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10 DEMO 3 | 2014 Titel Noch ist die Tür wegen der Yoga-Stunde ge- schlossen. Doch vor der Fensterfront, über der mit großen Lettern „Nachbarschafts- treff“ steht, sammeln sich schon neue Gäs- te. Gleich ist Klönschnack mit Kaffee und Keksen. Einige der Strickerinnen wollen ihre Arbeiten zeigen. „Der Nachbarschaftstreff läuft supergut“, sagt Anne Katharina Groß. Sie ist bei der Hansa Baugenossenschaft in Hamburg zuständig für das Projekt am Hammer Steindamm. Wer Ende der 60er Jahre in die gepflegten Wohnblocks einzog, ist inzwischen im Rentenalter. Die Kinder sind aus dem Haus, viele Bewohner allein- stehend, Vereinsamung die Folge. Doch seit es den Nachbarschaftstreff gibt, hat sich vieles geändert. „Früher ist man aneinander vorbeigegangen, heute achtet man mehr aufeinander“, erzählen Christel Hagelweid und Petra Beyersdorf von der Handarbeits- gruppe. „Viele Bewohner blühen richtig auf, seit es den Treff gibt“, bestätigt Hansa-Mit- arbeiterin Anne Katharina Groß. Man helfe sich gegenseitig, z. B. bei Einkäufen. Das freut auch die Genossenschaft: Die Bewoh- ner sollen sich wohl fühlen und möglichst lange in den eigenen vier Wänden leben. Ideenbörse und Freiwillige Begonnen hatte alles mit einer Umfrage und leerstehenden Gewerbeflächen. Pizzeria, Solarium, Fußpflege – die drei Läden hatten mangels Kundschaft längst geschlossen, die Räume standen leer, neue Mieter fand die Hansa nicht. Zur Debatte stand: Parkplätze schaffen, Wohnungen bauen oder einen Nachbarschaftstreff einrichten, in dem die Bewohner sich zwanglos treffen können. Mit einem solchen Konzept, unterstützt vom Programm Soziale Stadt, hatte die Baugenossenschaft im Hamburger Stadtteil Billstedt gute Erfahrungen gemacht. Um herauszufinden, ob am Hammer Steindamm ein solcher Treff gewünscht ist, befragten Auszubildende der Hansa 2011 im Umkreis von 800 Metern 679 Genossenschaftsmit- glieder. Ergebnis: Das Interesse ist riesen- groß. Im Mai 2012 begann der Umbau, im November 2012 konnten die Bewohner die Räume zum ersten Mal besichtigen. Anlass war eine Ideenbörse mit dem Motto: „Wir stellen die Räume – Sie die Ideen“. Über 120 Mitglieder folgten den Aufruf. Viele boten an, als Ehrenamtliche Verantwortung mit zu tragen. Stricken für Frühgeborene Anpacken müssen auch die Teilnehmerinnen der Yoga-Stunde. Ruckzuck räumen sie vier große Tische und 20 Stühle zu einer großen Tafel zusammen, verteilen Teller und Tassen, Kaffeekannen und Kekse. Gleich beginnt der Klönschnack, der zweimal die Woche stattfindet. Auf dem Tisch liegen Zettel für die „Küchenparty“ im April. Das Thema ist „Fingerfood“. Es wird gemeinsam zuberei- tet. Auf dem Wochenprogramm stehen au- ßerdem Englisch, Sport, Bingo, Malen und Spiele spielen. Regelmäßig veranstaltet die Buchhandlung Seitenweise aus Hamm Buchvorstellungen im Nachbarschaftstreff. Gerade hat Rudolf Nährig seine „Aufzeichnungen des Oberkell- ners im Hotel Vier Jahreszeiten Hamburg“ vorgestellt. Vor einem Jahr referierte der Fernsehjournalist Ulrich Tilgner über „Ge- waltspiralen im Orient und die Probleme des Westens“. Auf einem Nebentisch liegen gestrickte Mützchen, Jäckchen, Schuhe – Spenden für Frühgeborenen-Stationen in Kranken- häusern. „So kleine Größen gibt es nicht zu kaufen“, sagt Christel Hagelweid, eine der 15 Strickerinnen. Zweimal im Monat treffen sich die Frauen, tauschen Ideen und Model- le aus und klönen. 80 Mützen und Socken haben die Frauen des Nachbarschaftstreffs schon gestrickt, dazu 36 Teddys, die Kinder im Notarztwagen trösten sollen. Tante Emma goes Yoga Aus leerstehenden Läden werden Räume der Begegnung – wie eine Baugenossenschaft der Großstadtvereinsamung ein Schnippchen schlägt Autorin Susanne Dohrn Petra Beyersdorf, Bärbel Völsch, Elfi Kurschat und Christel Hagelweid (v. r.) vom Nachbarschaftstreff der Hansa. Foto: Dohrn Foto: canstockfoto /designfgb

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10 DEMO 3 | 2014

Titel

Noch ist die Tür wegen der Yoga-Stunde ge-

schlossen. Doch vor der Fensterfront, über

der mit großen Lettern „Nachbarschafts-

treff“ steht, sammeln sich schon neue Gäs-

te. Gleich ist Klönschnack mit Kaffee und

Keksen. Einige der Strickerinnen wollen ihre

Arbeiten zeigen. „Der Nachbarschaftstreff

läuft supergut“, sagt Anne Katharina Groß.

Sie ist bei der Hansa Baugenossenschaft

in Hamburg zuständig für das Projekt am

Hammer Steindamm. Wer Ende der 60er

Jahre in die gepflegten Wohnblocks einzog,

ist inzwischen im Rentenalter. Die Kinder

sind aus dem Haus, viele Bewohner allein-

stehend, Vereinsamung die Folge. Doch seit

es den Nachbarschaftstreff gibt, hat sich

vieles geändert. „Früher ist man aneinander

vorbeigegangen, heute achtet man mehr

aufeinander“, erzählen Christel Hagelweid

und Petra Beyersdorf von der Handarbeits-

gruppe. „Viele Bewohner blühen richtig auf,

seit es den Treff gibt“, bestätigt Hansa-Mit-

arbeiterin Anne Katharina Groß. Man helfe

sich gegenseitig, z. B. bei Einkäufen. Das

freut auch die Genossenschaft: Die Bewoh-

ner sollen sich wohl fühlen und möglichst

lange in den eigenen vier Wänden leben.

Ideenbörse und FreiwilligeBegonnen hatte alles mit einer Umfrage und

leerstehenden Gewerbeflächen. Pizzeria,

Solarium, Fußpflege – die drei Läden hatten

mangels Kundschaft längst geschlossen, die

Räume standen leer, neue Mieter fand die

Hansa nicht. Zur Debatte stand: Parkplätze

schaffen, Wohnungen bauen oder einen

Nachbarschaftstreff einrichten, in dem die

Bewohner sich zwanglos treffen können.

Mit einem solchen Konzept, unterstützt

vom Programm Soziale Stadt, hatte die

Baugenossenschaft im Hamburger Stadtteil

Billstedt gute Erfahrungen gemacht. Um

herauszufinden, ob am Hammer Steindamm

ein solcher Treff gewünscht ist, befragten

Auszubildende der Hansa 2011 im Umkreis

von 800 Metern 679 Genossenschaftsmit-

glieder. Ergebnis: Das Interesse ist riesen-

groß. Im Mai 2012 begann der Umbau, im

November 2012 konnten die Bewohner die

Räume zum ersten Mal besichtigen. Anlass

war eine Ideenbörse mit dem Motto: „Wir

stellen die Räume – Sie die Ideen“. Über 120

Mitglieder folgten den Aufruf. Viele boten

an, als Ehrenamtliche Verantwortung mit zu

tragen.

Stricken für FrühgeboreneAnpacken müssen auch die Teilnehmerinnen

der Yoga-Stunde. Ruckzuck räumen sie vier

große Tische und 20 Stühle zu einer großen

Tafel zusammen, verteilen Teller und Tassen,

Kaffeekannen und Kekse. Gleich beginnt

der Klönschnack, der zweimal die Woche

stattfindet. Auf dem Tisch liegen Zettel für

die „Küchenparty“ im April. Das Thema ist

„Fingerfood“. Es wird gemeinsam zuberei-

tet. Auf dem Wochenprogramm stehen au-

ßerdem Englisch, Sport, Bingo, Malen und

Spiele spielen.

Regelmäßig veranstaltet die Buchhandlung

Seitenweise aus Hamm Buchvorstellungen

im Nachbarschaftstreff. Gerade hat Rudolf

Nährig seine „Aufzeichnungen des Oberkell-

ners im Hotel Vier Jahreszeiten Hamburg“

vorgestellt. Vor einem Jahr referierte der

Fernsehjournalist Ulrich Tilgner über „Ge-

waltspiralen im Orient und die Probleme

des Westens“.

Auf einem Nebentisch liegen gestrickte

Mützchen, Jäckchen, Schuhe – Spenden

für Frühgeborenen-Stationen in Kranken-

häusern. „So kleine Größen gibt es nicht zu

kaufen“, sagt Christel Hagelweid, eine der

15 Strickerinnen. Zweimal im Monat treffen

sich die Frauen, tauschen Ideen und Model-

le aus und klönen. 80 Mützen und Socken

haben die Frauen des Nachbarschaftstreffs

schon gestrickt, dazu 36 Teddys, die Kinder

im Notarztwagen trösten sollen.

Tante Emma goes YogaAus leerstehenden Läden werden Räume der Begegnung – wie eine Baugenossenschaft der Großstadtvereinsamung ein Schnippchen schlägt

Autorin Susanne Dohrn

Petra Beyersdorf, Bärbel Völsch, Elfi Kurschat und Christel Hagelweid (v. r.) vom Nachbarschaftstreff der Hansa. Foto: Dohrn

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