Stars und Stereotype - HfM Weimar · kulturelle Stereotype und Starimages auch an der Art des...

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LISZT - Das Magazin der Hochschule 2014 | Con spirito: Wissenswertes 52 wei Tage, 15 Vorträge, intensiver interdisziplinärer Austausch und viel Musik: der Workshop Stimme, Kultur, Identität – vokaler Ausdruck in der populären Musik der USA (1900-1960) fand differenzierte Antworten auf Fragen nach der Bedeutung von Gesangsstimmen. Und er deckte zum Teil vergessene Verbin- dungen zwischen Genres und Stars der populären Musik auf. LISZT-Magazin-Autorin Katrin Horn war dabei und schildert ihre Eindrücke. Jazz, Musical, Country, Gospel und Blues – populäre Musik und populärer Gesang sind nicht nur genre-, sondern auch facetten- reich. Doch wie lassen sich die Gesangsstile angemessen beschrei- ben? Wie ist vokaler Ausdruck in das Bedeutungsgeflecht von Songtexten, musikalischen Gestaltungsweisen, von Kleidung, Ges- tik und Bühnenperformance eingebunden? Lassen sich bestimmte kulturelle Stereotype und Starimages auch an der Art des Singens festmachen? Und wie hängen vokale Ausdrucksweisen mit kulturel- len Prozessen der Identitätskonstruktion zusammen? Mit diesen Leitfragen setzten sich beim Forschungsworkshop An- fang Juni 2014 an der Hochschule für Musik FRANZ LISZT Weimar internationale Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus ganz unterschiedlichen Disziplinen auseinander. Ans Hochschulzentrum am Horn kamen unter anderem Vertreterinnen und Vertreter der Film-, Literatur- und Kulturwissenschaften, Gesangspädagogik so- wie der historischen und systematischen Musikwissenschaft. Digital und phoniatrisch Entsprechend breit war die Palette der Präsentationsformen: Live- Gesang, digitale Visualisierung stimmlicher Demonstrationen, pho- niatrische Videos von Stimmlippenschwingungen, Interpretation historischer Dokumente und selbstverständlich Musik- und Videoauf- nahmen aus sechs Jahrzehnten US-amerikanischer Musikgeschich- te. All das demonstrierte auf eingängige Weise die Vielschichtigkeit und Komplexität populären Gesangs und seiner Bedeutungen. Die interdisziplinäre Ausrichtung der Tagung führte zudem zu wichti- gen Impulsen für die Verbindung der häufig computergestützten Methoden der Beschreibung von Stimme mit Formen der eher kul- turwissenschaftlich ausgerichteten Interpretation. Besonders erfreulich und fruchtbar für die Diskussion war, dass viele Vorträge aufeinander Bezug nahmen bzw. wichtige Aspek- te wieder aufgriffen. So setzte sich das Thema des Eröffnungsvor- trags, Soziale Klasse und Musik, unter anderen Vorzeichen in ei- nem Vortrag zum Wandel der Country-Musik der 1950er Jahre fort. Wie im Rahmen von Musik mit stereotypen Vorstellungen von Afro-Amerikanern umgegangen wird, beleuchteten gleich mehrere Referate in Kontexten von Gospelmusik, Doo-Wop-Gruppen und Disney-Filmen bis hin zum aufkommenden Begriff der Coolness. Ei- nen weiteren wichtigen roten Faden stellte die Rolle von Stimme als Mittel des emotionalen Ausdrucks dar, beispielsweise als „reales“ Element im Animationsfilm, als Wiedererkennungsmerkmal im Mu- sical sowie als Indiz für Live-Übertragungen im Fernsehen. Die Vielfalt der technischen Auseinandersetzungen mit Musik und Stimme zeigte dann der zweite Workshop-Tag: Anschaulich wur- den Gesangstechniken, technische Aspekte von Aufnahmeverfah- ren sowie Software-gestützte Stimmanalysemethoden vermittelt. Überdies diente der Workshop als Ideengeber für das seit Ende 2011 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderte For- schungsprojekt Stimme und Gesang in der populären Musik der USA (1900–1960) unter Leitung von Prof. Dr. Martin Pfleiderer und die dazu entstehende Buchpublikation. Vor allem durch die von den Referentinnen und Referenten eingebrachten Anregungen zu alternativen Grenzziehungen zwischen den Genres, zum Bei- spiel zwischen Gospel und Rock’n’Roll, wird die zukünftige Arbeit des Forschungsprojekts bereichert. Relevante Forschung Wie lässt sich populäre Musik zu anderen musikalischen Traditio- nen abgrenzen? In dieser Frage verwies Rebecca Grotjahn unter anderem auf die historischen Prozesse der Differenzierung zwi- schen Hoch- und Popkultur sowie der Entstehung von „klassischen“ Gesangsstilen im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert. Um Fra- gen der Definition ging es auch Martin Butler und Elaine Richard- son. Sie verwiesen über ihre jeweiligen Vorträge zu Folk-Legende Woody Guthrie und Gospel-Sängerin Arizona Dranes hinaus auf die Wichtigkeit der Abgrenzung von Pop und populärer Musik ei- nerseits und der differenzierten Beschreibung „unmarkierter“ Ge- sangsstile bzw. als „natürlich“ wahrgenommener Ausdrucksformen und kultureller Kontexte andererseits. Die eingeladenen GesangspädagogInnen betonten in einer Po- diumsdiskussion die wachsende Diskrepanz zwischen Angebot und Nachfrage in der Jazz- und Popgesangsausbildung und das dadurch steigende Interesse an Weiterbildungsmöglichkeiten für Lehrende. Rebecca Grotjahn als Vertreterin der historischen Mu- sikwissenschaft führte aus, dass die in Weimar entwickelten Ana- lysemethoden auch für die historisch informierte Aufführungspraxis wichtig sein werden. Nähere Informationen zum Forschungsprojekt und zum Workshop gibt es unter www.hfm-weimar.de/popvoices. Katrin Horn Stars und Stereotype An den Grenzen der Genres: Musikwissenschaftlicher Workshop befasste sich mit Stimme, Kultur und Identität Z

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Liszt - Das Magazin der Hochschule 2014 | Con spirito: Wissenswertes52

wei Tage, 15 Vorträge, intensiver interdisziplinärer Austausch und viel Musik: der Workshop Stimme, Kultur, Identität – vokaler Ausdruck in der populären Musik der USA (1900-1960) fand differenzierte Antworten auf Fragen nach der Bedeutung von Gesangsstimmen. Und er deckte zum Teil vergessene Verbin-dungen zwischen Genres und Stars der populären Musik auf. Liszt-Magazin-Autorin Katrin Horn war dabei und schildert ihre Eindrücke.

Jazz, Musical, Country, Gospel und Blues – populäre Musik und populärer Gesang sind nicht nur genre-, sondern auch facetten-reich. Doch wie lassen sich die Gesangsstile angemessen beschrei-ben? Wie ist vokaler Ausdruck in das Bedeutungsgeflecht von Songtexten, musikalischen Gestaltungsweisen, von Kleidung, Ges-tik und Bühnenperformance eingebunden? Lassen sich bestimmte kulturelle Stereotype und Starimages auch an der Art des Singens festmachen? Und wie hängen vokale Ausdrucksweisen mit kulturel-len Prozessen der Identitätskonstruktion zusammen?

Mit diesen Leitfragen setzten sich beim Forschungsworkshop An-fang Juni 2014 an der Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar internationale Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus ganz unterschiedlichen Disziplinen auseinander. Ans Hochschulzentrum am Horn kamen unter anderem Vertreterinnen und Vertreter der Film-, Literatur- und Kulturwissenschaften, Gesangspädagogik so-wie der historischen und systematischen Musikwissenschaft.

Digital und phoniatrisch

Entsprechend breit war die Palette der Präsentationsformen: Live-Gesang, digitale Visualisierung stimmlicher Demonstrationen, pho-niatrische Videos von Stimmlippenschwingungen, Interpretation historischer Dokumente und selbstverständlich Musik- und Videoauf-nahmen aus sechs Jahrzehnten US-amerikanischer Musikgeschich-te. All das demonstrierte auf eingängige Weise die Vielschichtigkeit und Komplexität populären Gesangs und seiner Bedeutungen. Die interdisziplinäre Ausrichtung der Tagung führte zudem zu wichti-gen Impulsen für die Verbindung der häufig computergestützten Methoden der Beschreibung von Stimme mit Formen der eher kul-turwissenschaftlich ausgerichteten Interpretation.

Besonders erfreulich und fruchtbar für die Diskussion war, dass viele Vorträge aufeinander Bezug nahmen bzw. wichtige Aspek-te wieder aufgriffen. So setzte sich das Thema des Eröffnungsvor-trags, Soziale Klasse und Musik, unter anderen Vorzeichen in ei-nem Vortrag zum Wandel der Country-Musik der 1950er Jahre fort. Wie im Rahmen von Musik mit stereotypen Vorstellungen von Afro-Amerikanern umgegangen wird, beleuchteten gleich mehrere

Referate in Kontexten von Gospelmusik, Doo-Wop-Gruppen und Disney-Filmen bis hin zum aufkommenden Begriff der Coolness. Ei-nen weiteren wichtigen roten Faden stellte die Rolle von Stimme als Mittel des emotionalen Ausdrucks dar, beispielsweise als „reales“ Element im Animationsfilm, als Wiedererkennungsmerkmal im Mu-sical sowie als Indiz für Live-Übertragungen im Fernsehen.

Die Vielfalt der technischen Auseinandersetzungen mit Musik und Stimme zeigte dann der zweite Workshop-Tag: Anschaulich wur-den Gesangstechniken, technische Aspekte von Aufnahmeverfah-ren sowie Software-gestützte Stimmanalysemethoden vermittelt. Überdies diente der Workshop als Ideengeber für das seit Ende 2011 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderte For-schungsprojekt Stimme und Gesang in der populären Musik der USA (1900–1960) unter Leitung von Prof. Dr. Martin Pfleiderer und die dazu entstehende Buchpublikation. Vor allem durch die von den Referentinnen und Referenten eingebrachten Anregungen zu alternativen Grenzziehungen zwischen den Genres, zum Bei-spiel zwischen Gospel und Rock’n’Roll, wird die zukünftige Arbeit des Forschungsprojekts bereichert.

Relevante Forschung

Wie lässt sich populäre Musik zu anderen musikalischen Traditio-nen abgrenzen? In dieser Frage verwies Rebecca Grotjahn unter anderem auf die historischen Prozesse der Differenzierung zwi-schen Hoch- und Popkultur sowie der Entstehung von „klassischen“ Gesangsstilen im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert. Um Fra-gen der Definition ging es auch Martin Butler und Elaine Richard-son. Sie verwiesen über ihre jeweiligen Vorträge zu Folk-Legende Woody Guthrie und Gospel-Sängerin Arizona Dranes hinaus auf die Wichtigkeit der Abgrenzung von Pop und populärer Musik ei-nerseits und der differenzierten Beschreibung „unmarkierter“ Ge-sangsstile bzw. als „natürlich“ wahrgenommener Ausdrucksformen und kultureller Kontexte andererseits.

Die eingeladenen GesangspädagogInnen betonten in einer Po-diumsdiskussion die wachsende Diskrepanz zwischen Angebot und Nachfrage in der Jazz- und Popgesangsausbildung und das dadurch steigende Interesse an Weiterbildungsmöglichkeiten für Lehrende. Rebecca Grotjahn als Vertreterin der historischen Mu-sikwissenschaft führte aus, dass die in Weimar entwickelten Ana-lysemethoden auch für die historisch informierte Aufführungspraxis wichtig sein werden. Nähere Informationen zum Forschungsprojekt und zum Workshop gibt es unter www.hfm-weimar.de/popvoices.

Katrin Horn

Stars und StereotypeAn den Grenzen der Genres: Musikwissenschaftlicher Workshop

befasste sich mit Stimme, Kultur und Identität

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