Terra Mater

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KAMPFZONE ZENTRALAFRIKA Die Gesetze des Dschungels KLIMAWANDEL IN DER ARKTIS Die Inuit verstehen die Welt nicht mehr PLANET MENSCH Die erstaunliche Mikrowelt unseres Körpers EINSATZ AM ÄTNA Der Mann, der auf Europas aktivsten Vulkan aufpasst EINE PUBLIKATION VON DIE ZEITMASCHINE 100 Jahre alte Farbfotos erwecken das russische Zarenreich zu neuem Leben. Armenische Frau in Feiertagstracht, 1912 AUSGABE 02 – SEPTEMBER 2012 EUR 9,90 / CHF 12,50 ( INKL. DVD)

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Die Welt entdecken und begreifen

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KAMPFZONE ZENTRALAFRIKA Die Gesetze des DschungelsKLIMAWANDEL IN DER ARKTIS Die Inuit verstehen die Welt nicht mehrPLANET MENSCH Die erstaunliche Mikrowelt unseres KörpersEINSATZ AM ÄTNA Der Mann, der auf Europas aktivsten Vulkan aufpasst

E I N E P U B L I K AT I O N VO N

DIE ZEITMASCHINE100 Jahre alte Farbfotos erwecken

das russische Zarenreich zu neuem Leben.

Armenische Frau in Feiertagstracht, 1912

AUSGABE 02 – SEPTEMBER 2012EUR 9,90 / CHF 12,50 (INKL. DVD)

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DIE GESETZE DES DSCHUNGELS Der Regenwald in der Zentralafrikanischen Republik ist eine Kampfzone, in der Menschen und Tiere nur ein Ziel verfolgen: Überleben mit allen Mitteln. Es prallen aufeinander: Pygmäen und Siedler, Wildhüter und Wilderer. Ein Frontbericht.

DER HÜTER DES FEUERBERGES Aus der Ferne wirkt der Ätna friedlich und harmlos. Doch Europas aktivster Vulkan ist höchst lebendig. Und gefährlich, wie sieben Ausbrüche seit Jahresbeginn belegen. Keiner weiß das besser als der deutsche Vulkanologe Boris Behncke – der Mann, der auf ihn aufpasst.

RÄTSELHAFTE ARKTIS Die Natur in der Arktis hat sich mit dem Klimawandel derart verändert, dass die Einheimischen ihre Sprache nicht mehr verstehen. Und die Regeln der Väter gelten über Nacht nichts mehr. Ein Ortstermin bei den Inuit von Banks Island im hohen Norden Kanadas.

DIE RETTUNG DER LUCHSEProtokoll einer Auferstehung: Vor zehn Jahren noch galt der Iberische Luchs als die am meisten vom Aussterben bedrohte Katzenart der Welt. Doch nach einem aufwendigen Rettungs- programm beginnt sich die Lage jetzt langsam zu entspannen.

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TERRA MATER | SEPTEMBER 2012

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weltbild RePORtaGen

Sechs erstaunliche Bilder von Mutter Erde und ihren Bewohnern – von Seepferdchen bis zu Baumwollpflückern.

Schaubild Wie viel Platz haben wir noch auf unserer Erde? Ein interessantes Gedankenexperiment.

Ein Mensch in New York City Jay Fan, Obsthändler in Chinatown, gibt Einblicke in seinen Alltag.

Ein Wunder namens Erdmännchen Warum sie daheim wenig zu melden haben und andere bemerkenswerte Details.

Ein Tag, der die Welt veränderte 17. Oktober 1969: Wie zwei Amerikaner durch Zufall die digitale Fotografie erfanden.

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Coverfoto: Michailowitsch Prokudin-Gorskij

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DIE ZEITMASCHINE Die Fotos von Michailowitsch Prokudin-Gorskij sind über 100 Jahre alt, aber sie sehen aus, als wären sie erst gestern geschossen worden. Berührende Einblicke in die Zeit des untergehenden Zarenreichs.

ZHENG HES LETZTE REISEAnfang des 15. Jahrhunderts dominierte eine gigantische Flotte aus China die Weltmeere – mit 30.000 Mann und 130 Meter langen Prunkschi�en. Lange Zeit in Vergessenheit geraten, erwacht jetzt wieder das Interesse an den Schi�en und ihrem Admiral Zheng He.

WIR SIND NICHT ALLEINDer menschliche Körper ist Lebensraum für Milliarden von Lebewesen. Und je mehr sich die Forschung mit diesem faszinierenden Ökosystem beschäftigt, desto mehr wird klar: Wir haben seine Bedeutung gewaltig unterschätzt.

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visionen

JANE GOODALL Sie träumte von Exotik und suchte sie in Afrika: Mit Herbert Völker sprach die legendäre Schimpansenforscherin Jane Goodall über ihre abenteuerliche Karriere, ihre Mission und ihre Faszination für Tarzan.

RAY BRADBURY Meisterwerke der Literatur: Der erst im Juni verstorbene Schriftsteller Ray Bradbury (Fahrenheit 451) gilt als Meister der feinen Beobachtung. Die Erzählung Alter Köter im Straßenstaub beschreibt einen Wanderzirkus in Mexiko.

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standards Editorial

Logbuch

Terra Mater Society Das Leser-Forum.

Impressum

Terra Mater im TV Die Programm-Highlights aus der Produktion der Terra Mater Factual Studios bei ServusTV.

Noch Fragen? Ungelöste Rätsel der Wissenschaft.

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Text: Stefan Nink

Aus der Ferne wirkt der Ätna harmlos. Doch Europas aktivster Vulkan ist höchst lebendig.

Und gefährlich. Keiner weiß das besser als Boris Behncke – der Mann, der auf ihn aufpasst.

Der Hüter Des Feuerberges

Fotos: Oskar Schmidt

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HelDen von Heute

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DIE ERSTARRTE, ZERBRÖSELTE Lava knirscht unter den Schuhen, und vom Meer pfeift der Wind die Bergflanke

hin auf, aber das alles nimmt er heute Morgen nicht wahr. Boris Behncke wartet auf ein anderes Geräusch. Auf eines, mit dem er rechnet, täglich, ach was, stündlich – auf einen Ton, der genau jetzt, in diesem Moment, aus dem Berg drin - gen könnte. Vielleicht ein Zischen. Vielleicht ein Rumpeln. Vielleicht ein Röhren oder ein Kra-chen oder ein Grummeln – so tief, dass es einem wie eine Faust in die Magengrube fährt, noch be-vor man es hört. Behncke steht da oben auf dem Berg, steht ganz still und wartet darauf, dass der Ätna eine neue Eruption ankündigt. Mit einem jener Geräusche, die er immer von sich gibt, be-vor es so weit ist, und manchmal auch mit allen zusammen. Der jüngste Ausbruch ist mittlerweile fast zwei Wochen her; es war bereits der siebte in diesem Jahr. Lange wird es nicht mehr dauern. Der Vulkan wird erneut von sich hören lassen. Sehr bald schon.

Das ist kein Berg, den man aus den Augen verlieren sollte. Keinen Tag. Keine Minute. Ei-gentlich keine Sekunde. Italiens größter Vulkan ist einer der aktivsten der Welt: Kaum ein Jahr auf Sizilien vergeht ohne Zwischenfälle. 2001 spie der Ätna 21 Millionen Kubikmeter Lava. 2002 erwischte es Skistation und Hotel auf dem Piano Provenzana, einer bis dahin lieblichen Hoch-ebene, die von über 60 Millionen Kubikmeter Lava in eine Landschaft verwandelt wurde, die jetzt optisch sehr an Mordor aus dem Film „Herr der Ringe“ erinnert. 2004/05 dauerten die Erup-tionen ein halbes Jahr, 2006 spuckte der Vulkan fünf Monate lang Lava. Der bislang letzte Aus-bruch an der Bergflanke währte sogar volle 417 Tage, von Mai 2008 bis Juli 2009.

Seit vergangenem Jahr befindet sich der Ätna in einer besonders unruhigen Phase seines Vulkanlebens: Alle paar Wochen schleudert er Lava aus seinem Inneren. 2011 wurden 18 Explo-sionen gezählt, bei denen jedes Mal breite Lava-ströme die Hänge hinunterliefen und der Berg bis zu sieben Kilometer hohe Aschesäulen in den

Himmel über Sizilien jagte. 2012 verlief bis jetzt kaum ruhiger: Seit Jahresbeginn gab es bereits sieben Lavafontänen.

Dass die Sizilianer im Osten der Insel den-

noch beruhigt schlafen können, liegt an Männern wie Boris Behncke. Der Vulkanologe am Istituto Nazionale di Geofisica e Vulcanologia in Catania überwacht den Ätna rund um die Uhr mit einem Netzwerk aus Sensoren, die jeden Schluckauf und jedes Räuspern des Berges registrieren. Die

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Helden von Heute

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1: Krater und Lavafelder an der nordöstlichen Flanke des Ätna. Während Eruptionen aus den Gipfelkratern keine unmittelbare Bedrohung bedeuten, fürchten die Wissenschafter einen Ausbruch in dieser Zone, wie zuletzt 2002. Dabei sind Menschen in den nahegelegenen Orten in Lebensgefahr.

2: Für Vulkanologen wie Boris Behncke gilt es, aus der Vergangenheit für die Zukunft zu lernen. Hier studiert er ein ziemlich eindrucksvolles Video von einem Ausbruch.

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Text: Markus Honsig Fotos: Sergei Michailowitsch Prokudin-Gorskij

Sie sind 100 Jahre alt. Aber sehen aus, als ob sie erst gestern geschossen worden wären: Farbfotos aus dem vorrevolutionären Russland

zeigen ein faszinierendes Bild des untergehenden Zarenreiches.

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Text: Fotos:

Seyyid Mir Mohammed Alim Khan, 1911. Der stolze Emir von Buchara,

einem islamischen Staat im heutigen Usbekistan, 1868 von Russland erobert.

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S GIBT HISTORISCHE Konstellationen, die auf ihre Weise einmalig sind: Da ist ein Land von gigantischer Größe, das vor-

revolutionäre Russland am Beginn des 20. Jahrhun-derts. Ein Land mit einem riesigen Reichtum an kultureller und landschaftlicher Vielfalt. Ein Land im wirtschaftlichen Aufschwung, neu erschlossen durch den Bau der Transsibirischen Eisenbahn.

Da ist ein Zar, der nicht Zar werden woll-te, Zar Nikolaus II. Ein absoluter, aber schwa-cher Monarch, der nicht in der Lage ist, die not-wendigen Reformen einzuleiten, die politischen, sozialen und wirtschaftlichen Spannungen in sei-nem Reich abzubauen, die wachsende Unzufrie-denheit der Bauern und Arbeiter aufzufangen. Der letzte Zar einer untergehenden Epoche.

Da ist eine Technologie, die Forscher rund um die Welt beschäftigt und die das Bild von der Welt nachhaltig verändern wird: die Farbfoto-grafie, gerade ausgereift genug, um im größeren Stil eingesetzt zu werden.

Und schließlich ist da ein Mann, der eine große Idee hat und die Kraft, sie umzusetzen. Ein Mann, der nicht ein- oder zweimal abdrückt, sondern rund 3.500-mal (genau genommen mehr als zehntausendmal, aber davon später): Sergei Michailowitsch Prokudin-Gorskij.

Dass seine Fotos Jahrzehnte später von der Bibliothek des US-Kongresses erworben, von ei-nem Team engagierter Wissenschaftler digital auf-bereitet wurden und heute im Internet frei zugäng-lich sind, erhöht die Magie des Gesamtkunstwerks noch einmal: eine Zeitmaschine, die uns ansatz-los einhundert Jahre zurück mitten in die span-nendsten Jahre russischer Geschichte bringt, eine Landkarte in Farbe, die wir im Kopf bislang nur in Schwarz-Weiß abgespeichert hatten; ein ein-maliges Werk in der Geschichte der Fotografie.

Es gibt individuelle Chancen, die man nur einmal im Leben bekommt. Der Fotograf Sergei Michailowitsch Prokudin-Gorskij hat seine am

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Armenische Frau in Feiertagstracht, 1912. Für ein Lächeln dauerte das Fotografieren zu lange. Die ersten Farbfotos verlangten würdige Haltung und ernsten Blick.

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3. Mai 1909, einem Sonntag. Zar Nikolaus II. lädt ihn an diesem Tag in die St. Petersburger Residenz Zarskoje Selo zu einem ganz speziellen Dia-Abend ein. Er möchte die neue Farbfotografie kennenlernen.

Der Fotograf weiß, sein Vorhaben, „ganz Russland in natürlichen Farben“ abzubilden, könnte an diesem Abend den entscheidenden Schub bekommen. Er tri�t eine sorgfältige Aus-wahl von Fotos – Sonnenuntergänge, verschneite Landschaften, Blumen, Bauernkinder, Herbst-

szenen. Und er arrangiert sie klug – die besten, e�ektvollsten Bilder hält er für ein starkes Finale zurück. „Aber schon nach dem allerersten Bild“, berichtet er später, „als ich das zustimmende Flüs-tern des Zaren hörte, war ich mir sicher, dass ich Erfolg haben würde.“ Alles läuft wie geplant: Der Zar zeigt o�ene Begeis-terung noch während der Vorführung. Als ihn der Fotograf schließlich fragt, ob er nicht von Zeit zu Zeit das „wahre Russland“ sehen wolle, verspricht ihm der Monarch seine volle Unterstützung.

Prokudin-Gorskij bekommt einen eigens mit Dunkelkammer ausgestatteten Eisenbahnwagen zur Verfügung gestellt, Schi�e für die diversen Flussfahrten und

einen entsprechend ausgerüsteten Ford T für die schlechten Straßen im Ural. Noch wichtiger aber sind zwei vom Zar persönlich unterschriebene Papiere. Eines, das ihm Zugang zu allen Regio-nen des Landes verscha�t, keine Selbstverständ-lichkeit im Russland dieser Tage. Ein zweites, das die lokalen Verwaltungen au�ordert, ihn unein-geschränkt zu unterstützen. Schon im Juni bricht Prokudin-Gorskij auf, um im Norden zu foto-grafieren, im August reist er in das Ural-Gebirge.

Rückblende: Sergei Michailowitsch Proku-din-Gorskij wird am 31. August 1863 vermutlich in Funikowa Gora östlich von Moskau als Sohn

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Der Fotograf des letzten Zaren. Brillant, visionär, egozentrisch, verschlossen: S. M. Prokudin-Gorskij.

Die Kathedrale von Jalutorowsk, 1912. Selbst der Hund hielt still, um sich ins Bild zu rücken.

Die Kirche der westsibirischen Stadt wurde 1931 von den Kommunisten zerstört.

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Illustrationen, Kalligrafie: Andreas Leitner Infografiken: Golden Section Graphics

87 Jahre vor Kolumbus dominierte eine gigantische Flotte aus China die Weltmeere. Mitten im Verband: Prunkschiffe,

angeblich über 130 Meter lang. Dann aber verloren die Ming-Kaiser schlagartig die Lust an ihrer Seemacht. Erst jetzt erwacht

neues Interesse an den Schiffen und ihrem Admiral.

Admiral Zheng Hes letzte Reise

Text: Ulrich Baron

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ENDLICH WAR ES so weit. Nach jahre-langen Vorbereitungen gibt der Admiral noch einmal den Befehl zum Aufbruch.

Und ein letztes Mal stechen 300 Schi�e, die größte Armada, die die Welt bislang gesehen hat, in See.

Wir schreiben das Jahr 1431, der Ort ist Nan-jing in Südchina, zu jener Zeit die Hauptstadt des chinesischen Kaiserreiches. Der Befehlshaber der Flotte, Admiral Zheng He, darf noch einmal sei-nen gewaltigen Schi�sverband aufs Meer führen. Mehr als 27.000 Seeleute folgen seinem Kom-mando. Die größten Einheiten, die „Schatzschif-fe“, sind sagenhafte 137 Meter lang und 56 Meter breit. Der Kurs lautet: Süden, immer an der Küste Chinas entlang, dann durch den Indischen Ozean nach Indien und vielleicht weiter nach

Ostafrika. Die Mannschaften sind darauf vor-bereitet, ihre Heimat erst in zwei Jahren

wiederzusehen.Doch was macht der Admiral in

seiner luxuriös ausgestatteten Kajüte? Nach nicht einmal einer Woche auf See lässt er wieder anlegen. Da ha-ben die Dschunken gerade einmal die Stadt Changle erreicht, keine 800 Kilometer vom Heimathafen

entfernt. Hier lässt Zheng He eine steinerne Stele errichten – einen massigen, dunklen Brocken, den ein Steinmetz über und über mit Schriftzeichen bedeckt. Erst als

das erledigt ist, geht die Reise weiter.Erst 1938 wird die Stele wiederentdeckt, ihre

Inschrift entzi�ert. In dem Text erbittet Zheng He günstige Winde und glückliche Heimkehr von der Schutzgöttin der Seefahrer, Tian Fei. Was für die Historiker heute aber noch viel interessanter ist: Zheng He hält auf der Stele auch Details seiner unglaublichen Karriere und seiner abenteuerli-chen Reisen fest. Er sei bereits 50.000 Kilometer weit gesegelt, lässt Zheng He in den Stein meißeln. Das klingt unglaublich, ist aber durchaus plausi-bel. Schließlich war er zu diesem Zeitpunkt bereits sechsmal durch den Indischen Ozean gesegelt.

Die Fürbitten, vor allem aber die Autobio-grafie des Admirals, gehören zu den wichtigsten

und zuverlässigsten Quellen, die eines der spekta-kulärsten Kapitel in der Geschichte der Seefahrt überliefern. Abgesehen von diesen Texten gibt es nur noch einige wenige zeitgenössische Chroni-ken sowie Memoiren einiger Reisegefährten von zweifelhafter Faktentreue. Die breit angelegte His-torie der Ming-Ära, genannt „Mingshi“, erwähnt Zheng He ausführlich, doch sie wird erst 200 Jah-re nach seinem Tod fertiggestellt. Die originalen Aufzeichnungen seiner Reisen, die Baupläne und Logbücher seiner Schi�e sowie die Listen ihrer Mannschaften sind im Wechsel der Herrscher und durch Palastintrigen fast vollständig vernichtet worden. Die Stele jedoch hat die Zeiten überdauert und rundet das Bild ab, das die Historiker von der erstaunlichen Karriere des Zheng He zeichnen.

Die Art und Weise, wie die Erinnerung an Zheng Hes Abenteuer in den vergangenen Jahr-hunderten in China weitergetragen wurde, ist ein Spiegelbild der gesellschaftlichen und politischen Entwicklung des heutigen Milliardenvolkes: Jahr-hundertelang hatte sich das Weltreich isoliert. Die Weltreisen des Zheng He galten da als Irrtum, den es zu vertuschen galt. Noch Ende der 1990er-Jahre stieß der amerikanische Journalist Nicholas D. Kristof in Nanjing auf ein geschlossenes Museum. Und das Grab des Admirals? Das sei leer, verriet ein Bauer dem reisenden Reporter. Die steinerne Schildkröte, die es bewacht habe, sei bei Maos „Großem Sprung nach vorn“ zerschlagen und als Straßenbelag missbraucht worden.

Doch jetzt, da sich China als Weltmacht neu erfindet, erlebt auch das Andenken an Zheng He eine Renaissance. Am deutlichsten wird das in Nanjing, wo gerade an der Replika einer großen Dschunke des Admirals gebaut wird (siehe Kasten auf Seite 154: „Eine Legende im Trockendock“).

Wäre die Geschichte ein wenig anders gelau-fen, so glaubte Kristof, dann hätte Zheng He „der chinesischen Besiedlung von Amerika, Australien und Afrika den Weg bereitet, Kolumbus hin gegen wäre irgendein Seefahrer, den niemand mehr kennt, verbannt in ein verstaubtes, zugesperrtes Museum in Genua“. Doch warum segelte er nach Westen und nicht nach Amerika? Warum fuhr er

Lange galten in China Zheng Hes Reisen als Fehler. Jetzt steht er wieder auf einem Sockel.

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an Afrikas Küste nicht weiter hinunter als bis Mo-gadischu oder vielleicht bis Malindi? Um die weni-gen überlieferten Informationen richtig deuten zu können, muss man zurückblicken in die Welt von Zheng He – in das China der frühen Ming-Epoche.

Das Reich hatte sich 1368 von der mongo-lischen Fremdherrschaft befreit und schickte sich nun an, sein enormes wirtschaftliches und militä-risches Potenzial zu entfalten. Schon bald würde China der übrigen Welt zeigen, dass es sie nur als seine tributpflichtige Peripherie ansah.

1371 kommt in der Provinz Yunnan ein Kind auf die Welt, genannt Ma He. Es scheint für weite Reisen prädestiniert. Sein Vater und Großvater tragen den muslimischen Ehrentitel Hadji, haben also eine Pilgerreise ins ferne Mekka absolviert.

1381 nimmt das Leben des Knaben eine drama-tische Wendung: Truppen des Ming-Kaisers mar-schieren in Yunnan ein, er wird gefangen genom-men, kastriert und an den Hof des Ming-Prinzen Zhu Di verschleppt.

Dort wächst er heran. Eunuchen der Ming-Zeit besetzen am Kaiserhof – sehr zum Missfallen der konfuzianisch geprägten Beamtenschaft – höchste Ämter und bilden einen Staat im Staat. Ma He fällt dem Prinzen bald wegen seiner mili-tärischen und diplomatischen Talente auf. Als sich Zhu Di 1402 an die Macht putscht und die Regie-rungsdevise „Yongle“ („immerwährende Freude“) wählt, erhält auch Ma He einen neuen Namen: Von nun an heißt er Zheng He. Der neue Kaiser hat eine Vorliebe für Großprojekte: Er führt auf-wendige Feldzüge gegen die Mongolen und

Die sieben Reisen des Zheng He

Mogadischu

Kalikut

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A F R I k A

A R A B I E n

C h I n A

M o g u l -

R E I C hJiddah

Hormuz

Semudera

Changle

Nanjing

Aden

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Arabisches Meer

Pazifischer Ozean

Golf von Bengalen

Persischer GolfR

otes Meer

Reiserouten von Zheng He

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die sieben Reisen des Zheng he

Die Flotte sorgte entlang der Handelsrouten für Frieden und Ordnung – und sammelte Tributgaben für den Ming-Kaiser.

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