TEIL II LEHRERHANDREICHUNG „LAMINARE ......192 Einleitung Relativitätstheorie, mit Körpern...

139
TEIL II LEHRERHANDREICHUNG „LAMINARE STRÖMUNGEN, TURBULENZ UND STRUKTURBILDUNG IN FLÜSSIGKEITENEINE UNTERRICHTSREIHE FÜR DIE GYMNASIALE OBERSTUFE UND DIE LEHRERAUSBILDUNG

Transcript of TEIL II LEHRERHANDREICHUNG „LAMINARE ......192 Einleitung Relativitätstheorie, mit Körpern...

  • TEIL II

    LEHRERHANDREICHUNG„LAMINARE STRÖMUNGEN, TURBULENZ UND

    STRUKTURBILDUNG IN FLÜSSIGKEITEN“

    EINE UNTERRICHTSREIHE FÜR DIE GYMNASIALE OBERSTUFE

    UND DIE LEHRERAUSBILDUNG

  • 1 EINLEITUNG

    Wirbel aller Größenordnungen, in Luft und in Wasser, üben auf den Menschen eine besondere

    Faszination aus. Besonders Wirbelstürme - Hurrikans und Tornados - stehen in jüngster Zeit

    ganz oben auf der Hitliste, wenn man das Medieninteresse als Indikator nehmen darf. Aber

    auch kleinräumigere Strömungen wie Wirbelströmungen in Bächen, in Flüssen, am Meer,

    laden durch ihre Vielgestaltigkeit zur genaueren Betrachtung ein.

    Obwohl in unserem Alltag immer gegenwärtig, findet sich das Thema „Strömungen“ in kaum

    einem Lehrplan oder Schulbuch. Ein Grund mag das hohe mathematische Niveau des Themas

    sein, das die Grenzen der Schulmathematik schnell übersteigt. Aber gerade dieser Zwang, auf

    eine ausführliche mathematische Bearbeitung verzichten zu müssen, kann auch eine Chance

    für den Physikunterricht bedeuten, wenn man sich mehr mit den Konzepten befasst, die hinter

    der mathematischen Theorie stecken. So besteht die Möglichkeit, dass auch Schülerinnen und

    Schüler mit geringeren mathematischen Fähigkeiten wieder mehr Interesse am

    Physikunterricht finden.

    In der Wissenschaft erhielt die Strömungsdynamik durch die Wiederentdeckung der nicht-

    linearen Dynamik neuen Auftrieb - entdeckt wurde sie schon Anfang dieses Jahrhunderts

    durch den französischen Mathematiker Henri Poincaré. Die meisten „Paradebeispiele“ der

    nichtlinearen Dynamik stammen aus der Hydrodynamik, wie z.B. die turbulenten Strömungen,

    das Wettergeschehen, das Lorenz-, das Bénard- und das Taylorsystem.

    Aus diesem Grund nähert sich die vorliegende Unterrichtsreihe der nichtlinearen Dynamik

    von der Strömungsphysik her. Dabei gehen traditionelle und hochaktuelle, z.T. noch nicht

    vollständig erforschte Gebiete der Hydrodynamik ineinander über.

    Die Linearisierung ist in der Physik ein wichtiges und erfolgreiches Hilfsmittel, um Phäno-

    mene berechnen und abschätzen zu können. Die Lernenden sollten allerdings auch die

    Grenzen der Näherungen kennen lernen und erkennen, dass natürliche Systeme nichtlinear

    sind.

    Wie kaum ein anderes Thema bietet die Hydrodynamik die Möglichkeit, über Modellbildung

    in der Physik und die damit verbundene eingeengte Sichtweise zu diskutieren. Begriffspaare

    wie „ideal - real“ oder „linear - nichtlinear“ werden von verschiedenen Seiten beleuchtet.

    Die nichtlineare Dynamik ist ein populäres Thema, dem ein großes öffentliches Interesse zu-

    teil wird und anhand dessen die Lernenden sehen, dass die Physik kein fertiges Wissenschafts-

    gebäude ist, sondern ständig ausgebaut wird. Diese Erkenntnis motiviert viele Lernende. Sie

    sehen, dass es in der Gegenwart und sicher auch in der Zukunft noch grundsätzlich Fragen an

    die Physik gibt, die es zu klären gilt.

    Ein weiterer wichtiger Aspekt spricht für die nichtlineare Dynamik: Sie befasst sich nicht, wie

    die Quantenmechanik in der Schule, mit mikroskopisch kleinen Objekten oder, wie die

  • 192 Einleitung

    Relativitätstheorie, mit Körpern großer Abmessungen oder großer Entfernungen, sondern mit

    Systemen, deren Größe mit den menschlichen Sinnen erfasst werden kann.

    Ein besonderer Schwerpunkt dieser Unterrichtsreihe liegt auf der Interdisziplinarität des

    Themas: Anwendungen und Beispiele aus der Meteorologie, der Medizin, der Technik und

    der Kunst zeigen die Relevanz der Naturwissenschaften für die verschiedensten Bereiche der

    Lebenswelt der Schülerinnen, Schüler und Studierenden. Sie können die Fähigkeit erwerben,

    das Gelernte auf andere Gebiete anzuwenden, lernen allerdings auch die vorläufigen Grenzen

    der Theorie kennen. Die Strömungsdynamik eignet sich wie nur wenige Themen in der Physik

    für einen „Blick über den Tellerrand“.

    Handhabung der Unterrichtsreihe

    Konzipiert wurde diese Unterrichtsreihe für die Jahrgangsstufen 12 oder 13. Die Reihe um-

    fasst insgesamt etwa 30 Unterrichtsstunden, was in etwa der Stundenzahl des Leistungskurses

    13/2 in Hessen entspricht. Diese 30 Stunden wurden in sechs Blöcke à fünf Unterrichts-

    stunden aufgeteilt. Dabei ist der Zeitaufwand für Klassenarbeiten, Tests o.ä. noch nicht

    berücksichtigt.

    Die Blöcke sind so aufgebaut, dass sie auch einzeln unterrichtet werden können. Nicht alle

    Themenblöcke benötigen die mathematischen und physikalischen Vorkenntnisse der Jahr-

    gangsstufen 12 oder 13. So ist z.B. der erste, zweite oder vierte Themenblock und Teile des

    fünften Themenblocks ohne weiteres auch schon in der 11. Jahrgangsstufe unterrichtbar. Da in

    der Unterrichtsreihe Begriffe und Modelle aus der Mechanik wiederholt und in einem

    erweiterten Kontext angewendet werden, können einige Teile dieser Reihe dazu dienen, in der

    11. Jahrgangsstufe der technischen Gymnasien das Wissen der Schülerinnen und Schüler, die

    aus verschiedenen Schultypen stammen, auf einen einheitlichen Stand zu bringen.

    Bewährt hat sich diese Unterrichtsreihe auch im Rahmen der Lehrerausbildung. Sowohl Lehr-

    amtsstudierende für Gymnasien, als auch für Haupt- und Realschulen können geeignete

    Themen für ihren späteren Unterricht auswählen und gemeinsam diskutieren. Die große An-

    zahl einfacher Versuche regt die Studierenden an, diese auch in anderem Rahmen, z.B. für

    Projektwochen, für Mitmachausstellungen oder zu Tagen der offenen Tür einzusetzen.

    Jeder Themenblock beginnt mit einer Tabelle der einzelnen Unterrichtsschritte sowie der ge-

    planten Versuche und Demonstrationen. Alle benötigten Materialien sind aufgelistet. Im Text

    sind die Versuche, Demonstrationen, Filme usw. kursiv und fett gedruckt. Die Experimente

    sind so geplant, dass die Materialien in der Schulsammlung oder im Haushalt vorhanden sein

    müssten, einige sind in Heimwerkermärkten oder in Schreibwarenläden preiswert erhältlich.

    Welche Versuche als Schüler- und welche als Demonstrationsversuche im Unterricht

    eingesetzt werden, hängt von der Ausstattung der Schule ab. Prinzipiell sind fast alle

    Versuche als Schülerversuche durchführbar.

  • 1 Einleitung 193

    Das Thema „Strömungen“ erzwingt die ausführliche Darstellung der Themenblöcke, da in der

    Lehrerausbildung die Hydrodynamik üblicherweise nicht gelehrt wird. Auch in Schulbüchern

    und allgemeinen Lehrbüchern der Physik wird dieses Gebiet (noch) rudimentär behandelt, vor

    allem ohne Berücksichtigung der neuesten Forschungsergebnisse. Die Fachliteratur zu den

    ausgewählten Themen ist sehr weit gestreut und wird mathematisch schnell anspruchsvoll.

    Aus diesen Gründen wurde für die Unterrichtsreihe eine Form gewählt, die es den Lehrenden

    erlaubt, sich selbst ohne großen Aufwand einzuarbeiten und im Idealfall den Unterricht 1:1 zu

    übertragen. Um eine aufwendige Literatursuche zu ersparen, sind in einigen Themenblöcken

    längere Originalzitate enthalten. Um den Rahmen nicht vollständig zu sprengen, wurde auf

    ausführliche methodische Angaben verzichtet, da diese von den Rahmenbedingungen des

    Unterrichts abhängen und so im Ermessen des Lehrenden liegen.

  • 3 DIE THEMENBLÖCKE DER UNTERRICHTSREIHE

    3.1 Themenblock „Wirbel“

    Schritte Materialien

    1. Wirbelstürme

    � Wie unterscheidet sich ein Hurrikanvon einem Tornado oder einerZyklone?

    � HurrikansNamensgebungAufbauEntstehungStrömungen im HurrikanDas Auge des HurrikanZugbahnenSteigt durch die Klimaänderung dieWirbelsturmhäufigkeit?

    � TornadosEntstehungAufbauTornados in Deutschland

    Zeitungsausschnitte und Satellitenbilderaus dem Internet. Adresse von meteosat:http://www.uni-karlsruhe.de/~bh28/metbest.html

    Demonstrationen zur Corioliskraft:Drehtisch, Kreide, verschiedenfarbigeVektorpfeile aus Pappe, Globus oder auf-blasbare Weltkugel

    evtl. Video

    2. Wie Wirbel entstehen

    � Wie unterscheidet sich eine rotierendeFlüssigkeit von einem rotierendenFestkörper?

    � Hohlwirbel

    � Die Helmholtzschen Wirbelsätze

    Versuch „Wasserwirbel“: 2-Liter-Becherglas, Magnetrührer, Tinte, Pipette,Streichholzköpfe, Kreisel

    Alternativversuch „Tornado-Rohr“: 2Plastikcolaflaschen, Verbindungsstück„Tornadorohr“ (Physikboutique, Pf: 1852,85318 Freising) oder Gartenschlauch(Innendurchmesser: 2,5 cm), ¾ “ Dich-tungsring, Konfetti, Streichholzköpfe

    Versuch „Ringe in Luft“: Wirbeltrommeloder selbstgebaute Wirbeltrommel ausEspressodose oder Blumentopf, Plastik-tüte, Gummiringe

    Rauchmacher: Salzsäure und Ammoniakoder Zigarette

    Versuch „Ringe in Wasser“: Schüssel(möglichst weiß oder aus Glas), Pipette,Kalium-Permanganat-Lösung

    Versuch „Kaskade“: mind. 50 cm hohesGlas, Tinte, Pipette

    Versuch „Helmholtz-Wirbel“: Schüsselwie oben, Tinte, Löffel

  • 198 3 Die Themenblöcke der Unterrichtsreihe

    3.1.1 Wirbelstürme

    VORBEMERKUNGEN

    Schon seit geraumer Zeit haben Wirbelstürme in den Medien Hochkonjunktur, noch nie war

    das Thema so aktuell. Der Grund für dieses Interesse ist die erhöhte Häufigkeit und Zerstö-

    rungskraft mit der diese Stürme auftreten: So wurden z.B. im Jahr 1995 19 tropische Wirbel-

    stürme, davon 11 Hurrikans allein im Atlantik registriert (Mündliche Auskunft von Herrn

    Pöttger, Wetteramt Hamburg). Diese Anzahl ist weit überdurchschnittlich und wurde nur im

    Jahr 1933 mit 21 Wirbelstürmen übertroffen.

    Verschiedene öffentliche und private Fernsehsender strahlten in letzter Zeit Wissenschafts-

    sendungen zum Thema „Wirbelstürme“ aus. Ein weiterer Grund für die Popularität des

    Themas ist der Spielfilm „Twisters“ von Steven Spielberg, der sich auf spektakuläre Art und

    Weise mit Tornados befasst und dadurch ein sehr großes Publikum, vor allem Jugendliche er-

    reicht. Zusätzlich sind in verschiedenen populärwissenschaftlichen Zeitschriften Artikel zum

    Thema erschienen, die zum Teil sehr aufwendige Schaubilder und herausragende Foto-

    graphien zeigen. Diese Artikel sind gut verständlich und eignen sich ausgezeichnet für

    Referate und Hausarbeiten (z.B. SNOW 1984; DAVIS-JONES 1996; MILLER 1987; JACOB

    1993; NASH 1996).

    Zusätzliche Literatur zur Wirbelentstehung und zum Wirbelaufbau: SCHADE 1980; FABER

    1995; ACHESON 1990.

    LEHR- UND LERNZIELE

    Die Schülerinnen, Schüler und Studierenden sollen

    � verschiedene Wirbelsturmarten unterscheiden lernen, um Berichte in den Medien einord-

    nen zu können.

    � angeregt werden, einzeln oder in Gruppen zu recherchieren. Zu diesem Thema existiert

    eine Materialfülle, von den Printmedien über das Internet bis zu Fernsehübertragungen.

    � die Entstehungsbedingungen und den Aufbau von Wirbelstürmen kennen lernen.

    � mögliche Zusammenhänge zwischen Klimaänderungen und dem gehäuften Auftreten von

    Wirbelstürmen erkennen.

  • 3.1 Themenblock „Wirbel“ 199

    AUSFÜHRUNG

    Wie unterscheidet sich ein Hurrikan von einem Tornado oder einer Zyklone?

    Hurrikan/ Taifun Tornado Zyklone/ Tiefdruck-

    gebiete

    Erscheinungsgebiete Hurrikan: Amerika,

    Karibik, Golf von Mexiko.

    Willy-Willy/ Zyklon:

    Australien.

    Taifun: Asiatischer Raum

    (China, Japan, Philippinen).

    In allen Teilen der Erde.

    Am häufigsten in den Great

    Plains, die von Texas bis

    Kanada reichen.

    Tief- und Hochdruckgebiete

    in mittleren Breiten.

    Entstehungsbedingungen Bilden sich über warmen

    Ozeanen.

    Mindestwassertemperatur:

    26°C.

    Ab dem 10. Breitengrad.

    Bilden sich über Land,

    wenn kalte, trockene über

    warme, feuchte Luftmassen

    strömen, d.h. z.B. in

    Gewitterwolken.

    Können sich aus Hurrikans

    bilden.

    Durchmesser ca. 500-1000 km. ca. 50-500 m. mehrere 1000 km.

    Lebensdauer mehrere Tage. wenige Stunden. mehrere Tage bis Wochen.

    Durchschnittliche Wind-

    geschwindigkeit

    bis zu 300 km/h. bis zu 500 km/h. ca. 80 km/h.

    Tabelle 1.1: Charakteristika von Hurrikan, Tornado und Zyklone

    Hurrikans und Taifune

    Diese Wirbelstürme besitzen die gleichen Erscheinungsbilder: Es handelt sich um Wirbel mit

    großem Querschnitt, deren Durchmesser zwischen 500 km und über 1000 km liegt. Da sie in

    verschiedenen Gebieten der Erde auftreten, ist ihre Bezeichnung ortsabhängig: Wirbelstürme,

    die sich über dem Atlantik, vor allem über dem Golf von Mexiko und der Karibik bilden,

    werden Hurrikans genannt. Taifune entstehen über dem Stillen Ozean, vor allem vor China,

    Japan oder den Philippinen. In Australien nennt man die Wirbelstürme „Willy-Willies“ oder

    „Zyklone“, während man in anderen Gebieten der Erde Tief- und Hochdruckgebiete als

    Zyklone bezeichnet.

    Das Wetteramt in Hamburg zählt Winde ab Windstärke 8 (70 km/h) zu den „tropischen Stür-

    men“, erst ab Windstärke 12 (ab ca. 120 km/h) werden sie „Hurrikan“ genannt.

    Die Bezeichnung „Hurrikan“ stammt von dem indianischen Wort für Sturm „huracan“ ab,

    Taifun vom chinesischen Begriff „tai fung“, übersetzt „Wind der schlägt“.

  • 200 3 Die Themenblöcke der Unterrichtsreihe

    Die Namensgebung für Hurrikans erfolgt nach Alphabet: Hurrikans, die im Laufe eines

    Jahres auftreten, erhalten Namen in alphabetischer Reihenfolge. Die Namenslisten werden

    schon lange vorher festgelegt. Bis 1970 wurden nur Mädchennamen vergeben, seither werden

    männliche und weibliche Namen abgewechselt.

    Hurrikans, Taifune und Zyklonen können nur in einem ganz begrenzten geographischen Be-

    reich entstehen und zwar ungefähr zwischen dem 10. und dem 15. Grad nördlicher und süd-

    licher Breite. Dort sind die Meere warm genug, um die Wirbelstürme mit Energie zu ver-

    sorgen. In der direkten Umgebung des Äquators, unterhalb des 5. Breitengrads, können sich

    keine Wirbelstürme ausbilden, da in diesem Gebiet die „Corioliskraft“, die die Winde auf eine

    Spiralbahn zwingt, zu gering ist.

    Wie ist ein Hurrikan aufgebaut?

    Das Internet erlaubt es, im Unterricht aktuelle Satellitenauf-

    nahmen von Wirbelstürmen einzusetzen. Sie erhalten Auf-

    nahmen von Meteosat unter folgender Adresse:

    http://www.uni-karlsruhe.de/~bh28/metbest.html.

    In den meisten Satellitenaufnahmen werden geographische

    Grenzen eingezeichnet, so daß mit ihrer Hilfe die Größe eines

    Wirbelsturms abgeschätzt werden kann.

    Abbildung 1.1 zeigt den Hurrikan Emily vor der Ostküste der

    USA am 31. August 1993. Sowohl das wolkenfreie Auge in

    der Sturmmitte, als auch die Drehrichtung des Wirbels ist

    deutlich erkennbar. Die eingezeichneten Linien stellen die Grenzen der Bundesstaaten

    Virgina, North- und South-Carolina dar, mit deren Hilfe die ungefähre Ausdehnung des

    Hurrikans bestimmt werden kann: Sein Durchmesser beträgt ca. 600 km, der des wolkenfreien

    Auges ca. 80 km.

    Wie entsteht ein Hurrikan oder Taifun?

    Voraussetzungen für die Entstehung eines Hurrikans:

    1. Die Corioliskraft muss groß genug sein, damit ein Wirbel entsteht.

    2. Die Meerestemperatur muss über 26°C liegen.

    3. Auf Meereshöhe muss ein Tiefdruckgebiet, eine sog. Konvergenzzone, vorhanden sein.

    Bei allen großräumigen Strömungen in der Atmosphäre, wie der Ausbildung von Hoch- und

    Tiefdruckgebieten und Wirbelstürmen, aber auch bei Strömungen in Gewässern, spielt die

    Corioliskraft eine bedeutende Rolle.

    Luftmassen in der Atmosphäre strömen immer von Gebieten hohen Luftdrucks zu Gebieten

    niedrigen Drucks. In einem unbeschleunigten Bezugssystem wäre die Bahn der Luftteilchen

    Abb 1.1: Hurrikan „Emily“ NOAA-

    Satellitenaufnahme 31.8.1993

  • 3.1 Themenblock „Wirbel“ 201

    geradlinig. Die Erde aber ist ein rotierendes, also beschleunigtes Bezugssystem. Sie dreht sich

    mit konstanter Geschwindigkeit. Durch die Rotation ändert jedes bewegte Teilchen auf der

    Erde ständig die Richtung und erfährt damit eine Beschleunigung. Wo eine Beschleunigung

    auftritt, muss eine Kraft wirken.

    Demonstration: Drehtisch oder -schemel langsam rotieren lassen und mit einem Stück Kreide

    in direkter Linie von außen nach innen oder von innen nach außen zeichnen.

    Für Beobachter außerhalb des rotierenden Bezugssystem ist die Bahn der Kreide eine Gerade

    zur Schemelmitte oder von der Mitte zum Rand. Die gezeichnete Kreidespur zeigt aber eine

    Linie, die von der Geraden abweicht und an der Schemelachse vorbeiführt. Der Schemel dreht

    sich unter der Kreide hindurch.

    Übertragen auf eine Luftströmung heißt das: Auf der Nordhalbkugel wird sie im Laufe ihrer

    Bewegung relativ zur Windrichtung nach rechts abgelenkt. Die Kraft, die die Luftströmung

    senkrecht zur Windgeschwindigkeit und senkrecht zur Drehachse beschleunigt, ist die sog.

    „Corioliskraft“. Auf der Südhalbkugel wird die Luftströmung dementsprechend nach links

    abgelenkt.

    a vc � �2� �sin Coriolisbeschleunigung� �

    ��

    a v

    a

    c

    c

    � �

    � = Winkelgeschwindigkeit der Erde

    v = Relativgeschwindigkeit des bewegten Körpers

    � = Winkel zwischen � und v = geographische Breite

    � am Äquator: � = 0 =>sin � = 0 => Fc = 0

    � an den Polen: � = 90° =>sin � = 1 => Fc = maximal

    Nordhalbkugel: Ablenkung nach rechts

    Südhalbkugel: Ablenkung nach links

    Abb 1.2: Zur Corioliskraft

    Der Sinusterm beschreibt die Abhängigkeit der Corioliskraft von der geographischen Breite:

    Am Äquator verschwindet die Corioliskraft, da die Richtung der Strömungsgeschwindigkeit

    und die Drehrichtung der Erde zusammenfallen. An den Polen stehen Geschwindigkeit und

    Drehrichtung senkrecht aufeinander, die Corioliskraft wird maximal.

    Demonstration:

    Anhand eines Globus oder einer aufblasbaren Weltkugel kann die Abhängigkeit der Coriolis-

    kraft von der geographischen Breite demonstriert werden. Verschiedene farbige Vektorpfeile

    symbolisieren die Vektoren. Die Variation des Winkels zwischen der Relativ- und der

  • 202 3 Die Themenblöcke der Unterrichtsreihe

    Winkelgeschwindigkeit mit der Änderung des Breitengrads wird bei einem dreidimensionalen

    Modell sehr viel deutlicher als an der Tafel. Noch einprägsamer wird die Rechts- und

    Linksablenkung demonstriert, wenn man den Globus oder eine beliebige Kugel um ihre Achse

    rotieren lässt und, ähnlich wie beim Drehschemel, mit einem Stift geradlinig über die

    Oberfläche zeichnet.

    Weshalb sind die Luftwirbel auf der Nordhalbkugel linksdrehend, wie die meteosat-Auf-

    nahme in Abbildung 1.3 zeigt? Die vom Hoch- zum Tiefdruckgebiet strömende Luft wird

    durch die Corioliskraft relativ zur Strömungsrichtung nach rechts abgelenkt. Sie strömt also

    zunächst am Zentrum des Tiefdruckgebiets vorbei. Der niedrige Druck im Zentrum sorgt aber

    dafür, dass die Luftmassen abgelenkt werden und spiralig ins Tiefdruckgebiet einströmen. Es

    entsteht auf der Nordhemisphäre ein linksdrehender, auf der Südhemisphäre dementsprechend

    ein rechtsdrehender Wirbel.

    Strömungen im Hurrikan

    In Abbildung 1.4 symbolisieren die schwarzen Pfeile feuchte und warme Luftmassen, die in

    ein Tiefdruckgebiet auf Meereshöhe einströmen.

    Da sie wärmer und damit weniger dicht sind als

    die Luft in höheren Schichten, steigen sie nach

    oben. Dabei strömen die warmen, wasser-

    dampfreichen Luftblasen durch kühlere Schichten,

    der Wasserdampf kondensiert und es regnet.

    Wenn gasförmiges Wasser in die flüssige Phase

    übergeht, wird Kondensationswärme frei. Diese

    Energie beschleunigt die Luft noch weiter, in

    Höhen bis zu 15 km. In diesen großen Höhen

    fließt die nun trockene Luft nach außen ab.

    Abb. 1.3: Linksdrehender Wirbel auf der Nordhemisphäre

    Abb 1.4: Strömungen in einem Hurrikan

  • 3.1 Themenblock „Wirbel“ 203

    Währenddessen strömt immer mehr warme Meeresluft in niedrigen Schichten zum Zentrum

    nach und steigt dort spiralig auf. Die „Maschinerie“, die den Wirbelsturm antreibt, ist ange-

    worfen. Ihre Energiequelle ist die Wärmeenergie der einströmenden Luft.

    Meteorologen haben abgeschätzt, dass die kinetische Energie eines Hurrikans etwa 1010 kWh

    beträgt. Im Vergleich liegt die kinetische Energie der Atombombe, die Nagasaki zerstörte, mit

    etwa 107 kWh um drei Größenordnungen niedriger (BATTAN 1961).

    Das Auge des Hurrikans

    Das Zentrum des Hurrikans mit einem

    Durchmesser von bis zu 100 km wird

    „Auge“ genannt. Das Auge ist ein Tief-

    druckgebiet. Der niedrige Druck bewirkt,

    dass von großen Höhen trockene Luft ein-

    gesogen wird, die bis auf Meereshöhe

    absinkt. In Abbildung 1.4 ist diese absin-

    kende Luft durch weiße Pfeile dargestellt.

    Da die in der Luft enthaltenen Wasser-

    tröpfchen beim Absinken in wärmere La-

    gen verdunsten, ist das Auge wolkenlos.

    Im Auge kann der Druck um bis zu 10%

    des Normaldrucks erniedrigt sein. Dieser Wert entspricht in etwa den Schwankungen des

    Drucks bei einem Wetterwechsel oder dem Druckunterschied zwischen Meereshöhe und 800

    Höhenmeter. Unter der Annahme, dass der Normaldruck dem Druck einer Wassersäule von

    10 m Höhe entspricht, hat die Erniedrigung des Drucks im Auge des Hurrikans um 1/10 des

    Normaldrucks zur Folge, dass der Wasserspiegel im Auge um 1m steigt. Gemeinsam mit

    starken Winden, die außerhalb des Auges wüten, können hohe Wellenberge entstehen. Sie

    verursachen vor allem in tiefliegenden Gebieten wie den Anrainerstaaten um den Golf von

    Bengalen verheerende Überschwemmungen. So ertranken 1991 während eines Hurrikans in

    Bangladesh 138.000 Menschen.

    Auf dem Land bietet das Auge eine Ruhepause nach und vor den schweren Stürmen. Ein

    Augenzeuge berichtet: „Dann folgten einige Stunden atemloser Windstille. Sie schienen an-

    zudeuten, dass der Wirbelsturm vorübergezogen sei. Die Sturmpause dauerte drei Stunden.

    Die unnatürliche, nur gelegentlich von Nieselregen gestörte Ruhe barg die Vorahnung einer

    drohenden Gefahr in sich. Da noch keine Windänderung eingetreten war, machten sich die

    Erfahrenen auf das Schlimmste gefasst.“(BATTAN 1961; TANNEHILL 1954)

    Abb 1.5: Niederschlagsverteilung in einem Hurrikan

  • 204 3 Die Themenblöcke der Unterrichtsreihe

    Zugbahnen

    Hurrikans bilden sich in tropischen Gebieten

    und ziehen dann in höhere Breiten. Die

    genauen Bahnen lassen sich nicht

    vorhersagen, aber im statistischen Mittel

    bewegen sich die Hurrikans mit den

    Hauptwinden, wie den Passaten und dann

    den Westwinden in höheren Breiten

    (Abbildung 1.6). Feuchtwarme Meeresluft

    hält die Hurrikans am Leben. Sobald sie

    kältere Regionen erreichen, verwandeln sie

    sich in gewöhnliche Tiefdruckgebiete, die

    dann in unseren Breitengraden für heftigen

    Regen mit starken Winden sorgen. Bei den Herbststürmen im Oktober 1996, die vor allem an

    der Küste von Cornwall in Großbritannien, aber auch in Deutschland wüteten, handelte es sich

    z.B. um Ausläufer des Hurrikans „Lily“.

    Wenn der Hurrikan in niedrigeren Breiten auf Land trifft, kann er verheerende Schäden an-

    richten. Allerdings schwächt er sich an Land ab, da er von seiner Energiequelle, der feuchten

    Meeresluft, abgeschnitten ist. Auch die erhöhte Reibung an Land sorgt für eine zusätzliche

    Abschwächung.

    Steigt durch die Klimaänderung die Wirbelsturmhäufigkeit?

    In diesem Jahrhundert nahm die globale Durchschnittstemperatur um 0,3° bis 0,7°C zu. Auch

    die Meere erwärmten sich in den letzten 40 Jahren um 0,4° bis 0,6°C. So gering diese Werte

    scheinen, so verheerend können die Auswirkungen sein, denn der Wasserdampfgehalt über

    dem Pazifik stieg durch die globale Erwärmung um 20%, in Äquatornähe sogar um 30%. Das

    hat zur Folge, dass sich dadurch die Bereiche, in denen Hurrikans entstehen können, um 15%

    vergrößerten.

    Modellrechnungen besagen, dass neben der Häufigkeit auch die Stärke der Wirbelstürme mit

    der Erwärmung zunehmen kann. Jedes Jahr wächst der Kohlendioxidausstoß um 0,5%. Ver-

    schiedene Prognosen besagen, dass bei Verdoppelung des Kohlendioxidausstoßes die Stärke

    von Orkanen um das 1,5-fache steigt. So werden für 27°C warmes Wasser Maximal-

    geschwindigkeiten von ca. 280 km/h berechnet, für 34°C warmes Wasser allerdings schon

    Maximalgeschwindigkeiten von 380 km/h. Die Anzahl der Wirbelstürme würde sich nach

    diesen Klimamodellen mehr als verdoppeln (Persönliche Mitteilung Prof. Schönwiese, Uni-

    versität Frankfurt/M., JACOB 1993).

    Andere Modelle gehen nicht von einer erhöhten Wirbelsturmhäufigkeit aus, da sich neben den

    tieferen Schichten der Atmosphäre auch die höheren Schichten erwärmen und es damit zu

    keinen relevanten Druckunterschieden kommt.

    Abb 1.6: Zugbahnen der Hurrikans von 1887 bis 1923

    (LILJEQUIST 1994, 296)

  • 3.1 Themenblock „Wirbel“ 205

    Tornados

    Mit 50 - 500 m haben Tornados einen um drei Größenordnungen geringeren Durchmesser als

    Hurrikans. Dadurch sind die geschädigten Landstriche räumlich begrenzter als bei Hurrikans

    oder Taifunen. Beispielsweise ist es möglich, dass ein Tornado nur die Häuser auf einer

    Straßenseite zerstört, während die Häuser der anderen Seite unversehrt bleiben. Allerdings

    sind die Windgeschwindigkeiten eines Tornados mit bis zu 500 km/h wesentlich höher als die

    eines Hurrikans. Dadurch sind die Schäden in den kleinen betroffenen Gebieten meist

    verheerender.

    Tornados entstehen auf Land und treten sehr viel häufiger auf als Hurrikans. Allein im Mai

    1995 wurden in den USA 484 Tornados gezählt. Dabei wurden 16 Menschen getötet. Der

    Sachschaden betrug mehrere Millionen Dollar (SNOW 1995).

    Neben den hohen Windgeschwindigkeiten verursacht auch der niedrige Druck im Zentrum des

    Tornados die hohen Schäden. Wenn z.B. ein Tornado über Gebäude fegt, fällt der Druck

    schlagartig um etwa 10%. Im Gegensatz zum Wirbelsturminneren herrscht in den Gebäuden

    ein Überdruck, sie „explodieren“ regelrecht. Von Augenzeugen wurde berichtet, dass

    Fensterscheiben durch den Druckunterschied nach außen gebogen und der Vorhang durch den

    Unterdruck nach außen gesogen wurde. Nachdem der Tornado vorbeigezogen war, sprang die

    Scheibe wieder auf ihren alten Platz zurück und klemmte dabei den Vorhang ein.

    Wie entsteht ein Tornado?

    Voraussetzungen für die Entstehung eines Tornados:

    1. Die Atmosphäre muss instabil geschichtet sein.

    2. Es müssen Scherströmungen auftreten.

    Tornados entstehen im Gegensatz zu Hurrikans auf dem Festland. Sie können in allen Erd-

    teilen auftreten, am häufigsten werden sie aber im sog. „Tornadogürtel“, der von Texas über

    Kansas und Illinois nach Kanada reicht, gezählt.

    Tornados können, ähnlich wie Hurrikans nur dann entstehen, wenn warme, feuchte Luft in

    den unteren Lagen unter kalter, trockenerer Luft geschichtet ist. In den zentralen Regionen der

    USA ist diese Voraussetzung besonders häufig erfüllt: Vor allem im Frühjahr treffen hier

    polare Luftmassen auf feuchtwarme tropische Luft. Warme Luft steigt auf und bildet riesige

    Gewitterwolken. In den Aufwinden dieser Gewitter können Tornados entstehen.

    Welche Kräfte die Luftmassen beim Tornado auf eine Sprialbahn lenken, ist immer noch nicht

    vollständig geklärt. Viele Quellen behaupten, die Aufwinde würden wie beim Hurrikan durch

    die Corioliskraft auf eine Spiralbahn gezwungen. Dagegen spricht jedoch die Beobachtung,

    dass etwa jeder zehnte Tornado im Uhrzeigersinn läuft, während sich die anderen wie

    Hurrikans zyklonal, d.h. im Gegenuhrzeigersinn drehen. Dies deutet darauf hin, dass die

    Rotation eine andere Ursache haben muss.

  • 206 3 Die Themenblöcke der Unterrichtsreihe

    Neuere Untersuchungen gehen davon aus, dass es zwei Mechanismen gibt, die für die

    Rotation der Tornados verantwortlich sind. Beide beruhen auf Scherströmungen der

    auftretenden Winde. Auf die Entstehung von Wirbeln durch Scherströmungen wird im

    nachfolgenden Unterrichtsteil noch genauer eingegangen.

    Scherung durch unterschiedliche vertikale Windgeschwindigkeiten

    Der erste Mechanismus ist in Abbildung 1.7 dargestellt, er geht von vertikalen Winden aus,

    die mit unterschiedlicher Geschwindigkeit strömen: Am Boden wehen sie schwächer als in

    höheren Schichten. Dadurch entsteht ein Wirbelschlauch, der sich um die horizontale Achse

    dreht, ähnlich einem Windrad, das oben stärker angeblasen wird als unten. Starke Aufwinde

    in der Gewitterzone können dann den Wirbelschlauch in die vertikale aufrichten, es entsteht

    eine spiralige Aufwärtsbewegung (SNOW 1995; DAVIES-JONES 1995; NASH 1996).

    Scherung durch unterschiedliche Windrichtungen

    Strömen Winde verschiedener Richtung aneinander vorbei, entstehen an den Grenzflächen

    vertikale Wirbel. Diese Wirbel werden durch die Strömung der Winde, ähnlich wie ein

    Kinderkreisel weiter angetrieben. Im Wirbelschlauch halten sich die Druckkraft im Inneren

    und die Zentrifugalkraft der rotierenden Luftteilchen gerade die Waage, es herrscht ein sog.

    „zyklotrophisches Gleichgewicht“.

    Abb 1.8: Entstehung eines Wirbelschlauchs durch verschiedene Windrichtungen

    Die Luftteilchen bewegen sich nicht in radialer Richtung, es treten von der Seite weder Luft-

    elemente ein noch aus. Lediglich am Boden wird die Luft in den Schlauch gesogen. Hier

    herrscht ein so starker Sog, dass durch den Tornado auch schwere Gegenstände, wie Autos,

    gehoben werden können.

    Abb 1.7.: Entstehung und Aufrichtung eines Wirbelschlauchs

  • 3.1 Themenblock „Wirbel“ 207

    Aufbau eines Tornados

    Tornados besitzen eine ähnliche Struktur wie Hurrikans: Ihr wolkenfreies Auge hat natürlich

    sehr viel kleinere Abmessungen, dennoch ist es vor allem in größeren Tornados durchaus er-

    kennbar. In diesem Auge ist die Windgeschwindigkeit schwach und es können Abwinde in

    Richtung Erde strömen. Allerdings gibt es gerade über die Zentren von Tornados kaum Daten,

    da die Messgeräte die übermäßige Beanspruchung selten überstehen. Die höchsten

    Windgeschwindigkeiten herrschen in einem Ring nahe der Achse.

    Tornados in Deutschland

    Auch in Deutschland können Tornados auftreten.

    So hat z.B. am 10. Juli 1968 im Raum Pforzheim

    ein Tornado größere Schäden angerichtet. Auch

    dieser Tornado hat sich aus Gewitterwolken ge-

    bildet. Die „Meteorologische Rundschau“

    berichtet: „Am späten Abend des 10.7.1968, eines

    ungewöhnlich schwülen Tages, ist ein schwerer

    Tornado über die nördlichen Ausläufer des

    Schwarzwaldes hinweg nach Osten gezogen. ...

    Dass es sich hierbei um einen Tornado gehandelt

    hat, darüber kann kein Zweifel bestehen. Da es

    Nacht war, liegen zwar nur wenige visuelle Beobachtungen vor. Der dunkle Wolkentrichter,

    dessen unterer Teil hin- und herschwankte, wurde zuverlässig von Süden her aus der

    Entfernung von wenigen Kilometern bei fahlem, horizontnahem Mondschein beobachtet. ...

    Da es Nacht war, sind glücklicherweise nur drei

    Menschenleben zu beklagen. Bei Tage hätte es nach

    amtlichen Schätzungen mehrere hundert Opfer

    gegeben; denn Scherben und Splitter flogen wie

    Geschosse durch die Luft. In einem Schulhaus

    stürzte eine Decke ein. Industriebauten wurden

    völlig ausgeblasen. Autos wirbelten durch die Luft;

    eine Betonmischmaschine wurde 80 m weit ge-

    tragen. ... Im Stadtkreis Pforzheim wurden

    insgesamt 1750 Häuser beschädigt, davon 550

    schwer, 600 mittelmäßig, 600 leicht. 6 Häuser

    wurden total zerstört.“ (NESTLE 1969).

    Die Zugstraße des Tornados (Abbildung 1.9) hatte eine Länge von 27 km, die

    Zerstörungsschneise war zwischen 200 m und 600 m breit. Wie bei den meisten Tornados

    Abb. 1.9: Zugstraße des Tornados (NESTLE 1969)

    Abb 1.10: Druckkurve (NESTLE 1969)

  • 208 3 Die Themenblöcke der Unterrichtsreihe

    wurde auch in Pforzheim beobachtet, dass völlig zerstörte Gebiete und völlig unversehrte sehr

    dicht beieinander lagen.

    Das Barometer eines Studiendirektors aus Pforzheim, das zufällig in der Randzone der

    Tornadozugstraße stand, zeichnete die Druckerniedrigung beim Vorbeizug des Tornados auf

    (Abbildung 1.10). Weitere, allerdings schwächere Tornados traten z.B. 1973 in Kiel und 1978

    in Recklinghausen und Schwäbisch Gmünd auf.

    3.1.2 Wie Wirbel entstehen

    VORBEMERKUNGEN

    Wirbel in Wasser oder Luft sind besonders schöne und ansprechende Erscheinungen in der

    Natur. Deshalb steht in diesem Unterrichtsteil zunächst die phänomenologischen Betrachtung

    von Wirbelströmungen im Vordergrund. Es werden Wirbel erzeugt und deren Struktur unter-

    sucht. Die Experimente sind so konzipiert, dass sie mit einfachsten Mitteln auskommen. Auf

    die qualitative Beschreibung von Wirbelströmungen folgt die quantitative mit Hilfe der

    Helmholtzschen Wirbelsätze.

    LEHR- UND LERNZIELE

    Die Schülerinnen, Schüler und Studierenden sollen

    � die Schönheit von Wirbeln in der Luft und im Wasser aufs neue kennen lernen. Beim Ex-

    perimentieren sollen sie den Aufbau und die Entstehung der Wirbel möglichst präzise be-

    obachten und in eigenen Worten beschreiben können.

    � angeregt werden, in ihrer täglichen Umgebung auf Wirbelströmungen zu achten und eigene

    Experimente zuhause durchzuführen.

    � die Helmholtzschen Wirbelsätze als qualitative und quantitative Beschreibung von Wirbeln

    kennen lernen und ihre eigenen Beobachtungen mit dieser Beschreibung in Einklang brin-

    gen.

    AUSFÜHRUNG

    Wie unterscheidet sich eine rotierende Flüssigkeit von einem rotierenden Festkörper?

    Demonstration „Kreisel“: Der Kreisel rotiert als Ganzes, d.h. alle Teile haben einen festen

    Abstand zueinander, seine Form bleibt während der Bewegung erhalten.

  • 3.1 Themenblock „Wirbel“ 209

    Demonstration „Wasserwirbel“: Das

    Becherglas wird mit Wasser gefüllt.

    Wird das Wasser durch Rühren von

    Hand in Rotation versetzt, bringt die

    Reibung die Bewegung schnell zum

    Erliegen. Deshalb wird ein

    Magnetrührer eingesetzt, zunächst mit

    kleinen Drehzahlen, so dass sich die

    Wasseroberfläche nur in der Mitte

    leicht nach unten wölbt. Nach kurzer

    Wartezeit wird ein Tropfen Tinte

    eingeträufelt, der den Wasserwirbel

    allmählich anfärbt und so die Struktur

    des Wirbels sichtbar macht.

    Die Färbung des Wirbels verläuft so

    gemächlich, dass mit dem bloßen

    Auge feinste Strukturen erkennbar

    sind: Zuerst sieht man, dass sich die

    nach unten absinkende Tinte spiralig

    in fein ziselierten Schichten verteilt,

    die aneinander vorbeigleiten. Im

    Zentrum bildet sich rasch eine schlauchförmige Zone mit kleinem Durchmesser aus, die sich

    schneller dreht als die äußeren Flüssigkeitsschichten. Um diesen Wirbelkern verteilt sich die

    Tinte weiter in kreisförmigen Bahnen. Nach einiger Zeit färbt sie auch die äußeren Bereiche

    des Wirbels an. Bei genauem Hinsehen erkennt man, dass sich die Flüssigkeit umso

    langsamer dreht, je weiter sie vom Zentrum entfernt ist.

    Streichholzköpfe als Schwimmer erleichtern die Beobachtung. Die zweifarbigen Köpfe

    können auch als Richtungsanzeiger dienen: Werden sie mit etwas Geschick so in die

    Flüssigkeit gesetzt, dass der Kopf in

    Strömungsrichtung zeigt, behalten sie ihre

    Richtung bei, solange sie sich außerhalb des

    Wirbelkerns bewegen (Abbildung 1.12). Dieses

    Gebiet außerhalb des Kerns nennt man

    „drehungsfreies Wirbelfeld“. Sobald der

    Richtungsanzeiger den Kern erreicht hat, „klebt“

    ein Ende an der Wirbelachse, während das andere Ende um die Achse rotiert. Beim

    Wirbelkern handelt es sich um ein drehendes Wirbelfeld.

    Abb 1.11: Wasserwirbel

    Abb 1.12: Streichholzschwimmer im drehungs-

    freien Wirbelfeld und im Wirbelkern

  • 210 3 Die Themenblöcke der Unterrichtsreihe

    Der schematische Aufbau eines Wirbels ist in Abbildung 1.13 dargestellt: Von der Wirbel-

    achse bis zum Radius a des Wirbelkerns steigt die Geschwindigkeit v an, außerhalb des Kerns

    nimmt sie wieder ab.

    Rotierender Festkörper Rotierende Flüssigkeit

    Behält als starrer Körper seine Form bei. Ändert ihr Aussehen, ihre Gestalt, da Fluidteilchen

    gegeneinander verschoben werden können.

    Alle Elemente rotieren mit der gleichen

    Winkelgeschwindigkeit �.

    Im Wirbelkern rotieren alle Elemente mit der gleichen

    Winkelgeschwindigkeit � (wie ein Festkörper).

    Fluidelemente des Kerns vermischen sich nicht mit der

    umgebenden Flüssigkeit.

    Der Wirbelkern ist ein drehendes Wirbelfeld.

    Außerhalb des Kerns nimmt � ab, am Gefäßrand wird

    � = 0.

    Dieses Gebiet ist ein drehungsfreies Wirbelfeld.

    � �

    v

    r= konstant: Bahngeschwindigkeit v nimmt mit dem

    Abstand vom Zentrum zu.

    Bahngeschwindigkeit v nimmt außerhalb des Wirbelkerns

    mit dem Abstand vom Zentrum ab.

    Tabelle 1.2: Vergleich eines rotierenden Festkörpers mit einer rotierenden Flüssigkeit

    Hohlwirbel

    Wirbeltrichter wie Badewannenwirbel sind wohl die bekannteste Wirbelform im Alltag. Bei

    diesem Wirbel ist der Strömung in konzentrischen Kreisen um die Wirbelachse eine radiale

    Abb 1.13: Querschnitt durch einen Wirbel

  • 3.1 Themenblock „Wirbel“ 211

    Bewegung zur Achse hin überlagert. Um einen Hohlwirbel zu erzeugen, muss lediglich die

    Drehzahl des Magnetrührers erhöht werden. Im Zentrum des Wasserwirbels bildet sich eine

    Luftsäule aus, die am Umlauf unbeteiligt ist. Die Flüssigkeit dreht sich wie ein Rohr um eine

    Achse, dabei zeigt der Wassertrichter eine gleichmäßige spiralige Struktur.

    Alternativversuch „Tornado-Rohr“:

    Hohlwirbel können auch mit Hilfe eines „Tornado-Rohrs“ erzeugt

    werden. Dazu werden zwei möglichst große Getränkeflaschen mit

    Hilfe eines Verbindungsstücks miteinander verbunden, das entweder

    käuflich erworben oder selbst gebastelt werden kann (siehe Mate-

    rialliste).

    Das Verbindungsstück selbst zu basteln ist einfach: Zunächst muss

    der Durchmesser des Flaschenhalses zusätzlich verengt werden, das

    geschieht durch einen Dichtungsring, den man zwischen die Fla-

    schen legt. Bei Bedarf, wenn der Wasserwirbel sich immer wieder

    abschnürt, muss die Öffnung des Rings noch etwas aufgestemmt

    werden. Die Verbindung der Flaschen erfolgt durch ein etwa 4 cm langes Schlauchstück, das

    man über die Flaschenhälse zieht. Vorher muss eine Flasche mit Wasser gefüllt werden.

    Um einen Wirbel zu erzeugen, werden die Flaschen so gedreht, dass die gefüllte auf dem

    Kopf steht und sich in die andere entleert. Um den „Tornado“ zu simulieren, muss das Wasser

    durch kreisförmige Bewegung der Flaschen in Rotation versetzt werden. Es entsteht ein

    Hohlwirbel. Konfetti oder andere Schwebkörper, die ins Wasser gestreut werden, dienen der

    Markierung von Flüssigkeitselementen. Mit ihrer Hilfe kann beobachtet werden, dass die

    Bahngeschwindigkeit zum Zentrum hin rasch zunimmt und die Körper im Zentrum um ihre

    eigene Achse rotieren.

    Die Helmholtzschen Wirbelsätze

    1858 veröffentlichte Hermann Helmholtz die nach ihm benannten Wirbelsätze, die

    Entstehung und Verhalten von Wirbeln beschreiben. Wir beginnen mit dem anschaulichsten

    Teil dieser „Helmholtzschen Wirbelsätze“, der sinngemäß besagt:

    Ein Wirbel hat nie ein freies Ende innerhalb der Flüssigkeit, sondern nur an Grenz-flächen.

    Wirbel enden entweder an der Oberfläche der Flüssigkeit oder an der Gefäßwand, wie z.B. die

    Wasserwirbel in unseren Versuchen oder auch die Badewannenwirbel. Bei Tornados oder

    Hurrikans dient als „freie Oberfläche“ eine stabile Luftschicht, die oberhalb der labilen

    Schicht in über 15 km Höhe liegt. Innerhalb der Flüssigkeit schließt sich der Wirbel zu einem

    Ring zusammen, wie z.B. die Wirbelringe in der Luft, die man durch Rauchpartikel sichtbar

    machen kann:

    Abb 1.14: Tornado-Rohr

  • 212 3 Die Themenblöcke der Unterrichtsreihe

    Versuch „Wirbelringe in Luft“:

    Um solche Wirbelringe in der Luft selbst zu erzeugen,

    benötigt man mindestens einen Raucher, der bereit ist,

    seine Zigarettenpause vorzuverlegen und mit seinem

    Rauch die Luftringe anzufärben. Gesünder, aber auch

    aufwendiger färbt man die Ringe mit einem

    „Rauchmacher“ an, der aus zwei Glaszylindern besteht,

    die durch Glasröhren so miteinander verbunden sind,

    dass Luft zuerst in den ersten Zylinder geblasen wird,

    dann von diesem über den zweiten in den Raum. Wird nun der erste Behälter mit verdünnter

    Salzsäure, der zweite mit Ammoniak gefüllt, so dass die Salzsäure über den Ammoniak

    geblasen wird, erhält man einen zähen Rauch, mit dessen Hilfe Luftwirbel sehr gut sichtbar

    gemacht werden können.

    Eine „Wirbeltrommel“ ist schnell selbst gebaut: In den Boden einer Kaffeedose oder einer

    Waschmitteltrommel wird ein rundes Loch geschnitten, bei einem Blumentopf ist das Loch

    am Boden schon da. Als „Trommelfell“ dient bei der Kaffeedose der Plastikdeckel; Wasch-

    mitteltrommel oder Blumentopf werden mit einer Plastiktüte bespannt.

    Um die Rauchringe zu erzeugen, bläst man Rauch durch das Loch in den Behälter und klopft

    sacht mit der Hand auf die

    Membran. Es entstehen Rauchringe,

    die gemächlich durch den Raum

    schweben. Deutlich erkennbar ist die

    Struktur der Wirbel, es handelt sich

    um filigrane Gebilde, die aus vielen

    konzentrischen, um eine

    kreisförmige Achse rotierenden

    Schichten bestehen.

    Alternativversuch „Wirbelringe in Wasser“:

    Dieser Versuch ist noch weniger aufwendig und gesünder als das Luftwirbelexperiment. In

    eine (möglichst weiße oder Glas-) Schüssel wird Wasser gefüllt. Dann zieht man eine Pipette

    oder Injektionsspritze ohne Nadel mit Kalium-Permanganat-Lösung auf. Diese Pipette legt

    man ins Wasser und drückt, sobald sich das Wasser beruhigt hat, kurz auf den Ballon oder den

    Kolben. Es entstehen kleine Wirbelringe, deren Struktur, Wirbelkern und umgebende kreis-

    förmige Schichten sehr gut sichtbar sind.

    Weil es so schön ist, noch ein Experiment ...

    Abb 1.15: Bauprinzip Rauchmacher

    Abb 1.16: Bildfolge: Entstehung eines Wirbelrings (VAN DYKE

    1982,66)

  • 3.1 Themenblock „Wirbel“ 213

    Versuch „Kaskade“:

    Ein hoher Glasbehälter wird eine mindestens eine halbe Stunde vor der Ver-

    suchsdurchführung mit Wasser gefüllt, damit es zur Ruhe kommen kann. In

    das Wasser träufelt man mit einer Pipette ein Tropfen Tinte. Am Anfang

    bleibt der Tropfen zusammen, er fällt fast wie ein Festkörper. Dann bildet

    sich ein Wirbelring aus, der langsam wächst. Nach einiger Zeit wird der

    Ring instabil, einzelne Segmente lösen sich wie Arme aus dem Ring und

    bilden neue Wirbel, die dann wieder in viele kleine Wirbel zerfallen. Nach

    und nach entsteht also eine ganze Wirbelkaskade. D'Arcy Thompson, ein

    Gestaltforscher, der Anfang dieses Jahrhunderts versuchte, die Formen von

    Lebewesen durch physikalische Analogien, z.B. durch Strömungsformen zu

    erklären, beschreibt die Bewegung wie folgt: "Aus dem sinkenden Tropfen

    entsteht ein vollständiger Wirbelring, er dehnt sich aus und zieht sich zu-

    sammen, er wallt umher, und die absinkenden Schlingen verwandeln sich

    wieder in neue Wirbel ..." Diese Wirbelkaskaden vergleicht D'Arcy

    Thompson mit Quallen und Medusen, deren Gestalt und Form er durch

    solche Wirbelexperimente zu erklären versucht.

    Bei allen diesen Versuchen ist die Ursache der Wirbelentstehung immer die

    unterschiedliche Strömungsgeschwindigkeit zwischen benachbarten Flüs-

    sigkeitsteilchen. Erzeugt wird dieser Geschwindigkeitsunterschied durch den

    fallenden Tropfen in ruhender Flüssigkeit oder durch die Haftung an einem

    umströmten Körper.

    Der äußere Teil der Strömung bleibt zurück, weil die Fluidelemente am Hindernis haften,

    während der innere Teil ungehindert weiterströmt. Durch die Reibung der äußeren Elemente

    des strömenden Fluids an der Umgebungsflüssigkeit bildet sich zunächst ein Farbpilz, dessen

    Ränder sich durch die in der Mitte rasch nachströmende Farbe immer stärker einrollen, der

    Wirbel bildet sich aus. Kurze Zeit haftet er noch am Hindernis, dann löst er sich und wandert

    mit der Strömung.

    Diese Versuche zeigen deutlich: Ohne Reibung in der Flüssigkeit und ohne die Haftung zwi-

    schen Flüssigkeit und Hindernis könnten keine Wirbel entstehen, aber auch keine Wirbel

    vernichtet werden. Genau das ist die Aussage des ersten Helmholtzschen Wirbelsatzes:

    Ohne Reibung können Wirbel weder erzeugt noch vernichtet werden.

    Auch den zweiten Helmholtzschen Wirbelsatz können wir unmittelbar mit unseren Ver-

    suchen bestätigen. Er lautet:

    Die Wirbellinien werden immer aus den gleichen Flüssigkeitselementen gebildet.

    Bis sich die Wirbel durch Diffusion und durch Störungen auflösen, wandert der Wirbel „als

    Ganzes“ durch die umgebende Flüssigkeit. Es tritt weder Flüssigkeit ein noch aus.

    Abb 1.17: Fallen-

    der Tropfen

    (THOMPSON

    1983)

  • 214 3 Die Themenblöcke der Unterrichtsreihe

    Für den dritten Helmholtzschen Wirbelsatz muss etwas weiter ausgeholt und eine neue

    physikalische Größe eingeführt werden: Die „Zirkulation“. Sie ist ein Maß für die Stärke des

    Wirbels.

    Die Einführung der Zirkulation erfolgt ganz analog zu den Wirbelfeldern um stromdurch-

    flossene Leiter. Auch hier entstehen magnetische Feldlinien um den Leiter, die weder Anfang

    noch Ende besitzen. Der in Abbildung 1.13 schematisierte Wirbel beschreibt so auch die

    Feldlinien um einen Leiter: Der Radius des Wirbelkerns entspräche dem des Leiters, die

    Feldstärke H wäre das Analogon zur Bahngeschwindigkeit auf den Stromlinien. Völlig analog

    zum Wasserwirbel nimmt auch die Feldstärke H im Inneren des Leiters zu, während sie

    außerhalb des Leiters wieder abnimmt.

    Zur Berechnung der Zirkulation wird in das

    Geschwindigkeitsfeld der Wirbelströmung oder einer

    beliebigen anderen Strömung eine geschlossene Kurve

    gelegt, die eine beliebige Form haben kann. Diese Kurve

    wird in infinitesimal kleine Teilstücke zerlegt

    (Abbildung 1.18). Jedes dieser Teilstücke symbolisiert

    ein Flüssigkeitselement, das sich mit einer bestimmten

    Geschwindigkeit v bewegt. Für die Zirkulation wird nun

    die Geschwindigkeit in jedem Teilstück mit der Länge

    des Stücks multipliziert und über alle Teilstücke der

    Kurve summiert. D.h. man berechnet das Wegintegral

    über die geschlossene Kurve C:

    Zirkulation � � �� � �

    v r dsc

    ( )

    Berechnung der Zirkulation eines idealisierten Wirbels

    Annahmen:

    � Die Flüssigkeitsteilchen bewegen sich auf konzentrischen Kreisen.

    � Die Bahngeschwindigkeit auf jedem Kreis sei konstant, aber sie variiere von Kreis zu

    Kreis.

    � Einfachste Wegstrecke: Eine der Kreisbahnen um den Kern.

    1. Im Wirbel ist in jedem Teilstück �

    v parallel zu d�

    s . Aus dem Skalarprodukt wird� � � �

    vds v ds vds� �cos�

    �� ���cc

    ds)r(vsd)r(v���

    2. Auf jedem Kreis ist v(r) konstant. v(r) kann vor das Integral gezogen werden.

    � � �v r dsc

    ( )

    Abb 1.18: Kurve im Geschwindigkeitsfeld

  • 3.1 Themenblock „Wirbel“ 215

    3. Das Linienintegral ist gleich dem Kreisumfang.

    r2)r(vrd)r(v

    2

    0

    ����� ��

    Mit v = �r und der Kreisfläche A = �r2, gilt:

    � � �v r r r A( ) ( )2 2� �

    Zirkulation eines Wirbels

    Über die Zirkulation eines Wirbels besagt das 3. Helmholtzsche Gesetz:

    Die Zirkulation für einen beliebigen Weg, der den Wirbelkern einmal umläuft, ist

    konstant.

    � � �2A =konstant

    Dieser Satz findet bei den Wirbelstürmen eine direkte Anwendung: Verjüngt sich die Quer-

    schnittsfläche eines Wirbels, muss sich nach dem 3. Helmholtzschen Satz die Winkel-

    geschwindigkeit erhöhen, damit die Zirkulation erhalten bleibt. Besonders bei Tornados ist

    eine Verringerung des Querschnitts und die damit verbundene Erhöhung der Geschwindigkeit

    gefürchtet, da diese Stürme dadurch besonders zerstörerisch werden.

    Mit Hilfe des 3. Helmholtzschen Wirbelsatzes kann nun auch die in Abbildung 1.13 dar-

    gestellte Bahngeschwindigkeit im Wirbel erklärt werden:

    � Für r < a: � = konstant, mit v = � r gilt: v � r.

    � Für r > a: � = konstant, vr

    ��

    2��

    1

    r.

    Das heißt im Wirbelkern, der wie ein Festkörper rotiert, nimmt die Bahngeschwindigkeit

    proportional mit dem Radius zu, sie wird am Rand des Kerns maximal und nimmt dann

    außerhalb mit 1/r ab. Ein Wirbel mit dieser Geschwindigkeitsverteilung wird „Rankinewirbel“

    genannt.

    Wie bereits gesagt: Die magnetische Feldstärke im Wirbelfeld eines stromdurchflossenen

    Leiters nimmt analog zur Bahngeschwindigkeit beim Wasserwirbel im Inneren des Leiters zu:

    H�r. Außerhalb des Leiters nimmt sie umgekehrt proportional zu r ab: H�1/r.

    In der Originalveröffentlichung seiner Wirbeltheorie formuliert Helmholtz die Wirbelsätze

    wie folgt:

    „Wirbellinien nenne ich Linien, welche durch die Flüssigkeitsmasse so gezogen sind, daß ihre

    Richtung überall mit der Richtung der augenblicklichen Rotationsaxe der in ihnen liegenden

    Wassertheilchen zusammentrifft.

    Wirbelfäden nenne ich Theile der Wassermasse, welche man dadurch aus ihr herausschnei-

    det, dass man durch alle Punkte des Umfangs eines unendlich kleinen Flächenelements die

    entsprechenden Wirbellinien construirt.

  • 216 3 Die Themenblöcke der Unterrichtsreihe

    Die Untersuchung ergiebt nun, dass, wenn für alle Kräfte, welche auf die Flüssigkeit wirken,

    ein Kräftepotential existirt,

    1. kein Wassertheilchen in Rotation kommt, welches nicht von Anfang an in Rotation

    begriffen ist;

    2. die Wassertheilchen, welche zu irgendeiner Zeit derselben Wirbellinien angehören, auch

    indem sie sich fortbewegen, immer zu derselben Wirbellinie gehören bleiben;

    3. dass das Produkt aus dem Querschnitte und der Rotationsgeschwindigkeit eines unendlich

    dünnen Wirbelfadens längs der ganzen Länge des Fadens constant ist und auch bei der

    Fortbewegung des Fadens denselben Werth behält. Die Wirbelfäden müssen deshalb in-

    nerhalb der Flüssigkeit in sich selbst zurücklaufen, oder können nur an ihren Grenzen

    endigen.“ (HELMHOLTZ 1858, 4-5)

    Versuch „Helmholtz-Wirbel“:

    Ganz am Ende seiner Abhandlung beschreibt Helmholtz auch ein

    Experiment: „Ich bemerke noch, dass man diese Bewegung der

    kreisförmigen Wirbelringe in der Natur leicht studiren kann, indem

    man eine halbe eingetauchte Kreisscheibe, oder die ungefähr

    halbkreisförmige Spitze eines Löffels schnell eine kurze Strecke

    längs der Oberfläche der Flüssigkeit hinführt, und dann schnell

    herauszieht. Es bleiben dann halbe Wirbelringe in der Flüssigkeit

    zurück, deren Axe in der freien Oberfläche liegt. Die freie Ober-

    fläche bildet also eine durch die Axe gelegte Begrenzungsebene der

    Wassermasse, wodurch an den Bewegungen nichts wesentliches

    geändert wird.“ (HELMHOLTZ 1858, 37)

    Die Struktur der Wirbelringe ist noch besser zu sehen, wenn die

    Löffelspitze zuvor mit Tinte benetzt wird.

    Vergleich der Zirkulation eines Badewannenwirbels mit der eines Hurrikans

    a. Zirkulation des Wasserwirbels oder eines Wirbels im Waschbecken

    Abstand vom Wirbelzentrum: r � 10 cm

    Zeit für einen Umlauf: T�5s => v = 2�r

    T

    s

    m108

    T

    )r2(

    T

    r2r2r2)r(v

    22

    2�

    ���

    ��

    �����

    b. Zirkulation eines Wirbelsturms

    v = 220 km/h � 60 m/s bei r �70 km, d.h. am Rande des Auges

    � � � � � � � �v r r mm

    s

    m

    s( ) ,2 2 7 10 60 2 6 104 7

    2

    � � . Die Stärke des Sturms beträgt also das

    ungefähr 109-fache der Stärke des Badewannenwirbels.

    Abb 1.19: Wirbelring, zur

    Hälfte eingefärbt (VAN

    DYKE 1982, 44)

  • 3.2 Themenblock „Ideale und reale Flüssigkeiten undStrömungen“

    Schritte Materialien

    1. Ideale Flüssigkeiten und Strömungen.Beispiel: Das hydrodynamische Para-doxon.

    � Vorversuche

    � Modellbildung: Kontinuum und idealeStrömungen

    � Die Kontinuitätsgleichung

    � Druckänderungen längs der Stromlinie.Zwei alternative Herleitungen desBernoullischen Gesetzes

    � Druckänderung senkrecht zur Strom-linie

    � „Fast unzählige“ Anwendungen

    Vorversuche: Papierstreifen, Pappe,Strohhalme

    Versuch Zerstäuber: Strohhalme

    Versuche „... im Spiel“: Löffel, Münze,Glas, Trichter, Tischtennisball

    Versuch „Schiffe“: Spielzeugschiffe,Schüssel, Wasseranschluss mit Schlauch,Faden

    Demonstration „Heul-Rohr“: Heulrohrim Spielwarenhandel erhältlich

    2. Reale Flüssigkeiten und Strömungen

    � Die ViskositätAbhängigkeit von der TemperaturMessung der Viskosität

    � Die Haftbedingung

    � Newtonsche und nichtnewtonscheFluide

    Demonstration „Zähigkeit“: Wasser,Glyzerin, Honig, Motorenöl usw.

    Versuch „Kugelfallviskosimeter“: Stand-zylinder, 2 mm Stahlkugel, zu unter-suchende Flüssigkeiten

    Demonstration „Nichtnewtonsche

    Fluide“ hüpfender Kitt ( z.B. Physik-boutique, Stark Verlag, Pf: 1852, 85318Freising), Slime (Spielwarenläden)

    3.2.1 Ideale Flüssigkeiten und Strömungen am Beispiel des hydro-dynamischen Paradoxons

    VORBEMERKUNGEN

    Dieser Themenblock beginnt mit zwei sehr einfachen, verblüffenden Freihandversuchen,

    deren Erklärungen auf einigen einfachen, aber grundlegenden Gesetzen der Hydrodynamik

    beruhen. Einer der Vorversuche ist das sog. „hydrodynamische Paradoxon“. Paradoxa nehmen

    im Physikunterricht, wie auch in der Physikgeschichte, eine wichtige Rolle ein: Sie regen die

    Lernenden an, einer den eigenen Erwartungen widersprechenden Beobachtung auf den Grund

    zu gehen. Leider existieren in der Physik nur wenige so leicht zugängliche Paradoxa wie das

    hydrodynamische, mit seiner relativ einfachen Erklärung und vor allem seiner Vielzahl von

    Anwendungen im täglichen Leben.

  • 218 3 Die Themenblöcke der Unterrichtsreihe

    Die Gesetzmäßigkeiten dieses Themenblocks basieren ihrerseits auf allgemeinen Überlegun-

    gen zur Modellbildung in der Strömungsphysik, der Einführung des Kontinuumbegriffs und

    des physikalischen Modells einer idealen Strömung.

    Nach der Herleitung der Kontinuitätsgleichung werden zwei alternative Herleitungen der

    Bernoulligleichung vorgestellt. Diese Gleichung erlaubt Aussagen über den Druckverlauf

    längs einer Stromlinie. Die erste Herleitung über die Energieerhaltung ist in den meisten

    Lehrbüchern vertreten und wird deshalb zuerst vorgestellt. Sie hat den Vorteil, dass sie auf

    grundlegenden und in der Schule bekannten physikalischen Gesetzmäßigkeiten beruht und

    mathematisch einfach herzuleiten ist. Ihr Nachteil: Sie verstellt den Blick für den Wirkungs-

    mechanismus, der für die Beschleunigung der Flüssigkeitselemente verantwortlich ist. Dies

    kann die zweite Herleitung über die Eulerschen Gleichungen leisten, die die Gesetze der

    Newtonschen Dynamik für Fluide formulieren. Sie besitzt auch den Vorteil, daß sie den Weg

    für die Untersuchung der Druckänderungen senkrecht zur Stromlinie ebnet, die bei ge-

    krümmten Stromröhren auftreten.

    Diese grundlegenden Gesetzmäßigkeiten erlauben die Erklärung vieler Strömungsphänomene

    aus dem Alltag, die im weiteren Verlauf vorgestellt werden. Dieser Themenblock lebt von den

    verschiedenen einfachen Versuchen, die mit einem Minimum an Aufwand nachgemacht wer-

    den können und den zahlreichen Beispielen aus dem Alltag. Erfahrungsgemäß fallen den

    Lernenden selbst eigene Beispiele ein.

    Weitere Experimente und Beispiele, vor allem in Hinblick auf den aerodynamischen Auftrieb,

    wurde von WELTNER mehrfach veröffentlicht (z.B. WELTNER 1997, WELTNER 1990).

    LEHR-UND LERNZIELE

    Die Schülerinnen, Schüler und Studierenden sollen

    � die Möglichkeit der Beschreibung von Flüssigkeiten und Gasen im Rahmen einer gemein-

    samen Theorie kennen lernen.

    � die ideale Strömung als vereinfachtes Modell erkennen und sich anhand dieses Beispiels

    die Bedeutung des Modellbegriffs in der Physik vergegenwärtigen.

    � die Anwendbarkeit der bekannten Energie- und Impulserhaltungssätze aus der Mechanik

    auf Strömungsphänomene erkennen.

    � die resultierenden Gleichungen auf einfache Versuche anwenden können.

    � eigene Anwendungsbeispiele aus dem Alltag finden können.

  • 3.2 Themenblock „Ideale und reale Flüssigkeiten und Strömungen“ 219

    AUSFÜHRUNG

    Vorversuche:

    1. Ein Streifen Papier wird so vor den Mund gehalten, daß er sich vor dem Mund wölbt und

    dann lose nach unten hängt. Nun wird kräftig über das Papier geblasen.

    Überraschenderweise wird der Papierstreifen nach oben gesogen.

    Abb. 2.1: Vorversuch (KORNECK et al. 1995)

    2. Aus nicht zu dünner Pappe oder Bierdeckeln werden zwei gleiche Kreise mit je ca. 10 cm

    Durchmesser ausgeschnitten. Eine Scheibe wird in der Mitte mit einem Loch versehen,

    dessen Durchmesser so groß sein sollte, dass ein dicker Trinkhalm hindurchpasst. Der

    Halm wird an einem Ende in das Loch eingeklebt. Nun werden die beiden Scheiben

    übereinander auf die flache Hand gelegt und fest durch den Halm geblasen. Während des

    Blasens kann jetzt die untere Scheibe losgelassen werden, ohne dass sie fällt. D.h. die

    untere Scheibe wird nicht, wie vielleicht erwartet, weggeblasen, sondern angesogen. Es

    muss also neben dem durch das Ausströmen auf die Fläche ausgeübten Druck, dem sog.

    Staudruck noch eine zweite, entgegengesetzt gerichtete Kraft geben, die hier überwiegt.

    Diesen Effekt nennt man das „hydrodynamische Paradoxon“. Genaugenommen müsste

    man hier, da es sich bei dem strömenden Medium um Luft handelt, vom „aerodynamischen

    Paradoxon“ sprechen. Das Experiment gelingt genauso mit Wasser und danach wurde das

    Experiment auch benannt. Welche Gesetzmäßigkeit steckt hinter diesen Phänomenen?

    BEGRIFFLICHER UND THEORETISCHER HINTERGRUND

    Was ist ein Modell in der Physik?

    Um ein physikalisches Phänomen zu erklären, muss man sich immer zuerst überlegen, welche

    physikalischen Größen und Stoffeigenschaften für die Erklärung notwendig sind und welche

    begründet ignoriert werden können. Das heißt, man muss sich ein Modell bilden.

    Ohne Modelle wäre die Physik nicht so erfolgreich. Allerdings muss man sich immer im kla-

    ren sein, dass ein Modell die Realität nur in beschränktem Maß beschreibt. Deshalb können

    sich Modelle auch als ungeeignet erweisen und müssen verworfen oder modifiziert werden.

  • 220 3 Die Themenblöcke der Unterrichtsreihe

    Das bedeutet, dass die Grenzen des gewählten Modells immer im Auge behalten werden müs-

    sen.

    Für die Erklärung der Vorversuche wird die strömende Luft idealisiert:

    Annahmen:

    1. Das beobachtete Medium ist ein Kontinuum.

    2. Die Strömung ist „ideal“.

    Was ist ein Kontinuum?

    Jedes Gas und jede Flüssigkeit besteht aus sehr vielen Teilchen, nämlich aus ca.

    6,022 � 1023 Teilchen pro Mol. Da wir aber die Flüssigkeit oder das Gas makroskopisch be-

    trachten, d.h. in einem Maßstab, der sehr viel größer ist als die Abmessungen einzelner Mole-

    küle, erscheinen sie zusammenhängend. Deshalb wählt man ein physikalisches Modell, in

    dem nicht das Verhalten der einzelnen Moleküle eine Rolle spielt, sondern lediglich das

    statistische Durchschnittsverhalten innerhalb eines gewählten Flüssigkeitselements. In einem

    solchen Modell ist der Stoff ein „Kontinuum“.

    Ideale Strömungen

    Hier handelt es sich, wie der Name schon sagt, um eine Idealisierung, die physikalisch nicht

    zu realisieren ist. Trotzdem ist das Modell der idealen Fluide für viele Fälle angebracht, wie

    z.B. bei der Betrachtung der Phänomene, die anfangs vorgestellt wurden.

    Eigenschaften idealer Fluide:

    � Reibungsfreiheit, d.h. zwischen zwei parallel zueinander bewegten Flüssigkeitsschichten

    treten keine Kräfte auf. Daher können nach den Helmholtzschen Wirbelsätzen (1. Themen-

    block) Wirbel weder entstehen noch vernichtet werden.

    � Inkompressibilität, d.h. die Dichte ist unabhängig vom Druck.

    Diese Annahme gilt für alle Flüssigkeiten und auch für Gase, solange deren Strömungsge-

    schwindigkeit 1/3 der Schallgeschwindigkeit nicht überschreitet.

    Auch die Temperatur und damit die Dichte kann in der gesamten idealen Strömung als

    gleichbleibend vorausgesetzt werden.

    DRUCKÄNDERUNGEN UND BESCHLEUNIGUNGEN - DREI ELEMENTARE GLEICHUNGEN DERHYDRODYNAMIK

    1. Die Kontinuitätsgleichung

    Zur Herleitung der Kontinuitätsgleichung betrachtet man eine Flüssigkeit, die durch ein Rohr

    strömt. Der Rohrquerschnitt verengt sich im Verlauf des Rohres.

  • 3.2 Themenblock „Ideale und reale Flüssigkeiten und Strömungen“ 221

    Folgende Annahmen sollen für die Flüssigkeit und die Strömung gelten:

    � Die Flüssigkeit strömt reibungsfrei und füllt das Rohr ganz aus.

    � Die Strömung ändert sich nicht mit der Zeit. D.h. die Strömungsbewegung ist stationär.

    � Während des Strömungsprozesses fließt Materie weder zu noch ab.

    Die Flüssigkeit im Rohr legt, je nach Querschnitt, in der Zeit t verschieden lange Wege zu-

    rück:

    s1 = v

    1t s

    2 = v

    2t

    Das Volumen, das durch die Querschnitte strömt, erhält man mit: V = As

    V1 = A

    1s

    1V

    2 = A

    2s

    2

    Wegen der Inkompressibilität muss in einer bestimmten Zeit das gleiche Volumen durch den

    großen und den kleinen Querschnitt fließen:

    V1 = V2

    A1v

    1t = A

    2v

    2t

    v

    v

    A

    A1

    2 1

    2�

    Dies ist die Kontinuitätsgleichung. Sie ist mit m=�V und �=konstant eine besondere Form

    des Prinzips der Massenerhaltung.

    Aus der Kontinuitätsgleichung folgt also: Für diese Geometrie verhalten sich die Strömungs-

    geschwindigkeiten umgekehrt proportional zu den Querschnittsflächen.

    Anwendungsbeispiele:

    1. Autoverkehr: Unter der Annahme, dass auch der Autostrom inkompressibel sei, d.h. der

    Abstand zwischen den Autos immer gleich bleibt, muss bei einer Fahrbahnverengung von

    zwei auf eine Spur die Fahrgeschwindigkeit verdoppelt werden, damit die gleiche Auto-

    menge passieren kann. In der Praxis aber wird die Geschwindigkeit aus vielen guten Grün-

    den verlangsamt.

    Abb. 2.2: Zur Kontinuitätsgleichung

  • 222 3 Die Themenblöcke der Unterrichtsreihe

    2. Blutkreislauf: Durch eine Arterie mit 0,6 cm Durchmesser fließt Blut mit der Strömungs-

    geschwindigkeit von 10 cm /s. Wegen einer Arterienverkalkung ist der Radius der Blut-

    bahn an einer Stelle auf 0,4 cm verringert.

    Wie groß ist dann die Strömungsgeschwindigkeit in der Verengung?

    v vA

    A

    cm

    s

    cm

    cm

    cm

    s2 11

    2

    2

    210

    0 3

    0 222 5� � � �

    ( , )

    ( , ),

    d.h., wenn sich der Durchmesser um 1/3 verringert, würde die Strömungsgeschwindigkeit

    um mehr als das Doppelte ansteigen, wenn man für den Blutkreislauf eine ideale Strömung

    annimmt.

    2. Druckänderungen längs einer Stromlinie - Zwei alternative Herleitungen desStrömungsgesetzes von Bernoulli

    a. Herleitung über den Energiesatz

    Nach der Kontinuitätsgleichung ist die Strömungsgeschwindigkeit im engeren Querschnitt A2

    höher als im weiteren Querschnitt A1

    vA

    Av v A2

    1

    21 1 1� � � v wenn A2 2,

    Die Flüssigkeit wird an der Verengung beschleunigt.

    Mit Hilfe des Prinzips der Energieerhaltung ist der Druckunterschied zwischen dem engen

    und dem weiten Rohrabschnitt berechenbar: Wird das Flüssigkeitsvolumen, wie in Abbildung

    2.2 dargestellt, von A1 bis A1’ verschoben, muss Arbeit W1 gegen den Druck p1 an der Stelle

    A1’ geleistet werden.

    W F s p A s p V1 1 1 1 1 1 1� � �

    Im engeren Rohrabschnitt ist die Arbeit durch Verschieben dementsprechend W2.

    W F s p A s p V2 2 2 2 2 2 2� � �

    Diese Energieterme werden Druckenergie genannt.

    Die Differenz zwischen den Druckenergien W1 und W2 an den verschiedenen Stellen der

    Röhre wird verwendet, um die Flüssigkeit an der Engstelle zu beschleunigen.

    W W W p p V� � � �1 2 1 2( ) .

    An dem verschobenen Volumen wird Arbeit verrichtet, die kinetische Energie nimmt zu:

    � �W W W V v vkin kin� � � �2 11

    222

    12

    � .

    Unter der Annahme, dass die Strömung keinen Höhenunterschied überwinden muss, bleibt die

    potentielle Energie der Strömung gleich. Auch die innere Energie bleibt längs der Strömung

    unverändert, wenn sich die Temperatur der Flüssigkeit nicht ändert, d.h. weder geheizt noch

    gekühlt wird.

  • 3.2 Themenblock „Ideale und reale Flüssigkeiten und Strömungen“ 223

    Durch Gleichsetzen der Druck- und der Bewegungsenergie und Kürzen des Volumens V

    erhält man das Strömungsgesetz von Bernoulli (1738):

    p v p v1 12

    2 22

    � � �1

    2

    1

    2� �

    Eges1

    = Eges2

    Dabei ist p der „statische Druck“, der nach allen Seiten gleichmäßig wirkt und 1

    2�v2 der

    „dynamische Druck“ oder auch „Staudruck“, der nur in Strömungsrichtung wirkt.

    Nach dem Gesetz von Bernoulli ist also längs einer Stromlinie die Summe aus dem statischen

    Druck und dem dynamischen Druck überall gleich:

    konstantv2

    1p 2 ���

    Je größer die Strömungsgeschwindigkeit, desto kleiner ist der statische Druck an dieser Stelle.

    An Engstellen ist somit der statische Druck geringer als an weiten Stellen (HEYWANG et.al.

    1978; BOHL 1991, 81).

    b. Herleitung über die Eulerschen Gleichungen

    Welche Kräfte bestimmen die Bewegung eines Flüssigkeitselements?

    � Äußere Kräfte Fä

    � Reibungskräfte Fr

    � Druckkräfte Fp

    � Trägheitskräfte Ft

    Wie bereits erwähnt, untersuchen wir das einfachste physikalische Modell einer Strömung:

    Eine stationäre Strömung ohne Reibung und äußere Kräfte (z.B. die Schwerkraft). Deshalb

    beschränkt sich die Kräftebilanz auf die Trägheitskraft und die Druckkraft:

    Ft=Fp

    Mit dem Ortsvektor r des Fluidelements ist dessen Trägheitskraft gleich

    Ft=dm dv

    dt=dm��r .

    Die Beschleunigung ��r des Fluidteilchens wird nun in

    eine Komponente längs und eine Komponente quer der

    Stromlinie zerlegt (Abbildung 2.3).

    Zunächst wird nur die Komponente ��s der Beschleu-

    nigung längs der Stromlinie betrachtet:

    Damit das Flüssigkeitsteilchen beschleunigt wird,

    muss der Druck auf einer Seite höher sein als auf der

    anderen. Unter der Annahme, dass der Druck in s-

    Abb. 2.3: Komponenten der Beschleunigung

    längs und quer zur Stromlinie

  • 224 3 Die Themenblöcke der Unterrichtsreihe

    Richtung abnimmt, ergibt sich folgende Bilanz:

    dm ��s = -A(p+dp) +Ap

    Mit ��s =dv

    dt ergibt sich

    dm dv

    dt= -Adp.

    Dabei ist dp die Druckänderung in s-Richtung.

    Mit dm =�A ds und durch Umformen der Gleichung kann diese integriert werden:

    �dv

    dtds = - dp

    � dvds

    dtdp� ���

    Es ergibt sich das Strömungsgesetz von Bernoulli:

    2 22

    12

    1 2( )v v p p� � �

    Oder in der bekannten Formulierung:

    p v p v1 12

    2 22

    � � �1

    2

    1

    2� �

    konstantv2

    1p 2 ���

    3. Druckänderungen senkrecht zur Stromlinie

    Wie bereits erwähnt, gilt das Strömungsgesetz von Bernoulli nur für Druckänderungen längs

    der Stromlinie. Ist aber die Bahn des Flüssigkeitsteilchens - wie in Abbildung 2.3 - gekrümmt,

    muss auf der Teilchenoberseite ein höherer Druck herrschen als auf seiner Unterseite, damit es

    der gekrümmten Bahn folgt. Unter den gleichen Voraussetzungen wie in 2.b gilt für die

    Kräftebilanz in z-Richtung:

    dm ��z = A(p+dp) -Ap.

    Allgemein wird ein Teilchen, das sich auf einer Bahn mit dem Krümmungsradius R bewegt,

    radial nach innen beschleunigt:

    ��zv

    R�

    2

    Mit dm =�A dz

    dmv

    R

    2

    = A(p+dp) -Ap

    �A dz v

    R

    2

    =Adp

    �v

    R

    dp

    dz

    2

  • 3.2 Themenblock „Ideale und reale Flüssigkeiten und Strömungen“ 225

    Aus dieser Gleichung ist erkennbar, dass gekrümmte Stromröhren Druckänderungen

    senkrecht zu den Stromlinien aufweisen. Je höher die Strömungsgeschwindigkeit und je

    kleiner die Krümmung der Stromröhre, desto größer ist die Druckänderung. In einer

    gekrümmten Stromröhre herrscht außen ein höherer Druck als innen. Bei geraden Stromlinien,

    d.h. für R� � ist die Druckverteilung über den Querschnitt der Strömung gleich (dp

    dz� 0)

    (WELTNER 1997; BOHL 1991, 90). Diese Komponente der Teilchenbeschleunigung tritt nur

    dann auf, wenn Hindernisse in der Strömung gekrümmte Stromlinien erzwingen. Dadurch

    entstehen Druckänderungen senkrecht zur Bahn und, je nach Form der Umströmung, Unter-

    und Überdruckgebiete.

    Im folgenden werden, wie beispielsweise im zweiten Vorversuch, Strömungen vorgestellt, die

    Engstellen passieren müssen. Dabei bleiben die Stromlinien aber im wesentlichen geradlinig.

    Hier können die Druckdifferenzen in der Strömung durch das Gesetz von Bernoulli erklärt

    werden. Sobald aber gekrümmte Stromlinien auftreten, muß die Druckänderung senkrecht zu

    den Stromlinien zur Erklärung herangezogen werden. Der erste Vorversuch ist ein Beispiel für

    dieses Erklärungsmuster:

    Die Erklärung des ersten Vorversuchs

    Jetzt kann man das Anheben des Papierstreifens im ersten Vorversuch erklären: Vor dem

    Mund wölbt sich das Papier zu einem „Buckel“. Bläst man dieses Hindernis an, folgt die

    Strömung unter bestimmten Bedingungen der Form des Hindernisses, ohne sich zu verwir-

    beln. Es entstehen gekrümmte Stromlinien (vergleiche Abbildung 2.3) und damit Druck-

    änderungen senkrecht dazu. In großer Entfernung oberhalb, sowie unterhalb des Papiers

    herrscht Normaldruck, während aufgrund der umgelenkten Strömung der Druck von außen

    nach innen abnimmt und deshalb über dem Papier Unterdruck herrscht. Das Papier wird nach

    oben, zu diesem Gebiet geringeren Drucks hinbewegt. Der Papierstreifen erfährt einen dyna-

    mischen Auftrieb.

    Die Erklärung des zweiten Vorversuchs

    Wird durch den Trinkhalm geblasen, strömt die Luft durch den

    Halm, wird durch die untere Scheibe umgelenkt und strömt

    sternförmig nach außen.

    Den Zwischenraum zwischen den Scheiben kann man sich aus

    Zylindermänteln aufgebaut vorstellen, mit nach außen immer

    größer werdenden Radien. Sie werden von der Strömung durch-

    flossen. Wegen der Kontinuitätsgleichung muss die Strömungs-

    geschwindigkeit nach außen hin abnehmen.

    Dementsprechend nimmt der Druck zwischen den Scheiben gemäß dem Gesetz von Bernoulli

    nach außen hin zu. Am äußersten Zylindermantel entspricht er dem Atmosphärendruck.

    Abb. 2.4: Zwischen parallel

    zueinander stehenden

    Scheiben wird Luft geblasen

  • 226 3 Die Themenblöcke der Unterrichtsreihe

    Das Unterdruckgebiet sorgt dafür, dass die untere Scheibe nicht weggeblasen wird. Der Unter-

    druck kompensiert nicht nur die Gewichtskraft der Scheibe, sondern auch den im Querschnitt

    des Halms herrschenden Überdruck, der durch das direkte Anblasen der Scheibe entsteht

    (NEUNASS 1967, 75).

    FAST UNZÄHLIGE ANWENDUNGEN ...

    ... in der Technik

    Wasserstrahlpumpe: Abbildung 2.5 zeigt das vereinfachte Prinzip

    einer Wasserstrahlpumpe, die in der Technik häufig eingesetzt wird,

    z.B. in Vergasern von Ottomotoren. Man benötigt ein Rohr, das sich

    in seinem mittleren Teilstück verengt. An der verengten Stelle wird

    ein Steigrohr angebracht, das senkrecht in einem Flüssigkeitsbehälter

    hängt, aus dem die Flüssigkeit nach oben gepumpt werden soll.

    Strömt nun Flüssigkeit durch das waagrechte Rohr, muss nach der

    Kontinuitätsgleichung die Strömungsgeschwindigkeit in der Ver-

    engung zunehmen. Dementsprechend sinkt der Druck in der Flüs-

    sigkeit von p1 auf p2 an der Engstelle.

    Durch eine geeignete Wahl von Strömungsgeschwindigkeit und

    Rohrdurchmesser kann ein Druck p2 an der Engstelle erreicht werden,

    der geringer ist als der Außendruck p0. Dieser Unterdruck bewirkt,

    dass die Flüssigkeit im Steigrohr nach oben gepumpt wird.

    Zerstäuber: Der Zerstäuber ist nach einem ähnlichen Prinzip aufgebaut

    wie die Strahlpumpe, allerdings ragt hier das Steigrohr als Hindernis in

    eine freie Strömung. Mit einem einfachen Versuch kann man das

    Prinzip des Zerstäubers demonstrieren (Abbildung 2.6):

    Versuch „Zerstäuber“:

    Ein Trinkhalm wird in zwei Teile geschnitten, die senkrecht zueinander gehalten werden. Ein

    Teil des Halms dient als Steigröhrchen, der zweite Teils als Zerstäuber. Mit ihm wird

    senkrecht über die Öffnung des im Wasser stehenden Halms geblasen. Das Anblasrohr wird

    dabei so gehalten, dass sich die obere Kante des Steigrohrs in der Mitte des anströmenden

    Luftstrahls befindet. Auf diese Weise muss die Strömung um das Steigrohr als Hindernis

    ausweichen. Es entstehen gekrümmte Stromlinien und dadurch ein Unterdruck über der

    Steigrohröffnung. Die Flüssigkeit steigt aus dem Behälter nach oben und wird zerstäubt.

    Schornstein: Bei Schornsteinen wird der durch gekrümmte Stromlinien entstehende Unter-

    druck ebenfalls ausgenutzt: Der Kamin ragt als Hindernis in die Luftströmung und zwingt

    diese auf gekrümmte Bahnen. Dadurch entsteht über seiner Öffnung ein Unterdruckgebiet, das

    dafür sorgt, dass der Rauch besser abzieht.

    Abb. 2.5: Vereinfachtes

    Prinzip einer Strahl-

    pumpe

    Abb. 2.6: Zerstäuber aus

    Strohhalmen

  • 3.2 Themenblock „Ideale und reale Flüssigkeiten und Strömungen“ 227

    Natürlich ist der eben beschriebene Mechanismus nicht allein für das Abziehen des Rauchs

    zuständig. Vielmehr wird der Haupteffekt beim Schornstein durch den Temperaturunterschied

    zwischen dem Rauch und der Umgebungsluft erzielt. Auch kann bei den eben beschriebenen

    Phänomenen nicht davon ausgegangen werden, dass die Strömung tatsächlich reibungsfrei

    und laminar ist: In einer realen Strömung können Wirbel oder gar Turbulenz entstehen. In

    erster Näherung ist diese einfache Erklärung gültig.

    ... in der Biologie

    Turmspinnen: Einige Tierarten

    nutzen durch Strömungen verän-

    derte Druckverhältnisse aus. Ein

    Beispiel ist die mit der Tarantel

    verwandte Turmspinne. Sie lebt in

    Gebieten mit wüstenähnlichem

    Klima in röhrenförmigen Höhlen.

    Diese Höhlen sind etwa 30 cm

    tief, vertikal in Sand oder lockeres

    Erdreich gegraben. Den Ausgang

    der Röhre bildet ein Krater, der etwa einen Zentimeter hoch über dem Erdboden aufragt.

    Dieser „Turm“ besteht aus Sand, Erde, Pflanzenresten und Spinnfäden. Die linke Zeichnung

    in Abbildung 2.7 zeigt einen solchen Turm. Streicht Wind an dem Kraterausgang vorbei, wird

    die Strömung auf gekrümmte Bahnen gezwungen und es entsteht am Kraterausgang ein

    Unterdruck. Aus der Röhre wird Luft herausgesogen. Zum Ausgleich tritt nun Luft durch die

    poröse Erde in die Höhle. Dieses Prinzip hat neben der Sauerstoffversorgung einen weiteren

    wichtigen Vorteil: Da die Spinne in sehr heißen Gebieten lebt, würde ihre Höhle den Tag über

    austrocknen. Dies wird durch den ständigen Zufuhr an, durch den Erdboden gekühlter,

    feuchter Luft verhindert.

    Präriehund: Eine andere Tierart, die Druckunterschiede ausnutzt, ist der Präriehund, der in

    Nordamerika beheimatet ist. Präriehunde leben in etwa 15 m langen, tunnelförmigen Erd-

    höhlen mit zwei unterschiedlich geformten Ausgängen (siehe rechte Zeichnung in

    Abbildung 2.7). Ein Ausgang ist von einem hohen, konisch zulaufenden Ringwall umgeben,

    der andere Ausgang ist niedriger und flach. Die Form der unterirdischen Gänge ist ungünstig

    für eine Sauerstoffversorgung durch Wärmekonvektion. Der Sauerstoffvorrat, der durch Kon-

    vektion in die Höhle gelangt, reicht nicht einmal aus, um den Bedarf eines Tieres zu decken.

    Da aber mehrere Präriehunde gemeinsam in einer Höhle leben, muss die Sauerstoffversorgung

    durch ein anderes Prinzip gewährleistet sein. Dies geschieht, ähnlich wie bei der Turmspinne,

    durch Druckunterschiede an den beiden Ausgängen: Streicht Wind über die Ausgänge der

    Höhle, muss er den erhöhten Ausgang als Hindernis umströmen. Es entstehen gekrümmte

    Abb. 2.7: Bauten von Turmspinne und Präriehund (VOGEL 1979)

  • 228 3 Die Themenblöcke der Unterrichtsreihe

    Stromlinien und damit am erhöhten Ausgang ein Unterdruckgebiet. Der Druck am höher-

    liegenden Ausgang ist niedriger als der Druck am flachen Höhlenausgang. Es entsteht eine

    Strömung vom Gebiet des höheren Drucks zum Gebiet niedrigeren Drucks, der Bau wird be-

    lüftet. Es reicht eine sehr geringe Windgeschwindigkeit aus, um die Luft im Bau innerhalb

    weniger Minuten auszutauschen. Die Belüftung ist unabhängig von der Windrichtung, die

    Luft strömt im Bau immer von der Stelle des höheren zur Stelle des niedrigeren Druckes.

    Wird die Strömung durch Rauch sichtbar gemacht, sieht man, dass dieser immer aus dem

    höheren der beiden Ausgänge steigt.

    ... im Spiel

    Versuch „Münze ins Glas blasen“:

    Eine möglichst leichte, großflächige Münze wird auf eine Tischplatte in der Nähe der Tisch-

    kante gelegt. Diese Münze soll nun durch Blasen in ein gekipptes Glas gehoben werden. Wird

    stark genug horizontal über die Münze geblasen, muss die Strömung um das Hindernis

    ausweichen und es entsteht durch die gekrümmten Stromlinien ein Unterdruckgebiet über der

    Münze. Ist die Münze einmal ein kleines Stück hochgehoben, kann die Luft auch unter die

    Münze strömen. Mit etwas Glück und einem langen Atem kann sie nun in das Glas

    „geblasen“ werden.

    Versuch „Tischtennisball im Trichter“:

    Ein Tischtennisball kann in einem auf dem Kopf stehenden Trichter gehalten werden, wenn

    stark in die enge Öffnung des Trichters geblasen wird. Der Ball dient als Hindernis im Luft-

    strom, der durch die Verengung zwischen Ball und Trichterwand hindurchströmt. Durch das

    Ausweichen der Strömung entstehen gekrümmte Stromlinien und damit ein Unterdruck, der

    den Ball im Trichter hält.

    Versuch: „Löffel im Wasserstrahl“:

    Ein Kaffeelöffel wird, nach unten hängend, locker in die Hand genommen. Nähert man den

    Löffel vorsichtig der Oberfläche des fließenden Wasserstrahls, kann man beobachten, dass die

    Löffelfläche in den Wasserstrahl gezogen und im Strahl gehalten wird.

    ... unterwegs

    Schirm: Wenn man mit einem Regenschirm bei stürmischem Wetter spazieren geht, kann es

    passieren, dass der Schirm umgestülpt wird. Der Wind streicht mit einer hohen Geschwindig-

    keit über den Schirm, der als Hindernis wirkt und die Stromlinien umlenkt. Es entsteht ein

    Unterdruck, der den Schirm umstülpt.

    Schiffe und Züge: Wird ein Schiff auf See mit Treibstoff versorgt oder müssen Postsäcke aus-

    getauscht werden, ist es notwendig, dass zwei Schiffe eine Zeitlang parallel nebeneinander

  • 3.2 Themenblock „Ideale und reale Flüssigkeiten und Strömungen“ 229

    herfahren. Dabei muss ein bestimmter Mindestabstand eingehalten werden, da man sonst

    selbst mit starken Manövrierbewegungen Schwierigkeiten hat, die Schiffe wieder zu trennen.

    Zur Erklärung kann das Bernoullische Gesetz herangezogen werden: Das anströmende Wasser

    strömt durch die Engstelle zwischen den beiden Schiffen. Dadurch erhöht sich die Strö-

    mungsgeschwindigkeit und dementsprechend verringert sich der Druck in der Verengung.

    Den gleichen Effekt müssen die Planer der ICE-Strecken beachten: Zwei mit hoher Ge-

    schwindigkeit parallel nebeneinander vorbeifahrende Züge ziehen sich wegen des entstehen-

    den Unterdruckes im Zwischenraum zwischen den Zügen an. Deshalb muss ein Mindest-

    abstand zwischen den Gleisen eingehalten werden.

    Auch in der Binnenschifffahrt kann man Phänomene beobachten, die auf das Gesetz von

    Bernoulli zurückzuführen sind: In einem Kanal, dessen Wassertiefe den Tiefgang der Schiffe

    nur knapp übersteigt, kann es passieren, dass bei schneller Fahrt das Schiff an den Grund des

    Kanals gesogen wird. Dies ist die Hauptursache für die baulichen Schäden an Kanälen.

    Versuch „Schiffe“:

    Schüssel mit Wasser füllen, zwei Spielzeugschiffe draufsetzen, mit Fäden stabilisieren.

    Zwischen den Schiffen mit einem Schlauch Wasser durchspritzen => Schiffe bewegen sich

    aufeinander zu.

    ... in der Akustik

    „Heulrohr“: Beim Heulrohr handelt sich um

    ein quergeriffeltes Kunststoffrohr von ca.

    einem Meter Länge, das im Spielzeughandel

    erhältlich ist. Dieses Rohr wird an einem

    Ende festgehalten und in der Luft

    kreisförmig geschwungen. Durch das

    Herumschleudern wird die Luft im Rohr,

    ähnlich einem herumgeschleuderten Stein,

    nach außen gezogen. Es entsteht eine

    Strömung im Rohr. Dabei gibt es einen

    sehr lauten Heulton von sich.

    Wie entsteht dieser Heulton?

    Die Luft muss an den Rillen im Rohrinneren vorbeiströmen, dabei entstehen Druckschwan-

    kungen, die eine Schallwelle erzeugen.

    Durch den Luftstrom wird ein verrauschtes Frequenzspektrum angeregt. Wenn dieses breite

    Spektrum auf der Grundfrequenz des Rohres oder der Frequenz eines Obertons liegt, erhält

    man einen klaren Heulton (EHRLICH 1985).

    Abb. 2.8: Heulrohr. Eigenfrequenzen des Heulrohrs und

    darüberliegendes, verrauschtes Spektrum des Luft-

    stroms

  • 230 3 Die Themenblöcke der Unterrichtsreihe

    3.2.2 Reale, reibungsbehaftete Strömungen - Viskosität und Haft-bedingung

    VORBEMERKUNGEN

    Dieser zweite Unterrichtsteil zeigt die Grenzen des Modells der idealen Flüssigkeit auf. In der

    Natur sind Strömungen immer reibungsbehaftet. Deshalb wird in diesem Unterrichtsteil die

    Viskosität als strömungsbeeinflussender Faktor eingeführt, auch im Hinblick auf den dritten,

    vierten und sechsten Themenblock dieser Unterrichtsreihe. Des weiteren wird die Abhängig-

    keit der Viskosität von verschiedenen Parametern wie Temperatur oder Scherspannung the-

    matisiert. Die Erkenntnis, dass die Viskosität nicht als Konstante betrachtet werden kann,

    führt zum Begriff der „nichtnewtonschen Flüssigkeiten“. Aus dieser großen Stoffklasse

    wurden speziell schubverdickende und -verdünnende Fluide ausgewählt.

    LEHR- UND LERNZIELE

    Die Schülerinnen, Schüler und Studierenden sollen

    � die Grenzen des Modells einer idealen Flüssigkeit erkennen.

    � die Viskosität als physikalische Größe und als wichtigen strömungsbeeinflussenden Faktor

    kennen lernen.

    � erkennen, dass die Viskosität keine Konstante ist und dass sich manche Substanzen unter

    verschiedenen Voraussetzungen einmal wie ein Festkörper, dann wieder wie eine Flüssig-

    keit verhalten.

    � Schubverdickende von schubverdünnenden Flüssigkeiten unterscheiden können.

    AUSFÜHRUNG

    Demonstration: Verschiedene Flüssigkeiten werden auf ihre Zähigkeit hin betrachtet.

    Beim Vergleich verschiedener Flüssigkeiten wie Wasser, Glyzerin, Honig, Motorenöl usw.

    stechen sofort gravierende Unterschiede ins Auge. Schon beim Umschütten der Flüssigkeiten

    von einem Gefäß in ein anderes zeigt sich, dass die Flüssigkeiten unterschiedlich zäh sind.

    Um das Verhalten dieser Flüssigkeiten realistischer zu beschreiben, muss ihre Zähigkeit be-

    rücksichtigt werden. Für die Definition der Zähigkeit stellt man sich die Flüssigkeit aus

    Schichten aufgebaut vor, ähnlich wie aufeinandergestapelte Spielkarten. Diese Flüssigkeits-

    schichten der Dicke �z befinden sich nun zwischen zwei Platten gleicher Fläche (Abbildung

    2.9). Die untere Platte bleibt in Ruhe, während die obere Platte verschoben wird.

    Bei einer idealen Flüssigkeit würde die Platte über die Flüssigkeitsschicht gleiten, ohne dass

    diese sich bewegt. Bei realen Flüssigkeiten aber wird der Bewegung der Platte eine Rei-

    bungskraft entgegengesetzt: Jede Schicht der Flüssigkeit reibt an ihren Nachbarschichten. Auf

    diese Weise werden auch von der Platte weiter entfernte Schichten bewegt. Diesen Prozess

    nennt man „Scherung“.

  • 3.2 Themenblock „I