THEORIE & PRAXIS: BEHAVIOURAL FINANCE ENDE DES … · 114 W ährend andere vermehrt 3-Sigma-Events...

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114 www.institutional-money.com W ährend andere vermehrt 3-Sigma-Events fest- stellen, kann Thorsten Hens an der aktuellen Krise nichts Außergewöhnliches finden. Mit ihren verschiedenen Phasen sei sie wie an- dere Krisen auch, meint er. Er fürchtet, dass Anleger aus der Krise kaum etwas lernen, hofft aber darauf, dass die Aufsichtsbehör- den zukünftig bei Anzeichen einer „Asset Price Inflation“ früher einschreiten werden. Insitutional Money traf ihn in Zürich. Herr Hens, Sie haben ursprünglich Com- puterwissenschaften studiert – was hat Sie bewogen, sich mit Volkswirtschaft und dort mit Behavioural Finance zu beschäftigen? Thorsten Hens: Nach dem Abi war mein Berufsziel, Lehrer für Mathematik und Psy- chologie zu werden. Als ich feststellte, dass es solch einen Studiengang nicht gibt, habe ich zunächst herumstudiert: Medizin, Infor- matik und schließlich Volkswirtschaft, bei der ich dann geblieben bin. Nun beschäfti- ge ich mich schließlich doch mit Mathe- matik und Psychologie: Ich forsche und leh- re zum Thema Behavioural Finance. Daniel Kahneman und Vernon L. Smith haben 2002 den Nobelpreis für Wirtschafts- wissenschaft erhalten. Was war das Bahn- brechende an ihren Erkenntnissen? Hens: Vorher hatte man die Ökonomie stark mathematisiert; man ging vom Idealbild des Homo oeconomicus aus, der alles rational entscheidet. Das Bahnbrechende an Kahne- mans und Tverskys Arbeiten war, dass sie modelliert haben, wie sich Menschen tat- sächlich entscheiden. Dabei haben sie viele Anomalien, also Abweichungen zum Ratio- nal-Kalkül, gefunden. Smith hat die dazu notwendigen kontrollierten Laborexperimen- te als Untersuchungsmethode eingeführt. Sind solche Laborexperimente für die Praxis brauchbar? Man kann doch immer nur einige wenige Teilnehmer beobachten, die zudem noch einer besonderen Gruppe angehören: Studierende an Universitäten. Hens: Wir müssen zum Teil tatsächlich Ex- perimente mit 500 oder 600 Versuchsteil- nehmern durchführen, um die individuelle Zufälligkeit auszugleichen. Technisch ma- chen wir das über Internethandelsplatt- formen, auf denen die Probanden von zu Hause aus agieren können. So müssen wir kein Labor mit 500 Computerarbeitsplätzen einrichten. Zum anderen haben wir durch die Kooperation mit der LGT auch Pro- banden aus der Praxis, zum Beispiel echte Asset Manager. Die Ergebnisse bisher zei- gen, dass die Profis in den Experimenten nicht besser abschneiden als die Studenten, sondern dass sie ganz ähnlichen Irratio- nalitäten unterliegen. Welche menschlichen Eigenschaften werden denn den handelnden Menschen an den Finanzmärkten zum Verhängnis? Hens: Leider sehr viele. Die Behavioural Finance hat den Menschen inzwischen nach solchen Irrationalitäten von Kopf bis Fuß vermessen. Im Kopf gibt es die „kogniti- ven Biases“ – Denkfehler. Zum Beispiel liegen wir in der Wahrnehmung von Wahr- scheinlichkeiten und Zahlen oft falsch, was dazu führt, dass wir das Eintreffen von neu- en Informationen nicht richtig in die Prei- se einrechnen. Oder wir machen im Kopf Unterschiede (wir führen mentale Konten), die wir besser sein lassen sollten: etwa den Unterschied zwischen realisierten Verlusten und „Papierverlusten“. Können Sie ein weiteres Beispiel für einen „kognitiven Bias“ geben? Hens: Ein „kognitiver Bias“ ist beispiels- weise das „Trend Chasing“. Der Nobel- preisträger Reinhard Selten sagt, dass Men- schen adaptive Lerner sind, das heißt, wenn etwas gut läuft, machen wir es weiter, wenn es schlecht läuft, hören wir damit auf. An der Börse ist dies eher schlecht, denn es führt zu prozyklischem Handeln. Wir nei- gen dazu, eine Aktie nachzukaufen, wenn sie im Preis gestiegen ist. Vielleicht ist sie aber so weit gestiegen, dass man eher über einen Verkauf nachdenken sollte. Meine Bankberaterin in Bonn sagte immer: „Diese Anlage ist gut gelaufen, machen wir das doch weiter.“ Hier handelt es sich um eine recht naive Heuristik. Sie haben angefangen mit dem Kopf. Welche Regionen des menschlichen Körpers haben Sie noch analysiert? Hens: Wir alle haben auch menschliche Gefühle wie Gier, Stolz, Bedauern etc. Hier hat man herausgefunden, dass Menschen, die einmal Erfolg hatten, schnell gierig werden. Behavioural Finance sagt: „Der größte Feind des Anlegers ist sein eigener Erfolg“ – weil er sich dann selbst über- schätzt und gierig wird, was in der Folge Dr. Thorsten Hens, SFI-Professor für Finanzmarkttheorie an der Universität Zürich und Direktor des prestigeträchtigen Swiss Banking Institute, befasst sich unter anderem mit Behavioural Finance und schlägt dabei gern die Brücke zur Praxis. Ein Interview. ALLE FOTOS: © VICTORIA BONN-MEUSER ENDE DES HOMO OECONOMICUS? THEORIE & PRAXIS: BEHAVIOURAL FINANCE

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W ährend andere vermehrt3-Sigma-Events fest-stellen, kann ThorstenHens an der aktuellen

Krise nichts Außergewöhnliches finden. Mitihren verschiedenen Phasen sei sie wie an-dere Krisen auch, meint er. Er fürchtet, dassAnleger aus der Krise kaum etwas lernen,hofft aber darauf, dass die Aufsichtsbehör-den zukünftig bei Anzeichen einer „AssetPrice Inflation“ früher einschreiten werden.Insitutional Money traf ihn in Zürich.

Herr Hens, Sie haben ursprünglich Com-

puterwissenschaften studiert – was hat Sie

bewogen, sich mit Volkswirtschaft und dort

mit Behavioural Finance zu beschäftigen?

Thorsten Hens: Nach dem Abi war meinBerufsziel, Lehrer für Mathematik und Psy-chologie zu werden. Als ich feststellte, dasses solch einen Studiengang nicht gibt, habeich zunächst herumstudiert: Medizin, Infor-matik und schließlich Volkswirtschaft, beider ich dann geblieben bin. Nun beschäfti-ge ich mich schließlich doch mit Mathe-matik und Psychologie: Ich forsche und leh-re zum Thema Behavioural Finance.

Daniel Kahneman und Vernon L. Smith

haben 2002 den Nobelpreis für Wirtschafts-

wissenschaft erhalten. Was war das Bahn-

brechende an ihren Erkenntnissen?

Hens: Vorher hatte man die Ökonomie starkmathematisiert; man ging vom Idealbild desHomo oeconomicus aus, der alles rationalentscheidet. Das Bahnbrechende an Kahne-mans und Tverskys Arbeiten war, dass siemodelliert haben, wie sich Menschen tat-

sächlich entscheiden. Dabei haben sie vieleAnomalien, also Abweichungen zum Ratio-nal-Kalkül, gefunden. Smith hat die dazunotwendigen kontrollierten Laborexperimen-te als Untersuchungsmethode eingeführt.

Sind solche Laborexperimente für die

Praxis brauchbar? Man kann doch immer

nur einige wenige Teilnehmer beobachten,

die zudem noch einer besonderen Gruppe

angehören: Studierende an Universitäten.

Hens: Wir müssen zum Teil tatsächlich Ex-perimente mit 500 oder 600 Versuchsteil-nehmern durchführen, um die individuelleZufälligkeit auszugleichen. Technisch ma-chen wir das über Internethandelsplatt-formen, auf denen die Probanden von zuHause aus agieren können. So müssen wirkein Labor mit 500 Computerarbeitsplätzeneinrichten. Zum anderen haben wir durchdie Kooperation mit der LGT auch Pro-banden aus der Praxis, zum Beispiel echteAsset Manager. Die Ergebnisse bisher zei-gen, dass die Profis in den Experimentennicht besser abschneiden als die Studenten,sondern dass sie ganz ähnlichen Irratio-nalitäten unterliegen.

Welche menschlichen Eigenschaften

werden denn den handelnden Menschen an

den Finanzmärkten zum Verhängnis?

Hens: Leider sehr viele. Die BehaviouralFinance hat den Menschen inzwischen nachsolchen Irrationalitäten von Kopf bis Fußvermessen. Im Kopf gibt es die „kogniti-ven Biases“ – Denkfehler. Zum Beispielliegen wir in der Wahrnehmung von Wahr-scheinlichkeiten und Zahlen oft falsch, was

dazu führt, dass wir das Eintreffen von neu-en Informationen nicht richtig in die Prei-se einrechnen. Oder wir machen im KopfUnterschiede (wir führen mentale Konten),die wir besser sein lassen sollten: etwa denUnterschied zwischen realisierten Verlustenund „Papierverlusten“.

Können Sie ein weiteres Beispiel für einen

„kognitiven Bias“ geben?

Hens: Ein „kognitiver Bias“ ist beispiels-weise das „Trend Chasing“. Der Nobel-preisträger Reinhard Selten sagt, dass Men-schen adaptive Lerner sind, das heißt, wennetwas gut läuft, machen wir es weiter, wennes schlecht läuft, hören wir damit auf. Ander Börse ist dies eher schlecht, denn esführt zu prozyklischem Handeln. Wir nei-gen dazu, eine Aktie nachzukaufen, wennsie im Preis gestiegen ist. Vielleicht ist sieaber so weit gestiegen, dass man eher übereinen Verkauf nachdenken sollte. MeineBankberaterin in Bonn sagte immer: „DieseAnlage ist gut gelaufen, machen wir dasdoch weiter.“ Hier handelt es sich um einerecht naive Heuristik.

Sie haben angefangen mit dem Kopf.

Welche Regionen des menschlichen Körpers

haben Sie noch analysiert?

Hens: Wir alle haben auch menschlicheGefühle wie Gier, Stolz, Bedauern etc. Hierhat man herausgefunden, dass Menschen,die einmal Erfolg hatten, schnell gierigwerden. Behavioural Finance sagt: „Dergrößte Feind des Anlegers ist sein eigenerErfolg“ – weil er sich dann selbst über-schätzt und gierig wird, was in der Folge

Dr. Thorsten Hens, SFI-Professor für Finanzmarkttheorie an der Universität Zürich und Direktor des prestigeträchtigen Swiss Banking Institute, befasst sich unter anderemmit Behavioural Finance und schlägt dabei gern die Brücke zur Praxis. Ein Interview.

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zu unterdurchschnittlichen Ergebnissenführt. Man hat andererseits herausgefunden,dass emotionalere Menschen – die sichbeispielsweise bei Verlusten stärker ärgern– kurzfristig schlechtere Anlageentschei-dungen treffen. Mittelfristig liegen sie je-doch besser, weil sie schneller lernen. Vonder Biologie her ist der Mensch so ange-legt, dass er Gefühle hat, damit er etwasdaraus lernt!Etwas weiter unten haben wir uns mit demBauch befasst. Ihm schreibt man allgemeindie Intuition zu, das Bauchgefühl. Zunächsthaben Kahneman und Tversky herausge-funden, dass intuitive Entscheidungen ander Börse zu schlechteren Ergebnissen füh-ren als kognitive Entscheidungen. Kollegenan der Uni Heidelberg haben dann aber fest-gestellt, dass intuitive Entscheidungen eherauf langfristigen Beobachtungen basierenund kognitive auf kurzfristigen. Anleger, diegeduldig sind, liegen also mit intuitivenEntscheidungen gar nicht schlecht.

Wie geht dies weiter?

Hens: Nun, dann gibt es „Gender Diffe-rences“. Männer neigen eher zu überstei-gertem Selbstbewusstsein und Selbstbezo-

genheit, das heißt, gute Ergebnisse schreibtmann sich selbst zu, schlechte schiebt mannauf seinen Berater. Und schließlich gibt es„ganz unten“ noch das Herdenverhalten:Manchmal wird alles ausgeblendet, undman läuft nur noch weg.

Dies bezieht sich vermutlich eher auf

Retailkunden. Herr Professor Hens, Sie sind

seit 2005 beratendes Mitglied der Anlage-

kommission der Pensionskasse Stadt Zürich,

und Sie führen seit 2004 den Anlageaus-

schuss der Sammelstiftung Vita. Das heißt,

Sie kennen die Entscheidungsprozesse von

institutionellen Anlegern. Werden diese

genauso von ihren Emotionen geleitet wie

Privatanleger?

Hens: Nein, aber beispielsweise gibt es beiden schweizerischen Pensionskassen Vor-gaben, die letztlich zu ganz ähnlichem Ver-halten führen wie dem der Kleinanleger. Beisinkendem Deckungsgrad wird das Risikoreduziert, man verhält sich also prozyklisch.Ebenso führt die Basel-II-Regulierung derBanken zu prozyklischem Verhalten. BeiInstitutionellen kommt noch hinzu, dass oftGruppenentscheidungen getroffen werden.Hier werden Kompromisse geschlossen,

und es gibt eine Tendenz zur Mitte, was Siebei Individualentscheidungen nicht haben.

Und in welchen Situationen eignen sich

quantitative Modelle?

Hens: In der Wissenschaft gelten Quant-Modelle nur als „Decision Support Tools“,also als Entscheidungshilfen. In der Praxisstellen einige aber die Quant-Modelle alseinzig geltendes Argument dar. Man solltedie Modelle als das sehen, wofür die Wis-senschaftler sie kreiert haben: als eines vonmehreren Argumenten in einem Anlage-prozess. Die Signale eines Quant-Modellsmüssen immer mit dem abgeglichen wer-den, was wir selbst denken, sonst führen siezu einer gefährlichen Scheinsicherheit. Insolch einem wechselseitigen Prozess helfendie Quant-Modelle die Behavioural Biasesaufzudecken, und der gesunde Menschen-verstand hilft die Grenzen der Quant-Mo-delle zu erfassen.

Liegen daher so viele Quant-Manager

derzeit schlecht?

Hens: Leider führten die reinen Quant-Modelle 2008 meist zu katastrophalenErgebnissen! Die Krise, die wir jetzt durch-

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Prof. Dr. Thorsten Hens: „Leider führten die reinen Quant-Modelle in 2008 meist zu

katastrophalen Ergebnissen! Die Krise, die wirjetzt durchlaufen, wurde von keinem her-kömmlichen ,Crash-Measure‘ angezeigt.“

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laufen, wurde etwa von keinem herkömm-lichen „Crash-Measure“ angezeigt. Bei-spielsweise war das Fed-Measure durchausim grünen Bereich. Darin wird die erwar-tete Aktienprämie mit der Rentenverzinsungverglichen, man spricht auch von der Equi-ty-Risk-Premium. Der Grund: Hier geht esum ein Maß aus dem Bereich der Aktien-bewertung. Die aktuelle Krise kam abernicht aus dem Aktien-, sondern aus demImmobiliensektor. Sie kam dann erst durchdas Leverage über die Banken in denAktiensektor. Wenn man sich in einer sol-chen Situation nur an seine Quant-Modellehält, läuft man in die Katastrophe. Quant-Modelle können nie so gut vernetzt sein wiedas menschliche Gehirn. Das Gehirn kannbesser assoziieren, beispielsweise, dass gro-ße Immobilienkrisen auch große Banken-und damit Aktienkrisen bewirken. Das ha-ben wir in Skandinavien, in der Schweiz inden 90er Jahren und in Japan gesehen. Werdann sah, wie sich die Immobilienpreise inden USA entwickelt haben, wurde skep-tisch, obwohl die Quant-Risikomaße nochim grünen Bereich waren. Ein gutes Bei-spiel ist Nouriel Roubini, der das Desastervorausgesehen hat. Dazu muss man vernetzt

denken, das heißt, man muss sich Zusam-menhänge vorstellen können. Da ich selbstQuant-Modelle baue, weiß ich auch, wasderen Begrenzungen sind: QuantitativeModelle sind zu einfach, als dass sie alleVernetzungen, die man sich qualitativ imKopf vorstellen kann, berücksichtigenkönnten.

Viele sagen, die jetzige Krise sei anders

als alle anderen. Dabei wird von mehreren

3-Sigma-Events gesprochen, die in den

letzten beiden Jahren stattgefunden haben

sollen. Kann man aus der gefühlten Unter-

schiedlichkeit der Krisen schließen, dass

Entscheidungsträger aus Krisen nichts für

zukünftige Entscheidungen lernen?

Hens: Sie spielen auf den Schwarzen Schwanvon Nassim Taleb an? Ich halte die Aussa-ge, dass wir es in letzter Zeit öfter mit 3-Sigma-Events zu tun hatten, angesichts desaktuellen Desasters für eine Ausrede. Ichglaube vielmehr, dass es sich um eine Kri-se wie jede andere handelt. Von der Syste-matik begann es mit einer Spekulationsbla-se – diesmal nicht auf dem Internet-, son-dern auf dem US-Häusermarkt. Man hatauch ebenso wie bei jeder anderen speku-

lativen Blase die „Smart Money Response“gesehen. Die Banken bauten Produkte aufden angeheizten Markt – in diesem Fall diestrukturierten Kredite –, was die Sache wei-ter anheizte. Die Spekulationspyramide istdann mit den üblichen Stadien zusammen-gebrochen. Interessant dabei ist: Der US-Häusermarkt ist nur um 15 Prozent einge-brochen, aber die Pyramide, die die Invest-mentbanken darauf gesetzt haben, ist vielheftiger zusammengekracht. Nun wird alleswieder zurückgedreht, die Spekulation gehtin die andere Richtung, und langsam kom-men wir auf den Boden der Tatsachen. DasMuster ist leider immer dasselbe.

Lernt man nun daraus?

Hens: Nein. Die Anleger wissen am Endeeiner spekulativen Blase sowieso, dass derMarkt überbewertet ist. Sie kaufen dannnicht, weil sie denken, dass die Bewertunggünstig ist, sondern weil sie glauben, dasssie einen noch Dümmeren finden, der ihnendie Sachen dann abkaufen wird. Aus Sichtdes Einzelnen kann es deshalb sehr wohlrational sein, bei der spekulativen Blasemitzumachen. Die Hoffnung wäre allen-falls, dass der Regulator etwas lernt und

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LGTDie liechtensteinische Fondsgesellschaft pflegt traditionell einen regen

Austausch mit finanzwissenschaftlichen Universitäten, die sich in

Workshops, Roadshows und dem Informations- und Gedankenaus-

tausch niederschlagen. Die LGT legt am 1. April 2009 den LGT EQ

European Sector Trends (EUR) auf, der Behavioural-Finance-Ansätze

umsetzen soll, die Manager sind Volker Hergert und Oliver Günter.

SparinvestAuch die luxemburgisch-dänische Investmentgesellschaft Sparinvest

holt sich immer wieder das Know-how von finanzwissenschaftlichen

Lehrstühlen ins Haus. Beispielsweise hat sich Sparinvest von Profes-

sor Hens ein Beratungstool entwickeln lassen, das dem Berater hilft,

Sparinvest Asset-Allocation-Fonds optimal für den Kunden miteinan-

der zu kombinieren.

Der lange Weg von der Theorie in die Praxis: Behavioural Finance auf Produktebene

Volker Hergert, Senior Equity Strategist bei LGT Capital Management Ltd: »Ausgangspunkt bei unseren Anlageüberlegungen ist die Beob-achtung, dass Trends nicht zufällig entstehen, sondern syste-matisch, weil der Markt nicht in der Lage ist, die Zukunft zuprognostizieren, und daher über künftige Potenziale Erwartungenbilden muss. Zu einzelnen Finanzthemen bildet sich regelmäßigeine Partei der Befürworter und eine der Verweigerer. Im Ringenum die Meinungsführerschaft gewinnt eine Partei schließlich dieOberhand. Solange es ihr gelingt, immer mehr Anhänger ausdem anderen Lager auf ihre Seite zu ziehen, bewegen sich Kursein die von ihr vorgegebene Richtung. Ein Trend entsteht. Er endet,wenn niemand übriggeblieben ist, der sich gegen ihn stellt. Bei

einem Trend unterscheiden wir drei Phasen, die wir mit unseren selbst entwickelten Instrumen-ten identifizieren können. Generell sind wir nur in Aktien investiert, die zum Gesamtmarkteinen positiven Trend aufweisen, dem wir eindeutig das treibende Thema zuordnen können.Ein ›Thema‹ kann auf ein Unternehmen bezogen sein, auf einen Sektor oder auf den Gesamt-markt. Die Schwierigkeit ist, dass sich die Einflüsse dieser drei Bereiche überlagern.«

Volker Grüneke, General Manager Sparinvest S.A. (Luxemburg):»Die Tatsache, dass höhere Renditen immer auch mit einemhöheren Risiko verbunden sind, wird in Boomzeiten gernausgeblendet. In Zeiten, wie wir sie momentan erleben, sinddie Investoren dagegen extrem risikoscheu. Um diesen psychologischen Mechanismen entgegenzuwirken,haben wir gemeinsam mit Professor Thorsten Hens einenspeziellen Riskprofiler entwickelt, der auf den Erkenntnissender Behavioural Finance fußt. Wir wollen unsere Berater dabei unterstützen, das Risikoprofilihrer Kunden und dessen Einfluss auf die Anlageentschei-dungen zu erkennen. Das von Professor Hens entwickelte Toolist zudem extrem zeiteffizient. Der Anleger muss lediglich acht Fragen beantworten. Nach der Beantwortung dieser Fragen wird im zweiten Teil des Risk Profilers aus den Bausteinender Sparinvest Asset-Allocation-Fonds eine exakt auf den Kunden zugeschnittene strategischeAsset Allocation erstellt, die auf jahrzehntelangen akademischen Studien und empirischenNachweisen basiert.«

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früher einschreitet. Ich bin der Ansicht, dass„Asset Price Inflation“ eine Inflation ist, diedie Zentralbanken berücksichtigen müssen.

Was ist jetzt die typische Reaktion der

Akteure an den Finanzmärkten?

Hens: Ich sehe einen generellen Trend „Backto Basics“, also weg von kompliziertenSchachtelprodukten. Jetzt bildet man eherPortfolios aus Basisbausteinen wie BlueChips von Versorgern oder aus CorporateBonds. Auf Seite der Banken sehen wir einumfangreiches „Deleveraging“: Die Finanz-pyramide, die aufgebaut wurde, wird jetztwieder abgebaut – mit dem unschönenNebeneffekt, dass keine Kredite mehr ver-geben werden.

Angesichts der schwierigen Marktbedin-

gungen gelangen viele Investoren zu der

Erkenntnis, dass die genutzten Risikowarn-

systeme nicht richtig funktioniert haben.

Welche Lösungen können Behavioural-

Finance-Ansätze zukünftig bieten?

Hens: Behavioural Finance hat einen Wis-sensvorsprung im Studium der Irrationalitätder Märkte. Da Übertreibungen meist derAusgangspunkt für einen Crash sind, kannman mittels Behavioural Finance die Risi-kowarnsysteme verbessern. Beispielsweiseentwickle ich mit der Pensionskasse derStadt Zürich einen Monitor, mit dem manspekulative Blasen hinkünftig früher er-kennen kann.

Haben Sie die nächste auf dem Radar?

Hens: Nein, im Moment sind wir nochdabei, die alte zu verdauen. Aber wir sehenauch: Es wird derzeit so viel Liquidität indas System hineingepumpt, dass die nächsteBlase dadurch einen sehr guten Nähr-boden hat.

Die meisten Marktteilnehmer hoffen,

dass die Krise bald vorbei ist. Können

Sie als Behavioural-Finance-Experte

ermitteln, wann der Wendepunkt er-

reicht ist, d. h., wann die Marktstim-

mung ins Positive und später vielleicht

sogar ins übertrieben Positive schwenkt?

Hens: Wir sind leider noch lange nichtauf dem Bewertungsniveau, das wir2003 hatten, und die aktuelle Krise ist

eigentlich größer als die Dotcom-Krise.2000 hatten wir eine spekulative Blase ineinem einzigen Sektor. Jetzt haben wir einegroße und wahrscheinlich lang anhaltendeWirtschaftskrise. Derzeit steht der DAX bei4000 bis 4500 Punkten, in der vorherge-henden Krise waren es um die 3000. Ichdenke, da ist noch etwas Luft nach unten.

Wenn Sie so von Bewertungsniveaus spre-

chen: Sind Sie ein Value Investor?

Hens: Eigentlich ist das jeder Ökonom. Aberim Gegensatz zu den meisten Value-Inves-toren bin ich der Meinung, dass man ValueInvestments timen kann. Man kann hierdurchaus auf die Zyklizität achten.

Ich würde gern noch das Vergütungs-

thema ansprechen: Menschen werden moti-

viert und beeinflusst durch ihr jeweiliges

Anreizsystem. Inzwischen ist man sich

bewusst, dass viele Vergütungssysteme zu

stark auf kurzfristige Profite ausgerichtet

waren. Auf der anderen Seite motiviert ein

Bonbon nur wenig, wenn es zu weit weg

gehalten wird. Wie sollte Ihrer Meinung

nach das ideale Anreizsystem im Banken-

bereich aussehen?

Hens: Die Psychologen unterscheiden zwi-schen intrinsischer und extrinsischer Moti-vation. Intrinsische Motivation ist, dass maneine Sache gern macht – das ist die „Beru-fung“ im Beruf. Dazu gibt es die extrin-sische Motivation, dass man damit Geldverdienen möchte. Je mehr man die Vergü-tung thematisiert, desto mehr rücken dieMenschen ihre intrinsische Motivation inden Hintergrund und fragen sich zuneh-mend, ob sie einen höheren Bonus als derKollege erhalten. Und das ist schädlich. Es

ist nicht sinnvoll, jemandem einen Riesen-bonus zu zahlen, der beispielsweise nichtvon sich aus gern Asset Manager ist.

Hatten die Anreizsysteme nicht sogar ihren

Ursprung in der Behavioural Finance?

Hens: Nein, das kam in den 80er Jahren ausder Spieltheorie. Hier hat man versucht, dasPrincipal-Agenten-Problem zu knacken.Man wollte erreichen, dass der Manageretwas mehr für den Eigentümer tut, unddafür wollte man Anreizsysteme schaffen.Es kam dann zu Exzessen in der extrinsi-schen Motivation, die dazu geführt haben,dass die Leute gar nicht mehr überlegthaben, ob sie ihren Job gern machen. Psy-chologisch war das der falsche Anreiz.Manager haben viel zu sehr geschaut, wieviel die anderen verdienen. Und verdientensie dann eine Million weniger als andere,fühlten sie sich degradiert.

Wie sollte der Staat jetzt Ihrer Meinung

nach die Banken stützen?

Hens: Das Drehbuch für diese Krise ist jaquasi schon im Skandinavien der neunzigerJahre geschrieben worden. Dort gab es auchzunächst eine Immobilienblase mit derentsprechenden Krise, als die Kredite weg-brachen. Die Banken wurden verstaatlichtund die Manager entlassen. Die schlechtenKredite wurden gesammelt, und dannwurden die Banken wieder in die Selbst-ständigkeit entlassen. Netto hat der Staatsogar einen Profit gemacht. Daher kann ichDeutschland nur raten, keine Bürgschaftenzu geben, denn hier gibt es nur das Down-side-Risiko. Bei einer Beteiligung desStaates hat man die Downside- und die Up-side-Möglichkeit und dazu noch die Kon-

trollrechte. In der Schweiz hat man diesmeines Erachtens auch nicht optimalgelöst. Man hat der UBS die faulenKredite abgekauft, anstatt sich dorthöher zu beteiligen. Was mir aber ge-fallen hat: Die Credit Suisse hat ihreBonifikationen in Form der schlechtenstrukturierten Papiere ausbezahlt. Dassetzt doch die richtigen Anreize: Wennman Schrott gesammelt hat, erhält manden am Ende als Bonus!

Wir danken für das Gespräch.

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BhFS – Behavioural Finance Solu-tions GmbH – heißt die Spin-off-Firma, die Hens mithilfe der Uni-versität Zürich gegründet hat. DieUni hilft der Firma auch beimMarketing und ist an den Gewinnenbeteiligt. Derzeit befasst sich BhFSmit der Verbesserung von Beratungs-gesprächen im Private Banking und mit Asset-Management-Tools.

Von der Wissenschaft zur Praxis

Thorsten Hens und seine Studenten schlagen mit derBehavioural Finance Solutions GmbH die Brücke zur Praxis.