimmte,in ihrer Typik bekannte Handlung. Im internen Sinnzusammenhang desSpieles aber bernimmt er eine Rolle. Und nun ist eben zu unterscheidenzwischen dem reellen Menschen, der spielt, und dem Rollen-Menscheninnerhalb des Spieles. Der Spieler verdeckt sich selbst durch seine Rolle,er geht gewissermaen in ihr unter. Mit einer Intensitt eigener Art lebt erin der Rolle und doch wieder nicht so wie der Wahnkranke, der nicht mehrzwischen Wirklichkeit und Schein zu unterscheiden vermag. Der Spie-ler kann sich aus der Rolle zurckrufen; im Spielvollzug bleibt ein wenn-gleich manchmal stark reduziertes Wissen um seine Doppelexistenz. Es istin zwei Sphren aber nicht wie aus Vergelichkeit oder aus Mangel anKonzentration; zum Wesen des Spielens gehrt diese Doppelung. Alle bis-her berhrten Strukturmomente schlieen sich zusammen in dem fun-damentalen Begriff der Spielwelt. Jedes Spielen ist magische Produktioneiner Spielwelt. In ihr liegen die Rolle des Spielenden, die Wechselrollender Spielgemeinschaft, die Verbindlichkeit der Spielregel, die Bedeutungdes | Spielzeugs. Die Spielwelt ist eine imaginre Dimension, deren Seins-

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    sinn ein dunkles und schweres Problem darstellt. In der sogenannten wirk-lichen Welt spielen wir, aber wir erspielen dabei einen Bereich, ein rtselhaf-tes Feld, das nicht nichts und doch nichts Wirkliches ist. In der Spielweltbewegen wir uns selber gem unserer Rolle; aber in der Spielwelt gibt esdie imaginren Figuren, gibt es das Kind, welches zwar dort leibt und lebt aber in der simplen Wirklichkeit nur eine Puppe oder gar ein Holzstck ist.Im Entwurf einer Spielwelt verdeckt sich der Spielende selbst als den Schp-fer dieser Welt, er verliert sich in seinem Gebilde, spielt eine Rolle und hatinnerhalb der Spielwelt spielweltliche Umgebungsdinge und spielweltlicheMitmenschen. Das Beirrende dabei ist, da wir diese Spielweltdinge selberals wirkliche Dinge imaginativ auffassen, ja da sogar der Unterschiedvon Wirklichkeit und Schein sich darin mehrfach wiederholen kann.

    Doch ist es dabei nicht so, da uns die eigentlich und wahrhaft wirk-lichen Dinge unserer alltglichen Umwelt durch die spielweltlichen Charak-tere so verdeckt wrden, da sie zugedeckt, also nicht mehr erkennbar w-ren. Das ist nicht der Fall. Die Spielwelt legt sich nicht | wie eine Wand oderein Vorhang vor das uns umgebende Seiende, verdunkelt und verschleiert esnicht; die Spielwelt hat, strenggenommen, gar keinen Ort und keine Weileim Wirklichkeitszusammenhang von Raum und Zeit aber sie hat ihreneigenen inneren Raum und ihre eigene innere Zeit. Und doch verbrauchenwir spielend wirkliche Zeit und bentigen wirklichen Raum. Aber nie gehtder Spielweltraum kontinuierlich in den Raum ber, den wir sonst bewoh-nen. Aber analog ist es mit der Zeit. Das merkwrdige Ineinander der Di-mension der Wirklichkeit und der Spielwelt lt sich an keinem sonst be-kannten Modell rumlicher und zeitlicher Nachbarschaft verdeutlichen. DieSpielwelt schwebt nicht in einem bloen Gedankenreich, sie hat immereinen reellen Schauplatz, aber ist doch nie ein reelles Ding unter den reellenDingen. Doch braucht sie notwendig reelle Dinge, um daran einen Anhalt zuhaben. Das besagt, da der imaginre Charakter der Spielwelt nicht auf-geklrt werden kann als ein Phnomen eines blo subjektiven Scheins, nichtbestimmt werden kann als ein Wahn, der nur in der Innerlichkeit einer Seelebesteht, aber unter und zwischen den Dingen berhaupt in keiner Weisevorkommt. Je mehr man sich auf das Spiel zu besinnen | versucht, destortselhafter und fragwrdiger scheint es zu werden.

    Wir haben einige Grundzge fixiert und einige Unterscheidungen ge-wonnen. Das menschliche Spiel ist lustvoll gestimmte Produktion einerimaginren Spielwelt, ist eine wundersame Freude am Schein. Das Spielist immer auch durch das Moment der Darstellung charakterisiert, durch dasMoment der Sinnhaftigkeit; und es ist jeweils verwandelnd: es bewirkt desLebens Leichtwerden, bewirkt eine zeitweilige, nur irdische Lsung, jafast Erlsung von den Gewichten der Daseinslast. Es entfhrt uns aus einerfaktischen Lage, aus der Gefangenschaft in einer bedrngenden und be-

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    drckenden Situation, gewhrt ein Phantasieglck im Durchflug durchMglichkeiten, die ohne die Qual wirklicher Wahl bleiben. Im Spielvollzuggelangt der Mensch an zwei Extreme, zu sein. Einmal kann das Spiel erlebtwerden als ein Gipfel humaner Souvernitt; der Mensch geniet dann einfast unbeschrnktes Schpfertum, er bildet produktiv und ungehemmt, weiler nicht im Raume der reellen Wirklichkeit produziert. Der Spieler fhltsich als der Herr seiner imaginren25 Produkte Spielen wird zu einerausgezeichneten, weil wenig eingeschrnkten Mglichkeit der menschlichen| Freiheit. Und in der Tat waltet in einem hohen Mae im Spiel das Elementder Freiheit. Aber es bleibt eine schwere Frage, ob die Natur des Spielsgrundstzlich und ausschlielich von der Existenzmacht der Freiheit herbegriffen werden mu oder ob auch ganz andere Daseinsgrnde im Spielsich offenbaren und auswirken. Und in der Tat finden wir auch das gegen-teilige Extrem zur Freiheit im Spiel, nmlich zuweilen eine Enthebung ausder reellen Weltwirklichkeit, die bis zur Entrckung, bis zur Verzauberunggehen kann, bis zum Verfallen an die Dmonie der Maske. Das Spiel kanndas helle apollinische Moment der freien Selbstheit, aber auch das dunkledionysische Moment panischer Selbstaufgabe in sich bergen.

    Das Verhltnis des Menschen zu dem rtselhaften Schein der Spielwelt,zur Dimension des Imaginren, ist zweideutig. Das Spiel ist ein Phnomen,fr welches nicht leicht die angemessenen Kategorien eindeutig bereitlie-gen. Seine schillernde, innere Vieldeutigkeit lt sich vielleicht am ehestenmit den Denkmitteln einer die Paradoxe nicht nivellierenden Dialektik an-gehen. Die eminente Wesentlichkeit des Spiels, die der gemeine Verstandnicht anerkennt, weil Spiel ihm nur Unernst, Unechtheit, Unwirklichkeitund Miggang be|deutet, hat die groe Philosophie immer erkannt. So sagtzum Beispiel Hegel, da das Spiel in seiner Indifferenz und seinem grtenLeichtsinne der erhabenste und einzig wahre Ernst sei. Und Nietzsche for-muliert im Ecce homo: Ich kenne keine andere Art, mit groen Aufgabenzu verkehren, als das Spiel.26

    Kann das Spiel erhellt werden, mssen wir jetzt fragen, wenn es einzigund allein nur genommen wird als ein anthropologisches Phnomen? Ms-sen wir nicht ber den Menschen hinausdenken? Damit ist nicht gemeint,ein Spielverhalten auch bei anderen Lebewesen aufzusuchen. Aber es istproblematisch, ob das Spiel in seiner Seinsverfassung verstanden werdenkann, ohne da die merkwrdige Dimension des Imaginren nher be-stimmt wird. Gesetzt den Fall, das Spiel sei etwas, was nur der Mensch alleinvermag, so bleibt weiterhin die Frage, ob der Mensch als Spieler im Men-schenland verbleibt oder ob er sich dabei notwendig auch zu einem ber-menschlichen verhlt.

    Ursprnglich ist das Spiel eine darstellende Symbol-Handlung der sichdarin selbstdeutenden menschlichen Existenz. Die anfnglichsten Spiele

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    sind die magischen Riten, die groen Gebrden kultischer Prgung, inwel|chen der archaische Mensch sein Innestehen im Weltzusammenhangdeutet, wo er sein Schicksal darstellt, die Ereignisse von Geburt und Tod,von Hochzeit, Krieg, Jagd und Arbeit sich vergegenwrtigt. Die symbolischeReprsentanz der magischen Spiele schpft Elemente aus dem Umkreis derschlichten Wirklichkeit, aber schpft auch aus dem Nebelreich des Imagin-ren. In den Urzeiten ist das Spiel nicht so sehr verstanden als lusttieferLebensvollzug abgesonderter einzelner oder Gruppen, die aus dem Sozial-zusammenhang zeitweise sich loslsen und ihr kleines Eiland ephemerenGlcks bewohnen. Das Spiel ist uranfnglich die strkste bindende Macht,ist gemeinschaftsstiftend anders zwar als die Gemeinschaft zwischen denAbgeschiedenen und Lebenden, anders als die Herrschaftsordnung und auchanders als die elementarische Familie. Die frhmenschliche Spielgemein-schaft umgreift alle diese genannten Formen und Gestalten des Miteinander-seins und bewirkt eine Gesamtvergegenwrtigung des ganzen Daseins; sieschliet den Kreis der Lebensphnomene zusammen als die Spielgemeindedes Festes. Das archaische Fest ist mehr als Volksbelustigung, es ist die er-hhte, in die magische Dimension erhhte Wirklichkeit des Menschenlebensin allen sei|nen Bezgen, ist kultisches Schauspiel, wo der Mensch die Nheder Gtter, der Heroen und der Toten versprt und sich in die Gegenwartaller segnenden und furchtbaren Mchte des Weltalls gestellt wei. So hatdas urtmliche Spiel auch einen tiefen Zusammenhang mit der Religion. DieFestgemeinde umfngt die Schauenden, die Mysten und Epopten eines kul-tischen Spiels, wo die Taten und Leiden der Gtter und Menschen ber dieSchaubhne gehen, deren Bretter in der Tat die Welt bedeuten.

    | III

    Unser bisheriger Versuch, die Struktur des Spiels in einigen Formbegriffenzu fassen, wie Spielstimmung, Spielgemeinde, Spielregel, Spielzeug undSpielwelt, gebrauchte immer wieder den Ausdruck das Imaginre. Mankann das Wort mit Schein bersetzen. Aber darin ballt sich eine eminentegeistige Verlegenheit zusammen. So im Ungefhren verstehen wir den Ter-minus Schein, besonders in bestimmten konkreten Situationen. Aber esbleibt mhsam und schwierig, herauszusagen, was wir eigentlich damitmeinen. Die grten Fragen und Probleme der Philosophie stecken in denalltglichsten Worten und Dingen. Der Begriff des Scheins ist so dunkel undunausgelotet wie der Begriff des Seins und beide Begriffe gehren auf eineundurchsichtige, verwirrende, geradezu labyrinthische Art zusammen,durchdringen und durchspielen einander. Der Gang des Denkens, der sichauf sie einlt, fhrt immer tiefer ins Unausdenkliche.

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    | Mit der Frage nach dem Schein, sofern er zum menschlichen Spielen27

    gehrt, ist ein philosophisches Problem angerhrt. Das Spiel ist schpferi-sche Hervorbringung, ist eine Produktion. Das Produkt ist die Spielwelt,eine Sphre von Schein, ein Feld, mit dessen Wirklichkeit es offenbar nichtgut bestellt ist. Und doch ist der Spielweltschein nicht einfach nichts. Wirbewegen uns darin, whrend wir spielen; wir leben darin gewi manchmalleicht und schwebend wie in einem Traumreich, manchmal aber auch vollinbrnstiger Hingebung und Versunkenheit. Solcher Schein hat mituntereine strkere erlebnishafte Realitt und Eindruckskraft als die massiven All-tagsdinge in ihrer abgenutzten Gewhnlichkeit. Was ist nun das Imaginre?Wo ist der Ort dieses seltsamen Scheins, welches ist sein Rang? Von derOrts- und Rangbestimmung hngt nicht zuletzt der Einblick in die onto-logische Natur des Spiels ab.

    blicherweise reden wir in mehrfachem Sinne von Schein. Wir meinenzum Beispiel den ueren Anschein der Dinge, das oberflchliche Aussehen,den bloen Vordergrund und dergleichen. Dieser Schein gehrt zu den Sa-chen selber wie die Schale zum Kern, wie die Erscheinung zum Wesen. Einandermal | sprechen wir von Schein im Hinblick auf eine trgende subjekti-ve Erfassung,28 eine irrtmliche Meinung, eine unklare Vorstellung. Dannliegt der Schein in uns, den falsch Auffassenden liegt im Subjekt. Da-neben gibt es aber auch einen subjektiven Schein, der nicht aus dem Wahr-heits- bzw. aus dem Irrtumsverhltnis des Vorstellenden zu den Sachenselbst gedacht ist einen Schein, der legitim in unserer Seele beheimatet ist,eben als Gebilde der Einbildungskraft, der Phantasie. Diese abstrakten Un-terscheidungen brauchen wir, um unsere Frage zu formulieren. Was fr einSchein ist die Spielwelt? Ein Vordergrund der Sachen? Eine trgende Vor-stellung? Ein Phantasma in unserer Seele? Niemand wird bestreiten wollen,da in jedem Spiele die Phantasie sich besonders auswirkt und auslebt. Abersind Spielwelten nur Phantasiegebilde? Es wre eine zu billige Erklrung,wollte man sagen, das imaginre Reich der Spielwelt bestnde ausschlie-lich in der menschlichen Einbildung, sei eine bereinkunft privater Wahn-vorstellungen oder privater Phantasieakte zu einem Kollektivwahn, zu einerintersubjektiven Phantasie. Spielen ist immer ein Umgang mit Spielzeugen.Schon vom Spielzeug her kann man sehen, da das Spielen nicht in einerseelischen Innerlich|keit allein und ohne Anhalt in der objektiven Auen-welt geschieht. Die Spielwelt enthlt subjektive Phantasieelemente und ob-jektive, ontische Elemente. Phantasie kennen wir als Seelenvermgen, wirkennen den Traum, die inneren Anschauungen, die bunten Phantasiegehal-te. Was aber soll ein objektiver, ein ontischer Schein besagen? Nun, es gibt inder Wirklichkeit ganz merkwrdige Dinge, die unleugbar selber etwasWirkliches sind und doch in sich ein Moment von Unwirklichkeit ent-halten. Das klingt merkwrdig und verwunderlich. Aber jeder kennt der-

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    gleichen, nur bezeichnen wir diese Dinge gewhnlich nicht so umstndlichund abstrakt. Es. sind einfach objektiv vorhandene Bilder. Etwa eine Pappelam Seeufer wirft ihr Spiegelbild auf die schimmernde Wasserflche. Nungehren Spiegelungen selber mit zu den Umstnden, wie wirkliche Dingein einer lichterfllten Umgebung sind. Dinge im Licht werfen Schatten,Uferbume spiegeln sich im See, auf glattem, blankem Metall finden dieUmgebungsdinge einen Widerschein. Was ist das Spiegelbild? Als Bild istes wirklich, ist ein wirkliches Abbild des wirklichen, originalen Baumes.Aber im Bild ist ein Baum dargestellt, er erscheint auf der Wasseroberfl-che, doch so, da er dort nur im | Medium des Spiegelscheins, nicht in Wirk-lichkeit vorkommt. Schein solcher Art ist eine eigenstndige Sorte von Sei-endem und enthlt als konstitutives Moment seiner Wirklichkeit einspezifisch Unwirkliches in sich und ruht berdies damit einem anderen,schlicht wirklichen Seienden auf. Das Pappelbild verdeckt nicht das StckWasserflche, auf der es spiegelhaft aufscheint. Die Spiegelung der Pappelist als Spiegelung, das heit als ein bestimmtes Lichtphnomen, eine wirk-liche Sache und befat die unwirkliche Spiegelweltpappel in sich. Das magvielleicht zu geschraubt klingen und doch ist es keine entlegene, sonderneine allbekannte Sache, die uns tagtglich vor Augen liegt. Die ganze Plato-nische Seinslehre, welche die abendlndische Philosophie in weitem Aus-mae mageblich bestimmt hat, operiert immer wieder mit den Modellenvon Abbild als Schatten und Spiegelung und deutet damit den Bau der Welt.

    Der ontische Schein (Spiegelung und dergleichen) ist mehr als nur einAnalogon zur Spielwelt, er kommt zumeist als ein strukturelles Momentselber in der Spielwelt vor. Spielen ist ein wirkliches Verhalten, das gleich-sam in sich eine Spiegelung: das spielweltliche Verhalten gem den Rol-len, befat. | berhaupt die Mglichkeit, seitens des Menschen einen spiel-weltlichen Schein produktiv zu erzeugen, hngt in hohem Grade ab von demFaktum, da es schon in der Natur an sich einen wirklichen Schein gibt. DerMensch kann nicht Kunstdinge berhaupt nur machen, er kann auch knst-liche Dinge verfertigen, zu denen ein Moment von seiendem Schein mit-gehrt. Er entwirft imaginre Spielwelten. Das kleine Mdchen ernenntkraft einer imaginr durchwirkten Produktion den Stoffbalg eines Puppen-dinges zu seinem lebendigen Kinde, und sich selbst versetzt es in die Rolleder Mutter. Immer gehren zur Spielwelt wirkliche Dinge aber teilshaben sie den Charakter ontischen Scheins, teils sind sie umkleidet miteinem aus der menschlichen Seele herstammenden subjektiven Schein.

    Spielen ist endliches Schpfertum in der magischen Dimension desScheins.

    Es ist ein Problem von grtem Tiefgang und hrtester Denkschwierig-keit, genau zu entfalten, wie sich im Menschenspiel Wirklichkeit und Un-wirklichkeit durchdringen. Die seinsbegriffliche Bestimmung des Spiels

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    fhrt in die Kardinalfragen der Philosophie zurck, in die Spekulation berSein und Nichts und Schein und Werden. Doch das knnen wir an | dieserStelle nicht entwickeln. Aber man sieht jedenfalls, da die bliche Rede vonder Unwirklichkeit des Spiels kurzschlssig bleibt, wenn nicht die rtselhaf-te Dimension des Imaginren befragt wird. Welchen humanen und welchenkosmischen Sinn hat dieses Imaginre? Bildet es einen abgezirkelten29 Be-zirk inmitten der brigen Dinge? Ist das seltsame Land des Unwirklichen dieerhhte Sttte der beschwrenden Vergegenwrtigung der Wesenheiten al-ler30 Dinge berhaupt? In der magischen spielweltlichen Spiegelung wirddas zufllig herausgegriffene Einzelding (etwa das Spielzeug) zum Symbol.Es reprsentiert. Das Menschenspiel ist (auch wenn wir es lngst nicht mehrwissen) die symbolische Handlung einer Sinnvergegenwrtigung von Weltund Leben.

    Die ontologischen Probleme, die das Spiel uns aufgibt, erschpfen sichnicht in den angezeigten Fragen nach der Seinsart31 der Spielwelt und nachdem Symbolwert des Spielzeuges bzw. der Spielhandlung. In der Geschichtedes Denkens wird nicht nur versucht, das Sein des Spieles zu fassen es wirdauch die ungeheure Umkehrung gewagt, vom Spiel aus den Sinn des Seinszu bestimmen. Dies nennen wir den spekulativen Spielbegriff. In Abkr-zung gesagt: Spekulation ist Kennzeich|nung des Wesens des Seins imGleichnis eines Seienden, ist eine begriffliche Weltformel, die von eineminnerweltlichen Modell abspringt. Die Philosophen haben schon viele solcheModelle verbraucht: Thales das Wasser, Platon das Licht, Hegel den Geistund so fort. Aber die Leuchtkraft eines solchen Modells hngt nicht ab vonder whlenden Willkr des jeweiligen Denkers es kommt entscheidenddarauf an, ob in der Tat das Ganze des Seins sich von ihm selber her in einemeinzelnen Seienden wiederholend spiegelt. Wo immer der Kosmos seineVerfassung, seinen Bau und Grundri in einem innerweltlichen Dinggleichnishaft wiederholt, ist damit ein philosophisches Schlsselphnomenbezeichnet, von dem aus sich eine spekulative Weltformel entwickeln lt.

    Das Phnomen des Spiels ist nun eine Erscheinung, die als solche schondurch den Grundzug symbolischer Reprsentanz ausgezeichnet ist. Wirdvielleicht das Spiel zum gleichnishaften Schauspiel des Ganzen, zur erhel-lenden, spekulativen Weltmetapher? Dieser verwegene, khne Gedanke istwirklich gedacht worden. In der Morgenfrhe des europischen Denkensstellt Heraklit den Spruch auf: Der Weltlauf ist ein spielendes Kind, Brett-steine setzend eine Knigsherrschaft | des Kindes. (Fragment 52)32 Undnach 25 Jahrhunderten der Denkgeschichte heit es bei Nietzsche: EinWerden und Vergehen, ein Bauen und Zerstren, ohne jede moralische Zu-rechnung, in ewig gleicher Unschuld, hat in dieser Welt allein das Spiel desKnstlers und des Kindes33 die Welt ist das Spiel des Zeus 34 (Phi-losophie im tragischen Zeitalter der Griechen)

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  • EGFA 7 (46315) / p. 29.

    Die Tiefe einer solchen Konzeption, aber auch ihre Gefahr und Verfh-rungsgewalt, die zu einer sthetischen Weltdeutung hindrngt, kann an die-sem Orte nicht entfaltet werden. Aber die befremdliche Weltformel, welchedas Seiende im Ganzen als ein Spiel walten lt, mag vielleicht die Ahnungerwecken, da das Spiel keine harmlose, periphere oder gar kindische Sa-che ist da wir endlichen Menschen gerade in der schpferischen Kraft undHerrlichkeit unserer magischen Produktion in einem abgrndigen Sinneaufs Spiel gesetzt sind. Wird das Wesen der Welt als Spiel gedacht, sofolgt fr den Menschen, da er das einzige Seiende ist im weiten Univer-sum, welches dem waltenden Ganzen zu entsprechen vermag. Erst in derEntsprechung zum bermenschlichen vermchte dann der Mensch in seineinheimisches Wesen zu gelangen.

    | Die spielhafte Offenheit des menschlichen Daseins zum spielendenSeinsgrund alles Seienden hin sagt der Dichter also aus:

    Solang du Selbstgeworfnes fngst, ist alles /Geschicklichkeit und llicher Gewinn ; /erst wenn du pltzlich Fnger wirst des Balles, /den eine ewige Mit-Spielerin /dir zuwarf, deiner Mitte, in genau /gekonntem Schwung, in einem jener Bgen /aus Gottes groem Brcken-Bau: /erst dann ist Fangen-Knnen ein Vermgen, /nicht deines, einer Welt. Und wenn du gar /zurckzuwerfen Kraft und Mut besest, /nein, wunderbarer: Mut und Kraft vergest /und schon geworfen httest, (wie das Jahr /die Vgel wirft, die Wandervogelschwrme, /die eine ltre einer jungen Wrme /herberschleudert ber Meere ) erst /in diesem Wagnis spielst du gltig mit. /Erleichterst dir den Wurf nicht mehr; erschwerst /dir ihn nicht mehr. Aus deinen Hnden tritt /das Meteor und rast in seine Rume (Rilke, Spte Gedichte).35

    Wenn die Denker und Dichter so menschlich tief auf die gewaltige Bedeu-tung des Spieles hinweisen, sollten wir auch noch eingedenk sein jenes Wor-tes: da wir nicht in das Himmelreich eingehen knnen, wenn wir nichtwerden wie die Kinder.

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