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Mario Christen Corporate Finance, FS19 1. Finanzanalyse Ziel dieses Kapitels ist es, die für Finanzierungs- und Investitionsentscheidungen relevanten Positionen des Jahresabschlusses mit dessen Interdependenzen (gegenseitige Abhängigkeiten) zu erläutern. 1.2 Bilanz 1.2.1 Bilanzgliederung Die Aktivseite zeigt das eingesetzte Vermögen. Wie dieses Vermögen finanziert wird, zeigt die Passivseite. Je nach Branche können die Bilanzpositionen sowie deren Relationen stark variieren. Die Beurteilung der wichtigsten Bilanzrelationen kann horizontal oder vertikal erfolgen. Zur Beurteilung der Horizontalen ist die goldene Finanzierungsregel weitverbreitet: Das langfristig gebundene Vermögen soll langfristig finanziert werden. Die Einhaltung kann mit den Anlagedeckungsgraden beurteilt werden. Anlagedeckung Am weitesten verbreitet ist der Anlagedeckungsgrad II. Dieser soll mindestens 100 Prozent betragen. Anlagedeckungsgrad I= Eigenkapital Anlagevermögen Anlagedeckungsgrad II = Eigenkapital +langfristigesFremdkapital Anlagevermögen Die Bilanz kann vertikal sowohl auf der Aktivseite als auch auf der Passivseite beurteilt werden. Zur Beurteilung der Vermögensstruktur ist auf der Aktivseite die Berechnung der Anlageintensität verbreitet. Auf der Passivseite geht es um die Beurteilung der Kapitalstruktur. Vermögenstruktur Anlageintensität = Anlagevermögen Anlagevermögen +Umlaufvermögen Die Anlageintensität variiert sehr stark von Branche zu Branche. Allgemeingültige, branchenunabhängige Regelungen zur Einschätzung der Anlageintensität bestehen nicht. Seite 1 | 70

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Mario Christen

Corporate Finance, FS19

1. Finanzanalyse

Ziel dieses Kapitels ist es, die für Finanzierungs- und Investitionsentscheidungen relevanten Positionen des Jahresabschlusses mit dessen Interdependenzen (gegenseitige Abhängigkeiten) zu erläutern.

1.2 Bilanz

1.2.1 Bilanzgliederung

Die Aktivseite zeigt das eingesetzte Vermögen. Wie dieses Vermögen finanziert wird, zeigt die Passivseite.

Je nach Branche können die Bilanzpositionen sowie deren Relationen stark variieren. Die Beurteilung der wichtigsten Bilanzrelationen kann horizontal oder vertikal erfolgen. Zur Beurteilung der Horizontalen ist die goldene Finanzierungsregel weitverbreitet: Das langfristig gebundene Vermögen soll langfristig finanziert werden. Die Einhaltung kann mit den Anlagedeckungsgraden beurteilt werden.

Anlagedeckung

Am weitesten verbreitet ist der Anlagedeckungsgrad II. Dieser soll mindestens 100 Prozent betragen.

Anlagedeckungsgrad I= EigenkapitalAnlagevermögen

Anlagedeckungsgrad II= Eigenkapital+langfristigesFremdkapitalAnlagevermögen

Die Bilanz kann vertikal sowohl auf der Aktivseite als auch auf der Passivseite beurteilt werden. Zur Beurteilung der Vermögensstruktur ist auf der Aktivseite die Berechnung der Anlageintensität verbreitet. Auf der Passivseite geht es um die Beurteilung der Kapitalstruktur.

Vermögenstruktur

Anlageintensität= AnlagevermögenAnlagevermögen+Umlaufvermögen

Die Anlageintensität variiert sehr stark von Branche zu Branche. Allgemeingültige, branchenunabhängige Regelungen zur Einschätzung der Anlageintensität bestehen nicht.

Kapitalstruktur

Eigenfinanzierungsgrad= EigenkapitalEigenkapital+Fremdkapital

Fremdfinanzierungsgrad= FremdkapitalEigenkapital+Fremdkapital

Die Summe von EK und FK ergibt 100 Prozent. Allgemeingültige, branchenunabhängige Faustregeln zum Eigen- und Fremdkapitalanteil gibt es nicht.

Goldene Finanzierungsregel, Vermögensstruktur und Kapitalstruktur sind als Ganzes zu beurteilen.

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Wichtige bilanzielle Steuerungsgrössen der finanziellen Unternehmensführung sind die Liquidität, das Nettoumlaufvermögen, das Anlagevermögen, die Nettofinanzschulden und das Eigenkapital.

1.2.2 Liquidität

Zum Bezahlen von Lieferantenrechnungen, Löhnen, Zinsen, Investitionen oder Steuern braucht ein Unternehmen flüssige Mittel. Wichtig ist, dass ein Unternehmen jederzeit seinen Verpflichtungen nachkommen kann. Auch unerwartete Rechnungen sollten mit der verfügbaren Liquidität beglichen werden können. Die Fähigkeit eines Unternehmens, jederzeit seinen Verpflichtungen nachzukommen, kann in einer einfachen, statischen Betrachtungsweise mit den drei Liquiditätsgraden beurteilt werden. Ein Mangel der Liquiditätsgrade besteht darin, dass die zukünftige Entwicklung unberücksichtigt bleibt. Besser geeignet zur Liquiditätsplanung ist daher eine zukunftsgerichtete Geldflussrechnung, die die erwarteten Zahlungseingänge und -ausgänge berücksichtigt.

Liquiditätsgrade

In der Praxis gelten in etwa die folgenden Richtwerte, die allerdings von Branche zu Branche stark variieren können.

LG I (Cash Ratio)= flüssige Mittel+kurzfristig gehaltene Aktivenmit BörsenkurskurzfristigesFremdkapital

Zielgrösse LG I = 50% - 70%

LG II (Quick Ratio)=Umlaufvermögen−Vorrätekurzfristiges Fremdkapital

Zielgrösse LG II > 100%

LG III (Current Ratio)= Umlaufvermögenkurzfristiges Fremdkapital

Zielgrösse LG III > 200%

Jedes Unternehmen sollte für sich einen Mindestbestand an flüssigen Mitteln definieren. Wichtig ist dabei, dass auch zugesicherte, jedoch momentan nicht beanspruchte Kreditlimiten berücksichtigt werden. Es handelt sich dabei um sogenannte potenzielle liquide Mittel, die vom Unternehmen sofort in Anspruch genommen werden könnten.

Es kann unterschieden werden zwischen betriebsnotwendiger und überschüssiger Liquidität. Die letztere ist für die Ausübung der Geschäftstätigkeit nicht erforderlich.

1.2.3 Nettoumlaufvermögen

Das Nettoumlaufvermögen (NUV) entspricht dem Umlaufvermögen abzüglich des kurzfristigen Fremdkapitals.

1.2.4 Anlagevermögen

Die langfristig im Unternehmen gebundenen Vermögenswerte bilden das Anlagevermögen und können wie folgt unterteilt werden:

Sachanlagen Immaterielle Werte

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Finanzanlagen Beteiligungen

Für die Bewertung von Sachanlagen gibt es verschiedene Ansätze. Je nach Rechnungslegungsstandard variieren die zur Auswahl stehenden Alternativen. Grundsätzlich gibt es die Bewertung zu Marktwerten oder zu historischen Anschaffungswerten abzüglich allfällig notwendiger Wertberichtigungen.

Bei einer Bilanzierung von Sachanlagen zu Anschaffungskosten gilt zusammenfassend folgendes:

Der Vermögenswert wird zu Anschaffungskosten bilanziert. Der übliche alterungs- und nutzungsbedingte Wertverlust wird periodisch in Form von

Abschreibungen der Erfolgsrechnung belastet. Einmalige Wertverluste werden mit Wertberichtigungen erfasst.

Das Schweizer Rechnungslegungsrecht erlaubt eine Unterbewertung von Sachanlagen. Überhöhte Abschreibungen sind gesetzlich zulässig. Nicht erlaubt ist hingegen eine Überbewertung der Aktiven. Eine Überbewertung ist durch eine Wertberichtigung zu verhindern. Wertberichtigungen und Abschreibungen reduzieren den Jahresgewinn und damit das bilanzielle Eigenkapital. Der Bestand an flüssigen Mitteln wird nicht beeinflusst.

Die Bewertung von Aktiven ist keine exakte Wissenschaft. Der finanzielle Wert einer Anlage ergibt sich, vereinfacht ausgedrückt, aus den Erträgen, Cashflows und Gewinnen, die mit der Anlage in Zukunft erwirtschaftet werden können. Die Zukunft ist ungewiss und zukünftige Erfolgsgrössen sind nur vage abschätzbar. Bewertungen sind aus diesem Grund von den Erwartungen des Bewerters geprägt und damit zu einem gewissen Grad subjektiv.

Nicht physische Vermögenswerte werden als immaterielle Anlagen bezeichnet. Wie Sachanlagen können auch nicht physische Vermögenswerte für die langfristige Ausübung der operativen Tätigkeit notwendig sein. Immaterielle Anlagen sind:

Lizenzen Marken Nutzungsrechte Software Kundenlisten Goodwill

Falls der Erwerber im Rahmen einer Unternehmensübernahme für die Aktien des Zielobjekts mehr als den Buchwert des Eigenkapitals bezahlt, entspricht die Differenz von Kaufpreis und Buchwert des Eigenkapitals dem Goodwill.

Bei der Liquidität ist zwischen betriebsnotwendigen und überschüssigen flüssigen Mitteln zu unterscheiden. Bei den Aktiven wird zwischen betriebsnotwendigem und nicht für den operativen Zweck benötigtem Anlagevermögen unterschieden. Diese Abgrenzung ist im Hinblick auf die Unternehmensbewertung von Bedeutung.

1.2.5 Nettofinanzschulden

In der Praxis der Unternehmensfinanzierung gilt ein Unternehmen als schuldenfrei, falls die Bilanz kein verzinsliches Fremdkapital umfasst. Falls mehr überschüssige liquide Mittel als verzinsliche Schulden vorhanden sind, gilt ein Unternehmen in der gängigen Finanzterminologie ebenfalls als schuldenfrei.

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Verzinsliche Verbindlichkeiten belasten das Unternehmen stärker als die übrigen Verbindlichkeiten, da die regelmässig geschuldeten Zinsen Gewinn und Liquidität reduzieren.

Die Differenz zwischen verzinslichen Verbindlichkeiten und flüssigen Mitteln (inkl. kfr. gehaltene Wertschriften) entspricht den Nettofinanzverbindlichkeiten, auch Nettofinanzschuld genannt.

Die Nettofinanzschuld spielt bei der Beurteilung der Tragbarkeit von Fremdkapitalfinanzierungen eine bedeutende Rolle.

Netto-Verschuldungsfaktor

Netto−Verschuldungsfaktor=NettofinanzschuldEBITDA

EBITDA (Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen)

Das Verhältnis Nettofinanzschuld/EBITDA sollte maximal drei betragen. Ein Benchmarking sollte allerdings jeweils innerhalb der Branche erfolgen.

1.2.6 Eigenkapital

Einige wichtige Aspekte zum Eigenkapital:

Das ausgewiesene Eigenkapital ist stark abhängig vom Rechnungslegungsstandard Verluste führen zu einer Reduktion des Eigenkapitals Wichtig ist, dass die Vermögenswerte (Aktiven) das Fremdkapital übersteigen. Ansonsten ist

das Unternehmen überschuldet. Die Bilanz muss in diesem Fall deponiert werden und es droht der Gang vor den Richter.

Die Bewertung von Anlagen, insbesondere von immateriellen Anlagen, ist kompliziert. Entscheidend ist die Einschätzung der zukünftigen Cashflows, die mit der Anlage verdient werden können. Zudem sind die Bewertungsergebnisse stark abhängig von subjektiven Einschätzungen der Bewerter.

Das Eigenkapital stammt grundsätzlich aus zwei Quellen. Man unterscheidet das von den Eigentümern einbezahlte EK vom durch das Unternehmen selbst erarbeitete EK. Das selbst erarbeitete EK entspricht den Gewinnreserven.

Ein Unternehmen hat grundsätzlich zwei Verwendungsmöglichkeiten für den Jahresgewinn: Ausschüttung an die Aktionäre oder Einbehaltung (Thesaurierung) im Unternehmen.

Bei der Rechnungslegung ist die Unterteilung der Reserven in die Kategorien gesetzlich und freiwillig entscheidend. Hauptsächliches Abgrenzungsmerkmal ist die Ausschüttbarkeit (OR Art.671).

Das EK ist das Haftungssubtrat (Basis) des Unternehmens. Erwirtschaftete Verluste sollen über das EK aufgefangen werden. Das Konkursrisiko steigt mit abnehmendem Eigenkapital.

1.3 Erfolgsrechnung

Die Erfolgsrechnung (ER) zeigt Erträge und Aufwände eines Unternehmens über eine bestimmte Zeitperiode.

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Struktur der Absatzerfolgsrechnung:

Nettoerlös aus Lieferungen und Leistungen- Anschaffungs- oder Herstellungskosten der verkauften Produkte= Bruttogewinn- Verwaltungs- und Vertriebsaufwand= EBIT- Finanzergebnis, Direkte Steuern= Jahresgewinn

Struktur der Produktionserfolgsrechnung:

Nettoerlös aus Lieferungen und Leistungen- Bestandsänderungen unfertige / fertige Erzeugnisse= Betriebsertrag- Materialaufwand= Bruttogewinn- Personalaufwand, übriger Aufwand= EBITDA- Abschreibungen, Wertberichtigungen AV= EBIT- Finanzergebnis, Direkte Steuern= Jahresgewinn

Mischform von Absatz- und Produktionserfolgsrechnung:

Nettoerlös auf Lieferungen und Leistungen- Anschaffungs- bzw. Herstellkosten der verkauften Produkte ohne Abschreibungen= Bruttogewinn- Verwaltungs- und Vertriebsaufwand= EBITDA- Abschreibungen, WB AV= EBIT- Finanzergebnis, Direkte Steuern= Jahresgewinn

1.3.1 Betriebsfremde und ausserordentliche Erträge und Aufwendungen

Bei der Unternehmensbewertung ist es sinnvoll, dass man Betriebstätigkeiten und nebenbetriebliche Tätigkeiten separat bewertet.

1.3.2 Aufwandsintensitäten und Margen

Die Struktur der Erfolgsrechnung variiert von Branche zu Branche sehr stark. Jede Branche hat unterschiedlich hohe Aufwandsintensitäten.

Aufwandsintensitäten

Warenintensität=WarenaufwandNettoerlös

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Personalintensität= PersonalaufwandNettoerlös

Energieintensität=EnergieaufwandNettoerlös

Es bestehen keine branchenübergreifenden Benchmarks für Aufwandsintensitäten.

Eng verbunden mit den Aufwandsintensitäten sind die Margen, bzw. die Umsatzrenditen. Eine Bruttogewinnmarge von 40 Prozent bedeutet, dass 40 Prozent vom Erlös als Bruttogewinn übrigbleiben. Es kann zwischen einem Bruttoerlös und einem Nettoerlös unterschieden werden. Die Differenz ist auf sogenannte Erlösminderungen wie Rabatte zurückzuführen. Als Basis für die Berechnung der Margen dienen üblicherweise die Nettoerlöse. Mit der Marge wird die sogenannte Kosteneffizienz gemessen. Welche Marge am besten geeignet ist, hängt von der Situation ab.

Margen

Zur Beurteilung der Kosteneffizienz sind die folgenden Margen verbreitet:

Bruttogewinnmarge= BruttogewinnNettoerlös

EBITDA−Marge= EBITDANettoerlös

EBIT−Marge= EBITNettoerlös

Jahresgewinnmarge= JahresgewinnNettoerlös

Für Margen existieren keine branchenübergreifenden Benchmarks.

Beim Margenvergleich sollte jeweils darauf geachtet werden, dass nur gleiche bzw. ähnliche Unternehmen mit gleichen bzw. ähnlichen Unternehmen verglichen werden.

1.4 Kapitalumschlag und Kapitalrendite

Für den Kapitalgeber hat die Kapitalrendite eine grosse Bedeutung. Sie gibt das Verhältnis von Gewinn und Kapital an. Die Kapitalrendite kann in zwei Komponenten zerlegt werden: Kapitalumschlag und Gewinnmarge.

Zur Berechnung von Kapitalumschlag und Kapitalrendite müssen die Begriffe Kapital und Gewinn definiert werden.

Möglichkeiten zur Definition von Kapital:

Gesamtkapital bzw. Gesamtvermögen (Total Assets): Diese Grösse umfasst das ganze im Unternehmen gebundene Vermögen bzw. das gesamte Kapital. Diese Grösse entspricht der Bilanzsumme.

Betriebsnotwendiges Vermögen bzw. Kapital (Operating Assets): Vom Gesamtvermögen werden die nicht betrieblichen Vermögensteile subtrahiert. Zum nicht betriebsnotwendigen

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Vermögen können beispielsweise überschüssige liquide Mittel, nicht betriebliche genutzte Liegenschaften oder Anlagen im Bau gehören. Falls die Rentabilität des operativen Geschäfts beurteilt werden soll, sind die Operating Assets den Total Assets vorzuziehen.

Vom Kapitalgeber zur Verfügung gestelltes Kapital bzw. Vermögen (Net Operating Assets, Invested Capital): Von den Operating Assets werden die nicht verzinslichen Verbindlichkeiten subtrahiert. Dadurch wird eine «Kapitalgebersicht» erreicht. Der Gläubiger stellt dem Unternehmen das verzinsliche Fremdkapital zur Verfügung, der Aktionär das Eigenkapital. Die (nicht verzinslichen) Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen werden hingegen nicht von einem Kapitalgeber bereitgestellt. Durch die Ausübung der operativen Tätigkeit entstehen sozusagen automatisch Verpflichtungen gegenüber den Lieferanten, die innert der gewährten Zahlungsfrist beglichen werden müssen. Das Gleiche trifft beispielsweise auch für die passiven Rechnungsabgrenzungen sowie sonstige kurzfristige Verbindlichkeiten zu. Das (kurzfristige) nicht verzinsliche Fremdkapital wird auch als Abzugskapital beschrieben. Aus Sicht der Kapitalgeber ist die Verwendung der Net Operating Assets gegenüber den beiden vorher definierten Kapitalgrössen vorzuziehen.

Eingesetztes Kapital bzw. Vermögen (Capital Employed): Durch Abzug sämtlicher flüssigen Mittel (betriebsnotwendig sowie nicht betriebsnotwendig) von den Net Operating Assets resultiert das eingesetzte Kapital (Capital Employed). Das eingesetzte Kapital stellt das durch operative Entscheidungen des Managements beeinflussbare Kapital dar. Angenommen, ein Managementteam kann die Lagerhaltung optimieren, sodass sich die durchschnittliche Lagerdauer verkürzt. In diesem Fall werden flüssige Mittel freigesetzt. Aus Vorräten wird Liquidität. Die Net Operating Assets nehmen nur dann ab, wenn die durch die Lageroptimierung freigesetzte Liquidität als nicht betriebsnotwendig qualifiziert wird. Das Capital Employed nimmt jedoch in jedem Fall ab. Bei konstantem Umsatz und Gewinn erreicht das Management dann einen höheren Kapitalumschlag sowie eine höhere Kapitalrendite (auf Basis Capital Employed). Die Verwendung des Capital Employed ist beispielsweise dann zu empfehlen, wenn die Kapitalrendite zur Messung der Performance des Managements einzelner Unternehmensteile dient. Auch die Verwendung der Net Operating Assets ist zu diesem Zweck unter Umständen empfehlenswert. In diesem Fall müssen jedoch nicht betriebsnotwendige von den betriebsnotwendigen flüssigen Mitteln abgegrenzt werden, was sich als sehr schwierig herausstellen kann. Bei der Verwendung des Capital Employed entfällt diese Abgrenzung.

Die gleichen Kapitalgrössen können auch über die Passivseite der Bilanz hergeleitet werden. Indem von Eigenkapital und von den nicht verzinslichen Verbindlichkeiten die nicht betrieblichen Vermögensteile subtrahiert werden, resultieren die Net Operating Assets, die das vom Kapitalgeber zur Verfügung gestellte Kapital umfassen. Das Capital Employed ergibt sich anschliessend mittels Subtraktion der liquiden Mittel.

Wichtig ist, dass sowohl bei der Berechnung des Kapitalumschlags als auch von der Kapitalrendite angegeben wird, wie sich die verwendete Kapitalgrösse zusammensetzt. Aus einer unternehmensexternen Sicht dürfte vor allem die Unterscheidung zwischen betriebsnotwendigem und nicht betriebsnotwendigem Vermögen herausfordernd sein.

Der Kapitalumschlag kann nun auf der Basis sämtlicher definierter Kapitalgrössen berechnet werden. Zu beachten gilt es noch, ob die Kapitalgrösse per Jahresanfang, per Jahresende oder als Durchschnitt von Anfang und Ende erhoben wird. Aus einer theoretischen Sicht kann keine Variante pauschal als überlegen bezeichnet werden. Auch in der Praxis sind sämtliche Methoden verbreitet.

KapitalumschlagS e i t e 7 | 48

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Kapitalumschlag= NettoerlösØ Capital Employed

Wie oft wird das operativ eingesetzte Kapital im Jahr umgeschlagen?

Kapitalumschlag= NettoerlösØ Net Operating Assets

Wie oft wird das von den Investoren zur Verfügung gestellte (betriebliche)Vermögen bzw. Kapital umgeschlagen?

Kapitalumschlag= NettoerlösØ Operating Assets

Wie oft wird das operative Vermögen bzw. Kapital umgeschlagen?

Kapitalumschlag= NettoerlösØ Total Assets

Wie oft wird das gesamte Vermögen bzw. Kapital umgeschlagen?

Es existieren keine branchenübergreifenden Zielgrössen für den Kapitalumschlag. Je höher der Kapitalumschlag ist, desto effizienter wird das Kapital im Unternehmen eingesetzt.

Bei der Kapitalrendite ist grundsätzlich zwischen der Eigen- und der Gesamtkapitalrendite zu unterscheiden. Zur Berechnung der Eigenkapitalrendite wird der Gewinn, der für die Eigentümer verdient wird, durch das von den Eigentümern zur Verfügung gestellte Kapital dividiert.

Eigenkapitalrendite (Return on Equity)

Eigenkapitalrendite= JahresgewinnØ Eigenkapital

Es gibt keine branchenübergreifenden Zielgrössen für die Eigenkapitalrendite.

Die Gesamtkapitalrendite setzt den Gewinn, der dem Eigentümer und dem Gläubiger zusteht, ins Verhältnis zum Gesamtkapital. Für die Berechnung der Kapitalrentabilität werden in der Praxis vor allem die folgenden drei Grössen verwendet:

Jahresgewinn + Finanzaufwand: Diese Grösse steht den Eigentümern und Gläubigern zur Verfügung.

EBIT (Earnings before Interests and Taxes): Bei der Verwendung des EBIT wird vernachlässigt, dass die Steuern im Gegensatz zum Finanzaufwand und zum Jahresgewinn keine Entschädigung für die Überlassung von Kapital darstellen. Dafür haben die steuerlichen Rahmenbedingungen keine Auswirkung auf die mit dem EBIT ausgewiesene Kapitalrendite.

NOPAT (Net Operating Profit after Taxes): Beim NOPAT handelt es sich um ein EBIT, das um die Steuern korrigiert wird, sozusagen um einen Gewinn vor Zinsen, jedoch nach Steuern. Zur Berechnung wird das EBIT mit dem Faktor (1 – Gewinnsteuerrate) multipliziert. Der NOPAT ist der Gewinn, der ohne Einsatz von verzinslichem Fremdkapital resultieren würde. Zur Einschätzung der operativen Performance ist der NOPAT unter Umständen besser geeignet als die Summe von Jahresgewinn und Finanzaufwand. Letztere Grösse ist nicht nur von operativen Entscheidungen abhängig, sondern auch von der Wahl der Finanzierungsstruktur.

Gesamtkapitalrendite

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Returnoncapital Employed (ROCE )= EBITCapital Employed

, NOPATCapital Employed

oder Jahresgewinn+FinanzaufwandCapital Employed

Der ROCE eignet sich besonders für die Performancemessung des Managements (von Unternehmenseinheiten).

Returnon Net Operating Assets(RONOA )= EBITNet Operating Assets

, NOPATNetOperating Assets

oder Jahresgewinn+FinanzaufwandNet Operating Assets

Der RONOA (oft auch als ROIC, Return on Invested Capital bezeichnet), eignet sich besonders gut für Anwendungen aus Investorensicht.

Returnon Assets(ROA )= EBITTotal Assets

, NOPATTotal Assets

oder Jahresgewinn+FinanzaufwandTotal Assets

Der ROA ist in der Praxis wenig verbreitet. Je nach Anwendung kann das Kapital als Durchschnittsgrösse sowie als Anfangs- oder Endbestand erhoben werden. Es gibt keine branchenübergreifenden Zielgrössen für die Gesamtkapitalrendite.

Wichtig ist, dass die Berechnung der Kapitalrenditegrössen transparent gemacht wird. Die Kapitalrendite kann je nach Berechnungsart deutlich variieren.

1.5 Geldflussrechnung

Für ein besseres Verständnis der Geldflüsse ist eine Geldflussrechnung hilfreich. Die Geldflussrechnung weisst die Veränderung der flüssigen Mittel über eine bestimmte Zeitperiode nach.

Die Geldflussrechnung ist in drei Bereiche gegliedert: Betriebstätigkeit, Investitionstätigkeit und Finanzierungstätigkeit.

1.5.1 Cashflow

Der Begriff Cashflow ist nicht exakt definiert. In der Regel ist mit dem Cashflow der Geldfluss aus Betriebstätigkeit gemeint. Zur Berechnung des Cashflows gibt es die direkte und die indirekte Methode.

Bei der direkten Berechnung des Cashflows werden die liquiditätswirksamen Aufwendungen vom liquiditätswirksamen Ertrag subtrahiert. Das gleiche Ergebnis ergibt sich bei der indirekten Berechnung, wenn zum Jahresgewinn die liquiditätsunwirksamen Aufwendungen addiert werden.

In der Regel wird der Cashflow in einer Geldflussrechnung indirekt ermittelt, weil diese Methode mit dem geringsten Aufwand verbunden ist.

Als Praktiker-Cashflow wird die Kennzahl bezeichnet, die resultiert, wenn zum Jahresgewinn die Abschreibungen hinzuaddiert werden.

1.5.2 Free Cashflow

Wie der Cashflow wird auch der Free Cashflow in der Praxis nicht einheitlich verwendet. Der Free Cashflow ist jener Teil des Cashflows, der nach Investitionen zur Verfügung steht, um die Fremd- und Eigenkapitalgeber auszuzahlen.

Der Free Cashflow sollte nicht aus Basis eines einzelnen Geschäftsjahres analysiert werden. Falls ein Unternehmen alle paar Jahre grössere Investitionen tätigt, kann der Free Cashflow in den

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Investitionsjahren durchaus negativ sein. Wichtig ist, dass der Free Cashflow mittel- bis langfristig positiv ist.

Der Free Cashflow wird auch als frei verfügbarer Cashflow bezeichnet. Grundsätzlich gibt es zwei Arten des Free Cashflows. Der Free Cashflow Entity (auch Free Cashflow Brutto oder Free Cashflow Gesamtkapital genannt) steht für Gläubiger und Eigentümer zur Verfügung. Der Free Cashflow Equity (auch Free Cashflow netto oder Free Cashflow Eigenkapital genannt) steht hingegen nur für die Eigentümer zur Verfügung.

1.6 Wichtigste Punkte zusammengefasst

1. Was überprüft die goldene Finanzierungsregel?Die goldene Finanzierungsregel prüft die Fristenkongruenz der Finanzierung. Wichtig ist, dass langfristiges Vermögen (Anlagevermögen) langfristig finanziert wird. Ziel ist daher, dass die Summe von Eigenkapital und langfristigem Fremdkapital das Anlagevermögen übersteigt.

2. Welchen Mehrwert bringt das Verhältnis Nettofinanzschulden/EBITDA gegenüber herkömmlichen Kennzahlen wie Eigenfinanzierungsgrad oder Verschuldungsgrad?Das Verhältnis Nettofinanzschulden/EBITDA weist drei Vorteile auf. Erstens werden die Finanzschulden, die periodisch Erfolgs- und Geldflussrechnung in Form von Zinsen und Amortisationen (nur Geldflussrechnung) belasten, berücksichtigt. Zweitens wird die Liquiditätssituation berücksichtigt, sodass die Nettofinanzschuld resultiert. Hohe überschüssige liquide Mittel können Unternehmen nämlich zum Abbau der Verschuldung einsetzen. Drittens wird auch die Ertragskraft, gemessen am EBITDA, berücksichtigt. Es gilt: Je stärker die Ertragskraft, desto mehr Finanzschulden kann sich ein Unternehmen leisten.

3. Was ist der Unterschied zwischen Kapital- und Gewinnreserven?Kapitalreserven sind in der Regel vom Aktionär – ähnlich wie das Aktienkapital – einbezahlt. Gewinnreserven erarbeitet ein Unternehmen hingegen selbst. Es handelt sich dabei um jene Gewinne, die nicht an die Eigentümer ausgeschüttet werden.

4. Was sagt eine EBITDA-Marge aus?Eine EBITDA-Marge gibt Auskunft darüber, wie viel Prozent des Nettoerlöses als EBITDA verbleiben. Die Prozente stehen für Abschreibungen, Zinsen, Steuern und als Gewinn zur Verfügung.

5. Was misst der Kapitalumschlag?Der Kapitalumschlag misst das Verhältnis des Nettoerlöses und eingesetztem Kapital, bzw. Vermögen. Ein Kapitalumschlag von z.B. 85 Prozent sagt aus, dass mit einem Franken Kapitaleinsatz ein Nettoerlös von 85 Rappen resultiert.

6. Auf welche zwei grundsätzliche Arten kann ein Unternehmen die Kapitalrendite steigern?Die Kapitalrendite entspricht dem Produkt von Gewinnmarge und Kapitalumschlag. Einerseits führt eine höhere Gewinnmarge (Verbesserung der Kosteneffizienz) zu einer Steigerung der Kapitalrendite. In diesem Fall verbleibt vom Umsatz mehr als Gewinn. Andererseits schlägt sich ein erhöhter Kapitalumschlag in einer Steigerung der Kapitalrendite nieder.

7. Nach der indirekten Methode entspricht der Cashflow vereinfacht der Summe von Jahresgewinn, Abschreibungen und den Veränderungen einiger Positionen des Nettoumlaufvermögens- Wieso führt eine Zunahme der Forderungen aus Lieferungen und Leistungen zu einer Abnahme des operativen Cashflows?Eine Zunahme der Forderungen aus Lieferungen und Leistungen bedeutet, dass der Bestand an offenen Kundenrechnungen gestiegen ist. Mit der Ausstellung der zusätzlichen Rechnungen hat das Unternehmen Nettoerlös und damit auch Gewinn verbucht. Zu einem Zahlungseingang ist es jedoch nicht gekommen. Ein Geldfluss resultiert daher noch nicht.

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Deshalb ist der Jahresgewinn um die Zunahme der offenen Rechnungen nach unten korrigiert worden.

8. Was ist die Aussagekraft von operativem Cashflow, Free Cashflow Entity und Free Cashflow Equity?Der operative Cashflow gibt an, wie viel flüssige Mittel mit der operativen Tätigkeit erwirtschaftet werden. Der Free Cashflow Entity zeigt, wie viel vom operativen Cashflow nach Investitionstätigkeit noch übrigbleibt. Dieser Betrag könnte theoretisch an Fremd- und Eigenkapitalgeber zurückgeführt werden. Durch Abzug von Zinsen und Amortisationen resultiert der Free Cashflow Equity, der das Ausschüttungspotenzial an die Eigentümer darstellt.

3. Kapitalkosten

Im Kapitalbedarfsfall sind Unternehmen auf die Beschaffung von neuen Mitteln angewiesen. Sowohl potenzielle Eigenkapitalgeber als auch Gläubiger setzen sich mit der Zurverfügungstellung von Kapital dem Risiko aus, dass sie die investierten Mittel nicht mehr vollumfänglich zurückerhalten. Für dieses Risiko verlangen die Investoren eine Entschädigung in Form einer Verzinsung. Je höher der Kapitalgeber das Risiko einschätzt, desto höher ist seine Renditeerwartung.

3.2 Unternehmensrisiken und Gewinnvolatilität

Damit ein Unternehmen die Renditeerwartungen der Geldgeber erfüllen kann, muss es ausreichend rentabel wirtschaften. Die Ausübung jeder operativen Tätigkeit ist immer mit gewissen Unsicherheiten verbunden, weshalb die Umsätze schwanken. Mit einem (allenfalls längerfristigen) tieferen Gewinn sinkt die Fähigkeit eines Unternehmens zur Erfüllung der Renditeansprüche der Investoren. Verluste zehren das Eigenkapital auf und führen im schlimmsten Fall zum Konkurs. Sowohl Gläubiger als auch Eigentümer können dann ihren Kapitaleinsatz (teilweise) verlieren.

Im finanzwirtschaftlichen Kontext wird Risiko als Schwankungsbreite wahrgenommen. Eine mit hohem Risiko behaftete Grösse, zum Beispiel ein Gewinn, schwankt stark um ihren Mittelwert. Vereinfacht gilt: Je stärker eine Grösse um den Mittelwert schwankt, umso höher ist die Volatilität.

Grundsätzlich gibt es drei Haupttreiber der Gewinnvolatilität. Das sind die Zyklizität, der Operating Leverage und der Financial Leverage. Eine hohe Zyklizität bedeutet, dass der Nettoerlös stark schwankt, z.B. weil die Kundenbestellungen in Abhängigkeit der Konjunktur erfolgen. Die variablen Betriebsaufwendungen sind in etwa gleich volatil wie der Nettoerlös. Hätte ein Unternehmen keine Fixkosten, wären Nettoerlös, Betriebsaufwendungen und EBITDA identisch volatil. Fixkosten führen jedoch dazu, dass der EBITDA volatiler als der Nettoerlös ist.

Betriebliche Fixkosten weisen einen Hebeleffekt auf das EBITDA auf. Dieser Effekt wird als Operating Leverage bezeichnet und wie folgt berechnet:

Operating Leverage

Graddes operativen Leverage (GOL )=%∆EBIT%∆Nettoerlös

Ein ermittelter GOL von z.B. 3.3 bedeutet, dass sich das EBIT bei einer Veränderung des Nettoerlöses um 1 Prozent und 3.3 Prozent verändert. Der GOL verdeutlicht, dass sich in diesem Fall bereits relativ kleine Veränderungen des Nettoerlöses überproportional stark auf das EBIT auswirken.

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Das EBIT weist aufgrund von Abschreibungen eine noch höhere Schwankungsbreite als das EBITDA auf. Weitere fixe Aufwendungen sind die Fremdkapitalzinsen. Der Finanzaufwand übt daher analog zu den fixen Betriebsaufwendungen einen Hebel auf den Gewinn vor Steuern aus. Bei zunehmendem EBIT steigt das EBT überproportional.

Die Renditeerwartung der Kapitalgeber hängt von der erwarteten Gewinnvolatilität ab. Unter sonst gleichen Bedingungen führt eine zunehmende Zyklizität daher zu einer Erhöhung der Renditeerwartungen der Investoren und damit aus Unternehmenssicht zu einer Verteuerung des Kapitals. Das Gleiche trifft unter sonst gleichen Bedingungen für einen steigenden Fixkostenanteil und eine zunehmende Verschuldung zu. Ein Unternehmen mit zyklischem Nettoerlös sowie einem hohen Fixkostenanteil und einer hohen Verschuldung dürfte im Fall eines Nachfragerückgangs nicht in der Lage sein, eine deutliche Kostenreduktion zu erreichen. Unter diesen Bedingungen ergibt sich folglich eine hohe Gewinnvolatilität.

3.4 Renditeerwartungen der Kapitalgeber

Die Finanzierung von Unternehmen ist aus Sicht der Kapitalgeber mit Risiken verbunden. Unabhängig davon, ob der Kapitalgeber seine Risikoanalyse auf dem Volatilitätskonzept basiert oder ob er die wichtigsten Risiken wie Zyklität, Operating Leverage und Financial Leverage pragmatisch einschätzt, stellt er eine Renditeforderung ans Unternehmen. Dabei ist grundsätzlich die Position von Gläubiger und Eigenkapitalgeber zu unterscheiden. Aus einer Risikoperspektive befindet sich der Gläubiger in einer besseren Lage als der Eigenkapitalgeber. Gegenüber dem Eigenkapitalgeber ist der Gläubiger im Konkursfall in jedem Fall privilegiert. Das Kapitalverlustrisiko ist daher für den Gläubiger geringer als für den Eigenkapitalgeber.

Der Gläubiger erhält auf seine Investitionssumme in der Regel eine fix garantierte Zinsleistung. Diese ist vom Unternehmen unabhängig von der wirtschaftlichen Lage zu leisten. Die GV kann die Ausschüttung von Dividenden an ihre Eigenkapitalgeber beschliessen. Voraussetzung ist jedoch, dass ein ausschüttbarer Bilanzgewinn oder eine ausschüttbare Reserve zur Verfügung stehen.

Die kumulierten Verluste der letzten Jahre haben keine Auswirkungen auf die Forderungen der Gläubiger. Das Vermögen der Eigenkapitalgeber, das Eigenkapital, schrumpft jedoch als Folge der Verluste. Da der Eigenkapitalgeber gegenüber dem Gläubiger ein höheres Risiko trägt, verlangt er deshalb eine höhere Rendite für seine Kapitalüberlassung. Der Eigenkapitalkostensatz liegt für ein Unternehmen daher über dem Fremdkapitalkostensatz. Ein EK-Geber hat zwei Renditequellen. Er profitiert von Ausschüttungen wie Dividenden, zum anderen profitiert er von Unternehmenswertsteigerungen. Falls das Unternehmen an einer Börse kotiert ist, kann die allfällige Wertsteigerung jederzeit realisiert werden. Bei nicht kotierten Unternehmen können die Aktien auch jederzeit verkauft werden, dies gestaltet sich jedoch wesentlich umständlicher.

Da der Eigenkapitalgeber das grössere Risiko trägt als der Gläubiger, weist seine Rendite eine höhere Volatilität auf. Je grösser das Risiko, desto höher sind die Gewinn- bzw. Renditechancen.

3.5 Kapitalkosten und Unternehmenswert

Für die gängigen Methoden zur Bewertung von Investitionen und Unternehmen braucht es Kapitalkostensätze. Dabei werden Free Cashflows oder Gewinne mit dem Kapitalkostensatz diskontiert.

Je höher das erwartete Risiko und damit der Kapitalkostensatz, umso weniger sind Investoren für einen bestimmten zukünftigen Free Cashflow zu bezahlen bereit. Bei einem Kapitalkostensatz von 8

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Prozent bzw. 12 Prozent resultiert ein Unternehmenswert von 2500 (= 200 (erwarteter Cashflow) / 0.08) bzw. von 1667 (= 200 / 0.12).

Zwischen Kapitalkostensatz und Unternehmenswert besteht ein negativer Zusammenhang. Bei unveränderten Erwartungen an den Free Cashflow fällt der Unternehmenswert mit steigendem Kapitalkostensatz und umgekehrt. Unternehmen können ihren Wert grundsätzlich auf zwei unterschiedliche Weisen steigern: einerseits durch die Erhöhung der Free Cashflows, indem sie z.B. den Umsatz erhöhen oder die Kosten reduzieren, andererseits durch eine Senkung des Kapitalkostensatzes. Dafür müssen die Kapitalgeber ihre Renditeerwartung bzw. ihre Risikowahrnehmung senken.

3.6 Gesamtkapitalkostensatz

Der Gesamtkapitalkostensatz entspricht dem Durchschnitt von Eigen- und Fremdkapitalkostensatz. Dabei werden Fremd- und Eigenkapital nach ihren Kapitalanteilen gewichtet. Als Fremdkapital sind für die Bestimmung des Gesamtkapitalkostenansatzes nur die verzinslichen Positionen relevant. Auf der Eigenkapitalseite stellt sich die Frage nach der Verwendung von Buchwerten oder Marktwerten. Für Unternehmen mit an der Börse kotierten Aktien ist grundsätzlich der Marktwert des Eigenkapitals, die Börsenkapitalisierung, zu verwenden. Im Fall von nicht an der Börse kotierten Unternehmen sind keine Marktwerte verfügbar, weshalb Buchwerte zu verwenden sind. Diese sind gegebenenfalls um stille Reserven zu adjustieren. Auf der Fremdkapitalseite stellt sich die Frage nach Markt- oder Buchwerten daher nur bei Obligationsanleihen, die in der Regel an der Börse handelbar sind. In diesem Fall sind ebenfalls Marktwerte vorzuziehen. Der nach Kapitalanteilen gewichtete durchschnittliche Kapitalkostensatz wird als WACC (Weighted Average Cost of Capital) bezeichnet. Er wird wie folgt bestimmt:

WACC=k FK× (1−s)× FKEK+FK

+k EK×EK

EK+FK

Wobei:

WACC = durchschnittlicher gewichteter KapitalkostensatzkFK = Fremdkapitalkostensatzs = GewinnsteuersatzFK = (Marktwert) Fremdkapital, wobei nur verzinsliches Fremdkapital berücksichtigt wirdEK = (Marktwert) EigenkapitalkEK = Eigenkapitalkostensatz

Die Vorgehensweise zur Bestimmung von Fremd- und Eigenkapitalkostensatz wird in den folgenden Abschnitten detailliert erläutert. Fremdkapitalzinsen reduzieren den zu versteuernden Gewinn und begründen damit eine Steuerersparnis. Die steuerliche Abzugsfähigkeit der Fremdkapitalzinsen gilt es bei der Bestimmung der WACC zu berücksichtigen.

Das Verhältnis von Eigen- und (verzinslichem) Fremdkapital kann der aktuellen Finanzierungsstruktur zu Marktwerten entsprechen. Falls davon auszugehen ist, dass sich die Kapitalstruktur in den nächsten Jahren deutliche verändern wird, sollte die angestrebte Zielkapitalstruktur zur Gewichtung von Eigen- und Fremdkapital verwendet werden.

3.7 Eigenkapitalkostensatz

Im Gegensatz zu den Fremdkapitalkosten sind die Kosten des Eigenkapitals nicht in der Erfolgsrechnung erfasst. Zur Schätzung des Eigenkapitalkostensatzes bestehen verschiedene Ansätze.

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3.7.1 Capital Asset Pricing Model (CAPM)

Ausgangslage zur Berechnung des Eigenkapitalkostensatzes ist die Rendite einer risikofreien Anlage, z.B. einer Staatsanleihe. Da Aktien bzw. Unternehmen im Gegensatz zu risikolosen Anlagen mit Risiken behaftet sind, wird zur risikolosen Basis eine Risikoprämie hinzuaddiert. Im Rahmen des CAPM wird zwischen systematischen und unsystematischen Risiken differenziert. Unsystematische Risiken betreffen ein einzelnes Unternehmen oder eine einzelne Branche. Der Anleger kann unsystematische Risiken durch eine Diversifikation absichern. Dazu muss er Aktien aus unterschiedlichen Branchen und Regionen in seinem Portfolio halten. Unsystematische Risiken heissen deshalb auch diversifizierbare Risiken. Zum systematischen Risiko gehören Fakten, die sich nicht nur auf einzelne Aktien oder Branchen negative auswirken, sondern auf den gesamten Aktienmarkt. Beispiele dafür sind terroristische Gefahren, kriegerische Aktivitäten oder eine weltweite Rezession. Das systematische Risiko gilt auch als Marktrisiko und kann vom Anleger nicht wegdiversifiziert werden.

Gemäss dem CAPM wird der Anleger nur für das systematische Risiko bzw. für das Marktrisiko entschädigt, nicht jedoch für die durch ihn selbst mit Diversifikation eliminierbaren unsystematischen Risiken. Gemessen wird das systematische Risiko einer spezifischen Aktie mit dem Beta-Faktor. Der Beta-Faktor, auch Beta genannt, misst den Beitrag, den eine Aktie zum Risiko des Gesamtmarkts leistet. Ein Beta von z.B. 1.5 sagt aus, dass bei einer Gesamtmarktrendite von +/- 10 Prozent mit einer Rendite der Aktie von +/- 15 Prozent zu rechnen ist. Die Aktie ist volatiler als der Gesamtmarkt und trägt damit überproportional zum Marktrisiko bzw. zum Risiko des Gesamtmarkts bei.

Die erwartete Rendite des Eigentümers bzw. der Eigenkapitalkostensatz kann nun mit dem CAPM wie folgt geschätzt werden:

Eigenkapitalkostensatz mit CAPM:

k EK=r f+( rm−r f )×β

Wobei:

kEK = Eigenkapitalkostensatzrf = Rendite einer risikofreien Anlagerm = Renditeerwartung des Gesamtmarktsrm-rf = Marktrisikoprämieβ = Beta-Faktor

Die beiden Parameter rf und rm sind grundsätzlich für sämtliche Aktien in einem Markt identisch. Ausschlaggebend für unterschiedlich hohe Eigenkapitalkostensätze ist darum in erster Linie das Beta. Zwischen Eigenkapitalkosten und Beta besteht ein linearer Zusammenhang. Je höher der Beta-Faktor ist, desto höher ist auch der Eigenkapitalkostensatz. Der Gesamtmarkt weist immer ein Beta von eins auf.

Zur Schätzung des Eigenkapitalkostensatzes mit dem CAPM muss der Anwender drei Inputparameter schätzen: die Rendite einer risikofreien Anlage, die Marktrisikoprämie und den Beta-Faktor. In der praktischen Anwendung ist die Bestimmung dieser Inputparameter herausfordernd. Im Folgenden werden die wichtigsten Herausforderungen kurz erläutert.

Rendite einer risikofreien Anlage

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Als risikofreie Anlage wird meistens eine Staatsobligation verwendet. Wird der zu schätzende Eigenkapitalkostensatz beispielsweise zur Unternehmensbewertung verwendet, in deren Rahmen Gewinne oder Free Cashflows über einen sehr langen Zeitraum diskontiert werden, ist eine langfristige Optik notwendig. Daher wird häufig die Rendite einer Staatsobligation mit einer Laufzeit von 10 bis 30 Jahren eingesetzt.

Bei diesen Renditen handelt es sich um nominale, nicht inflationsbereinigte Grössen. Wer z.B. sein Kapital zu 1 Prozent investiert, erreicht bei einer Inflationsrate von 2 Prozent eine negative Realverzinsung. Die Verwendung von sehr tiefen bzw. negativen risikofreien Renditen zur Bestimmung des Eigenkapitalkostensatzes im Rahmen von Unternehmens- oder Projektbewertungen ist daher gefährlich, da das Risiko einer Fehlallokation des Kapitals besteht. Falls das Management eines Unternehmens von einer jährlichen langfristigen Inflationserwartung von 1.5% pro Jahr und einem Realverzinsungsanspruch von 1 Prozent ausgeht, sollte es im Eigenkapitalkostensatz eine risikofreie Rendite von mindestens 2.5 Prozent unterlegen.

Marktrisikoprämie

Zur Bestimmung der Marktrisikoprämie, die der Differenz der Renditen von Aktienmarkt und risikofreier Anlage entspricht, muss ein Gesamtmarkt definiert werden. Da es keinen Index gibt, der sämtliche den Anlegern zur Verfügung stehende Investitionsmöglichkeiten abdeckt, wird sowohl in der Praxis als auch in der Wissenschaft ein Aktienindex als Gesamtmarkt verwendet. Entscheidend für die Wahl des Aktienindex ist das Anlageuniversum der Eigenkapitalgeber eines Unternehmens. Falls sich die Mehrheit der Eigenkapitalgeber bei der Kapitalanlage auf inländische Aktien fokussiert, ist die Verwendung des SPI empfehlenswert. Falls die Eigenkapitalgeber hingegen mehrheitlich global in Aktien investieren, ist der MSCI World die bessere Wahl.

Beta-Faktor

Die dritte Grösse, die zur Schätzung des Eigenkapitalkostensatzes benötigt wird, ist der Beta-Faktor. Dieser misst den Zusammenhang der Renditen der betreffenden Aktie und des Aktienindex und wird mit dem Verfahren der einfachen linearen Regression bestimmt. Ziel ist es, herauszufinden, wie sensitiv der Aktienkurs gegenüber einer Veränderung des Werts des Aktienindex reagiert. Oftmals werden als Basis monatliche, stetige Renditen des Aktienmarkts und der betreffenden Aktie über die letzten fünf Jahre verwendet. Dann resultieren 60 monatliche Renditepaare. Vereinfacht ausgedrückt wird eine sogenannte Regressionsgerade gesucht, die die Renditepunktewolke bestmöglich zu erklären vermag. Das Beta entspricht der Steigung der Regressionsgeraden.

Das Beta kann theoretisch Werte zwischen minus und plus unendlich annehmen. Negative Beta-Faktoren gibt es in der Praxis relativ selten. Für einen negativen Wert muss sich das Beta z.B. über 60 Monate gegenläufig zum Markt entwickeln.

Grundsätzlich gilt, je höher die Unternehmensrisiken Zyklizität, Operating Leverage und Financial Leverage sind, desto höher sind auch Gewinnvolatilität und Beta.

Eine wichtige Rolle bei der Beurteilung des Beta-Faktors kommt dem sogenannten Bestimmtheitsmass zu. Dieses misst die Güte des zur Bestimmung vom Beta verwendeten Regressionsmodells, in dem die Schwankungen der Aktienrendite mit den Schwankungen der Marktrendite erklärt werden. Ein Bestimmtheitsmass von eins bedeutet, dass die Verteilung der Aktienrenditen zu 100 Prozent mit der Verteilung der Marktrenditen zu erklären ist. In diesem Fall ist die Qualität des Regressionsmodells hervorragend. Ein Bestimmtheitsmass von 0.05 bedeutet, dass die Marktrenditen die Verteilung der Aktienrenditen nur zu 5 Prozent erklären vermögen. Die

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Qualität der Regression ist daher sehr schlecht. Die Marktrendite ist in diesem Fall nicht geeignet zur Erklärung der Aktienrendite. Das Beta nimmt in Fällen mit einem tiefen Bestimmtheitsmass einen eher zufälligen Wert an. Es besteht ein negativer Zusammenhang zwischen Marktkapitalisierung und Bestimmtheitsmass. Klein kapitalisierte Unternehmen verfügen über illiquide Aktien. In diesem Fall können Kauf- und Verkaufsaufträge schon mit relativ geringem Volumen deutliche Kurssteigerungen bzw. Rückgänge auslösen. Die daraus resultierenden Kursschwankungen sind dann nicht die Folge von allgemeinen Marktbewegungen, sondern von einigen wenigen Transaktionen.

Für Unternehmen mit geringer oder mittlerer Marktkapitalisierung sollte das für den Eigenkapitalkostensatz benötigte Beta – nicht wie in diesem Abschnitt erläutert – bestimmt werden. In der Praxis wird der Beta-Faktor daher in der Regel über eine Peer Group ermittelt. Dabei wird, vereinfacht ausgedrückt, der Mittelwert der Betas vergleichbarer Unternehmen bestimmt und als Referenzwert übernommen.

Das CAPM ist das Standardmodell zur Bestimmung von Eigenkapitalkostensätzen in der Praxis, obwohl das Modell von einem theoretischen Standpunkt her umstritten ist. Einerseits basiert es auf teilweise realitätsfernen Annahmen. Dazu gehört z.B. die Annahme, dass sämtliche Marktakteuer jederzeit zu einem risikolosen Satz Kapital aufnehmen können. Ein weiteres Problem des CAPM besteht darin, dass Beta auf Basis von Vergangenheitsdaten bestimmt wird. Damit wird unterstellt, dass der lineare Zusammenhang zwischen Markt- und Aktienrendite in Zukunft unverändert bleibt. Mit Änderungen im Geschäftsmodell können sich Betas mit der Zeit jedoch auch verändern.

3.7.4 Risikokomponentenmodell

In den vorherigen Abschnitten wurde detailliert auf die Problematik des CAPM zur Bestimmung von Eigenkapitalkostensätzen hingewiesen. Bedingungen für die Anwendung des CAPM sind entweder börsenkotierte Aktien oder eine genügende Anzahl vergleichbarer Unternehmen mit kotierten Aktien. Ist beides nicht der Fall, ist die CAPM-Anwendung nicht nur problematisch, sondern unmöglich. Dann kann sich die Anwendung des Risikokomponentenmodells eignen. Ausgangsbasis ist auch in diesem Modell die Rendite einer risikolosen Wertschrift bzw. einer langfristigen Bundesobligation. Dazu werden spezifische Risikozuschläge addiert. Im Gegensatz zum CAPM, in dem der Zuschlag für das systematische Risiko aus Marktbewertungen abgeleitet wird, sind die im Risikokomponentenmodell verwendeten Zuschläge stark durch die subjektiven Annahmen des Bewerters geprägt.

Der Risikokomponentenansatz und CAPM sind konzeptionell sehr ähnlich. Die grösste Herausforderung beim Komponentenansatz ist die Bestimmung der Höhe der Risikozuschläge. Eine objektive Beurteilung ihrer Angemessenheit ist praktisch unmöglich. Für Bewertungsgutachten, die einer Prüfung standhalten müssen, ist daher der CAPM-Ansatz vorzuziehen, falls eine Anwendung überhaupt möglich ist. Es gilt allerdings zu berücksichtigen, dass auch der mit dem CAPM berechnete Eigenkapitalkostensatz vom Bewerter gesteuert werden kann. Spielräume bestehen etwa bei der Bestimmung vom Basiszinssatz oder bei der Auswahl der Peer Group zur Berechnung von Beta- Faktoren.

CAPM und Risikokomponentenmodell im Vergleich:

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Wobei:

kEK = Eigenkapitalkostensatzrf = Rendite einer risikofreien Anlagerm = Rendite des Gesamtmarktsβ = Beta-FaktorGP = GrössenprämieURP = Prämie für allgemeines UnternehmensrisikoZP = Prämie für ZyklizitätOLP = Prämie für Operating LeverageFLP = Prämie für Financial Leverage

3.8 Fremdkapitalkostensatz

Die Bestimmung des Fremdkapitalkostensatzes ist im Vergleich zum Eigenkapitalkostensatz einfacher. Falls ein Unternehmen mehrere verzinsliche Fremdkapitalpositionen hat, ist ein nach Kapitalanteilen gewichteter Durchschnittsfremdkapitalkostensatz zu bestimmen. Für Bankkredite ist dazu der Buchwert zu verwenden. Im Fall von an der Börse handelbaren Obligationsanleihen ist der Marktwert vorzuziehen. Leasingverbindlichkeiten werden je nach ihren Charakteristika und je nach Rechnungslegungsstandard bilanziert oder nicht. Nicht bilanzierte Leasingverpflichtungen sind bei der Bestimmung des Fremdkapitalkostensatzes ebenfalls zu berücksichtigen.

Der Fremdkapitalkostensatz soll jene Rendite angeben, die Gläubiger vom Unternehmen für die Zurverfügungstellung von Kapital verlangen. Falls fix verzinsliche Kredite schon einige Jahre laufen, muss der vereinbarte Zinssatz nicht unbedingt dem aktuellen Satz entsprechen, zu dem das Unternehmen in der aktuellen Situation Geld aufnehmen könnte. Falls die Zinssätze laufender Finanzierungen stark von den aktuellen Finanzierungskosten abweichen, sollten nicht die effektiv auf dem verzinslichen Fremdkapital vereinbarten Zinssätze verwendet werden. Alternativ können die Fremdkapitalkostensätze über einen Vergleich mit Unternehmen mit identischem Rating geschätzt werden. Der Fremdkapitalsatz entspricht nach dieser Vorgehensweise der Summe von der Rendite einer risikolosen Staatsobligation und dem Credit Spread. Letzterer misst die Renditedifferenz zwischen einer Staatsanleihe und einer Unternehmensanleihe.

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Fremdkapitalkostensatz mit Credit Spread:

k FK=rf+CS

Wobei:kFK = Fremdkapitalkostensatzrf = Rendite einer risikofreien WertschriftCS = Credit Spread

Angenommen, ein Unternehmen hat ein BBB-Rating. Die durchschnittliche Laufzeit der verzinslichen Fremdkapitalpositionen beträgt sieben Jahre. Eine Analyse anderer Unternehmen mit BBB-Rating bringt hervor, dass diese im Durchschnitt für eine Laufzeit von sieben Jahren einen Credit Spread von 290 Basispunkten aufweisen. Falls die Rendite der risikolosen Wertschrift z.B. 1.4 Prozent beträgt, resultiert ein Fremdkapitalkostensatz von 4.3 Prozent.

Falls ein Unternehmen über kein Rating verfügt, kann ein sogenanntes synthetisches Rating geschätzt werden. Approximativ kann das Rating auf Basis eines Vergleichs von Finanzkennzahlen geschätzt werden. Eine mögliche Finanzkennzahl ist der Zinsdeckungskoeffizient, der das Verhältnis von EBIT zum Finanzaufwand darstellt. Ein Wert von 5 bedeutet, dass der Finanzaufwand 20 Prozent vom EBIT ausmacht.

Zinszahlungen auf Fremdkapitalpositionen sind steuerlich abzugsfähiger Aufwand. Der Finanzaufwand reduziert den zu versteuernden Gewinn und hilft daher, Steuern zu sparen. Die fremdkapitalbedingte Steuerersparnis wird auch als Tax Shield bezeichnet. Um die effektiven Fremdkapitalkosten zu berechnen, sollte der Fremdkapitalzinssatz mit dem Faktor (1 – Gewinnsteuersatz) multipliziert werden.

3.9 Repetitionsfragen

1. Wie wird das Risiko im Finanzbereich üblicherweise gemessen?Mit der Standardabweichung bzw. mit der Volatilität. Es handelt sich dabei um ein zweiseitiges Risikomass. Je mehr eine bestimmte Grösse im Zeitablauf um ihren Mittelwert schwankt bzw. abweicht (nach oben und unten), desto höher ist das Risiko und damit die Standardabweichung.

2. Welche Faktoren beeinflussen die Gewinnvolatilität eines Unternehmens?Eine hohe Zyklizität der Nachfrage führt zu einem stark schwankenden Nettoerlös und damit auch zu einer hohen Volatilität auf Stufe Gewinn. Ein hoher Fixkostenanteil (Operating Leverage) sorgt zusätzlich für einen stark schwankenden Gewinn. In diesem Fall kann das Unternehmen nicht oder nur in sehr geringem Ausmass mit Aufwandsreduktionen auf einen Rückgang des Nettoerlöses reagieren. Eine hohe Verschuldung (Financial Leverage) verursacht weitere Fixkosten in Form von Finanzaufwand. Dadurch wird der Jahresgewinn gegenüber dem EBIT noch volatiler.

3. Stellt der Gläubiger oder der Eigentümer die höhere Renditeforderung ans Unternehmen?der Eigentümer geht mit seiner Investition das höhere Risiko ein als der Gläubiger. Im Konkursfall z.B. werden die Gläubiger vor dem Eigentümer bedient, wenn es um die Verteilung des Erlöses aus Verwertung der Konkursmasse geht. Daher stellt der Eigentümer eine höhere Renditeerwartung.

4. Wie stehen die Begriffe Renditeerwartung und Kapitalkostensatz miteinander in Verbindung?Die Renditeerwartung des Kapitalgebers stellt aus Unternehmenssicht die Kapitalkosten dar.

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Angenommen, eine Bank verlangt eine Rendite von 4 Prozent auf ihrem Kreditengagement. In diesem Fall kostet der Bankkredit das Unternehmen (Fremdkapitalkostensatz) 4 Prozent.

5. Wie wird der Gesamtkapitalkostensatz (WACC) bestimmt?Der Eigenkapitalkostensatz wird mit den Eigenkapitalanteil gewichtet, der Fremdkapitalkostensatz mit dem Fremdkapitalanteil. Wichtig ist, dass dabei jeweils nur das verzinsliche Fremdkapital berücksichtigt wird. Falls für das Eigenkapital und für Obligationsanleihen (FK) Marktwerte verfügbar sind, werden die Marktwerte zur Kapitalgewichtung verwendet. Der Fremdkapitalkostensatz muss um den Faktor (1 – Gewinnsteuersatz) adjustiert werden.

6. Wie wird der Eigenkapitalkostensatz mit dem Capital Asset Pricing Model (CAPM) bestimmt?Basis für die Bestimmung des Eigenkapitalkostensatzes ist die Rendite einer risikofreien Anlage, z.B. einer Staatsanleihe. Da Aktien bzw. Unternehmen im Gegensatz zu risikolosen Anlagen mit Risiken behaftet sind, wird die Marktrisikoprämie hinzuaddiert. Diese wird mit dem Beta-Faktor, der das systematische Risiko der betreffenden Aktie misst, multipliziert.

7. Wieso wird in der Praxis bei kleinen und mittelgrossen Unternehmen oft eine Grössenprämie zum mit dem CAPM ermittelten Eigenkapitalkostensatz addiert?Viele empirische Studien belegen, dass klein kapitalisierte Unternehmen bzw. Aktien höhere Renditen generieren als gross kapitalisierte. Die höhere Rendite kann als eine Entschädigung für ein höheres Risiko betrachtet werden. Risiken, die klein kapitalisierte Unternehmen stärker betreffen, sind z.B.: Abhängigkeit von Schlüsselpersonen (Keyman Risk), beschränkte Verkäuflichkeit der Aktien (Illiquidität), Intransparenz, höheres Konkursrisiko.

8. Wie wird der Eigenkapitalkostensatz mit dem Risikokomponentenmodell bestimmt?Basis bildet wie beim CAPM die Rendite einer risikofreien Anlage. Dazu werden unternehmens- und branchenspezifische Risikozuschläge addiert. Diese entschädigen den Eigenkapitalgeber z.B. für das allgemeine Unternehmensrisiko, für eine hohe Zyklizität oder für einen hohen Operating und Financial Leverage.

4. Wertorientierte Unternehmensführung

Immer mehr Unternehmen verfolgen eine wertorientierte Führung.

4.2 Konzept der Wertorientierung

Jede Unternehmung steht einer Vielzahl von Anspruchsgruppen gegenüber. Für eine langfristige Existenzsicherung ist ein Unternehmen auf die Anspruchsgruppen angewiesen – deshalb muss es sich die Befriedigung der Bedürfnisse von Anspruchsgruppen zum Ziel setzen.

Auf lange Frist besteht zwischen den Ansprüchen der Eigentümer und den Ansprüchen der übrigen Anspruchsgruppen eine Zielidentität. Eine auf die langfristigen Ziele des Eigentümers ausgerichtete Unternehmensstrategie sollte daher grundsätzlich im Interesse aller beteiligten Parteien sein. Strategien, die auf den kurzfristigen Erfolg abzielen, können insbesondere bei den an der Börse kotierten Unternehmen vorkommen. In diesem Fall kann es zu einem Zielkonflikt zwischen den Anspruchsgruppen kommen.

Eine auf den Shareholder Value ausgerichtete Unternehmensführung verfolgt die Ziele der Eigentümer als wichtigste Anspruchsgruppe. Gemäss dem Stakeholder-Value-Ansatz dienen die Bedürfnisse sämtlicher Anspruchsgruppen als Ziele der Unternehmensführung.

Die langfristige Unternehmenswertentwicklung hängt unter anderem von den zukünftigen Gewinnen und Free Cashflows, aber auch von den erwarteten Risiken ab. Eine Fokussierung auf z.B. den Free Cashflow bedeutet jedoch nicht, dass sämtliche Anspruchsgruppen des Unternehmens ausser Acht

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gelassen werden. Der Free Cashflow ist nicht direkt steuerbar, sondern, vereinfacht ausgedrückt, das Ergebnis von Umsatz(-wachstum), Betriebskosten und Investitionen. Auch für die Steuerung des Free Cashflow muss sich die Unternehmensführung Gedanken zu den Bedürfnissen von Kunden, Mitarbeitenden oder Lieferanten machen.

4.3 Messung von Wertsteigerung

Es gibt diverse Methoden zur Messung von Wertsteigerung.

4.3.1 Total Shareholder Return

Ob ein Unternehmen Werte für seine Aktionäre schafft, ist relativ einfach anhand des Total Shareholder Return einzuschätzen. Dieser berücksichtigt Kurswertsteigerungen sowie Ausschüttungen und berechnet sich wie folgt.

TSR=Aktienkurs1+Ausschüttung1

Aktienkurs0−1

Wobei:

TSR = Total Shareholder ReturnAktienkurs1 = Aktienkurs am Ende von Periode 1Aktienkurs0 = Aktienkurs zu Beginn von Periode 1Ausschüttung1 = Ausschüttung in Periode 1

Der Vorteil des Total Shareholder Return ist die einfache Verfügbarkeit der benötigten Daten. Allerdings kann für ein Unternehmen, das nicht an der Börse kotiert ist, kein Total Shareholder Return bestimmt werden. Auch für einzelne Unternehmenseinheiten (z.B. Divisionen oder Business Units) kann der TSR keine Wertsteigerung messen, da der Börsenkurs den Wert des Gesamtunternehmens abbildet. Für die Performancemessung einzelner Sparten ist der Total Shareholder Return daher ungeeignet. Ein Manager kann sein Handeln nicht an einem Kurswertsteigerungsziel ausrichten. Es fehlt die direkte Verbindung zwischen Managemententscheidung und Aktienkurs.

Eine wichtige Rolle bei der Aktienkursentwicklung spielen auch nicht rationale, psychologische Faktoren. Durch irrationales Handeln der Marktteilnehmer bedingte Kurswertsteigerungen haben ihre Ursache nicht in Managemententscheidungen und darum nichts mit einer wertorientierten Unternehmensführung zu tun. Auch dies spricht gegen die Verwendung vom Total Shareholder Return als Mass einer wertorientierten Unternehmensführung.

4.3.2 Discounted Cashflow

Gemäss dem Discounted-Cashflow-Ansatz (DCF) ergibt sich der Unternehmenswert als Summe der mit den Kapitalkosten diskontierten erwarteten Free Cashflows. Die DCF-Methode gehört zu den wichtigsten Verfahren der Unternehmensbewertung und wird daher in Kapital 5 detailliert behandelt. An dieser Stelle wird nur auf deren Grundidee und die Verbindung zur Wertorientierung eingegangen.

Das Management kann grundsätzlich Entscheidungen auf drei Ebenen treffen: erstens operative Entscheidungen, die einerseits den Umsatz und andererseits die betrieblichen Kosten betreffen, zweitens Entscheidungen über Investitionen ins Anlage- und das operative Nettoumlaufvermögen sowie drittens Finanzierungsentscheidungen. Auf ein gutes Wertsteigerungsmass sollten sämtliche Entscheidungen Einfluss haben.

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Die wichtigsten beeinflussbaren Bestimmungsfaktoren für den Unternehmenswert bzw. für den Wert des Eigenkapitals sind das Umsatzwachstum, die Gewinnmarge, der Steuersatz, die Investition ins operative Nettoumlaufvermögen und Investitionen in das Anlagevermögen sowie die Kapitalkosten. Es handelt sich dabei um die sogenannten Wertgeneratoren (Value Drivers). Ihnen sollte das Management bei seinen Entscheidungen besonders Rechnung tragen. Der Wert der Eigenkapitals ergibt sich aus den drei Komponenten Free Cashflow Entity, WACC und Wert des verzinslichen Fremdkapitals. Je höher die langfristig erwarteten Free Cashflows Entity unter sonst gleichen Bedingungen sind, desto höher ist der Unternehmenswert. Über den WACC fliessen die in Abhängigkeit von den Unternehmensrisiken gestellten Renditeerwartungen der Kapitalgeber in die Bewertung ein. Je geringer die Risikowahrnehmung bzw. die Kapitalkosten sind, desto höher ist unter sonst gleichen Bedingungen der Unternehmenswert. Etwas vereinfacht ausgedrückt sollte ein Unternehmen für einen maximalen Unternehmenswert auf lange Frist unter Inkaufnahme von möglichst geringen Risiken so viel Geld wie möglich verdienen. Der berechnete Unternehmenswert ist zwischen den Gläubigern und den Eigentümern aufzuteilen. Was nach Abzug des verzinslichen Fremdkapitals übrigbleibt, gehört dem Eigentümer. Der Nutzen bzw. die Wertsteigerung für den Eigentümer fällt in Form von Kurswertsteigerungen und/oder Dividenden an.

4.3.3 Residual-Income-Modelle (Übergewinnmodelle)

Das ein Unternehmen einen positiven Erfolg erwirtschaftet, ist keine besondere Leistung, sondern aus Investorensicht eine Selbstverständlichkeit. In Abhängigkeit ihrer Risikowahrnehmung stellt Investoren Renditeerwartungen an ein Unternehmen. Eine Wertgenerierung resultiert daher erst, falls der realisierte Gewinn bzw. die realisierte Rendite über den Erwartungen der Investoren liegen. Übergewinnmodelle vergleichen die realisierte mit der erwarteten Rendite. Die Differenz entspricht der Überrendite und wird auch als abnormale Rendite bezeichnet. Als normale Rendite gilt die Renditeerwartung. Durch Multiplikation des eingesetzten Kapitals mit der Renditeerwartung bzw. dem Kapitalkostensatz resultiert der normale Gewinn. Die Differenz zwischen realisiertem Gewinn und normalem Gewinn ist der abnormale Gewinn bzw. der Übergewinn.

Investoren beurteilen realisierte Renditen im Vergleich zu alternativen Investitionsmöglichkeiten mit gleichem Risiko.

Es gibt verschiedene Arten von Residual-Income-Modellen. Je nach Ansatz unterscheiden sich die verwendeten Kapital-, Vermögens-, Gewinn- und Kapitalkostengrössen. Im Folgenden werden zwei Ansätze detailliert beschrieben. Im ersten Ansatz wird der Übergewinn als Economic Value Added (EVA) beschrieben und im zweiten Modell handelt es sich um den Cash Value Added (CVA). Bei beiden Ansätzen dient der WACC als Kapitalkostensatz. Die Rendite wird im Rahmen des EVA-Modells auf dem zu Buchwerten bewerteten Vermögen berechnet. Beim CVA-Modell werden die Anschaffungswerte des Vermögens zur Renditeberechnung verwendet.

Sowohl operative Entscheidungen als auch Investitions- und Finanzierungsentscheidungen beeinflussen die Überrendite und den abnormalen Gewinn. Die Werttreiber wirken somit auch auf die Überrendite ein. Sowohl beim EVA- als auch beim CVA-Modell handelt es sich daher um Performancemessinstrumente, die herkömmlichen Finanzkennzahlen überlegen sind. Die Gewinnmarge berücksichtigt z.B. nur die Kosteneffizienz bzw. nur das Verhältnis von Gewinn zu Umsatz. Wie viel Kapitaleinsatz zum Erzielen des Gewinns nötig ist, spielt je nach Marge höchstens indirekt über die Abschreibungen eine Rolle. Die Kapitalrendite ist deshalb umfassenden, da nebst der Kosteneffizienz auch die Kapitaleffizienz berücksichtigt wird. Sowohl Gewinnmarge als auch Kapitalrendite sagen jedoch nichts über das eingegangene Risiko aus. Residual-Income-Modelle wie EVA und CVA berücksichtigen das Risiko über den Kapitalkostensatz und sind aus diesem Grund noch

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umfassendere Messgrössen als die Kapitalrendite. Es gilt aber zu berücksichtigen, dass die Kapitalkosten im Gegensatz zu den aus der Buchhaltung stammenden sicheren Werten Kapital und Gewinn nur vage geschätzt werden können. Sowohl bim EVA als auch beim CVA besteht daher eine gewisse Unsicherheit bezüglich der Kapitalkosten.

4.4 Economic Value Added

4.4.1 Berechnung EVA

Die zugrunde liegenden Kapital- und Gewinngrössen werden in der Praxis nicht einheitlich gewählt. Im Sinn eines Vorschlags, der keine alleinige Gültigkeit beansprucht, werden zur Berechnung des EVA die folgenden Grössen verwendet:

Als Kapitalgrösse dienen die Net Operating Assets (NOA), die per Jahresanfang erhoben werden.

Zur Berechnung des Return on Net Operating Assets (RONOA) wird der NOPAT ins Verhältnis zu den NOA gesetzt.

Der relevante Kapitalkostenzsatz ist der WACC. Durch Multiplikation von NOA und WACC resultieren die Kapitalkosten in Geldeinheiten, die

dem normalen Gewinn entsprechen.

Der abnormale Gewinn entspricht der Differenz von NOPAT und Kapitalkosten in Geldeinheiten und wird als Economic Value Added (EVA) bezeichnet. Dieser kann auch in Prozent der Net Operating Assets angegeben werden. Dann handelt es sich um den EVA Spread, der die erzielte Überrendite angibt.

EVA=NOA × (RONOA−WACC )=NOPAT−(WACC×NOA )

EVA−Spread=RONOA−WACC= EVANOA

Wobei:NOPAT = Net Profit after TaxationNOA = Net Operating AssetsRONOA = Return on Net Operating AssetsWACC = Weighted Average Cost of Capital

Die Kosten des Fremdkapitals sind in der Erfolgsrechnung als Aufwand erfasst. Keine Berücksichtigung in der Erfolgsrechnung finden jedoch die Eigenkapitalkosten. Es ist daher denkbar, dass ein Unternehmen zwar einen positiven Jahresgewinn erreicht, aus Investorensicht jedoch eine Wertvernichtung vorliegt. Die Renditeerwartungen der Eigentümer können in diesem Fall nicht erreicht werden. Diese müssen sich mit einer zu geringen Entschädigung für die eingegangenen Risiken zufriedengeben oder ihre Beteiligung verkaufen.

4.6 Repetitionsfragen

Die wichtigsten Fragestellungen zur wertorientierten Unternehmensführung lauten wie folgt:

1. Was versteht man unter einer wertorientierten Unternehmensführung?Eine wertorientierte Führung setzt sich eine Steigerung des Unternehmenswerts zum Ziel. Sowohl Finanzierungs- und Investitionsentscheidungen als auch operative Entscheidungen werden im Hinblick auf ihre Wertschaffung getroffen. Wichtig ist dabei eine langfristige Optik der Entscheidungsträger.

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2. Was ist die Grundidee von Residual-Income-Modellen?Investoren (Gläubiger und Eigentümer) gehen mit ihrer Kapitalanlage Risiken ein. Zu deren Kompensation verlangen sie eine Rendite (WACC). Wird diese Rendite mit dem eingesetzten Kapital multipliziert, resultiert ihre Gewinnerwartung (normaler Gewinn). Wert im Sinn der Kapitalgeber wird generiert, falls der realisierte Gewinn über dem normalen Gewinn liegt. Dann wird ein Übergewinn erwirtschaftet.

3. Wie wird der Economic Value Added (EVA) berechnet?Basis bilden die Net Operating Assets (betriebliches Vermögen zu Buchwerten abzüglich des nicht verzinslichen Fremdkapitals). Indem der NOPAT (Gewinn zur Zinsen nach Steuern) durch die Net Operating Assets dividiert wird, resultiert der RONOA als Kapitalrendite. Anschliessend werden die Net Operating Assets mit dem EVA Spread (RONOA – WACC) multipliziert, so dass der EVA resultiert. Im Fall eines positiven (negativen) EVA liegt eine Wertschaffung (Wertvernichtung) vor.

4. Wieso gilt der EVA im Vergleich mit einer Gewinnmarge oder einer Kapitalrendite als umfassenderes Performancemass?Die Gewinnmargen setzen eine Gewinngrösse ins Verhältnis zum Nettoerlös und messen daher die Kosteneffizienz. Der Kapitaleinsatz, der zur Erzielung von Nettoerlös und Gewinn notwendig ist (Kapitaleffizienz), wird je nach Gewinnmarge nicht oder nur indirekt über die Abschreibungen berücksichtigt. Die Kapitalrendite, die den Gewinn ins Verhältnis zum eingesetzten Kapital setzt, ist hingegen ein Abbild der Kosten- und Kapitaleffizienz. Unberücksichtigt bleiben jedoch die Renditeforderungen der Kapitalgeber, die in Abhängigkeit der Unternehmensrisiken gestellt werden. Der EVA berücksichtigt neben der Kosten- und Kapitaleffizienz auch die Renditeforderungen der Kapitalgeber und damit die Unternehmensrisiken.

5. Kann ein Unternehmen regelmässig einen Jahresgewinn erwirtschaften und dennoch negative EVA ausweisen?Ja, das ist möglich. In der Erfolgsrechnung werden nur die Fremdkapitalkosten berücksichtigt. Aus einer buchhalterischen Sicht ist das Eigenkapital gratis. Ein Unternehmen mit einem EBIT, das den Finanzaufwand gering übersteigt, wird in der Regel einen positiven Jahresgewinn erwirtschaften. Die im EVA-Model berücksichtigten Eigenkapitalkosten wird das Unternehmen dann jedoch kaum decken können. Daher resultiert trotz positiven Jahresgewinns ein negativer EVA.

6. Die Berechnung von EVA basiert auf Buchwerten. Inwiefern kann sich das negativ auswirken?Das Alter bzw. der Modernisierungsgrad der Anlagen können einen hohen Einfluss auf RONOA und EVA ausüben. Mit zunehmender Lebensdauer einer Anlage fallen die Net Operating Assets. Mit konstantem NOPAT steigen RONOA und EVA kontinuierlich an. Wie die Anlage ersetzt, steigen die Net Operating Assets wieder sprunghaft an. Die Folge ist ein ebenso sprunghafter Rückgang von RONOA und EVA. Auf Anschaffungswerten basierende Performancemasse (CFROI, CVA) sind hingegen weitgehend unabhängig vom Alter der verwendeten Infrastruktur)

7. Wie wird der Cashflow Return on Investment berechnet?Der CFROI gibt die dynamische jährliche Verzinsung an, die der Kapitalgeber erzielt, wenn er die Bruttoinvestitionsbasis (Anschaffungswerte Anlagevermögen + Buchwert Umlaufvermögen – nicht verzinsliches Fremdkapital) investiert und damit einen über den Anlagelebenszyklus konstanten Brutto-Cashflow (Cashflow vor Zinsen) erreicht. Dabei handelt es sich um die ursprüngliche Form des CFROI. In einer alternativen Berechnungsweise wird die Differenz von Brutto-Cashflow und ökonomischen Abschreibungen durch die Bruttoinvestitionsbasis dividiert. Die ökonomische Abschreibung

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entspricht jenem Betrag, der jährlich auf die Seite gelegt werden müsste, um zum WACC reinvestiert am Ende des Anlagezyklus eine Wiederbeschaffung der Anlagen zu ermöglichen. Die ökonomische Abschreibung ist daher geringer als die buchhalterische Abschreibung.

8. Wie wird der Cash Value Added (CVA) berechnet?Die Differenz von CFROI und WACC wird mit der Bruttoinvestitionsbasis multipliziert. Im Fall eines positiven (negativen) CVA liegt eine Wertschaffung (Wertvernichtung) vor.

5. Unternehmensbewertung

Die Bewertung eines Unternehmens ist eine komplexe Herausforderung. Zu einer optimalen Verständlichkeit werden die wichtigsten Bewertungsverfahren erläutert.

5.2 Grundlagen der Unternehmensbewertung

Im Rahmen einer Unternehmensbewertung wird daher nicht nur das bestehende Vermögen bewertet, sondern auch die zukünftigen Gewinne und Cashflows.

5.2.1 Entity- und Equity-Ansätze

Grundsätzlich gibt es zwei Arten von Unternehmenswerten. Einerseits kann das Eigenkapital bewertet werden. In diesem Fall resultiert ein Unternehmenswert, der den Eigentümern gehört. Andererseits kann das gesamte Unternehmen bewertet werden, was zu einem Wert führt, der den Fremd- und Eigenkapitalgebern gehört. Für den Eigenkapitalwert werden synonym auch die Begriffe Equity-Wert oder Nettowert verwendet. Der Gesamtunternehmenswert gilt auch als Entity-Wert oder Bruttowert.

Der Wert des Gesamtunternehmens ist zwischen Eigen- und Fremdkapitalgeber aufzuteilen. Beispiel: Ich habe ein Haus mit einem Wert von CHF 1 Mio. Darauf lastet eine Hypothek von CHF 400'000. Bei einem Verkauf gehen nur CHF 600'000 in meine Tasche, der Rest geht an die Bank.

Das Verhältnis von Entity zu Equity kann auch anhand des Gewinns erläutert werden. Das EBIT setzt sich hauptsächlich aus Steuern, Zinsaufwand und Jahresgewinn zusammen. Als Erster stellt der Gläubiger einen Anspruch an das EBIT. Was nach Abzug der Zinsen noch als EBT übrigbleibt, ist zwischen Steuerverwaltung und Eigentümer aufzuteilen.

Bei der Übernahme von Unternehmen erwirbt der Käufer in den meisten Fällen die Aktien des Zielobjekts. In diesem Fall ist die Bewertung des Eigenkapitals (Equity-Wert) das Ziel. Das Eigenkapital kann einerseits direkt ermittelt werden, andererseits kann zuerst mit dem Entity-Ansatz zunächst der Entity-Wert bestimmt und anschliessend das Fremdkapital subtrahiert werden. Die Differenz zwischen dem Entity-Wert und dem Fremdkapital entspricht dem Wert des Eigenkapitals. Wichtig ist, dass bei der Angabe eines Unternehmenswerts erwähnt wird, ob es sich um einen Entity- oder Equity-Wert handelt.

5.2.2 Übersicht Methoden

Grundsätzlich werden drei Hauptkategorien von Unternehmensbewertungsmethoden unterschieden (Substanzbewertung, Erfolgsbewertung und Multiples).

Die Substanzbewertung ist vergangenheitsorientiert. Nach dieser Methode sind für den Unternehmenswert das aktuell im Unternehmen verfügbare Vermögen sowie die bestehenden Verbindlichkeiten entscheidend. Der Substanzwert kann sowohl auf einer Entity- als auch auf einer Equity-Basis ermittelt werden. Zukunftserwartungen spielen in der Substanzbewertung eine untergeordnete Rolle.

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Bei der Erfolgsbewertung werden zukünftige Gewinn- oder Free-Cashflow-Grössen auf den aktuellen Zeitpunkt diskontiert. Der Unternehmenswert entspricht somit dem Present Value des zukünftigen Erfolgs. Als Diskontsatz dient der Kapitalkostensatz. Wichtigste Datenquellen zur Erfolgsbewertung sind Planrechnungen und Markt- sowie Branchenstudien, die die Schätzung zukünftiger Erträge und Kosten ermöglichen sollen. Die Erfolgsbewertung ist im Gegensatz zur Substanzbewertung zukunftsgerichtet. Der Käufer eines Unternehmens, der die betriebliche Tätigkeit fortführen wird ist eher and er Erfolgsbewertung interessiert. Falls der Käufer nach der Übernahme eine Veräusserung oder Liquidation der Unternehmensvermögensteile beabsichtigt, ist die Substanzbewertung wichtiger.

Da die Erfolgsbewertung auf erwarteten Zukunftsgrössen wie basiert, die in der Regel nur sehr vage zu schätzen sind, ist die Bewertung mit grosser Unsicherheit behaftet. Erträge und Aufwendungen aus der Vergangenheit können als Indikatoren für die zukünftige Entwicklung herangezogen werden. Die Unsicherheit und das Potenzial von Schätzfehlern sind bei der Substanzbewertung deutlich geringer, da diese grösstenteils auf bereits existierenden Vermögenswerten basiert.

Mit Multiples (Verhältniszahlen) wird der Unternehmenswert über eine Analyse von Marktwerten vergleichbarer Unternehmen hergeleitet. (z.B. KGV)

5.2.3 Anlässe der Unternehmensbewertung

In vielen Fällen liegt ein Kauf bzw. Verkauf eines Unternehmens oder eines Unternehmensteils vor. Die Unternehmensbewertung dient dann als Indikator für den Transaktionspreis. Verkäufe von Unternehmen können sehr unterschiedliche Charakteristika aufweisen. Im Rahmen eines Börsengangs verkaufen einige wenige Eigentümer einen Teil ihrer Aktien an ein breites Anlegerpublikum. Bei einem Management Buyout verkauft der bisherige Eigentümer sein Unternehmen an das Management.

Im Fall eines Börsengangs ist der Ausgabepreis der Aktien zu bestimmen, wozu eine Unternehmensbewertung notwendig ist. Auch im Fall des Management Buyouts braucht es für die Bestimmung des Verkaufspreises eine Bewertung des Unternehmens. Falls Erben bei einer Erbschaft nicht am Unternehmen interessiert sind, können die interessierten Erben diese auszahlen. Auch dafür benötigt es eine Unternehmensbewertung.

Unternehmensbewertungen können auch im Rahmen der wertorientierten Unternehmensführung vorkommen. Dabei wird das Unternehmen periodisch bewertet, um allfällige Wertgenerierungen bzw. Wertvernichtungen zu messen und entsprechende Analysen zu erstellen. Weiter können Unternehmensbewertungen Bestandteil von Kredittragfähigkeitsprüfungen sein. Unternehmensbewertungen werden zudem zur Bestimmung der Besteuerung von nicht kotierten Unternehmensanteilen, die keinen beobachtbaren Marktwert besitzen, erstellt.

5.3 Substanzwertmethode

Mit der Substanzwertmethode werden die Vermögenswerte des Unternehmens bewertet. Dafür bestehen verschiedene Wertansätze. Man kann z.B. Fortführungswerte von Liquiditätswerten unterscheiden. Im ersten Fall geht der Bewerter von einer Weiterführung der betrieblichen Tätigkeit aus. Der ermittelte Substanzwert entspricht im Fortführungsfall jenem Betrag, der aufgewendet werden müsste, um das Unternehmen in seinem aktuellen Zustand zu replizieren. Man spricht auch von Fortführungs-, Reproduktions- oder Wiederbeschaffungswert. Im Liquidationsfall geht der Bewerter von einer Veräusserung der Vermögenswerte aus. Der Substanzwert entspricht dann jenem Betrag, der bei einem Verkauf der Vermögensteile resultiert.

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5.3.1 Entity- versus Equity-Ansatz

Die Anwendung der Substanzwertmethode ist im Vergleich zu den übrigen Bewertungsmethoden relativ einfach. Ein Vorteil ist, dass keine Schätzungen von zukünftigen Erfolgsgrössen notwendig sind. Auf die Bestimmung eines Kapitalkostensatzes kann ebenfalls verzichtet werden. Der grosse Nachteil der Substanzwertmethode liegt darin, dass zukünftige Entwicklungen ignoriert werden. Die Substanzwertmethode ist darum in der Regel als alleiniges Bewertungskriterium nicht zu empfehlen. Falls das Unternehmensvermögen betriebswirtschaftlich korrekt bewertet ist, bestehen für den Substanzwert die folgenden Formeln:

Substanzwert Entity und Equity (True and Fair View);

Substanzwert Entity=Buchwert Total Aktiven

Substanzwert Equity=Buchwert Eigenkapital

Überleitung vom Entity- zum Equity-Wert:

Substanzwert Entity−Buchwert Total Fremdkapital=Substanzwert Equity

Falls das zu bewertende Unternehmen vor der Liquidation steht, ist die Substanzwertmethode zu modifizieren. Anstelle von Fortführungswerten sind Liquidationswerte einzusetzen. Es stellt sich daher die Frage, zu welchen Preisen die Vermögensteile, entweder zusammen oder einzeln, veräussert werden können. Von mit der Veräusserung generiertem Liquidationserlös ist der Aufwand für das Liquidationsverfahren zu subtrahieren.

Folgende zusätzliche Schwierigkeiten können bei der Bestimmung des Substanzwerts auftreten:

Es gibt nicht betriebsnotwendige Vermögensteile, die separat zu bewerten sind (5.3.2) Auf einigen Bilanzpositionen bestehen Stille Reserven, die in der Bewertung zu

berücksichtigen sind (5.3.3) Die Stillen Reserven führen zu latenten Steuerfolgen (5.3.4) Es bestehen für den Unternehmenserfolg wichtige immaterielle, nicht aktivierbare

Vermögenswerte, die in der vorher beschriebenen Substanzwertmethode nicht berücksichtigt werden (5.3.6)

5.3.2 Eliminierung nicht betriebsnotwendiger Vermögensteile

Ein potenzieller Unternehmenskäufer ist in der Regel nur am Erwerb des betriebsnotwendigen Vermögens interessiert. Darum macht es Sinn, dass der Substanzwert in eine betriebliche Komponente und eine nicht betriebliche Komponente unterteilt wird. Beispiele von nicht betrieblichen Vermögensteilen sind z.B.:

Überschüssige flüssige Mittel Fremdvermietete Liegenschaften Stillgelegte Produktionsanlagen

Wichtig ist, dass sämtliche mit einem nicht betriebsnotwendigen Vermögensteil zusammenhängenden Aktiven und Passiven aus der Bilanz eliminiert werden.

Substanzwert Entity und Equity (True and Fair View, betrieblich)

Substanzwert Entity (betrieblich )=Buchwert Total Aktiven−nicht betriebliche Aktiven

Substanzwert Equity (betrieblich )=Buchwert Eigenkapital−nicht betriebliche Aktiven+nicht betriebliches FremdkapitalS e i t e 26 | 48

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Überleitung vom Entity- zum Equity-Wert:

Substanzwert Entity (betrieblich )−Buchwert betriebliches Fremdkapital=Substanzwert Equity (betrieblich )

5.3.3 Berücksichtigung von stillen Reserven

Stille Reserven bedeuten, dass Vermögenswerte unter bzw. Fremdkapitalpositionen über ihrem effektiven Wert bilanziert werden dürfen. Die Differenz von effektivem Wert und bilanziertem Wert entspricht den stillen Reserven. Die Bilanz weist bei Existenz von Stillen Reserven nicht das vollständige Vermögen aus. Ein Teil des Vermögens wird verschleiert. Wie die offen in der Bilanz ausgewiesenen Reserven sind auch die Stillen Reserven zum Eigenkapital zu zählen.

Falls der Unternehmensbewerter den Substanzwert über die in der Finanzberichterstattung bzw. der Jahresrechnung erhaltenen Zahlen herleitet, spielt der Rechnungslegungsstandard eine bedeutende Rolle. Das internationale Regelwerk IFRS oder etwa der Schweizer Standard Swiss GAAP FER sehen eine sogenannte True und Fair View vor. Dies bedeutet, dass keine stillen (Willkür-)Reserven gebildet werden dürfen. Die in der Bilanz ausgewiesenen Bilanzwerte, auch Buchwerte genannt, entsprechen darum dem Substanzwert. Hingegen dürfen Unternehmen, die ihre Rechnungslegung nur nach den Mindestvorschriften des Schweizer OR erstellen, Stille Reserven bilden, müssen dies jedoch nicht tun. Der Substanzwert kann beim Vorhandensein Stiller Reserven unter Umständen erheblich vom ausgewiesenen Buchwert abweichen. Eine Substanzbewertung aus unternehmensexterner Sicht, d.h. ohne Einblick in interne Unterlagen, ist in diesen Fällen sehr schwierig.

Die Bildung von stillen Reserven ist oft steuerlich motiviert. Abschreibungen über dem betriebswirtschaftlich notwendigen Wert reduzieren den zu versteuernden Gewinn und damit die Steuerlast. Für den unternehmensexternen Betrachter der Jahresrechnung ist eine exakte Überleitung zu den effektiven Werten in der Regel nicht möglich. Die in Jahresabschlüssen gemäss OR enthaltenen diesbezüglichen Informationen variieren sehr stark.

Stille Reserven auf dem Anlagevermögen sind die Folge überhöhter Abschreibungen. Die Buchwerte liegen darum unter den Wiederbeschaffungswerten. Die über dem betriebswirtschaftlichen Minimum angesetzten Abschreibungen reduzieren den auszuweisenden Gewinn und damit auch das Eigenkapital. Stille Reserven können auch auf Positionen des Umlaufvermögens gebildet werden. Wen die aktuellen Marktwerte die Buchwerte übersteigen, bestehen auf Wertschriften stille Reserven. Indem die Wertberichtigungen für erwartete Ausfälle von Kunden (Delkredere) überhöht ausgewiesen werden, resultieren stille Reserven auf den Forderungen aus Lieferungen und Leistungen. Die Steuergesetzgebung erlaubt eine Bilanzierung der Vorräte zu zwei Dritteln ihres Werts. Die Ausnutzung dieses sogenannten Warendrittels führt ebenfalls zu Stillen Reserven. Auf der Passivseite sind stille Reserven auf den Rückstellungen üblich. Unbegründete oder überhöhte Rückstellungen schmälern Gewinn und Eigenkapital.

Substanzwert Entity und Equity (betrieblich, mit stillen Reserven)

Substanzwert Entity=Buchwert der Aktiven+stille Reserven auf den Aktiven

Substanzwert Equity=Buchwert Eigenkapital+stille Reserven auf Aktiven∧Passiven

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Überleitung vom Entity- zum Equity-Wert:

Substanzwert Entity−Buchwert betriebliches Fremdkapital+stille Reservenauf Fremdkapital=Substanzwert Equity

Die auf den Passivposten gebildeten stillen Reserven sind für die Bestimmung des Substanzwerts Entity irrelevant. Die Auflösung der stillen Reserven auf den Aktiven, z.B. auf einer Produktionsanlage, führt hingegen sowohl zu einer Bilanzverlängerung als auch zu einer Zunahme des Eigenkapitals. Daher steigen die Substanzwerte Entity und Equity.

5.3.5 Nicht verzinsliches versus verzinsliches Fremdkapital

Der Substanzwert entspricht in einem Fortführungsszenario jener Investitionssumme, die für die Replikation des Zielunternehmens aufgewendet werden müsste. Zum Substanzwert gehört daher das betriebliche Vermögen, das zur Ausübung der Geschäftstätigkeit notwendig ist. Mit der Aufnahme der Geschäftstätigkeit entstehen automatisch einige Fremdkapitalpositionen wie Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen. Für diese Positionen ist der Begriff Abzugskapital verbreitet. Beim Abzugskapital handelt es sich um das nicht verzinsliche Fremdkapital. Einige Vertreter aus Praxis und Wissenschaft schlagen vor, das Abzugskapital zur Berechnung des Substanzwerts Entity zu subtrahieren. Damit ergeben sich folgende Formeln:

Substanzwert Entity und Equity (Variante mit Abzugskapital)

Substanzwert Entity=Buchwert der Aktiven+stille Reserven auf den Aktiven−nicht verzinsliches Fremdkapital

Substanzwert Equity=Buchwert Eigenkapital+stille Reserven auf Aktivenund Passiven−latente Steuern

Überleitung vom Entity- zum Equity-Wert:

Substanzwert Entity−Buchwert betriebliches verzinsliches Fremdkapital−latente Steuern=Substanzwert Equity

5.3.6 Arten von Wiederbeschaffungswerten

Der Fortführungs-, Reproduktions- oder Wiederbeschaffungswert ist nicht exakt definiert. Er entspricht der Investition, die für den Aufbau bzw. für die Wiederbeschaffung eines Unternehmens notwendig ist. Es kann z.B. der Wiederbeschaffungsneuwert vom Wiederbeschaffungsaltwert unterschieden werden:

Wiederbeschaffungsneuwert: Dieser Wert muss für den Aufbau eines Unternehmens mit einer neuen Infrastruktur aufgewendet werden.

Wiederbeschaffungsaltwert: Dieser Wert muss für den Aufbau eines Unternehmens mit teilweise bereits genutzter Infrastruktur aufgewendet werden.

Die Differenz zwischen den beiden Arten von Wiederbeschaffungswerten entspricht der Wertminderung der betrieblichen Anlagen. Für die Unternehmensbewertung ist in der Regel der Wiederbeschaffungsaltwert massgeblich. Ein Käufer wird nicht bereit sein, für benutzte Anlagen den Neuwert zu bezahlen.

Mit der Substanzwertmethode wird das Vermögen eines Unternehmens bewertet. Die Frage nach der Effizienz dieses Vermögens ist mit dem Substanzwert nicht zu beantworten. Er lässt keine Rückschlüsse auf die mit dem Vermögen zukünftig zu erwirtschaftenden Erträge und Gewinne zu. Das Hauptproblem besteht darin, dass die Substanzwertmethode üblicherweise nur das aktivierbare Vermögen berücksichtigt. Für die Höhe der erwarteten Gewinne sind jedoch auch immaterielle, nicht bilanzierbare Werte von Bedeutung. Die Wiederbeschaffungswerte können nun auf zwei Arten ermittelt werden:

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Wiederbeschaffungswert des bilanzierten Vermögens Wiederbeschaffungswert des bilanzierten und nicht bilanzierten Vermögens

Vom theoretischen Standpunkt her wäre die Berücksichtigung von nicht bilanziertem, immateriellem Vermögen angebracht. Die Bewertung von Mitarbeitenden, Stammkunden oder Marken gestaltet sich jedoch äusserst schwierig. Die Substanzwertmethode würde dadurch ihren Vorteil der relativ einfachen Berechnung verlieren. Darum konzentriert man sich in der Bewertungspraxis in der Regel auf die bilanzierbaren Vermögenswerte.

5.3.7 Vergleich unterschiedlicher Substanzwertbegriffe

Buchwert (Unternehmen) Entspricht der Unternehmenssubstanz, falls keine stillen Reserven vorliegen

- Nicht betriebliches Vermögen= Betrieblicher Buchwert Entspricht der betrieblichen Substanz, falls keine

stillen Reserven vorliegen+ Stille Reserven= Substanzwert (ohne latente Steuern) Entspricht der aktuellen betrieblichen

(bilanzierbaren) Substanz- Latente Steuern= Substanzwert (mit latenten Steuern) Entspricht dem Wert der aktuellen betrieblichen

(bilanzierbaren) Substanz aus Sicht eines Käufers- Abzugskapital= Substanzwert (exkl. Abzugskapital) Entspricht den Wiederbeschaffungskosten bzw.

Reproduktionskosten der betrieblichen (bilanzierbaren) Substanz aus Sicht eines Käufers

Wichtig ist, dass die erwähnten Substanzbegriffe lediglich die bilanzierbare Substanz erfassen. Nicht aktivierbare, immaterielle Vermögensbestandteile bleiben unberücksichtigt, obwohl sie für einen potenziellen Käufer einen Geldwert darstellen.

Der Substanzwert zu Liquidationswerten stellt für den Eigentümer eines Unternehmens die absolute Preisuntergrenze in einem allfälligen Verkauf dar. Falls er den Liquidationswert bei einem Verkauf nicht erlösen kann, ist eine Liquidation vorteilhafter.

5.3.8 Repetitionsfragen

1. Wie unterscheiden sich die Unternehmenswerte Entity und Equity?Beim Wert Entity handelt es sich um einen Gesamtunternehmenswert. Dieser gehört den Gläubigern und Eigentümern. Durch Abzug des (verzinslichen) Fremdkapitals resultiert der den Eigentümern zur Verfügung stehende Unternehmenswert (Equity).

2. Was ist der Unterschied zwischen einem Liquidations- und einem Fortführungswert?Der Fortführungswert (Wiederbeschaffungswert) einer Anlage entspricht jenem Betrag, der aufgewendet werden müsste, um die Anlage in ihrem aktuellen Zustand exakt zu replizieren. Der Liquidationswert entspricht jenem Betrag, der bei einem Verkauf der Anlage resultiert.

3. Wieso müssen allfällige stille Reserven bei der Berechnung vom Substanzwert berücksichtigt werden?Stille Reserven werden z.B. durch überhöhte Abschreibungen gebildet. Mit zu hohen Abschreibungen werden der Gewinn und damit auch das Eigenkapital zu tief ausgewiesen. Es

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handelt sich daher um verdeckte Eigenkapitalsubstanz, die unbedingt zum ausgewiesenen Buchwert des Eigenkapitals hinzuaddiert werden muss.

4. Was versteht man unter latenten Steuern im Zusammenhang mit der Substanzwertmethode?Mit der Bildung von stillen Reserven reduziert der Eigentümer Gewinn und Steuerlast. Falls die stillen Reserven in Zukunft aufgelöst werden, führt dies zu steuerlichen Konsequenzen. Es handelt sich dabei um latente Steuern.

5.4 Ertragswertmethode

Im Rahmen der Ertragswertmethode wird der Unternehmensgewinn aus den zukünftig erwarteten Gewinnen abgeleitet. Je höher die erwarteten Gewinne unter sonst gleichen Bedingungen, desto höher ist auch der Unternehmenswert. Man unterscheidet auch bei der Ertragswertmethode zwischen dem Equity- und dem Entity-Ansatz. Bei der Anwendung der Ertragswertmethode stellen sich unter anderem die folgenden Herausforderungen:

Welche Gewinngrössen sind für Equity- und Entity-Verfahren einzusetzen? Wie resultiert aus dem erwarteten Gewinn ein Unternehmenswert? Wie werden Risiken in die Bewertung miteinbezogen? Ist der in den letzten Jahren bzw. im letzten Jahr ausgewiesene Gewinn ein guter Schätzwert

für den erwarteten Gewinn? Wie kann mit der grossen Unsicherheit bei der Schätzung von zukünftigen Gewinngrössen

umgegangen werden? Welche Bedeutung haben stille Reserven? Wie wird zukünftiges Wachstum berücksichtigt? Welche Rolle spielt die Ertragswertmethode bei Unternehmenskäufen bzw. -verkäufen?

5.4.1 Gewinngrössen

Der Gewinn nach Abzug sämtlicher Aufwendungen (Jahresgewinn) steht dem Eigentümer zu. Er kann vollumfänglich oder zumindest teilweise in Form einer Dividende an die Eigentümer ausgeschüttet werden. Nicht ausgeschüttete Gewinne stehen für die Reinvestition und zur Stärkung des Eigenkapitals zur Verfügung. Die Ertragswert-Equity-Methode muss daher auf dem Jahresgewinn basieren. Dem Gläubiger stehen die Fremdkapitalzinsen zu. Das Entity-Verfahren muss darum auf einem Gewinn vor Zinsen bzw. vor Finanzaufwand basieren.

Die Problematik der Wahl einer geeigneten Gewinngrösse stellt sich auch bei der Berechnung der Kapitalrentabilität. Zur Berechnung der Gesamtkapitalrendite können unter anderem die folgenden drei Gewinngrössen verwendet werden: EBIT, NOPAT und die Summe von Jahresgewinn und Finanzaufwand.

Für die Entity-Ertragswertmethode wird in der Regel der NOPAT verwendet. Der Ertragswert Entity resultiert, indem der NOPAT mit dem Gesamtkapitalkostensatz (WACC) diskontiert wird.

5.4.2 Entity- und Equity-Ansatz

Der Ertragswert entspricht dem Present Value der zukünftig zu erwartenden Gewinne. Dabei wird ein für sämtliche Zukunftsjahre konstanter Gewinn unterstellt. Das Bestehen eines Unternehmens wird theoretisch als unendlich angenommen. Der Gewinn wird daher als ewig konstante Rente diskontiert bzw. kapitalisiert.

Ertragswert Entity und Equity

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Ertragswert Entity= NOPATWACC

=EBIT ×(1−s)

WACC

Ertragswert Equity= Jahersgewinnk EK

Wobei:

NOPAT = Net Operating Profits after TaxesWACC = Weighted Average of Cost of CapitalkEK = Eigenkapitalkostensatzs = Gewinnsteuersatz

Überleitung vom Entity- zum Equity-Wert:

Ertragswert Equity=Ertragswert Entity−verzinsliches Fremdkapital

Der höchstmögliche Gewinn muss nicht zwingenderweise zum höchsten Ertragswert führen. Entscheidend ist diesbezüglich auch das zur Gewinnerzielung eingegangene Risiko, das über den Kapitalkostensatz gemessen wird. Je stärker die Risiken steigen, desto grösser wird der Kapitalkostensatz. Mit zunehmendem Kapitalkostensatz sinkt der Unternehmenswert unter sonst gleichen Bedingungen.

Der in Zukunft erwartete Gewinn ist schwierig zu schätzen. Vielen vom Unternehmen beeinflussbare und nicht beeinflussbare Faktoren determinieren die Höhe des Gewinns. Je weiter der zu schätzende Gewinn in der Zukunft liegt, desto höher ist die Unsicherheit in der Schätzung. Durch den Effekt der Diskontierung bzw. durch den Zeitwert des Geldes ist der in 100 Jahren erwartete Gewinn zum heutigen Zeitpunkt praktisch wertlos.

In der Ertragswertformel muss im Zähler jene Gewinngrösse eingesetzt werden, die in den nächsten Jahren nachhaltig erreichbar ist. Ein jährliches Wachstum kann nicht berücksichtigt werden. Die Ertragswertmethode geht streng genommen von einer Nullwachstumsannahme aus. Wird nur ein geringes Wachstum erwartet, kann die Methode trotzdem angewandt werden. Problematisch ist eine Anwendung jedoch bei starkem Wachstum. Dann ist die Wahl einer repräsentativen Gewinngrösse kaum möglich. Die entscheidende Frage ist jedoch, ob sich das voraussichtlich starke Wachstum in der Zukunft überhaupt realisieren lässt.

Ob Vergangenheitszahlen gute Schätzwerte für die zukünftige Entwicklung darstellen, ist nicht pauschal zu beantworten. Bei gleichbleibenden oder zumindest ähnlichen Rahmenbedingungen kann die Gewinnentwicklung der Vergangenheit durchaus in die Zukunft fortgeschrieben werden. Die Werte aus der Vergangenheit haben insofern den Vorteil, dass sie bekannt sind und nicht geschätzt werden müssen. Besondere Vorsicht ist auch bei Sondereffekten angebracht. Angenommen, ein Unternehmen musste im letzten Jahr aufgrund eines Verstosses gegen wettbewerbsrechtliche Vorschriften eine hohe Busse bezahlen. Es ist davon auszugehen, dass sich die Busse nicht wiederholt. Aus diesem Grund ist der Gewinn des letzten Jahres um die Busse zu bereinigen.

5.4.3 Bereinigung der ausgewiesenen Gewinne

Falls sich die Ertragsbewertung auf Gewinnzahlen der Vergangenheit abstützt, sind diese eventuell zu bereinigen. Einerseits sind nicht betriebliche Faktoren zu eliminieren. Wie bei der Substanzbewertung ist nicht betriebliches Vermögen ebenfalls separat zum operativen Geschäft zu bewerten. Darum ist sicherzustellen, dass sämtliche nicht betrieblichen Erträge und Aufwendungen

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aus der Erfolgsrechnung eliminiert werden. Es gilt ausserdem zu beachten, dass wie bei der Substanzbewertung betriebswirtschaftlich korrekte Grössen in die Bewertung einfliessen. Anpassungen sind z.B. in folgenden Fällen notwendig:

Auf dem Anlagevermögen werden stille Reserven in Form von überhöhten Abschreibungen gebildet. Die Abschreibungen sind deshalb nach unten zu korrigieren.

Es wurden nicht betriebsnotwendige oder überhöhte Rückstellungen gebildet. Der Betriebsaufwand ist um den betrieblich nicht notwendigen Teil nach unten zu korrigieren.

Der Eigentümer arbeitet als Geschäftsführer im Unternehmen und bezieht einen zu geringen Unternehmenslohn. Die Personalkosten sind auf ein marktübliches Niveau anzuheben.

Auf Waren wurden stille Reserven gebildet. Der dadurch zu hoch ausgewiesene Warenaufwand ist zu reduzieren.

5.4.4 Nullwachstumsannahme

Zwei häufige Kritikpunkte an der Ertragswertmethode sind die Nullwachstumsannahme und die Tatsache, dass der Eigentümer nicht den Gewinn, sondern nur die Dividende erhält. Die beiden kritischen Punkte hängen zusammen.

Es ist davon auszugehen, dass Nullwachstumsunternehmen, bzw. Unternehmen mit eher geringem Wachstum relativ viel vom Gewinn ausschütten (die Ausgaben für potenzielle Expansionen fallen weg). Die Anwendung der Ertragswertmethode ist in diesen Fällen sinnvoll. Unternehmen mit grossen Wachstumszielen werden hingegen eine hohe Diskrepanz zwischen Gewinn und Ausschüttung aufweisen. Ein Grossteil des Gewinns wird dem Eigentümer daher nicht, oder erst in einigen Jahren, ausgeschüttet. Die Ertragswertmethode ist in diesen Fällen weniger gut geeignet.

Im Unternehmen ohne Wachstum entspricht der Jahresgewinn in einer etwas vereinfachten Sichtweise dem Free Cashflow. Die Summe von Abschreibungen und Jahresgewinn ergibt approximativ den Cashflow. Durch Subtraktion der zu tätigenden Investitionen resultiert der Free Cashflow, der an die Kapitalgeber ausgeschüttet werden könnte. Ohne Wachstum spielt es darum eigentlich keine Rolle, ob der Jahresgewinn oder der Free Cashflow diskontiert wird.

In einem Wachstumsszenario übersteigt der Jahresgewinn den Free Cashflow unter Umständen deutlich. Der Free Cashflow kann daher das Ausschüttungspotenzial deutlich besser abbilden als der Jahresgewinn. Die auf Free Cashflows basierende Bewertungsmethode heisst Discounted Cashflow.

5.4.5 Wert versus Preis

Der Wert eines Unternehmens kann z.B. mit der Substanz- oder Ertragswertmethode geschätzt werden. Der Wert ist sicherlich ein guter Indikator für den mit dem Unternehmensverkauf zu erzielenden Transaktionspreis. Der Preis wird in der Praxis jedoch selten dem Wert entsprechen. Ursache für die Abweichung können z.B. strategische oder emotionale Gründe sein. Ein Käufer, der ein Unternehmen um jeden Preis haben will, ist wohl bereit, deutlich mehr als den Wert zu offerieren. Umgekehrt könnte ein Verkäufer gewillt sein, einem aus seiner Sicht sympathischen Nachfolger sein Unternehmen etwas unter Wert zu übergeben.

Für den Ertragswerte sind der zukünftig zu erwirtschaftende Gewinn sowie die Risiken von zentraler Bedeutung. Angenommen, eine Fluggesellschaft steht zum Verkauf. Mehrere potenzielle Käufer bewerten das Zielobjekt. Die Einschätzung der zukünftigen Aufwendungen, Erträge, Investitionen usw. basiert unter anderem auf Annahmen in den folgenden Bereichen:

Wirtschaftswachstum

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Geflogene Personenkilometer Konkurrenzsituation Preis für Kerosin Sicherheitsauflagen

Nicht jeder Käufer bzw. Bewerter wird identische Annahmen treffen. Die Ertragsbewertung ist stark subjektiv geprägt. Nicht nur unterschiedliche Zukunftserwartungen können verschieden hohe Unternehmenswerte rechtfertigen. Entscheidend ist auch, wie der Käufer das operative Geschäft des Zielobjekts weiterführt.

Entscheidend für die Ertragsbewertung sind nicht nur die erwarteten Gewinne, sondern auch die Kapitalkosten. Diese entschädigen die Kapitalgeber für die übernommenen Risiken. Nicht jeder potenzielle Käufer hat die gleich hohen Kapitalkosten, was wiederum unterschiedlich hohe Unternehmenswerte rechtfertigen kann.

Der schliesslich von einem Unternehmenskäufer bezahlte Preis kann sowohl positiv als auch negativ vom Unternehmenswert abweichen. Es ist davon auszugehen, dass der Verkäufer den Unternehmenswert höher einschätzt als der Käufer. Der Käufer kalkuliert eher vorsichtig. Er hält die Gewinnschätzungen konservativ. Er stellt potenzielle Risiken in den Vordergrund, um einen hohen Kapitalkostensatz zu rechtfertigen.

5.4.6 Sensitivitätsanalyse

Der Ertragswert ergibt sich durch Diskontierung des zukünftigen Gewinns mit dem Kapitalkostensatz. Sowohl der Gewinn als auch die Kapitalkosten sind nicht einfach zu bestimmen. Die Schätzungen basieren auf subjektiv geprägten Annahmen des Bewerters. Da die Zukunft nicht vorhersehbar ist, werden die zukünftig realisierten Gewinne in der Regel mehr oder weniger von den Schätzungen abweichen. Der berechnete Ertragswert ist daher in der Regel mit hoher Unsicherheit verbunden. Diese Unsicherheit ist Teil der Bewertungspraxis und nicht zu eliminieren. Wichtig ist jedoch, dass dich der Bewerter des Risikos von Schätzfehlern bewusst ist. Ein mögliches Instrument zum Umgang mit der Unsicherheit ist die Sensitivitätsanalyse.

Als Parameter einer Sensitivitätsanalyse kommen z.B. die folgenden Grössen in Frage:

Jahresgewinn Eigenkapitalkostensatz Umsatz Erwarteter Personalbestand EBITDA-Marge

Es werden immer zwei Grössen gewählt, und eine Bandbreite an Abweichungen, zwischen denen sich die Grössen bewegen. So entsteht eine Bewertungstabelle (Sensitivitätsanalyse). Je volatiler das Geschäft, desto grösser die Bandbreite.

Eine Alternative bzw. Ergänzung der Sensitivitätsanalyse ist das Durchrechnen mehrerer Szenarien. Verbreitet sind etwa die drei Varianten Best Case, Base Case und Worst Case. Denkbar sind auch Szenarien wie «mit Wachstum» und «ohne Wachstum». Weiter können volkswirtschaftliche Aspekte in unterschiedlichen Szenarien berücksichtigt werden.

5.4.8 Ertragswert versus Substanzwert

Der Substanzwert in einem Fortführungsszenario kann sowohl deutlich über als auch unter dem Ertragswert liegen. Es ist ebenfalls möglich, dass Ertragswert und Substanzwert nahe beieinander

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liegen. Wie Ertrags- und Substanzwert zueinanderstehen, kann sehr gut mithilfe der Marktkapitalisierung von an der Börse kotierten Unternehmen veranschaulicht werden.

Unternehmen, die die Renditeerwartungen ihrer Investoren übertreffen können, weisen einen Marktwert über dem Substanzwert aus. Tendenziell erreichen diese Unternehmen positive EVAs. Wird die Renditeerwartung gerade erreicht, entsprechen sich Marktwert und Substanzwert. Bei einer deutlichen Abweichung von erwarteter Rendite und tatsächlich realisierter Rendite ist die Anwendung der Substanzwertmethode hingegen wenig sinnvoll.

Für Investoren sind Ertragswertüberlegungen deutlich wichtiger als die Einschätzung des Substanzwerts. Das Verhältnis von Ertragswert zu Substanzwert ist darum ähnlich wie die Beziehung zwischen Marktwert und Substanzwert.

Unternehmen, die auf dem eingesetzten Kapital, eine Rendite erwirtschaften, die über den Renditeerwartung der Investoren liegt, haben einen über dem Substanzwert liegenden Ertragswert. Die Zukunft wird positiv eingeschätzt. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von einem Goodwill. Übersteigt der Substanzwert den Ertragswert, liegt hingegen ein Badwill vor. Die Substanz ist zu wenig effizient eingesetzt, sodass die Renditevorgabe der Investoren verfehlt wird. Bei einem hohen Goodwill bzw. einer hohen Differenz zwischen Ertragswert und Substanzwert sollten sowohl der zur Berechnung verwendete Gewinn als auch der eingesetzte Kapitalkostensatz kritisch geprüft werden.

5.4.9 Repetitionsfragen

1. Wie wird der Ertragswert Entity und Equity bestimmt?Der Gewinn vor Zinsen nach Steuern (NOPAT) wird mit dem WACC als ewig konstant verlaufende Zahlungsreihe diskontiert. Dadurch resultiert der Ertragswert Entity. Durch Abzug des verzinslichen Fremdkapitals ergibt sich der Ertragswert Equity. Dieser könnte alternativ bestimmt werden, indem der Jahresgewinn mit dem Eigenkapitalkostensatz diskontiert wird.

2. Was sind die grössten Herausforderungen bei der Bestimmung des Ertragswerts Entity?Es muss ein nachhaltig, in den nächsten Jahren unter normalen Umständen erzielbarer Gewinn (NOPAT) bestimmt werden. Dieser muss aus Markt-, Branchen- und Unternehmensanalysen abgeleitet werden. Zusätzlich ist der WACC zu bestimmen.

3. Im Rahmen der Ertragswertmethode wird ein ewig konstanter Gewinn unterstellt. Weshalb sind weit in der Zukunft liegende Gewinne von geringerer Bedeutung für den Unternehmenswert?Durch die Diskontierung verlieren zukünftige Gewinne stark an Wert. Von Relevanz für den ermittelten Unternehmenswert sind trotz ewiger Betrachtung nur die ersten etwas 20 bis 30 Jahre.

4. Was sagt das Verhältnis von Ertrags- und Substanzwert?Liegt der Ertragswert über dem Substanzwert, liegt ein positiver Zukunftswert vor. Das Unternehmen wird in Zukunft weitere Gewinne generieren. Ist der Substanzwert grösser als der Ertragswert, ist zukünftig von einer Wertvernichtung auszugehen.

5.5 Praktikermethode

Sowohl der Substanzwert als auch der Ertragswert haben Vor- und Nachteile. Der Vorzug der Substanzwertmethode ist die relativ hohe Objektivität. Nachteil ist hier die Vernachlässigung der zukünftigen Entwicklung.

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Mit der Berechnung der Unternehmenswerts als Mittelwert von Substanz- und Ertragswert liegt eine Kompromisslösung vor. Die Idee des Kompromisses besteht darin, die Vorzüge der beiden Methoden zu nutzen. Die Nachteile werden jedoch keineswegs eliminiert.

Praktikerwertmethode Entity und Equity

Praktikerwert Entity=2×Ertragswert Entity+Substanzwert Entity3

Praktikerwert Equity=2× Ertragswert Equity+Substanzwert Equity3

Alternativ zum Substanzwert auf Basis eines Fortführungsszenarios könnte der Substanzwert auch auf Basis von Liquidationswerten berechnet werden. In diesem Fall erlangt die Praktikermethode eine alternative Aussagekraft. Mit der üblichen Gewichtung unterstellt der Bewerter dann eine Konkurs bzw. Liquidationswahrscheinlichkeit von 33.3%. Dieser Wert ist in der Praxis meist tiefer, was für eine geringere Gewichtung des Substanzwertes sprechen würde.

5.8 Discounted Cashflow

Ein Unternehmenskäufer hat meist das Ziel, mit dem erworbenen Unternehmen Geld zu verdienen. Genau an diesem Punkt setzt die Discounted-Cashflow-Methode (DCF-Methode) an. Ob ein Unternehmen Geld verdient oder Geld vernichtet, kann am besten anhand des Free Cashflows beurteilt werden. Nicht liquiditätswirksame Tatbestände wie Abschreibungen oder Buchgewinne schlagen sich nicht im Free Cashflow nieder. Hingegen werden Geldflüsse aus der Investitionstätigkeit bei der Berechnung berücksichtigt.

Da wieder mit geschätzten Werten gearbeitet wird, wird auch hier sinnvollerweise mit einer Bandbreite gearbeitet.

Der grösste Unterschied zwischen DCF- und Ertragswertmethode betrifft die Planung der zukünftigen Erfolgsgrössen. Im Rahmen der Ertragswertmethode wird ein Gewinn als ewige Rente diskontiert. Dieser Gewinn bleibt über die gesamte Zukunft konstant. Im Rahmen der Ertragswertmethode ist kein Wachstum vorgesehen. Bei der DCF-Methode werden hingegen für die nächsten drei bis sieben Jahre einzelne Free-Cashflow-Werte geschätzt. Ein Wachstum ist daher einfach abbildbar.

5.8.1 Free-Cashflow-Grössen

Der Free Cashflow entspricht jenen flüssigen Mitteln, die über einen bestimmten Zeitraum für die Kapitalgeber erwirtschaftet werden. Für die Entity-Bewertung wird ein Free Cashflow benötigt, der zur Ausschüttung an Gläubiger und Eigentümer zur Verfügung steht. Die Equity-Bewertung muss hingegen auf einem Free Cashflow nach Zins- und Amortisationszahlungen basieren, der nur noch für die Eigentümer zur Verfügung steht.

Vorgehensweise Berechnung:

EBITDA- Abschreibungen

EBIT- Direkte Steuern (EBIT x (1 – s)

NOPAT+ Abschreibungen

EBIDA- Zunahme operatives Nettoumlaufvermögen

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+ Abnahme operatives Nettoumlaufvermögen+ Bildung Rückstellungen- Auflösung Rückstellungen

Geldfluss aus Betriebstätigkeit vor Finanzaufwand- Investitionen Anlagevermögen+ Desinvestitionen Anlagevermögen

Free Cashflow Entity- Rückzahlung kurzfristige verzinsliche Verbindlichkeiten+ Aufnahme kurzfristige verzinsliche Verbindlichkeiten- Rückzahlung langfristige verzinsliche Verbindlichkeiten+ Aufnahme langfristige verzinsliche Verbindlichkeiten- Finanzaufwand+ Steuerersparnis Finanzaufwand

Free Cashflow Equity

Die Equity-Methode basiert nicht auf dem WACC, sondern auf dem Eigenkapitalkostensatz. Die steuerliche Abzugsfähigkeit der Fremdkapitalzinsen wird deshalb nicht im Diskontsatz berücksichtigt. Daher muss der verwendete Free Cashflow auf den tieferen korrekten Steuern basieren. Beim Übergang vom Free Cashflow Entity zum Free Cashflow Equity ist darum das Tax Shield bzw. die Steuerersparnis wieder aufzurechnen, da ansonsten ein zu hoher Steueraufwand berücksichtigt wird.

5.8.2 Entity- und Equity-Ansatz

Als Diskontsatz dient bei der Entity-Methode der WACC. Für die Equity-Methode wird der Eigenkapitalkostensatz verwendet.

Discounted Cashflow Entity und Equity

Unternehmenswert Entity=∑t=1

T FCFEntityt(1+WACC)t

+

FCFEntityT +1

WACC(1+WACC )T

Unternehmenswert Equity=∑t=1

T FCFEquityt(1+k EK )

t +

FCFEquityT +1

k EK

(1+k EK )T

Oder

Unternehmenswert Equity=Unternehmenswert Entity−verzinsliches Fremdkapital

Wobei :

kEK = EigenkapitalkostenWACC = Weighted Average Cost of CapitalT = Anzahl Jahre der detaillierten Planungsperiode

Der Equity-Ansatz ist in der Bankbranche verbreitet. In den übrigen Branchen ist hingegen die DCF-Entity-Methode der Standard.

5.8.7 Repetitionsfragen

Die wichtigsten Fragestellung zur Discounted-Cashflow-Methode lauten wie folgt:

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1. Welche Inputgrössen werden für eine Bewertung mit der DCF-Methode (Entity und Equity) verwendet?Die DCF-Methode basiert auf dem Free Cashflow. Im Rahmen der Entity-Methode wird der Free Cashflow Entity (vor FK-Zinsen und FK-Amortisationen) verwendet. Dieser wird mit dem Gesamtkapitalkostensatz (WACC) diskontiert, sodass der Unternehmenswert Entity resultiert. Durch Abzug des verzinslichen Fremdkapitals ergibt sich de Wert Equity. Mit der Equity-Methode kann der Wert Equity direkt bestimmt werden. Dazu wird der Free Cashflow Equity (nach Zinsen und FK-Amortisationen) mit dem Eigenkapitalkostensatz diskontiert.

2. Welches sind die wichtigsten Einflussfaktoren auf den Free Cashflow Entity?Dies sind das Umsatzwachstum, die Dauer des Umsatzwachstums, die EBIT-Marge, der Gewinnsteuersatz sowie die Investitionen ins Anlage- und operative Nettoumlaufvermögen.

3. Was sind die Hauptunterschiede zwischen der Ertragswert- und der DCF-Methode?Mit der Ertragswertmethode werden Gewinne diskontiert. Die DCF-Methode basiert hingegen auf den Free Cashflows. In einem Nullwachstumsszenario entsprechen sich Gewinn und Free Cashflow weitgehend. Im Rahmen der Ertragswertmethode wird in der Regel von einem ewig konstanten Gewinn ausgegangen. In der DCF-Methode kann der Free Cashflow über Jahre variieren und/oder mit einer konstanten Rate wachsen.

4. Was versteht man unter der Residualwertperiode?Im Rahmen der DCF-Methode wird oft die detaillierte Planungsperiode von der Residualwertperiode unterschieden. Erste Phase, während der der separate jährliche Free Cashflow geschätzt wird, umfasst in der Regel drei bis sieben Jahre. Danach folgt die Residualwertperiode, während der der Free Cashflow entweder konstant oder konstant wachsend verläuft.

5. Wie stehen Abschreibungen, Investitionen und ewiges Wachstum in der Residualwertperiode zueinander?Grundsätzlich gilt der folgende Zusammenhang: In einem Nullwachstumsszenario entsprechen sich Abschreibungen und Investitionen weitgehend, da ohne Wachstum nur Ersatzinvestitionen getätigt werden. Wachstum erfordert hingegen oft Neuinvestitionen, weshalb die Investitionen über den Abschreibungen angesetzt werden sollten. Daher gilt: Je höher die Wachstumsrate in der Residualwertperiode, desto stärker sollten die Investitionen die Abschreibungen übersteigen.

5.9 Multiples

Mit Multiples erfolgt die Unternehmensbewertung über einen Vergleich mit ähnlichen Unternehmen. Angenommen, die Börsenkapitalisierung von Pharmaunternehmen entspreche im Durchschnitt dem 18-fachen ihrer Jahresgewinne. In diesem Fall müsste der Wert des Eigenkapitals eines beliebigen Pharmaunternehmens annäherungsweise dem 18-fachen des Jahresgewinns entsprechen.

Bei der praktischen Anwendung treten einige Herausforderungen auf. Zunächst muss eine Gruppe von vergleichbaren Unternehmen (Peer Group) gefunden werden. Es wäre von Vorteil, wenn die Peer Group eine bestimmte Grösse erreicht. Generell gilt jedoch, lieber wenige gut passende Peers als viele schlecht passende Peers. Zentral ist die Frage, welche Eigenschaften die Unternehmen der Peer Group aufweisen sollten, damit sie als einigermassen vergleichbar gelten können. Danach muss sich der Bewerter für ein Multiple oder für mehrere Multiples entscheiden.

Vorgehen HerausforderungIdentifikation von vergleichbaren Unternehmen Welche Eigenschaften sollten diese aufweisen?Entscheidung für ein oder mehrere Multiples Welche Multiples sind mehr oder weniger

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geeignet?Bestimmung der zukünftigen Gewinngrösse (z.B. Jahresgewinn)

Gewinn des letzten, laufenden oder nächsten Jahres?

Multiplikation von Gewinngrösse und Multiple Median oder Mittelwert?Interpretation der Ergebnisse Gibt es Gründe für Abweichungen von Peer

Group?Zwischen der Bewertung von kotierten und nicht kotierte Unternehmen bestehen beträchtliche Unterschiede. Für viele kotierte Unternehmen, insbesondere für die grossen und mittelgrossen, gibt es Gewinnschätzungen von Finanzanalysten, die der Bewerter benutzen kann. Im Fall nicht kotierter Unternehmen muss der Bewerter den zukünftigen Gewinn jedoch in jedem Fall selbst schätzen. Als Unternehmen der Peer Group kommen somit nur kotierte Unternehmen infrage, denn fast sämtliche nicht kotierten Unternehmen verzichten auf die Publikation von Finanzzahlen.

5.9.3 Enterprise Value Multiples

Die Enterprise Value Multiples basieren nicht auf dem Marktwert des Eigenkapitals, sondern auf dem Marktwert des Gesamtkapitals, dem Enterprise Value. Dieser wird wie folgt berechnet:

Enterprise Value

Börsenkapitalisierung+ Minderheitsanteile+ Verzinsliches Fremdkapital (Marktwert)- Cash (überschüssig)= Enterprise Value

Zur Börsenkapitalisierung werden allfällige Minderheitsanteile addiert. Falls eine Muttergesellschaft ihre Tochter nur zu 90 Prozent hält, gehören 10 Prozent des Eigenkapitals der Tochter Dritten. Die Börsenkapitalisierung widerspiegelt daher nicht den vollständigen betrieblichen Wert der Tochter. Falls ein Unternehmenskäufer einen Konzern vollständig beherrschen möchte, muss er diese Minderheitsanteile ebenfalls erwerben. Deshalb werden diese Minderheitsanteile zur Ermittlung des betrieblichen Unternehmenswerts addiert. Will ein Unternehmenskäufer ein Unternehmen nicht nur juristisch, sondern auch finanziell beherrschen, muss er noch das verzinsliche Fremdkapital erwerben. Ansonsten greifen Banken oder andere Gläubiger in Form von Zinsen und Amortisationen auf den Cashflow des Unternehmens zu. Bei marktgängigen Obligationen ist der Marktwert einzusetzen. Überschüssiges Cash kann der Unternehmenskäufer zur Ablösung der verzinslichen Schulden einsetzen. Da eine Abgrenzung zwischen betriebsnotwendiger und überschüssiger Liquidität oft schwierig ist, wird zumeist der gesamte Bestand an flüssigen Mitteln zur Berechnung des Enterprise Value subtrahiert.

Üblicherweise wird der Enterprise Value im Verhältnis zu Umsatz, EBITDA und/oder EBIT analysiert. Das EV/Umsatz-Multiple hat den Nachteil, dass die Betriebskosten bzw. die Ertragsstärke nicht berücksichtigt wird. In einzelnen Fällen kann dies erwünscht sein. Angenommen, eine internationale Hotelkette erwirbt ein alleinstehendes Hotel, das sehr gut ausgelastet ist. Die Kostenstruktur wird sich mit der Integration in die Kette grundlegend verändern. EBITDA und EBIT der Vergangenheit sind daher für den Käufer wenig relevant.

Enterprise Value Multiples

EV /Umsatz=Enterprise ValueUmsatz0

oder Enterprise ValueUmsatz1

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EV /EBITDA=Enterprise ValueEBITDA0

oder EnterpriseValueEBITDA1

EV /EBIT= EnterpriseValueEBIT 0

oder Enterprise ValueEBIT 1

Wobei:Umsatz0 = erwarteter Umsatz des laufenden JahresUmsatz1 = erwarteter Umsatz des nächsten Jahres

Welches Multiple sich am besten eignet, hängt von der konkreten Bewertungssituation ab. Die Enterprise Value Multiples sind unabhängig von der Besteuerung und der Finanzierungsstruktur. Diese Unabhängigkeit kann bei der Bewertung anlässlich von Unternehmensübernahmen von Vorteil sein, falls sich Finanzierung und Besteuerung des Zielobjekts nach dem Besitzerwechsel verändern. Das EV/EBITDA-Multiple hat ausserdem den Vorteil, dass es unabhängig von der Abschreibungspraxis ist und damit auch unabhängiger vom Rechnungslegungsstandard.

Ein im Vergleich zur Peer Group tiefer EV/EBITDA kann einerseits auf eine günstige Bewertung hinweisen. Andererseits kann die tiefe Bewertung auch bedeuten, dass das betreffende Unternehmen höhere Risiken aufweist oder in Zukunft weniger Wachstum erwartet. In letzterem Fall ist die tiefe Bewertung gerechtfertigt.

Enterprise Value Multiples vergleichbarer börsenkotierter Unternehmer können über Datenanbieter wie Bloomberg beschafft werden. Für kleinere Unternehmen, die in der Regel nicht börsenkotiert sind, gibt es ebenfalls Anbieter von Multiple-Vergleichswerten. Darüber hinaus verfügen Beratungsgesellschaften und Banken, die Verkäufe von Unternehmen begleiten, über Erfahrungswerte.

5.9.8 Repetitionsfragen

Die wichtigsten Fragestellungen zu den Multiples lauten wie folgt:

1. Was ist die Grundidee der Bewertung mit Multiples?Die Idee ist, dass die Bewertung aus einem Vergleich mit ähnlichen Unternehmen bzw. Aktien abgeleitet wird. Angenommen, an der Börse kotierte Unternehmen einer Branche sind mit dem Zehnfachen ihres Jahresgewinns bewertet. In diesem Fall könnte der Wert des zu bewertenden Unternehmens aus der gleichen Branche ebenfalls das Zehnfache seines Jahresgewinns wert sein. Die Bewertung mit Multiples hat z.B. gegenüber der DCF-Methode den Vorteil, dass viel weniger Inputgrössen (z.B. Kapitalkostensatz) geschätzt werden müssen.

2. Was sind die grössten Herausforderungen bei der Bewertung mit Multiples?Wichtig ist die Zusammensetzung der Peer Group. Ausgewählte Unternehmen sollte in Bezug auf Ertragskraft, Geschäftsfelder usw. gut mit dem Zielobjekt vergleichbar sein. Ebenfalls von hoher Bedeutung ist die Wahl des Multiples. Je nach konkreter Bewertungssituation kann ein bestimmtes Multiple vorteilhaft sein. Die grösste Herausforderung besteht jedoch in der Ermittlung der Gewinngrösse des zu übernehmenden Unternehmens, die anschliessend mit dem aus der Peer Group abgeleiteten Multiple multipliziert wird.

3. Welche Faktoren begründen unter sonst gleichen Bedingungen hohe Multiple-Bewertungen (z.B. gemessen am P/E)?

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Eine hohe Bewertung liegt unter sonst gleichen Bedingungen vor, falls ein hohes (Gewinn-)Wachstum erwartet wird, falls mit hohen Ausschüttungen gerechnet wird und falls die Unternehmensrisiken als gering eingeschätzt werden.

4. Im LBO-Modell wird der Unternehmenswert z.B. mit einem Enterprise Value/EBITDA Multiple bestimmt. Welche grundsätzlichen Möglichkeiten bestehen zur Unternehmenswertsteigerung?Umsatzwachstum (Top Line Growth), Verbesserung der Marge (Margin Improvement), Erhöhung des Bewertungsniveaus bzw. der Multiples (Multiple Expansion) und Abbau der Verschuldung (Deleveraging).

5. Was ist der Unterschied zwischen Market und Transaction Multiples?Market Multiples werden aus den aktuellen Börsenkapitalisierungen von vergleichbaren Unternehmen abgeleitet. Der Markt zahlt z.B. im Durchschnitt achtmal das EBITDA in einer bestimmten Branche. Die Basis von Transaction Multiples bilden hingegen abgeschlossene Unternehmenskäufe, in denen das Zielobjekt mit dem zu bewertenden Unternehmen vergleichbar ist. Unternehmenskäufer zahlen z.B. im Durchschnitt neunmal das EBITDA für Unternehmen einer bestimmten Branche.

6. Investitionsbewertung

Unternehmen investieren regelmässig. Zum Erreichen von Umsatzwachstum ist oft eine Erweiterung der Infrastruktur notwendig, was die Anschaffung zusätzlicher Anlagen erfordert. Es stellt sich dann die Frage, ob die mit dem anvisierten Umsatzwachstum generierten Erträge und Cashflows die notwendigen Investitionen rechtfertigen. Auch in einem Nullwachstumsszenario müssen Unternehmen ihre Anlagen am Ende ihres Lebenszyklus periodisch erneuern. Im ersten Fall handelt es sich um eine Erweiterungsinvestition, im zweiten Fall um eine Ersatzinvestition.

6.2 Merkmale von Investitionen

Eine Investition führt im Unternehmen zu einer Auszahlung bzw. zu einem Abgang von flüssigen Mitteln. Charakteristisch für eine Investition ist, dass eine Auszahlung (Cash Outflow) im Hinblick auf das spätere Erzielen von Einzahlungen (Cash Inflows) gemacht wird. Bei den späteren Einzahlungen spricht man vom Nutzen einer Investition. Eine Investition erfolgt im Idealfall nur dann, wenn die dank der Investition zukünftig erwarteten Einzahlungen die anfänglich notwendigen Auszahlungen übersteigen.

Der für die Bewertung von Investitionen relevante Zahlungsstrom (Cash Inflow, Cash Outflow) ist der Free Cashflow Entity.

Als Investitionen gelten nicht nur Anschaffungen von aktivierbaren Sachanlagen, sondern auch nicht aktivierbare betriebliche Ausgaben für Forschung und Entwicklung, Werbung oder für Markterschliessungen. Es handelt sich in diesen Fällen um immaterielle Investitionen, die auch als betriebliche Ausgaben mit Investitionscharakter gelten.

Investitionen können nicht nur nach dem Kriterium materiell versus immateriell voneinander abgegrenzt werden. Mögliche Unterscheidungsmerkmale sind etwa das Volumen (Gross- vs. Kleininvestition) oder das Motiv (Diversifikations-, Rationalisierungsinvestition, usw.) der Investition. Eine wichtige Bedeutung kommt der Abgrenzung von Neu- und Ersatzinvestition zu. Je nachdem, ob es sich um eine Neu- bzw. Erweiterungsinvestition oder um eine Ersatzinvestition handelt, ist die Vorgehensweise bei der Investitionsevaluation leicht unterschiedlich.

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Der Wert eines Investitionsprojekts ergibt sich ähnlich wie der Unternehmenswert aus den zukünftigen Cashflows. Da die Zukunft nicht vorhersehbar ist, sind Zukunftsschätzungen mit Unsicherheit behaftet. Der Umgang mit dieser Unsicherheit ist die wohl grösste Herausforderung bei der Evaluation von Investitionsprojekten. Bei Neuinvestitionen dürfte die Unsicherheit am höchsten sein, insbesondere dann, wenn Unternehmen in neue Märkte bzw. in neue Geschäftsfelder investieren.

6.3 Investitionsprozess

Investitionen sind ein zentrales Element in der Umsetzung der Unternehmensstrategie. Die Strategie gibt daher die Leitplanken der Investitionspolitik vor. Angenommen, die Unternehmensstrategie zielt auf eine Diversifikation der Märkte ab mit dem Ziel der Reduktion der Abhängigkeit vom Heimmarkt. In diesem Fall muss das Unternehmen vor allem in die Erschliessung neuer Märkte investieren. Eine andere Unternehmensstrategie sieht vor, sich kontinuierlich mit Innovation von der Konkurrenz zu differenzieren. In diesem Fall muss vor allem in Forschung und Entwicklung investiert werden. Ersatzinvestitionen sind oft sogenannte Mussinvestitionen. Doch besteht oft ein gewisser Spielraum, was den Ersatzzeitpunkt betrifft.

Die Motive für den Anstoss von Investitionen sind vielfältig. Ebenso unterschiedlich sind die Personen, die Investitionen anregen. Einerseits kann der Verwaltungsrat strategische Veränderungen einleiten, zu deren Umsetzung die Geschäftsleitung investieren muss. Andererseits kann die Geschäftsleitung mit Investitionsbegehren an den Verwaltungsrat treten. Die Anregung zur Investition kann dabei von der Geschäftsleitung selbst oder vom Management eines Unternehmensbereichs kommen.

Eine Investition führt im Unternehmen in der Regel zu umfassenden Konsequenzen mit vielseitigen gegenseitigen Wechselwirkungen.

Investitionsrechnungsverfahren ermöglichen eine Einschätzung der Vorteilhaftigkeit von Projekten. Ein Projekt ist z.B. vorteilhaft und sollte getätigt werden, falls die damit generierten Free Cashflow eine schnell Amortisation der Investition gewährleisten. Alternativ sind Projekte gut, wenn sich damit mehr Geld verdienen lässt, als ausgegeben wird, oder wenn die Rendite des ins Projekt investierten Geldes eine vorgegebene Mindestrendite übersteigt. In der Investitionsrechnung werden quantitative Grössen, die sich einigermassen gut monetarisieren lassen, berücksichtigt. Dazu gehören z.B. Umsatzerlöse, Lohnzahlungen oder Stromeinsparungen. Ein verbreitetes Verfahren zur Berücksichtigung von qualitativen bzw. nicht monetären Grössen ist die Nutzwertanalyse.

Der Investitionsentscheid sollte sich sowohl auf die Investitionsrechnung als auch auf Nutzwertanalysen abstützen. In der Regel dürfte die Investitionsrechnung ausschlaggebend sein. Generell gilt, je höher das Projektvolumen ist, desto detaillierter sollte die Investitionsrechnung sein und desto mehr und detailliertere Rechenverfahren kommen zur Anwendung. Nicht nur die Ausgestaltung der Investitionsrechnung ist vom Projektvolumen abhängig, sondern auch die Entscheidungsinstanzen.

Investitionsrechnungen bzw. Investitionsentscheidungen basieren auf Annahmen über die Zukunft. Es ist daher davon auszugehen, dass die effektiv mit einem Projekt realisierten Free Cashflows von den erwarteten abweichen. Im Fall von deutlich negativen Abweichungen kann sich ein vermeintlich lohnenswertes Projekt im Nachhinein als nachteilig erweisen. Es liegt dann aus finanzieller Sicht eine Fehlinvestition vor. Im Rahmen einer Nachkontrolle werden die Abweichungen von den erwarteten Grössen analysiert.

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Planung -> Entscheidung -> Durchführung -> Nachkontrolle

(Zusammenfassende Schritte des Investitionsprozesses)

Die Entscheidung sollte auf einer sorgfältigen und umsichtigen Planung beruhen. Nach einem positiven Entscheid für die Investition folgt die Durchführungsphase. Um für die Zukunft zu lernen und die getroffenen Investitionsentscheide kontinuierlich zu verbessern, ist eine Nachkontrolle sinnvoll.

6.4 Inputparameter von Investitionsrechnungen

Die wichtigsten Methoden der Investitionsrechnung basieren auf dem Free Cashflow, auf einem Diskontsatz und einer Nutzungsdauer. Der Diskontsatz ist in der Regel der WACC. Bei Free Cashflow handelt es sich um den Free Cashflow Entity.

6.4.1 Free Cashflow Entity

Im Gegensatz zur in der Jahresrechnung dargestellten Geldflussrechnung ist in der Investitionsrechnung eine direkte Ermittlung des Cashflows üblich.

Die Kosten des im Projekt gebundenen Kapitals werden im Diskontsatz (WACC) berücksichtigt. Daher sind Geldflüsse aus Finanzierungstätigkeit bei der Bestimmung des Free Cashflow nicht zu berücksichtigen. Deshalb wird auch der Free Cashflow Entity verwendet.

EBITDA- Direkte Steuern= EBIDA (=Cashflow vor Zinsen und vor Veränderung NUV)

-/+ Zunahme/Abnahme NUV= Cashflow (vor Zinsen)

-/+ Investitionen/Desinvestitionen AV= Free Cashflow Entity

Es sind nicht sämtliche Geldflüsse aus der operativen Tätigkeit sowie aus der Investitionsrechnung relevant für die Investitionsrechnung. Für eine Berücksichtigung müssen zwei Bedingungen kumulativ erfüllt sein. Zum einen muss der betreffende Zahlungsstrom in der Zukunft liegen. Ausserdem muss er durch die Investition bedingt zusätzlich anfallen.

Eine Investitionsrechnung nimmt die Sichtweise eines Eigentümers ein. Es handelt sich um eine Gesamtunternehmensperspektive. Falls Kosten von der einen Unternehmensdivision in eine andere verlagert werden, ist dies für das Gesamtunternehmen ein Nullsummenspiel und für den Eigentümer nicht von Bedeutung. Zu berücksichtigen sind auch Opportunitätskosten und potenzieller Produktekannibalismus.

6.4.2 Diskontsatz

Der Diskontsatz entspricht grundsätzlich dem WACC, der die Renditeerwartung der Kapitalgeber widerspiegelt. Je nach den mit einem Investitionsprojekt verbundenen Risiken können subjektive Zuschläge (Risikoprämien) zum WACC gemacht werden. Ein Hilfsmittel zur Ableitung von Risikozuschlägen ist die Ansoff-Matrix. Auch Länderrisiken können weitere Zuschläge auf den Diskontsatz rechtfertigen.

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Wie hoch die effektiven Zuschläge auf den WACC ausfallen sollen, ist nicht pauschal zu beantworten. Der Unternehmens-WACC entspricht einem gewichteten Durchschnitt der Kapitalkostensätze der Unternehmensdivisionen.

6.5 Investitionsrechnungsverfahren

Grundsätzlich gibt es zwei Kategorien von Investitionsrechnungsverfahren. Die sogenannt statistischen Verfahren vernachlässigen den Zeitwert des Geldes. Dynamische Methoden berücksichtigen den Zeitwert des Geldes, indem die zukünftigen Free Cashflows diskontiert werden.

6.5.1 Statische Pay-back-Dauer

Die Pay-back-Dauer-Methode gilt auch als Amortisationsrechnung. Dabei gibt die Pay-Back-Dauer die Amortisationsdauer eines Investitionsprojekts an.

Statische Pay-back-Dauer mit konstantem Free Cashflow

Statische Pay backDauer=FCFEntity0FCFEntity t

Wobei:FCF Entity0 = Free Cashflow Entity im Jahr 0 (bzw. zum Investitionszeitpunkt)FCF Entityt = konstanter jährlicher Free Cashflow Entity über die Betriebsdauer t

Falls der Free Cashflow über die Nutzungsdauer konstant verläuft, ist die Berechnung der Pay-back-Dauer sehr einfach. Falls sich der Free Cashflow über die Betriebsjahre hingegen verändert, wird die Bestimmung der Pay-back-Dauer etwas aufwändiger. Es empfiehlt sich die Kumulationsmethode. Hier werden die Free Cashflows über die Betriebsjahre (inkl. Jahr 0) kumuliert. In jenem Jahr, in dem der kumulierte Free Cashflow in den positiven Bereich kommt, ist die Pay-back-Dauer erreicht. Anders formuliert: Die Pay-back-Dauer ist erreicht, sobald die ab Betriebsjahr 1 kumulierten Free Cashflows die initiale Investitionssumme übersteigen.

Je kürzer die Pay-back-Dauer ist, desto vorteilhafter ist ein Investitionsprojekt. Mit zunehmender Dauer steigt für Unternehmen und Kapitalgeber das Risiko. Falls die Pay-back-Dauer die Nutzungsdauer übersteigt, kann die Investition mit den Free Cashflows nicht amortisiert werden. Ein Investitionsprojekt lohnt sich daher in diesem Fall nicht.

6.5.2 Dynamische Pay-back-Dauer

Falls der Free Cashflow über sämtliche Betriebsjahr konstant verläuft und im letzten Betriebsjahr keine einmalige Zahlung wie etwa ein Liquidationserlös anfällt, kann die dynamische Pay-back-Dauer mit einem Taschenrechner mit finanzmathematischen Funktionen bestimmt werden. Approximativ kann die dynamische Pay-back-Dauer auch mithilfe von Rentenbarwertfaktortabellen bestimmt werden.

Wenn der Diskontsatz bei konstantem FCF 0 Prozent beträgt, kann ebenso die statische Methode angewendet werden.

6.5.3 Net Present Value (NPV)

Falls die statische Pay-back-Dauer unter der Nutzungsdauer eines Investitionsprojekts liegt, reichen die erwirtschafteten Free Cashflows zur Amortisation des eingesetzten Kapitals aus. Entspricht die dynamische Nutzungsdauer gerade der Nutzungsdauer, wird das eingesetzte Kapital zusätzlich noch zum Diskontsatz verzinst. Ist die dynamische Pay-back-Dauer sogar geringer als die Nutzungsdauer,

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verdient das Unternehmen mehr Geld, als für Amortisation und Verzinsung notwendig ist. Dieser Überschuss ist der Net Present Value (Nettobarwert). NPV entspricht der Summe sämtlicher diskontierten Free Cashflows.

NPV=∑t=0

T FCF Entity t

(1+R)t

Wobei:NPV = Net Present ValueR = DiskontsatzFCF Entityt = jährlicher Free Cashflow Entity über die Jahre

Zwischen Diskontsatz und Net Present Value besteht eine negative Beziehung. Je höher die Renditeerwartung ans Projekt liegt, desto schwieriger ist es, einen Überschuss darüber zu erwirtschaften. Daher fällt der NPV mit zunehmendem Diskontsatz.

Ein Projekt ist dann lohnenswert, wenn der NPV positiv ist. In diesem Fall verdient ein Unternehmen mit dem entsprechenden Projekt für seine Kapitalgeber mehr, als diese im Minimum erwarten. Falls der NPV negativ ist, wird die Renditeerwartung der Kapitalgeber verfehlt. Ein Investitionsprojekt lohnt sich in diesem Fall nicht. Ist der NPV gerade null, erreicht das Unternehmen eine Rendite, die dem Diskontsatz bzw. der Renditeerwartung der Kapitalgeber entspricht. Das Minimalziel ist in diesem Fall gerade erreicht. Der NPV sollte immer relativ zur Investitionssumme betrachtet werden.

Der NPV ist vom Prinzip her mit dem Economic Value Added (EVA) und vor allem mit dem Cash Value Added (CVA) verwandt. Er drückt die Wertschaffung bzw. die Wertvernichtung eines Investitionsprojekts aus. Unternehmen, die in Projekte mit positivem NPV investieren, schaffen CVA. Umgekehrt führen Investitionen in Projekte mit negativem NPV zu einer Wertvernichtung auf Unternehmensebene.

6.5.4 Internal Rate of Return (IRR)

Der NPV gibt die Wertschaffung bzw. Wertvernichtung eines Projekts in Geldeinheiten an. Auf Unternehmensebene wird Wert geschaffen, wenn die Rendite auf dem investierten Kapital gemessen als z.B. Cashflow Return on Investment (CFROI) über dem Kapitalkostensatz liegt. Auf Investitionsebene muss für eine Wertschaffung der Internal Rate of Return (IRR) über dem Diskontsatz liegen. Der IRR gibt die interne Verzinsung eines Projekts an und wird auch als interner Ertragssatz bezeichnet. Er entspricht jenem Zinssatz, der als Diskontsatzverwendet zu einem NPV von null führt.

Internal Rate of Return (IRR)

Der IRR wird bestimmt, indem die folgende Gleichung nach R aufgelöst wird. Es handelt sich dabei um eine Gleichung T-ten Grades.

NPV=0=FCF Entity0

(1+R)0+FCFEntity1

(1+R)1+…+∑

t=0

T FCFEntity t

(1+R)t

Wobei:

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NPV = Net Present ValueR = DiskontsatzFCF Entityt = jährlicher Free Cashflow Entity über die Jahre

Ohne einen Taschenrechner mit speziellen finanzmathematischen Funktionen ist der IRR nur mit Mühe zu berechnen. Es muss bei der Berechnung wiederum unterschieden werden, ob der Free Cashflow über die Nutzungsdauer konstant ist oder nicht. In letzterem Fall müssen Listen in den Taschenrechner eingegeben werden.

6.5.5 NPV und IRR im Vergleich

In den meisten Fällen liegt der IR über dem Diskontsatz, falls der NPV positiv ist. Die beiden Investitionsrechnungskriterien führen daher meistens zu einem identischen Investitionsentscheid. Es gibt allerdings auch Konstellationen, in denen die beiden Rechenkriterien NPV und IR zu unterschiedlichen Investitionsentscheidungen führen.

Reinvestitionsgesetz

Die hier entstehenden vermeintlich widersprüchlichen Ergebnis basieren auf unterschiedlichen Annahmen bezüglich des Wiederanlagezinssatzes der beiden Rechengrössen NPV und IRR. Im NPV-Mo dell wird davon ausgegangen, dass die Rückflüsse bzw. die Free Cashflows im Unternehmen zum Diskontsatz reinvestiert werden können. Das IRR-Konzept geht davon aus, dass die Free Cashflows zum IRR reinvestierbar sind. Falls IRR und NPV zu widersprüchlichen Investitionsentscheidungen führen, ist die folgende Frage entscheidend: Zu welcher Rendite können aus dem Projekt anfallende Free Cashflows reinvestiert werden? Falls dies zum IRR möglich scheint, ist das Projekt mit dem höheren IRR zu favorisieren. Falls hingegen eine Wiederanlage zu Renditen im Bereich des Diskontsatzes realistischer erscheint, ist das Projekt mit dem höheren NPV das bessere.

Unterschiedliche Laufzeiten

Angenommen, ein Unternehmen vergleicht zwei Investitionsprojekte. Aufgrund der unterschiedlichen Laufzeiten ist ein Vergleich auf Basis der NPV nicht sinnvoll. Für einen sinnvollen Vergleich ist zu berücksichtigen, dass ein Unternehmen die im kürzeren Projekt nach Beendigung freigesetzten Mittel weiter alternativ verwenden kann.

Die Verwendung der IRR-Methode ist in diesem Fall kaum anfällig in Bezug auf diese Problematik.

Eine weitere sinnvolle Alternative ist die Annuitätsmethode. Die Annuität stellt, etwas vereinfacht ausgedrückt, einen NPV auf Jahresbasis dar. Gesucht ist dabei eine über die Laufzeit konstante nachschüssige Zahlung, die durch Abzinsen mit dem Diskontsatz den NPV ergibt.

Annuitätenmethode

A=NPV × (1+R)t×R(1+R)t−1

Wobei:

A = AnnuitätNPV = Net Present ValueT = LaufzeitR = Diskontsatz

6.6 Berücksichtigung von RisikenS e i t e 45 | 48

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Die Bewertung von Investitionsprojekten ist komplex. Grösste Herausforderung ist neben der Bestimmung des Diskontsatzes die Schätzung der zukünftigen Free Cashflows. Grösste Unbekannt ist dabei die Umsatzentwicklung.

Grundsätzlich können bei der Investitionsentscheidung zwei Fehler passieren. Ein Investitionsprojekt mit der Erwartung eines positiven NPV kann sich im Nachhinein als schlecht herausstellen. Es handelt sich um eine Fehlinvestition. Umgekehrt kann sich ein Investitionsprojekt, das aufgrund der Erwartung eines negativen NPV abgelehnt wird, im Nachhinein als verpasste Chance herausstellen. Im Gegensatz zur Fehlinvestition sind die Verluste aus verpassten Chancen nicht exakt zu quantifizieren. Für ein Unternehmen können sich sowohl Fehlinvestitionen als auch verpasste Chancen existenzbedrohend auswirken.

6.6.1 Korrekturverfahren

Bei jeder Schätzung besteht die Gefahr, dass die tatsächlichen Grössen von den Erwartungen abweichen. Die Investition könnte teurer werden als geplant. Der geschätzte Umsatzerlös könnte tiefer als erwartet ausfallen. Auch die Nutzungsdauer könnte sich als kürzer als gedacht herausstellen. Mit dem Korrekturverfahren werden einzelne Inputparameter vorsichtiger als erwartet dargestellt.

Das Korrekturverfahren kann helfen, Fehlinvestitionen zu verhindern. Es ist empfehlenswert, dass jeweils nur ein Parameter korrigiert wird. Falls sämtliche Parameter gegenüber dem Base Case verschlechtert werden, steigt die Gefahr verpasster Chancen deutlich an. Es wird dann immer schwieriger, überhaupt noch lohnende Projekte zu evaluieren.

Auch die Pay-back-dauer kann modifiziert werden, indem das Unternehmen eine maximal zulässige Amortisationsdauer bestimmt, die unter Umständen deutlich unter der Projektlebenszeit liegt. Wichtig ist, dass der Pay-back innert einer vom Unternehmen festgelegten maximal tragbaren Amortisationszeit erfolgt. Die Festlegung dieser Frist variiert in Abhängigkeit der Risikoaversion der Entscheidungsträger.

6.6.2 Sensitivitätsanalysen

Das es bei der Investitionsrechnung zu Abweichungen von den erwarteten Werten kommt, ist praktisch unumgänglich. Wichtig ist, dass das Unternehmen weiss, wie sensitiv z.B. der NPV auf Veränderungen wichtiger Inputparameter reagiert.

Kritische Werte

Der kritische Free Cashflow (die Untergrenze) berechnet sich wie folgt:

FCF= (P×Q )−(KVAR×Q )−KFIX−EI=Q× (P−KVAR )−K FIX−EI

Wobei:

FCF = Free Cashflow, der zu einem NPV von null führtP = VerkaufspreisQ = AbsatzmengeKvar = variable Kosten pro StückKfix = Fixkosten (total)EI = Ersatzinvestitionen

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Zur Berechnung von anderen kritischen Grössen kann die Gleichung entsprechend umgeformt werden.

6.8 Repetitionsfragen

Die wichtigsten Fragestellungen zur Bewertung von Investitionsprojekten lauten wie folgt:

1. Was sagt eine statische bzw. eine dynamische Pay-back-Dauer von z.B. fünf Jahren aus?Eine statische Pay-back-Dauer von fünf Jahren bedeutet, dass die Investitionssumme bzw. das von den Investoren zur Verfügung gestellte Kapital mit dem aus dem Projekt generierten Free Cashflow Entity in fünf Jahren amortisiert werden könnte. Bei einer dynamischen Pay-back-Dauer von fünf Jahren kann das Kapital nicht nur amortisiert, sondern auch zum Diskontsatz verzinst werden.

2. Ist die statische oder die dynamische Pay-back-Dauer länger?Falls der Diskontsatz grösser als null Prozent ist, ist die dynamische Pay-back-Dauer immer länger als die statische Pay-back-Dauer. Durch die Diskontierung verlieren die zukünftigen Free Cashflows betragsmässig an Wert. Die auf diskontierten Free Cashflows berechnete Pay-back-Dauer ist daher länger als die statische Pay-back-Dauer.

3. Welche Inputgrössen werden für die Anwendung der NPV-Methode benötigt?Als Diskontsatz wird grundsätzlich der WACC verwendet. Zudem muss eine Nutzungsdauer geschätzt werden, über die anschliessend die jährlichen Free Cashflows Entity zu bestimmen sind. Im Jahr 0 (heute) ergibt sich der Free Cashflow Entity in der Regel aus der Investitionssumme. Am Projektende kann unter Umständen ein Liquidationserlös anfallen.

4. Welche Kriterien müssen erfüllt sein, sodass eine bestimmte Grösse bei der Schätzung der Free Cashflows des Projekts berücksichtigt wird?Es muss sich um einen Zahlungsstrom handeln bzw. die Grösse muss liquiditätswirksam sein. Massgeblich ist der Free Cashflow Entity. Dies bedeutet, dass Zahlungsströme aus Finanzierungstätigkeit nicht berücksichtigt werden. Die Rückzahlung und Verzinsung des Projekts findet nicht über den Free Cashflow, sondern über den Diskontsatz Eingang in die Investitionsrechnung. Weiter muss ein Zahlungsstrom zukünftig und zusätzlich sein. Nur die Zukunft kann heute noch beeinflusst werden. Zahlungen in der Vergangenheit können jedoch mit heutigen Entscheidungen nicht mehr verändert werden. Zusätzlich heisst, dass ein Zahlungsstrom bei Annahme des Projekts anfällt, bei einem Verzicht auf das Projekt hingegen nicht. Der Zahlungsstrom muss durch den Investitionsentscheid beeinflussbar sein.

5. Wann ist ein Investitionsprojekt nach der NPV- und IRR-Methode normalerweise vorteilhaft?Ein Projekt ist vorteilhaft, falls der NPV positiv ist. Nach der IRR-Methode ist ein Projekt vorteilhaft, falls der IRR den Diskontsatz übersteigt.

6. Mit Verwendung eines Diskontsatzes von 10 Prozent resultiert ein NPV von 400. Was bedeutet der NPV von 400?Ein positiver NPV bedeutet, dass die mit dem Projekt generierten Free Cashflows Entity zur Amortisation und Verzinsung (zum Diskontsatz) der Investitionssumme ausreichen. Darüber hinaus wicht noch ein Überschuss erzielt. Auf dem Kapital wird im vorliegenden Beispiel eine Kapitalverzinsung von 10 Prozent und zusätzlich noch ein Überschuss von 400 erreicht.

7. Wie stehen Diskontsatz und NPV miteinander in Verbindung?Diskontsatz und NPV stehen in einer negativen Beziehung. Je höher der Diskontsatz liegt, desto geringer ist der NPV.

8. Irrelevant9. Welchen Mehrwert bietet die Annuitätenmethode gegenüber der NPV-Methode?

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Die NPV-Methode ist nicht geeignet für den Vergleich von mehreren Projekten mit unterschiedlicher Laufzeit. Längere Projekte erreichen nämlich unter sonst gleichen Bedingungen den höheren NPV. Dass die Free Cashflows aus dem kürzeren Projekt nach Projektende einem weiteren renditebringenden Zweck zugeführt werden können, vernachlässigt die NPV-Methode. Womöglich kann das kürzere Projekt zeitlich mehrmals wiederholt werden. Die Annuität entspricht, etwas vereinfacht ausgedrückt, einem NPV pro Jahr und eignet sich daher für Vergleiche von Projekten mit unterschiedlicher Laufzeit.

10. Was versteht man unter der Berechnung von kritischen Werten bei der Anwendung der NPV-Methode?Bei der kritischen Verkaufsmenge oder dem kritischen Verkaufspreis resultieret ein NPV von null. Dies bedeutet, dass mit dem Projekt werden Wert vernichtet noch Wert geschaffen wird. Die kritische Verkaufsmenge gibt daher die zu verkaufende Stückzahl an, die nicht unterschritten werden sollte. Falls die geplante Verkaufsmenge über dem kritischen Wert liegt, kann der NPV trotz negativer Abweichung der Verkaufsmenge im positiven Bereich liegen.

Mit Folien abgleichen und ergänzen!!!

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