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Das BuchNach dem Zeugnis der Evangelien des Neuen Testaments warMaria Magdalena zwar die erste Augenzeugin der Auferste-hung Jesu, aber doch nur eine Nebenfigur des Geschehens.Nach dem Bericht der gnostischen Evangelien dagegen, dieJahrtausende lang von der Kirche unterdrückt wurden, warsie seine Frau und wichtigste spirituelle Vertraute, der er seinegeheimen Lehren vermittelte. Unter ihrem Namen wurde,noch bevor die biblischen Evangelien kanonisch fixiert waren,ein Augenzeugenbericht des Wirkens Jesu in Umlauf gebracht.Obwohl immer noch der Öffentlichkeit so gut wie unbekannt,ist das Evangelium der Maria Magdalena doch einer der wich-tigsten christlichen Basistexte, der Leben und Lehre Jesu so-wie die Gemeinschaft der Gläubigen im frühen Christentumin einem ganz neuen Licht erscheinen lässt.Die ausführliche Kommentierung durch Jean-Yves Leloup er-schließt eine spirituelle Schatzkammer, deren Bedeutung fürden modernen Menschen gar nicht überschätzt werden kann!

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Jean-Yves Leloup

Evangelium der Maria Magdalena

Die spirituellen Geheimnisse der Gefährtin Jesu

Aus dem Französischen von Wolfgang Höhn

WILHELM HEYNE VERLAGMÜNCHEN

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Die Originalausgabe erschien 1997 unter dem Titel »L’Évangile de Marie«im Verlag Éditions Albin Michel, S.A., Paris, Frankreich

Verlagsgruppe Random House FSC-DEU-0100Das für dieses Buch verwendete FSC-zertifizierte PapierMünchen Super liefert Mochenwangen.

Taschenbucherstausgabe 05/2008Copyright © 1997, 2000 by Éditions Albin Michel, ParisCopyright © 2004 für die deutsche Ausgabe by Ansata Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH Copyright © 2002 des Vorwortes von Jacob Needleman und der Einleitung von David Tresemer und Laura-Lea Cannon by Inner Traditions International, Rochester, Vermont, USA Printed in Germany 2008Umschlaggestaltung: hilden_design, MünchenUmschlagmotiv: © Eigenarchiv hilden_designGesetzt aus der Sabon Roman bei Leingärtner, NabburgDruck und Bindung: GGP Media GmbH, PößneckISBN 978-3-453-70092-5

www.heyne.de

SGS-COC-1940

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Inhalt

Vorwort von Jacob Needleman 7

Einführung von David Tresemer und Laura-Lea Cannon 11

Einleitung 25

Übersetzung des Evangeliums der Maria Magdalena 43

Kommentar 63

Anmerkungen 221

Bibliographie 231

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Vorwort1

Das Evangelium der Maria Magdalena kam im Jahr 1896in Kairo ans Licht, ungefähr fünfzig Jahre vor der sensa-tionellen Entdeckung der so genannten gnostischen Evange-lien von Nag Hammadi in Oberägypten. Unter all diesenTexten ist das Evangelium des Thomas am bekanntes-ten. Wie alle gnostischen Evangelien vermittelt auch dasMaria-Evangelium dem modernen Menschen eine neueWahrnehmung der Größe des Christentums und der GestaltJesu.

Sowohl in ihrer Wurzel als auch in ihrer Essenz ist dieLehre Jesu ganz klar eine Vision und ein Weg, die derMenschheit von einer Quelle weit jenseits der uns vertrautenEigenschaften des Intellekts und der Sensibilität geschenktwurden. Der Glanz und das Mysterium seiner Worte undTaten vor 2000 Jahren ist eine »Erschütterung von oben«,welche die Welt veränderte und in den Hoffnungen von Mil-lionen Menschen auf der ganzen Erde nachklingt.

Aber die inneren und die äußeren Umstände des modernenLebens haben sich in einer Weise entwickelt, dass es vielenvon uns fast unmöglich geworden ist, die spirituellen Tradi-tionen der Welt zu hören. Zusammen mit dem inspiriertenKommentar von Jean-Yves Leloup kann das Maria-Evange-lium dazu beitragen, die Lehre Jesu mit neuem Leben zuerfüllen – diese unbekannte Botschaft, unbekannt nicht in

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negativem Sinne, sondern in der weiten und fruchtbarenBedeutung dieses Worts.

In jeder spirituellen Lehre ertönt ein Ruf von oben. Dochwie der vorliegende Text verkündet und aufzeigt, besteht daszentrale Anliegen von Jesus und seiner Lehre darin, uns auchfür jenes Oben, das uns aus unserem Inneren ruft, empfäng-lich zu machen. Die Größe des Christentums versteht ihreinnere Bedeutung als Zeichen der inneren Größe eines jedenmenschlichen Herzens. Als Pfad des inneren Erwachens, alsPfad tiefer Selbsterkenntnis (das bedeutet der aus dem Grie-chischen stammende Ausdruck Gnosis) ermutigt und unter-stützt er das innere Streben, das eigene Selbst, Gott in uns, zuehren, ihn zu hören und ihm zu folgen.

Wie Jean-Yves Leloup betont, ist das die tiefe Bedeutungvon Anthropos: selbst voll und ganz Mensch, VerkörperungGottes, zu sein. Das ist eine unbekannte Lehre – nicht im phi-losophischen oder theologischen Sinn, noch in dem Sinn einerLehre, die nie zuvor verkündet worden war, sondern in demSinn, dass sie unserem gewöhnlichen Denken und Fühlen nie-mals wirklich zugänglich sein kann. Und sie ist unbekannt indem Sinn, dass wir unser Leben an der Oberfläche unseresSelbst leben, denn über unser eigenes Wesen wissen wir dasWichtigste nicht, die eine Sache, die wir aber wissen müsstenund die uns alles Gute, das wir uns ernstlich wünschen könn-ten, bringen würde.

Wir meinen hier einen unbekannten Teil unseres Selbst,der zugleich der wesentliche Teil unseres Selbst ist: den inne-ren Meister, unsere wahre Identität. Der Weg – mit Sicher-heit der Weg aller spirituellen Traditionen der Welt – ist diePraxis und die sie fördernde Gemeinschaft, die eine Verbin-dung zwischen unserem alltäglichen Selbstgefühl und demhöheren Selbst oder dem heiligen Geist ermöglichen. Dieseinnere Verbindung zwischen Selbst und Geist, so erfahrenwir, wird ermöglicht durch die innere Kultivierung einer

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besonderen Qualität bewussten Gewahrseins und gehobenerIntelligenz, die in dieser Tradition mit dem aus dem Griechi-schen kommenden Begriff »Nous« (höherer Verstand, höhe-rer Geist) bezeichnet wird. Es ist die Sphäre des interme-diären Gewahrseins und der vermittelnden bewussten Kräfteim Kosmos, die in den esoterischen Traditionen der Weltreli-gionen als Reich der Engel mythologisiert sind. In dieserübernatürlichen und dennoch legitimen Begegnung zwischendem Höheren und dem Niedrigeren in uns selbst kommt eszur tiefen, intimen Erfahrung bewusster Liebe – einer be-wussten Liebe zu unserem ausgehungerten und verwirrtenSelbst, die zugleich Liebe zu unserem Nächsten ist, desseninnerer Zustand metaphysischer Armut mit dem unserenübereinstimmt. Wie Jean-Yves Leloup uns zeigt, ist dies dieLiebe, die Jesus meint: »Liebe deinen Nächsten wie dichselbst.« Diese Liebe lässt sich nicht befehlen, doch sollten wirsie als das bestimmende Attribut unseres wahren Wesenserkennen.

Es gehört zu den bemerkenswertesten Aspekten des Evan-geliums der Maria Magdalena, dass das Mysterium um-so tiefer wird, je mehr es uns über den wahren Sinn desChristentums sagt. Dieses Paradox hängt sicherlich mit derTatsache zusammen, dass es – wie jede wahrhaft spirituelleKommunikation – gleichzeitig an der Oberfläche und in den tiefen unbewussten Schichten zu uns spricht. Währendes auf intellektueller Ebene die Auflösung der scheinbarenWidersprüche aufzeigt, die uns manchmal vom Glauben andie objektive Existenz Gottes entfernen, öffnet es uns zurgleichen Zeit das Herz für die schweigende Erkenntnis derHeimkehr – die Freude über das, was wir jenseits der Worteschon immer wussten, was wir aber nicht mehr zu fin-den hofften.

Kein Geheimnis ist größer und willkommener als dieses –dass es uns in den Tiefen der Stille jenseits unseres Verstands

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zuteil werden möge, uns selbst in unserem wahren Wesen zuerkennen, geschaffen, um dem Guten zu dienen, sowohl umGottes als auch um unseres Nachbarn willen.

Jacob Needleman,Philosophische Fakultät

der San Francisco State University.

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Einführung

Wer ist Maria Magdalena?

Die frühesten Handschriften, in denen Maria Magdalena er-wähnt wird, stammen aus zwei sehr unterschiedlichen Quel-len: aus den kanonischen Evangelien des Neuen Testamentsund aus einer Gruppe von Randmaterialien, die als gnosti-sche Evangelien bezeichnet werden und von der Römisch-Katholischen Kirche verworfen wurden.

Die Geschichte der Unterdrückung jener alternativen Evan-gelien liest sich wie ein Abenteuerroman – Bücherverbren-nungen, Geheimtreffen kleiner Sekten, die von der Obrigkeit ausspioniert wurden, Verbannungen, Hinrichtungen und der-gleichen.

Es ist eine Ironie des Schicksals, dass die größte Unter-drückung der frühchristlichen Literatur zu jener Zeit begann,als Konstantin römischer Kaiser wurde und das Christentumzur Staatsreligion des gesamten Römischen Reichs erklärte.Dies führte bekanntlich zu einem Bekehrungsfeldzug, der sichüber eine Reihe von Jahren erstreckte: von Konstantins ers-tem Sieg im Jahr 312 bis zu seinem endgültigen Triumph 324über seine Rivalen. 325 berief Konstantin das Konzil vonNizäa ein, um festzulegen, welche Texte zum Standard derKirche werden – die so genannten kanonischen Evangelien –und welche unterdrückt werden sollten. Diejenigen, die man

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nicht in den Kanon aufnahm, wurden über viele Jahre hinwegoftmals unter Gewaltanwendung attackiert. Tatsächlich wur-den auf dem Konzil von Nizäa diejenigen Bischöfe, die Kon-stantins Auswahl ablehnten, sofort verbannt.2

Die Unterdrückung war jedoch nicht erfolgreich. MancheTexte überlebten und wurden seit alter Zeit im Geheimenüberliefert. An verschiedenen Orten tauchten im Lauf derZeit verschiedene Schriftfetzen und Fragmente auf, wennauch kaum in nennenswerter Zahl. Aber im Jahr 1945 nahmdie Sache eine überraschende Wendung, als man ein Versteckvon alternativen Handschriften in einem großen Tongefäß in der Wüste bei Nag Hammadi in der Nähe von Phou inOberägypten entdeckte. Der Bericht über den Weg dieserDokumente von den nomadischen Stammesangehörigen, diesie gefunden hatten, über die Schwarzmärkte – eine der Papy-rushandschriften gelangte sogar in den Besitz des berühmtenSchweizer Psychologen Carl Gustav Jung – und schließlichnach Kairo liest sich wie ein echter Abenteuerroman.3

Der Inhalt jenes Tongefäßes wurde zusammen mit anderenFetzen oder Fragmenten aus ungefähr derselben Epoche alsdie gnostischen Evangelien bekannt, weil viele davon Verbin-dungen zu dem Glaubenssystem einer Gruppe aufweisen, diesich als Gnostiker bezeichneten – von dem aus dem Griechi-schen stammenden Wort Gnosis, das »innere Erkenntnis«,»Selbsterkenntnis« oder »Selbstwissen« bedeutet. Hinter deroft ziemlich seltsamen Kosmologie der verschiedenen gnosti-schen Schulen steht das, was als die Gnostik bezeichnet wird– der Glaube, dass spirituelles Wachstum und Heil durchinnere Erkenntnis erlangt werden können. In jüngster Zeithaben verschiedene Autoren die modernen Aspekte dieserTexte aufgegriffen und darin Gedanken über Intuition undBewusstsein entdeckt, die durchaus auf der Höhe unsererZeit sind. Während das Evangelium des Thomas (das ausNag Hammadi stammt) und das Evangelium der Maria Mag-

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dalena, die beide den gleichen Nachdruck auf innere Er-kenntnis legen, oft als gnostische Texte betrachtet werden,teilen sie in Wirklichkeit nicht die ausgefeilte Kosmologie derTraktate aus den gnostischen Sekten.4

Die Entdeckung der Handschriften von Nag Hammadi gabeinen wesentlich vollständigeren Eindruck des ganzen Text-korpus, das schon früh in der Geschichte des Christentumsverworfen worden war, und entzündete das Interesse am Stu-dium der anderen unvollständigen Texte, die in den Gewöl-ben der Archive geschmachtet hatten. Eine dieser Handschrif-ten, die nun erneut Beachtung fand, war das Evangelium derMaria Magdalena, das man 1896 in Ägypten gefunden hatteund das sich in der Obhut der Staatlichen Museen zu Berlinbefand. Die Wiederentdeckung dieses Evangeliums führte zueiner Reihe von Übersetzungen in verschiedene europäischeSprachen (die erste 1955). Dazu gehört auch diese neue Über-setzung aus dem Koptischen ins Französische von Jean-YvesLeloup, einem Gelehrten, der ein tiefes intellektuelles und spi-rituelles Verständnis für die ganze Fülle der frühen Schriftenbesitzt und bereits einige davon übertragen und kommentierthat.

Außer mit der Übersetzung der in Ägypten gefundenenTexte haben sich die Gelehrten mit der Frage ihrer Datierungbeschäftigt. Die meisten vertreten die Auffassung, dass das inNag Hammadi entdeckte Tongefäß aus der Zeit um 350 nachChristus stammt und dass die darin aufbewahrten Papyrikoptische Übersetzungen von griechischen Originaltextenwaren. Wie alt waren dann die ursprünglichen Texte? Selbsteine aufwändige Textanalyse kann zu kaum mehr als vagenVermutungen führen. Einige Gelehrte glauben, dass dieSpruchsammlung Jesu im Thomas-Evangelium auf das Jahr50 zurückgeht, dass sie den kanonischen Evangelien voraus-geht und dass sie zeitgleich mit dem »Q-Evangelium« (Ur-Evangelium, Spruch- oder Logienquelle Q), der vermuteten

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gemeinsamen (fehlenden) Quelle für die kanonischen Evan-gelien, verfasst worden sein dürfte. Einige gehen davon aus,dass andere Teile der gnostischen Evangelien nicht früher alsauf das dritte Jahrhundert zu datieren sind, während wiederandere behaupten, das Evangelium der Maria Magdalenakönnte aus dem frühen zweiten Jahrhundert stammen.5

Letzten Endes reichen all unsere Kenntnisse nicht aus, umdie Zeit oder den Ort der historischen Ursprünge des Maria-Evangeliums genau zu bestimmen. Nachdem wir in der Frageder geschichtlichen Gewissheit nicht weitergekommen sind,haben wir jedoch die Möglichkeit, mit anderen Mitteln denKontext dieses Werks und seines Verfassers etwas genauer zuuntersuchen.

Wir kennen vier Methoden, eine Lebensgeschichte zu erkun-den, die so weit zurückliegt wie diejenige von Maria Magda-lena. Zuerst kann man die vorhandenen Verweise auf ihrePerson in den kanonischen Evangelien und den gnostischenDokumenten überprüfen. In den gnostischen Texten spieltMagdalena eine wichtige Rolle, und darin wird ein ganzanderes Bild gezeichnet als in den uns länger bekannten Evan-gelien. Dazu gehört auch die Darstellung Magdalenas als ver-traute Begleiterin von Jesus. Die Verweise in den kanonischenEvangelien können hingegen auf ihre tiefere Resonanz hinuntersucht werden.

Zweitens kann man an diese Geschichte durch die Augenund Erfahrungen der großen Künstler herangehen, die ihreAufmerksamkeit auf einzelne Szenen aus den Evangelienrichteten und das Geschehen um Magdalena intuitiv gedeutethaben (natürlich gefiltert durch die Sichtweise ihres kulturel-len Kontexts). Nach dem Sichten von Abbildungen in Kunst-büchern und dem Besuch von Museen rund um die Welt fas-zinierten uns mehrere wiederholt auftretende Motive undihre symbolischen Interpretationen: Magdalena wird oft mit

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rotem oder goldenem Haar gemalt; häufig wird sie mit einemSalbgefäß in Verbindung gebracht; und mehrmals wird sie inder Gegenwart eines Schädels dargestellt.

Eine dritte Herangehensweise an die Geschichte des Maria-Evangeliums und die Bedeutung Maria Magdalenas selbstbesteht darin, beide auf rein symbolischer Ebene zu betrach-ten, so wie es die Künstler in ihren wiederkehrenden Bildmo-tiven gemacht haben. Dieses Vorgehen ermöglicht es uns, dieFrage zu stellen und zu beantworten: Was stellt diese Frauheute für uns dar, und was ist die symbolische Bedeutungihrer Worte und Taten?

Schließlich können wir uns Maria und ihrem Leben an-nähern, indem wir ihnen in spiritueller Weise nachgehen.Unsere persönliche Forschung ist dadurch vorangetriebenworden, dass wir begannen, eine tief greifende und wichtigegeistliche Wahrheit zu erkennen, die sich in Maria Magdalenaund ihrer einzigartigen Verbindung zu Jesus verkörperte –eine Verbindung, die während der letzten zwei Jahrtausendeweitgehend ignoriert oder ausgelöscht worden ist.

Die kanonischen Evangelien (des Matthäus, Markus, Lukasund Johannes) erwähnen Maria Magdalena ein paar Malnamentlich, obwohl viele ihr die Identität anderer ungenann-ter Frauen, die in diesen vier Texten auftreten, zugeschriebenhaben. So hat man zum Beispiel angenommen, dass sie undMaria von Bethanien, die Schwester des Lazarus, ein und die-selbe Person seien. Ebenso erwähnt Lukas eine Frau, eine»Sünderin« – die oft für eine Prostituierte gehalten wird –, diemit einer Salbe zu Jesus kommt, um ihn im Hause des Pha-risäers Simon zu salben, und einige haben gemeint, Magda-lena sei jene Sünderin, die Vergebung erfahre, nachdem sieJesu Füße mit ihren Tränen gewaschen habe (Lukas 7,36–50).

Marias Identität als Prostituierte rührt von der Homilie 33des Papstes Gregor I.6 her, der im Jahr 591 verkündete, dass

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sie und die ungenannte Frau in Lukas 7 in Wahrheit ein unddieselbe Person seien und die Gläubigen Maria als reuigeHure betrachten sollten:

»Wir glauben, dass sie, die Lukas als sündiges Weib be-zeichnet und die Johannes Maria nennt, die Maria ist, aus dernach Markus sieben Dämonen ausgetrieben wurden. Undwas haben diese Dämonen anderes bedeutet als alle Laster? …Es ist offenbar, ihr Brüder, dass diese Frau zuvor ihr Fleisch inunzüchtigen Handlungen zu salben pflegte.«7

Es ist interessant festzustellen, dass der griechische Aus-druck für »Sünderin« in dem Lukasvers, auf den sich PapstGregor bezieht, harmartolos ist, das auf verschiedene Weiseübersetzt werden kann. Aus jüdischer Sicht könnte es einePerson bedeuten, die das jüdische Gesetz übertreten hat. Eskönnte auch jemand bezeichnen, der vielleicht seine Steuernnicht bezahlt hat. Das Wort an sich bedeutet nicht Hure oderStraßenmädchen. Das griechische Wort für Hure, porin, dassonst bei Lukas gebraucht wird, ist nicht das Wort zurBezeichnung der Sünderin, die zu Jesu Füßen weint. In Wirk-lichkeit findet sich nirgendwo in den Evangelien ein direkterHinweis auf sie oder Maria als Hure.

Neben all den Spekulationen über die Person der Mariafinden wir einige wichtige Einzelheiten, die sich aus allen vierEvangelien ergeben: Maria Magdalena ist außer der MutterMaria die einzige Frau, die namentlich in allen vier Evange-lien erwähnt wird; und mit einer einzigen Ausnahme ist ihrName der erste bei Aufzählungen, in denen von der Anwe-senheit anderer Frauen bei einem Ereignis die Rede ist. DieTexte stellen auch eindeutig fest, dass Jesus Maria Magdalenaheilt, indem er sie von sieben Dämonen befreit (Markus 16,9und Lukas 8,2), ein Geschehen, auf das Papst Gregor in sei-ner Homilie 33 anspielt. Wir erfahren ebenfalls, dass siezusammen mit dem Apostel Johannes und der Mutter Mariazu den dreien gehört, die bei der Kreuzigung Jesu am Fuß des

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Kreuzes ausharren (Johannes 19,25). Und wir alle wissenauch das Wichtigste: dass Maria Magdalena die erste ist, dieden aus dem Grab auferstandenen Jesus erblickt (Johannes20,11–18; Markus 16,9; Matthäus 28,9–10). Aus diesemGrund wird sie als »Apostel der Apostel« betrachtet und vonAugustinus sogar so genannt.

Alles in allem sind diese wenigen Daten so armselig, sodürftig! Und doch liefern sie uns genug Stoff, um damit zuarbeiten, wenn wir verstehen können, was sie im Kern bedeu-ten. Jede dieser Referenzen transportiert etwas mehr als ihrenaugenscheinlichen Wert und vermittelt uns größere Einsichtüber Maria Magdalena.

In den Evangelien hören wir von vielen Heilungen – von den Scharen der Kranken und der Bedürftigen, die sich umJesus sammelten, um seine Berührung oder seinen Blick zuerhalten.8 Aber nur im Fall von Maria Magdalena hören wir von sieben aus einer Person ausgetriebenen Dämonen.Normalerweise hat man daraus geschlossen, dass dieseaußergewöhnlich große Zahl von Dämonen direkt mit derSchwere ihre Sünde zusammenhängen müsste. Aber es gibtvielleicht eine andere Deutung, die mit der Zahl sieben zutun hat.

Seit uralten Zeiten hat die spirituelle Wissenschaft erkannt,dass sich im Körper des Menschen sieben Energiezentrenbefinden. Diese »Energieräder« werden im Sanskrit chakragenannt. Die Kenntnis der Chakras lässt sich von den frühes-ten Weisheitslehren in Indien über die babylonischen undassyrischen Kulturen bis zur Kultur Ägyptens verfolgen. Vondort gelangte sie in die Traditionen der Hebräer – es gibt zahl-reiche Hinweise auf die siebenfache Struktur der geistigenWelten in den hebräischen heiligen Schriften und Vorstellun-gen. Zwar behaupteten die Hebräer selbst, dieses Wissen alsgöttliche Offenbarung empfangen zu haben, aber es könnte

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genauso gut während ihrer Gefangenschaften in Ägypten undBabylon übernommen worden sein.9

Die hebräische Menora, der siebenarmige Leuchter, spie-gelt diese numerischen und spirituellen Beziehungen: Diesechs Kerzen streben nach oben zur siebten, dem zentralenLicht des Geistes. Für viele zeitgenössische Heiler, die mit densieben Chakras und sieben Ebenen arbeiten, steht diesesBewusstsein der sieben Energiezentren des Körpers im Brenn-punkt der spirituellen Wissenschaft.10

Leider hat die Tatsache, dass Maria Magdalena von densieben Dämonen befreit wurde, dazu geführt, dass man grö-ßere Aufmerksamkeit auf das scheinbare Stigma ihrer Ver-gangenheit (wie Papst Gregor in seiner 33. Homilie erklärt)als auf ihren geläuterten Zustand nach dieser Heilung rich-tete. Erst 1969 hat die Katholischen Kirche offiziell die Be-zeichnung Maria Magdalenas als Hure aufgehoben unddamit ihren Fehler zugegeben – obwohl ihr Bild als reuigeSünderin nicht aus der öffentlichen Lehre der verschiede-nen christlichen Kirchen verschwunden ist. Wie eine kleineDruckfehlermeldung auf den hinteren Seiten einer Zeitungbleibt die Korrektur der Kirche jedoch unbemerkt, währendder anfängliche und irrtümliche Artikel die Leserschaft weiterbeeinflusst.

Aber wir sollten im Gedächtnis behalten, dass Jesus Mariatatsächlich von den sieben Dämonen befreit hat – vielleichtvon jenen Aspekten, die unsere Sicht vernebeln und die Ener-gie in den einzelnen Chakras blockieren können. Vermutlichwar sie dann nicht länger von den Sieben Todsünden besessen– Hoffart, Unkeuschheit, Neid, Zorn, Geiz, Unmäßigkeit undTrägheit. An ihre Stelle sind die entsprechenden Tugendengetreten11 – der Weg wurde nun frei für die »Sieben Jung-frauen des Lichts«12. So gesehen macht ihre Läuterung sie zuder am gründlichsten geheiligten Person im ganzen NeuenTestament. Man braucht sich selbst nur einmal vorzustellen,

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von Vorurteil und altem Groll, dem Nebel der Täuschung,vererbten Hindernissen für die Gesundheit und von allenBegierden vollständig gereinigt zu sein. Nach ihrer Heilungist sie wahrhaft fähig, die geistige Wahrheit in allen Dingen zuerkennen. Sie vermag die Unmenschlichkeit anderer Men-schenwesen ebenso wie die überirdische Schönheit der Leh-ren Jesu zu erkennen. Modern ausgedrückt bedeutet das, dassihr Herz und ihre Energiezentren offen sind.

Am dritten Morgen nach der Kreuzigung glaubt Maria Mag-dalena eine innere Stimme zu hören, die sie zu Jesu Grab ruft.Sie nimmt ihr Salbgefäß mit sich, vielleicht gefüllt mit irgend-einem Öl, das den Toten auf ihrer Wanderung durch dieUnterwelt bis in die Sphären des Geistes helfen sollte. AmGrab begegnet sie Jesus Christus in seinem Auferstehungs-körper. Man kann sich leicht vorstellen, dass sie hier einebedeutende Lehre empfängt, die nur eine Person, aus der allesieben Dämonen vertrieben wurden, erfassen kann.

Die Evangelisten Johannes, Markus und Matthäus berich-ten alle von dieser ersten Erscheinung des auferstandenenChristus für Maria. Der kurze Dialog zwischen Christus undMaria, so wie er im Johannes-Evangelium wiedergegebenwird, hat viele Debatten ausgelöst. Als sie merkt, dass derMann, den sie für den Gärtner gehalten hat, in Wirklichkeitihr Meister ist, spricht sie ihn mit dem vertrauten Ausdruck»Rabbuni« an und will auf ihn zugehen. In der lutherschenÜbersetzung erwidert Jesus darauf: »Rühre mich nicht an!«(Johannes 20,17). Der lateinische Text lautet an dieser Stelle:»Noli me tangere.« Diese Worte sind als Bestätigung dafürverstanden worden, dass Maria Magdalena wegen ihrer Sün-den immer noch mit einem Makel behaftet ist. Mit anderenWorten, manche deuten Jesu Worte als »Halte dich fern vonmir, du befleckte Frau!« Tatsächlich gibt es zahlreiche Sta-tuen mit der Inschrift Noli me tangere, die einen transzen-

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denten Christus darstellen, mit einer Frau, die in der tiefstenScham der Zurückweisung zu seinen Füßen im Staub kriecht.

Wäre Maria Magdalena jedoch wegen ihrer Vergangenheitbefleckt, könnten wir zu dem Schluss kommen, dass JesusChristus kein wirklich effektiver Heiler wäre – dass er seineAufgabe, sie von ihren Dämonen zu reinigen, nicht wirk-lich bewältigt hätte. Wenn wir dagegen die Worte Christi imgriechischen Original betrachten, lassen sie eine andere Deu-tung zu. In »Me mou aptou« wird der Imperativ des Verbs(h)aptein – »befestigen, sich heften an« – benutzt. Eine bes-sere Übersetzung wäre also: »Hänge dich nicht an mich!«oder »Klammere dich nicht an mich!«

Dann lautet der ganze Vers: »Klammere dich nicht anmich, denn ich bin noch nicht aufgefahren zu meinem Vater.«Der zweite Teil dieses Satzes ist der wichtigere – Jesus beziehtsich auf das Wesen des Auferstehungskörpers zwischen demirdischen Körper und dem aufgefahrenen Körper; ein Wesen,das wir uns als eidolon vorstellen können, das heißt als »reineund ideale Erscheinung«.13

Wenn wir die Betonung nicht mehr auf Maria MagdalenasZurückweisung legen, die manche aus Jesu Worten vor demGrab heraushören wollen, und wir darin stattdessen eineBelehrung über die anderen Welten sehen, in denen wir lebenkönnen, dann können wir verstehen, dass diese Worte viel-leicht auf ihre ganz besondere Rolle hinweisen. Sie ist die eine– in ihrem geläuterten Zustand vielleicht die Einzige –, dieChristi Botschaft verkünden darf: »Gehe aber hin zu meinenBrüdern und sage ihnen: ›Ich fahre auf zu meinem Vater undeurem Vater, zu meinem Gott und zu eurem Gott.‹« (Johan-nes 20,17) An diesem Punkt wird sie in den kanonischenEvangelien zum »Apostel der Apostel«, ein Thema, das inden anderen Evangelien (aus Nag Hammadi, in der PistisSophia aus dem dritten Jahrhundert und so weiter) ausge-führt wird.14 Jesus fordert sie eindeutig auf, den anderen Jün-

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gern eine Lehre zu überbringen – den Männern, die bei derKreuzigung nicht unter dem Kreuz zu finden waren, denMännern, die nicht einmal Jesus selbst glaubten, als er ihnenseine Auferstehung ankündigte.

Wissen wir, was sie lehrte? Das Evangelium der MariaMagdalena ist die Hauptquelle für die Lehre, die sie empfan-gen hatte. Jean-Yves Leloups Kommentare machen den Text,dem ein paar wichtige Seiten fehlen, besser verständlich; siegeben dem Text die Bedeutung zurück, die man in anderengnostischen Sammelwerken ignoriert hat. In gewisser Hin-sicht ist diese Lehre, die Maria am Ort der Auferstehungzuteil wurde, die wichtigste von allen.

Die Überlieferung gibt uns ein Bild der letzten Augenblickevon Jesus Christus am Kreuz. Da stehen drei Gestalten zu sei-nen Füßen, drei entscheidende Personen für die Verbreitungseiner Lehren in der Welt (Johannes 19,25): die Mutter Maria,der Apostel Johannes und Maria Magdalena.

Die Mutter Maria wird die zentrale Stellung im Kreis derJünger einnehmen und zu Pfingsten die herabfahrende Ener-gie des spirituellen Feuers bündeln, worauf die vom Geisterfüllten Jünger hinausgehen und den Menschen das Evange-lium verkündigen und predigen, sie bekehren und taufen wer-den. Die so genannte apostolische Nachfolge bedeutet, dasssich das offizielle Christentum von Petrus ausgehend durchdie Folge der Initiationen von Priester zu Priester entwickelthat. Die Mutter Maria als menschliche Ahnin am Anfang die-ser Nachfolgelinie wird zu der geheimnisvollen Gestalt, aufdie die Gläubigen all ihre verborgenen Nöte projizieren. DieTradition der Nachfolge, jener spirituelle Strom, der mit derjungfräulichen Geburt Christi begann, konzentriert sich aufdie äußere Arbeit der Kirche, auf die Verbreitung der GutenBotschaft der Evangelien, auf Missionierung und Bekehrung,um andere Menschen von dieser Sache zu überzeugen.

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Der zweite Gestalt, Johannes, wird Mutter Maria währendihrer letzten Jahre nach Ephesus begleiten, wird dort Bischofund wird zuletzt auf die Insel Patmos verbannt, wo er zusam-men mit seiner Version der Evangeliumsgeschichte eine ge-waltige Offenbarung empfängt und niederschreibt. Man kannall die Johannesfiguren, einschließlich Johannes dem Täu-fer, zusammenführen in die mystischen Lehren des ApostelsJohannes und den Weg des Mystizismus, der aus ihnen ent-standen ist.15

Aber können wir feststellen, was heute noch von Maria Mag-dalenas Verbindung zu Jesus Christus und ihrer Anwesenheitunter dem Kreuz lebendig ist? Wir sehen, wie die Apostel dasWerk Jesu in die Welt tragen, aber Magdalena war zu Pfings-ten nicht dabei. Auf der Grundlage unserer Recherchen kön-nen wir uns vorstellen, dass die Missionierung nicht mit ihrerdirekten Erfahrung des Göttlichen in Einklang stand. IhreForm der Weisheit war wohl kein Thema, über das man hättepredigen können. Stattdessen richtet Maria Magdalena ihrenBlick auf die inneren Welten der Initiation.

Für uns ist offensichtlich, dass sie die Vereinigung mit demGöttlichen nicht durch äußeren Pomp und Prunk suchte, son-dern durch Gnosis oder direkte Erkenntnis. Ihr Weg ist derPfad der heiligen Ehe16, die im Herzen vollzogen wird.

Ihr Pfad betont innere Vorbereitung, Introspektion undinnere Transformation. Außerdem könnte sie die Welt desGefühls repräsentieren, denn sie trägt die Sensitivität der Sinn-lichkeit in sich, in der wahren Bedeutung des Worts, indem siedas Göttliche in den Sinnen findet.

Ferner weist die Anwesenheit Marias bei der Kreuzigungund am Grab nicht nur auf ihre Liebe zu Jesus hin, sondernauch auf ihren tröstlichen und vertrauten Umgang mit demTod. Die vielen künstlerischen Darstellungen Magdalenas miteinem Totenschädel legen nahe, dass dies seit langem als Teil

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ihrer Identität betrachtet wurde. Tatsächlich bedeutet Gol-gatha, der Ort, an dem Jesus gekreuzigt wurde, »Schädel-stätte«. Damit wollten visionäre Künstler vergangener Zeitenwohl zum Ausdruck bringen, dass Magdalena mit derSchwelle des Todes vertraut war. Ihr Auftreten mit den spezi-ellen Ölen, mit denen sie Jesus Christus salbte, stellen sie in dieTradition des Isiskults, dessen Priester und Priesterinnen Bal-same benutzten, um die Seele über die Schwelle des Todes zubefördern, während das Bewusstsein im Wachzustand blieb.

Jesus akzeptiert und ermutigt diese Salbung, indem er denanderen Jüngern erklärt: »Sie ist zuvorgekommen, meinenLeib zu salben zu meinem Begräbnis« (Markus 14,8). DieseAussage setzt voraus, dass Jesus weiß, dass Maria sich dessen,was geschieht, auf einer tieferen Ebene bewusst ist als dieanderen Jünger. Natürlich könnten wir uns fragen: »Wer gibtihr eigentlich das Recht, ihn zu salben?« Aber wir dürfendabei nicht übersehen, dass das Wort christos »der Gesalbte«bedeutet. Wie war es dann möglich, dass die Christen diePriesterin des Salbungsrituals in eine dunkle Ecke verdrängthaben?

Nachdem Maria ihn gesalbt hatte, sprach Jesus zu den Jün-gern: »Wahrlich ich sage euch: Wo dies Evangelium gepredigtwird in aller Welt, da wird man auch das sagen zu ihremGedächtnis, was sie jetzt getan hat« (Markus 14,9). Wie ist esdann möglich, dass all die Christen ihr Andenken nicht bewah-ren und ehren, obwohl ihr aller Meister so klar darauf hin-gewiesen hat? Warum kennen die meisten sie nur als die reuigeHure und nicht als die Person, die sie mit größerer Wahr-scheinlichkeit zu sein scheint – eine zelebrierende Priesterin miteiner tiefen Einsicht an der Schwelle zur geistigen Welt?

In den Geschichten und Legenden von Maria Magdalena las-sen sich Hinweise auf das finden, was sie heute für uns bedeu-ten könnte: Als Person, die von Sünde gereinigt wurde, die bis

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zu seinem Kreuzestod bei Christus bleibt und erste Zeuginseiner Auferstehung wird, die dieses Geschehen begreift undglaubt, repräsentiert sie ein menschliches Wesen, das fürwahre »innere Erkenntnis« offen und bereit ist, die auf tie-fere, klarere Weise zu »sehen« vermag, dank einer einzigarti-gen spirituellen Verbindung sowohl zum irdischen Tod alsauch zum göttlichen Leben.

In Südfrankreich ist man fest davon überzeugt, dass MariaMagdalena nach dem Chaos, das nach Christi Tod in Jerusa-lem herrschte, mit einer kleinen Schar von Anhängern dort-hin geflohen ist. Sie soll in den Höhlen, die diese ganzeRegion durchziehen, gelebt und eine Art von Clairvoyance –»klares Sehen« – entwickelt haben. Das erlaubte ihr, sich injenem Höhlensystem zu bewegen, ohne Fackeln zu benutzen.Diese Höhlen im Kalkstein jener Region erstrecken sich überHunderte von Kilometern und bilden das ausgedehntesteunterirdische System der Erde. In den Hügeln der SainteBaume nördlich von Toulon gibt es eine große Höhle, in derMaria Magdalena die letzten dreißig Jahre ihres Lebens inenger Verbindung mit diesem verborgenen Teil der Erde ver-bracht haben soll.

Nach einer anderen Legende soll eine Schar von Engeln siejeden Morgen über den Gipfel der Klippen gehoben haben,wo sie dem gesamten Chor der himmlischen Heerscharen,den göttlichen Klängen der ursprünglichen und immerwährenden Schöpfung, lauschen durfte.

David Tresemer und Laura-Lea Cannon

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UNVERKÄUFLICHE LESEPROBE

Jean-Yves Leloup

Evangelium der Maria MagdalenaDie spirituellen Geheimnisse der Gefährtin Jesu

ERSTMALS IM TASCHENBUCH

Taschenbuch, Broschur, 240 Seiten, 11,8 x 18,7 cmISBN: 978-3-453-70092-5

Heyne Spiritualität und Esoterik

Erscheinungstermin: April 2008

Die verbotene Göttin hinter »Gott dem Vater« – eine Reise zur ursprünglichen christlichen Lehre Die weibliche Stimme des Urchristentums: Jahrhundertelang von der Kirche unterdrückt,bringt das verborgene Evangelium der Maria Magdalena Licht in die mysteriöse Frühzeit deschristlichen Glaubens. Es führt zu einer Frau, die die wichtigste spirituelle Vertraute Jesu war –vielleicht sogar seine Gattin, der er seine geheimen Lehren vermittelte. Einer der wichtigsten christlichen Basistexte, der Leben und Lehre Jesu in einem ganz neuenLicht erscheinen lässt.