Strafaktionen von Wehrmacht und SS im besetzten...

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Texte, Fotos und Dokumente Herausgegeben von der KZ-Gedenkstätte Neuengamme Katharina Hertz-Eichenrode Deportiert ins KZ Neuengamme Strafaktionen von Wehrmacht und SS im besetzten Europa

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Texte, Fotos und Dokumente

Herausgegeben von der KZ-Gedenkstätte Neuengamme

Katharina Hertz-Eichenrode

Deportiert ins KZ NeuengammeStrafaktionen von Wehrmacht und SS im besetzten Europa

Impressum

Katharina Hertz-Eichenrode: Deportiert ins KZ Neuengamme. Strafaktionen von Wehrmacht und SS im besetzten Europa. Texte, Fotos und Dokumente, Hamburg 2015

Herausgeberin: KZ-Gedenkstätte Neuengamme Jean-Dolidier-Weg 75 21039 Hamburg www.kz-gedenkstaette-neuengamme.de

Recherchen und Textredaktion: Herbert Diercks (Putten), Georg Erdelbrock (Warschau), Katharina Hertz-Eichenrode (Einleitung, Murat, Endredaktion), Martin Reiter (Meensel-Kiezegem)

Lektorat: Dieter Schlichting, Büro für Lektorate und Übersetzungen, Hamburg, www.ds-lektorat.de

Gestaltung: Julia Werner, Hamburg, www.juliawerner.net

Druck: Druckerei Siepmann GmbH, Hamburg

Auflage: 1000

Gefördert von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages

Die Broschüre basiert auf den Texten sowie einer Auswahl von Fotos und Dokumenten der vom 15. Januar bis zum 8. Februar 2015 im Hamburger Rathaus erstmals gezeigten Wanderausstellung „Deportiert ins KZ Neuengamme. Strafaktionen von Wehrmacht und SS im besetzten Europa“.

Die Ausstellung wird von der KZ-Gedenkstätte Neuengamme bei Übernahme der Transport- und Versicherungskosten ausgeliehen. Weitere Informationen: KZ-Gedenkstätte Neuengamme, Heidi Heitmann, Tel.: 040 428131-516, E-Mail: [email protected].

Die Herausgeberin hat sich bemüht, alle Rechteinhaber und -inhaberinnen von Dokumenten und Abbildungen ausfindig zu machen. Dies ist nicht in allen Fällen gelungen. Nicht benachrichtigte Rechteinhaber und -inhaberinnen bitten wir daher, sich an die KZ-Gedenkstätte Neuengamme zu wenden.

Hamburg, Januar 2015

Abbildungen auf der Umschlagrückseite:

Denkmäler im Gedenkhain der KZ-Gedenkstätte Neuengamme (von links):

Denkmal für die aus Putten Deportierten (Foto: Wolfgang Stiller, 2013; Archiv der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, F 2014-499)

Plastik „Die Verzweiflung von Meensel-Kiezegem“ (Foto: Karin Schawe, 2014; Archiv der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, F 2014-619)

Denkmal für die nach dem Warschauer Aufstand in das KZ Neuengamme Verschleppten (Foto: Detlef Garbe, 2009; Archiv der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, F 2014-621)

Denkmal für die aus Murat Deportierten (Aufnahme von 2012; Archiv der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, F 2014-620)

Vorwort 5

Einführung 7

Kriegsziel: Die Eroberung Europas 8

Repressalien und Vernichtung 9

Polen unter deutscher Besatzung 10

Die Niederlande, Belgien und Frankreich – die Anfänge der deutschen Besatzung 12

Repressalien und Befreiungskampf in den Niederlanden, Belgien und Frankreich 13

Das KZ Neuengamme – Arbeit, Gewalt, Vernichtung 14

Frankreich – MURAT 16

Widerstand und Repressalien 1943/44 17

12. Juni 1944: Der Angriff auf die deutsche Polizeieinheit 19

24. Juni 1944: Die Razzia in Murat 21

Henri Joannon – der Chronist 22

Raymond Portefaix: „Ich hatte drei Leben.“ 23

Die Kinder von Murat 24

Verantwortliche und Täter 25

Murat – Erinnerung und Gedenken 26

Gedenken in Murat, Neuengamme und Bremen-Farge 27

Belgien – MEENSEL-KIEZEGEM 28

Kollaboration und Widerstand 29

1. August 1944: Die erste Razzia 31

11. August 1944: Die zweite Razzia 32

Ferdinand Duerinckx: „Hoffen, bald zurück zu sein.“ 33

Jozef Claes: KZ-Haft in Neuengamme, Porta Westfalica, Schandelah und Wöbbelin 34

Opfer der Razzia vom 11. August: Die Familie Craeninckx 35

Täter und Verantwortliche vor Gericht 36

Gedenken an die Opfer der Deportation 38

Die Erinnerung ist lebendig 39

Inhalt

Polen – WARSCHAUER AUFSTAND 40

Warschau unter deutscher Besatzung 41

1. August bis 2. Oktober 1944: Der Warschauer Aufstand 42

Die Folgen des Aufstands für die Zivilbevölkerung 44

Janusz Kahl: „Es gelang mir und meiner Familie, zu überleben.“ 45

Drei Familienväter: Jan Derengowski, Andrzej Żelechowski und Antoni Stachowicz 46

Zbigniew Foltyński – Überlebender des Angriffs auf die „Cap Arcona“ 47

Die Verantwortlichen: Nur wenige wurden zur Rechenschaft gezogen 48

Der Warschauer Aufstand in der polnischen Erinnerungskultur 50

Gedenken an die Deportierten 51

Niederlande – PUTTEN 52

1. Oktober 1944: Der Anschlag 53

1. und 2. Oktober 1944: Die „Vergeltungsmaßnahme“ 55

Das Schicksal der aus Putten verschleppten Männer 56

Fünf Opfer aus einer Familie: Brand, Hijmen, Jan, Willem und Peter Petersen 58

Die Familie Bakker: Zehn Männer kehrten nicht zurück 59

Sie kehrten heim: Hendrikus van den Berg und Wouter Rozendaal 60

Die Verantwortlichen: Friedrich Christiansen, Fritz Fullriede und Albin Rauter 62

Putten nach dem Ende von Krieg und Besatzung 63

Versöhnung und Gedenken – Putten, Ladelund, Neuengamme 65

Literatur und Websites 66

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Vorwort

Etwas versteckt im Gedenkhain der KZ-Gedenkstätte Neuengamme in der Nähe des internationalen Mahnmals können die Besucherinnen und Besucher Denkmäler entdecken, die an Häftlinge erinnern, die aus jeweils einem Ort nach Hamburg in das KZ Neuengamme deportiert wurden: aus Murat in Frankreich, Meensel-Kiezegem in Belgien und Putten in den Niederlanden – kaum jemand in Hamburg kennt die Namen dieser Orte. Umgekehrt jedoch ist Hamburg-Neuengamme den Einwohnerinnen und Einwohnern von Murat, Meensel-Kiezegem und Putten sehr wohl ein Begriff: Im Sommer bzw. Herbst des Jahres 1944 führte die deutsche Besatzungsmacht, unterstützt von Kollabo-rateuren, in diesen Orten „Vergeltungsmaßnahmen“ durch als Reaktionen auf zuvor erfolgte Angriffe auf eine Polizeieinheit, einen mit den Deutschen kollaborie-renden Einheimischen oder Wehrmachtsangehörige.

Seit den beiden sogenannten Wehrmachtsausstellun-gen des Hamburger Instituts für Sozialforschung in der zweiten Hälfte der 1990er-Jahre ist in das Bewusstsein der deutschen Öffentlichkeit gedrungen, dass Wehrmacht, Polizei und SS in Osteuropa einen unbarmherzigen Vernichtungskrieg führten, dem Hunderttausende von Menschen vor allem in der Sowjetunion, aber auch in Polen und Südosteuropa zum Opfer fielen. Dass auch in Westeuropa Geiseln genommen und Geiselerschießun-gen durchgeführt, Dörfer niedergebrannt, Zivilistinnen und Zivilisten ermordet wurden, ist sehr viel weniger bekannt. Der Name des kleinen französischen Ortes Ora-dour-sur-Glane, in dem eine SS-Einheit am 10. Juni 1944 über 600 Frauen, Kinder und Männer ermordete, steht für eines der in Westeuropa begangenen deutschen Kriegs-verbrechen. Seit Bundespräsident Joachim Gauck im September 2013 Oradour-sur-Glane besuchte, ist das Ver-brechen auch in Deutschland bekannter geworden – in Frankreich ist Oradour, das nach dem Krieg nicht wieder aufgebaut wurde, ein Gedenkort von nationaler Bedeu-tung. Über die von deutschen SS- und Wehrmachtsein-heiten verübten Massaker in Marzabotto und Sant’Anna di Stazzema in Italien wird hierzulande erst berichtet, seit die Nachfahren der Opfer begonnen haben, Ent-schädigungsleistungen und eine juristische Sanktio-nierung der begangenen Verbrechen einzuklagen.

Ein genauerer Blick auf die Geschichte der deutschen Besatzungspolitik in Westeuropa zeigt, dass es bereits ab 1943, verstärkt aber nach der Landung alliierter Truppen 1944 in der Normandie vielerorts zu einem

rücksichts losen Vorgehen der Besatzungsmacht nicht nur gegen die Widerstandsbewegungen, die – um sie zu kriminalisieren – als „Terroristen“ oder „Banden“ bezeichnet wurden, sondern auch gegen die Zivil-bevölkerung kam, die pauschal der Unterstützung des Widerstands verdächtigt wurde. Verhaftungen, Deporta-tionen, Er schießungen und das Zerstören von Häusern gehörten zu den gängigen Maßnahmen der Besatzer.

Doch was hat dies mit Hamburg und dem KZ Neuen-gamme zu tun? Als 1981 das Dokumentenhaus der KZ-Gedenkstätte Neuengamme mit der ersten histori-schen Ausstellung eröffnet wurde, thematisierte diese auch die Geschichte des niederländischen Ortes Putten und das Schicksal von 588 Männern, die von dort im Herbst 1944 in das KZ Neuengamme deportiert wurden. Sie waren nach dem Anschlag auf ein Wehrmachts-fahrzeug, bei dem zwei deutsche Soldaten ums Leben kamen, bei einer Razzia in Putten am 2. Oktober 1944 verhaftet worden. Von den 588 Männern überlebten nur 48. Bekannt geworden war das Verbrechen an der Bevölkerung von Putten allerdings nicht durch histori-sche Forschungen, sondern durch die ungewöhnliche Geste des Pastors aus Ladelund, einem Dorf nahe der dänischen Grenze, in dessen Nähe im November und Dezember 1944 ein Außenlager des KZ Neuengamme bestanden hatte. Mindestens 301 KZ-Häftlinge sind dort ums Leben gekommen, 111 von ihnen stammten aus Putten. Johannes Meyer, ein überzeugter Anhänger des Nationalsozialismus, beerdigte als Pastor von Ladelund auch die Toten des KZ-Außenlagers – und notierte ihre Namen und Herkunftsorte. Nach dem Krieg schrieb er an die Familien in Putten und informierte sie über die Gräber ihrer Angehörigen. Daraus entstand eine bis heute bestehende, enge Verbindung zwischen den Kirchen gemeinden in Putten und Ladelund, später unter Einbeziehung der Kirchengemeinde Neuengamme.

1997 besuchte erstmals eine Gruppe aus dem belgischen Ort Meensel-Kiezegem die KZ-Gedenkstätte Neuen-gamme und berichtete über die „Vergeltungsmaßnahme“, die dort im August 1944 nach dem gewaltsamen Tod eines belgischen Kollaborateurs durchgeführt wurde. 71 Männer des Ortes kamen in das KZ Neuengamme, nur acht von ihnen überlebten. Die im Gedenkhain der KZ-Gedenkstätte Neuengamme von der Stiftung „Stichting Meensel-Kiezegem ’44“ errichtete Plastik „Die Verzweiflung von Meensel-Kiezegem“ erinnert an die Opfer und den Verlust, den die Familien erlitten haben.

Im Zuge der Recherchen zur neuen Dauerausstellung in der Gedenkstätte im Jahr 2005 wurden auch die Ereignisse in Murat, einer kleinen Stadt in der Auvergne

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in Frankreich, bekannt. 103 Männer wurden von dort im Juli 1944 in das KZ Neuengamme deportiert, als „Vergeltung“ für den Tod mehrerer Angehöriger der Sicherheitspolizei bei einem Angriff durch eine Wider-standsgruppe im Juni 1944. Nur 34 der Deportierten kehrten nach dem Krieg zurück. Sieben Basaltsäulen des Berges Rocher de Bonnevie in Murat im Gedenk-hain der KZ-Gedenkstätte symbolisieren seit 2012 die Verbindung, die zwischen den beiden Orten besteht.

Während im Sommer 1944 in Westeuropa die anglo-amerikanischen Truppen vorrückten, drängten in Ost-europa die Truppen der Sowjetunion die deutsche Wehrmacht immer weiter zurück. Im Juli 1944 stand die Rote Armee am Ostufer der Weichsel. In der polnischen Hauptstadt Warschau rief die polnische Untergrund-armee „Armia Krajowa“ (Heimatarmee) in dieser Situa-tion Anfang August zum Aufstand gegen die deutsche Besatzungsmacht auf. Zwei Monate lang kämpften die Aufständischen hartnäckig um jedes Stadtviertel. SS- und Wehrmachtsverbände gingen rücksichtslos gegen die Aufständischen, aber auch gegen die Zivilbevölke-rung vor. Die Kampfgruppen „Reinefarth“ und „RONA“ ermordeten Anfang August innerhalb weniger Tage mehrere Zehntausend Zivilistinnen und Zivilisten. War-schau wurde dem Erdboden gleichgemacht und 150 000 Frauen und Männer zur Zwangsarbeit nach Deutschland verschleppt, weitere 60 000 in deutsche Konzentrations-lager deportiert. Mindestens 3700 Polinnen und Polen aus Warschau kamen so in das KZ Neuengamme.

Zum Zeitpunkt der Einlieferung der Männer und Frauen aus Murat, Meensel-Kiezegem, Warschau und Putten hatte das KZ Neuengamme seine höchste Belegung und der Außenlagerkomplex seine größte Ausdehnung erreicht. Über 40 000 Häftlinge zählte das Lager Ende 1944, die meisten von ihnen, mehr als 30 000, waren in eines der mehr als 85 Außenlager überstellt worden. Unternehmen, Kommunen, Staatsbetriebe und die Wehrmacht setzten die Häftlinge, Frauen wie Männer, zur Arbeit ein – in der Rüstungsindustrie, beim Trümmer-räumen, beim Bau von Militär- und Verteidigungsan-lagen. Der Arbeitseinsatz war schwer und kräftezehrend, häufig gefährlich, die Verpflegung und die medizinische Versorgung unzureichend; hinzu kamen Schikanen und Gewalt durch die SS. Die Mehrzahl der Männer aus Murat, Meensel-Kiezegem und Putten und der Frauen und Männer aus Warschau erlagen diesen Lebens- und Arbeitsbedingungen schon nach kurzer Zeit. Zum Kriegs-ende starben die Häftlinge bei den Räumungstransporten, in den „Auffanglagern“ Sandbostel und Wöbbelin und im KZ Bergen-Belsen. 6600 Häftlinge kamen bei der irrtümlichen Bombardierung der Schiffe „Cap Arcona“

und „Thielbek“ in der Lübecker Bucht durch die britische Luftwaffe um – die SS hatte zuvor mehr als 7000 KZ-Häftlinge auf den beiden Schiffen zusammengepfercht.

In dem Jahr, in dem sich das Ende des Zweiten Welt-krieges zum 70. Mal jährt, widmet die KZ-Gedenkstätte Neuengamme den Ereignissen in Murat, Meensel-Kieze-gem, Putten und Warschau eine Ausstellung unter dem Titel „Deportiert ins KZ Neuengamme. Strafaktionen von Wehrmacht und SS im besetzten Europa“. Auch die Erin-nerungskultur, die sich in den betroffenen Orten ebenso wie in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme entwickelt hat, wird dargestellt. Die vorliegende Broschüre präsentiert die wichtigsten Texte, Fotos und Dokumente der unter Leitung von Katharina Hertz-Eichenrode erarbeiteten und von Julia Werner gestalteten Ausstellung, die erstmals vom 15. Januar bis 8. Februar 2015 im Hamburger Rathaus und ab 18. April 2015 in der KZ-Gedenkstätte Neuen-gamme gezeigt wird. Im Mai 2015 werden die Ausstellung auch die ehemaligen Häftlinge und die Angehörigen von Häftlingen des KZ Neuengamme, die aus vielen Ländern zu den Gedenkveranstaltungen zum 70. Jahrestag des Kriegsendes anreisen, sehen können, ebenso wie die Teil-nehmerinnen und Teilnehmer einer Ende April 2015 vom Studienzentrum der KZ-Gedenkstätte Neuengamme aus-gerichteten Tagung, die sich vergleichend mit der Besat-zungspolitik der Nationalsozialisten und „Vergeltungs-maßnahmen“ in den Ländern Europas befassen wird.

Die KZ-Gedenkstätte Neuengamme dankt der Hambur-gischen Bürgerschaft für die Möglichkeit, mittlerweile im 15. Jahr zum Gedenktag für die Opfer des National-sozialismus am 27. Januar eine Ausstellung, die sich mit dem Nationalsozialismus und seinen Opfern in Hamburg auseinandersetzt, im Hamburger Rathaus zu präsen-tieren. Ein besonderer Dank geht an die Verbände der ehemaligen Häftlinge und der Angehörigen der Opfer in Murat, Meensel-Kiezegem und Putten. Sie haben viele Fotos und Dokumente zur Verfügung gestellt und geduldig unsere Fragen beantwortet. Die Verbrechen des Krieges, der deutschen Besatzung und der Ver-schleppung von Menschen aus ganz Europa in das KZ Neuengamme nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, dieses wichtige Anliegen verbindet die KZ-Gedenkstätte Neuengamme mit vielen Organisationen ehemaliger KZ-Häftlinge und ihren Familien in Europa und darüber hinaus. Die Ausstellung und diese Broschüre sind ein Ergebnis der gemeinsamen Erinnerungsarbeit.

Dr. Detlef Garbe

Leiter der KZ-Gedenkstätte Neuengamme

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HAMBURG- NEUENGAMME

MURAT

Frankreich

WARSCHAU

Polen

PUTTEN

Niederlande

MEENSEL- KIEZEGEM

Belgien

Deportiert ins KZ NeuengammeStrafaktionen von Wehrmacht und SS im besetzten Europa

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1 Polnische Frauen werden zur Erschießung in den Wald von Palmiry geführt. Mehr als 2000 Menschen wurden zwischen 1939 und 1945 in der Nähe des nördlich von Warschau gelegenen Ortes ermordet. Aufnahme vermutlich vom Frühjahr 1940.Quelle: Narodowe Archiwum Cyfrowe [Nationales Digital-archiv], Warschau, Bild 37-278-8

Innerhalb der vier Monate von Kriegsbeginn bis Ende 1939 ermordeten in Polen eingesetzte deutsche Polizeieinheiten mehr als 60 000 Frauen und Männer aus der polnischen Führungsschicht, unter ihnen Lehrerinnen und Lehrer, Geistliche, Adlige und Offiziere. Zugleich wurde mit der als „Umsiedlung“ bezeichneten Vertreibung der polnischen Be völkerung aus den annektierten west polnischen Gebieten in das von Deutschland verwaltete „General gouverne ment“ begonnen. Hundertausende verloren ihre Heimat und ihren Besitz. Die jüdische Bevölkerung wurde systematisch erfasst, in Gettos verbannt und schließlich in Vernichtungs lagern ermordet.

2 Bekanntmachung von Geiselerschießungen in Lille, Nordfrankreich, April 1941. Quelle: Mémorial de la Shoah, Paris, Af511b_031

Im Mai und Juni 1940 besetzte die Wehrmacht die Niederlande, Belgien, Luxemburg und Frankreich. In diesen Ländern bildeten sich daraufhin Widerstands-bewegungen. Mit Verhaftungen, Erschießungen, der Ermordung von Geiseln und Deportationen in Gefäng-nisse und Konzentrations lager gingen die deutsche Polizei und kollaborierende einheimische Polizeikräfte gegen die als „Terroristen“ und „Banden“ bezeichneten Widerstandgruppen vor.

3 Plakat der norwegischen „Nasjonal Samling“, 1942. Quelle: Bundesarchiv, Plak 003-047-002

Mit der Besetzung Dänemarks und Norwegens im April 1940 sollten die deutsche Vorherrschaft im Ostseeraum und die Transportwege des für die Rüstungsindustrie wichtigen schwedischen Eisenerzes nach Deutschland gesichert sowie eine strategisch günstige Ausgangs-basis für den geplanten Krieg gegen Großbritannien geschaffen werden. In Norwegen konnten sich die deutschen Besatzer auf die Zusammenarbeit mit der „Nasjonal Samling“ (Nationale Sammlung) von Vidkun Quisling stützen.

Kriegsziel: Die Eroberung Europas

Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 bereitete Deutschland systematisch einen neuen Krieg vor. Am 1. September 1939 begann mit dem Überfall der Wehrmacht auf Polen der Zweite Weltkrieg als Eroberungs- und Vernichtungsfeldzug: Die Nationalsozialisten wollten Europa beherrschen und wirtschaftlich ausbeuten, „Lebensraum im Osten“ gewinnen, den „jüdischen Bolschewismus“ vernichten und die rassistische Ideologie auch durch Völker mord umsetzen. In Nord- und Westeuropa setzte die Besatzungs macht bei der Durchsetzung ihrer Herrschaft auf die Kollaboration mit nationalistisch-faschistisch gesinnten Kräften in den jeweiligen Ländern. In Ost- und Südost-europa dagegen gingen Wehrmacht, SS und Polizei von Beginn an rücksichtslos auch gegen die Zivilbevölkerung vor. In allen besetzten Ländern begannen sie sogleich mit der systematischen Entrechtung und Verfolgung der jüdischen Bevölkerung.

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Einführung 9

1 Von sowjetischen Gefangenen errichtete Unterstände im Kriegsgefangenen-Mannschafts-Stammlager Stalag XI D (321) Oerbke in der Lüneburger Heide, Sommer oder Herbst 1941. Quelle: Stiftung niedersächsische Gedenkstätten, Dokumentationsstelle Celle, Bild 40809

Mehr als 5 Millionen sowjetische Soldaten gerieten in deutsche Gefangenschaft. Unter Missachtung des „Genfer Abkommens über die Behandlung von Kriegsgefangenen“ von 1929 waren sie in den Kriegsgefangenen lagern der Wehrmacht unter menschen unwürdigen Bedingungen interniert. Oft gab es keine festen Unter künfte, Ernährung und medizinische Versorgung waren unzureichend. In der Folge starben mehr als 3,3 Millionen sowjetische Kriegsgefangene in deutscher Gefangenschaft.

2 Ungarische Jüdinnen und Juden bei der Ankunft in Auschwitz-Birkenau, Mai 1944.Quelle: United States Holocaust Memorial Museum, Washington, D.C., Bild 77319

In den Vernichtungslagern Auschwitz-Birkenau, Treblinka, Chełmno, Sobibór, Bełżec, Majdanek und Maly Trostenez ermordete die SS 2,7 Millionen Jüdinnen und Juden aus ganz Europa. Das größte dieser Lager war Auschwitz-Birkenau. Dort führte die SS nach Ankunft der Deportationszüge Selektionen unter den neu Angekommenen für einen Arbeitseinsatz in den Konzentrationslagern durch. Doch wurden hierfür nur wenige ausgewählt. Die überwiegende Zahl der Depor-tierten ermordete die SS sofort in den Gaskammern.

Repressalien und Vernichtung

Mit dem Überfall auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 ver folgte Deutschland die Zerschlagung des Kommunismus, die Versklavung der als „slawische Untermenschen“ bezeich ne ten Bevölkerung sowie die Gewinnung von „Lebensraum“. Einheiten von SS und Polizei verübten mithilfe der Wehrmacht in den besetzten sowje-tischen Gebieten einen Völkermord an der jüdischen Bevölkerung sowie an Sinti und Roma. Sie ermordeten ebenfalls als „Kommu-nisten“ oder „Partisanen“ Verdächtige und gefangen genommene „Polit kommissare“ der Roten Armee. Kriegsgefangene sowjetische Soldaten wurden dem Hungertod überlassen, Millionen Zivilistin-nen und Zivilisten als Zwangsarbeitskräfte rekrutiert. Auf dem Rück-zug verwüsteten die deutschen Truppen später mit der Strategie der „verbrannten Erde“ ausgedehnte Landstriche.

Nach der Landung alliierter Truppen in der Normandie im Juni 1944 setzte auch in Westeuropa eine weitere Radikalisierung der deut-schen Kriegsführung ein, die sich in zahl reichen Massenverbrechen an Angehörigen der Widerstandsbewegungen und an der Zivil - be völkerung manifestierte.

Bilanz des Krieges

In Europa starben infolge des Zweiten Weltkrieges mehr als 50 Mil-lionen Menschen – 20 Millionen Soldaten und rund 30 Millionen Zivilistinnen und Zivilisten. Annähernd 6 Millionen Jüdinnen und Juden wurden in Gettos, Konzentrations- und Vernichtungslagern ermordet oder fielen den Massenerschießungen von SS-Einsatz-gruppen und Polizeibataillonen zum Opfer.

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1 Bei einer Straßenrazzia in Warschau festgenommene Männer vor ihrem Abtransport zur Zwangsarbeit. Die Aufnahme entstand heimlich, vermutlich im August 1940. Aus: Stanisław Kopf: Lata okupacji. Kronika fotograficzna walcza cej Warszawy, Warschau 1989, S. 174

2 Polnische Juden werden in Krakau in einen Deportations zug getrieben. Aufnahme von 1942 oder 1943.Quelle: United States Holocaust Memorial Museum, Washington, D.C., Bild 02160

1942/43 wurden in der „Aktion Reinhardt“ annähernd 2 Millionen Jüdinnen und Juden und etwa 50 000 Roma aus dem „Generalgouvernement“ in den drei 1942 errichteten Vernichtungslagern Bełżec, Sobibór und Treblinka vergast oder erschossen.

3 Der Eingang des ehemaligen Hauptlagers des KZ Auschwitz (Auschwitz I). Aufnahme vom März 1985. Foto: Ulf Engel. Quelle: Archiv der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, F 1986-7232

Am 27. April 1940 befahl der Reichsführer SS, Heinrich Himmler, im oberschlesischen Oświęcim (dt. Auschwitz) ein zentrales Konzentrationslager für polnische Häftlinge zu errichten. Bis Ende 1944 baute die SS den Lager komplex in Auschwitz aus und machte das Teil lager Auschwitz-Birkenau (Auschwitz II) zu einem Zentrum der Ermordung von Jüdinnen und Juden aus ganz Europa.

Polen unter deutscher Besatzung

Nach dem Überfall der Wehrmacht auf Polen am 1. September 1939 hörte der polnische Staat mit der Kapitulation der letzten polni-schen Truppen am 6. Oktober 1939 auf, zu existieren. Das Deutsche Reich gliederte die westpolnischen Gebiete in sein Staatsgebiet ein und schuf in Zentralpolen das unter deutsche Verwaltung gestellte „Generalgouvernement“, das als Arbeitskräftereservoir dienen sollte. Nahezu 3 Millionen polnische Männer, Frauen und Kinder wurden während des Zweiten Weltkrieges als Zwangsarbeitskräfte ausge-beutet. Die ostpolnischen Gebiete besetzte die Sowjet union gemäß einer Vereinbarung im Zusatzabkommen zum deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt vom 23. August 1939, bis sie nach dem Überfall auf die Sowjet union am 22. Juni 1941 unter deutsche Herrschaft kamen. Die polnische Staats führung floh ins Ausland, wo sie eine Exil regierung mit späterem Sitz in London bildete und den Aufbau einer polnischen Exilarmee vorantrieb. Die deutsche Besatzungs-politik verfolgte in den annektierten Teilen Polens mit der Ver-treibung aller Polinnen und Polen in das „Generalgouvernement“, der Ermordung der polnischen Intelligenz und der Ansiedlung Deutscher in diesen Gebieten das Ziel einer „Germanisierung“.

Während des Zweiten Weltkrieges starben durch national sozia-l istische Massenverbrechen 5,65 Millionen Polinnen und Polen, davon 3 Millionen polnische Jüdinnen und Juden.

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Einführung 11

Die Aufteilung Polens 1939. Gekennzeichnet sind die am 8. Oktober 1939 Deutschland angegliederten westpolnischen Territorien, das am 26. Oktober 1939 gebildete „General gouvernement“ und das von der Sowjetunion am 17. September 1939 besetzte Gebiet. Grafik: Julia Werner

Aufteilung Frankreichs nach dem Waffenstillstands-vertrag vom 22. Juni 1940. Grafik: Julia Werner

Das Elsass und Lothringen waren vom Deutschen Reich annektiert. Die beiden nördlichen Departements unter standen dem Militärbefehlshaber von Belgien und Nord- und Westfrankreich sowie die gesamte Küste einer deutschen Militärverwaltung. Die national- konservativ bis faschistisch geprägte französische Regierung unter Philippe Pétain residierte in dem Kur-ort Vichy in der zunächst unbesetzten Zone im Süden. Nach der Landung alliierter Truppen in Nordafrika im November 1942 besetzte die Wehrmacht bis auf ein von Italien kontrolliertes Gebiet im Südosten Frankreichs den gesamten Süden des Landes.

Karte zum Text auf der folgenden Seite

Berlin PosenWarschau

Krakau

Lublin

Brest-Litowsk

Estland

Rumänien

Sowjetunion

Litauen

Lettland

Wien

Tschechoslowakei

Ungarn

Prag

Slowakei

Danzig

angegliedertes westpolnisches Gebiet und Danzig

Grenze des Deutschen Reiches vom 23. März 1939

„General gouvernement“

von der Sowjetunion besetztes ostpolnisches Gebiet

Vom Deutschen Reich bis März 1939 annektierte Gebiete (Österreich, Teile der Tschechoslowakei)

Lille

Paris

Vichy

Marseille

Strasbourg

Dem

arka

tions

linie

besetzte Zone unter deutscher Militärverwaltung

nicht besetzte Zone (bis November 1942)

von Italien besetzte Zone (November 1942 bis September 1943)

Elsass und Lothringen (vom Deutschen Reich annektiert)

unter Verwaltung des Militärbefehlshabers von Belgien

von Italien 1940 besetzte Gebiete

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1 Warteschlange vor einem Lebensmittelgeschäft in Brüssel, nicht datiert. Foto: Joseph Roland, SADOCOLOR SPRL. Quelle: VG Bild-Kunst, Bonn 2014

Da die besetzten Länder einen Großteil ihrer Lebens-mittelproduktion an Deutschland abliefern mussten, litt die einheimische Bevölkerung unter Hunger. Nahrungsmittel waren rationiert, sodass sich ein reger Schwarzmarkthandel entwickelte.

2 „Wer leben will, muss kämpfen. Mit der Frauen-front zum germanischen Sieg“. Werbeplakat der Frauen organisation der „Vlaams-Duitse Arbeids gemeenschap“ (Flämisch-Deutsche Arbeits-gemeinschaft) – „DeVlag“, nicht datiert. Quelle: Collection Cegesoma, Brüssel, Bild 260616

Die „Vlaams-Duitse Arbeidsgemeenschap“ vertrat offen nationalsozialistische Ideen und kollaborierte mit der deutschen Besatzungsmacht in Belgien.

3 „Arbeit für alle durch Arbeit in Deutschland“. Werbe plakat in den Niederlanden für eine Arbeits-aufnahme in Deutschland, 1942. Quelle: Image Bank WW2 – NIOD, Bild 106047

Die Besatzungsbehörden warben intensiv um Arbeits-kräfte für den Einsatz in Deutschland. Dieses Plakat versprach „hohe Löhne“, „Kameradschaft“ und „gute Betreuung“. Als sich trotz der Anwerbebemühungen nicht genügend Freiwillige meldeten, wurde eine Arbeitspflicht eingeführt. Aus den Niederlanden kamen so ca. 500 000, aus Belgien ca. 400 000 und aus Frankreich ca. 1 000 000 zivile Zwangsarbeitskräfte nach Deutschland.

Am 10. Mai 1940 begann der „Westfeldzug“ der Wehrmacht. Bereits Ende des Monats waren die Niederlande, Belgien und Luxemburg besetzt, Frankreich schloss am 22. Juni 1940 einen Waffenstill-stand mit Deutschland. Die Niederlande wurden einer deutschen Zivilverwaltung, Belgien und der besetzte Teil Frankreichs einer Militärverwaltung unterstellt. Die unbesetzte Zone Frankreichs unterstand einer mit den Deutschen kollaborierenden Regierung unter Marschall Philippe Pétain mit Sitz in Vichy. Ein Großteil der Produktion von Industrie und Landwirtschaft wurde aus den besetzten Ländern nach Deutschland abgeführt, darüber hinaus mussten diese Länder die Kosten der Besatzung tragen. Der schleppenden Anwerbung von Arbeitskräften wurde 1942 mit der Einführung von Zwangs arbeitsdiensten begegnet. Die mit der deutschen Besatzungsmacht kollaborierenden Gruppen wurden von den Widerstands bewegungen ebenso wie die Besatzungs-macht bekämpft.

Die Niederlande, Belgien und Frankreich – die Anfänge der deutschen Besatzung

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Einführung 13

1 Festungsanlage Fort Breendonk, Belgien, 1945. Dort richtete die deutsche Sicherheitspolizei im September 1940 das „Auffanglager Breendonk“ ein.Quelle: Collection Cegesoma, Brüssel, Bild 28312

In den besetzten Ländern entstanden Sammellager, die Ausgangspunkte für die Deportationen in Gefängnisse sowie Konzentrations- und Vernichtungslager waren. Die bekanntesten dieser Lager waren Compiègne-Royallieu in Frankreich, Breendonk in Belgien und Amersfoort in den Niederlanden.

2 Erhängung von Widerstandskämpfern in der franzö-sischen Stadt Tulle, 9. Juni 1944. Von einer oder einem Unbekannten erstellte Zeichnung, als Vorlage diente eine Postkarte.Quelle: Collections du Pôle Musées de la Ville de Tulle, Fonds MRD, 1 PH 1921

Am 7. Juni 1944, einen Tag nach der Landung alliierter Truppen in der Normandie, griffen französische Wider standsgruppen die in Tulle im Departement Corrèze stationierten Wehrmachtsverbände an und erlangten zeitweilig die Kontrolle über die Stadt. Als die SS-Panzer- Division „Das Reich“ auf ihrem Weg an die Front in der Normandie am 8. Juni Tulle passierte, führten Soldaten dieses Verbandes dort eine Razzia durch und erhängten 99 Männer an Straßenlaternen und Bäumen im Ort. Weitere 149 Männer wurden in das KZ Dachau deportiert, nur 48 überlebten.

3 Schreiben des Amtes Ausland/Abwehr im Ober-kommando der Wehrmacht vom 2. Februar 1942 zum Führererlass vom 7. Dezember 1941, Betr.: Verfolgung von Straftaten gegen das Reich oder die Besatzungs-macht in den besetzten Gebieten. Auszug.Zitiert nach: Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof. Nürnberg, 14. November 1945–1. Oktober 1946, Bd. 37, Nürnberg 1949, fotomech. Nachdr., München 1989, S. 574–576 [dritter Teil des Dokuments 090-L], hier S. 575

Der Erlass vom 7. Dezember 1941 wird auch „Nacht-und-Nebel-Erlass“ genannt, eine Umschreibung für das spurlose Verschwindenlassen der Inhaftierten. Von diesen Deportationen nach Deutschland waren Gefangene betroffen, die nicht innerhalb weniger Tage nach ihrer Festnahme von einem Kriegsgericht der Besatzungsmacht zum Tode verurteilt werden konnten.

In den besetzten Ländern entstanden angesichts des brutalen Vorgehens der deutschen Besatzung gegen politische Gegnerin nen und Gegner und die jüdische Bevölkerung sowie der Einführung von Zwangs arbeitsdiensten Widerstands bewegungen. Die deutsche Sicherheitspolizei versuchte, den Widerstand mit Verhaftungen, Geisel er schießungen und Deportationen von Inhaftierten nach Deutschland zu ersticken. Im letzten Kriegsjahr, insbesondere nach der Landung alliierter Truppen am 6. Juni 1944 in der Normandie, unterstützten bewaffnete Widerstandsgruppen in den noch nicht befreiten Gebieten den Vormarsch der Alliierten. Wehrmacht, SS und Polizei reagierten mit Terror. Während Frankreich und Belgien im September 1944 weitgehend befreit waren, endete der Krieg für die Niederlande erst am 5. Mai 1945.

[…] sollen künftig die Beschuldigten heimlich nach Deutschland gebracht und die weitere Behandlung der Straf-sachen hier betrieben werden. Die abschreckende Wirkung dieser Massnahmen liegt a) in dem spurlosen Verschwindenlassen der Beschuldigten, b) darin, dass über ihren Verbleib und ihr Schicksal keinerlei Auskunft gegeben werden darf.

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Repressalien und Befreiungskampf in den Niederlanden, Belgien und Frankreich

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1 Bleistiftzeichnung „L’appel, Neuengamme, 8.9.44“ des französischen Häftlings Lazare Bertrand, 1944 oder 1945. Quelle: Musée de la Résistance et de la Déportation, Besançon, M0335_975.403.07

Die Zählappelle, die morgens und abends statt fanden, bedeuteten für die KZ-Häftlinge eine überaus große physische Anstrengung. Insbesondere abends ließ die SS die Häftlinge oft stundenlang auf dem Appellplatz stehen. Die abendliche Essensration wurde erst nach dem Appell ausgeteilt.

2 Das „Auffanglager“ Sandbostel bei Bremervörde am 1. Mai 1945, zwei Tage nach der Befreiung des Lagers. Aufnahme eines britischen Soldaten. Quelle: Imperial War Museum, London, BU 4910

Im KZ Bergen-Belsen sowie in den „Auffanglagern“ Sandbostel und Wöbbelin starben vor der Befreiung und in den darauffolgenden Wochen Tausende Häftlinge an Hunger, Erschöpfung und Krankheiten.

3 Oluf Bonné, Bericht, nicht datiert. Oluf Bonné aus Dänemark war von Oktober 1944 bis April 1945 u. a. in den Außenlagern des KZ Neuengamme Alt Garge, Hannover-Misburg und Hannover-Stöcken inhaftiert. Quelle: Archiv der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, HB 115

Von Dezember 1938 bis April 1945 bestand in Hamburg-Neuen-gamme ein Konzentrationslager. Bis zum Frühjahr 1940 wurde es noch als Außenlager des KZ Sachsenhausen bei Berlin geführt. Von den über 100 000 Häftlingen, die in das KZ Neuengamme und seine mehr als 85 Außenlager eingeliefert wurden, stammten 90 Prozent aus den von den deutschen Truppen besetzten Ländern Europas. Die KZ-Häftlinge mussten für private Firmen und SS-eigene Betriebe, für kommunale Verwaltungen, Reichsbahn und Wehr - macht Zwangsarbeit verrichten. Unmenschliche Arbeits bedingungen, Unter ernährung, mangelnde medizinische Ver sorgung, Exekutionen und weitere gezielte Mordaktionen forderten Tausende Opfer unter ihnen. Im Frühjahr 1945 wurden zunächst die Außenlager, dann auch das Hauptlager in Neuengamme geräumt. Die Häftlinge kamen mit Bahntransporten oder auf Fußmärschen in andere Lager wie das KZ Bergen-Belsen und die „Auffanglager“ Wöbbelin und Sandbostel. Mehr als 9000 Häftlinge wurden Ende April auf drei in der Lübecker Bucht liegenden Schiffen zusammengepfercht. Bei einem irrtüm-lichen Angriff der britischen Luftwaffe auf diese Schiffe kamen am 3. Mai 1945 noch 6600 Häftlinge ums Leben. Mindestens 42 900 Häft-linge des KZ Neuengamme haben die KZ-Haft nicht überlebt.

Das KZ Neuengamme – Arbeit, Gewalt, Vernichtung

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Die hygienischen Verhältnisse kann man sehr schwer beschreiben […]. Aber nimmt man eine kräftige Phantasie zur Hilfe, könnte man es sich vielleicht vorstellen, wie es in so einem Lager war, beherrscht von Magen- und Darmkrankheiten, wenn das Wasser in Rohren gefroren ist und die Latrinen überfüllt sind und Sitze und Fußboden überflossen sind mit Menschenkot.

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15Einführung

FRANKREICH

DÄNEMARK dänischePolizisten

ITALIEN*

SPANIEN

BELGIEN

LUXEM-BURG

NORWEGEN

KZ Neuengamme

UNGARN**

TSCHECHOSLOWAKEI

ÖSTERREICH

POLEN

LETTLAND

JUGOSLAWIEN

GRIECHENLAND

SOWJETUNION(ohne baltische Staaten)

sowjetischeKriegsgefangene

NIEDERLANDE

2400 2000

2506600

2800

1200

50

2501000

58001400

20

270013000

200021000

4008800

ca. 1500Polizei-

häftlinge

65011000 100

1100

1003200

800 800

150 3500

300

750

* Unter den Häftlingen aus Italien waren viele Gefangene aus den italienisch besetzten Gebieten Jugoslawiens.** Unter den Häftlingen aus Ungarn waren viele Angehörige ethnischer Minderheiten, vor allem slowakische und rumänische Jüdinnen und Juden.

ca. 1400 undverschiedener Nationalität,zur Hinrichtung eingeliefert

300Ferner

und 2100aus Albanien, Estland,Litauen und mehr alszehn weiteren Staaten

Karte: Europa in den Grenzen von 1937

Die Herkunft der Häftlinge des KZ Neuengamme.Grafik: Michael Teßmer, graphische werkstätten feldstraße, Hamburg, und Claudia Leschik, LEschik design, Hamburg, nach Angaben der KZ-Gedenkstätte Neuengamme

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MURATFrankreich

Das Stadtzentrum von Murat mit Blick auf den Basaltberg Rocher de Bonnevie auf einer Postkarte, vor 1940.Quelle: ADIF du Cantal, Murat

Eines der bei der Razzia am 24. Juni 1944 zerstörten Häuser im Stadtzentrum von Murat.Foto: André Lacueille, Murat. Quelle: ADIF du Cantal, Murat

Das Stadtzentrum von Murat und der Basaltberg Rocher de Bonnevie, Juni 2014.Foto: Katharina Hertz-Eichenrode, Hamburg. Quelle: Archiv der KZ-Gedenkstätte Neuen-gamme, F 2014-280

Die Kleinstadt Murat liegt im Departement Cantal in der zentral -französischen Region Auvergne. 1944 lebten in der Stadt etwa 2400 Menschen, deren Haupteinnahmequellen die Tierhaltung und der Käsehandel waren. Bis zum Sommer 1944 spürte die Bevölkerung nur wenig von Kriegs handlungen und deutscher Besatzungsherr-schaft. Einzelne Einwohnerinnen und Einwohner unterstützten den lokalen Widerstand mit Lebens mitteln und Informationen. 1943 bildeten sich in Murat zwei kleine bewaffnete Widerstandsgruppen. Drei Lehrerinnen der Mädchen schule organisierten Hilfe für unter-getauchte jüdische Familien. Im Juni 1944 wurden als Reaktion auf den Angriff auf eine deutsche Polizeieinheit mehr als 100 Frauen und Männer in deutsche Konzentrationslager deportiert. Heute hat Murat etwa 2000 Einwohnerinnen und Einwohner, die vor allem von der Landwirtschaft und vom Tourismus leben.

17Frankreich MURAT

1 Postkarte mit dem Motiv des Bahnhofs von Le Lioran, vor 1940. Quelle: Notrefamille.com S.A., Paris

Eisenbahnstrecken waren häufig Ziel von Sabotage-akten des französischen Widerstands. Am 4. Mai 1944 griff eine dreiköpfige Widerstandsgruppe 12 Kilo meter südwestlich von Murat einen deutschen Militär zug an, der Waffen transportierte. Nahe dem Bahnhof von Le Lioran brachte die Gruppe die Waggons durch eine Sprengladung zum Entgleisen. Am 7. Juni 1944 sprengte eine Widerstandsgruppe auf derselben Strecke eben-falls in der Nähe des Bahnhofs von Le Lioran einen Eisenbahnviadukt. In der Folge blieb der Zugverkehr für drei Monate unterbrochen.

2 Mahnmal in Ruynes-en-Margeride, Juli 2014. Foto: Roger Cassagne, Aurillac. Quelle: ADIF du Cantal, Murat

Ab Mai 1944 sammelten sich in den Wäldern des Mont Mouchet, 50 Kilometer östlich von Murat, mehrere Hundert Widerstandskämpfer zum Kampf gegen die deutschen Besatzungstruppen. Am 10. Juni 1944 griffen deutsche Verbände die Stellungen der Widerstands-kämpfer an, die sich daraufhin zurückziehen mussten. In den Dörfern Ruynes-en-Margeride und Clavières töteten die Angehörigen der deutschen Verbände auf ihrem Vormarsch zum Mont Mouchet insgesamt 36 Zivilistinnen und Zivilisten, plünderten die Ort-schaften und zerstörten mehrere Häuser. Das Mahnmal in Ruynes-en-Margeride thematisiert die Situation nach dem Massaker in dem Ort, als die Frauen die Leichen ihrer ermordeten Männer und Söhne forttragen mussten.

3 Erlass von Generalfeldmarschall Hugo Sperrle vom 3. Februar 1944. Auszug. Zitiert nach: Ludwig Nestler (Hg.): Europa unterm Haken-kreuz. Die faschistische Okkupationspolitik in Frankreich. Bd. 3, Berlin 1990, S. 299

Die deutschen Besatzer bezeichneten Widerstands-kämpferinnen und Widerstandskämpfer als „Terroristen“, um die Aktionen des Widerstands als unrechtmäßige Handlungen darzustellen.

Widerstand und Repressalien 1943/44

Im Laufe des Jahres 1943 steigerte der französische Widerstand seine Aktivitäten und intensivierte insbesondere militärische Aktionen. Die Angriffe richteten sich vor allem gegen Ver sorgungs wege, Kommunikationsverbindungen, Fahrzeuge und Stützpunkte der deutschen Besatzungsmacht. Diese reagierte mit verstärktem Terror durch Verhaftungen, Deportationen, Geiselerschießungen und das Niederbrennen der Wohnhäuser von Verdächtigen – Maßnahmen, die oft die unbeteiligte Zivilbevölkerung trafen. Unterstützt wurden die deutschen Besatzer von der kollaborierenden französischen Regierung in Vichy. Der französische Widerstand bildete immer mehr militärische Formationen, die mit erbeuteten sowie von der britischen Luftwaffe abgeworfenen Waffen ausgerüstet waren. Im Frühjahr und Sommer 1944 ging die deutsche Besatzungsmacht mit groß ange legten Operationen im Süden und Südosten Frankreichs gegen die Zentren des französischen Widerstands im Jura, in den Savoyen und im Zentralmassiv vor. Nachdem alliierte Truppen am 6. Juni 1944 in der Normandie gelandet waren, kam es in Südfrank-reich vielerorts zu offenen Kampfhandlungen zwischen deutschen Verbänden und Einheiten des Widerstands. In mehreren Orten verübten deutsche Einheiten Massaker an der Zivilbevölkerung.

Es wird sofort wiedergeschossen! Wenn dabei Unschuldige mitgetroffen werden, so ist das bedauerlich, aber ausschließlich Schuld der Terroristen.

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Le Lioran

Murat

Saint-Flour

Clavières

Montpellier (260 km)

Mont Mouchet

Paris (520 km)

Clermont-Ferrand (100 km)

Ruynes-en-Margeride

1 Das Departement Cantal.Grafik: Julia Werner

2 Gedenkstein an der Côte de Pignou zwischen Saint-Flour und Murat, Juni 2014.Foto: Katharina Hertz-Eichenrode, Hamburg. Quelle: Archiv der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, F 2014-282

Allein im Departement Cantal erinnern 120 Mahnmale an die von der deutschen Besatzungsmacht und der mit ihr verbündeten Vichy-Regierung getöteten Widerstandskämpferinnen und Widerstandskämpfer und an die erschossenen Geiseln. An der Côte de Pignou erschossen Einheiten der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes aus Vichy unter Befehl von SS-Hauptsturmführer Hugo Geissler am 12. Juni 1944 vier Geiseln.

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19Frankreich MURAT

Am 10. Juni 1944 kam der Kommandeur der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes in Vichy, SS-Hauptsturmführer Hugo Geissler, mit einer deutschen Polizeieinheit sowie An gehörigen der Milice Française (Französische Miliz) in das Departement Cantal, um dort Widerstandskämpferinnen und Widerstandskämpfer und Verdächtige zu verhaften. Am Morgen des 12. Juni traf Geissler mit den Polizeikräften und den Milizionären in Murat ein. Sie nahmen Verhaftungen vor und begannen mit Verhören. Hiervon erhielt eine Widerstandsgruppe, die sich in der Nähe aufhielt, Kenntnis. Sie begab sich nach Murat und beschoss deutsche Polizeiangehörige und Milizionäre, die sich vor dem Rathaus aufhielten. Als Geissler aus dem Rathaus trat, wurde er tödlich getroffen. Insgesamt starben elf Deutsche und sechs Franzosen. Nach einem mehrstündigen Feuergefecht konnten die Widerstandskämpfer unerkannt entkom-men, die überlebenden Deutschen und Milizionäre zogen sich mit 13 in Murat Verhafteten in die 25 Kilometer entfernte Stadt Saint-Flour zurück. Als unmittelbare Reaktion auf den Angriff wurden am 14. Juni in Soubizergues außerhalb von Saint-Flour 25 Geiseln erschossen, unter ihnen drei Männer aus Murat.

12. Juni 1944: Der Angriff auf die deutsche Polizeieinheit

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1 KZ-Überlebende aus Murat, Juni 1946. Quelle: ADIF du Cantal, Murat

Marie-Constance Saunières (links) und Paule-Marie Espalieu (rechts) unterstützten ihre Ehemänner, Marcel Saunières und Paul Espalieu, die im Widerstand in der Region Murat aktiv waren. Um einer drohenden Ver-haftung zu entgehen, verließen beide Männer im Mai 1944 Murat und schlossen sich dem Maquis (versteckt lebenden Widerstandsgruppen) an. Marie-Constance Saunières und Paule-Marie Espalieu wurden am 12. Juni 1944 anstelle ihrer Ehemänner verhaftet; sie waren die einzigen verhafteten Frauen. Beide über lebten die Deportation in das KZ Ravensbrück.

2 Blick auf das Rathaus von Murat, Juni 2014.Foto: Katharina Hertz-Eichenrode, Hamburg. Quelle: Archiv der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, F 2014-286

Von dieser Position aus haben die Widerstandskämpfer auf die deutschen Polizeiangehörigen und die franzö-sischen Milizionäre geschossen. Hugo Geissler war aus der roten Tür im linken Flügel des Rathauses getreten und tödlich getroffen worden.

3 SS-Hauptsturmführer Hugo Geissler in Clermont-Ferrand, nicht datiert. Aus: Eugène Martres: Les archives parlent: Auvergne-Bourbonnais, 1940–1945, Romagnat 2004, S. 22

Hugo Geissler, geboren am 25. Februar 1908 in Straßburg, trat 1933 in die SA ein. Zunächst als SA-Hilfspolizist eingesetzt, wurde er 1934 in den regulären Polizeidienst übernommen. Geissler war in Dresden bei der Gestapo tätig. 1939 erfolgte seine Ernennung zum Kriminalkommissar. Im Sommer 1940 wurde Geissler nach Frankreich versetzt. Dort erhielt er im November 1942 die Funktion des Kommandeurs der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes in Vichy. Seine Aufgabe war die Verfolgung des Widerstands, die Verhaftung der jüdischen Bevölkerung und das Aufspüren von vor 1939 nach Frankreich geflohenen deutschen Staatsangehörigen im Departement Cantal sowie in drei benachbarten Departements.

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21Frankreich MURAT

1 Artikel in der Zeitschrift „Die Wehrmacht“, 8. Jg., Nr. 16, 2. August 1944. Quelle: Bundesarchiv, BA-MA RWD1-10

Der Artikel schildert die Razzia am 24. Juni 1944 in Murat aus deutscher Sicht, allerdings ohne den Namen der Stadt zu nennen. Die Fotos stammen von einem Fotografen einer SS-Propagandakompanie. Pierre Robert, ein aus Murat stammender französischer Kriegsgefangener, entdeckte die Zeitung zu fällig am Ort seiner Gefangenschaft in Deutschland. Er erkannte in dem Artikel seine Heimatstadt und nahm ihn an sich.

2 Das zerstörte Haus der Familie Delpirou in Murat, 1944. Foto: André Lacueille, Murat. Quelle: ADIF du Cantal, Murat

Jean Delpirou befehligte in Murat eine kleine bewaff-nete Gruppe der Organisation M.U.R. (Mouvements réunis de la Résistance – Vereinigte Gruppen des Widerstands), die in der Region Sabotageakte verübte und von der britischen Luftwaffe per Fallschirm abge -worfene Waffen versteckte. Im Mai 1944 musste er unter tauchen, um einer Verhaftung zu entgehen. Das Haus in Murat, in dem er mit seiner Familie lebte, wurde am 24. Juni 1944 in Brand gesetzt und vollständig zer-stört. Jean Delpirou kämpfte in den Reihen des Wider-stands bis zur Befreiung der Auvergne im August 1944.

3 Gedenktafel im Rathaus von Murat, Februar 2011. Foto: Katharina Hertz-Eichenrode, Hamburg. Quelle: Archiv der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, F 2014-281

Die Tafel erinnert an die am 12. Juni 1944 verhafteten Rathausangestellten Louis und Robert Meyniel und die am 24. Juni 1944 verhafteten Mitglieder des Stadtrats Raoul Goursseau und Georges Parret. Die vier Männer wurden in das KZ Neuengamme deportiert; keiner von ihnen überlebte die Deportation.

4 Der Apotheker Henri Joannon aus Murat über die Razzia am 24. Juni 1944. Aus: Henri Joannon: Remember! (Souviens-toi), Aurillac 1988 [Neuauflage der Erstausgabe von 1947], S. 19, 22. Übersetzung: Katharina Hertz-Eichenrode

24. Juni 1944: Die Razzia in Murat

Am Morgen des 24. Juni 1944, zwölf Tage nach dem Angriff der Widerstandskämpfer, bei dem Hugo Geissler starb, marschierte eine Wehrmachtseinheit unter dem Befehl des Rittmeisters Ernst Coelle in Murat ein. Die Bevölkerung in Murat hatte zu diesem Zeitpunkt nicht mehr mit weiteren Repressalien gerechnet. Die Einheit riegelte die Stadt ab. Den Männern in Murat wurde befohlen, sich im Rat-haus ein zu finden. Zehn Häuser, von denen vermutet wurde, dass in ihnen Widerstandskämpfer lebten, setzten die Soldaten in Brand. Nachdem diejenigen Männer, die älter als 50 Jahre waren oder nicht aus Murat stammten und sich nur zufällig in der Stadt aufhielten, freigelassen worden waren, ließ Coelle am Abend des 24. Juni 119 Männer in das Wehrmachts gefängnis nach Clermont-Ferrand bringen. Am 6. Juli erfolgte ihre Über stellung in das nördlich von Paris gelegene Durchgangslager Compiègne. Mit einem Transport von über 1500 französischen Männern, der Compiègne am 15. Juli 1944 verließ, kamen 103 Männer aus Murat am 18. Juli in das KZ Neu-engamme, 4 weitere, die bereits am 12. Juni verhaftet worden waren, folgten ihnen am 31. Juli. Nur 34 dieser 107 Männer überlebten.

Wir bekommen mit, dass die Deutschen Männer fest nehmen. Jetzt muss man vorbereitet sein, möglichst versuchen, zu entkommen. Was ich vergeblich versuche, als [die Deutschen] zu mir kommen. […] „Eine reine Formalität. Sie gehen hinunter zum Rathaus, wir kontrollieren Ihre Papiere und Sie können wieder gehen.“ […] Gegen zwei Uhr nachmittags werden die Männer, die älter als 50 Jahre sind, aufgerufen. Wird jetzt die Ausweiskontrolle beginnen? Aber nein, nur wenig später müssen wir, ordentlich in Fünfer reihen aufgestellt, das Rathaus verlassen , begleitet von unseren mit Maschinenpistolen bewaffneten Bewachern.

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1 Henri Joannon (mit Redemanuskript) mit Kindern von Männern aus Murat, die in das KZ Neuengamme deportiert worden waren, an der Grabstätte von KZ-Häftlingen auf dem Friedhof Osterholz in Bremen, 1954. Quelle: ADIF du Cantal, Murat

Henri Joannon leistete in den Jahren nach dem Krieg unermüdlich Erinnerungsarbeit. Er organisierte mehrere Gedenkreisen mit Witwen, Kindern und weiteren Angehörigen der Opfer aus Murat an die Orte der Lager in Deutschland. Während viele Überlebende in ihren Familien und im Bekanntenkreis nicht über ihre Erlebnisse sprachen, war Henri Joannon bereit, seine Erinnerungen weiterzugeben und sich den Fragen der Angehörigen zu stellten.

2 Titelblatt der 1947 veröffentlichten Erinnerungen von Henri Joannon.Aus: Henri Joannon: Remember! (Souviens-toi), Aurillac 1988 [Neuauflage der Erstausgabe von 1947], o. S.

3 Henri Joannon berichtet über das KZ Neuengamme. Aus: Henri Joannon: Remember! (Souviens-toi), Aurillac 1988 [Neuauflage der Erstausgabe von 1947], S. 99. Übersetzung: Katharina Hertz-Eichenrode

In seinen Erinnerungen legte Henri Joannon Zeugnis über die eigene Ver folgung ab und vermittelte seine Eindrücke über den Charakter und die Funktions weise eines deutschen Konzentrationslagers. Soweit ihm dies aus eigener Anschauung möglich war, schilderte er in seinem Bericht nicht zuletzt für die Hinterbliebenen das Schicksal der Männer aus Murat.

Henri Joannon – der Chronist

Der Apotheker Henri Joannon, ein gläubiger Katholik, geboren am 17. April 1901 in Montmarault im Departement Allier, wurde wegen kritischer Äußerungen über die französische Vichy-Regierung und seiner Hilfe für geflüchtete Jüdinnen und Juden und verletzte Widerstandskämpfer von der französischen Miliz und der deutschen Polizei beobachtet. Er gehörte zu den am 24. Juni 1944 in Murat Verhafteten. Als Häftling des KZ Neuengamme musste er zunächst in einem Kommando in Hamburg Trümmer räumen und Bomben-blindgänger freilegen. Später wurde er in das Außenlager Bremen-Farge zur Baustelle des U-Boot-Bunkers „Valentin“ überstellt. Wegen einer Verletzung erfolgte im November 1944 seine Rückverlegung in das Krankenrevier im Hauptlager Neuengamme. Im Zuge der Räumung des KZ Neuengamme kam er im April 1945 mit einem Transport in das „Auffanglager“ Sandbostel bei Bremervörde. Dort wurde er am 29. April 1945 von britischen Truppen befreit.

Nach seiner Rückkehr nach Frankreich gehörte Henri Joannon 1946 der ersten Verfassunggebenden Versammlung der Vierten Republik (Nationalversammlung) an. In Murat nahm er seine Tätigkeit als Apotheker wieder auf. Henri Joannon setzte sich für die Belange der Familien der Deportierten ein und gründete bereits 1945 die Asso-ciation des Déportés, Internés et Familles du Cantal – ADIF (Vereini-gung der Deportierten, Internierten und Familien im Departement Cantal), deren Vorsitzender er bis zu seinem Tod war. Henri Joannon starb am 10. März 1985 in Saint-Flour.

Der Winter kündigte sich an, die Tage in Neuengamme waren in schreckli-cher Monotonie vergangen. Arbeit zunächst im Schlamm, jetzt im Schnee, oft gingen wir barfuß, um unsere Sandalen nicht zu verlieren. […] Trennungen, die mit Trauer einher gingen, denn von vielen wussten wir, dass sie gestorben waren. Pounhet, Joseph Servet, Mercier, Roux, Vernet und viele mehr. […] Die Nach-richten aus den Außenlagern, vor allem aus [Bremen-]Farge, waren meistens schlecht. Wir erfuhren vom Tod von Marcel Gignioux, Delbos, Marcel Rancilhac.

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23Frankreich MURAT

1 Raymond Portefaix, geboren am 14. Juni 1926 in Lunel im Departement Hérault, kurz nach seiner Rückkehr nach Frankreich im Juni 1945.Quelle: Donat-Verlag, Bremen

2 Artikel in der Regionalzeitung „La Margeride“ vom 19. April 1946 mit dem ersten Teil des Berichtes von Raymond Portefaix über seine Deportation und die KZ-Haft.Quelle: ADIF du Cantal, Murat

Raymond Portefaix sah sich nach seiner Rückkehr mit den Fragen vieler Angehöriger aus Murat konfrontiert, die erfahren wollten, was mit den deportierten Männern geschehen war. Da es ihm schwerfiel, immer wieder über seine Erlebnisse zu sprechen, schrieb er auf den Rat seiner Mutter seine Eindrücke auf. Seine Aufzeichnungen wurden zunächst in verschiedenen Regional zeitungen und 1947 schließlich unter dem Titel „L’Enfer que Dante n’avait pas prévu“ (Die Hölle, die Dante nicht vorhergesehen hatte) als Buch veröffentlicht.

3 Ansprache von Raymond Portefaix bei der Gedenk-veranstaltung am 26. Juni 1994 zum 50. Jahrestag der Razzia in Murat. Auszüge. Redemanuskript, Juni 1994, S. 2. Quelle: ADIF du Cantal, Murat. Übersetzung: Katharina Hertz-Eichenrode

Raymond Portefaix: „Ich hatte drei Leben.“

Zehn Tage nach seinem 18. Geburtstag und nach gerade be stan-denem Abitur wurde Raymond Portefaix am 24. Juni 1944 in Murat verhaftet. Vom KZ Neuengamme aus kam er in das Außenlager Bremen-Farge zur Baustelle des U-Boot-Bunkers „Valentin“. Die harte körperliche Arbeit bedeutete eine überaus große Anstrengung für den Jugendlichen. Einige Zeit verbrachte er im Krankenrevier des Außenlagers. Anschließend gelang es ihm, Kommandos mit leichteren Arbeitsbedingungen zugeteilt zu werden. Die Nähe zu den anderen Männern aus Murat war für ihn eine wichtige Stütze. Doch musste er auch unmittelbar miterleben, wie viele von ihnen starben.

Im Zuge der Räumung des Außenlagers Bremen-Farge kam Raymond Portefaix Anfang April 1945 in das „Auffang lager“ Sand-bostel bei Bremervörde. Dort wurde er am 29. April von britischen Truppen befreit. Am 4. Juni 1945 kehrte er zu seiner Familie, die mittlerweile aus Murat weggezogen war, zurück. Er studierte Jura und Philosophie und war bis 1989 als Rechtsanwalt in Paris tätig. Raymond Portefaix starb am 12. November 1995 in Paris.

So gesehen hatte ich drei Leben:• Das des kleinen Jungen und des Heranwachsenden, für den

Murat bis zum Alter von 18 Jahren das einzig reale Lebens-umfeld war.

• Dann, während elf Monaten, mein Leben im Konzentrations-lager, […]. Wir existierten nicht mehr als französische Bürger, stattdessen war uns bei der Ankunft in Neuengamme eine Häftlingsnummer zugeteilt worden; ich war nur noch die Nummer F 37174. […]

• Mein drittes Leben begann am 4. Juni 1945 nach der Rückkehr zu meiner Familie.

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1 Gérard Chastel (links) mit seinem Neffen und seinem Vater Jean Chastel, 1965. Quelle: Privatbesitz Gérard Chastel

2 Gérard Chastel, Sohn von Jean Chastel, der die Deportation überlebt hat. Gérard Chastel wurde 1947 geboren. Videointerview, Juni 2012. Quelle: Archiv der KZ-Gedenk-stätte Neuengamme, Ng. 2.6.1.6. Übersetzung: Katharina Hertz-Eichenrode

3 Jeannine C., Tochter von Pierre Avril, der am 30. Januar 1945 im Außenlager des KZ Neuengamme Bremen-Blumenthal starb. Sie war neun Jahre alt, als ihr Vater verhaftet wurde. Videointerview, Juni 2012. Quelle: Archiv der KZ-Gedenk-stätte Neuengamme, Ng. 2.6.1.6. Übersetzung: Katharina Hertz-Eichenrode

4 Jeannine C. und ihr Bruder Maurice am Mahnmal in Bremen-Blumenthal, Juni 2012. Foto: Katharina Hertz-Eichenrode, Hamburg. Quelle: Archiv der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, F 2014-296

Es war der erste Besuch der Geschwister an dem Ort, an dem ihr Vater Pierre Avril starb. Eine der auf dem Mahnmal angebrachten Namenstafeln erinnert an Pierre Avril.

Die Kinder von Murat

Von den Verhaftungen waren in Murat 91 Familien mit über 130 Kindern betroffen – Ehemänner, Väter, Söhne, Brüder, Cousins, Schwager wurden brutal aus den Familien gerissen. Der Weg der Verhafteten ließ sich für die Angehörigen nur bis in das französische Durchgangslager in Compiègne verfolgen, dann verlor sich ihre Spur. Bis Kriegsende gelangte keine Nachricht über das Schicksal der Deportierten nach Murat. Erst als im Mai und Juni 1945 erste Briefe von befreiten KZ-Häftlingen eintrafen und schließlich die ersten Überlebenden nach Murat zurückkehrten, wurde die Tragödie in ihrem ganzen Ausmaß deutlich. Manche hofften trotz-dem noch jahrelang auf die Rückkehr ihrer verschleppten Ange-hörigen. Kinder wuchsen ohne Väter auf und Ehefrauen mussten allein für den Lebensunterhalt sorgen; einige übernahmen die Geschäfte ihrer Ehemänner. Die schmerzhaften Erinnerungen der betroffenen Familien und Freunde der Opfer an die Geschehnisse in Murat und an den furchtbaren Verlust naher Angehöriger wirkten und wirken in den folgenden Generationen fort.

Mein Vater sprach nie mit mir darüber. Selten, sehr selten stellten wir Fragen, und er antwortete „ja“, „nein“, „es war so oder so“ – und dann wechselte er das Thema. Wir haben sehr viel mehr durch Herrn Joannon erfahren […] als durch unseren Vater. […] Die Überlebenden sprachen viel untereinander, aber wir, wir mussten ihnen die Wörter aus der Nase ziehen. […] [Mein Vater] war wie blockiert. Ich weiß nicht, vielleicht schämte er sich, aber er wollte nicht erzählen, was sie erlebt hatten. […] in einem solchen Fall stellt man nicht mehr viele Fragen. Das ist sicherlich schade, aber …

Das Familienleben hat sich völlig verändert. Mein Vater hatte eine gute Stellung, er arbeitete bei EDF – Gaz de France [französische Elektrizitäts- und Gasgesellschaft], und meine Mutter war nur für uns drei Kinder da, sie zog uns auf. Aber das hat sich alles geändert; sie musste arbeiten gehen, putzen. Und danach – sie hat sich nicht so um uns kümmern können, wie [zu der Zeit], als mein Vater noch da war. Wir mussten uns durch-schlagen. Meine Mutter ist vor Kummer gestorben. […] Sie ist 1959 gestorben. Sie ist aus Kummer gestorben. Ich habe meine Mutter immer nur schwarz gekleidet gesehen.

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25Frankreich MURAT

Verantwortliche und Täter

Das an der Bevölkerung von Murat verübte Verbrechen war eine von vielen Gräueltaten im Sommer 1944 in Südfrankreich. Nach Kriegs-ende ermittelte die französische Militärjustiz vor allem gegen die an Exekutionen von Widerstandskämpferinnen und Widerstandskämp-fern und an der Ermordung von Zivilpersonen beteiligten Franzosen und Deutschen. Wegen der Razzia in Murat und der Deportation der Männer in das KZ Neuengamme sowie von zwei Frauen in das KZ Ravensbrück wurde jedoch nie Anklage erhoben. Tatbeteiligte wurden zwar verurteilt, nicht aber wegen der von ihnen in Murat begangenen Verbrechen.

Joany Batissier

Joany (oder Jany) Batissier wurde am 24. Mai 1909 in Moulins im Departement Allier geboren. In den 1940er-Jahren lebte er in Vichy. Seit 1941 waren der ehemalige Polizist Batissier und der Kommandeur der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes in Vichy, Hugo Geissler, miteinander bekannt. Im Januar 1944 ernannte Geissler Batissier zum Chef einer 22-köpfigen französischen Hilfstruppe der Sicherheitspolizei. Joany Batissier war bei den Razzien und Verhaftungen in Saint-Flour am 10. Juni und in Murat am 12. Juni 1944 beteiligt. Als Kollaborateur der deutschen Polizei wurde Joany Batissier nach dem Krieg verhaftet und in Moulins unter dem Vorwurf „Feindspionage, Diebstahl, Mord, Beihilfe zum Mord, willkürliche Verhaftung und Freiheitsberaubung, Brandstiftung“ vor Gericht gestellt. Am 18. April 1946 wurde er zum Tode verurteilt und am 18. Juli 1946 in Nevers hingerichtet .

1 Cyrille Walter, Foto aus der Polizeiakte, Straßburg, 29. Mai 1948. Quelle: Archives départementales du Puy-de-Dôme, Clermont-Ferrand, 908 W 426

Cyrille Walter, geboren am 2. Januar 1907 in Wertheim am Main, ging 1932 nach Frankreich, wo er ein Farb-stoff­labor betrieb. Nach eigenen Aussagen wurde er 1943 von der in Frankreich eingesetzten deutschen Polizei als Mitarbeiter rekrutiert. 1944 bespitzelte er die Bevölkerung in der Auvergne, auch in Murat. Zwei der am 24. Juni in Murat verhafteten Männer sagten 1948 aus, dass Walter die Gefangenen bei den Verhören in Clermont-Ferrand misshandelt habe. Walter wurde 1950 von einem Militärgericht in Lyon zum Tode verurteilt, ebenso sieben weitere Angeklagte. In zwei Berufungs-verfahren wurden sämtliche Todesurteile aufgehoben und Walters Strafe in Zwangsarbeit umgewandelt.

2 Zeugenaussage von Antoine Sauret aus Murat am 5. Juni 1946 in Clermont-Ferrand.Quelle: Archives départementales du Puy-de-Dôme, Clermont-Ferrand, 908 W 426. Übersetzung: Katharina Hertz-Eichenrode

Antoine Sauret gehörte zu der Gruppe der am 24. Juni 1944 in Murat verhafteten Männer und wurde in das KZ Neuengamme deportiert. Während ihrer Inhaftierung im deutschen Militärgefängnis in Clermont-Ferrand wurden einige der Männer, unter ihnen Antoine Sauret, von Cyrille Walter verhört.

Ernst Coelle

Ernst Coelle, geboren am 4. Mai 1898 in Dreilinden, Provinz Posen, gestorben am 19. November 1990 in Südafrika. Vermutlich ab 1943 kommandierte Coelle im Rang eines Rittmeisters eine Einheit der sogenannten „Ostlegionen“ in Frankreich. Diese aus Soldaten gleicher ethnischer Herkunft gebildeten Verbände rekrutierten sich aus ehemaligen Angehörigen der Roten Armee. Coelles Einheit aus Wolgatataren war im Juni 1944 an der Niederschlagung des französischen Widerstands am Mont Mouchet beteiligt. Unter dem Befehl Coelles fand auch die Razzia in Murat am 24. Juni 1944 statt. Im August 1944 geriet er in französische Kriegsgefangenschaft. Ein französisches Militärgericht ermittelte gegen ihn wegen Kriegsverbrechen, u. a. wegen Beteiligung an der Ermordung von 36 Zivilis-tinnen und Zivilisten in Ruynes-en-Margeride und Clavières. Er behauptete, in Murat alles getan zu haben, um Schlimmeres – das Niederbrennen der gesamten Stadt – zu verhindern. Ende 1947 oder Anfang 1948 kehrte Coelle nach Deutschland zurück.

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Nachdem er mich in sein Büro gebracht hatte, wo sich ein weiterer Deutscher befand, begann Walter mit dem Verhör. Er wollte unbedingt, dass ich zugab, einer der kommunistischen Anführer in Murat zu sein, und er wollte Informationen über die Résistance. Als ich trotz seiner Beschimpfungen und Drohungen darauf bestand, nichts zu wissen, befahl Walter mir, mich aus-zuziehen. Als ich vollständig nackt war, ließ er mich bäuchlings auf eine Bank legen. Er nahm einen Stock und begann, wie wild auf meinen ganzen Körper einzuschlagen, dabei fuhr er mit der Befragung fort.

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1 Monument Départemental de la Déportation in Murat, Juni 2014.Foto: Katharina Hertz-Eichenrode, Hamburg. Quelle: Archiv der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, F 2014-299

Am 14. November 1948 wurde auf dem zentralen Platz in Murat das Monument Départemental de la Déportation eingeweiht, das Mahnmal zur Erinnerung an alle Deportierten aus dem Departement Cantal. Vor dem Mahnmal wurde eine Urne mit Erde aus dem ehemaligen KZ Neuengamme in den Boden gesenkt. Jeweils am letzten Sonntag im April, dem französischen Gedenktag für die Deportierten, und zum Jahrestag der Razzia am 24. Juni finden an dem Mahnmal Gedenkver-anstaltungen statt.

2 Übergabe des Croix de Guerre an die Stadt Murat, 24. Juni 1951. Quelle: ADIF du Cantal, Murat

Am 24. Juni 1951, dem 7. Jahrestag der Razzia, wurde die Stadt Murat mit dem Croix de Guerre 1939–1945 geehrt. Kinder von Deportierten nahmen die Medaille entgegen. Diese Ehrung erfuhren mehr als 1500 von Krieg und Besatzung besonders betroffene Orte in Frankreich.

3 Charles de Gaulle in Murat, 1. Juli 1945.Quelle: ADIF du Cantal, Murat

Anfang Juli 1945 besuchte der Präsident der französischen Übergangsregierung, Charles de Gaulle, die Auvergne. Am 1. Juli würdigte er in Murat das Schicksal der Stadt und sprach den Witwen der ums Leben gekommenen Deportierten sein Beileid aus. Nur wenige Tage zuvor, am 24. Juni, hatte die Bevölkerung von Murat des ersten Jahrestags der Razzia und der Deportation gedacht.

Murat – Erinnerung und Gedenken

Die Erinnerung an die Razzia vom 24. Juni 1944 und an die Deporta-tion der Männer aus Murat lebt in den einzelnen Familien weiter, ist aber auch Bestandteil der kollektiven Erinnerung der Gemeinschaft der betroffenen Familien, der Stadt Murat und des Frankreichs der Nachkriegszeit. Denkmale und Gedenktage sind Zeugnisse dieser gemeinschaftlichen Erinnerung. Sie helfen, die Ereignisse nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, bergen allerdings auch die Gefahr, dass sie im Alltag nicht mehr wahrgenommen werden und dass das Gedenken in Ritualen erstarrt. Viele der näheren Verwandten der Männer, die 1944 deportiert wurden, leben nicht mehr, andere haben Murat aus beruflichen oder familiären Gründen verlassen. Die Bindung der Enkel- und Ur enkelkinder an den Ort des Geschehens wird lockerer. Von den überlebenden KZ-Häftlingen lebt 70 Jahre nach den Ereignissen keiner mehr, Zeitzeuginnen und Zeitzeugen sind heute nur noch die Kinder, die die Razzia miterlebt haben.

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27Frankreich MURAT

1 Einweihung des Mahnmals für die aus Murat deportierten Männer im Gedenkhain der KZ-Gedenkstätte Neuengamme am 7. Juni 2012. Foto: Katharina Hertz-Eichenrode, Hamburg. Quelle: Archiv der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, F 2014-302

Das Mahnmal bilden sieben Basaltsäulen des Berges Rocher de Bonnevie in Murat. Sie symbolisieren die zwischen den Orten Murat und Neuengamme be stehende Verbindung.

2 Der Präsident der Bremischen Bürgerschaft, Christian Weber, bei der Kranzniederlegung am Mahnmal am Pont Notre Dame in Murat am 15. Juni 2014.Foto: Katharina Hertz-Eichenrode, Hamburg. Quelle: Archiv der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, F 2014-304

3 Christian Weber, Präsident der Bremischen Bürger-schaft, in seiner Ansprache am 15. Juni 2014 in Murat. Aus: Präsident Christian Weber, Gedenkansprache zum 70. Jahrestag der Deportation in Murat am 15. Juni 2014 um 9.30 Uhr, Brücke Notre Dame, http://www.denkort-bunker-valentin.de/fileadmin/Presse/Murat_6.2014/140615_Rede_CWeber.pdf?PHPSESSID=996930e70968f8b11d91801c8855787e, Zugriff: 07.10.2014

Viele der aus Murat deportierten Männer waren zur Baustelle des U-Boot-Bunkers „Valentin“ in das Außen lager des KZ Neuengamme Bremen-Farge überstellt worden. Seit 2012 besteht ein enger Kontakt zwischen der Gedenkstätte in Bremen-Farge und Murat. Neben dem Präsidenten der Bremischen Bürgerschaft, Christian Weber, nahm auch der Leiter der Landeszentrale für politische Bildung Bremen, Thomas Köcher, an den Gedenkveranstaltungen zum 70. Jahrestag der Razzia in Murat im Juni 2014 teil. Die Worte Christian Webers wurden in Murat mit großer Bewegung aufgenommen.

70 Jahre nach der Razzia in Murat beteiligen sich viele Menschen an den Bemühungen, die Erinnerung an das Geschehen wachzu-halten und das Wissen über die Ereignisse den nachgeborenen Generationen zu vermitteln. Im Jahr 2009 eröffnete in Murat mit Unterstützung der Regionalverwaltung eine eindrucksvolle Gedenkstätte. In der KZ-Gedenkstätte Neuengamme wird über das Schicksal der 107 in das KZ Neuengamme deportierten Männer aus Murat in der 2005 neu eröffneten Dauerausstellung informiert. Erst im Zuge der Recherchen zur Neugestaltung der Gedenkstätte waren die Ereignisse in Murat stärker wahrgenommen worden. Im Kontakt mit den Angehörigen entstand daraufhin der Gedanke, auf dem Gelände der KZ-Gedenkstätte Neuengamme ein Mahnmal für die aus Murat Deportierten zu errichten. An der Einweihung dieses Mahnmals im Juni 2012 im Gedenkhain der Gedenkstätte nahmen etwa 50 Angehörige von Deportierten teil. Auch die Gedenkstätte in Bremen-Farge, die 2015 eröffnet wird, widmet sich eingehend dem Schicksal der Männer aus Murat, von denen 51 in dem dortigen Außenlager des KZ Neuengamme inhaftiert waren. An den Gedenk-veranstaltungen zum 70. Jahrestag der Razzia in Murat im Juni 2014 nahm erstmals auch eine Delegation aus Bremen und Hamburg teil.

Gedenken in Murat, Neuengamme und Bremen-Farge

Mit Blick auf die Nachkommen der Opfer der NS-Zerstö-rungs- und Vernichtungsmaschinerie erfüllen mich die Grausam keiten vor 70 Jahren mit tiefer Scham. Ich möchte meinen Besuch zum Anlass nehmen, um mich bei den Bürgerinnen und Bürgern von Murat für die Verbrechen zu ent-schuldigen, die Ihre Vorfahren, Ihre Verwandten, Ihre Nachbarn und Freunde 1944 in unserer Stadt [Bremen] erdulden mussten.

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Meensel-Kiezegem liegt in der Provinz Brabant im flämischen Teil Belgiens, rund 40 Kilometer östlich von Brüssel und 20 Kilo meter östlich von Leuven. 1824 waren die beiden Kirchspiele Meensel und Kiezegem zu einer Gemeinde mit rund 900 Einwohnerinnen und Einwohnern zusammengefasst worden. Die zwei Kilometer von ein-ander entfernten, durch einen Berg ge trennten Dörfer bewahrten allerdings ihre wirtschaftlichen und kulturellen Eigenheiten, bis hin zu eigenen Dialekten. Ehepartner und Ehepartnerinnen wurden nach wie vor im eigenen Dorf gesucht. Das katholisch-konservative Kiezegem war bäuerlich geprägt, in Meensel, das als liberal und aufgeschlossen galt, lebten neben Bauern auch Fabrik arbeiter und Händler mit Kontakten in umliegende Dörfer und Städte. Seit 1977 ist Meensel-Kiezegem Teil der Samtgemeinde Tielt-Winge. Es hat heute rund 1200 Einwohnerinnen und Einwohner.

Im August 1944 wurden als „Vergeltung“ für die Tötung eines belgischen Kollaborateurs in zwei Razzien 71 Männer aus Meensel- Kiezegem verhaftet und in das KZ Neuengamme deportiert.

MEENSEL-KIEZEGEMBelgien

Das Ortszentrum von Meensel auf einer Postkarte aus den 1930er-Jahren.Quelle: Stichting Meensel-Kiezegem ’44, Meensel-Kiezegem

Die Kirche in Kiezegem, etwa 1940.Quelle: Privatbesitz Geert Daenen, Meensel-Kiezegem

Der Ortsteil Kiezegem, ca. 2000.Foto: Geert Daenen. Quelle: Geert Daenen, Meensel-Kiezegem, www.meensel-kiezegem.be

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1 Der Pastor und Einwohnerinnen und Einwohner Meensels bei der „Verabschiedung“ ihrer Glocke, die die ganze Nacht zuvor geläutet worden war.Quelle: Privatbesitz Maurice Beddegenoots, Meensel- Kiezegem

2 Titelseite der Untergrundzeitung „Vrij Volk“ (Freies Volk), Oktober 1943. Quelle: Collection Cegesoma, Brüssel – Belgian War Press, BG 657

Die der Widerstandsorganisation „Nationale Koninklijke Beweging” (Nationale Königliche Bewegung) nahe stehende im Untergrund gedruckte Zeitung „Vrij Volk“ erschien in Leuven seit Juni 1943. Die Ausgabe von Oktober 1943 nimmt Bezug auf die Beschlagnahme von Kirchenglocken durch die deutsche Besatzungsmacht. Sie sollten eingeschmolzen werden, um das Metall für die Rüstungsproduktion zu verwenden. „Wie mit de klokken schiet, wint de oorlog niet” (Wer mit Glocken schießt, gewinnt den Krieg nicht) wurde auch auf die Mauer der Kirche in Meensel geschrieben, als deren Glocke im Herbst 1943 beschlagnahmt wurde.

3 Kirmes auf dem Anwesen der Familie Broos in Kieze-gem, 29. Juni 1944. In der Öffentlichkeit machten sich die gegensätzlichen politischen Einstellungen der Bevölkerung Meensel-Kiezegems kaum bemerkbar.Quelle: Privatbesitz Vital Craeninckx, Meensel-Kiezegem

Kollaboration und Widerstand

Anders als in den nahe gelegenen Universitätsstädten Gent und Leuven waren die Auswirkungen des Krieges und der deutschen Besatzung in Meensel-Kiezegem zunächst kaum zu spüren. In den Städten gab es dagegen ein breites Spektrum des Widerstands bis hin zu bewaffneten Gruppen, die Anschläge auf Wehrmachts-einrichtungen und auf belgische Kollaborateure verübten. Ab Jahresbeginn 1944 reagierten die deutschen Besatzer und die mit ihnen zusammen arbeiten den belgischen Organisationen darauf zunehmend mit „Ver geltungs maßnahmen“. In Meensel-Kiezegem beschränkten sich Wider stands aktionen zunächst darauf, Raps-felder, die der Ölgewinnung für das Deutsche Reich dienten, zu zerstören.

Unter den Einwohnerinnen und Einwohnern von Meensel-Kiezegem fanden sich gegensätzliche politische Strömungen: Anhänger und Anhängerinnen eines unabhängigen Flamen schlossen sich der Partei „Vlaamsch Nationaal Verbond“ – VNV (Flämischer Nationaler Verband) und ihren Organisationen an. Darunter waren die Groß-bauernfamilien Merckx und Broos aus Kiezegem, die offen mit der deutschen Besatzungsmacht kollaborierten. Andere traten für ein ungeteiltes Belgien ein und waren gegen die deutsche Besatzung eingestellt. Sie unterstützten untergetauchte Widerstandskämpfer und Arbeitsdienstverweigerer.

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1 Die Region Hageland und das Stadtgebiet von Leuven.Grafik: Julia Werner

2 Emblem der Widerstandsgruppe „Mouvement national royaliste – MNR/Nationale Koninklijke Beweging – NKB“ (Nationale Königliche Bewegung). Quelle: Stichting Meensel-Kiezegem ’44, Meensel-Kiezegem

Die katholisch geprägte, konservativ-monarchistische „Nationale Königliche Bewegung“ wehrte sich gegen die deutsche Besetzung Belgiens. In der Provinz Brabant, in der Meensel-Kiezegem liegt, war sie die wichtigste Widerstandsgruppe. König Leopold III. von Belgien war im Land jedoch umstritten, da er nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht in Belgien nicht ins Exil gegangen war und am 27. Mai 1940 die Kapitulation Belgiens unterzeichnet hatte.

3 Werbeplakat „Vlamingen op!“ (Flamen auf!) für die flämische SS und für Organisationen, die mit der Besatzungsmacht kollaborierten, nicht datiert.Quelle: Koninklijk Museum van het Leger en de Krijgsge-schiedenis/Musée Royal de l’Armée et d’Histoire Militaire, Brüssel, Bild 09500265

Im flämischen Teil Belgiens gab es zahlreiche Organisationen, die mit der deutschen Besatzungs-macht kollaborierten. Die Partei „Vlaamsch Nationaal Verbond“ (VNV) setzte sich für ein unabhängiges Flamen in einem nationalsozialistisch dominierten Europa ein. Die flämische SS hingegen strebte die Eingliederung Flamens in das „germanische“ Deutsche Reich an und warb Freiwillige für die Waffen-SS. Die „Vlaams-Duitse Arbeidsgemeenschap“ (Flämisch-Deutsche Arbeitsgemeinschaft) – „DeVlag“ kooperierte eng mit der flämischen SS. Der VNV verfügte mit der „Dietsche Militie – Zwarte Brigade“ (Deutsche Miliz – Schwarze Brigade) und der „Vlaamse Wacht brigade“ (Flämische Wachbrigade) über bewaffnete Verbände. Von deren schwarzen Uniformen leitete sich die in der Bevölkerung gängige Bezeichnung „die Schwarzen“ für belgische Kollaborateure und Kollaborateurinnen ab. Die Geheime Feldpolizei der Wehrmacht stellte aus flämischen Freiwilligen die „Vlaamse Wacht“ (Flämische Wacht) und die „Vlaamse Fabriekswacht“ (Flämische Fabrikwacht) auf.

LubbeekLeuven

Glabbeek

Attenrode

Meensel-Kiezegem

Binkom

Tienen

MolenbeekTielt-Winge

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1 Petrus van der Meeren (links), geboren am 16. Januar 1895 in Meensel-Kiezegem, und Oscar Beddegenoots, geboren am 29. März 1898 in Meensel-Kiezegem. Quelle: Stichting Meensel-Kiezegem ’44, Meensel-Kiezegem

Petrus van der Meeren und Oscar Beddegenoots wurden am 1. August 1944 erschossen, als sie der SS angebliche Waffenverstecke im Wald zeigen sollten.

2 Zeichnung auf der Titelseite der Broschüre „Getuige-nissen. Meensel-Kiezegem ’44“ (Zeugnisse. Meensel-Kiezegem 1944) von Oktaaf Duerinckx, 3. Aufl., Kermt 2013 (1. Aufl. 1984).

In der für das Titelblatt der Broschüre verwendeten Zeichnung fasste der Zeichner oder die Zeichnerin Cofer 1948 die Ereignisse der Razzien vom 1. und vom 11. August 1944 zusammen: Die verhafteten Männer werden vor den Augen ihrer Frauen und Kinder abge-führt; im Hintergrund sind die Kirchen von Meensel (links) und Kiezegem dargestellt.

3 Gaston Merckx auf dem Totenbett.Quelle: Herdenkingscomité 1 & 11 Augustus 1944 [Gedenk-komitee 1. und 11. August 1944], Meensel-Kiezegem

Der ca. 22-jährige Gaston Merckx (das genaue Geburts-datum ist nicht ermittelbar) war einer der Söhne des Großbauern Remy Merckx und seiner Frau Clementine Swinnen aus Kiezegem. Ebenso wie seine älteren Brüder Marcel, Albert und Maurice kollaborierte Gaston Merckx mit der deutschen Besatzungsmacht. Er war Mitglied im „Vlaamsch Nationaal Verbond“ und in der „Vlaamse Wacht“.

4 Pauline Bollens, geboren 1902, nicht datiert.Quelle: Stichting Meensel-Kiezegem ’44, Meensel-Kiezegem

Pauline Bollens war mit Oscar Beddegenoots verhei-ratet. Sie wurde am 1. August 1944 verhaftet und kam in das Gefängnis Sint-Gillis in Brüssel. Der Gefangenen-transport, mit dem sie und 1500 weitere Gefangene am 2. September 1944 noch kurz vor dem Eintreffen alliierter Truppen in Brüssel nach Deutschland gebracht werden sollten, konnte vor Erreichen der belgisch-deutschen Grenze gestoppt werden und kehrte nach Brüssel zurück. Dort kamen alle Gefangenen frei.

1. August 1944: Die erste Razzia

Unter nicht geklärten Umständen starb am 30. Juli 1944 der für seine faschistische Überzeugung bekannte Gaston Merckx aus Kiezegem bei einem Schusswechsel mit einer Widerstands gruppe auf der Straße zwischen den Ortsteilen Meensel und Kiezegem. Die Mit glieder der Widerstandsgruppe, zwei Männer und eine Frau, konnten unerkannt entkommen.

Am 1. August durchkämmten daraufhin deutsche und belgische SS-Einheiten unter dem Kommando des belgischen SS-Sturmbann-führers Jozef Bachot Meensel-Kiezegem. Mit Unterstützung ein-heimischer Kollaborateure durchsuchten sie vor allem im Ortsteil Meensel gezielt Häuser nach Waffen und versteckten Angehörigen des Widerstands. Sie misshandelten Verdächtige und deren Familien an ge hörige und erschossen drei Männer. Waffen fanden sie nicht. 10 Männer, 3 Frauen und 2 Jugendliche wurden verhaftet und in Leuven der deutschen Polizeidienststelle übergeben.

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1 Der abgebrannte Hof von Jules Schotsmans im Ortsteil Meensel, Nachkriegsaufnahme. Quelle: Stichting Meensel-Kiezegem ’44, Meensel-Kiezegem

Die SS setzte den Hof des Bauern Jules Schotsmans im Ortsteil Meensel in Brand. Sie vermutete dort das Versteck des kanadischen Piloten Edward Blenkinsop. Jules Schotsmans kam bei dem Brand ums Leben. Edward Blenkinsop war bei einem Einsatz in der Nacht vom 27. auf den 28. April 1944 in der Nähe von Meensel-Kiezegem abgeschossen worden und überlebte als einziger der Besatzung. Der belgische Widerstand versteckte ihn in Meensel-Kiezegem. Er wurde bei der Razzia am 11. August 1944 verhaftet und in das KZ Neu-engamme deportiert, wo er am 23. Januar 1945 starb.

2 Jules Schotsmans, geboren 1898.Quelle: Stichting Meensel-Kiezegem ’44, Meensel-Kiezegem

3 Edward Blenkinsop, geboren am 8. Oktober 1920 in Victoria, Kanada, Pilot der Kanadischen Luftwaffe. Quelle: Stichting Meensel-Kiezegem ’44, Meensel-Kiezegem

4 Sicherheitskorps des Höheren SS- und Polizeiführers in Belgien und Nordfrankreich, 7.8.1944: „BEFEHL für SAEUBERUNGS AKTION am Freitag, den 11.8.44“. Schreibungen und Hervorhebungen sind vom Original übernommen.Quelle: Stichting Meensel-Kiezegem ’44, Meensel-Kiezegem

In dem Befehl für die Razzia am 11. August 1944 wurde Meensel-Kiezegem als ein Zentrum von Wider standskämpfern („Terroristen“) und unterge-tauchten Arbeitsdienstpflichtigen („Arbeitsunwillige“) dargestellt. Den Befehl hatten SS-Unter sturmführer Antoon (Tony) van Dijck, Leiter der Germaan sche SS Vlaanderen, der bei der Razzia zugegen war, und SS-Sturmbannführer Hermann Julius Höfle, der die Verantwortung für die Aktion trug, unterzeichnet. Der Leiter des Sicherheitskorps des Höheren SS- und Polizei führers, SS-Obersturmführer Robert Jan Verbelen, im Befehl als Führer der „Festnahme kompanie“ bezeichnet, war zuständig für die Ver haftungen und Verhöre sowie für den Abtransport der Gefangenen.

11. August 1944: Die zweite Razzia

Bei der Beerdigung von Gaston Merckx am 3. August 1944 forderte seine Mutter öffentlich, als „Rache“ für den Tod ihres Sohnes 100 Geiseln zu verhaften. Auf Befehl von SS-Sturmbannführer Hermann Höfle umstellten daraufhin am Morgen des 11. August insgesamt 350 Angehörige der „Germaansche SS Vlaanderen“ (Germanische SS Flandern), der Feldgendarmerie und der „Vlaamse Wachtbrigade“ Meensel-Kiezegem. Sie führten eine Razzia durch, an der sich auch zwei Brüder des getöteten Gaston Merckx beteiligten.

71 Männer und 5 Frauen wurden bei der Razzia festgenommen, zunächst zur deutschen Polizeidienststelle nach Leuven und von dort in das Gefängnis Sint-Gillis in Brüssel gebracht. Von den bei beiden Razzien Festgenommenen wurden 71 Männer am 31. August in das KZ Neuengamme überstellt; nur acht von ihnen überlebten die KZ-Haft. Die übrigen, darunter alle Frauen, ent gingen der Deportation. Einige wurden bereits in Leuven wieder aus der Haft ent lassen, andere später in Belgien von alliierten Truppen befreit.

Terroriste und Arbeitsunwilligen haben sich südlich der Strasse Diest–Löwen [und] westwärts der Strasse Diest–Tienen, vor allem in den Ortschaften Meensel-Kiezegem u. Kiezegem festgesetzt. Mehrere Attentate und Ueberfälle wurden in den letzten Monaten in der bezeichneten Gegend verübt. […] Das Sicherheitskorps der Höheren [SS]- und Polizeiführers in Belgien u. Nordfrankreich hat den Auftrag durch Umstellung der beiden Ortschaften und Durchkämmen der umstellten Gegend die namentlich bekannten Terroristen anhand der vorliegenden Anschriften festzunehmen und weiter die übrigen in der Illegalität lebenden Elemente sicherzustellen.

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33Belgien MEENSEL-KIEZEGEM

1 Ferdinand Duerinckx, geboren am 18. April 1910, Lehrer an der Grundschule in Meensel-Kiezegem, gestorben am 18. Dezember 1944 im KZ Neuen-gamme. Aufnahme aus der Vorkriegszeit.Quelle: Stichting Meensel-Kiezegem ’44, Meensel-Kiezegem

2 Nachricht von Ferdinand Duerinckx an seine Familie, September 1944.Quelle: Stichting Meensel-Kiezegem ’44, Meensel-Kiezegem

Diese vermutlich bereits im Brüsseler Gefängnis Sint-Gillis verfasste Nachricht warf Ferdinand Duerinckx während des Transports nach Deutschland aus dem Zug. Unbekannte fanden sie bei Mechelen nördlich von Brüssel und sandten sie nach Meensel-Kiezegem, wo sie am 10. September 1944 die Familie erreichte. Mit Bleistift hatte Ferdinand Duerinckx auf das Etikett einer Konservendose notiert: „Liebe Freunde, auf dem Weg nach Deutschland, unbekanntes Ziel, alle gesund. Hoffen, bald zurück zu sein. Betet für eine gute und schnelle Rückkehr. Fer[di]nand. An: Mevr. Duerinckx Janssens. Wersbeekstraat 2, Meensel-Kiezegem“.Übersetzung: Martin Reiter

3 Maria Janssens, Witwe von Ferdinand Duerinckx, mit ihren Kindern Hilda, Gustaaf, Jozef, Freddy und Oktaaf. Der jüngste Sohn Freddy kam erst am 25. August 1944 zur Welt, als Ferdinand Duerinckx bereits im Gefängnis Sint-Gillis in Brüssel inhaftiert war. Aufnahme von Ende der 1940er-Jahre.Quelle: Privatbesitz Oktaaf Duerinckx, Meensel-Kiezegem

Ferdinand Duerinckx, geboren am 18. April 1910 in Lubbeek, war Grundschullehrer in Meensel-Kiezegem und dort geachtet und beliebt. Oft half er seinen Nachbarinnen und Nachbarn beim Ver-fassen von Briefen und Anträgen. Er hatte vier Kinder, Ende August 1944 erwartete seine Frau ein weiteres Kind. Ferdinand Duerinckx engagierte sich in der Widerstands bewegung „Nationale Koninklijke Beweging“. Bei seiner Verhaftung am 1. August 1944 verlor er durch schwere Misshandlungen ein Auge. Ferdinand Duerinckx gehörte dem Häftlingstransport an, mit dem die 71 Männer, die bei den Razzien am 1. und 11. August in Meensel-Kiezegem verhaftet worden waren, am 2. September 1944 das KZ Neuengamme erreichten.

Der ebenfalls aus Meensel-Kiezegem deportierte Marcel Loddewijckx berichtete, dass Ferdinand Duerinckx im KZ Neuen-gamme „Kapo“ (Häftlingsvorarbeiter) geworden sei. In dieser Funktion habe er sich bemüht, seine Mithäftlinge zu schonen. Oft habe er einen Teil seiner Essensration weitergegeben. Unter dem 18. Dezember 1944 ist im Krankenrevier-Totennachweis des KZ Neu-engamme der Tod von Ferdinand Duerinckx vermerkt.

Ferdinand Duerinckx: „Hoffen, bald zurück zu sein.“

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1 Jozef Claes, Frans Trompet und Marcel Loddewijckx (von links), nicht datiert. Quelle: Infolokaal Meensel-Kiezegem, Meensel-Kiezegem

Die drei Männer aus Meensel-Kiezegem überlebten die Haft im Konzentrationslager Neuengamme. Im Mai 1946 waren sie wichtige Zeugen in einem belgischen Militärgerichtsverfahren gegen die Verantwortlichen der beiden Razzien in Meensel-Kiezegem. Jozef Claes sagte u. a. aus, Albert und Marcel Merckx als an den Razzien Beteiligte erkannt zu haben.

2 Befreite KZ-Häftlinge des „Auffanglagers“ Wöbbelin an der einzigen Wasserpumpe des Lagers, Mai 1945. Foto: Ralph Formey, US-Armee. Quelle: United States Holocaust Memorial Museum, Bild 63078

Das Außenlager des KZ Neuengamme in Wöbbelin in Mecklenburg bestand vom 12. Februar bis zum 2. Mai 1945. Ab Mitte April 1945 wurde es zum „Auffanglager“ für mehr als 4000 Häftlinge aus anderen Außenlagern des KZ Neuengamme sowie aus dem KZ Ravensbrück, die in Räumungstransporten nach Wöbbelin gebracht wurden. Unter den katastrophalen Bedingungen im Lager starben bis zu dessen Befreiung am 2. Mai 1945 durch US-amerikanische Truppen nahezu 1000 Häftlinge.

3 Jozef Claes nach seiner Rückkehr im Krankenhaus in Leuven, 1945. Im Mai 1945 wog er nur noch 40 Kilogramm.Foto: Marc Cauwbergs, Meensel-Kiezegem. Quelle: Privat-besitz Oktaaf Duerinckx, Meensel-Kiezegem

Jozef Claes, geboren am 19. April 1918 in Meensel-Kiezegem, war von Beruf Kaufmann. Nach seiner Verhaftung am 1. August 1944 wurde ihm vorgeworfen, Widerstandskämpfer versteckt zu haben. Im KZ Neuengamme, wo er zusammen mit den anderen Männern aus Meensel-Kiezegem am 2. September 1944 eintraf, wurde er unter dem Namen „Joseph“ Claes registriert. Die Gruppe aus Meensel-Kiezegem wurde dort getrennt. Jozef Claes kam nach einem vorübergehenden Aufenthalt im Krankenrevier in ein Außenlager in Porta Westfalica und anschließend in das Außenlager Schandelah. Befreit wurde er am 2. Mai 1945 durch US-amerikanische Truppen im „Auffanglager“ Wöbbelin. Am 4. Juni 1945 kehrte er in seinen Heimatort zurück, wo er nach seiner Genesung von den Folgen der KZ-Haft seine Tätigkeit als Kaufmann wieder aufnahm. Mit seiner Frau Melanie Staes bekam er einen Sohn und eine Tochter. Jozef Claes starb am 31. Oktober 1989 in Meensel-Kiezegem.

Jozef Claes: KZ-Haft in Neuengamme, Porta Westfalica, Schandelah und Wöbbelin

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35Belgien MEENSEL-KIEZEGEM

1 Die Zwillinge Frans (rechts) und Jozef Craeninckx. Aufnahme aus der Nachkriegszeit. Quelle: Stichting Meensel-Kiezegem ’44, Meensel-Kiezegem

Frans Craeninckx wurde 1955 zum Priester geweiht, Jozef Craeninckx war in der Finanzbranche tätig. Beide engagierten sich für die Erinnerung an die Verbrechen der deutschen Besatzungsmacht in Belgien. Bis zu seinem Tod 2007 war Frans Craeninckx in Meensel-Kiezegem Vorsitzender des Verbandes „Nationale Confederatie van Politieke Gevangenen en Rechthebbenden“ (NCPGR), eines über regionalen Zusammenschlusses ehemaliger politischer Gefangener und Angehöriger politischer Gefangener.

2 „2 + 3 SEPTEMBRE 1944“. Gemälde von Louis Ver heggen über die Abfahrt des letzten Gefangenen transports aus Brüssel.Quelle: Nationaal Gedenkteken van het Fort van Breendonk, Willebroek

Kurz vor dem Einmarsch alliierter Truppen in Brüssel sollten am 2. September 1944 noch rund 1500 politische Gefangene, unter ihnen 5 Männer und 8 Frauen aus Meensel-Kiezegem, aus dem Gefängnis Sint-Gillis nach Deutschland deportiert werden. Die belgische Zugbesatzung mit dem Maschinisten Louis Verheggen sorgte jedoch für Verzögerungen der Fahrt, sodass der Transport vor dem Verlassen Belgiens gestoppt werden konnte. In Verhandlungen des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz mit der deutschen Zivil verwaltung Belgiens wurde vereinbart, dass der Zug zurückfahren durfte. Die Gefangenen, unter ihnen Frans und Jozef Craeninckx, erlangten so am 3. September 1944 an der Bahnstation „Klein Eiland“ bei Brüssel wieder ihre Freiheit.

3 Jozef Craeninckx bei der Gedenkfeier zur Erinnerung an die Razzien im August 2014 in Meensel-Kiezegem. Er ist der letzte Überlebende der bei den Razzien Ver hafteten und berichtet häufig als Zeitzeuge von den damaligen Ereignissen. Foto: Carine Vanlingen. Quelle: Privatbesitz Carine Vanlingen, Tielt-Winge

Vital und Delphine Craeninckx hatten vier Söhne, zwei Zwillings-paare. Bei der Razzia am 11. August 1944 wurde Vital Craeninckx zusammen mit seinen am 13. Mai 1928 geborenen Söhnen Frans und Jozef verhaftet. Die älteren Zwillinge Armand und Louis hatten sich bereits zuvor versteckt, da sie als Arbeitsdienstverweigerer gesucht wurden, und entgingen so der Festnahme. Vital Craeninckx wurde in das KZ Neuengamme deportiert. Dort starb er am 16. Novem-ber 1944.

Die beiden 16-Jährigen Frans und Jozef Craeninckx gehörten zu dem letzten Gefangenentransport, der am 2. September 1944, kurz bevor die Alliierten die Stadt er reichten, das Brüsseler Gefängnis Sint-Gillis in Richtung Deutschland verließ. Noch vor Erreichen der belgisch-deutschen Grenze konnte der Zug gestoppt werden. Er fuhr zurück nach Brüssel, wo er am 3. September eintraf. Die Gefangenen waren damit frei. Bereits am folgenden Tag kehrten Frans und Jozef Craeninckx nach Meensel-Kiezegem zurück.

Opfer der Razzia am 11. August: Die Familie Craeninckx

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1 Die Angeklagten im Gerichtssaal des Militärgerichts in Leuven, bewacht von belgischen Soldaten, Mai 1946. Aus: Vrij Volk, Nr. 19, 11.5.1946. Quelle: Collection Cegesoma, Brüssel

Linkes Foto (von links): Joseph Merckx und seine Frau Maria Merckx, Remy Merckx und seine Frau Clementine Swinnen. Sie erhielten alle lebenslange Gefängnis-strafen, wurden jedoch vorzeitig aus der Haft entlassen. Rechtes Foto (von links): Jules Strobant, Felix Broos und Ernst Merckx. Felix Broos wurde zu lebenslanger Haft verurteilt, Ernst Merckx zu 10 Jahren Gefängnis und Jules Strobant zu 3 Jahren Gefängnis.

2 Titelseite der Zeitung „Vrij Volk“, Nr. 19, 11. Mai 1946. Quelle: Collection Cegesoma, Brüssel

Die belgische Öffentlichkeit verfolgte 1946 den Prozess gegen die Verantwortlichen der Razzien in Meensel-Kiezegem mit großem Interesse. Die Zeitung „Vrij Volk“ berichtete in ihren Ausgaben vom 11. und 18. Mai 1946 ausführlich von den Gerichtsverhandlungen. Die Titelseite der Zeitung vom 11. Mai zeigt Remy Merckx und Clementine Swinnen, die Eltern des bei dem Schusswechsel mit Mitgliedern einer Widerstands-gruppe am 30. Juli 1944 getöteten Gaston Merckx. Die im Untergrund entstandene Zeitung „Vrij Volk“ erschien in Leuven noch bis 1946 mit einer Auflage von bis zu 10 000 Exemplaren.

Täter und Verantwortliche vor Gericht

In einem ersten Militärgerichtsprozess gegen belgische Angehörige des Sicherheitsdienstes (SD) der SS wurden im Herbst 1945 zwei führend an der Razzia am 11. August 1944 in Meensel-Kiezegem Beteilige, François Jannsens und Fernand Faignaert, in Leuven zum Tode verurteilt und hingerichtet.

In einem weiteren Prozess gegen Verantwortliche für die Razzien und die Verhaftungen in Meensel-Kiezegem waren im Mai 1946 in Leuven acht Mitglieder der Familie Merckx sowie die ebenfalls aus Meensel-Kiezegem stammenden Felix Broos und Jules Strobant angeklagt. Rund 100 Zeuginnen und Zeugen, vor allem Über-lebende und Angehörige der Opfer, sagten in dem Prozess aus. Das belgische Militär gericht verurteilte die Hauptangeklagten Marcel, Albert und Maurice Merckx am 23. Mai 1946 in Abwesenheit zum Tode. Die drei untergetauchten Brüder wurden jedoch nie gefasst.

Am 14. Oktober 1947 verurteilte das Militärgericht der Provinz Brabant den im September 1944 nach Österreich geflüchteten SS-Obersturmführer Robert Jan Verbelen, der von Österreich nicht nach Belgien ausgeliefert wurde, in Abwesenheit zum Tode.

Hermann Julius Höfle

Hermann Julius Höfle, geboren am 19. Juni 1911 in Salz-burg, trat 1933 in die NSDAP und in die SS ein. Während des Zweiten Weltkrieges vor allem im besetzten Polen eingesetzt, war er 1942/43 einer der Verantwortlichen für die Ermordung von annähernd 2 Millionen Jüdinnen und Juden in den Vernichtungslagern Bełżec, Sobibór und Treblinka im Rahmen der „Aktion Reinhardt“. Im Sommer 1944 war der zum SS-Sturmbannführer beförderte Höfle in Belgien tätig. Die Razzia in Meensel-Kiezegem am 11. August 1944 stand unter seiner Leitung. Nach dem Krieg geriet er in Österreich in britische Kriegsgefangenschaft, kam jedoch nach zwei Jahren Haft in einem Internierungslager wieder frei. Einer Auslieferung nach Polen konnte er sich durch die Flucht nach Italien entziehen. Nach seiner erneuten Festnahme 1961 in Salzburg nahm er sich am 20. August 1962 im Gefängnis in Wien das Leben.

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37Belgien MEENSEL-KIEZEGEM

Robert Jan Verbelen

Robert Jan Verbelen, geboren am 5. April 1911 in Leuven, war als Leiter eines belgischen „Sicherheitskorps“ des Sicherheitsdienstes der SS einer der Verantwortlichen der Razzia am 11. August 1944 in Meensel-Kiezegem. Er setzte sich im Herbst 1944 zunächst nach Deutschland ab, später nach Österreich, wo er von 1947 bis 1955 für den US-amerikanischen Geheimdienst arbeitete. Robert Jan Verbelen starb am 28. Oktober 1990 in Wien.

Antoon van Dijck

Antoon van Dijck, geboren 1922 in Berchem, ge storben am 19. Dezember 2009 in Boechout, trat im September 1940 in die Flämische SS ein. Ende 1943 wurde er zum Kommandanten der Algemeene SS-Vlaanderen (Allgemeine SS Flandern) ernannt. In dieser Funktion war er einer der Verantwortlichen für die Durchführung der Razzia in Meensel-Kiezegem am 11. August 1944. Im November 1944 wurde er zum SS-Obersturmführer befördert. Ein Militärgericht in Antwerpen verurteilte ihn am 4. April 1947 zum Tode. Die Todesstrafe wurde jedoch in eine Haftstrafe umgewandelt. Nach 17 Jahren Haft kam Antoon van Dijck nach einer Begnadigung frei.

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1 Ehrenfeld auf dem Friedhof in Meensel. Postkarte, nicht datiert. Quelle: Stichting Meensel-Kiezegem ’44, Meensel-Kiezegem

1953 waren die sterblichen Überreste von drei Männern aus Meensel-Kiezegem, die die Deportation in das KZ Neuengamme nicht überlebt hatten, nach Meensel überführt und auf dem dort angelegten Ehrenfeld des Friedhofs bestattet worden: Frans Pasteyns, geboren am 18. Januar 1897, Jozef Natens, geboren am 27. Dezember 1901, und Octaaf Natens, geboren am 4. Januar 1914. Die drei Männer waren im November 1944 im KZ-Außenlager Meppen-Versen umgekommen. Die anderen Grabsteine auf dem Ehrenfeld markieren symbolische Grabstätten.

2 Ehrenmal für die Opfer des Zweiten Weltkrieges neben der Kirche in Kiezegem. Auf der Stirnseite des Ehrenmals stehen die Namen der Männer, die im KZ Neuengamme umgekommen sind, rechts in der Mauer sind die Namen derjenigen aufgeführt, die bei den Razzien verhaftet wurden, jedoch wieder freikamen. Nicht datierte Aufnahme.Foto: Vital Craeninckx, Meensel-Kiezegem. Quelle: Stichting Meensel-Kiezegem ’44, Meensel-Kiezegem

3 König Baudouin von Belgien (3. von links) besuchte am 4. Juli 1984 Meensel-Kiezegem und sprach den Witwen der im KZ Neuengamme umgekommenen Deportierten sein Beileid aus.Quelle: Stichting Meensel-Kiezegem ’44, Meensel-Kiezegem

Gedenken an die Opfer der Deportation

Viele Familien in Meensel-Kiezegem lebten nach dem Kriegsende in der Hoffnung, ihre nach den Razzien am 1. und 11. August 1944 deportierten Angehörigen würden zurückkehren. Erst 1949 wurde der Tod der letzten vermissten Deportierten offiziell bestätigt. Nur 8 der 71 Männer hatten überlebt. 32 Witwen und 95 Waisen blieben zurück. Die Großfamilie Merckx und die Familien der anderen wegen ihrer Beteiligung an den Razzien Angeklagten verließen den Ort.

Am 6. Januar 1945 fand in Meensel-Kiezegem eine erste Gedenk-messe statt. Die erste Gedenkveranstaltung mit überregionaler Beteiligung wurde am 18. November 1948 durchgeführt. 1950/51 entstanden auf den Friedhöfen in Meensel und in Kiezegem Ehren-felder für die Opfer. Zum 25. Jahrestag der Razzien 1969 enthüllte der belgische Justizminister Alfons Vranckx dort Gedenktafeln für die Opfer. Seit 1954 wird in jährlichem Wechsel in Meensel und Kiezegem eine Gedenkveranstaltung abgehalten. Am 4. Juli 1984 besuchte König Baudouin von Belgien Meensel-Kiezegem und gedachte der Opfer. Landesweite Aufmerksamkeit erfuhr Meensel-Kiezegem 1984 auch durch eine Fernsehdokumentation, die auf Interviews mit Überlebenden der Razzien basierte.

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39Belgien MEENSEL-KIEZEGEM

1 Standbild aus dem Film „Nazi-Terreur te Meensel-Kiezegem“ (Naziterror in Meensel-Kiezegem), 1995.Quelle: Stichting Meensel-Kiezegem ’44, Meensel-Kiezegem

1994 begann auf Initiative der Stichting Meensel- Kiezegem ’44 die zwei Jahre dauernde Arbeit an einem Film, in dem 200 Einwohnerinnen und Ein wohner Meensel-Kiezegems die historischen Ereignisse nachstellten und sich auf diese Weise intensiv mit den Ereignissen im August 1944 und mit dem Schicksal der 71 aus Meensel-Kiezegem deportierten Männer auseinandersetzten.

2 Gedenkveranstaltung am Gedenkstein für die Opfer des Außenlagers Bremen-Blumenthal des KZ Neuen-gamme mit Ina Stabergh (2. von links) und Raimund Gaebelein (rechts), 2005. Foto: Marc Cauwbergs. Quelle: Privatbesitz Marc Cauwbergs, Meensel-Kiezegem

Die flämisch schreibende Dichterin Ina Stabergh, geboren 1943, verfasste nach einem Besuch in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme 2002 mehrere Gedichte, um ihre Eindrücke zu verarbeiten. Raimund Gaebelein von der Bremer Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten (VVN-BdA) übersetzte die Gedichte ins Deutsche. Die Bremer VVN-BdA begleitet seit 2002 die Gruppen der Stichting Meensel-Kiezegem ’44 bei ihren Besuchen der Gedenk - orte der Außenlager des KZ Neuengamme in Bremen, in denen 15 Männer aus Meensel- Kiezegem umge-kommen sind.

3 Die Plastik „De wanhoop van Meensel-Kiezegem“ (Die Verzweiflung von Meensel-Kiezegem) der belgischen Bildhauerin May Claerhout im Gedenk-hain der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, Oktober 2014. Foto: Karin Schawe, Hamburg. Quelle. Archiv der KZ-Gedenk stätte Neuengamme, F 2014-619

Im August 1998 wurde die Plastik „Die Verzweiflung von Meensel-Kiezegem“ mit zahlreichen Gästen aus Belgien eingeweiht. Die Bildhauerin May Claerhout thematisiert mit der Figur die Verzweiflung der hinterbliebenen Frauen und Kinder in Meensel-Kiezegem.

Die Erinnerung ist lebendig

Den Angehörigen der aus Meensel-Kiezegem Verschleppten ist die Erinnerung an die Geschehnisse 1944 und an die Toten bis heute ein wichtiges Anliegen. Als bekannt wurde, dass die Gemeinde Tielt-Winge, zu der Meensel-Kiezegem gehört, die jährlichen Gedenk-feiern nicht mehr finanziell unterstützen würde, gründeten sie 1994 die Stiftung „Stichting Meensel- Kiezegem ’44“, um die Erinnerung an die Razzien und ihre Folgen dauerhaft zu bewahren. Ebenfalls 1994 begannen die Dreharbeiten zu einem Film über die Razzien 1944, an dem sich rund 200 Einwohnerinnen und Einwohner Meensel-Kiezegems beteiligten.

Zu den Aktivitäten der Stiftung gehören seit 1997 jährliche Fahrten zur KZ-Gedenkstätte Neuengamme oder zu anderen Gedenkstätten in Norddeutschland, um der Toten zu gedenken. Von großer Bedeu-tung ist auch die 2000 eröffnete Daueraus stellung über die Razzien in Meensel-Kiezegem im Hageland museum in Tielt-Winge.

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Die an der Weichsel gelegene polnische Hauptstadt Warschau war vor Beginn des Zweiten Weltkrieges das kulturelle und gesell-schaftliche Zentrum des Landes. Knapp ein Viertel der 1,3 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner waren Jüdinnen und Juden.Vier Wochen nach dem Überfall auf Polen nahm die deutsche Wehrmacht Warschau am 28. September ein. Während der Kampf-handlungen waren 10 Prozent aller Gebäude der Stadt zerstört worden. Warschau wurde Teil des am 26. Oktober 1939 gebildeten „General gouvernements“. Die Stadt war die über den längsten Zeitraum unter deutscher Besatzung stehende Hauptstadt Europas. Zwar erreichte die sowjetische Armee im Sommer 1944 den östlich der Weichsel gelegenen Teil Warschaus, die Befreiung der am westlichen Weichselufer gelegenen Stadtteile erfolgte jedoch erst im Januar 1945. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten deutsche Verbände mehr als 80 Prozent der Gebäude in Warschau zerstört und die Bevölkerung vertrieben oder verschleppt.

Heute ist Warschau mit ca. 1,7 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern eines der bedeutenden Verkehrs-, Handels- und Wirtschaftszentren Mittel- und Osteuropas.

WARSCHAUPolen

Der Warschauer Altstadtmarkt, vor 1939.Quelle: Narodowe Archiwum Cyfrowe [Nationales Digital archiv], Warschau, Bild SMO_1-U-6825

Der Warschauer Altstadtmarkt, September 1945. Foto: Maciej Świerczyński, Warschau. Quelle: Privatbesitz Janusz Świerczyński, Jabłonna

Die Warschauer Altstadt, April 2012. Rechts das Schloss, links auf dem Schlossplatz die Sigmundsäule.Foto: Paula Lange. Quelle: Privatbesitz Paula Lange, Hamburg

41Polen WARSCHAU

1 Errichtung der Mauer um das Warschauer Getto in der Ulica Świętokrzyska (Świętokrzyskastraße) vermutlich November 1940.Quelle: United States Holocaust Memorial Museum, Washington, D.C., Bild 37295

Anfang Oktober 1940 wurde in Warschau für die 350 000 in der Stadt lebenden Jüdinnen und Juden sowie etwa 150 000 Jüdinnen und Juden aus anderen Regionen Polens ein Getto eingerichtet. Tausende starben dort an Hunger und Epidemien, Zehntausende wurden zur Zwangsarbeit für deutsche Rüstungsbetriebe in Lager im „Generalgouvernement“ deportiert. Ab Juli 1942 begann der systematische Abtransport der im Getto lebenden Menschen in das Vernichtungslager Treblinka. In einem vom 19. April bis 16. Mai 1943 dauernden Aufstand versuchten die letzten noch im Getto verbliebenen Jüdinnen und Juden, ihren Abtransport zur Vernichtung zu verhindern. Nach der Niederschlagung des Aufstands wurde der Gettobezirk dem Erdboden gleichgemacht.

2 Zweisprachiger Aushang des Kommandeurs der Sicherheitspolizei und des SD für den Distrikt Warschau mit den Namen von Personen, die als „Vergeltungsmaßnahme“ zum Tode verurteilt wurden, 24. April 1944.Aus: Im Objektiv des Feindes. Die deutschen Bildbericht-erstatter im besetzten Warschau 1939–1945. Hg. v. Haus der Begegnungen mit der Geschichte, Warschau 2008, S. 190

Auf Plakatanschlägen wie diesem wurden die Namen der zur „Vergeltung“ für Widerstandsaktionen Erschosse-nen oder dafür vorgesehener Geiseln bekannt gemacht.

3 Das Warschauer Gefängnis Pawiak, Aufnahme aus „Tygodnik Ilustrowany“ [Illustriertes Wochenblatt], Nr. 41, 13. Oktober 1906.Quelle: Muzeum Więzienia Pawiak, Oddział Muzeum Niepodległości w Warszawie [Museum des Gefängnisses Pawiak, Abteilung des Museums der Unabhängigkeit in Warschau], MN-Pr 1339

Das Gefängnis Pawiak war ab März 1940 das Unter-suchungsgefängnis der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes der SS im Distrikt Warschau und zugleich das größte Gefängnis für politische Gefangene im besetzten Polen. Rund 100 000 Männer und Frauen aus Warschau inhaftierte die deutsche Sicherheits-polizei im Gefängnis Pawiak. 37 000 der Inhaftierten ermordete die Sicherheitspolizei während der Haft, in Verhören oder in gezielten Hinrichtungsaktionen, 60 000 Gefangene wurden in Konzentrationslager überstellt.

Warschau unter deutscher Besatzung

Die Bevölkerung im besetzten Warschau lebte in materieller Not und in ständiger Angst vor der Verschleppung zur Zwangsarbeit. Die deutsche Sicherheitspolizei verfolgte die politische und gesell-schaftliche Führungsschicht und des Widerstands Verdächtigte. Zehntausende wurden verhaftet, in Konzentrationslager deportiert oder sofort ermordet. Die jüdische Bevölkerung – insgesamt 350 000 Menschen – musste ab Oktober 1940 in das westlich der Altstadt eingerichtete Warschauer Getto ziehen. Angesichts des Terrors der deutschen Besatzungs macht formierten sich zahlreiche verbotene politische Parteien und soziale Verbände wie Pfadfinder- und Sportvereine zu Widerstandsgruppen. Sie bildeten einen der Exil-regierung in London unterstehenden „Untergrundstaat“ (Polskie Państwo Podziemne). Die Formen des Widerstands reichten vom Abhalten polnischen Schulunterrichts über das Herstellen und Verteilen von Untergrundzeitungen bis zu Sabotageakten und Anschlägen gegen die Besatzungsmacht.

Die im Untergrund aufgestellte polnische Armia Krajowa (Heimat -armee) konnte im Juli 1944 rund 50 000 Männer und Frauen mobilisieren, die bereit waren, für die Befreiung ihrer Heimatstadt in einem Aufstand zu kämpfen. Nur ein Bruchteil von ihnen war bewaffnet.

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1 Von den Aufständischen gefangen genommene Deutsche, 20. August 1944.Foto: Joachim Joachimczyk („Joachim”). Quelle: Muzeum Powstania Warszawskiego [Museum des Warschauer Aufstandes], MPW - IH/4045

Die Eroberung des PAST-Gebäudes – in der Vorkriegs-zeit Sitz der polnischen Telefongesellschaft Polska Akcyjna Spółka Telefoniczna – am 20. August 1944 war für die Aufständischen einer der größten Erfolge: Sie besetzten einen wichtigen deutschen Stützpunkt und konnten 115 Deutsche gefangen nehmen. Bei den auf dem Foto abgebildeten Gefangenen lässt sich nicht feststellen, ob es sich um Angehörige einer SS- oder einer Polizeieinheit handelt. Der Fotograf Joachim Joachimczyk (Deckname „Joachim”) war ein Kriegsberichterstatter der Armia Krajowa.

2 Beschuss des Prudential-Gebäudes durch die Wehrmacht am 28. August 1944.Foto: Sylwester Braun („Kris“). Quelle: Muzeum Powstania Warszawskiego [Museum des Warschauer Aufstandes], MPW - IP/6623

Der Sitz der Prudential-Versicherung war das höchste Gebäude in Warschau. Als Symbol der Freiheit hissten die Aufständischen auf dem Gebäude die polnische Flagge. Die deutschen Truppen verfolgten schon während der Niederschlagung des Aufstands das Ziel, die polnische Hauptstadt vollständig zu zerstören. Der Fotograf Sylwester Braun (Deckname „Kris“) war ein Kriegsberichterstatter der Armia Krajowa.

3 Nachricht der Führungsabteilung des Armeeober-kommandos 9 an das östlich von Warschau liegende XXXIX. Panzerkorps der Wehrmacht, 1. August 1944. Aus: Werner Röhr (Hg.): Nacht über Europa: Die Okkupations-politik des deutschen Faschismus (1938–1945). Bd. 2: Die faschistische Okkupationspolitik in Polen (1939–1945), Köln 1989, Bildteil zwischen S. 320 u. S. 321

Adolf Hitler beauftragte den Reichsführer SS, Heinrich Himmler, mit der Niederschlagung des Warschauer Aufstands. Während der sowjetische Vormarsch in einer Panzerschlacht östlich vor Warschau durch die Wehrmacht aufgehalten wurde, rückten Anfang August 1944 mehrere SS-Einheiten unter dem Kommando des SS-Gruppenführers Heinz Reinefarth in das Stadt-zentrum vor. Ab dem 5. August 1944 lag der Oberbefehl über die zur Niederschlagung des Aufstands einge-setzten deutschen Einheiten in Warschau bei dem SS-Obergruppenführer Erich von dem Bach-Zelewski.

Am 1. August 1944 begann die Armia Krajowa (AK) mit einem Aufstand, dessen Ziel es war, die polnische Hauptstadt vor dem Eintreffen der sowjetischen Armee von der deutschen Besatzung zu befreien und sich damit politisch gegenüber der Sowjetunion zu behaupten. Der AK gelang es jedoch nicht, strategisch wichtige Punkte zu besetzen, und frühzeitige Hilfe der Westalliierten blieb aus. Verbände von SS, Polizei und Wehrmacht gingen erbarmungs-los gegen die Aufständischen vor und verübten bei den Kämpfen um Stadtviertel, Straßen und einzelne Häuser zahlreiche Massaker. Am 2. Oktober 1944 unterschrieb General Tadeusz Komorowski als Bevollmächtigter der AK den Kapitulationsvertrag, der das Scheitern des Aufstands besiegelte. In den 63 Tagen des Warschauer Aufstands starben mindestens 15 000 polnische Kämpferinnen und Kämpfer und 150 000 an den Kämpfen unbeteiligte Einwohnerinnen und Einwohner Warschaus. Nach der Nieder schlagung des Auf-stands wurde die Stadt weitgehend zerstört.

1. August bis 2. Oktober 1944: Der Warschauer Aufstand

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43Polen WARSCHAU

1 Gebiet des Warschauer Aufstands am 4. August 1944. Grafik: Julia Werner

2 Überstellungen von Frauen und Männern, die nach dem Warschauer Aufstand in das Hauptlager und in Außenlager des KZ Neuengamme deportiert wurden. Recherche: Georg Erdelbrock

Von den 60 000 Menschen, die nach dem Warschauer Aufstand in Konzentrationslager deportiert wurden, kamen mindestens 2750 Männer und ca. 1000 Frauen über das Durchgangslager 121 in Pruszków und die Konzentrationslager Ravensbrück, Sachsenhausen und Stutthof in das KZ Neuengamme und seine Außenlager. Exaktere Zahlen lassen sich anhand der erhalten gebliebenen Dokumente nicht ermitteln.

OCHOTA

Pawiak-Gefängnis

PAST-Gebäude

Gebäude der Prudential-Versicherung

Sitz der Gestapo

Bezirk des Warschauer Gettos im September 1942 (zerstört im Mai 1943)

von den Aufständischen am 4. August 1944 kontrolliertes Gebiet

Hauptangri�e der deutschen Einheiten unter dem Kommando von Heinz Reinefarth, Anfang August 1944

MOKOTÓWPruszków 15 Kilometer

ALTSTADT

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Weichsel

Datum der Überstellung in das KZ Neuengamme

Ausgangslager Ziellager Zahl der Überstellten

um den 24.08.1944 KZ Sachsenhausen Außenlager Alt Garge ca. 500 Männer

04.09.1944 KZ Stutthof Hauptlager Neuengamme ca. 1000 Männer

13.09.1944 KZ Ravensbrück Außenlager Salzgitter-Bad vermutlich 150 Frauen

21.09.1944 KZ Ravensbrück Außenlager Helmstedt-Beendorf 200 Frauen

29.09.1944 KZ Stutthof Außenlager Hannover-Langenhagen 351 Frauen

05.10.1944 Durchgangslager 121 in Pruszków Hauptlager Neuengamme 290 Männer

16.10.1944 KZ Sachsenhausen Hauptlager Neuengamme mindestens 212 Männer (eventuell mehr als 400 Männer)

18.10.1944 KZ Stutthof Außenlager Aurich-Engerhafe 750 Männer

24.10.1944 KZ Ravensbrück Außenlager Helmstedt-Beendorf ca. 300 Frauen

insgesamt: ca. 1000 Frauen und mindestens 2750 Männer

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Die Folgen des Aufstands für die Zivilbevölkerung

Die Bevölkerung Warschaus war von den Kämpfen während des Aufstands unmittelbar betroffen. In den umkämpften Stadtteilen brach die Versorgung mit Lebensmitteln und Wasser zusammen. Unbeteiligte Frauen und Männer kamen durch Kampf handlungen ums Leben, Zehntausende wurden Opfer von Massakern. Ab dem 5. August 1944 ermordeten dem SS-Gruppenführer Heinz Reinefahrt unterstellte Einheiten von SS, Polizei und Wehrmacht, insbesondere Angehörige der SS-Sondereinheit Dirlewanger und der von Bronislaw Kaminski befehligten SS-Sturmbrigade RONA, Zehntausende Warschauerinnen und Warschauer, mehr als 40 000 allein im Stadtteil Wola. Wehrmachts- und SS-Einheiten zerstörten die von ihnen wiedereroberten Stadtteile und „evakuierten“ 550 000 Menschen aus Warschau in das „Durchgangslager 121“ in dem Vorort Pruszków. Während die nach der Kapitulation der Aufständischen am 2. Oktober 1944 gefangen genommenen Angehörigen der Armia Krajowa in Kriegsgefangenschaft kamen, wurde die Warschauer Zivilbevölkerung aus dem Lager in Pruszków in andere Regionen des „General gouvernements“ abgeschoben oder nach Deutschland in Konzentrationslager und zur Zwangsarbeit deportiert.

1 Gräber in einem Hinterhof in der Ulica Mazowiecka (Mazowieckastraße), zweite Augusthälfte 1944.Foto: Sylwester Braun („Kris“). Quelle: Muzeum Powstania Warszawskiego [Museum des Warschauer Aufstands], MPW - IP/6630

Während des Aufstands konnten die Toten nicht auf Friedhöfen bestattet werden, deshalb legte die Warschauer Bevölkerung auf Höfen, Straßen und Gehsteigen Gräber an. Auf dem Kreuz in der Bildmitte steht „Gosposia z II. piętra“ (Hausfrau aus dem zweiten Stock).

2 Frauen und Kinder aus Warschau im Durchgangs lager 121 in Pruszków, im Hintergrund die Halle Nr. 5, in der sich zeitgleich 5000 bis 11 000 Menschen aufhielten, bevor über ihren Weitertransport entschieden wurde.Quelle: Muzeum Powstania Warszawskiege [Museum des Warschauer Aufstandes], MPW - IK/2927

Bereits eine Woche nach Beginn des Aufstands hatte das Armeeoberkommando 9 in den Hallen eines Eisenbahnausbesserungswerks in dem 15 Kilometer südwestlich von Warschau gelegenen Pruszków das Durchgangslager 121 eingerichtet. 550 000 Warschauerinnen und Warschauer und 100 000 Bewohnerinnen und Bewohner der Vororte Warschaus wurden nach Pruszków „evakuiert“. Die meisten von ihnen schoben die deutschen Besatzer in andere Regionen des „Generalgouvernements“ ab, wo sie sich selbst überlassen blieben. 150 000 Menschen wurden nach Deutschland zur Zwangsarbeit, weitere 60 000 in Konzentrationslager deportiert.

3 Die Kirche der Pfarrgemeinde Św. Wojciecha (Hl. Adalbert), einer der Sammelpunkte, an denen sich die Zivilbevölkerung einfinden musste. Aufnahme vermutlich von August 1944.Quelle: Zbrodnie okupanta hitlerowskiego na ludności cywilnej w czasie Powstania Warszawskiego w 1944 roku (w dokumentach). Wyd. Główna Komisja Badania Zbrodni Hitlerowskich w Polsce. Wybór i opracowanie: Szymon Datner/Kazimierz Leszczyński, Warschau 1962, o. S.

Sobald deutsche Einheiten die Kontrolle über ein Stadt viertel zurückerlangt hatten, befahlen sie der Bevölkerung, sich an bestimmten Sammelpunkten im Stadtgebiet einzufinden. Von dort wurden die Bewoh-nerinnen und Bewohner in das Durchgangslager 121 in Pruszków gebracht.

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45Polen WARSCHAU

1 Janusz Kahl im Lager für Displaced Persons (DP Camp) in Wentorf am 2. Mai 1946, kurz vor seiner Rückkehr nach Polen.Foto: Wöhrmann, Geesthacht. Quelle: Privatbesitz Janusz Kahl, Warschau

Nach der körperlichen Auszehrung durch die KZ-Haft dauerte es ein Jahr, bis Janusz Kahl sein normales Körpergewicht wiedererlangt hatte. Die Zeit seiner Genesung verbrachte er im DP Camp in Wentorf, östlich von Hamburg. Dort heiratete er Teresa Wojtczak. Sie war zusammen mit ihrer Mutter nach dem Warschauer Aufstand in das Außenlager Klein-Machnow des KZ Sachsenhausen deportiert und wie Janusz Kahl im „Auffanglager“ Wöbbelin befreit worden. Ihre Mutter starb wenige Tage nach der Befreiung in Wöbbelin.

2 Janusz Kahl bei der Gedenkveranstaltung in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme am 3. Mai 2012.Foto: Katharina Hertz-Eichenrode, Hamburg. Quelle: Archiv der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, F 2014-505

3 Die Familie Kahl auf einer Aufnahme, die anlässlich der Silberhochzeit der Eltern Janusz Kahls im Früh-jahr 1939 entstand. Von links: Janusz Kahls Mutter Zofia, seine Schwester Irena, Janusz Kahl und sein Vater Wilhelm.Foto: A. Gürtler, Warschau. Privatbesitz Janusz Kahl

Wilhelm Kahl war Richter am höchsten Verwaltungs-gericht Polens, bis es von den National sozialisten im September 1939 aufgelöst wurde. Während der Besatzungszeit arbeitete er für den polnischen Untergrundstaat (Polskie Państwo Podziemne). Janusz Kahls verheiratete Schwester Irena wohnte in der Innenstadt. Sie beteiligte sich aktiv am Warschauer Aufstand. Alle Mitglieder der Familie Kahl wurden während der Niederschlagung des Aufstands deportiert: Janusz Kahls Mutter in das KZ Ravensbrück, seine Schwester Irena in ein Zwangsarbeitslager der Reichsbahn in Berlin-Köpenick, ihr Mann Feliks Kaniewski in das KZ Buchenwald, Janusz Kahl und sein Vater in das KZ Sachsenhausen. Feliks Kaniewski starb im KZ Buchenwald, die anderen Mitglieder der Familie fanden sich 1946 in Warschau wieder.

Janusz Kahl, geboren am 1. Februar 1927 in Warschau, lebte mit seiner Familie im Warschauer Stadtteil Ochota. Am 9. und 10. August 1944 verschleppten Angehörige der „Kampfgruppe Reinefarth“ die Bevölkerung dieses Stadtteils in das Durchgangslager 121 in Pruszków. Zusammen mit seinem Vater wurde Janusz Kahl aus diesem Lager in das KZ Sachsenhausen deportiert, wo er von seinem Vater getrennt wurde. Die SS überstellte ihn am 25. August in das neu eingerichtete Außenlager des KZ Neuengamme Alt Garge an der Elbe, dessen Häftlinge beim Bau eines Kraftwerks für die Hamburgische Electricitäts-Werke AG (HEW) eingesetzt waren. Das Kriegsende erlebte Janusz Kahl im „Auffanglager“ Wöbbelin. Als er dort am 2. Mai 1945 von US-amerikanischen Soldaten befreit wurde, wog er nur noch 42 Kilogramm. Im Mai 1946 kehrte Janusz Kahl nach Warschau zurück. Er studierte Klavier und Komposition und arbei-tete anschließend 40 Jahre an der Warschauer Operette. Seit seiner Pensionierung recherchiert Janusz Kahl die Namen der polnischen politischen Häftlinge des KZ Neuengamme und engagiert sich im Polski Związek Byłych Więźniów Politycznych – Koło Neuengamme (Polnischer Verband ehemaliger politischer Gefangener – Kreis Neuengamme) sowie im internationalen Häftlings verband Amicale Internationale KZ Neuengamme.

Janusz Kahl: „Es gelang mir und meiner Familie, zu überleben.

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1 Jan Derengowski, geboren am 8. Februar 1902 in Warschau. Passfoto, um 1939.Quelle: Privatbesitz Urszula Spinkiewicz, Warschau

Jan Derengowski war Mitarbeiter des Statistischen Hauptamtes in Warschau. Zusammen mit seiner Frau Maria und ihren Töchtern Elżbieta (geboren 1933), Ewa (geboren 1935) und Urszula (geboren 1940) kam er nach der Niederschlagung des Warschauer Aufstands in das Durchgangslager 121 in Pruszków. Jan Derengowski wurde in das KZ Neuengamme deportiert, wo er am 20. Dezember 1944 starb. Seine Frau und die drei Töchter wurden in die Nähe von Krakau gebracht. Sie kehrten im März 1945 nach Warschau zurück. Die jüngste Tochter Jan Derengowskis, Urszula Spinkiewicz, engagiert sich heute im polnischen Verband der ehe-maligen politischen Häftlinge des KZ Neuengamme.

2 Die Familie Żelechowski 1938 in der Tatra: Andrzej Żelechowski (Mitte) mit seiner Mutter Maria (links), seiner Frau Józefa (2. von rechts) und den Töchtern Ewa (2. von links) und Anna (rechts).Quelle: Privatbesitz Ewa Żelechowska-Stolzman, Krakau

Die Familie Żelechowski lebte vor dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf Polen in Wieliczka bei Krakau. 1941 zog sie nach Warschau um, da Andrzej Żelechowski dort eine Arbeit bekam. Die Familie wohnte im Stadtteil Żoliborz, den die Aufständischen bis Ende September 1944 halten konnten. Józefa Żelechowski und ihre Töchter Anna und Ewa über-lebten das KZ Ravensbrück, Andrzej Żelechowski starb am 8. Januar 1945 im KZ Neuengamme.

3 Antoni Stachowicz (links) mit seiner Frau Marta, der Tochter Barbara und seinem Bruder Jan auf dem Warschauer Altstadtmarkt, Mai 1939.Quelle: Privatbesitz Barbara Piotrowska, Warschau

Antoni Stachowicz starb am 8. Dezember 1944 im KZ Neuengamme. Seine Tochter Barbara, die als knapp Zehnjährige mit ihrer Mutter das KZ Ravensbrück überlebte, hatte sich 2001 mit der Bitte um einen Haftnachweis für ihren Vater an die KZ-Gedenkstätte Neuen gamme gewandt. Bei den daraufhin durchge-führten Recherchen wurden beim Internationalen Suchdienst des Roten Kreuzes in Bad Arolsen die per-sönlichen Gegenstände ihres Vaters gefunden. 57 Jahre nachdem sie ihren Vater zum letzten Mal ge sehen hatte, erhielt Barbara Piotrowska sie ausgehändigt.

Am 5. Oktober 1944 erreichte ein Gefangenentransport mit 290 Männern und etwa ebenso vielen Frauen aus dem Durch-gangs lager 121 in Pruszków das KZ Neuengamme. Unter den in den Waggons zusammengepferchten Gefangenen befanden sich auch Angehörige der aus Warschau stammenden Familien Derengowski, Żelechowski und Stachowicz. Nachdem der Zug zwei Tage im KZ Neuengamme gestanden hatte, mussten alle Männer die Waggons verlassen; sie wurden in das KZ Neuengamme eingewiesen. Die Frauen verblieben im Zug und wurden in das KZ Ravensbrück gebracht. Jan Derengowski, Andrzej Żelechowski und Antoni Stachowicz starben im KZ Neuengamme.

Drei Familienväter: Jan Derengowski, Andrzej Żelechowski und Antoni Stachowicz

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47Polen WARSCHAU

1 Zbigniew Foltyński in der KZ-Gedenkstätte Neuen-gamme, 4. Mai 2010. Ausschnitt.Foto: Mark Mühlhaus, attenzione photographers

2 Zbigniew Foltyński (Mitte) bei einer Gedenkveranstal-tung an der Gedenkstätte des Pawiak-Gefängnisses in Warschau, 15. November 2000.Quelle: Archiv der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, F 2004-1660

Wie viele andere ehemalige Häftlinge engagierte sich Zbigniew Foltyński im polnischen Verband ehemaliger politischer KZ-Häftlinge. In den 1990er-Jahren wurde er Vorsitzender des Verbandes.

3 Die brennende „Cap Arcona“ in der Lübecker Bucht, 3. Mai 1945.Quelle: Imperial War Museum, London, CR 227

Mitte April 1945 begann die SS mit der Räumung des Hauptlagers des KZ Neuengamme. Mehr als 9000 Häft-linge wurden über Lübeck auf die Schiffe „Cap Arcona“, „Thielbek“ und „Athen“ gebracht. Zusammengedrängt unter Deck litten die Häftlinge an Hunger, Durst und Krankheiten, viele starben. Bei einem Luftangriff am 3. Mai 1945 bombardierte die britische Luftwaffe irrtümlich die „Cap Arcona“ und die „Thielbek“, beide Schiffe gerieten in Brand. Die „Cap Arcona“ kenterte, die „Thielbek“ sank. Etwa 6600 Häftlinge verbrannten, ertranken oder wurden bei dem Versuch, sich zu retten, erschossen; nur 450 über lebten. Die „Athen“ mit 2000 Häftlingen an Bord entging dem Angriff, weil sie zu dem Zeitpunkt im Hafen von Neustadt in Holstein lag.

4 Zbigniew Foltyński gelang es, sich von der brennenden „Cap Arcona“ zu retten. Interview, 14. September 2004.Quelle: Archiv der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, M 2004/4786. Übersetzung: Georg Erdelbrock

Zbigniew Foltyński, geboren am 29. Januar 1922 in Warschau, war Student, als er 1942 der Armia Krajowa (Heimatarmee) beitrat. Weil er ein ausgezeichneter Schwimmer war, erhielt er den Decknamen „Foka“ (Seehund). Seine Einheit nahm während des Warschauer Aufstands im Stadtteil Mokotów an den Kampfhandlungen teil. Ende September 1944 geriet Zbigniew Foltyński in deutsche Gefangenschaft. Über das Durchgangslager 121 in Pruszków und das KZ Stutthof kam er in das Außenlager Aurich-Engerhafe des KZ Neuen gamme. Bei der Räumung des Lagers im Frühjahr 1945 brachte ihn die SS auf das Schiff „Cap Arcona“ in der Lübecker Bucht. Dank seiner Fähigkeiten als Schwimmer konnte er sich an Land retten, nachdem die britische Luftwaffe das Schiff am 3. Mai 1945 irrtümlich bombardiert und in Brand geschossen hatte.

Nach seiner Rückkehr nach Polen beendete Zbigniew Foltyński sein Studium und arbeitete bis zu seiner Pensionierung im Wasser-wirtschaftsamt in Warschau. Er starb am 25. Oktober 2014.

Zbigniew Foltyński – Überlebender des Angriffs auf die „Cap Arcona“

Der Kampf [aus dem Schiff herauszukommen] war unter-einander ein Kampf auf Leben und Tod. [...] Jeder kämpfte für sich [...]. Ich [...] kam auf ein höher gelegenes Deck, wo noch kein Rauch war, und zu einer Luke. [...] Dort, wo ein Stück freies Wasser war, sprang ich mit den Füßen voran hinein. [...] Dann der nächste Kampf, denn jeder wollte leben. Man packte den [Menschen neben sich] und zog ihn mit sich unter Wasser. Ich kämpfte mit den Beinen, stieß diejenigen weg, die mich ertränkt hätten. [...] Ich schwamm zu einem Boot, das schon voller Menschen war. Die nahmen mich gerne auf [...].

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1 Heinz Reinefarth (links) und Erich von dem Bach- Zelewski während des Warschauer Aufstands. Ausschnitt. Quelle: Landesarchiv Schleswig-Holstein, Schleswig, Abt. 354, Bild 11260

2 SS-Obersturmbannführer Heinrich Diehl (2. v. rechts) am 17. September 1944 im Durchgangslager 121 in Pruszków mit dem Vertreter des Internationalen Roten Kreuzes Dr. Paul Wyss (2. v. links) und dem Lagerkommandanten Oberst Kurt Sieber (links).Quelle: Muzeum Niepodległości w Warszawie [Museum der Unabhängigkeit in Warschau], Bild niep0276

Heinrich Diehl, geboren am 20. Januar 1909 in Stuttgart, war seit dem 13. August 1944 Leiter der Gestapo im Durchgangslager 121 in Pruszków. In seiner Verant-wortung lag die Zusammenstellung der Transporte in andere Teile des „Generalgouvernements“ sowie der Transporte zur Zwangsarbeit in das Deutsche Reich und in die Konzentrationslager. Nach der Niederschla-gung des Aufstands beaufsichtigte er die Plünderung Warschaus. Angaben über sein weiteres Schicksal liegen nicht vor.

Der von Adolf Hitler mit der Niederschlagung des Warschauer Aufstands beauftragte Reichsführer SS, Heinrich Himmler, ernannte zunächst den SS-Gruppenführer und General leutnant der Waffen-SS Heinz Reinefarth, am 5. August 1944 dann den „Bevollmächtigten des Reichsführers SS für Banden bekämpfung“, SS-Obergruppen-führer und General der Waffen-SS Erich von dem Bach-Zelewski, zum Verantwortlichen für die Durchführung der Bekämpfung des Aufstands. Von dem Bach-Zelewski sagte 1946 im Verhör durch einen polnischen Staatsanwalt aus, sein Auftrag sei gewesen, alle Aufständischen und auch den nicht kämpfenden Teil der War-schauer Bevölkerung zu erschießen und die Stadt voll ständig zu zerstören. Über 21 000 Angehörige von SS, Polizei und Wehrmacht waren zur Aufstandsbekämpfung in Warschau eingesetzt, viele von ihnen verübten Massaker an der Bevölkerung und andere Kriegs-verbrechen.

Die Verantwortlichen, die den Krieg überlebten, wurden nur in Ausnahmefällen für die von ihnen begangenen oder befohlenen Verbrechen angeklagt und verurteilt.

Die Verantwortlichen: Nur wenige wurden zur Rechenschaft gezogen

Heinz Reinefarth

Heinz Reinefarth, geboren am 26. Dezember 1903 in Gnesen, Provinz Posen, Jurist, seit 1932 Mitglied der NSDAP und der SS, 1944 zum SS-Gruppenführer und Generalleutnant der Waffen-SS und Polizei ernannt. Unter seinem Kommando er mordeten Anfang August 1944 Einheiten von SS, Polizei und Wehrmacht im Warschauer Stadtteil Wola mindestens 40 000 Men-schen. 1945 kam er in britische Kriegsgefangenschaft, aus der er 1948 entlassen wurde; die polnische Justiz bemühte sich vergeblich um seine Aus lieferung. Zurück gekehrt nach Schleswig-Holstein war Reinefarth kommunal- und landespolitisch aktiv. Von 1951 bis 1964 war er Bürgermeister von Westerland auf Sylt. Erst nach Einleitung eines Ermittlungsverfahrens wegen seiner Beteiligung an Kriegsverbrechen 1962 endete seine politische Laufbahn. Zu einer Anklage erhebung kam es jedoch nicht. Heinz Reinefarth starb am 7. Mai 1979 in Westerland.

Erich von dem Bach-Zelewski

Erich von dem Bach-Zelewski, geboren am 1. März 1899 in Lauenburg in Pommern, SS-Obergruppenführer und General der Waffen-SS, übernahm am 5. August 1944 das Kommando über die zur Niederschlagung des Warschauer Aufstands eingesetzten Verbände. Nach dem Krieg war er in US-amerikanischer Kriegs-gefangenschaft. Im Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher sagte er als Zeuge der Anklage aus. 1950 wurde er aus der Kriegs gefangenschaft entlassen. Für die unter seinem Kommando verübten Kriegsverbrechen wurde er niemals vor Gericht zur Verantwortung gezogen. Wegen der Ermordung von fünf Kommunisten 1933 verurteilte ihn das Landgericht Nürnberg-Fürth 1962 zu lebenslanger Haft. Erich von dem Bach-Zelewski starb am 8. März 1972 in einem Gefängniskrankenhaus in München.

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49Polen WARSCHAU

Oskar Dirlewanger, 1944. Foto: Anton Ahrens. Quelle: Bundesarchiv, Bild 183-S73495

Oskar Dirlewanger, geboren am 26. September 1895 in Würzburg, war Soldat im Ersten Weltkrieg und anschließend Mitglied eines Freikorps. Wegen seines frühen Eintritts in die NSDAP 1922 galt er als „alter Kämpfer“ der nationalsozialistischen „Bewegung“. 1934 wurde der promovierte Staatswissenschaftler wegen der Vergewaltigung eines dreizehnjährigen Mädchens zu einer zweijährigen Zuchthausstrafe verurteilt. Nach Verbüßung der Strafe kam er wegen weiterer Vergehen erneut in Haft. 1940 erhielt er die Gelegenheit, sich in der SS zu „bewähren“. Er befehligte fortan eine SS-Sondereinheit, die seinen Namen trug. Diese Einheit verübte zahlreiche Kriegsver brechen. Nach Kriegsende wurde Oskar Dirlewanger in der französischen Besatzungszone verhaftet. Er starb am 7. Juni 1945 im Gefängnis in Altshausen bei Ravensburg.

Bronislaw Kaminski, Frühjahr 1944.Foto: Wehmeyer. Quelle: Bundesarchiv, Bild 101I-280-1075-11A

Bronislaw Kaminski, geboren am 16. Juni 1899 in Witebsk in Russland, war ab 1942 Kommandeur einer russischen Miliz, die mit der deutschen Wehrmacht und der SS zusammenarbeitete und bei der Bekämpfung der Partisanen bewegung eingesetzt wurde. 1944 gehörte seine als „RONA“ (Ruskaia Oswoboditelnaia Narodnaia Armia – Russische Volksbe-freiungsarmee) bezeichnete Einheit der Waffen-SS bei der Niederschlagung des Warschauer Aufstands zu den Heinz Reinefahrt unterstellten Einheiten. Angehörige der RONA vergewaltigten Frauen und Mädchen, plünderten und beteiligten sich an Erschießungen. Allein am 5. August 1944 er mordeten sie etwa 15 000 Menschen. Bronislaw Kaminski wurde am 28. August 1944 aus nicht be kanntem Grund von einem deutschen Standgericht in „Litzmannstadt“ (Łódź) zum Tode ver urteilt und hin gerichtet.

Paul Otto Geibel, vermutlich 1944.Quelle: Bundesarchiv, VBS286_6400011884_B

Paul Otto Geibel, geboren am 10. Juni 1898 in Dortmund, war seit 1931 NSDAP-Mitglied, 1938 trat er in die SS ein. Ab April 1935 war er bei der Polizei tätig, ab 1941 gehörte er der Ordnungspolizei an. Von März bis Dezember 1944 war Geibel im Rang eines SS-Brigadeführers SS- und Polizeiführer im Distrikt Warschau. Während des Warschauer Aufstands war er verantwortlich für die von Polizeikräften began-genen Morde an Zivilistinnen und Zivilisten und für Hinrichtungen im Warschauer Gestapohauptquartier. Nach der Niederschlagung des Aufstands befehligte er die Verschleppung der Zivilbevölkerung und die Zerstörung der Stadt. Im Januar 1945 wurde er Befehls-haber der Ordnungspolizei in Prag. Für unter seiner Verantwortung begangene Verbrechen verurteilte ein tschechisches Gericht Paul Geibel nach Kriegsende zu einer fünfjährigen Haftstrafe, nach deren Verbüßung er an Polen ausgeliefert wurde. 1954 wurde er in Warschau wegen der unter seinem Befehl als SS- und Polizeiführer begangenen Verbrechen zu lebenslanger Haft verurteilt. Am 12. November 1966 nahm sich Paul Geibel im Gefängnis in Warschau das Leben.

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1 Das 1964 hinter dem alten Rathaus errichtete Denk-mal „Helden von Warschau 1939 bis 1945“. Aufnahme von 2002.Foto: Tomasz Markiewicz. Quelle: Privatbesitz Tomasz Markiewicz, Warschau

Das Denkmal der sogenannten „Warschauer Nike“, ge schaffen von dem Bildhauer Marian Konieczny, wurde 1964 der Öffentlichkeit übergeben. Mit der Nennung der Jahreszahlen 1939 bis 1945 war das Denk-mal nicht eindeutig dem Aufstand, sondern den nicht näher definierten „Helden von Warschau“ während der gesamten deutschen Besatzung gewidmet.

2 Das Denkmal zu Ehren des Warschauer Aufstands 1944 auf dem Plac Krasińskich (Krasińskiplatz), errichtet 1989. Aufnahme von 2002.Foto: Tomasz Markiewicz. Quelle: Privatbesitz Tomasz Markiewicz, Warschau

Anfang der 1980er-Jahre bildeten sich in Polen Initiativen für ein Denkmal und für ein Museum des Warschauer Aufstands, die sich aus Protest gegen poli-tische Einflussnahme durch den staatlich kontrollierten Kriegsveteranenverband ZBoWiD (Związek Bojowników o Wolność i Demokrację – Verband der Kämpfer für Freiheit und Demokratie) jedoch wieder auflösten. Das 1989 errichtete Denkmal löste Kontroversen aus, da es in seiner Gestaltung an den monumentalen Stil des sozialistischen Realismus erinnerte.

3 Gedenktafel in den Aleje Jerozolimskie (Jerusalemer Alleen) in Warschau. Die Übersetzung der Inschrift lautet: „Mit dem Blut von für die Freiheit des Vater-lands gefallenen Polen geheiligter Ort – Hier erschos-sen im August 1944 Hitlerfaschisten 90 Personen aus der Zivilbevölkerung“. Aufnahme von 2002.Foto: Tomasz Markiewicz. Quelle: Privatbesitz Tomasz Markiewicz, Warschau

In der Nachkriegszeit durfte in Polen nicht an den Befreiungskampf der Armia Krajowa erinnert werden, da diese auch eine sowjetische Vorherrschaft in Polen zu verhindern versucht hatte. Die Bevölkerung erin-nerte mit provisorischen Gedenktafeln an Orten von Massen erschießungen und Massakern an den Aufstand. 1949 beauftragten die Behörden den Bildhauer Karol Tchorek mit der Gestaltung einer Gedenktafel, die in abgewandelter Form bis in die 1980er-Jahre an etwa 200 Gebäuden in der Stadt angebracht wurde. Dass die Tafeln an Opfer des Warschauer Aufstands erinnern, ergibt sich nur aus den Datierungen der auf den Tafeln benannten Ereignisse.

Der Wandel des politischen Herrschaftssystems in Polen hat die Erinnerung an den Warschauer Aufstand maßgeblich beeinflusst. In der vom Stalinismus dominierten Nachkriegsära stand der Freiheitskampf des kommunistischen Widerstands im Fokus des offiziellen Gedenkens. Der von der antisowjetisch ausgerichteten Heimatarmee (Armia Krajowa) und der polnischen Exilregierung in London durchgeführte Warschauer Aufstand galt als Verrat an der polnischen Bevölkerung. Nach Stalins Tod 1953 änderte sich die Wahrnehmung des Aufstands langsam, lokale Erinnerungszeichen erinnerten an die Opfer, ohne allerdings das Ereignis des Aufstands selbst zu benennen. Erst mit Beginn der 1980er-Jahre und der Entstehung der Solidarność-Bewegung durften die Kämpferinnen und Kämpfer der Heimatarmee im öffentlichen Raum gewürdigt werden. 1989 wurde schließlich ein Denkmal eingeweiht, das den Warschauer Aufstand als nationales Symbol des polnischen Freiheitskampfes sichtbar im öffentlichen Gedenken verankerte. 2004 eröffnete zum 60. Jahrestag des Aufstands das Museum des Warschauer Aufstands, das die Aufständischen als Ver treterinnen und Vertreter einer Nation im Widerstand darstellt.

Der Warschauer Aufstand in der polnischen Erinnerungskultur

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51Polen WARSCHAU

1 Denkmal am Ort des ehemaligen Durchgangs-lagers 121 in Pruszków. Aufnahme von April 2014.Foto: Georg Erdelbrock. Quelle: Privatbesitz Georg Erdelbrock, Ahrensburg

Dieses Denkmal entstand 1947 auf Initiative der Beschäftigten des Eisenbahnausbesserungswerks in Pruszków. Die Übersetzung der Inschrift lautet: „Den Helden und Märtyrern Warschaus, die im Lager Pruszków ihren Schmerz, ihr Blut und ihr Leben dem Vaterland opferten.“ Weder der Warschauer Aufstand noch die von Pruszków aus durchgeführten Deporta-tionen in andere Lager werden erwähnt.

2 Gedenkstätte in Pruszków, April 2014.Foto: Georg Erdelbrock. Quelle: Privatbesitz Georg Erdelbrock, Ahrensburg

Das zweite Denkmal in Pruszków wurde 1990 vor der ehemaligen Halle 5 des Eisenbahnaus besserungswerks errichtet, in der 1944 Menschen gefangen gehalten worden sind. Insgesamt durchliefen 650 000 Menschen in der Zeit vom 6. August bis 5. November 1944 das Durchgangslager 121. Nach der Schließung des Werkes wird die Halle 5 heute gewerblich genutzt. Die Über-setzungen der Aufschriften an der Halle und auf der symbolischen Rampe vor der Halle lauten: „Durch-gangslager 121 Pruszków 6. August–5. November 1944“ und „Hier ging Warschau durch“.

3 Einweihung des von Jan de Weryha-Wysoczański geschaffenen Mahnmals für die aus Warschau im Herbst 1944 in das KZ Neuengamme deportierten Polinnen und Polen am 1. September 1999 im Gedenkhain der KZ-Gedenkstätte Neuengamme.Quelle: Archiv der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, F 2000-3219

Gedenken an die Deportierten

Ein 1947 am Ort des ehemaligen Durchgangslagers 121 in Pruszków eingeweihtes Denkmal war lange Zeit das einzige Erinnerungs-zeichen auf dem Gelände des nach dem Krieg wieder in Betrieb genommenen Eisenbahnausbesserungswerks. 1990 wurde vor einer der Hallen, die 1944 als Gefangenenunterkunft gedient hatten, ein weiteres Denkmal errichtet. 2010 eröffnete auch ein kleines Museum auf dem Gelände des mittlerweile geschlossenen Werkes.

In der KZ-Gedenkstätte Neuengamme erinnert am internationalen Mahnmal seit 1965 ein Stein mit der Aufschrift „Polska“ an die polnischen Häftlinge des Konzentrationslagers Neuengamme. Ende der 1990er-Jahre ergriffen mehrere polnische Vereine aus Hamburg die Initiative, auf dem Gelände der Gedenkstätte auch ein Denkmal für die im Zusammenhang mit dem Warschauer Aufstand in das KZ Neuengamme deportierten Polinnen und Polen zu errichten. Am 1. September 1999 enthüllten Hamburgs Kultursenatorin Dr. Christina Weiss und der Generalkonsul der Republik Polen, Mieczysław Sokołowski, das Denkmal.

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Putten ist eine ländlich geprägte Gemeinde in der niederländischen Provinz Gelderland, 70 Kilometer östlich von Amsterdam. Das 855 erstmals urkundlich erwähnte Putten entwickelte sich vom Bauern-dorf zu einer Gemeinde, in der um 1900 bereits 5500 Menschen lebten. Aufgrund der guten Verkehrsanbindung mit einem Bahn-anschluss seit 1863 siedelten sich Menschen aus der Großstadt an und es ent wickelte sich ein reger Tourismus, der für die Gemeinde noch heute von großer wirtschaftlicher Bedeutung ist. Zentrum des stark religiös geprägten Gemeinwesens ist die Oude Kerk (Alte Kirche) aus dem 15. Jahrhundert. 1944 hatte Putten 10 000 Einwohne-rinnen und Einwohner, heute sind es etwa 25 000.

Zur Geschichte Puttens gehört seit Oktober 1944 ein von Soldaten der Wehrmacht an der Bevölkerung des Dorfes verübtes Kriegsver-brechen, eine „Vergeltungsmaßnahme“ für einen in der Nähe des Ortes von Widerstandskämpfern durchgeführten Anschlag auf ein Wehrmachtsfahrzeug.

PUTTENNiederlande

Der Marktplatz von Putten an der Oude Kerk (Alte Kirche), 1943. Quelle: Privatbesitz Jo Hedwig Teeuwisse, Amsterdam

Brennende Häuser in Putten, 2. Oktober 1944.Foto: Nico J. de Graaff. Quelle: Image Bank WW2 – Resistance Museum Amsterdam, Bild 113542

Die Oude Kerk in Putten, Dezember 2014.Foto: Jan A. C. van Boeijen. Quelle: Privatbesitz Jan A. C. van Boeijen, Putten, www.vaboput.nl

53Niederlande PUTTEN

1 Willem van Heesen aus Putten, nicht datiert.Quelle: Stichting Oktober ’44, Putten

Willem van Heesen, geboren am 11. Juli 1920 in Ambt Vollenhove, lebte in Putten. Er war an dem Anschlag beteiligt. Dies war der Sicherheitspolizei jedoch nicht bekannt. Im Rahmen der „Vergeltungsmaßnahme“ wurde auch er nach Deutschland in das KZ Neuen-gamme deportiert. Willem van Heesen starb am 25. April 1945 im „Auffanglager“ Sandbostel bei Bremer vörde.

2 Berend Dijkman, Bezirkskommandant des Wider-stands in der Region Veluwe, nicht datiert. Quelle: Image Bank WW2 – NIOD, Bild 147312

Die Widerstandskämpfer, die den Anschlag in Putten verübten, waren Teil der „Binnenlandse Strijdkrachten“ (Innere Streitkräfte), die durch Sabotageaktionen und Angriffe auf Wehrmachtseinrichtungen den Vormarsch der Alliierten unterstützten und damit zur Befreiung der Niederlande beitrugen. Bezirkskommandant für die Region Veluwe war Berend Dijkman, geboren am 14. Oktober 1904 in Assen. Er hatte den Anschlag auf das Wehrmachtsfahrzeug angeordnet. Berend Dijkman war einer von 20 Männern, die am 29. März 1945 auf Befehl des Wehrmachtsbefehlshabers in den Niederlanden, General Friedrich Christiansen, in Wierden als „Vergeltung“ für einen anderen Anschlag nieder ländischer Widerstandskämpfer erschossen wurden.

3 Gedenkstele am Ort des Anschlags zwischen Putten und Nijkerk, Oktober 2014. Foto: Hanno Billerbeck, Hamburg. Quelle: Archiv der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, F 2014-439

Die Inschrift lautet: „Bij deze brug vond de aanslag plaats, die aanleiding gaf tot de razzia van Putten op 1 en 2 oktober 1944“ (An dieser Brücke fand der Anschlag statt, der Anlass für die Razzia in Putten am 1. und 2. Oktober 1944 war).

1. Oktober 1944: Der Anschlag

Zwischen Putten und dem zehn Kilometer entfernten Nijkerk verübten niederländische Widerstandskämpfer in der Nacht zum 1. Oktober 1944 einen Anschlag auf ein mit vier Personen besetztes Wehrmachtsfahrzeug. In dem anschließenden Schusswechsel wurde Frans Slotboom, einer der acht an dem Anschlag beteiligten Männer, so schwer verletzt, dass er am Folgetag starb. Auch ein schwer verwundeter deutscher Offizier starb, nachdem er sich zu einem nahe gelegenen Bauernhaus hatte schleppen können, wo er noch versorgt worden war. Ein zweiter, leichter verwundeter Offizier wurde von der Widerstandsgruppe gefangen genommen, jedoch wieder freigelassen, damit er in einem Krankenhaus behandelt werden konnte. Die beiden anderen deutschen Soldaten, Wehr-machtsgefreite, konnten unverletzt fliehen.

Die Widerstandsgruppe, die den Anschlag ausführte, bestand aus Männern, die sich in Putten und der weiteren Umgebung des Ortes versteckt hielten oder in Putten lebten. Mehrere an dem Anschlag beteiligte Männer wurden später von der deutschen Sicherheits-polizei verhaftet; mindestens zwei von ihnen haben die Haft in deutschen Konzentrationslagern nicht überlebt.

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OrtskernPutten

OrtskernNijkerk

Nijkerkerstraat

Vetk

amp

GEMEINDE NIJKERK

GEMEINDE PUTTEN

Bahnhof Putten

Bahnhof Nijkerk

Ort des Anschlags

Amsterdam (70 km)

Die Gemeinden Putten und Nijkerk in der nieder-ländischen Provinz Gelderland. Grafik: Julia Werner

Karte des Zentrums von Putten. Aus: Opdat het nageslacht het wete. Gedenkboek voor de mannen die op 2 October 1944 uit ons dorp werden weggevoerd [Damit es die Nachwelt weiß. Gedenkbuch für die Männer, die am 2. Oktober 1944 aus unserem Dorf verschleppt wurden], Putten 1948, zwischen S. 240 u. S. 241

Die Markierungen geben an, wie viele Männer aus dem jeweiligen Haus verschleppt wurden und wie viele von ihnen zurückkamen. Schraffiert dargestellt sind die zerstörten Häuser.

55Niederlande PUTTEN

1 Zahlreiche Einwohnerinnen und Einwohner müssen am 2. Oktober 1944 Putten verlassen. Ihre Häuser werden in Brand gesetzt.Foto: Nico J. de Graaff. Quelle: Image Bank WW2 – Resistance Museum Amsterdam, Bild 111242

2 Ausgebrannte und zerstörte Häuser in Putten, Oktober 1944. Foto: Nico J. de Graaff. Quelle: Image Bank WW2 – Resistance Museum Amsterdam, Bild 113546

3 Holzschnitt „Bekendmaking van het vonnis“ (Die Bekanntgabe des Urteils) von Jo Bezaan, nicht datiert. Aus: Klaas Friso/Jo Bezaan: “Als daar met moord en brand …” Een beschrijving van de gebeurtenissen in Putten op 1 en 2 oktober 1944 [„Wenn dort mit Mord und Brand …“ Eine Beschreibung der Geschehnisse in Putten am 1. und 2. Oktober 1944], Putten 1983, S. 20

Der Holzschnitt zeigt die Situation in der Kirche von Putten am 2. Oktober 1944, als sich die Frauen des Ortes dort versammeln mussten und ihnen die „Ver-geltungsmaßnahme“ – der Abtransport der Männer, die Teilräumung Puttens und das Niederbrennen von Häusern – mitgeteilt wurde.

Nachdem die Wehrmacht von dem Anschlag Kenntnis erhalten hatte, ließ der zuständige Regimentskommandeur, Oberst Fritz Fullriede, am 1. Oktober 1944 das Dorf Putten weiträumig ab riegeln. Auf Befehl des Wehrmacht befehlshabers in den besetzten Nieder-landen, Friedrich Christiansen, wurden alle Personen innerhalb des abgesperrten Gebietes auf ge fordert, sich zur Kontrolle der Perso-nalien auf dem Marktplatz von Putten einzufinden. Ausgenommen waren nur Kranke, Mütter mit Säuglingen, Alte und Gebrechliche. Bei dem Versuch, zu fliehen, wurden eine Frau und 6 Männer er schossen, weitere 40 Männer wurden als Geiseln festgehalten.

Frauen, Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren und Männer über 50 Jahre kamen am selben Abend wieder frei, auch niederländische Nationalsozialisten und jene, die als „deutsch freundlich“ galten, durften nach Hause gehen. Die verbliebenen über 600 Männer wurden über Nacht ein gesperrt, die meisten von ihnen in der Kirche, die 40 Geiseln in einem Nebengebäude, der sogenannten Eierhalle.

Am folgenden 2. Oktober 1944 wurden 659 Männer, darunter auch die Geiseln, in das Polizeiliche Durchgangslager Amersfoort gebracht. Deutsche Soldaten vertrieben in einigen Ortsteilen Puttens die Bewohnerinnen und Bewohner aus ihren Wohnungen und setzten mehr als 100 Häuser in Brand.

1. und 2. Oktober 1944: Die „Vergeltungsmaßnahme“

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1 Albert Teunissen, 1943 oder 1944.Quelle: Gemeentearchief Putten

Albert Teunissen, geboren am 4. April 1924 in Putten, war Landarbeiter. Er überlebte die Haft im KZ Neuen-gamme und im Außenlager Ladelund. Zwei seiner Brüder kamen jedoch ums Leben. Sein Vater gehört zu den 58 Männern aus Putten, die zunächst ebenfalls nach Amersfoort gebracht worden waren, aber wieder freigelassen wurden.

2 Hendrik van Steeg, 1943 oder 1944.Quelle: Stichting Oktober ’44, Putten

Hendrik van Steeg, geboren am 30. Juli 1916 in Putten, Bauer, war verheiratet und hatte zwei Kinder. Er starb am 10. November 1944 im Außenlager Husum-Schwesing. Sein Bruder Lubbertus van Steeg, der ebenfalls im KZ Neuengamme inhaftiert war, starb dort am 21. Januar 1945.

3 Albert Teunissen über das Außenlager Ladelund, Interview, 14. November 1991. Quelle: Archiv der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, HB 1612

Am Nachmittag des 2. Oktober 1944 mussten die 659 Männer aus Putten zu dem zweieinhalb Kilometer entfernten Bahnhof marschieren, von wo sie mit Güterwaggons in das Durchgangslager Amersfoort transportiert wurden. Am 11. Oktober wurden 601 von ihnen nach Deutschland in das KZ Neuengamme deportiert. Die verbliebenen 58 Männer konnten nach kurzer Haft in Amersfoort nach Putten zurückkehren.

Am 14. Oktober 1944 trafen 588 der 601 Männer aus Putten im KZ Neuengamme ein – 13 von ihnen war während des Transports die Flucht gelungen. Fast alle Männer aus Putten wurden in Außenlager des KZ Neuengamme überstellt, mehr als die Hälfte nach Ladelund und Husum-Schwesing im Norden Schleswig-Holsteins. Bis zum Kriegsende starben 540 der aus Putten Deportierten infolge der Arbeits bedingungen, an Unterer nährung und Krankheiten, durch Misshandlungen der Wachmannschaften oder nach der Räumung des KZ Neuen gamme und der Außenlager bei der irrtümlichen Bombardierung der mit Häftlingen beladenen Schiffe „Cap Arcona“ und „Thielbek“ durch die britische Luftwaffe in der Lübecker Bucht am 3. Mai 1945. Nur 48 Männer kehrten nach Kriegsende nach Putten zurück.

Dann sind wir nach Ladelund gekommen, da sind wir acht Wochen gewesen, mit 1000 Mann. In den acht Wochen gab es 300 Tote und die anderen waren fast alle krank. […] Ladelund, das liegt einen Kilometer von der dänischen Grenze entfernt. Das war schwere Arbeit. Panzergräben ausheben, Laufgräben bauen, sieben Tage pro Woche arbeiten. Dann geschah es, dass wir 14 Tage hintereinander Regen hatten, und dann hattest du keine trockenen Kleider mehr und konntest nirgends mehr schlafen.

Das Schicksal der aus Putten verschleppten Männer

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57Niederlande PUTTEN

1 Mitteilung des Einsatzkommandos der Sicherheits-polizei und des SD in Apeldoorn vom 18. November 1944 an Geertje van Steeg über den Tod ihres Mannes Hendrik van Steeg am 10. November 1944 in Husum. Quelle: Stichting Oktober ’44, Putten

Die Angehörigen wussten nicht, wohin die Männer ver schleppt worden waren. Auch Benachrichtigungen wie diese ließen keinen Rückschluss darauf zu, dass der Verstorbene als Häftling eines Konzentra tionslagers ums Leben gekommen war.

2 Nachricht von Johannes Joseph Thomas („Joop“), Wilhelmus Kienhuis („Willem“), Cornelis Steijlen („Cor“) und Gerhardus Johannes Schiffmacher („Johan Gerards“) an ihre Familien vom 11. oder 12. Oktober 1944.Quelle: Stichting Oktober ’44, Putten

Während des Transports vom niederländischen Durch-gangslager Amersfoort nach Deutschland im Oktober 1944 schrieben Johannes Joseph Thomas, Wilhelmus Kienhuis, Cornelis Steijlen und Gerhardus Johannes Schiffmacher diese Nachricht und warfen sie aus dem Zug, als dieser einen Tag bei Almelo vor der niederlän-disch-deutschen Grenze stand. Die Nachricht wurde gefunden und nach Putten weitergeleitet. Der Zettel stammte aus einem Notizbuch von Johannes Joseph Thomas, geboren am 28. Februar 1908 in Harderwijk. Er starb im April 1945 auf einem Häftlingstransport in das „Auffang lager“ Sandbostel bei Bremervörde. Wilhelmus Kienhuis, geboren am 27. September 1911 in Amster dam, starb am 6. Januar 1945 im Außen lager Meppen-Dalum des KZ Neuengamme im Emsland. Cornelis Steijlen, geboren am 18. November 1899 in Geertruidenberg, starb am 16. Mai 1945 an den Folgen der KZ-Haft in Sandbostel. Gerhardus Schiff macher, geboren am 14. Dezember 1916 in Harderwijk, starb am 1. Dezember 1944 im Außen lager Ladelund.

Meine Lieben. Gestern Abend (Mittwoch) sind wir auf Transport gegangen nach Deutschland. Jetzt (Donnerstag) stehen wir schon den ganzen Tag vor Almelo und werden wahrscheinlich heute Abend die Grenze mit unbe-kannter Bestimmung überqueren. Wir sind zuversichtlich! Auf Wiedersehen und herzliche Grüße Cor., Johan Gerards, Willem Kienhuis [links unten] Lass dich nicht runterkriegen! Liebste! Wir [unleserlich] JoopÜbersetzung: Jan van Ommen

Die Übersetzung der Nachricht lautet:

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1 Brand Petersen, geboren am 22. Januar 1896 in Putten, umgekommen am 18. November 1944 im Außenlager Hamburg-Fuhlsbüttel.Quelle: Gemeentearchief Putten

2 Hijmen Petersen, geboren am 1. August 1899 in Putten, umgekommen am 15. November 1944 im Außenlager Wedel.Quelle: Stichting Oktober ’44, Putten

3 Jan Petersen, geboren am 13. September 1903 in Putten. Er gehört zu den mindestens 6600 KZ-Häftlingen, die bei der irrtümlichen Bombardierung der KZ-Schiffe „Cap Arcona“ und „Thielbek“ durch die britische Luftwaffe am 3. Mai 1945 in der Lübecker Bucht umkamen.Quelle: Stichting Oktober ’44, Putten

4 Willem Petersen, geboren am 4. April 1905 in Putten, umgekommen am 28. November 1944 im Außenlager Aurich-Engerhafe.Quelle: Gemeentearchief Putten

5 Peter Petersen, geboren am 5. September 1926 in Putten, umgekommen am 15. Februar 1945 im Außen-lager Hamburg-Hammerbrook (Spaldingstraße).Quelle: Gemeentearchief Putten

Von der Verschleppung der Männer und ihrem Tod im Konzentra-tionslager Neuengamme waren viele Familien in Putten betroffen, manche – wie die Familie Petersen – auch mehrfach. Die Brüder Brand, Hijmen, Jan und Willem Petersen lebten in Putten. Zwei von ihnen waren Landarbeiter, die anderen Bauer bzw. Eierhändler. Hijmen Petersen war ledig, Brand, Jan und Willem Petersen waren verheiratet. Brand und Willem Petersen hatten beide jeweils vier Kinder.

Die vier Brüder und der Sohn von Brand Petersen, Peter Petersen, wurden im Oktober 1944 mit den anderen Männern aus Putten im Zuge der „Vergeltungsmaßnahme“ gegen die Bevölkerung Puttens verhaftet und nach Deutschland in das KZ Neuengamme deportiert. Sie waren an dem Anschlag auf die Wehrmachtsangehörigen am 1. Oktober nicht beteiligt. Vom Hauptlager des KZ Neuengamme überstellte die SS sie zur Zwangsarbeit in verschiedene Außen-lager, sodass sie getrennt wurden. Die Haftbedingungen und die Arbeiten, die die Häftlinge zu verrichten hatten, unterschieden sich zwar von Lager zu Lager, doch überlebte keiner der fünf Männer aus der Familie Petersen.

Fünf Opfer aus einer Familie: Brand, Hijmen, Jan, Willem und Peter Petersen

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59Niederlande PUTTEN

1 Willem Bakker, geboren am 13. Dezember 1895 in Putten; Landarbeiter, verheiratet, zwei Kinder. Er starb am 13. Dezember 1944 im Außenlager Hamburg-Hammerbrook (Spaldingstraße) des KZ Neuengamme.Quelle: Gemeentearchief Putten

2 Aart Bakker, geboren am 4. August 1897 in Putten; Eierhändler. Er starb am 7. Januar 1945 im KZ Neuengamme.Quelle: Gemeentearchief Putten

3 Jan Bakker, geboren am 22. Januar 1901 in Putten; Bäckergeselle, verheiratet, zwei Kinder. Er starb am 25. Dezember 1944 im KZ Neuengamme.Quelle: Gemeentearchief Putten

4 Aalt Bakker, geboren am 23. September 1905 in Putten, Bauer. Er starb am 21. November 1944 im Außenlager Ladelund.Quelle: Stichting Oktober ’44, Putten

5 Hendrik Bakker, geboren am 30. Januar 1908 in Putten; Bauer, verheiratet, zwei Kinder. Er starb am 1. Dezember 1944 im Außenlager Ladelund.Quelle: Stichting Oktober ’44, Putten

6 Rijk Bakker, geboren am 4. Oktober 1916 in Putten, Bauer. Er starb am 13. Mai 1945 in Malchow in Mecklenburg an den Folgen der KZ-Haft.Quelle: Gemeentearchief Putten

7 Gijsbert Kuit, geboren am 25. August 1895 in Putten; Arbeiter, verheiratet mit Heintje Bakker, zwei Kinder. Er starb am 13. März 1945 im KZ Bergen-Belsen.Quelle: Stichting Oktober ’44, Putten

8 Hendrik van Elten, geboren am 30. April 1909 in Putten; Zimmermann, verheiratet mit Aartje Bakker, ein Kind. Er starb am 20. November 1944 im Außen-lager Ladelund.Quelle: Gemeentearchief Putten

9 Wouter Kuit, geboren am 26. Juli 1926 in Putten, Bauer; Sohn von Gijsbert und Heintje Kuit, geb. Bakker. Er starb am 3. Mai 1945 bei dem irrtümlichen Angriff der britischen Luftwaffe auf die mit Häftlingen beladenen Schiffe in der Lübecker Bucht.Quelle: Gemeentearchief Putten

10 Rijndert Bakker, geboren am 8. Dezember 1922 in Putten, Bauer; Sohn von Willem und Willempje Bakker, geb. Huijbertsen. Er starb am 14. Dezember 1944 im Außenlager Hamburg-Hammerbrook (Spaldingstraße).Quelle: Gemeentearchief Putten

Aus der Familie von Rijndert und Aartje Bakker wurden sechs Söhne, zwei Schwiegersöhne und zwei Enkel, der jüngste 18 Jahre alt, in das KZ Neuengamme und seine Außenlager deportiert, keiner von ihnen überlebte.

Die Familie Bakker: Zehn Männer kehrten nicht zurück

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1 Hendrikus van den BergQuelle: Stichting Oktober ’44, Putten

Hendrikus van den Berg, geboren am 23. Februar 1910 in Putten, Uhrmacher und Goldschmied, war verheiratet und hatte zum Zeitpunkt seiner Deportation zwei Töch-ter. Nachdem er Ende April 1945 vom Schwedischen Roten Kreuz gerettet worden war, kehrte er nach einer Erholungsphase in Schweden im September 1945 nach Putten zurück. Er nahm seine Tätigkeit als Uhrmacher wieder auf. Seine Frau Gradda und er bekamen noch einen Sohn und eine weitere Tochter. Hendrikus van den Berg starb am 31. Juli 1975 in Putten.

2 Feuerzeug, Pfeife und Löffel aus dem Besitz von Hendrikus van den Berg in der Ausstellung der K Z-Gedenkstätte Neuengamme. Quelle: Privatbesitz

Das Feuerzeug und die Pfeife waren Geschenke sowje-tischer Mitgefangener, der Löffel gehörte einem ver-storbenen Mithäftling. Hendrikus van den Berg nahm diese Gegenstände über Schweden mit nach Hause; die Familie übergab sie 2004 der KZ-Gedenkstätte Neuengamme als Leihgabe.

3 Hendrikus van den Berg und Gradda van de Bank am Tag ihrer Hochzeit, dem 11. September 1936. Quelle: Privatbesitz

Zu den 48 Männern aus Putten, die die Deportation überlebten, gehören Hendrikus van den Berg und Wouter Rozendaal. Sie waren zusammen im Hauptlager des KZ Neuengamme und auch in den Außenlagern Husum-Schwesing und Ladelund, wo sie in schwerer, kräftezehrender Arbeit Panzersperrgräben ausheben mussten. Hendrikus van den Berg wurde Ende April 1945 von Lübeck aus mit mehreren Tausend weiteren KZ-Häftlingen auf das Schiff „Cap Arcona“ gebracht. Als die britische Luftwaffe das Schiff am 3. Mai 1945 irrtümlich angriff und in Brand schoss, starben fast alle Häftlinge an Bord. Hendrikus van den Berg war jedoch kurz zuvor mit 250 weiteren Häftlingen vom Schwedischen Roten Kreuz nach Schweden evakuiert worden. Wouter Rozendaal war Ende März 1945 völlig entkräftet aus dem Hauptlager Neuengamme in das Außen-lager in Salzgitter-Watenstedt/Leinde gebracht worden. Bei der Räumung des Außenlagers im April 1945 überlebte er den Transport in das KZ Ravensbrück. Auf einem weiteren Räumungsmarsch konnte er dann fliehen.

Bei ihrer Rückkehr lastete auf beiden Männern die schwere Bürde, vielen Angehörigen Deportierter in Putten die Nachricht vom Tod ihrer Verwandten überbringen zu müssen.

Sie kehrten heim: Hendrikus van den Berg und Wouter Rozendaal

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61Niederlande PUTTEN

1 Wouter Rozendaal, um 1943.Quelle: Gemeentearchief Putten

Wouter Rozendaal, geboren am 16. Februar 1905 in Putten, Kaufmann, war mit Hendrikje Petersen verheiratet. Nachdem er Ende April 1945 nördlich des KZ Ravensbrück auf einem Räumungsmarsch fliehen konnte, erlangte er am folgenden Tag seine Freiheit, als er auf Einheiten der Roten Armee traf. Unverzüglich machte er sich auf den Weg zu seiner Familie nach Putten, wo er Anfang Juni 1945 eintraf. Wouter Rozendaal starb am 20. Februar 1992 in Putten.

2 Wouter Rozendaal über die Arbeit beim Aus-heben von Panzersperrgräben im Außenlager Husum-Schwesing.Aus: Wouter Rozendaal: Aus tiefer Not. Übersetzung: Elisabeth M. P. Postma/Harald Richter, Überarbeitung: Hannegreth Grundmann/Frauke Thees, Putten 2013, S. 12 f.

3 Das Schreibheft, in dem Wouter Rozendaal 1945 seine Erinnerungen notierte.Quelle: Stichting Oktober ’44, Putten

Auf Anraten seines Arztes schrieb Wouter Rozendaal bereits im Sommer 1945 seine Erinnerungen an die Deportation und die KZ-Haft auf. Er notierte Fakten und Geschehnisse noch unbeeinflusst von anderen Berichten, von Sachbüchern oder von späterer Reflexion des Erlebten. Dieses zeitnahe Zeugnis über die Verfolgung und die Haft im Konzentrationslager wurde 2004 von der Gemeinde Putten unter dem Titel „Uit diepten van ellenden“ (Aus tiefer Not) veröffentlicht. Seit 2013 liegt es auch in deutscher Übersetzung vor.

Als wir in Husum ankamen, waren schon ungefähr 300 [andere Häftlinge] da. Die trugen alle solche Zebra-Anzüge. Wir mussten sofort in solch einem großen Wassergraben graben. […] Man hatte öfter nasse als trockene Füße. Der Boden enthielt viel Lehmerde, oben ein paar Fuß gute Erde und dann gab es Lehm mit groben Steinen. Du konntest nie den Spaten gerade einstecken. Immer wieder stießest du auf diese großen Steine. Wenn du das den ganzen Tag getan hattest, dann warst du so müde.

Und jetzt werde ich dann schreiben, auf welche Weise wir es alles durchlebt haben, und hoffe, dass viele, die es lesen, daraus lernen können, was das Leben ist.

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1 Friedrich Christiansen (Mitte) auf dem Weg zur Gerichtsverhandlung in Arnhem, 20. Juli 1948. Foto: Wiel van der Randen. Quelle: Collectie SPAARNESTAD PHOTO/Wiel van der Randen, 2009055

Friedrich Christian Christiansen, geboren am 12. Dezem-ber 1879 in Wyk auf Föhr, gestorben am 3. Dezember 1972 in Aukrug bei Neumünster. 1937 trat er der NSDAP bei, 1938 wurde er zum General der Flieger ernannt. Im Zweiten Weltkrieg war Christiansen von Mai 1940 bis Kriegsende Wehrmachtsbefehlshaber in den Niederlanden. 1948 verurteilte ihn ein niederländisches Gericht wegen Kriegsverbrechen zu 12 Jahren Haft, doch bereits Ende 1951 erfolgte seine Begnadigung. Noch Jahrzehnte nach dem Krieg besaß Friedrich Christiansen die Ehrenbürgerschaft seiner Heimatstadt Wyk auf Föhr. Erst 1980 wurde sie ihm aberkannt.

2 Friedrich Christiansen, Oktober 1944.Zitiert nach: Madelon de Keizer: Razzia in Putten, Köln 2001, S. 86

3 Albin Rauter, 1939. Quelle: Bundesarchiv, Bild 183-1982-1021-509

Hanns Albin Rauter, geboren am 4. Februar 1895 in Klagenfurt, Österreich-Ungarn, war Höherer SS- und Polizei führer in den besetzten Niederlanden. Am 6. März 1945 überlebte er schwerverletzt einen An schlag niederländischer Widerstandskämpfer. Als „Vergeltung“ für diesen Anschlag wurden an mehreren Orten in den Niederlanden insgesamt 263 politische Gefangene hingerichtet. Dies war die größte Massen-exekution in den Niederlanden unter deutscher Besatzung. Albin Rauter wurde 1948 von einem nieder ländischen Gericht zum Tode verurteilt und am 25. März 1949 bei Scheveningen in den Niederlanden hingerichtet.

4 Fritz Fullriede, 1943 oder 1944. Quelle: Bundesarchiv, PERS 6/301858

Fritz Fullriede, geboren am 4. Januar 1895 in Bremen, gestorben am 13. November 1969 in Bad Oldesloe, Kriegsfreiwilliger im Ersten Weltkrieg und Polizist. Ab März 1937 war er Offizier der Wehrmacht. Als Kommandeur des Fallschirm-Panzer-Ersatz- und Ausbildungs-Regiments „Hermann Göring“ führte er die „Vergeltungsmaßnahme“ in Putten durch. 1948 verurteilte ihn ein niederländisches Gericht zu einer Freiheitsstrafe von zweieinhalb Jahren, Anfang 1949 wurde er jedoch nach Deutschland entlassen.

Die Repräsentanten der deutschen Besatzungsmacht in den Nieder-landen, Reichskommissar Arthur Seyß-Inquart, Wehrmachtsbefehls-haber Friedrich Christiansen und der Höhere SS- und Polizeiführer Albin Rauter tragen für die im Zuge der deutschen Besatzung begangenen Verbrechen an Tausenden Kindern, Männern und Frauen die Hauptverantwortung.

Friedrich Christiansen erteilte im Oktober 1944 den Befehl, die am Anschlag in Putten Beteiligten zu erschießen, die männliche Bevölkerung zu deportieren, die Frauen und Kinder zu vertreiben und den Ort niederzubrennen. Verschont werden sollten lediglich „deutschfreundliche“ Familien, die mit der Organisation „Nationaal-Socialistische Beweging in Nederland“ sympathisierten und mit der deutschen Besatzungsmacht zusammenarbeiteten. Eine Wehr-machtseinheit unter Befehl von Oberst Fritz Fullriede setzte diesen Befehl in Putten um. Lediglich die Erschießung der am Anschlag Beteiligten war nicht möglich, da zu diesem Zeitpunkt keiner von ihnen gefasst war.

Das ganze Nest muss angesteckt und die ganze Bande an die Wand gestellt werden […].

Die Verantwortlichen: Friedrich Christiansen, Fritz Fullriede und Albin Rauter

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63Niederlande PUTTEN

1 Der 1947 eingeweihte Gedenkstein an der Kirche in Putten, Oktober 2014. Er erinnert daran, dass die Deportation hier ihren Anfang nahm. Foto: Andreas Schönherr, Börnsen. Quelle: KZ-Gedenkstätte Neuengamme, F 2014-500

2 Das 1949 in Putten eingeweihte Denkmal mit der Skulptur einer trauernden Witwe. Aufnahme nach der Kranzniederlegung anlässlich des 70. Jahres tages der Razzia im Oktober 2014.Foto: Andreas Schönherr, Börnsen. Quelle: KZ-Gedenkstätte Neuengamme, F 2014-503

3 Plakat der „Stichting ‚Puttens Jeugd‘“, Amsterdam, mit einem Spendenaufruf für die Kinder und Jugend-lichen in Putten, 1945. Quelle: Image Bank WW2 – NIOD, Bild 181858

4 Schülerarbeit, erstellt zum 70. Jahrestag der Razzia und der anschließenden Deportation im Oktober 2014. Quelle: Stichting Oktober ’44, Putten

Die Schülerinnen und Schüler in Putten erhalten jeweils im 8. Schuljahr die Aufgabe, zum jährlichen Gedenktag im Oktober eigene Gedanken in kreative Arbeiten umzusetzen. 2014 sollte über eines der Opfer der Deportation 1944 eine „Baumskizze“ gestaltet werden.

Putten nach dem Ende von Krieg und Besatzung

Nur 48 der 588 aus Putten in das KZ Neuengamme deportierten Männer überlebten und kehrten in ihren Heimatort zurück. Sie mussten ihre eigenen traumatischen Erlebnissen bewältigen und hatten zugleich die schwierige Aufgabe, Familien, Freundinnen und Freunden Nachrichten über den Tod der anderen 540 aus Putten verschleppten Männer zu überbringen.

Allgegenwärtige Trauer, Schuldgefühle, gegenseitige Vorwürfe, materielle Not, zusätzlich das Zusammenleben mit ehe maligen Kollaborateuren und Kollaborateurinnen, stellten eine große Belastung dar. Die tiefe religiöse Verwurzelung der Menschen in Putten erleichterte es, die Trauer zu bewältigen und Wege für eine gemeinsame Verarbeitung der traumatischen Ereignisse und für einen versöhnlichen Umgang mit jenen Deutschen zu finden, die ihre Scham über die Verbrechen zum Ausdruck brachten und Empathie mit den Opfern zeigten.

Die Erinnerung an die im Konzentrationslager Ermordeten ist in Putten bis heute lebendig. Die Angehörigen gründeten 1982 die „Stichting Oktober 44“, die jährlich Gedenkveranstaltungen und Fahrten zu den Hauptorten der Deportation durch führt. Denkmäler, eine Ausstellung, ein Gedenkbuch, eine Internetseite sowie mehrere Veröffentlichungen und Filme erinnern an das Verbrechen in Putten.

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Kondolenzschreiben der niederländischen Königin Wilhelmina vom 19. Dezember 1946. Alle Familien der im KZ Neuengamme und seinen Außenlagern Ermor-deten aus Putten erhielten ein solches Schreiben. Quelle: Stichting Oktober ’44, Putten

[An] Herrn W. Aalten, Hoef I 108, Putten.Nachdem Ihr Sohn Drees im Oktober 1944 aus Tyrannei und Willkür aus Putten verschleppt wurde, ist er am 7. Januar 1945 in Dalum (Deutschland) verstorben. Ich möchte Ihnen meine herzlichste Anteilnahme für diesen für Sie so schrecklichen Verlust bezeugen. Möge sein Andenken Ihnen eine Stütze in Ihrem weiteren Leben sein.

Übersetzung: Martin Reiter

65Niederlande PUTTEN

1 Das Denkmal für die aus Putten Deportierten im Gedenkhain der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, April 2013. Die Übersetzung der Inschrift lautet: „Seht, dieser Stein soll uns allen ein Zeichen sein“.Foto: Wolfgang Stiller, Hamburg. Quelle: Archiv der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, F 2014-499

2 Angehörige der Deportierten aus Putten zusammen mit weiteren Teilnehmerinnen und Teilnehmern der ersten Gedenkfahrt aus den Niederlanden an den Gräbern der Toten des KZ-Außenlagers in Ladelund, 1950. Quelle: KZ-Gedenk- und Begegnungsstätte Ladelund

In den 1950er-Jahren stießen die Gedenkfahrten von Angehörigen der aus Putten Deportierten nach Deutschland in den Niederlanden auf Unverständnis und Ablehnung, war Deutschland doch das Land des Kriegsfeindes. In Deutschland wiederum war die Bereitschaft gering, sich dem Leid der Opfer national-sozialistischer Verbrechen zu stellen. Die Haltung, mit der Pastor Johannes Meyer auf die Angehörigen der in Ladelund Ermordeten zuging, war zu dieser Zeit eine Ausnahme.

3 Johannes Meyer (links), Gemeindepastor aus Ladelund, und Quarles van Ufford, Bürger meister von Putten, bei der Überreichung eines kristallenen Abendmahlskelches in Putten, 1951.Quelle: KZ-Gedenk- und Begegnungsstätte Ladelund

Der Ladelunder Gemeindepastor Johannes Meyer bestattete 1944 die Toten des KZ-Außenlagers Ladelund. Er notierte die Namen und Heimat orte der Verstorbenen. Nach dem Krieg nahm er Kontakt zu den Angehörigen in Putten auf. 1951 folgte er einer Einladung nach Putten und predigte dort in der Oude Kerk (Alte Kirche). Als Zeichen der Versöhnungsbereit-schaft wurde ihm ein kristallener Abendmahlskelch überreicht, der in Ladelund bis heute bei Gedenk-gottesdiensten verwendet wird.

Die erste Gedenkfahrt von Angehörigen, Freundinnen und Freun-den der aus Putten in das KZ Neuengamme deportierten Männer führte 1950 in die Gemeinde Ladelund im Norden Schleswig-Holsteins. Im Außenlager Ladelund des KZ Neuen gamme waren 111 Männer aus Putten umgekommen. Der damalige Pastor der evangelischen Kirchengemeinde St. Petri in Ladelund, Johannes Meyer, hatte nach Kriegsende Kontakt zu den Familien in Putten aufgenommen und sie darüber informiert, dass sich Gräber ihrer ermordeten Angehörigen auf dem Ladelunder Friedhof befanden. Dem ersten Besuch folgten weitere, später auch Gegenbesuche aus Ladelund in Putten. Über die Jahre wuchs Vertrauen zwischen den beiden Gemeinden. Heute sind auch die Kirchengemeinde des Ortes Neuengamme und der seit 1995 bestehende Hamburger Arbeitskreis Kirchliche Gedenkstättenarbeit in die Kontakte ein-bezogen.

1988 weihte die Stichting Oktober 44 auf dem Gelände der KZ-Gedenkstätte Neuengamme ein Denkmal ein, an dem sie jedes Jahr im Oktober eine Gedenkveranstaltung durchführt.

Versöhnung und Gedenken – Putten, Ladelund, Neuengamme

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Literatur Allgemein

Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg. (Hg.): Militärgeschichtliches Forschungsamt. Bd. 2: Klaus A. Maier/Horst Rohde/Bernd Stegemann/Hans Umbreit: Die Errichtung der Hegemonie auf dem europäischen Kontinent, Stuttgart 1979.

Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg. (Hg.): Militärge schichtliches Forschungsamt. Bd. 5: Organisation und Mobilisierung des Deutschen Machtbereichs. Halbbd. 1: Bernhard R. Kroener/Rolf-Dieter Müller/Hans Umbreit: Kriegsverwaltung, Wirtschaft und personelle Ressourcen 1939–1941, Stuttgart 1988.

Garbe, Detlef (Hg. im Auftrag der KZ-Gedenkstatte Neuengamme): Konzentrationslager Neuengamme: Geschichte – Nachgeschichte – Erinnerung. Katalog der Ausstellungen. Bd. 1: Hauptausstellung. Bd. 2: Ergänzungsausstellungen. Red.: Christine Eckel/Detlef Garbe, Hamburg 2014.

Muñoz, Antonio J.: Hitler’s Green Army. The German Order Police and their European Auxiliaries, 1933–1945. Bd. 1: Western Europe and Scandinavia, Bayside, NY, 2005.

Muñoz, Antonio J.: Hitler’s Green Army. The German Order Police and their European Auxiliaries, 1933–1945. Bd. 2: Eastern Europe and the Balkans, Bayside, NY, 2006.

Pflock, Andreas: Auf vergessenen Spuren. Ein Wegweiser zu Gedenkstätten in den Nieder-landen, Belgien und Luxemburg, Bonn 2006.

Murat

Arrêtés dans le département du Cantal en 1944, déportés à Neuengamme. Sur les 109 personnes arrêtées à Murat (Cantal) en 1944, 75 trouvèrent la mort au camp de Neuen-gamme, dans ses annexes ou lors des évacuations [Liste der aus Murat deportierten Männer], http://murat.fr/images/PDF/Deportes_24avril2014_complet_BD.pdf, Zugriff: 3.12.2014.

Favier, Jean (Hg.): Murat et son canton 1940–1945, Anterrieux 2011.

Fontaine, Thomas: Chronologie: Répression et persécution en France occupée 1940–1944, o. O. 2009, http://www.massviolence.org/IMG/article_PDF/Chronologie-Repression-et-persecution- en-France-occupee.pdf, Zugriff: 3.12.2014.

Grundmann, Siegfried/Eugène Martres: Hugo Geissler – vom Dresdner SA-Mann zum Kommandeur der Sicherheitspolizei und des SD in Vichy, Berlin 2012.

Joannon, Henri: Remember! (Souviens-toi), Aurillac 1947 (Neuauflage 1988).

Landes, Serge: De Murat à Neuengamme et Bergen-Belsen, Aurillac 2006.

Lieb, Peter: Konventioneller Krieg oder NS-Weltanschauungskrieg? Kriegführung und Partisanenbekämpfung in Frankreich 1943/44, München 2007.

Martres, Eugène: Le Cantal de 1939 à 1945. Les troupes alle mandes à travers le Massif central, Cournon d’Auvergne 1993.

Martres, Eugène: Les archives parlent: Auvergne-Bourbonnais, 1940–1945, Romagnat 2004.

Murat, 70ème anniversaire de la déportation. Hg.: ADIF du Cantal, Aurillac 2014.

Portefaix, Raymond: L’enfer que Dante n’avait pas prévu. Neuengamme, Bremen-Farge, Aurillac 1947 (Neuauflage 1988).

Portefaix, Raymond/André Migdal/Klaas Touber: Hortensien in Farge. Überleben im Bunker „Valentin“. Übersetzung aus dem Französischen: Gisela Riesenberger, aus dem Nieder-ländischen: Martina Lottermann. Hg. u. eingeleitet v. Bärbel Gemmeke-Stenzel/Barbara Johr, Bremen 1995.

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Meensel-Kiezegem

Bachmann, Klaus: Vergeltung, Strafe, Amnestie. Eine ver gleichende Studie zu Kollaboration und ihrer Aufarbeitung in Belgien, Polen und den Niederlanden, Bern/Frankfurt am Main 2011.

Costens, Sam: Halt! Gestapo! Een studie van de Sipo SD Nebenstelle Leuven december 1943–september 1944. Gent, Universität, Masterarbeit, 2010, http://lib.ugent.be/fulltxt/RUG01/001/457/704/RUG01-001457704_2011_0001_AC.pdf, Zugriff: 3.12.2014.

Duerinckx, Oktaaf: Das Drama von Meensel-Kiezegem am 1. und 11. August 1944, in: Häftlinge im KZ Neuengamme: Ver folgungserfahrungen, Häftlingssolidarität und nationale Bindung. Eine Tagung der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, der Amicale Internationale KZ Neuengamme und der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg. 1.–3. September 1998, Hamburg 1999, S. 81–84.

Duerinckx, Oktaaf/Tom Devos: Getuigenissen. Meensel- Kiezegem ’44, 3. Aufl., Kermt 2013.

Gaebelein, Raimund: Begegnung ohne Rückkehr. Auf der Suche nach den Opfern eines Rachefeldzuges. Meensel-Kiezegem – Neuengamme – Bremen 1944–2009, Bremen 2009.

Het proces van Meensel-Kiezegem [Reproduktion der Untergrundzeitung „Vrij Volk“]. Hg.: Stichting Meensel-Kiezegem ’44, Meensel-Kiezegem 2012.

Stabergh, Ina: Neuengamme. „Ik kwam terug“, Antwerpen 2006.

Van Laere, Stefaan/Frans Craeninckx/Jozef Craeninckx: Een klein dorp, een zware tol. Het drama van collaboratie en verzet in Meensel-Kiezegem, Antwerpen 2004.

Warschauer Aufstand

Bömelburg, Hans-Jürgen/Eugeniusz Cezary Król/Michael Thomae (Hg. im Auftrag des Militär-geschichtlichen Forschungsamtes, Potsdam, und des Zentrums für Historische Forschung der Polnischen Akademie der Wissenschaften, Berlin): Der Warschauer Aufstand 1944. Ereignis und Wahrnehmung in Polen und Deutschland, Paderborn 2011.

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