Studierendenmagazin für Dortmund 01 · H inter einer unscheinbaren Tür führt ein langer, flach...

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Zwischen U-Bahn und Kanalisation gibt es noch etwa 1300 versteckte Weltkriegsbunker unter der Stadt. Wir haben uns hineingeschlichen. DORTMUNDER BUNKERWELT Roboter üben sich im Fußball AUF DEM WEG ZUR WM? Handwerker üben sich in Geduld AUF DEM WEG IN DEN RUIN? Studierende üben sich als Chef AUF DEM WEG ZUM ERFOLG? pflichtlektüre Studierendenmagazin für Dortmund 012017

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Zwischen U-Bahn und Kanalisation gibt es noch etwa 1300 versteckte Weltkriegsbunker unter der Stadt. Wir haben uns hineingeschlichen.

DORTMUNDER BUNKERWELT

Roboter üben sich im Fußball

AUF DEM WEG ZUR WM?Handwerker üben sich in Geduld

AUF DEM WEG IN DEN RUIN?Studierende üben sich als Chef

AUF DEM WEG ZUM ERFOLG?

pflichtlektüreStudierendenmagazin für Dortmund 012017

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Im Dortmunder Tiefstollen.

Weitere Eindrücke der verschiedenen Bunker gibt es online:

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Hinter einer unscheinbaren Tür führt ein langer, flach abfal-lender Steinweg durch einen

tunnelartigen Gang hinab. Er endet vor einer schweren, grauen Stahltür. Es riecht muffig, wie in einem Keller, der zu selten gelüftet wird. Kleine Tropfsteine hängen neben Spinnweben von der Decke herab. Sie haben sich in den vergangenen Jahr-zehnten durch die eindringende Feuch-tigkeit gebildet. Auch vor der Stahltür hat sich Wasser gesammelt. Um keine nassen Füße zu bekommen, macht Harry Lausch einen großen Schritt über die Pfütze hinweg. Dann drückt er die Tür auf. Mit einem lauten Quietschen öffnet sie sich Zentimeter für Zentimeter. Der 59-Jähri-ge ist der einzige, der einen Schlüssel für die massive Stahltür besitzt. Nur er kann

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Besucher in den dahinterliegenden Bun-ker lassen, um den er sich seit Jahren als Bunkerwart kümmert. Die Anlage ist ein Überbleibsel aus dem Zweiten Weltkrieg. Fast 1200 Quadratmeter groß. Direkt an der Dortmunder Ruhrallee.

Während des Zweiten Weltkriegs gab es in der Stadt zahlreiche solcher Luft-schutzanlagen. Manche davon waren von Unternehmen als Schutzraum für die Ar-beiterinnen und Arbeiter in der Nähe von Fabriken gebaut worden. Andere waren für alle zugänglich. Wohlhabende Dort-munder Familien bauten teilweise sogar private Bunker, um sich im Angriffsfall schützen zu können. „Heute sind rund 1300 Anlagen bekannt, insgesamt werden es aber noch mehr gewesen sein“, schätzt

TUNNELBLICKMehr als 1300 Bunker und Tiefstollen wurden während des

Zweiten Weltkriegs unter Dortmund gebaut. Viele davon

existieren noch heute, doch kaum jemand kennt sie.

Manche der Anlagen haben nach dem Krieg neue,

außergewöhnliche Aufgaben erhalten.

TEXTMARTIN NEFZGER FOTOSMARTIN NEFZGER&TEAM ROSENGARTEN

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Kai Ohlenbostel, der sich seit Jahren als Hobby mit den Dortmunder Bunkern beschäftigt. Nach dem Krieg seien aber einige davon verfüllt worden oder einge-stürzt.

Als der gebürtige Niedersachse nach seinem Umzug in die Ruhrgebietsstadt von einer Anlage erfuhr, die unter seiner damaligen Wohnung verlief, begann er sich intensiv mit dem Thema zu beschäf-tigen. Er studierte alte Bücher und Pläne, tauschte sich mit anderen Expertinnen und Experten aus und besuchte viele der unterirdischen Bauwerke. „Manche Leute glauben, dass da Stahlhelme oder alte Kriegswaffen drin liegen. Das ist völliger Unsinn“, sagt er. „Das sind einfach nur leere Räume. Bis auf sanitäre Anlagen und ein paar Bänke ist da nichts mehr.“

Eine Reise in die VergangenheitMehr als nur ein leerer Bau ist der „Be-fehlsbunker Ruhrallee“, für den Bunker-wart Harry Lausch verantwortlich ist. Ei-gentlich ist er Raumplaner, aber seit fünf Jahren kümmert er sich hauptberuflich um das Relikt aus der Ära der National-sozialisten. „Es ist ein bisschen, als wäre hier die Zeit stehen geblieben“, sagt er. Unter der Erde existieren unzählige Räu-me, darunter ein großer Besprechungs-raum mit einem schweren Holztisch, an dem einst wichtige Entscheidungen getroffen wurden. Die kleine Kantine dagegen erinnert mit ihren Tischen und dem Tresen eher an ein in die Jahre gekommenes Vereinsheim. Überall riecht es feucht und muffig, an den Wänden wächst teilweise Schimmel.

Die Geschichte des Bunkers begann 1943 mit dessen Planung, ein Jahr später wurde er fertiggestellt. Das Militär zog ein und befehligte von hier aus Stel-lungen der Flugabwehrkanonen. Auch die NSDAP hatte in der Anlage ein Büro, um wichtige Parteifunktionäre im Angriffsfall in Sicherheit bringen zu können. „Wahrscheinlich ist das der Grund, warum der Bunker direkt in der Stadt gebaut wurde“, sagt Harry Lausch. „Das ist ungewöhnlich, meist waren die Militärstützpunkte eher außerhalb.“

Noch heute kann man den zentral gelege-nen Bunker erkennen, wirklich versteckt liegt er nicht. Der Belüftungsturm steht zwischen Ruhrallee und Leipziger Straße. Auch die drei Meter dicke Decke aus Be-ton, die sogar Bomben standhalten konn-te, ist von außen zu sehen. Kennt man das Bauwerk, springt es sofort ins Auge. Sonst verschwinden die unscheinbaren Zeugen des Krieges fast zwischen den neueren Gebäuden. „Kaum jemand weiß noch von dem Bunker“, sagt Lausch. Nach der Kapitulation des Deutschen Reichs stand der Bunker zunächst leer. Erst in den 1970er-Jahren richtete die Stadt Dortmund in der Anlage die Leitstelle des Krisenstabs ein. Dieser besteht aus Verantwortlichen der Stadt und Sachverständigen, die im Katastro-phenfall zusammenkommen. Für rund eine Million D-Mark wurde der Bunker in deren Kommandozentrale umgebaut. Von hier aus hätte der Krisenstab die Stadt im Notfall mehrere Wochen lang regieren können.

Nach dem Krieg wurde der Bunker nie benötigt

Noch heute finden sich in den Gängen Überbleibsel der ehemaligen Leitstelle, die Anfang der 1990er an einen ande-ren, geheimen Ort verlegt wurde. Vieles wurde einfach zurückgelassen. Ersatz-kleidung liegt sorgfältig gestapelt in den Regalen. Notfallpläne liegen auf den Tischen – bereit für Einsätze, die es nie geben wird. Telefone, Schreibmaschinen, ganze Tagungsräume, Dekontaminations-duschen und sogar eine Operationsliege zeigen, wie akribisch man sich damals auf den Katastrophenfall vorbereitet hatte. Schreckensszenarien gab es in den

1970er-Jahren viele: Naturkatastrophen, atomare Unglücke oder ein Angriff der Sowjetunion. „Das ist uns zum Glück erspart geblieben“, sagt Lausch. Heute kümmert er sich um den Bunker, wartet die Technik und sorgt dafür, dass das Bauwerk nicht verfällt.

Der „Befehlsbunker Ruhrallee“ ist nicht die einzige Anlage in Dortmund, die nach dem Krieg umfunktioniert wurde. Direkt an der Halle 1 der Westfalenhal-len befindet sich ein Bunker, der einst als Schutzraum für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gebaut worden war. Nach 1945 blieb er zunächst ungenutzt. Als dann während des Wiederaufbaus der Wohnraum knapp war, wurde die unterirdische Anlage in ein Hotel um-gewandelt. „Ein Hotelier aus der Stadt hat den Bunker damals gemietet und hergerichtet“, sagt Kai Ohlenbostel. Nach dem Umbau seien dort Gäste der West-falenhallen untergebracht worden. Sogar Schauspielerinnen und Schauspieler, die in der Stadt gastierten, sollen hier abge-stiegen sein. Doch mit dem Bau moder-nerer, oberirdischer Unterkünfte verblass-te der Glanz des Hotelbunkers bereits in den 1960er-Jahren. Danach übernachte-ten dort hauptsächlich Geschäftsreisende, 1984 wurde die unterirdische Herberge endgültig geschlossen.

Heute wird die Anlage nicht mehr genutzt, die Überbleibsel sind unter der Erde aber immer noch vorhanden. Fotos von Kai Ohlenbostel zeigen etwa alte Waschbecken. Das Schlüsselbrett hängt noch dort, wo früher der Empfangstresen stand. Und auch der ehemalige Eingang ist noch gut zu erkennen. Auf dem Parkplatz vor den Hallen markiert ein großer Steinquader die Stelle, an der einst Übernachtungsgäste in die Unterwelt hinabstiegen.

Noch tiefer hinab in die Unterwelt führt ein Tiefstollen, der ebenfalls während des Krieges als Luftschutzanlage gebaut wor-den war. Bis heute erstreckt er sich unter weiten Teilen der westlichen Innenstadt. Mehr als 15 Meter unter Gebäuden und Straßen verlaufen lange Gänge, in denen während der Luftangriffe viele Dortmunderinnen und Dortmunder Schutz fanden. Der Bau der Anlage hatte

FÜHRUNG DURCH DIE HISTORISCHE ANLAGEIm „Befehlsbunker Ruhrallee“ bietet Harry Lausch Führungen an. Diese dauern bis zu drei Stunden und kosten zehn Euro pro Person. Interessierte können sich per Mail melden: [email protected] sehen gibt es Besprechungsräume, einen OP-Stuhl für kleinere EingriQe und Massenschlafräume. Jedes Bett kann in wenigen HandgriQen in eine Krankenbahre umgewandelt werden.

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Ein langer Gang führt hinab in den „Befehlsbunker Ruhrallee“.

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bereits vor dem Krieg begonnen. Von 1938 bis 1945 gruben Zwangsarbeiter unter Tage kilometerlange Tunnel. Selbst kurz vor Kriegsende wurden die Arbeiten im Größenwahn der Nationalsozialisten fortgeführt. Wären die Bauarbeiten nicht durch die Niederlage des Deutschen Reichs gestoppt worden, wäre die Anlage wohl noch weitaus größer geworden. So war geplant, einen Tiefstollen mit demselben Grundriss unter der östlichen Innenstadt zu bauen. Außerdem hät-ten bereits vorhandene Bunker, wie der „Befehlsbunker Ruhrallee“, an die Anlage angeschlossen werden sollen. Einen Rekord hält Dortmund dennoch: „Der Dortmunder Tiefstollen ist die größte zivile Luftschutzanlage in Deutschland“, sagt Ohlenbostel.

Auf der Suchenach dem Kick

Gerade weil der Dortmunder Tiefstollen etwas Besonderes ist, versuchen immer wieder Menschen in ihn einzudringen. Auch andere Bunker sind betroffen. Soge-nannte Prepper werden von den Geheim-nissen angelockt, die die unterirdischen Tunnel umgeben. Manche suchen dort verborgene Schätze, andere schlicht den Adrenalin-Kick. „Früher gab es den Trick, dass man die Schlösser an den Eingän-gen geknackt und durch eigene ersetzt hat“, sagt Harry Lausch. „Dann konnte man ein- und ausgehen wie man wollte. Zumindest, bis es die Behörden bemerkt haben oder jemand anderes die Schlösser ausgetauscht hat.“ Heute sei es kaum möglich, in die Anlagen zu gelangen. Vie-le Eingänge wurden zugemauert oder ver-schweißt, andere mit schweren Schlössern gesichert. Denn das Betreten der Anlagen kann sehr gefährlich sein. So können sich in den Tunneln kaum wahrnehmbare, giftige Gase sammeln. Auch können von der Decke Teile herabfallen und Personen verletzen. Außerdem stehen viele Tunnel unter Wasser – hier besteht die Gefahr zu ertrinken.

Für die Sicherung von Anlagen, die wie der Dortmunder Tiefstollen im Auftrag der Nationalsozialisten erbaut wurden, ist durch das Allgemeine Kriegsfolgen-gesetz die Bundesanstalt für Immobi-lienaufgaben (BImA) verantwortlich.

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Sie kümmert sich darum, dass von den Bunkern keine Gefahr für die Zivilbevöl-kerung ausgeht. Das könnte zum Beispiel der Fall sein, wenn ein Tunnel einstürzt und so die Gebäude darüber beschädigt werden. Auf Anfrage heißt es: „Generell weisen derartige Anlagen aufgrund ihres Alters und ihres Zustandes regelmäßig ein erhebliches Gefahrenpotential auf. Die BImA weist […] ausdrücklich darauf hin, dass die Anlagen aufgrund der erheblichen Gefährdungslage nur von geschultem Fachpersonal […] betreten werden sollten.“

Doch die Faszination bleibt. Unzählige Gerüchte ranken sich bis heute um die unterirdischen Tunnel. So sollen einige Gänge des Tiefstollens bis unter den Stadtteil Dorstfeld reichen. Von solchen Märchen hält Harry Lausch nicht viel. „Da wird natürlich viel vermutet“, sagt er. „Mit manchen Mythen muss man einfach aufräumen.“ Die Realität ist zwar weniger spektakulär, aber trotzdem beeindruckend: „Heute ist die Anlage wohl noch um die 4,2 Kilometer lang“, sagt Kai Ohlenbostel. „Früher war sie durchaus größer. Nach dem Krieg sind Teile davon schon mit Trümmerschutt verfüllt worden.“

Neben den bekannten Schutzräumen sind es auch die (noch) nicht bekann-ten Anlagen, von denen der Reiz des Geheimnisvollen ausgeht. Viele Bunker, die während der Kriegsjahre von Privat-leuten gebaut wurden, sind auf keiner Karte verzeichnet. Und auch sonst gibt es keinerlei Unterlagen. „Teilweise tauchen die Bunker heute noch auf, wenn etwas gebaut wird“, sagt Ohlenbostel. Manch-mal würden sie auch einbrechen. Plötz-lich tut sich dann im Garten ein Loch auf und offenbart einen unterirdischen Schutzraum. „Das kann passieren, wenn sie unter Privatgrundstücken liegen und keiner davon weiß.“ Einmal sei es schon vorgekommen, dass in einem vergessenen Bunker Skelette von Menschen gefunden wurden, die während der Luftangriffe eingeschlossen worden waren. Wer diese Menschen waren, bleibt ein Rätsel.Geheimnisse bergen womöglich auch bekannte Anlagen wie der „Befehlsbun-ker Ruhrallee“. „Es gibt hier Räume, die komplett zugemauert sind“, sagt Harry Lausch. „Bisher haben wir noch nicht hineingesehen.“ Bald soll der Bunker überbaut werden, auf der Deckenkon-struktion werden dann Appartements errichtet. Bei den damit verbundenen Bauarbeiten im Bunker wird dann

eventuell auch dieses Geheimnis gelüftet. „Aber das Bernsteinzimmer werden wir dort wohl nicht finden“, sagt der Bunker-wart und schmunzelt.

„Befehlsbunker Ruhrallee“: Der OP-Stuhl kam hier nie zum Einsatz – zum Glück. Denn er war bereits veraltet, als er „gebunkert“ wurde.

BUNKER: DIE BEHÖRDEN REDEN UNGERN DRÜBERAn Informationen über die Bunker zu kom-men, ist oft nicht einfach, denn die Behör-den sind alles andere als auskunftsfreudig. Hintergrund: Die Eigentumsverhältnisse scheinen nicht endgültig geklärt zu sein. Die Stadt verweist auf die Zuständigkeit der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA). Diese will aber nicht Eigentümer der Anlagen sein – das seien die Besitze-rinnen und Besitzer der Grundstücke über den Bunkern. In vielen Fällen ist das die Stadt, zum Beispiel, wenn die Tunnel unter Straßen verlaufen. Auf Anfrage heißt es von der Pressestelle der Stadt allerdings: „Die vorhandene Tiefstollenanlage ist nicht mehr in Betrieb und unterliegt der Bun-desvermögenverwaltung.“ Diese existiert heute aber nicht mehr – ihre Aufgaben hat die BImA übernommen.