Tatbestandsrätsel "vorübergehend" - weiter ungelöst

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528 NZA 9/2015 Zimmermann, Tatbestandsrätsel "vorübergehend" - weiter ungelöst sung für das Tarifvertragsrecht eine betriebliche Solidargemeinschaft nicht entstehen. " 3. Betrieb, "betriebliche Solidargemeinschaft l ' und Tarifpluralität Ob man zur Begründung der besonderen Behandlung be- stimmter Formen der betriebsverfassungsrechtlichen Einhei- ten gegenüber den tarifrechtlich relevanten betrieblichen Ein- heiten ausgerechnet den Begriff der "betrieblichen Solidar- gemeinschaft" verwenden sollte, erscheint fragwürdig. Die in diesem Begriff mindestens mitanklingende emotionale Ver- bundenheit auf der Basis der gemeinsamen Arbeit dürfte sich nicht nach Rechtsgebieten unterscheiden. Es erscheint etwas kühn zu behaupten, dass eine "betriebliche Solidargemein- schaft" im Sinne von gemeinsamen Arbeitnehmerinteressen in betrieblichen Einheiten, die nach § 3 I BetrVG geschaffen worden sind, dann nicht entstehen kann, wenn sie Arbeitneh- mer zusammenfasst, die unterschiedlichen Tarifverträgen un- terliegen. Empirisch wird sich dies wohl nicht belegen lassen, denn in der Praxis sind solche Unterschiede gang und gäbe. Zu bedenken ist auch, was oben unter I ausführlich dargelegt wurde: Vereinbarungen nach § 3 I Nrn. 1-3 BetrVG sind überhaupt nur zulässig, wenn sie geeignet sind, die Interes- senvertretung der Arbeitnehmer zu erleichtern und zu verbes- sern. Der Gesetzgeber hat also jedenfalls für die Mitbestim- mung keinerlei Probleme in divergierenden Tarifverträgen der Belegschaft gesehen. Erfreulich ist aber gleichwohl im Ansatz der sachliche Inhalt der Regelung: mindestens hier bleibt es bei der Tarifplurali- tät. Problematisch ist hier aber der Verweis auf § 4 a I des Regierungsentwurfs, der die Freiheitselemente der Tarifauto- nomie nicht enthält und nur bei "offensichtlichen" Verstößen gegen die dort genannten anderen Elemente der Tarifauto- nomie greift. Problematisch ist weiter die Einschränkung, dass dies nur gilt, wenn die Tarifeinheit den Zielen des § 4 a I RegE offensichtlich entgegenstehen würde. Hier sind Inter- pretationsspielräume gegeben, die der Konkretisierung be- dürfen. VI. Resümee Insgesamt hat sich gezeigt, dass die Zuordnungstarifverträge gern. § 3 I Nrn. 1-3 BetrVG in hohem Maße rechtlich darauf- hin kontrolliert werden, ob das procedere eingehalten wird und ob die Vereinbarungen sich an die vorgegebenen gesetzli- chen Grenzen halten. Sind mehrere konkurrierende Gewerk- schaften an der Vereinbarung von Zuordnungstarifverträgen interessiert, wird nach der höchstrichterlichen Rechtspre- chung die tarifvertragliche Abschlussfreiheit weder durch die Existenz einer Konkurrenzgewerkschaft noch dadurch, dass schon ein Zuordnungstarifvertrags besteht, eingeschränkt. Die notwendige Auflösung einer entstandenen Tarifkonkur- renz soll nach hL so erfolgen, dass der Tarifvertrag der Mehr- heitsgewerkschaft angewendet wird. Diesem Lösungsansatz folgt der Regierungsentwurf Tarifein- heitsgesetz in § 4 a 111. Das ist eine erfreuliche Klarstellung. § 4 all 4 RegE Tarifeinheitsgesetz relativiert die Anwendung der Tarifeinheit für solche betriebsverfassungsrechtliche Ein- heiten, die durch Zuordnungstarifverträge betriebs- und/oder branchenübergreifend gestaltet worden sind. Das ist im Hin- blick auf die Praktikabilität aber auch im Hinblick auf die Anerkennung der Gewerkschafts- und Tarifpluralität mindes- tens in diesem Fall erfreulich. Problematisch ist aber die Ein- schränkung, dass die Tarifpluralität hier nur gilt, wenn die Tarifeinheit den Zielen des § 4 a I RegE "offensichtlich" ent- . gegenstehen würde. Dies wirft für Praxis wegen der un- zulänglichen Umschreibung der Funktion der Tarifautonomie in § 1 RegE Tarifeinheitsgesetz Zweifel auf und macht eine Konkretisierung durch die Rechtsprechung erforderlich. Kommentar Rechtsanwalt Dr. Andre Zimmermann, LL. M. * Tatbestandsrätsel "vorübergehend ll - weiter ungelöst Erstmals hatte der EuGH im finnischen Vorlageverfahren "AKT" über die Auslegung der Leiharbeitsrichtlinie zu urtei- len. Nicht wenige Arbeitsrechtier und wohl auch die Politik hatten auf Antworten auf grundlegende Fragen gehofft. Vergebens: Weder wurde der Begriff "vorübergehend" de- finiert, noch beantwortet, ob ein dauerhafter Einsatz von Leiharbeitnehmern neben Stammarbeitnehmern mit der Richtlinie vereinbar ist. I. Einleitung Im Rahmen der AÜG-Reform 2011 1 hat der Gesetzgeber folgenden Satz 2 in § 1 I AÜG neu aufgenommen: "Die Über- lassung von Arbeitnehmern an Entleiher erfolgt vorüber- gehend." Der Gesetzgeber wollte damit laut Gesetzesbegrün- dung klarstellen, dass das deutsche Modell der Arbeitneh- merüberlassung den Vorgaben der Leiharbeitsrichtlinie 20081 104/EG 2 entspricht. 3 Dabei, so die Gesetzesbegründung, wird der Begriff "vorübergehend" im Sinne der Leiharbeitsricht- linie als flexible Zeitkomponente verstanden und insbesonde- re auf genau bestimmte Höchstüberlassungsfristen verzich- tet. 4 Zur Klarstellung hat die Ergänzung nicht beigetragen. Im Gegenteil: Nicht nur die Ausfüllung der Tatbestandsvoraus- setzung "vorübergehend" ist offengeblieben. Das Gesetz ent- hält auch keine Rechtsfolge. Dementsprechend wird seit 2011 über die Bedeutung des Satzes, des Begriffs "vorübergehend" Der Autor ist Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht und Counsel im Frankfurter Büro der internationalen Sozietät King & Wood Malle- sons LLP. - Zugl. Bespr. v. EuCH, ECLI:EU:2015:173 = NZA 2015, 423 (Auszug) = BeckRS 2015,82404 - AKT. 1 Erstes Gesetz zur Änderung des AÜG - Verhinderung von Missbrauch der Arbeitnehmerüberlassung vom 24.3.2011, BGBl. 12011, 642. 2 RL 20081104IEG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19.11.2008 über Leiharbeit, ABl.EU L 327, 9. 3 Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des AÜG - Verhinderung von Missbrauch der Arbeitnehmerüberlassung vom 17.2.2011, BT-Drs. 17/4804,8. 4 Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des AÜG - Verhinderung von Missbrauch der Arbeitnehmerüberlassung vom 17.2.2011, BT-Drs. 17/4804, 8.

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528 NZA 9/2015 Zimmermann, Tatbestandsrätsel "vorübergehend" - weiter ungelöst

sung für das Tarifvertragsrecht eine betriebliche Solidargemeinschaft nicht entstehen. "

3. Betrieb, "betriebliche Solidargemeinschaftl' und

Tarifpluralität

Ob man zur Begründung der besonderen Behandlung be­stimmter Formen der betriebsverfassungsrechtlichen Einhei­ten gegenüber den tarifrechtlich relevanten betrieblichen Ein­heiten ausgerechnet den Begriff der "betrieblichen Solidar­gemeinschaft" verwenden sollte, erscheint fragwürdig. Die in diesem Begriff mindestens mitanklingende emotionale Ver­bundenheit auf der Basis der gemeinsamen Arbeit dürfte sich nicht nach Rechtsgebieten unterscheiden. Es erscheint etwas kühn zu behaupten, dass eine "betriebliche Solidargemein­schaft" im Sinne von gemeinsamen Arbeitnehmerinteressen in betrieblichen Einheiten, die nach § 3 I BetrVG geschaffen worden sind, dann nicht entstehen kann, wenn sie Arbeitneh­mer zusammenfasst, die unterschiedlichen Tarifverträgen un­terliegen. Empirisch wird sich dies wohl nicht belegen lassen, denn in der Praxis sind solche Unterschiede gang und gäbe. Zu bedenken ist auch, was oben unter I ausführlich dargelegt wurde: Vereinbarungen nach § 3 I Nrn. 1-3 BetrVG sind überhaupt nur zulässig, wenn sie geeignet sind, die Interes­senvertretung der Arbeitnehmer zu erleichtern und zu verbes­sern. Der Gesetzgeber hat also jedenfalls für die Mitbestim­mung keinerlei Probleme in divergierenden Tarifverträgen der Belegschaft gesehen.

Erfreulich ist aber gleichwohl im Ansatz der sachliche Inhalt der Regelung: mindestens hier bleibt es bei der Tarifplurali­tät. Problematisch ist hier aber der Verweis auf § 4 a I des Regierungsentwurfs, der die Freiheitselemente der Tarifauto­nomie nicht enthält und nur bei "offensichtlichen" Verstößen gegen die dort genannten anderen Elemente der Tarifauto­nomie greift. Problematisch ist weiter die Einschränkung, dass dies nur gilt, wenn die Tarifeinheit den Zielen des § 4 a I

RegE offensichtlich entgegenstehen würde. Hier sind Inter­pretationsspielräume gegeben, die der Konkretisierung be­dürfen.

VI. Resümee

Insgesamt hat sich gezeigt, dass die Zuordnungstarifverträge gern. § 3 I Nrn. 1-3 BetrVG in hohem Maße rechtlich darauf­hin kontrolliert werden, ob das procedere eingehalten wird und ob die Vereinbarungen sich an die vorgegebenen gesetzli­chen Grenzen halten. Sind mehrere konkurrierende Gewerk­schaften an der Vereinbarung von Zuordnungstarifverträgen interessiert, wird nach der höchstrichterlichen Rechtspre­chung die tarifvertragliche Abschlussfreiheit weder durch die Existenz einer Konkurrenzgewerkschaft noch dadurch, dass schon ein Zuordnungstarifvertrags besteht, eingeschränkt. Die notwendige Auflösung einer entstandenen Tarifkonkur­renz soll nach hL so erfolgen, dass der Tarifvertrag der Mehr­heitsgewerkschaft angewendet wird.

Diesem Lösungsansatz folgt der Regierungsentwurf Tarifein­heitsgesetz in § 4 a 111. Das ist eine erfreuliche Klarstellung.

§ 4 all 4 RegE Tarifeinheitsgesetz relativiert die Anwendung der Tarifeinheit für solche betriebsverfassungsrechtliche Ein­heiten, die durch Zuordnungstarifverträge betriebs- und/oder branchenübergreifend gestaltet worden sind. Das ist im Hin­blick auf die Praktikabilität aber auch im Hinblick auf die Anerkennung der Gewerkschafts- und Tarifpluralität mindes­tens in diesem Fall erfreulich. Problematisch ist aber die Ein­schränkung, dass die Tarifpluralität hier nur gilt, wenn die Tarifeinheit den Zielen des § 4 a I RegE "offensichtlich" ent- . gegenstehen würde. Dies wirft für dit~ Praxis wegen der un­zulänglichen Umschreibung der Funktion der Tarifautonomie in § 1 RegE Tarifeinheitsgesetz Zweifel auf und macht eine Konkretisierung durch die Rechtsprechung erforderlich. •

Kommentar

Rechtsanwalt Dr. Andre Zimmermann, LL. M. *

Tatbestandsrätsel "vorübergehendll - weiter ungelöst

Erstmals hatte der EuGH im finnischen Vorlageverfahren "AKT" über die Auslegung der Leiharbeitsrichtlinie zu urtei­len. Nicht wenige Arbeitsrechtier und wohl auch die Politik hatten auf Antworten auf grundlegende Fragen gehofft. Vergebens: Weder wurde der Begriff "vorübergehend" de­finiert, noch beantwortet, ob ein dauerhafter Einsatz von Leiharbeitnehmern neben Stammarbeitnehmern mit der Richtlinie vereinbar ist.

I. Einleitung

Im Rahmen der AÜG-Reform 2011 1 hat der Gesetzgeber folgenden Satz 2 in § 1 I AÜG neu aufgenommen: "Die Über­lassung von Arbeitnehmern an Entleiher erfolgt vorüber­gehend." Der Gesetzgeber wollte damit laut Gesetzesbegrün­dung klarstellen, dass das deutsche Modell der Arbeitneh­merüberlassung den Vorgaben der Leiharbeitsrichtlinie 20081 1 04/EG2 entspricht. 3 Dabei, so die Gesetzesbegründung, wird der Begriff "vorübergehend" im Sinne der Leiharbeitsricht­linie als flexible Zeitkomponente verstanden und insbesonde-

re auf genau bestimmte Höchstüberlassungsfristen verzich­tet.4

Zur Klarstellung hat die Ergänzung nicht beigetragen. Im Gegenteil: Nicht nur die Ausfüllung der Tatbestandsvoraus­setzung "vorübergehend" ist offengeblieben. Das Gesetz ent­hält auch keine Rechtsfolge. Dementsprechend wird seit 2011 über die Bedeutung des Satzes, des Begriffs "vorübergehend"

Der Autor ist Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht und Counsel im Frankfurter Büro der internationalen Sozietät King & Wood Malle­sons LLP. - Zugl. Bespr. v. EuCH, ECLI:EU:2015:173 = NZA 2015, 423 (Auszug) = BeckRS 2015,82404 - AKT.

1 Erstes Gesetz zur Änderung des AÜG - Verhinderung von Missbrauch der Arbeitnehmerüberlassung vom 24.3.2011, BGBl. 12011, 642.

2 RL 20081104IEG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19.11.2008 über Leiharbeit, ABl.EU L 327, 9.

3 Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des AÜG - Verhinderung von Missbrauch der Arbeitnehmerüberlassung vom 17.2.2011, BT-Drs. 17/4804,8.

4 Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des AÜG - Verhinderung von Missbrauch der Arbeitnehmerüberlassung vom 17.2.2011, BT-Drs. 17/4804, 8.

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und über die Folgen einer nicht mehr vorübergehenden Über­lassung diskutiert.5

11. Stand der Rechtsprechung des BAG

Der Stand der Rechtsprechung des BAC hierzu sei kurz zu­sammengefasst:

. § 1 I 2 AÜG untersagt die mehr als vorübergehende Überlassung. 6 Ein Verstoß berechtigt den Betriebsrat des Einsatzbetriebs, seine Zustim­mung zum Einsatz des Leiharbeitnehmers nach § 14 III AÜG iVm § 9911 Nr. 1 BetrVG zu verweigern? Als gesichert8 kann auf der Rechtsfolgen­seite weiter gelten, dass ein Verstoß gegen § 1 I 2 AÜG nicht zur Ent­stehung eines Arbeitsverhältnisses zwischen Entleiher und Leiharbeit­nehmer führt, weder in direkter noch entsprechender Anwendung von § 10 I 1 AÜG, wenn der Verleiher über eine Überlassungserlaubnis ver­fügt. 9

Wie lang aber "vorübergehend" ist, konnte das BAC bislang offen lassen. lo Klar ist nach den Entscheidungen des Siebten und des Ersten Senats nur: Der zeitlich nicht begrenzte Ein­satz eines Leiharbeitnehmers anstelle eines Stammarbeitneh­mers ist es nicht. ll

Der 7. Senat sah sich nicht verpflichtet, zur Klärung den EuCH anzurufen, weil er das Verbot der mehr als vorüber­gehenden Überlassung dem nationalen Recht entnimmt, nicht der Leiharbeitsrichtlinie. 12 Das hat ihm Kritik eingebracht.13

Als dann Ende 2013 ein finnisches ArbC dem EuCH mehre­re Vorlagefragen zur Leiharbeitsrichtlinie vorlegte, richteten sich die Blicke erwartungsvoll nach Luxemburg, nachdem sich der 1. Senat der Rechtsprechung des 7. Senats an­geschlossen und ebenfalls kein Vorlageverfahren nach Art. 267 AEUV eingeleitet hatte.14 Viele hatten sich nun Klärung vom EuCH erhofft.

111. Ausgangsverfahren vor dem finnischen ArbG

1. Sachverhalt

Die Gewerkschaft der Transportarbeiter AKT klagt gegen ein Transportunternehmen und einen Arbeitgeberverband wegen der Verletzung von Tarifverträgen. Die Gewerkschaft ver­langt die Festsetzung einer Strafzahlung gegen das Unterneh­men wegen des unlauteren Einsatzes von Leiharbeitnehmern. Nach dem finnischen Tarifvertragsgesetz15 können Entleiher bei einem Verstoß gegen einen Tarifvertrag zu einer Strafzah­lung bis zu einem Höchstbetrag von 29.500 Euro verurteilt werden.

Nach dem maßgeblichen Tarifvertrag16 haben Unternehmen den Einsatz von Leiharbeitnehmern auf den Ausgleich von Arbeitsspitzen oder sonst auf zeitlich oder ihrer Art nach begrenzte Aufgaben zu beschränken, die wegen der Dring­lichkeit, der begrenzten Dauer der Arbeit, erforderlicher be­ruflicher Kenntnisse und Spezialgeräte oder aus vergleich­baren Gründen eigenen Arbeitnehmern nicht übertragen wer­den können. "Unlauter" ist nach dem Tarifvertrag der Ein­satz von Leiharbeit, wenn die Leiharbeitnehmer . während eines längeren Zeitraums normale Arbeiten des Unterneh­mens neben den Stammarbeitnehmern und unter derselben Leitung ausführen.

Die Gewerkschaft macht geltend, das Transportunternehmen setze seit 2008 ohne Unterbrechung in erheblichem Umfang Leiharbeitnehmer zur Erledigung von Aufgaben ein, die mit denen der Stammarbeitnehmer identisch seien. Dieser Einsatz sei "unlauter" im Sinne des Tarifvertrags. Die Leiharbeitneh­mer würden nämlich im Rahmen der normalen Tätigkeit des Unternehmens neben dessen Stammarbeitnehmern unter der­selben Leitung beschäftigt, obwohl sie nicht über besondere berufliche Kenntnisse verfügten.

Die Beklagten wenden ein, der Einsatz der Leiharbeitnehmer sei gerechtfertigt. Es sollten hauptsächlich Urlaubs- und Krankheitsvertretungen von Stammarbeitnehmern abgedeckt werden. Darüber hinaus, so die Beklagten, verstoße die tarif­vertragliche Bestimmung gegen Art. 4 I der Leiharbeitsricht­linie.

Nach Art. 4 I der Leiharbeitsrichtlinie können nur Gründe des Allgemeininteresses Verbote oder Einschränkungen des Einsatzes von Leiharbeit rechtfertigen. Aufgezählt werden der Schutz der Leiharbeitnehmer, Erfordernisse von Gesund­heitsschutz und Sicherheit am Arbeitsplatz und die Notwen­digkeit, das reibungslose Funktionieren des Arbeitsmarktes zu gewährleisten und eventuellen Missbrauch zu verhüten.

Die tarifvertraglichen Regelungen beträfen aber weder den Schutz der Leiharbeitnehmer noch Erfordernisse von Gesund­heitsschutz und Sicherheit am Arbeitsplatz. Sie gewährleis­teten auch nicht das reibungslose Funktionieren des Arbeits­markts und verhinderten keine missbräuchlichen Verhaltens­weIsen.

Außerdem enthielten die Regelungen Verbote und Einschrän­kungen, die den Arbeitgebern die Möglichkeit nähmen, die besten Beschäftigungsformen für ihre Tätigkeiten zu wählen. Auch wenn es in der Richtlinie nicht ausdrücklich vorgesehen sei, müssten die nationalen Gerichte die Verbote und Ein­schränkungen im Bereich der Leiharbeit, die gegen die Ziele der Richtlinie verstoßen, unangewendet lassen.

2. Die Vorlagefragen

Das finnische ArbC hat daraufhin das Verfahren ausgesetzt und dem EuCH im Vorlageverfahren nach Art. 267 AEUV unter anderem die folgenden Fragen vorgelegt:

1. Ist Art. 4 I der RL 20081104 dahin auszulegen, dass den nationalen Stellen einschließlich der Gerichte die dauerhaft geltende Verpflichtung auferlegt wird, mit den ihnen zur Ver­fügung stehenden Mitteln sicherzustellen, dass keine inner­staatlichen Vorschriften oder Tarifvertragsbestimmungen in

5 Vgl. seither etwa Brors, AuR 2013, 108 (112); Düwell, ZESAR 2011, 449 (453 f.); Hamann, NZA 2011, 70 (72 ff.); ders. RdA 2011, 321 (324 ff.); ders. RdA 2014, 271; KrannichlSimon, BB 2012, 1414; Lembke, NZA 2013, 815 (820); Ludwig, BB 2013, 1276; RieblelViel­meier, EuZA 2011, 474; TeuschlVerstege, NZA 2012, 1326; Thüsingl Stiebert, DB 2012, 632; zusammenfassende Darstellung zuletzt bei Nie­ßenlFabritius, NJW 2014, 263.

6 BAGE 145, 355 = NZA 2013, 1296 (1298) NJW 2014, 331 Rn. 28 ff.; BA G, NZA 2015, 240 (241) Rn. 17 ff.

7 BAGE 145, 355 = NZA 2013, 1296 (1301) NJW 2014, .331 Rn. 48 ff.; BAG, NZA 2015,240 (245) Rn. 40 ff.

S S. aber unten VI., 2. 9 BAG, NZA 2014, 196 = NJW 2014, 956; BAG, Urt. v. 3.6.2014 - 9

AZR 111/13, BeckRS 2014, 71241; BAG, Urt. v. 3.6.2014 - 9 AZR 829/13, BeckRS 2014, 71242; BAG, Urt. v. 3.6.2014 - 9 AZR 665/13, BeckRS 2014, 71524; BAG, Urt. v. 3.6.2014 - 9 AZR 666/13, BeckRS 2014,71525.

10 Vgl. BAGE 145, 355 = NZA 2013, 1296 (1301) = NJW 2014, 331 Rn. 53 f.; BAG, NZA 2015,240 (245) Rn. 43.

11 BAGE 145, 355 = NZA 2013, 1296 (1301) = NJW 2014,331 Rn. 54; BAG, NZA 2015, 240 (245) Rn. 43.

12 Vgl. BAGE 145, 355 = NZA 2013, 1296 (1301) = NJW 2014, 331 Rn. 55.

13 Lembke, NZA 2013, 815 (820); Thüsing, NZA 2013, 1248; krit. zur "Vorlagefreudigkeit" des BAG Sagan, NZA 2015,341 (342 f.).

14 BAG, NZA 2015, 240 (244) Rn. 37 ff. 15 Työehtosopimuslaki, 436/1946. 16 Nr. 8.3 des Rahmentarifvertrags vom 4.6.1997 zwischen dem Teollisuu­

den ja Työnantajain Keskusliitto (TI, Zentralverband der Industrie und der Arbeitgeber), jetzt Elinkeinoelämän keskusliitto (EK, Zentralver­band für das Wirtschaftsleben) und der Suomen Ammattiliittojen Kes­kusjärjestö (SAK, Dachorganisation der finnischen Gewerkschaften) bzw. § 29 I des Tarifvertrags für die Tankwagen- und Ölproduktebran­che zwischen Öljytuote ry und AKT.

530 NZA 9/2015 Zimmermann, Tatbestandsrätsel "vorübergehend" - weiter ungelöst

Kraft sind oder angewandt werden, die einer Vorschrift der Richtlinie zuwiderlaufen?

2. Ist Art. 4 I der RL 20081104 dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, wonach der Einsatz von Leiharbeitnehmern nur in den eigens aufgeführten Fällen wie dem Ausgleich von Arbeitsspitzen oder bei Arbeiten, die nicht durch eigene Arbeitnehmer eines Unternehmens erledigt werden können, zulässig ist? Kann der längerfristige Einsatz von Leiharbeitnehmern neben den eigenen Arbeitnehmern eines Unternehmens im Rahmen der gewöhnlichen Arbeits­aufgaben des Unternehmens als verbotener Einsatz von Leih­arbeitskräften eingestuft werden?

IV. Schlussanträge des Generalanwalts vom 20.11. 2014

Der Generalanwalt Szpunar hat in seinen Schlussanträgen: vom 20.11.201417 die erste Vorlagefrage bejaht. Er sieht eine Pflicht der Mitgliedstaaten aus Art. 4 der Richtlinie, Ein­schränkungen des Einsatzes von Leiharbeit aufzuheben, so­weit sie nicht durch Gründe des Allgemeinwohls gerechtfer­tigt sind, wie sie in Art. 4 I beispielhaft aufgezählt sind.18

Damit folgt der Generalanwalt der Auffassung der Beklagten und des vorlegenden Gerichts - und widerspricht insbesonde­re der Auffassung der Klägerin, der Kommission und der deutschen Bundesregierung.

Dieses Ergebnis folge aus dem Wortlaut, der ein materiell­rechtliches Verbot ungerechtfertigter Einschränkungen ent­halte. Art. 4 I der Leiharbeitsrichtlinie verfolge nach dem " Flexicurity " -Prinzip zwei Ziele: Den Schutz der Leiharbeit­nehmer durch Regelung von Arbeitsbedingungen und die Festlegung eines angemessenen Rahmens für den Einsatz von Leiharbeitnehmern, der die Schaffung von Arbeitsplätzen und die Entwicklung flexibler Arbeitsformen ermöglicht. Knüpfte man keine verbindliche Folge an Art. 4, könnte die Regelung die Erreichung dieser Ziele nicht fördern und es fehlte ihr die praktische Wirksamkeit. 19

Zugleich unterstreicht der Generalanwalt bei der Beantwor­tung der zweiten Frage, dass Leiharbeitsverhältnisse "vorü­bergehender Art" sind und sich nicht zum Nachteil von Stammarbeitnehmern auswirken dürfen. Er leitet aus der Richtlinie das Regelungsziel ab, die Verdrängung von eige­nen, auf Dauerarbeitsplätzen eingesetzten Arbeitnehmern durch eine missbräuchliche Nutzung der Leiharbeit zu unter­binden. Aus den Erwägungen, Begriffsbestimmungen und Regelungszielen der Richtlinie schließt der Generalanwalt, dass Leiharbeit eine Arbeitsform vorübergehender Art ist, eine atypische Arbeitsform, die den Regelfall der direkten Anstellung nicht verdrängen dürfe.20

Bei der Erreichung dieses Ziels sieht er aber einen großen Regelungsspielraum der Mitgliedstaaten.21 Missbrauch von Leiharbeit sei indiziert und könne ohne Verstoß gegen die Richtlinie von Mitgliedstaaten verboten werden, wenn Leih­arbeitnehmer neben Stammarbeitnehmern bei dauerhaftem Bedarf für längere Zeit eingesetzt werden.22 Das zeitliche Element wird in den Schlussanträgen nicht näher konkreti­siert.

V. Urteil des EuGH vom 17.3.2015

Der EuCH hat in seinem Urteil vom 17.3.2015 nur die erste Vorlagefrage beantwortet.23 Die weiteren Vorlagefragen, ob die tarifvertragliche Bestimmung mit Art. 4 I der Leiharbeits­richtlinie vereinbar ist und ob die Richtlinie den längerfristi­gen Einsatz von Leiharbeitnehmern neben Stammarbeitneh-

mern im Rahmen der gewöhnlichen Arbeitsaufgaben verbie­tet, ließ das Gericht unbeantwortet.24

Während der Generalanwalt die erste Vorlagefrage bejaht hatte, verneint der EuCH sie.25 Das Gericht betont, dass sich Art. 4 I der Leiharbeitsrichtlinie nur an die zuständigen Be­hörden der Mitgliedstaaten richte. Aus einer systematischen Auslegung ergebe sich, dass es nur Aufgabe der zuständigen Behörden sei, zu prüfen, ob nationale Verbote oder Ein­schränkungen der Leiharbeit gerechtfertigt sind. Solche Ver­pflichtungen könnten nationale Gerichte nicht erfüllen.26

Gegebenenfalls seien daher die Mitgliedstaaten veranlasst gewesen, ihre nationalen Regelungen über Leiharbeit zu än­dern. Es stehe den Mitgliedstaaten jedoch frei, nicht gerecht­fertigte Verbote oder Einschränkungen aufzuheben oder so anzupassen, damit sie durch Allgemeinwohlinteressen ge­rechtfertigt werden können. Art. 4 I der Leiharbeitsrichtlinie schreibe den Mitgliedstaaten nicht den Erlass einer bestimm­ten Regelung vor sondern lege nur den Rahmen fest, in dem sich ihre Regelungstätigkeit abspielen dürfe?7

Zusammenfassend sei Art. 4 I der Leiharbeitsrichtlinie damit dahin auszulegen, dass er nur an die zuständigen Behörden des Mitgliedsstaats gerichtet sei und ihnen eine Überprü­fungsverpflichtung auferlege, um sicherzustellen, dass etwai­ge Verbote und Einschränkungen des Einsatzes von Leih­arbeit gerechtfertigt sind und daher die nationalen Gerichte nicht verpflichte, nationale Verbote oder Einschränkungen der Leiharbeit unangewendet zu lassen, die nicht aus Grün­den des Allgemeininteresses gerechtfertigt sind.28

VI. Bewertung und Ausblick

So groß die Spannung vor der Verkündung der Entscheidung war, so groß ist die Enttäuschung der Praxis danach. Nicht wenige Experten hatten auf Antworten auf grundlegende Fragen gehofft, vor allem mit Blick auf die Vorlagefrage zum längerfristigen Einsatz von Leiharbeitnehmern neben Stamm­arbeitnehmern.29 Möglicherweise hat auch das federführende Bundesministerium für Arbeit und Soziales - einer Empfeh­lung Thüsings30 folgend - bislang keinen Referentenentwurf für die AÜG-Reform vorgelegt, weil der Ausgang des Ver­fahrens abgewartet werden sollte.31 Die erhofften Antworten sind ausgeblieben.

1. Tatbestand - de lege lata und de lege ferenda

Das Rätsel, wie lange "vorübergehend" ist, bleibt damit für die Praxis weiter ungelöst. Der Generalanwalt hatte das

17 EuCH, Schlussanträge des Generalanwalts Szpunar, ECLI:EU: C:2014:2392 = BeckRS 2014, 82404.

18 EuCH, Schlussanträge des Generalanwalts Szpunar, ECLI:EU: C:2014:2392 = BeckRS 2014, 82404 Rn. 26 ff., 93.

19 EuCH, Schlussanträge des Generalanwalts Szpunar, ECLI:EU: C:2014:2392 = BeckRS 2014, 82404 Rn. 30 ff., 36.

20 EuCH, Schluss anträge des Generalanwalts Szpunar, ECLI:EU: C:2014:2392 = BeckRS 2014, 82404 Rn. 11 0 ff.

21 EuCH, Schlussanträge des Generalanwalts Szpunar, ECLI:EU: C:2014:2392 = BeckRS 2014, 82404 Rn. 114.

22 EuCH, . Schlussanträge des Generalanwalts Szpunar, ECLI:EU: C:2014:2392 = BeckRS 2014,82404 Rn. 121.

23 EuCH, ECLI:EU:C:2015:173 = NZA 2015, 43 Rn. 21 ff. - AKT. 24 EuCH, ECLI:EU:C:2015:173 = NZA 2015, 43 Rn. 33 - AKT. 25 EuCH, ECLI:EU:C:2015:173 = NZA 2015,43 Rn. 32 - AKT. 26 EuCH, ECLI:EU:C:2015:173 = NZA 2015, 43 Rn. 23 ff. - AKT. 27 EuCH, ECLI:EU:C:2015:173 = NZA 2015, 43 Rn. 29 ff. 28 EuCH, ECLI:EU:C:2015:173 = NZA 2015,43 Rn. 32. 29 Vgl. zB Lembke/Ludwig, NJW 2014, 1329 (1332f.);' Schüren/Brors,

NZA 2014,569 (571); Thüsing, NZA 2014,10 (12). 30 NZA 2014, 10 (12); ("Bis dahin bleibt es weiter spannend - und bis

dahin sollte der Gesetzgeber Zurückhaltung üben und nicht Dinge regeln, die sich nachträglich als europarechtswidrig erweisen. ").

31 Vgl. Lembke, BB 2014,1333 (1338).

Zimmermann, Tatbestandsrätsel "vorübergehend" - weiter ungelöst NZA 9/2015 531

zeitliche Element unter Hinweis auf den Regelungsspielraum der Mitgliedstaaten nicht näher konkretisiert. Da sich der EuGH mit dieser Vorlagefrage - aus seiner Sicht konsequent - nicht befasst hat, gibt er auch keine Hinweise darauf, welche Einschränkungen mit der Leiharbeitsrichtlinie verein­bar wären.

Wie geht es nun weiter? Die Praxis wird sich bis auf weiteres an die Grundsätze halten, die das BAG aufgestellt hat.32

Konform mit der Rechtsprechung des BAG verhalten sich Entleiher jedenfalls, wenn sie Leiharbeitnehmer nicht ohne jegliche zeitliche Begrenzung - ideal: nicht länger als 18 Mo­nate - und nicht anstelle einer Stammkraft einsetzen. Damit sollten Entleiher mit dem Verleiher nur eine ausdrücklich befristete Überlassung der einzelnen Leiharbeitskräfte verein­baren und dementsprechend beim Betriebsrat auch nur die Zustimmung zu einer befristeten Einstellung beantragen. Da­rüber hinaus sollten sie sicherstellen, dass sie Leiharbeitneh­mer nicht auf einem Dauerarbeitsplatz beschäftigen, sei es weil die Überlassung auf Grund eines vorübergehenden be­trieblichen Bedarfs erfolgt oder zur Vertretung eines anderen Arbeitnehmers.33

Eine Beschäftigung auf einem Dauerarbeitsplatz wird sich jedoch nicht immer vermeiden lassen. Es gibt Fälle, in denen ein Dauerarbeitsplatz vorübergehend anderweitig besetzt werden muss, beispielsweise wenn ein Stelleninhaber kurz­fristig dauerhaft ausfällt und eine Stammersatzkraft nicht zur Verfügung steht. Derartige Ausnahmen werden bei der Aus­legung des Merkmals "vorübergehend" vor dem Hinter­grund des mit der Leiharbeitsrichtlinie verfolgten Flexibilisie­rungszwecks zu berücksichtigen sein, den auch der General­anwalt in seinen Schlussanträgen zu Recht betont hat.

War der Blick gen Luxemburg gerichtet, geht er nun wieder Richtung Berlin. Im Koalitionsvertrag für die 18. Legislatur­periode haben sich die Koalitionspartner bekanntlich darauf verständigt, "vorübergehend" dahingehend zu "präzisieren", dass eine Überlassunjshöchstdauer von 18 Monaten gesetz­lich festgelegt wird.3 Diese Höchstüberlassungsdauer dürfte mit Unionsrecht . vereinbar sein.35 Die Richtlinie macht den Mitgliedstaaten keine genauen Vorgaben, sondern lässt ihnen vielmehr einen großen Regelungsspielraum bei der Errei­chung der Richtlinienziele. Möglicherweise kann auch der finnische Tarifvertrag als Blaupause dienen für eine angemes­sene Regulierung des Einsatzes von Leiharbeitnehmern. 36 In seinen Schlussanträgen hatte der Generalanwalt Szpunar die Ansicht vertreten, die Regelungen des finnischen Tarifver-trags seien vereinbar mit Art. 4 I der Richtli_~~e.. ___ ~"

2. Rechtsfolge - Arbeitsverhältnis mit Entleiher auch bei Scheinwerkverträgen mit Erlaubnis?

Schien das Rechtsfolgenrätsel de lege lata für die Praxis weit­gehend gelöst - Zustimmungsverweigerungsrecht des Be­triebsrats im Einsatzbetrieb: ja, Zustandekommen eines Ar­beitsverhältnisses mit dem Entleiher: nein _/7 hat Ende 2014 eine Entscheidung der Vierten Kammer des LA G Baden­Württemberl 8 für neue Unruhe gesorgt. Sie ist der Auffas-

. sung, dass im Falle eines Scheinwerkvertrags trotz bestehen­der Überlassungserlaubnis ein Arbeitsverhältnis zwischen Leiharbeitnehmer und Entleiher zu Stande kommt.39

Es stelle widersprüchliches Verhalten dar, wenn sich Dritt­firma und Einsatzunternehmen auf die Überlassungserlaubnis berufen, obwohl sie ausdrücklich einen Werkvertrag ge­schlossen und nicht "offen" Arbeitnehmerüberlassung ver­einbart haben. Die Unternehmen hätten ihreVertragsbezie­hung selbst als Werkvertrag eingeordnet und das AÜG gera-

de nicht angewandt. Dann könnten sie sich nun auch nicht auf die Erlaubnis berufen. Die Dritte Kammer desselben Ge­richts hat wenige Tage später anders entschieden und fest­gestellt, dass die Grundsätze; die das BAG zur nicht mehr vorubergehenden Überlassung aufgestellt hat,40 auch für Fäl­le verdeckter Arbeitnehmerüberlassurig im Rahmen eines Scheinwerkvertrags gelten.41 Die Vierte Kammer hat die Re­vision zugelassen, tlie inzwischen eingelegt wurde,42 die Drit-te Kammer nicht.43 .

Im Koalitionsvertrag heißt es dazu unter der Überschrift "Missbrauch von Werkvertragsgestaltungen verhindern": "Der vermeintliche Werkunternehmet und sein Auftraggeber dürfen auch bei Vorlage einer Verleiherlaubnis nicht besser gestellt sein, als derjenige, der unerlaubt Arbeitnehmerüber­lassung betreibt. ,,44 Die Koalitionsparteien wollen damit die verdeckte Überlassung (vulgo: Scheinwerk-I-dienstverträge) mit Erlaubnis der- seltenen - "offenen" illegalen Überlas­sung gleichstellen. Das · heißt: In beiden Fällen soll über § 10 11 AÜG ein Arbeitsverhältnis zum vermeintlichen WerkbestellerlDienstberechtigten zu Stande kommen. Das entspricht dem Entwurf für einen neuen § 9 Nr. 1 b) AÜG des -:- zu diesem ZeitpunktSPD-dominierten - Bundesrats aus September 2013.45 Nur wenn bei vorhandener Erlaubnis die Überlassung eindeutig als solche kenntlich gemacht und be­zeichnet ist, also "offen" überlassen wird, soll diese Rechts-folge ausbleiben. . .

Demgegenüber sieht der Koalitionsvertrag für die mehr als vorübergehende Überlassung keine Rechtsfolge vor.46 Eine von der SPD gewünschte Formulierung - Begründung eines "automatischen" Arbeitsverhältnisses mit dem Entleiher bei Verstößen gegen das AÜG - wurde in der finalen Fassung gestrichen. Allerdings sieht der erwähnte Gesetzentwurf des Bundesrates in einem neuen § 9 Nr. 1 Buchst. c AÜG vor, dass bei mehr als vorübergehender Überlassung die Fiktion des § 10 I 1 AÜG greift.47 Es bleibt abzuwarten, ob sich die Koalitionspartner hierauf werden einigen können.

VII. Fazit

Als Fazit bleibt der Aufruf an den Gesetzgeber, bei der an­stehenden Reform Tatbestand und Rechtsfolgen des § 1 I 2 AÜG klar zu regeln. Aus dem Ausschuss für Arbeit und Soziales hört man von Mitgliedern der Union, dass Gesetzes­initiativenzum AÜG noch in 2015 für unrealistisch gehalten werden. Branche und Berater werden sich daher wohl noch ein wenig gedulden müssen. •

32 VgL oben 11. '· --- -._-- .. --_ .. ----33 Vgl. LipinskilPraß, BB 2014,1465 (1466). 34 Koalitionsvertrag "Deutschlands Zukunft gestalten" zwischen CDU,

CSU und SPD vom 27.11.2013, S. 49 f., zB abrufbar unter http://www. cdu.de/koalitionsvertrag.

35 Krit. Happlvan der Most, BB 2015,565 (566 ff.). 36 So Happlvan der Most, BB 2015, 565 (570,571). 37 Vgl. oben 11. . . 38 LAG Baden-Württemberg, NZA-RR 20.15, 177. 39 Vgl. auch Brose, DB 2014; 1739; ablehnend BaecklWinzer, NZA 2015,

269 (273). 40 Vgl. oben.!1. 41 LAG Baden-Württemberg, BeckRS 2015, 66007 . 42 9 AZR 51/15. 43 Krit. Hamann, jurisPR -ArbR 14/2015, Anm. 1. . 44 Koalitionsvertrag"Deutschlands Zukunft gestalten" zwischen CDU,

CSU und SPD vom 27.11.2013, S. 49. . 45 Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung des Missbrauchs von Werk­

verträgen und zur Verhinderung der Umgehung von arbeitsrechtlichen Verpflichtungen, BT-Drs. 18114,5; vgl.schon Schüren, NZA 2013,176 (178).

46 Vgl. BAG, BeckRS 2014, 71241; BAG; BeckRS 2014, 71242 Rn. 12. 47 Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung des Missbrauchs von Werk­

verträgen und zur Verhinderung der Umgehung voti arbeitsrechtlichen Verpflichtungen, BT-Drs. 18/14,5.