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Ostalgie Thomas Ahbe Zum Umgang mit der DDR-Vergangenheit in den 1990er Jahren ISBN 3-931426-96-3 (Foto: Bundesbildstelle)

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Ostalgie

Thom

as A

hbe

Zum Umgang mit der

DDR-Vergangenheit in den

1990er Jahren

ISBN 3-931426-96-3

(Foto: Bundesbildstelle)

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OstalgieZum Umgangmit der DDR-

Vergangenheitin den

1990er Jahren

Thomas Ahbe

Sonderauflagefür die Landeszentrale fürpolitische Bildungsarbeit Berlin

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Dr. Thomas Ahbe ist Sozialwissenschaftler und freier Publizist in Leipzig.

Buchveröffentlichungen u. a.:

Identitätskonstruktionen. Das Patchwork der Identitäten in der Spätmoderne. (Zus. mit Heiner Keupp, Wolfgang Gmür, u.a.) Rowohlt 1999, erw. Aufl. 2002,

Es kann nur besser werden. Erinnerungen an die fünfziger Jahre in Sachsen. (zus. m. Michael Hofmann) Gustav Kiepenheuer Verlag 2001,

Die DDR aus generationengeschichtlicher Perspektive. Eine Inventur. (Hrsg. zus. m. Rainer Gries und Annegret Schüle. Leipziger Universitätsverlag. (ersch. 2005).

Diese Veröffentlichung stellt keine Meinungsäußerung der Landeszentrale für politische Bildung Thüringen dar.Für inhaltliche Aussagen trägt der Autor die Verantwortung.

Landeszentrale für politische Bildung ThüringenRegierungsstraße 73, 99084 Erfurt, www.thueringen.de/de/lztHerstellung: Druckerei Sömmerda GmbH2005ISBN 3-931426-96-3

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3Inhalt

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5

Eine unerhörte Begebenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6

Ostalgie – Facetten eines Phänomens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

Das Verschwinden von Symbolen der DDR-Vergangenheit . . . . . . . . 9

Die friedliche Revolution 1989/1990: Spontane Demontage der DDR-Symbole . . . . . 10

Die Währungsumstellung 1990: Schlagartiges Verschwinden der DDR-Produktwelt . . . 15

Der Beitritt zur Bundesrepublik 1990: Demokratisch legitimierte Beseitigung

der DDR-Symbole . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19

Die Transformation der Arbeitswelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26

Die Verschrottung des „gelebten Lebens“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26

Von „Jammer-Ossis“ und „Besser-Wessis“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31

Verlusterfahrungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34

Die populäre Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit: Von „40 Jahre betrogen“

zu „Es war nicht alles schlecht“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36

Die Zwischenbilanz der Vereinigung: Ostdeutsche Gewinne und Verluste

im Spiegel der Statistik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37

Ostalgie – Das Wiederauftauchen von Symbolen der DDR-Vergangenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41

Die Praktiken der Bevölkerung zur Selbstvergewisserung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42

Ostalgie als Resultat einer besonderen Kommunikationssituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42

Ostalgie-Partys: Nachholende Verabschiedung der DDR und Selbstvergewisserung

in der Gegenwart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43

Die Werbebotschaften der Ostprodukte: „Aus dem Osten, daher gut!“ . . . . . . . . . . . 45

Die Ampelmännchen-Industrie: Das Geschäft mit der Erinnerung . . . . . . . . . . . . . . . . 54

Die mediale Kommerzialisierung: Von der Ostalgie-Party zur Ostalgie-Show . . . . . . . . 57

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Fernseh-Shows als Politikum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59

Bilanz eines Diskursereignisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60

Zusammenfassung: Die Ostdeutschen und das Bild vom Osten nach 1990 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63

Erläuterungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67

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Einleitung

(Foto: Bundesbildstelle)Bei Espenhain 1991.

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6Jahres 1990, wenige Monate nachdem am1. Juli die D-Mark in der DDR eingeführtwurde. In diesem Jahr produzierten dieOstdeutschen pro Kopf 1,2 Tonnen Müll,dreimal soviel wie die Westdeutschen.1

Haufenweise wurden die Gegenstände desDDR-Alltags ausrangiert. Was 1990 imRinnstein und auf den Sperrmüllplätzen vorsich hin rostete – Unterhaltungs- und Haus-haltstechnik von RFT bis AKA-electric – wur-de 2003 begeistert als „Identitäts-Anker“ indie Kamera gehalten: „Unser Stern-Recor-der!“, hieß es. Während die Trabis 1990noch wie die Skelette von ausgeweidetemGroßwild die Straßen säumten, fuhren sieim Jahre 2003 knatternd und quäkend überdie Show-Bühne, als wären sie schon immerdes Neu-Bundesbürgers allerliebstes Autogewesen.Was war geschehen?

Eine unerhörteBegebenheit

Als der Sommer des Jahres 2003 zu Endeging, rollte über die deutschen Fernsehbild-schirme eine neue Welle: die der Ost- oderDDR-Shows. Über Wochen hinweg wurdenin Fernseh-Shows Produkte, Symbole, Ge-schichten und Erinnerungen aus der DDR-Zeit gezeigt. Doch die ,Sammlung‘, die imJahre 2003 im Rampenlicht präsentiert wur-de, war schon einmal in aller Öffentlich-keit zu sehen. Das gleiche Furnier der DDR-Schrankwände, das im Jahre 2003 gutausgeleuchtet auf der Bühne stand, well-te sich 13 Jahre zuvor im trüben Licht derStraßenbeleuchtung und in den Pfützen des

(Foto: Bundesbildstelle)

Wohngebiet 1991 in Leipzig.

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7Ostalgie – Facetteneines Phänomens

Nach der Entsorgung von Gegenständenund Symbolen aus der DDR-Zeit setzte inden Jahren 1991 und 1992 allmählich de-ren Wiederentdeckung ein. Die Renaissan-ce von Symbolen der DDR-Vergangenheitwurde sowohl durch sentimentale Nostalgieangetrieben wie auch durch Versuche einererinnernden Selbstvergewisserung und lai-enhafter Vergangenheitsaufarbeitung. Ironieund Klamauk spielten hierbei ebenso eineRolle wie das Bedürfnis von Jugendlichen,sich auf neuartige Weise von der Erwach-senenwelt abzugrenzen und neue Stile zuerfinden. Darüber hinaus wurde und wirddiese Renaissance auch kommerziell be-dient und angetrieben: Der Verweis auf ,diealten Zeiten‘ hilft Zigaretten, Bier und Würst-chen zu verkaufen. Und auch mit gutver-käuflichen Erinnerungen an die Vergan-genheit in der DDR – beispielsweise mitBüchern, Spielen, CDs, Filmen, Designpro-dukten oder Fernseh-Shows – wird Geldgemacht.

Diese aus recht unterschiedlichen Bedürf-nislagen von verschiedensten Akteuren be-triebene Wiederbelebung wird gemeinhinals „Ostalgie“ bezeichnet. Das Kunstwort„Ostalgie“ stieg in den 1990er Jahren zueinem präsenten und starken Schlagwortauf. Seine Erfindung wird dem Dresdner Ka-

barettisten und Schauspieler Uwe Steimlezugeschrieben. Die Popularität des Terminus„Ostalgie“ rührt zum einen daher, dass ersehr viele und auch immer wieder neu ent-standene Erscheinungen oder Haltungen zuetikettieren vermag. Zum anderen beruhtdie Popularität des Wortes „Ostalgie“ da-rauf, dass es mit verschiedenen Wertungenverbunden werden kann: Für die Einen dient„Ostalgie“ als stigmatisierender Begriff, mitdem sie die Renaissance von Symbolen ausder DDR-Zeit als verurteilenswerte DDR-Nos-talgie kennzeichnen wollen. Die Anderenetikettieren das Aufkommen von Symbolenaus der DDR-Zeit wertneutral als „Ostal-gie“, weil sie darin eine berechtigte Formder Erinnerung oder eine erfolgverspre-chende Geschäftsidee sehen. Und wiederandere wollen in „Ostalgie“ eine beson-dere Art ostdeutscher Selbstbehauptungerkennen.

Ostalgie kann als eine für die 1990er Jahretypische Reaktionsweise eines Teils der ost-deutschen Bevölkerung betrachtet werden,mit der diese Gruppe den Bruch nach1990, den scharfen Schnitt zwischen Ver-gangenheit und Zukunft thematisierte. Dennwas sich politik- und wirtschaftswissenschaft-lich als erfolgreiche Einführung eines neuenSystems2 beschreiben lässt – also der Auf-bau neuer Institutionen, Handlungsstrukturenund Werte –, war aus Sicht der ostdeut-schen Bevölkerung ein sehr widersprüchli-cher und schwieriger Prozess, der nicht nurmit Gewinnen, sondern auch mit Verlusteneinherging.

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Das Verschwinden von Symbolen der

DDR-Vergangenheit

(Foto: Thomas Kläber)

Ausgestemmtes DDR-Emblem an der Sandsteinfassade vom Gebäude des ehemaligen Rat des Bezirkes,danach Stadtverwaltung, in Cottbus, August 1990.

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10Die friedlicheRevolution1989/1990:SpontaneDemontage der DDR-Symbole

Vorspiel der friedlichen Revolution in derDDR war, dass engagierte Gruppen mitihren Botschaften in eine ihnen bis dahinvollständig versperrte Öffentlichkeit gelan-gen konnten. Diese Aktionen gewannen vorallem dann an Bedeutung, wenn sie in denbundesdeutschen Radio- und Fernsehberich-ten thematisiert wurden, wie beispielweise

die Proteste anlässlich der Luxemburg-Lieb-knecht-Gedenkfeier am 15. Januar 1988 inBerlin. Hier wurden die Herrschenden aufeiner symbolischen Ebene angegriffen: MitBezug auf einen Aufsatz von Rosa Luxem-burg stellte man genau jene Herrschafts-verhältnisse in Frage, die ihre Rechtfertigungaus dem Totenkult der ermordeten Märty-rerin beziehen wollte. Bei dieser Aktionging es noch um die Nutzung der Staats-symbole für oppositionelle Ziele – wie spä-ter auch beim Sprechchor „Wir sind dasVolk“ oder beim Absingen der „Internatio-nale“ auf den Leipziger Montagsdemonstra-tionen. Als sich die Machtverhältnisse nachder Erringung des Demonstrationsrechts inder DDR durch die Leipziger Großdemonst-ration am 9. Oktober 1989 verändert hat-ten, setzte die Demontage der DDR-Staats-symbole ein. Zunächst kam es hierbei zueiner spontanen Welle der Beseitigung derDDR-Staatssymbole. Nachdem die gewalt-

(Foto: Stadtarchiv Erfurt)

19. November 1989 in Erfurt.

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11tätige Auflösung von Demonstrationen nichtmehr zu befürchten war, bestand nun dieGelegenheit zu einer öffentlichen, oft ori-ginellen und satirischen Demontage derDDR-Symbole. Diese Art des Bildersturmsäußerte sich vor allem darin, dass Symbo-le, Ikonen und Texte des DDR-Systems lä-cherlich gemacht wurden – beispielsweisedurch Montagen und Karikaturen zu denbekannten Portraits der SED-Führer. Auf derBerliner Demonstration vom 4. November1989 konnte die Heiterkeit und Inspirationvon Siegern erspürt werden, die für ihrenSieg keinen blutigen Preis gezahlt hattenund mit versöhnlichem Blick auf die Ge-genwart und zuversichtlich in die Zukunft sa-hen. Lachend wurde ein Plakat vorgezeigt,das den Händedruck aus dem SED-Emblem– für viele Symbol der SED-Herrschaft – ineine Abschiedsgeste umdeutete und mit denWorten „und Tschüß!“ unterschrieb.

Einige Demonstranten stellten an diesemTag eine DDR-Ehrentribüne nach: Von einer

erhöhten Plattform winkten die Darsteller der,DDR-Repräsentanten‘ mit alterstypisch zittri-gen Händen dem Volke, welches zumKundgebungsplatz strömte, zu. Und ,dasVolk‘, die DDR-Bürger der friedlichen Revo-lution von 1989, winkte zur ,Ehrentribüne‘zurück. Auf der Demonstration am 4. No-vember 1989 plakatierte man auch denSpruch: „Ein Vorschlag für den 1. Mai: DieFührung zieht am Volk vorbei!“. Diese Lo-sung zielte auf ein zentrales politischesRitual, nämlich den „Vorbeimarsch der mitder Parteiführung verbundenen jubelndenVolksmassen an der Ehrentribüne“, auf derdie Staats- und Parteiführung sowie symbo-lisch als Vertreter des Volkes einige „ver-diente Werktätige“ standen. Das Ritual desVorbeimarsches an der Ehren-Tribüne solltegenau das feiern, was in der DDR nie be-standen hat: „Die Einheit von Volk undPartei(führung).“ Der Demo-Spruch von 1989beorderte die Führung von ihren Ehren-Tribünen herab und spielte mit der Vor-stellung eines Hierarchiewechsels zwischen

(Foto: Thomas Kläber)

DDR-Propaganda-Transparent mit „Die Wende“ übermalt, März 1991.

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12Oben und Unten.3 Ein anderer Grund, wa-rum dieses Ritual sofort lächerlich gemachtwurde, liegt nicht im politischen, sondern imästhetischen Bereich. Das Vorbeimarsch-Tri-büne-Ritual war in einer abstoßenden Artveraltet. In eine modernisierte Industriege-sellschaft passte diese Inszenierung vonPathos, Einheit, Hierarchie und Autorität,die dem Weltempfinden der 1920er und1930er Jahre entsprach, überhaupt nichtmehr. Die spielerische Umkehrung dieser Ri-tuale war sozusagen eine Antwort auf glei-cher Ebene: Die „demonstrierenden Werk-tätigen“ trugen während der friedlichenRevolution zwar immer noch die Porträts derSED-Führung voran – nun aber waren ausden Porträts der Machthaber die Porträtsvon Häftlingen geworden.

Das seit Jahrzehnten propagandistisch an-gesprochene „Volk“ antwortete also spon-tan den nun machtlos gewordenen Macht-habern mit den gleichen kommunikativenMitteln, die die Herrschenden einst selbergenutzt hatten. Das zeigt sich zum Beispielauch in Cottbus. Ein Propaganda-Trans-parent wurde nicht einfach zerstört oderdemontiert, sondern abmontiert, mit einemknappen Kommentar versehen und dannwieder sorgfältig angeschraubt.

Nach der Maueröffnung am 9. November1989 verlagerte sich der Schwerpunkt inder Kommunikation von der Reformierungder DDR auf eine Vereinigung mit derBundesrepublik. Nun repräsentierten dieSymbole der DDR keinerlei Zukunft mehr,

(Foto: Stadtarchiv Erfurt)

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(Foto: Bundesbildstelle)

Demonstration im Berliner Lustgarten zum Umtauschkurs DM zu Mark der DDR.

sondern nur noch ein Problem. Auf denDemonstrationen wurden DDR-Fahnen ge-schwenkt, aus denen das DDR-Emblem he-rausgeschnitten war, zudem verbrannte manDDR-Embleme öffentlich. Auf der LeipzigerDemonstration vom 11. Dezember 1989wurde die „Wiedervereinigung“ als Alter-native zu „sozialistischer Armut“ gesetzt und

damit gegen den damals noch beste-henden Plan einer Konföderation gestimmt.Die Hoffnung auf die Teilhabe am Wohl-stand der Bundesrepublik widerspiegeltesich dann auch in der berühmten Losung:„Kommt die D-Mark, bleiben wir. Kommt sienicht, geh‘n wir zu ihr!“

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(Foto: Stadtarchiv Erfurt)

Ende Juni 1990, Kaufhalle in Erfurt.

(Foto: Stadtarchiv Erfurt)

Erfurt: Die Vorbereitung der Währungsunion.

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(Foto: Bundesbildstelle)

Schaufenster am Alexanderplatz in Berlin am Tag der Währungsunion.

DieWährungsumstellung1990: SchlagartigesVerschwinden derDDR-Produktwelt

Am 18. Mai 1990 schlossen die Bundes-republik und die DDR den „Vertrag über dieSchaffung einer Währungs-, Wirtschafts-und Sozialunion zwischen der Bundesre-publik Deutschland und der Deutschen De-

mokratischen Republik“ ab. Darin hieß es:„Mit Wirkung vom 1. Juli 1990 wird dieDeutsche Mark als Währung in der Deut-schen Demokratischen Republik eingeführt.“4

In den Jahren zuvor hatte die D-Mark in derDDR als eine Art zweite Währung fungiert.Grundnahrungsmittel und andere Güter deselementaren Bedarfs wie Wohnen oderKleidung waren in der DDR subventioniert,während andere Warengruppen gewisser-maßen mit Verbrauchssteuern belastet wur-den. Dadurch kostete ein Fernsehgerät drei-mal soviel wie im Westen, dagegen einLaib Brot nur ein Sechstel. Die Miete vonWohnungen mit zum Westen vergleichba-rer Qualität betrug im Osten nur ein Vierteldes entsprechenden Westniveaus.5 Unter

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16diesen Bedingungen konnten jene DDR-Bür-ger, die über D-Mark verfügten, Importwa-ren aus dem Westen oder aber auch in derDDR schwer zu erlangende Dienstleistun-gen zukaufen – während andere Teile derDDR-Bevölkerung von diesen Konsummög-lichkeiten abgeschnitten blieben. Folglichstellten sich große Erwartungen, ja Euphorieein, nachdem der Termin für die Währungs-union bekannt geworden war. Die DDR-Bür-ger gingen davon aus, dass das begehrte„Westgeld“ nun monatlich auf ihre Kontenfließen und all die bekannten und unbe-kannten „Westprodukte“ nun überall ange-boten werden würden. Im Osten verschafftedie Ankündigung der Währungsunion demProjekt des raschen Beitritts der DDR und derÜbernahme des bundesdeutschen Systemseinen enormen Zuspruch. Skeptische undkritische Stimmen zu der geplanten Art derWährungsumstellung blieben in der Min-derheit. Konzepte, die auf die Reformierungder ostdeutschen Gesellschaft im Rahmeneiner deutsch-deutschen Konföderation ab-zielten, verloren weiter an Attraktivität.

In den Tagen vor der Währungsumstellungräumte der Handel seine Verkaufsflächenund Lager von den, wie man meinte, künftignicht mehr absetzbaren DDR-Produkten. AmFreitag, dem 29. und am Samstag, dem30. Juni 1990, konnte man durch Verkaufs-stellen mit nahezu völlig geleerten Verkaufs-

flächen und Regalen gehen. Die Schaufens-ter waren ausgeräumt oder verhängt.

Der Tag der Einführung der D-Mark wurdevon vielen Ostdeutschen euphorisch beju-belt. Gefeiert wurde die Erwartung, dassdie gewohnten Lohn- und Gehaltszahlungenvon nun an in D-Mark erfolgen und dass dieDDR-Mark-Sparguthaben in einem Kurs von2:1 umgetauscht würden. Die Währungs-union bedeutete für viele Ostdeutsche dieAufnahme in den Club der mündigen Kon-sumenten. Sie mussten sich beim Kaufen nurnoch nach den eigenen finanziellen Mitteln,aber nicht mehr nach politisch definiertenSubventions- und Verteilungs-Kriterien rich-ten. Am Montag, dem 2. Juli 1990, warüberall und mit einem Schlag ein kompletterneuertes Warenangebot in den Geschäf-ten. Die aufgestauten und bisher unbefrie-digt gebliebenen Konsumwünsche wie auchdas Bedürfnis, etwas Neues auszuprobie-ren, führten in den Wochen und Monatennach der Währungsumstellung zu außeror-dentlichen Umsätzen im Handel.

Auf der anderen Seite bedeutete der Sor-timentwechsel aber auch, dass bislang ver-traute Produkte nicht mehr erhältlich waren.Die folgende Übersicht illustriert, in wel-chem Ausmaß bislang gewohnte Produkteverschwanden. (siehe Tabelle 1)

Tabelle 1

Anteil der Westwaren am Absatz in Ostdeutschland im September 1990

Röstkaffee Dosensuppen Früchtequark Weichspüler Speisefett Speiseöl

96% 94% 90% 81% 76% 41%

Quelle: Sinn, Gerlinde; Sinn, Hans-Werner: Kaltstart. Volkswirtschaftliche Aspekte der deutschen Vereinigung.München: C.H. Beck/dtv, 1993, S. 97.

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(Foto: Stadtarchiv Erfurt)

Die Reste des „Goldbroiler“ liegen auf dem Hof, wo einst die „Goldbroiler“gegessen wurden, Erfurt, August1991.

(Foto: Stadtarchiv Erfurt)

Thüringer „Wurst-Tradition“ gegen „starken Westlichen Druck“. Nachricht an die Kunden an einem Fleischer-geschäft in Erfurt 1993.

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Die Produkte, die noch im Jahr zuvor benutztwurden, fanden sich stattdessen auf demMüll, in Sperrmüllcontainern oder am Stra-ßenrand.6 Spektakulär war die Entdeckungvon Tausenden druckfrischen Büchern ausden Beständen des ehemaligen Buchgroß-handels auf einer Müllkippe bei Leipzig. EinReporter notiert: „Ungelesen in den Abfallgekippt wurden: Kinderbücher, deutscheKlassiker, internationale Belletristik.“7 Die Bü-cher lagerten bis dahin im Leipziger Kom-missions- und Großbuchhandel (LKG). Mitteder 1990er Jahre hatten die Hälfte derVerlage die Verträge mit dem LKG gekün-digt, aber ihre dort lagernden Bücher nichtabgeholt. Die Verlage wiederum hatten ihreImmobilien an die Treuhand verloren, sie

mussten nun mit einem Bruchteil der Flächewirtschaften und auch ihre umfangreichenBibliotheken und Archive abstoßen.8

Doch auch die Waren, die nach der Ein-führung der D-Mark in der noch bestehen-den DDR produziert wurden, fanden nichtmehr in die Verkaufsregale. Oft versuchtendie Produzenten, ihre Waren auf öffentli-chen Plätzen direkt an die Kunden zu ver-kaufen: Würste, Brote, Textilien, Schuhe. ImJahr 1990 wurde in den Straßen der DDRviel demonstriert. Eine der kuriosesten De-monstrationen war die der ostdeutschen Pro-duzenten. Ihr Adressat war der Konsument.Dem Demonstrationszug voran trugen sieein Transparent auf dem zu lesen war: „Wa-rum kauft Ihr unsere Erzeugnisse nicht?“

(Foto: Silke Geister)

Juli 1990 in Leipzig.

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19Der Beitritt zur Bundesrepublik1990: Demokratischlegitimierte Beseitigung der DDR-Symbole

Am 23. August 1990 beschloss die Volks-kammer der DDR „den Beitritt der DeutschenDemokratischen Republik zum Geltungsbe-reich des Grundgesetzes der Bundesre-publik Deutschland gemäß Artikel 23 desGrundgesetzes mit Wirkung vom 3. Okto-ber 1990.“9 Damit markierte die Volks-kammer den Zeitpunkt, an dem mit denstaatlichen Institutionen auch die restlichenDDR-Staatssymbole aus der Öffentlichkeit zuverschwinden hatten. Nachdem in den letz-ten Monaten der Noch-DDR viele Institu-tionen ihre sozialistischen Namen ablegtenund ihre öffentlichen Räume von Transpa-renten, Fahnen und Propaganda-Schaukäs-ten befreit hatten, schaffte sich in der Nachtzum 3. Oktober nun auch der DDR-Staatselbst ab. Spätestens zu diesem Zeitpunktverschwanden dann auch an den ehemali-gen staatlichen Institutionen und Behördendie Reste der repräsentativen Oberflächeder DDR.

Die Erneuerung der repräsentativen Ober-fläche in den neuen Bundesländern warrechtsstaatlich geregelt und durch politischeMehrheitsverhältnisse legitimiert. Inhaltlichwurde sie von den Wertvorstellungen derneuen politischen Eliten Ostdeutschlandsgeprägt. Am markantesten zeigte sich die-

ser Prozess bei den Um- oder Rückbe-nennungen von Straßen. Die Namen vonStraßen, Plätzen und Brücken, die Denk-mäler und Gedenktafeln symbolisieren, wasals Tradition einer Gesellschaft gilt. Sie stel-len gewissermaßen ihr ,öffentliches Ge-dächtnis‘ dar. Sie sind nicht immer unumstrit-ten. In der DDR war mit der Namensgebungdas sozialistische Traditionsverständnis inder Öffentlichkeit verankert worden. Zu-gleich sind diese Namen für jene Men-schen, die sich nicht zu diesen Traditionenbekennen wollten, als ein Symbol der Dik-tatur wahrgenommen worden.

Aus diesem Grunde begannen die lokalenParlamente auch recht bald, die öffentlichenVerweise auf Symbole der DDR und ihresTraditionsverständnisses zu überprüfen, neuzu bewerten und oft auch zu beseitigen. Dazu diesem Prozess noch keine detailliertenStudien vorliegen, soll der Umgang mit denDDR-Symbolen hier am Beispiel einer Stadtillustriert werden. Die Stadt Leipzig eignetsich hierfür recht gut.

In Leipzig wurden in den Jahren zwischen1945–1989 etwa 400 nach Personen be-nannte Straßen und Plätze um- oder neube-nannt. Die Tilgung der nationalsozialisti-schen, nationalistischen und militaristischenTraditionslinie ging mit der Verankerung derantifaschistischen und vor allem sozialisti-schen Traditionslinie im öffentlichen Raumeinher.10 Diese 400 Namen, die in gewis-ser Weise auch die DDR symbolisierten,standen nach 1990 zur Überprüfung. Dasführte zu zwei Umbenennungswellen, die1992 und 1999 vollzogen wurden. In derersten Umbenennungswelle von 1992 wur-den von den genannten 400 Namensge-bungen 38 Straßen und Plätze umbenannt,in der zweiten Welle von 1999 noch ein-mal 10 Straßen – das sind insgesamt 12

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(Foto: Stadtarchiv Erfurt)

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21Prozent der in der Zeit der SBZ und DDRnach Personen benannten Straßen und Plät-ze und gut zwei Prozent aller Straßennamenund Namen von Plätzen in der Stadt.11

Doch noch bevor man sich mit der erstenUmbenennungswelle beschäftigte, erfolgtein Leipzig am 3. Oktober 1990, dem Tagdes Beitritts der DDR zur Bundesrepublik,eine spektakuläre Rückbenennung. In derSondertagung der Leipziger Stadtverordne-tenversammlung vom 2. Oktober 1990 wur-de mit deutlicher Mehrheit dem Votum derEinwohner folgend beschlossen, den Karl-Marx-Platz in Augustsplatz rückzubenen-nen. „Mit dem letzten Glockenschlag des2. Oktober 1990“, in der letzten Minuteder DDR, wurden die Namensschilder ge-tauscht.12 Sowohl die Art des Vollzugs die-ser Rückbenennung wie auch die hohePriorität auf der Agenda der Stadtverord-neten verweist auf die Relevanz der Sym-bole: Der Platz ist der größte und wichtigs-te der Stadt. Hier stehen das berühmteGewandhaus, die Universität und die Oper,hier nahmen die großen Demonstrationender friedlichen Revolution ihren Anfang, hierfanden später die wichtigen Kundgebungenstatt. Hier sollte auch zuerst ein Zeichen fürden Neuanfang und für den Abschied vonder DDR gesetzt werden. Der Namens-patron Marx, der Philosoph und Wissen-schaftler aus dem 19. Jahrhundert, war vonder DDR-Propaganda längst auf eine Ga-lionsfigur des DDR-Sozialismus reduziertworden – und so wurde Marx nach 1990auch wahrgenommen.13 Darüber hinauswurde deutlich, dass wichtige Orte nichtmehr mit Symbolen der DDR verbunden seinsollten.14

Die ganze Differenziertheit bei der Neu-justierung von Leipzigs öffentlichem Ge-dächtnis zeigt sich in den beiden Umbe-

nennungswellen von 1992 und 1999. Inder zum 1. Januar 1992 in Kraft getretenenersten Umbenennungsaktion standen 67Leipziger Straßennamen zur Debatte. Letzt-lich wurden davon 38 Straßen umbenannt.Hierbei zeigten sich verschiedene Inten-tionen. Zunächst ging es darum, mit denNamen der wichtigen Ausfall- und Rich-tungsstraßen die „regionale Einbindung derStadt Leipzig in ihre Umgebung“15 wiederdarzustellen. Auch bei der Um- oder Rück-benennung der übrigen städtischen Straßenund Plätze war das erklärte Ziel, regional-und stadtgeschichtliche Bezüge stärker inden Vordergrund zu stellen. Die hierbei ent-fernten Namen waren stets Verweise aufdas Traditionsverständnis der DDR. Selbstsolche an sich eher unproblematischen Stra-ßennamen wie „Spartakusstraße“, „Straßeder Bauarbeiter“, „Straße der Jugend“,„Straße der Solidarität“ oder „Straße derVölkerfreundschaft“ im Neubaustadtteil Leip-zig Grünau wurden als Verweise auf dieDDR getilgt.16 Trotz dieser Umbenennungenwollten die Stadtverordneten das öffentlicheGedächtnis der Stadt nicht vollständig vonDDR-Symbolik abgrenzen. Fünf Jahre später,im Jahr 1997, wurde noch einmal eineArbeitsgruppe „Straßen- Um- und Neube-nennungen“17 tätig, die im Mai 1999 zuihren abschließenden Empfehlungen kamund die zweite Umbenennungswelle orga-nisierte. Von den verbliebenen 335 Straßenund Plätzen, die zwischen 1945 und 1989nach Personen benannt worden waren,wurden noch einmal 176 diskutiert undletztendlich weitere 10 Straßen, die auf dasDDR-Traditionsverständnis verwiesen, umbe-nannt. Zu den neuen Namenspatronenzählten nun ein US-Kommandeur, dessenTruppenteile im April 1945 Leipzig be-freiten, ein Opfer der NS-Militärgerichts-barkeit, ein Opfer aus dem militärischenWiderstand gegen das Naziregime, ein

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nach einem Kämpfer im Spanischen Bürger-krieg (1936–1939) und späteren Oberstder NVA, in Zillstraße umbenannt.

In der Stadt Leipzig verlief der Umgang mitden öffentlichen Symbolen der DDR-Ver-gangenheit relativ unspektakulär und ausge-wogen. Einer der Gründe dafür dürfte auchsein, dass in Leipzigs Stadtgebiet keine gro-ßen sozialistischen Denkmäler vorhandenwaren.19 Denn gerade um deren Schicksalgab es in anderen ostdeutschen Städtenscharfe Kontroversen, bei denen die Argu-mente von politischen Akteuren, Bürgern,Denkmalschützern und Künstlern aufeinan-der prallten. So gab es beispielsweise ge-gen den Abriss des monumentalen BerlinerLenin-Denkmals viele Klagen, Proteste, Un-terschriftensammlungen und eine Bürgerini-tiative. Das Denkmal wurde am 8. Novem-ber 1991 unter Polizeischutz demontiert.Zuvor konnte man am versteinerten Leninnoch die „Keine-Gewalt“-Schärpe der einstvon der DDR-Polizei gejagten Demonstran-ten der Herbstrevolution sehen.

In Dresden entschieden die Stadtverordne-ten am 3. September 1991, dass das vordem Bahnhof befindliche Lenin-Denkmal zuentfernen sei und schrieben die Demontageund den Abtransport der sieben Meter ho-hen und 120 Tonnen schweren Granitskulp-tur öffentlich aus. Am 20. November 1991schlug der Münchner Künstler Rudolf Herzdem Dresdner Oberbürgermeister vor, dasDenkmal künstlerisch zu verfremden, anstattes zu entfernen. Am gleichen Standort woll-te er aus den Bestandteilen des zerteiltenDenkmals ein „skulpturales Gebilde“ entste-hen lassen. Herz schrieb: „Diese Anordnungerinnert an ein Museumsdepot oder einarchäologisches Trümmerfeld: ein Aggre-gatszustand zwischen Abbau und Rekon-struktion. ‚Lenins Lager‘ ist eine ketzerische

22studentisches Opfer der Sowjetischen Mili-täradministration, ein Opfer des DDR-Grenz-regimes, ein ehemaliger Leipziger Stadtver-ordneter und späterer Mitbegründer undBundesvorsitzender des „Gesamtverbandesder Sowjetzonenflüchtlinge e. V.“, ein Leip-ziger SPD-Bezirksvorsitzender aus der Zeitder Weimarer Republik und ReichskanzlerBismarck.

Zusammenfassend kann man sagen, dasssich in Leipzig beim demokratisch legitimier-ten Umgang mit den Symbolen der DDR-Ver-gangenheit drei Grundtendenzen zeigen.Erstens wurden im symbolisch besondersbedeutsamen Bereich – der Innenstadt, demInnenstadtring und dem Areal um das Bun-desverwaltungsgericht – alle Verweise aufdie DDR-Vergangenheit entfernt. Bis aufzwei Ausnahmen geschah das auch beiden elf Magistralen und Ausfallstraßen.Zweitens versuchte man im übrigen Bereichder Stadt einen Ausgleich zwischen den ver-schiedenen Traditionslinien zu schaffen, dienach 1990 zu würdigen waren. Die Instal-lation neuer Verweise geschah auf Kostenvon DDR-Traditionsbezügen. Dass man tat-sächlich um Ausgewogenheit und nicht umdie Entfernung aller DDR-Verweise bemühtwar, soll an einem Beispiel erläutert wer-den. Die DDR benannte im Jahr 1986 eineam Stadtrand neu entstandene Straße nacheinem im Jahr 1962 während des Grenz-dienstes erschossenen Unteroffizier der DDR-Grenztruppen. Dieser Jörgen-Schmidtchen-Weg wurde 1999 unter der Maßgabenicht umbenannt, „daß eine in der Nähebefindliche Straße den Namen eines nochzu benennenden Fluchtopfers erhält.“18 Seit1999 verläuft nun quer zum Jörgen-Schmidt-chen-Weg die Zillstraße, die an den 1969beim Grenzübertritt erschossenen LeipzigerWolfgang Zill erinnert. Zu diesem Zweckewurde die Joseph-Zettler-Straße, benannt

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Kritik an den staatspolitischen Aufarbei-tungsritualen nach dem Fall der DDR, einanstößiges Erinnerungsstück mit politischenund ästhetischen Reibungsflächen und sollam bisherigen Ort des Denkmals vor demBahnhof seinen Platz finden.“20 Am 15. Ja-nuar 1992 beschlossen der Oberbürger-meister und die Beigeordneten der StadtDresden die Realisierung der KonzeptionLenins Lager. Die endgültige Entscheidungsollte die Stadtverordnetenversammlung tref-fen. Einen Tag später schaltete sich die Bild-Zeitung Dresden ein, in dem sie eine TED-Umfrage organisierte und deren Ergebnisam nächsten Tag veröffentlichte. Die Um-frage ergab, dass die Leserschaft der Bild-Zeitung zu 84,3 Prozent für die vollständige

(Foto: Bundesbildstelle)

Demontiertes Lenin-Denkmal aus Berlin.

Entfernung des Denkmals stimmte. Am 5.März 1992 hatten die Stadtverordnetenzwischen der Option der kostenlosen Reali-sierung von Lenins Lager und dem ebenfallskostenlos vorzunehmenden zerstörungsfrei-en Abbau und Abtransport zu entscheidenund wählten letzteres. Am Tag daraufschrieb die Dresdner Zeitung: „Ausge-rechnet ein Künstler aus München will denStadtverordneten und uns Dresdner insge-samt erklären, wie mit dem monumentalenDenkmal des Lenin umgegangen werdensoll. ... Soll der große Lenin wirklich weitertäglich unseren schönen neuen Frieden stö-ren? Nein, sagten gestern die Stadtverord-neten.“21

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(Foto: Bundesbildstelle)

Karl-Marx-Monument 1990 in Chemnitz.

Bei dem Umgang der kommunalen Volks-vertretungen mit der symbolischen Ober-fläche der DDR sind zwei Grundtendenzenerkennbar: Erstens ist ein deutlicher Unter-schied zwischen der Provinz und den grö-ßeren Städten zu erkennen. Auf dem Landeund in kleineren Städten wurden im Ver-gleich zu den Großstädten weniger Straßenumbenannt. In einer Rundreise durch man-che Dörfer kann man noch das ganzeAlphabet sozialistischer Namensgebungenabfahren, angefangen von „A“ wie „Straßedes Aufbaues“ über die „Straße der Boden-reform“, „der Einheit“, „der Freundschaft“,„der Genossenschaft“, „der Jungen Pio-niere“, „der Opfer des Faschismus“, „derThälmann-Pioniere“ bis hin zur „Straße derVölkerfreundschaft“. Auf dem Lande findetman auch noch sozialistische Denkmälerund angewandte sozialistische Kunst. Inmittleren Städten ist die Lage anders. DasStädtchen Lutherstadt Eisleben hat sein mit

einem deutsch-sowjetischen Heldenmythosverbundenes Lenin-Denkmal ins DeutscheHistorische Museum (Berlin) gegeben.Chemnitz wiederum erhält seinen monu-mentalen Marx-Kopf weiter als Wahrzei-chen und Touristenattraktion. Der Marx-Kopfdient zudem als Souvenir-Motiv und inspi-rierte das offizielle Label der Stadt:„Chemnitz – Stadt mit Köpfchen“. Zweitensspielen inhaltliche Momente eine Rolle: Wa-ren die Namensgebungen oder die Denk-mäler Verweise auf die vorkommunistischeArbeiterbewegung oder auf den Kampfgegen den Nationalsozialismus, so gingman toleranter mit ihnen um. Handelte essich hingegen ausschließlich um kommunis-tische Bezüge (Lenin, Thälmann) und umReferenzen auf die Gegenseite des Wes-tens während des Kalten Krieges (Pieck, Ho-Chi-Minh), so war der Weiterbestand weni-ger wahrscheinlich.

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(Foto: Stadtarchiv Erfurt)

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Die Transformationder Arbeitswelt

Die Verschrottung des „gelebten Lebens“

Die Wochen nach der Währungsumstellungerlebte der größte Teil der Ostdeutschen mitfreudigem Optimismus. So manche Konsum-und Reisewünsche, die bis dahin unerfüllbarschienen, konnten sich viele Menschen nunerfüllen, und die Angleichung der Gehälterund Löhne an das „Westniveau“ schienauch nur noch eine Frage der Zeit zu sein.Freilich erwarteten die Menschen, dass beider Einführung der Marktwirtschaft einige –nur vorübergehend22 – arbeitslos werdenwürden. Doch man vertraute auf die eigenepersönliche Leistungsfähigkeit und glaubte,dass eher ,die anderen‘ von Arbeitslosigkeitbetroffen sein würden. Die Vorstellungen derBevölkerung über die eigenen Fähigkeitenund Chancen, die nun endlich nicht mehrdurch politische Eingriffe in die Wirtschaftgehemmt sein würden, dokumentieren dieDiskussionen im Leipziger Gewandhaus, dieeinige Monate vor der Währungsumstel-lung im Oktober und November 1989 ge-führt worden waren. Seine Vorstellungenüber die Umgestaltung der Wirtschaft be-schreibt ein Mann am 29. Oktober 1989so: „Jedem nach seinen Leistungen, so mussdie Gesellschaft organisiert werden. Undüber die maximale Befriedigung unserer Be-dürfnisse hat der Markt zu bestimmen undnicht die staatliche Plankommission! NichtSchwindelstatistik bringt uns voran, sondernnur die echte Produktion von Waren undWerten, frei von Stützungen und Umrech-nungsfaktoren. Die niedrigen Preise für Bröt-

chen und Mieten waren einmal ein Aus-hängeschild der DDR, heute aber sind sieein Hemmnis. Viele Wohnungsprobleme lie-ßen sich über den Mietpreis regeln.“ ImHerbst 1989 erschien nicht die Arbeitslo-sigkeit das Problem, sondern die Tatsache,dass die Entlassung in die Arbeitslosigkeitim DDR-Wirtschaftssystem eine leere Dro-hung bleiben musste. Herr U. äußert sichhierzu in der gleichen Diskussion so: „DasArbeitsgesetzbuch muss so verbessert wer-den, dass die Leiter ohne großen Zeitver-zug nicht ausgelastete Personen wie aucharbeitsunwillige Mitarbeiter in Produktions-abteilungen umsetzen und in hartnäckigenWiederholungsfällen auch entlassen kön-nen. Die Aufstockungen und die Herunter-stufung des Lohnes entsprechend dem Leis-tungsprinzip muss in allen Bereichen zumAlltag werden.“23

Doch die Umgestaltung der Wirtschaft zei-tigte 1990 ganz andere Effekte, als manim Herbst 1989 noch erwartet hatte. Be-kanntlich ging etwa die Hälfte des DDR-Exportes in den kapitalistischen, die andereHälfte in den sozialistischen Wirtschafts-raum.24 Da für die Handelspartner im Ostendie Umstellung der ostdeutschen Wirtschaftauf die D-Mark eine Vervielfachung der Prei-se bedeutete, brach der ostdeutsche Exportin den sozialistischen Wirtschaftsraum sofortzusammen. Etliche „Vorzeigebetriebe“ und„Export-Meister“ der DDR gingen baldnach der Währungsunion in Konkurs. EinJahr nach der Währungsunion schätztendie Wirtschaftswissenschaftler Gerlinde undHans-Werner Sinn in einer ersten Bilanz ein,dass „die Schärfe der ostdeutschen Depres-sion ohne Beispiel in der neueren Wirt-schaftsgeschichte“ sei. „Selbst die Weltwirt-schaftskrise der Jahre 1928 bis 1933 hatkeine vergleichbaren Wirkungen gehabt.“25

Ende des Jahres 1990 hatte sich die ost-

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(Foto: Bundesbildstelle)

Abrissarbeiten in Bitterfeld.

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28deutsche Industrieproduktion im Vergleich zuden ersten beiden Quartalen vor der Wäh-rungsunion halbiert, zu Beginn des Jahres1991 lag sie nur noch bei einem Drittel desVorjahresniveaus.26 Die Beschäftigungssitua-tion in Ostdeutschland beschrieben Gerlin-de und Hans-Werner Sinn so: „Die effektiveArbeitslosenquote stieg von praktisch Nullzu Beginn des Jahres 1990 über 7,2 Pro-zent im Juli 1990 und auf 25 Prozent imFrühjahr 1991. Zum Jahreswechsel 1991/92 hatte die effektive Arbeitslosenquote denWert von 30 Prozent erreicht. Dabei sinddie in ABM- und Umschulungsprogrammenaufgefangenen Arbeitslosen mitgerechnetworden, und die Kurzarbeiter wurden inäquivalente Vollzeitarbeitslose umgerechnet.Nicht als arbeitslos gerechnet wurden jene700.000 Personen, die bis zum Jahresende1991 in den Vorruhestand überführt wor-den waren, sowie die etwa 540.000 Pend-ler, die in Westdeutschland Arbeit gefundenhatten. Insgesamt ging die Beschäftigung inOstdeutschland bis zum Ende des Jahres1991 von etwa 9,3 Millionen bis 9,7 Mil-lionen Personen auf effektiv 5,2 MillionenPersonen zurück, und im zweiten Quartal1992 wurde die 5-Millionen-Grenze unter-schritten.“27

Die Treuhandanstalt, der die Privatisie-rung, Liquidierung und Rückübertragung dervolkseigenen Wirtschaft übertragen wordenwar, setzte im Zielkonflikt von Arbeitsplatz-sicherung und schneller Privatisierung aufLetzteres. 70 Prozent der von der Treuhandverwalteten Arbeitsplätze gingen verlorenund ein enormer Schuldenberg wurde an-gehäuft.28

Die Arbeitslosigkeit im Osten war jedochnicht nur für die Arbeitslosen und ihreFamilien relevant. Auch jene Ostdeutschen,die nicht von Arbeitslosigkeit betroffen

waren, fürchteten – überproportional oft imVergleich zur westdeutschen Gesellschaft –in Arbeitslosigkeit und wirtschaftlichen Ab-stieg zu geraten. (Siehe Tabelle 2)

Die Deindustrialisierung und die Entlassun-gen im öffentlichen Dienst führten für vieleMenschen zum Verlust der in der DDR zu-meist über die Arbeitswelt vermittelten sozia-len Integration. Die Arbeitswelt bildete imAlltag der DDR ein zentrales Element der So-zialintegration der Menschen. Große Betrie-be in der DDR-Gesellschaft waren gewisser-maßen „Sozialisationskerne“29 und erfülltenüber die Produktion hinausgehende Funktio-nen. Diese Betriebe hatten Polikliniken, Kin-dergärten, Kulturhäuser und Jugendclubs,Ferienheime und Kinderferienlager, Verkaufs-einrichtungen usw. Nicht nur in diesen gro-ßen Betrieben, sondern überall in der DDRwar die Arbeitswelt lebensweltlich geprägt.Zwischen den Beschäftigten bestand ofteine bis ins freundschaftliche gehende Kol-legialität. Darüber hinaus überlappten sichdie Beziehungen am Arbeitsplatz mit denprivaten Beziehungen, die Familien der Kol-legen kannten einander und man traf sichauch neben der Arbeit. Diese über dasDienstliche hinausgehenden Beziehungenentsprachen im übrigen den politischen Ziel-vorstellung der DDR von „sozialistischen Ar-beitskollektiven“. Aus strukturellen Gründenwaren hier also Konkurrenzverhältnisse rela-tiv gering, der Anpassungsdruck aber um sohöher. Aufgrund dieser Konstellation war fürdie Leiter die persönliche, moralisierendeoder politisierende Ansprache der Beschäf-tigten oft der effektivste Weg, um Verhaltens-änderungen der ,Werktätigen‘ zu bewirken.Dieses DDR-typische Klima und die Schwie-rigkeiten der „Transformation der Sozial-ordnung in Ostdeutschen Betrieben“ illus-triert eine soziologische Studie von WernerSchmidt, die sich auf die Umstrukturierung

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sächsischer Metallbaubetriebe in den Jah-ren 1992–1994 konzentriert. Ein ältererFacharbeiter – „der ansonsten kaum eingutes Haar an der DDR lässt“, wie der Ver-fasser der Studie anmerkt – beschreibt dassoziale Klima so: „Wir, die wir im Sozia-lismus groß geworden sind, wollen wir malso sagen, das waren eigentlich alles Kol-legen. Wir sind in Brigaden gewesen, dawurde das Brigadeleben gefördert ... daswar eigentlich ein gutes Verhältnis. Und ichmöchte sagen, das ist auch nicht mehr raus-zubringen.“30 Die Situation in einem Wälz-lagerwerk, das zusammen mit anderen ost-deutschen Betrieben einer Holding undeinem westdeutschen Werkleiter unterstellt

wurde, schildert Schmidt so: „Den Beschäf-tigten des Wälzlagerwerkes steht ihre Ver-bitterung zumeist im Gesicht geschrieben.Vielen fehlen die gewohnten Zeichen derAnerkennung, Wertschätzung und Wür-digung, wie sie mit Jubilarehrungen, Aus-zeichnungs- und Frauentags- aber auchMaifeiern und anderen Terminen des sozia-listischen Feststagskalenders verbunden wa-ren, und die nun größtenteils verschwundensind. ... Immer wieder wird auch auf dieAbschaffung der Kaffeemaschinen verwie-sen. Dabei scheint es jedoch weniger umdie Maschinen als solche zu gehen. Viel-mehr ist die Abschaffung von Kaffeemaschi-nen und Kühlschränken ein Symbol dafür,

Tabelle 2

Angst vor wirtschaftlichem AbstiegVorstellung von der persönlichen wirtschaftlichen und beruflichen Zukunft

bei Ostdeutschen (Werte in Prozent)Erhebungszeitraum 1990–1992

Für die nächste Zukunft ist „ganz sicher“ 1990 1991 1992 1991 „oder wahrscheinlich“ (West)

Arbeitsplatzverlust 44 51 29 4

Berufswechsel 22 22 15 7

betrieblicher Abstieg 15 20 10 1

betrieblicher Aufstieg 16 16 15 23

gute Arbeitsmarktchance 17 10 14 40

Existenzgründung 12 7 6 4

Quelle: Schramm, Florian: Arbeitslosigkeit in Ostdeutschland: Wie betroffen sind die Nichtbetroffenen?In: Nickel, Hildegard Maria; Kühl Jürgen (Hrsg.), Erwerbsarbeit im Umbruch. Berlin: Akademie-Verlag,1994,S. 55–74, S. 60.

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30dass die Anerkennung verweigert undgleichzeitig neue Privilegien eingeführt wer-den. Der Werkleiter macht demgegenüberscheinbar rationale Kostenargumente gel-tend, was die Beschäftigten nicht über-zeugt, werden doch zugleich mit hohemfinanziellen Aufwand Großraumbüros ge-schaffen und Verwaltungsgebäude saniert.31

Eine ostdeutsche Verwaltungsleiterin kontras-tiert die Zeit vor und nach dieser Neu-strukturierung so: „Wir sind ja etwas andersgroß geworden. Für uns galten die Men-schen verhältnismäßig gleich. Also, man hatkeine großen Unterschiede gemacht, obdas jetzt der Werkleiter ist, wenn der Werk-leiter `ne Kaffeemaschine hatte, hatte derKumpel auch eine gekriegt.“ Eine ostdeut-sche Managerin des Betriebes beschreibtden Wandel so: „Man hat eigentlich eineZwei-Klassen-Gesellschaft eingeführt. Unbe-wusst. Ich möchte den Leuten das nichtunterstellen, dass sie es bewusst gemachthaben.“32

Der Einzug westdeutscher Verhältnisse be-deutete für die DDR-sozialisierten Beschäf-tigten also auch in der Arbeitswelt einenErfahrungsbruch. Sie waren nun mit verän-derten Leistungsanforderungen, ungewohn-ter innerbetrieblicher Konkurrenz, mit neuenDistanzverhältnissen und Leitungsstilen kon-frontiert. Die bislang eher politisierte, per-sonalisierte und nicht zuletzt moralisierteAnsprache der Arbeitnehmer wurde nun for-maler, rationaler und unpersönlicher. Die so-zialen Nebenfunktionen, die die Arbeits-stelle für die Werktätigen oft hatte – nämlichKnoten im persönlichen Beziehungsnetz undgewissermaßen ein Teil des Lebens zu sein– entfielen.

In den Jahren 1991 und 1992 hatte sichalso die Stimmung der meisten Ostdeut-schen, die bis dahin von Vorfreude, Opti-

mismus, Zutrauen in die eigenen Fähigkei-ten und Hoffnung geprägt war, deutlichgewandelt. Etwa ein Drittel der einst in derDDR Beschäftigten hatte den Arbeitsplatzverloren. Ein weiteres Drittel rechnete fest mitdem Verlust des Arbeitsplatzes. Der Stolz,trotz aller widrigen Bedingungen in der DDRgute Arbeitsleistungen erbracht zu haben,das Zutrauen in die eigenen Qualifikatio-nen und die Zuversicht, in der umgekrem-pelten Wirtschaft oder Administration nochseinen Platz zu finden, war beschädigt.Hinzu kam, dass die Integration in die neueGesellschaft, die Partizipation an ihren po-litischen Freiheiten, am kulturellen und ma-teriellen Konsum, durch das Ausscheidenaus dem Arbeitsprozess und die Verringe-rung des finanziellen Budgets eingeschränktblieb. So kam es, dass sich ein großer Teilder Ostdeutschen in den frühen 1990erJahren weitgehend auf familiäre und privateNetzwerke zurückzog.

Einen großen Teil der ostdeutschen Be-völkerung drückte eine depressive Grund-stimmung nieder. Hierzu trug auch die Bot-schaft bei, dass die Ostdeutschen „einfalsches Leben im falschen System“ geführthätten. Vielen Ostdeutschen, ob nun ar-beitslos oder nicht, schien es, als müsse alldas, was mit Mühe aufgebaut wurde unddie tägliche Arbeit gewesen war, nun als„Schrott“ entsorgt werden. Für viele Indust-riearbeiterinnen und -arbeiter bestanden jatatsächlich die letzten Aufgaben ihres Ar-beitslebens darin, in einer Arbeitsbeschaf-fungsmaßnahme oder Auffanggesellschaftihre nun unproduktiven Betriebe, in denensie oft Jahrzehnte tätig gewesen waren, ab-zureißen. Durch die Medien gingen Bil-der, auf denen sich riesige hydraulischeBetonscheren wie vorzeitliche Riesenechsendurch die ehemaligen Industriebetriebe fra-ßen. Neben der deprimierenden Selbstdeu-

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31tung, ein ,falsches Leben gelebt‘ zu haben,machte unter den Ostdeutschen noch eineandere und populärere Formel die Runde,nämlich die Selbstdeutung, die ,Betroge-nen‘ der Vereinigung zu sein.

Von „Jammer-Ossis“ und „Besser-Wessis“

Im Öffentlichen Dienst, in den Behördenund in der kommunalen Verwaltung, warauf der mittleren und unteren Ebene dergrößte Teil des einstigen DDR-Personalesübernommen worden. Der Umbau dieserBereiche wurde von westdeutschen Aufbau-helfern angeleitet, die den Zielzustand desUmbaus aus eigener Erfahrung kannten. Indieser Konstellation war das ostdeutschePersonal in den Behörden und Verwaltun-gen in gewissem Sinne in der Rolle von Aus-zubildenden, die sich die neuen Gesetze,Verfahrensweisen und Abläufe anzueignenhatten. In einer ähnlichen Rolle sahen sichauch die ostdeutschen Bürger als ,Kunden‘der Behörden und Ämter, auch sie ,passten‘noch nicht zu den neuen Strukturen. Denndas Verhältnis zwischen der in Gesetzenund im Verwaltungshandeln geronnenenLogik auf der einen Seite und den Erwar-tungen und der Kommunikationshaltung derBürger auf der anderen Seite, stellt sich er-fahrungsgemäß immer erst allmählich ein.33

Vor dem Umbruch passten Struktur und Men-talität zusammen: Wenn der ,gelernte DDR-Bürger‘ auf einem sozialistisch geführtenAmt etwas erreichen wollte, dann klagteoder forderte er nicht sein Recht ein (weildieses formal oder faktisch nicht bestand),sondern schilderte seine persönlichen Um-stände, die Größe des Missstandes, die

Dramatik der Lage und hob andererseitsdie Bedeutung seiner Arbeit und seinesbetrieblichen Engagements für die DDR her-vor. Diese Art der informellen und perso-nalisierten Kommunikation war innerhalbder DDR-Strukturen Erfolg versprechend, dieMenschen in der DDR wendeten sie gewis-sermaßen automatisch, ohne viel darübernachzudenken, an. Doch das neue Systemder Administration funktionierte ganz an-ders. Nun ging es darum, ob ein berechtig-ter Anspruch bestand. Persönliche Umstän-de waren darüber hinaus, soweit sie nichtden Anspruch selbst begründeten, ohneBedeutung. Eine informell, durch eine per-sönliche Ansprache erreichte Ausnahmevon der Regel, eine fallspezifische Lösungwar nun nur noch illegal. Diese fehlen-de Passung provozierte Missverständnisse,Konflikte und wechselseitige Stereotypisie-rungen zwischen Ostdeutschen und West-deutschen. Auf beiden Seiten, sowohl beiden westlichen Aufbauhelfern in den Behör-den und Verwaltungen, wie auch beim ost-deutschen Personal und den ostdeutschenBürgern herrschte zum Teil großer Unmutüber die jeweils anderen. Viele Ostdeut-sche empfanden das im Osten eingeführtewestdeutsche System und die Personen, diees repräsentierten, als „kalt, herzlos und for-mal“. Viele der westdeutschen Aufbauhel-fer in den Behörden empfanden wiederumdie Vorstellungen des einheimischen Verwal-tungspersonales oft als inkompetent, infor-mell und von „unprofessionellem Mitleid“bestimmt.34 Die Ostdeutschen prägten denBegriff vom „Besser-Wessi“ und die West-deutschen den vom „Jammer-Ossi“.35

Diese Spannungen zwischen Ostdeutschenund Westdeutschen zeigten sich auch aufder Ebene alltäglicher Kommunikation, diemit dem Modell des „Kulturschocks“ be-schrieben worden sind. Dieses Kulturschock-

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Das „richtige“ Verhalten führt zu unerfreulichen Ergebnissen

Ostdeutsche meinen, Westdeutsche meinen,ihr Handeln sei richtig ihr Handeln sei richtig

Vorteil: Sicherheit, Selbstgewissheit Vorteil: Sicherheit, Selbstgewissheit

Nennen sich selbst: gut, richtig Nennen sich selbst: gut, richtig

Nennen die Westdeutschen: Nennen die Ostdeutschen:Seltsam, unverständlich, doof. Seltsam, unverständlich, doof.

Ein Beispiel hierfür ist die unterschiedlicheBedeutung des ,Händeschüttelns‘. Im ost-deutschen Kulturraum ist bzw. war es bis-lang ,richtig‘, dass man sich beim erstenTreffen am Arbeitsplatz die Hand gibt,ebenso bei der Verabschiedung. Im west-deutschen Kulturraum ist es ,richtig‘, dassman sich nur bei formellen Anlässen dieHand gibt. Müssen sich nun die Ostdeut-schen der westdeutschen Norm anpas-

sen, beispielsweise in der Kommunikationmit einem westdeutschen Chef, so erscheintihnen dieser als arrogant, distanziert undunhöflich. Kommt der Westdeutsche wiede-rum in eine Situation, wo er sich dem ost-deutschen Verhalten anpassen muss, so er-scheinen ihm diese als steif, altmodischund aufdringlich. (Weitere Beispiele solcherMissverständnisse siehe Kasten.)

Modell besagt unter anderem, dass dieAngehörigen der beiden Gruppen sich soverhalten, wie es bislang in der Eigen-gruppe immer als normal, angemessen undErfolg versprechend galt. Dieses „richtigeVerhalten“ funktioniert aber nicht mehr,wenn zwei Gruppen sich verständigen, beidenen jeweils unterschiedliche Regeln gel-

ten. Dann misslingt die Kommunikation zwi-schen den Angehörigen der unterschied-lichen Gruppen oft. Da sich aber alle Be-teiligten so verhalten haben, wie es bislangimmer erfolgversprechend oder ,richtig‘war, suchen sie, die Ursache für Missver-ständnisse oder Misslingen der Kommuni-kation bei den Anderen. (Siehe Kasten)

32

Quelle: Wagner, Wolf: Kulturschock Deutschland. Der zweite Blick. Hamburg: Rotbuch,1999, S.127.

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Das Beispiel Konfliktbereitschaft

Ostdeutsche Westdeutsche

Setzen auf Harmonie und überdecken Meinen, Konflikte müssten zur Klärung Konflikte offen ausgetragen werden

Vorteil: man kommt mit dem kleinsten Vorteil: wenn die Klärung gelingt, gemeinsamen Nenner über die Runden bessere Zusammenarbeit

Nennen sich selbst: freundlich, solidarisch, Nennen sich selbst: offen, mutig, harmonisch authentisch

Nennen die Westdeutschen: Nennen die Ostdeutschen: aggressiv, dominant, unsensibel feige, scheinheilig

33Das Beispiel Alltagsgespräche

Ostdeutsche Westdeutsche

Reden lieber über Mängel und was schief- Reden lieber optimistisch und witzig gegangen ist, was fehlt, was man Unpersönliches, leichte Themen und bräuchte, auch wenn es sehr persönlich ist Nichtigkeiten

Vorteil: erzeugt Nähe und Solidarität, Vorteil: erzeugt positive Grundstimmung entschärft mögliche Konkurrenz mit erhöhter Aufmerksamkeit fürs Positive

Nennen sich selbst: offen, leutselig, Nennen sich selbst: fröhlich, witzig, egalitär geistreich, diskret

Nennen die Westdeutschen: oberflächlich, Nennen die Ostdeutschen: larmoyant,unpersönlich, angestrengt, maskenhaft, unersättlich, aufdringlichabweisend

Quelle: Wagner, Wolf: Kulturschock Deutschland. Hamburg: Rotbuch, 1996, S. 145.

Quelle: Wagner, Wolf: Kulturschock Deutschland. Der zweite Blick. Hamburg: Rotbuch, 1999, S. 144.

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34Verlusterfahrungen

Die oben beschriebenen Konflikte könnenauch als Verlusterfahrungen beschriebenwerden: Was früher eine nützliche Fähigkeitwar, gilt nun nichts mehr. Was früher funk-tionierte, gelingt nicht mehr. Die Fähigkeitenund das Wissen, das man sich angeeignethatte, und die den Erfolg des eigenen Han-delns und das eigene Selbstbewusstsein be-gründeten, waren entwertet, weshalb mansich wieder neue Fähigkeiten und neuesWissen aneignen musste. Erwachsene wur-den in enormer Breite und Tiefe wieder zuLernenden. Das kennt man aus der Situationvon Immigranten. Auch Immigranten müssendie neuen Regeln des Einwanderlandes er-lernen und befolgen. Die Feststellung, dass„wir nicht so sind“ oder dass „es früher an-ders war“, kann einem Immigranten nur sel-ten als Handlungsmaßstab gelten. Meist hatder Immigrant zu lernen und sich anzupas-sen. Wie Immigranten hatten die Ostdeut-schen zu lernen, wie die neue Gesellschaftfunktioniert und welches ihre geschriebenenund ungeschriebenen Gesetze sind. Undwie Einwanderer waren sie den Menschengegenüber im Nachteil, die das alles schonmit der Muttermilch aufgesogen hatten. In-sofern ist die Situation der Ostdeutschen mitdenen von Immigranten vergleichbar – ineiner anderen Beziehung jedoch nicht: Im-migranten stellen immer eine besondereAuswahl der Bevölkerung dar, aus der sieentstammten. Emigranten/Immigranten sindjene, die in der Güterabwägung zwischenden Chancen des Heimvorteils der kulturel-len Ansässigkeit einerseits und den Chan-cen der Trennung und des Neubeginnsandererseits auf die Auswanderung ge-setzt haben. Doch der so orientierte Teil derOstdeutschen war spätestens in den frühen1990er Jahren abgewandert. Bei der Trans-

formation in den neuen Bundesländern istalso jene Bevölkerungsgruppe mit den Mü-hen der Immigranten konfrontiert worden,die sich selbst nicht für die Emigration ,ent-schieden‘ hätte. Es gibt noch einen anderenwichtigen Unterschied: Echte Immigrantenkönnen stets im Vergleich zu den aktuellenVerhältnissen in der einst verlassenen Hei-mat überprüfen, ob die Emigration tatsäch-lich den erhofften Zugewinn an Lebens-qualität gebracht hat oder zumindest für dieKinder bringen wird. Sie können also abse-hen, ob sich der Assimilationsaufwand ge-lohnt hat oder lohnen wird. Und schließlichkönnen echte Immigranten auch wiederrückwandern. Diese Möglichkeiten des Ver-gleichs und der Rückwanderung hatten dieOstdeutschen nicht mehr. Sie hatten ihr Landund ihre Kultur nicht verlassen und dennochwurde diese Kultur allmählich unauffind-bar. Das war in mancherlei Hinsicht ein Ge-winn, und in anderer Hinsicht aber eine Ver-lusterfahrung.

Man kann die paradoxe Situation auch mitder Dimension von „Einheimischen“ und„Fremden“ beschreiben. Während desAufbaus Ost waren die kulturellen Rollenzwischen Einheimischen und Fremden ver-tauscht. Für gewöhnlich ist der Fremde einAußenstehender, der erst allmählich ent-schlüsseln kann, was vor sich geht. Im Besitzdes wichtigen erklärenden Wissens um diegeschriebenen und ungeschriebenen Re-geln des Geschehens sind nur die Einhei-mischen. Sie haben gewissermaßen denHeimvorteil. Sie können den Fremden ein-weihen oder nicht. Und wenn sie letzterestun, so hat der Fremde von den Einhei-mischen zu lernen. Das Paradoxe währendder Transformation im Osten war nun, dassdie Fremden – also die westdeutschenAufbauhelfer – im Besitz des wichtigenWissens um die geschriebenen und unge-

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35schriebenen Regeln waren, während dasWissen der Einheimischen zwar exklusiv –aber in der neuen Kultur recht wertlos war.Auch diese Verkehrung des üblichen Ver-

hältnisses zwischen Einheimischen undFremden nährte auf Seiten der Ostdeut-schen ein Gefühl des Verlustes.

(© Freimut Wössner)

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Die populäreAufarbeitung derDDR-Vergangenheit: Von „40 Jahre betrogen“ zu „Es warnicht alles schlecht“

In den ersten Monaten der Enthüllungenstand vor allem die Kluft zwischen den offi-ziell verkündeten Normen und dem nun auf-gedeckten Handeln vieler DDR-Machthaberzur Debatte. Es ging zunächst also um diePrivilegien, die sich einzelne Funktionäreherausgenommen hatten, oder Teile derwirtschaftlichen Aktivitäten der SED, bei-spielsweise die der GENEX GmbH36. Spä-ter wurden dann auch die Verbrechen desStaates, insbesondere des Ministeriums fürStaatssicherheit, gegen die Bürger deutli-cher fassbar. Die Bevölkerung war ge-schockt, Wut und Empörung griffen um sich.Zwischen dem Bedürfnis sich einerseits vondiesen Repressionen und Verbrechen zudistanzieren, sich andererseits aber auchmit der eigenen Rolle und dem eigenen Le-ben in der DDR weiter identifizieren zu kön-nen, bestand in diesen Jahren eine Span-nung. Vor allem Menschen, die in der DDRauf mittlerer Leitungsebene gearbeitet hat-ten, wurden mit der Frage nach ihrer per-sönlichen Verantwortung konfrontiert. DieseSpannung verstärkte sich noch dadurch,dass die Aufarbeitung der DDR-Vergangen-heit in Politik und den zentralen Medien na-türlich vornehmlich aus einer sehr kritischenund oft auch aus westdeutscher Perspektivevorgenommen wurde. So kam man in den

36ersten Jahren zu Etikettierungen des DDR-All-tags wie „Stasi-Staat“, „Terrorregime“ oder„Mangelgesellschaft“. Ähnlich plakativ wa-ren aber auch die populären Kommentareder DDR-Bevölkerung zur Frage der indivi-duellen Verantwortung. Viele Ostdeutscheglaubten für sich das Problem bewältigenzu können, indem sie – in einer Mischungaus Selbstmitleid und Depression – feststell-ten, „40 Jahre lang betrogen“ worden zusein. Die Selbstverantwortung für das eige-ne Leben wurde bei dieser Selbstdeutungausgeblendet. Andere wiederum hieltenvermeintliche und tatsächliche Errungen-schaften der DDR hoch und wehrten sichdagegen, dass „nun von den Wessis al-les in den Schmutz gezogen“ würde, wo-bei die Verbrechen und Missstände in derDDR ausgeblendet wurden. Die bekann-teste Phrase, in der sich der Zwiespaltzwischen dem Distanzierungs- und demIdentifikationsbedürfnis der DDR-Bevölke-rung widerspiegelte, lautete: „Es war nichtalles schlecht!“37 Solange man sich nichtdarüber verständigen musste, um welchenPreis welche „Errungenschaften“ der DDRbestanden hatten, und welche Bevölke-rungsgruppe diesen Preis zu zahlen hatte,konnte man sich gut darüber einigen, dass„nicht alles schlecht“ gewesen sei.

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„Wie geht es Ihnen persönlich heute imVergleich zur Zeit der DDR, aufs Ganze gesehen?“ (1995)

„viel besser“ „besser“ „etwa gleich“ „schlechter“ „viel schlechter“

9% 41% 27% 18% 5%

Quelle: DER SPIEGEL: „Das Ostgefühl. Heimweh nach der alten Ordnung“, Nr. 27, 3. Juli 1995, S. 46.

37Die Zwischenbilanzder Vereinigung: Ost-deutsche Gewinneund Verluste imSpiegel der Statistik

Schon früh nach der Vereinigung wurdeüber die Gewinne und Verluste des enor-men gesellschaftlichen Umbruchs diskutiert.Die Vereinigungsbilanz der Ostdeutschenwar in den neunziger Jahren eine wider-sprüchliche Angelegenheit. Denn sie vereintreale Veränderungen und deren sich überdie Zeit wandelnde Bewertungen. Zudemprägt die Gewinn-und-Verlust-Bilanz natür-lich auch in entscheidender Weise das Bildvon der DDR-Vergangenheit.

Im Jahr 1990 entsprang der ostdeutscheWunsch nach einem raschen Beitritt derDDR zur Bundesrepublik vor allem der Er-wartung besserer materieller Lebensverhält-nisse. Und so kam es dann auch: Was dieOstdeutschen an der westdeutschen Lebens-weise bis 1990 nur ersehnen konnten, wur-de nach Währungsunion und Beitritt zu-nächst euphorisch begrüßte Realität – undmit der Zeit auch immer selbstverständlicher.Umgekehrt wurde, was in der DDR hoch-

subventioniert und selbstverständlich war –beispielsweise die geringen Mieten, die ge-stützten Preise bei manchen Warengrup-pen sowie beim öffentlichen Nahverkehrund schließlich der Schutz vor Arbeitslo-sigkeit – nun zu einem Kostenfaktor odergar zum Problem.

Schaut man auf das Lohn- und das Kon-sumniveau, so ist seit 1990 eine deut-liche Verbesserung feststellbar. In den ers-ten Jahren stiegen die Löhne sprunghaftvon einem Drittel (1989) auf etwa dreiViertel (1993) des Westniveaus. Bis 1993hatte sich der ostdeutsche Pkw-Bestand pro1000 Einwohner fast verdoppelt und derAnteil der Haushalte mit Telefonanschlussverdreifacht. Dieses Wachstum im Ausstat-tungsniveau hatte sich in den alten Län-dern über einen Zeitraum von insgesamtvierzehn Jahren erstreckt.38 Auch die Wohn-und die Umweltsituation verbesserten sichin Ostdeutschland rasant. Diese Zugewin-ne blieben allerdings nicht ohne Nachteile:Die Verbesserung der Umweltsituation gingvor allem auch auf den Abbau von Indust-rie zurück, was auch zu Massenarbeits-losigkeit führte. Und für die neue Wohn-qualität musste nun ein ungewohnt großerAnteil des monatlichen Budgets aufge-wendet werden. Dennoch fiel die Bilanzder meisten Ostdeutschen zum fünftenJubiläum der Vereinigung positiv aus. EineUmfrage aus dem Jahr 1995 zeigt dasdeutlich:

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Die Umfrageergebnisse belegen also, dassdie Befragten weitaus häufiger eine Verbes-serung als eine Verschlechterung ihrer Situa-tion feststellten. In der gleichen Erhebungwurde die Frage nach der Wiedervereini-

gungsbilanz jedoch noch einmal andersbeantwortet. Hier fällt auf, dass sich dieMehrheit der Ostdeutschen zurückhaltendäußert und sich weder als „Gewinner“ nochals „Verlierer“ der Vereinigung einstuft:

Beide Ergebnisse stehen in einem Span-nungsverhältnis zueinander: Auf der einenSeite schätzt die Mehrheit der Ostdeutschenein, dass es ihnen besser als in der DDRgehe, und auf der anderen Seite zählt sichnur eine Minderheit zu den Gewinnern derVereinigung. Für diesen Gegensatz lassensich drei Gründe nennen.

Erstens spürten die Menschen 1995 bereitsdeutlich, dass das im Jahr 1990 gegebeneVersprechen von den Blühenden Landschaf-ten in Ostdeutschland nicht gehalten wer-den würde. Viele Ostdeutsche meintenaber, dass sie ihren Anteil für das Entstehenvon Blühenden Landschaften – die friedlicheRevolution und die Beseitigung der DDR-Dik-tatur, die Anstrengungen beim „Aufbau Ost“und die Bereitschaft, beruflich noch einmalneu anzufangen – geleistet, dafür aberkeine entsprechende Gegenleistung bekom-men hätten.

Zweitens hatte sich 1995 auch der Ver-gleichsmaßstab geändert. Die Ostdeut-schen verglichen ihr Leben nicht mehr mitdem Leben in der DDR, sondern mit dem

ihresgleichen in den alten Bundesländern.Dabei wurden große Vermögensunterschie-de zwischen den Westdeutschen undOstdeutschen deutlich. Im Jahr 1996, nachden oben beschriebenen sprunghaften Lohn-steigerungen in den frühen 1990er Jahren,verfügten die Ostdeutschen noch immerüber nur ein Drittel des durchschnittlichenVermögens der westdeutschen Privathaus-halte.39 Das war mehr als zu Beginn der1990er Jahre, aber eben immer noch deut-lich weniger als der westdeutsche Durch-schnitt. Ähnlich polarisiert ist die Situa-tion beim westdeutschen und ostdeutschenGrundbesitz.40 In der Mitte der 1990er Jah-re stagnierte die Annäherung an das west-deutsche materielle Niveau schon wiederund es wurde deutlich, dass eine Anglei-chung noch Generationen dauern würde.

Drittens begannen sich in den 1990er Jah-ren viele Ostdeutsche darüber zu beklagen,dass ihre spezifisch ostdeutschen Erfahrun-gen und Problemsichten in der Öffentlichkeitdes vereinigten Deutschland zu wenig Aner-kennung fänden. Tatsächlich war die Sicht-weise des ehemaligen DDR-Durchschnitts-

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„Wenn Sie für sich persönlich die Bilanz der Wiedervereinigung ziehen, wozu zählen sie sich?“ (1995)

„zu den Gewinnern“ „weder noch“ „zu den Verlierern“

25% 58% 25%

Quelle: DER SPIEGEL: „Das Ostgefühl. Heimweh nach der alten Ordnung“, Nr. 27, 3. Juli 1995, S. 46.

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bürgers auf die DDR, deren Vergangenheitund Gegenwart in der ersten Hälfte der1990er Jahre nur wenig ins öffentlicheBewusstsein der Bundesrepublik gelangt.Allerdings war diese fehlende öffentlicheBedeutung ostdeutscher Sichtweisen nichtfür alle Ostdeutschen gleichermaßen einProblem, sondern nur für jene, die sich eherals Ostdeutsche denn als Deutsche ver-standen. Das sind etwa drei Viertel derMenschen in den Neuen Bundesländern,41

also nur etwa 15 Prozent der deutschenGesamtbevölkerung. Im Vergleich zur deut-schen Gesamtbevölkerung waren sie damitklar in der Minderheit.

Die Wahrnehmung dieser Mischung ausmaterieller und symbolischer Unterlegenheitführte dann auch zu einem weiteren Er-gebnis in der hier bereits mehrfach zitiertenUmfrage. Im Jahr 1995 meinten 72 Prozentder Ostdeutschen, dass „die früheren DDR-Bürger im vereinigten Deutschland Bürger2. Klasse sind“.42 Diese Konstellation führtein den 1990er Jahren neben den bereitsbeschriebenen Prozessen des Verschwin-dens zu einem zweiten, eher informellen Dis-kursstrang, in dem verschwundene Erinne-rungen, die Erfahrungen und Zeichen derDDR-Vergangenheit plötzlich wieder auf- tauchten.

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Ostalgie – dasWiederauftauchen von

Symbolen der DDR-Vergangenheit

(Foto: AP)

Ein Schwalbe-Moped aus der DDR wird am 11. September 1997 während der vom Stadtmuseum Erfurt ver-anstalteten Schau „DDR – Deutsche Dekorative Restbestände“ getestet.

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42Die Praktiken derBevölkerung zurSelbstvergewisserung

Ostalgie als Resultat einer beson-deren Kommunikationssituation

In den vorangegangenen Abschnitten wur-de die besondere Situation der Ostdeut-schen in den 1990er Jahren geschildert.Erstens hatten die Ostdeutschen bei derNeuanpassung an die von den Altlän-dern übernommenen Strukturen und Regelngroße Anstrengungen geleistet und in die-sem Zusammenhang einen enormen Erfah-rungsbruch erlebt. Zweitens realisierten sieallmählich deutliche West-Ost-Unterschiedebei Eigentum und Vermögen, also den Chan-cen, als selbstständige Akteure am wirt-schaftlichen Aufbau der neuen Bundeslän-der zu partizipieren. Drittens war deutlichgeworden, dass die in der Öffentlichkeit,vor allem in den Medien und in der Politikkursierenden Beschreibungen von den Ost-deutschen und ihrem Leben in der DDR nurpunktuell mit den Erfahrungen des größ-ten Teils der ostdeutschen Bevölkerung zu-sammengingen. Die Konzentration auf dieVerbrechen und Missstände in der DDR ent-sprach eher den Erfahrungen einer Min-derheit, eben jener Menschen, die in be-sonderer Weise unter den Repressionen undEinengungen gelitten hatten. Wie viele Ost-deutsche sich durch Repressionen in derDDR persönlich verfolgt fühlten und nun umeine Klärung ihrer Angelegenheiten bemühtwaren, illustriert die Zahl der Antragstellun-gen von Bürgerinnen und Bürgern auf Ein-sicht in ihre Stasi-Akten. Bis zum Jahr 1995

wurden eine Million, bis zum Jahr 2000 ins-gesamt knapp zwei Millionen solcher Anträ-ge gestellt. Bezieht man sich auf die zehnMillionen Erwerbstätigen in der DDR von1989, so kann man davon ausgehen, dassacht Millionen, also 80 Prozent der in derDDR erwerbstätigen Menschen, kaum undnicht in besonderer Weise zu Opfern politi-scher Repression in der DDR geworden wa-ren. Die Erfahrungen dieser Gruppe vonDDR-Bürgern spiegelte die öffentliche DDR-Aufarbeitung, die sich auf Diktatur und Un-terdrückung konzentriert, kaum wider. Die inden 1990er Jahren vorherrschende Pers-pektive auf die DDR war von den Erfah-rungen und Bedürfnissen der neuen ostdeut-schen Meinungseliten und von der Weltsichtder verschiedenen westdeutschen Diskurs-führer geprägt. Die notwendige Aufarbei-tung der Verbrechen und Missstände in derDDR war eine Genugtuung und Bestätigungfür die Opfer bzw. die neuen Eliten. Von derostdeutschen Bevölkerung wurde diese Dis-kussion mit recht unterschiedlichem Interessezur Kenntnis genommen. Die Etikettierungder DDR als „stalinistisches Terrorregime“und als „zweite deutsche Diktatur“ oder dieKlassifizierung ihrer ehemaligen Bewohnerals „autoritär“, „unselbstständig“, „obrigkeits-fixiert“ und „demokratieunfähig“ quittiertendiese, wenn überhaupt, eher mit Kopfschüt-teln. Denn dieser DDR-Diskurs verfehlte, wiees der Zeithistoriker Thomas Lindenbergerformulierte, „diejenigen Erfahrungen des In-der-DDR-Gelebthabens, die nicht in der Un-terordnung unter das Diktat der Partei auf-gingen und in Millionen von Fällen einMehr beinhalteten: ein mehr oder wenigersinnvoll verbrachtes Leben trotz oder auchmit der Partei, ermöglicht durch Kompromis-se, Anpassungsbereitschaft oder auch Ver-weigerung und Rückzug in‘s Private.“43

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43Doch was wäre eine annehmbare Be-schreibung des früheren Lebens gewesen?Welche Bilanz ist nach dem Umbruch zuziehen? – Die Diskussionslage hierzu war inder ersten Hälfte der 1990er Jahre in ge-wisser Weise paradox: Obwohl stetig undintensiv die DDR thematisiert wurde, ent-stand bei einer großen Gruppe der Ost-deutschen genau zum DDR-Thema ein Kom-munikationsstau. Denn etwa zwei, dreiJahre nach dem Beitritt lagen die Anstren-gungen wie auch die Unwägbarkeiten derNeuetablierung nun hinter den Neubun-desbürgern. Nach einer Phase der gewis-sermaßen ,atemlosen‘ Aktion, kam nun einePhase des ,Durchatmens‘, der Reflexion. Esbestand ein ausgeprägtes Bedürfnis an Aus-tausch, gewissermaßen nach Inventur derErfahrungen – sowohl was die Erfahrungenmit der DDR betraf, wie auch die Gewinneund Nöte in der Marktwirtschaft. Die neugewonnenen Erfahrungen mit dem bundes-deutschen politischen und wirtschaftlichenSystem wurden bisweilen auch mit den Pro-pagandafloskeln über den Kapitalismus unddem „unaufhebbaren Interessengegensatzvon Arbeitern und Kapitalisten“ abgegli-chen. Diese waren aus den DDR-Medienoder aus dem „Staatsbürgerkunde-Unter-richt“ hinreichend bekannt. „In der DDR hat-ten wir nur Theorie – nun beginnt dasPraktikum“ war eine der populären Rede-wendungen, die die Spannung zwischendem ,Damals‘ und dem ,Heute‘ ironisch aufden Punkt zu bringen versuchte. Es gab alsoein großes Bedürfnis, sich über die Er-fahrungen wie auch die Neubewertung derDDR-Zeit zu verständigen und ebenso überdie spezifisch ostdeutschen Probleme in derGegenwart. Diesem Bedürfnis kamen zuBeginn der 1990er Jahre die Medien unddie Politik jedoch nicht entgegen. Aus Sichtder Ostdeutschen zeigten sich hier also be-stimmte Leerstellen. Eine Reaktion auf diese

Diskurs-Lücke war Ostalgie. Neben nicht-kommerzieller Ostalgie, die eine Art Laien-Diskurs über Vergangenheit und Gegenwartder Ostdeutschen darstellt, bildeten sichnoch Formen von Ostalgie heraus, die aufdie bestehenden Bedürfnisse mit kommerzi-ellen Angeboten reagierten.

Ostalgie-Partys: NachholendeVerabschiedung der DDRund Selbstvergewisserung inder Gegenwart

Ostalgie-Partys waren Mischungen aus Kar-neval und popkultureller Revival-Party, ausVolksfest und Performance. Sie wurden alsPrivat-Party gefeiert oder im halböffentlichenRaum, anlässlich des jährlichen Festes imkleinen Saalbau der Kleingartensparte –oder eben als semiprofessionelle Veranstal-tung, wie man sie auch vom Kleinstadt-Fa-sching kennt. Auch hier wurde dann vonden Besuchern die Zahlung von Eintrittsgeldverlangt. Die Gäste wussten, was sie tunund erwarten konnten, viele legten DDR-typische Kleidungsstücke, Uniformen oderAccessoires an, der Raum war überladenmit den einstigen DDR-Propaganda-Requi-siten, mit Papierfähnchen, Porträts, Symbo-len, Zeichen, Fahnen und Transparenten mitden Propagandasprüchen oder deren ironi-schen Abwandlungen. So, wie es ein kar-nevaltypisches Musikrepertoire gibt, gabes auch ein Repertoire für Ostalgie-Partys:Schlager und Popsongs aus der DDR, hinzukamen die musikalisch überarbeiteten Fas-sungen der sozialistischen Hymnen und dersogenannten „Arbeiter- und Kampflieder“.Auch der Conferencier einer Ostalgie-Party

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44hatte seine typischen Floskeln und seine spe-zielle Publikumsansprache: Es waren dieauf die Spitze getriebenen Kommunika-tionsrituale der offiziellen DDR – das gro-teske Pathos, die sperrige Sprache, die gi-gantomanischen Selbstzuschreibungen undschließlich der paternalistische und autoritä-re Zugriff auf „das Volk“ im Saale. Spie-lerisch wurde agitiert und kontrolliert, und imErgebnis mancher „Kontrolle“ erfolgte eine„Zuführung“ zu einem Publikumsspiel aufder Bühne. Wie beim Karneval wurde diereale Welt imitiert und über die Imitation tri-umphiert. Man war wehmütig und zugleichfeierte man, dass die dargestellte Vergan-genheit ihre Macht verloren hatte. SolchePartys waren sicherlich nicht für jene Min-derheit interessant, die die DDR reformierenoder überwinden wollte. Und schon garnicht für jene, die in der DDR Opfer der Re-pressionen wurde. Doch die Mehrheit derBevölkerung hatte sich – wie überall aufder Welt, so auch in der DDR – mit denVerhältnissen arrangiert. Für diese Mehrheitgehörten weder entschiedenes politischesEngagement noch Repressionen zu denDDR-Erfahrungen, die in den 1990er Jahrenzu bearbeiten waren, und diese Bevölke-rungsgruppe stellt hauptsächlich die Teil-nehmer von Ostalgie-Partys.

Ostalgie bearbeitet in laienhafter Weisedie ostdeutsche Durchschnittsperspektive aufeinen wichtigen Erfahrungsbruch: Die fried-liche Revolution und die Einführung derbundesdeutschen Verhältnisse in Ostdeutsch-land. Ostalgie ist keine Geschichtsdarstel-lung, sie ist nicht missionarisch und anirgendwelche Adressaten gerichtet, die zuinformieren, zu bilden, zu überzeugen oderzu erbauen sind. Ostalgie ist stattdessenselbstbezogen, sie ist Selbstvergewisserungund Selbsttherapie. Ostalgie ist eine An-gelegenheit von Amateuren. Da es sich um

einen Laien-Diskurs handelt, ist dieser auchungenau, indirekt, in sich widersprüchlich,ironisch und unernst. Bausteine für diese Artvon Kommunikation entstammen einerseitsder DDR-Produkt-Palette und andererseitsdem Propaganda-Panoptikum der DDR,dem Arsenal ihrer Slogans, Symbole undRituale, und den darauf fußenden Sprüchenund Witzen des Volkes. Diese werden inder neuen Gesellschaft noch einmal ironischoder sarkastisch recycelt.

Es gab in den 1990er Jahren auch profes-sionelle Veranstalter von Ostalgie-Partys, diemit ihrem Angebot durch Ostdeutschlandtourten. Der wichtigste, Ralf Heckel, der imJahr 1999, zum 10. Jahrestag der „Wen-de“, seine letzte Ostalgie-Party ausrichtete,erklärte in einem Interview: „Am Anfangwar das so etwas wie Balsam für die Seeledes Ostlers, dem immer nur gesagt wurde,dass er alles falsch gemacht hat. Hier fühlteer sich geborgen. Das ist nicht zu verwech-seln mit DDR-Nostalgie: die Leute wollennicht in die DDR zurück. Sie haben einfachihre Geschichte verstanden – ich sehe unse-re Veranstaltungen als Kind der Demokra-tie!“44 Die professionelle Ausrichtung vonOstalgie-Partys markiert schließlich eine ArtÜbergangs-Zone von Ostalgie im engerenSinne zu Ostalgie im weiteren, nämlichkommerziellen Sinne.

Es spricht einiges dafür, die Ostalgie-Partysals ein Phänomen der 1990er Jahre zusehen. Ende der 1990er Jahre kamen dieAnstrengungen der Orientierung und Etab-lierung im neuen System zu einem Ab-schluss. Heute ist dieses Bedürfnis nachreflektierender Rückschau im wesentlichenbefriedigt. Dazu trugen auch die Medienund kommerzielle Angebote bei. Darüberhinaus scheinen die Ostalgie-Partys auchein Phänomen bestimmter Generationen –

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45und zwar der in den 1980er und 1990erJahren aktiven Menschen – zu sein. Dassind die zwischen 1945 und 1960 Ge-borenen, die man als die in die DDR „Hi-neingeborenen“ oder als „integrierte Ge-neration“ bezeichnet. Auch nachfolgendeostdeutsche Generationen beschäftigensich mit der DDR. Aber sie tun das nichtmehr, in dem sie sich an Ostalgie-Partysbeteiligen, sondern beispielsweise im In-ternet – in themenzentrierten Foren und inHomepages. Man findet hier uferlose De-batten und Statements, in denen die Ab-solventen des DDR-Erziehungssystems be-kannte Klischees zum Kindergarten und zurSchule in der DDR kommentieren. Anderetrauern dort den verschwundenen DDR-Scho-koladensorten aus ihrer Kindheit nach.Zugleich kommen Erlebnisse zur Sprache,die sich zwar in der DDR-Zeit ereignet hat-ten, aber eben keine DDR-Spezifik aufwei-sen wie Schulstreiche oder die Liebe in derSchule.45

DieWerbebotschaftender Ostprodukte:„Aus dem Osten,daher gut!“

Die besondere Situation der ostdeutschenBevölkerung und die einseitige Art, wie ihreVergangenheit in der Öffentlichkeit themati-siert wurde, inspirierte vor allem auch dieProfessionellen in der Werbebranche. Häu-

fig gingen die Produktwerber in ihrer Ziel-gruppenansprache auf die in der Öffentlich-keit ausgeblendeten Erinnerungen und Er-fahrungen der Ostdeutschen ein. In einerWerbekampagne für ein Cola-Getränkder Berliner Spreequell MineralbrunnenGmbH, das mit dem aus der DDR übernom-menen Markennamen Club Cola um dieKäufergunst warb, hieß es „Hurra, ich lebenoch!“ 46

Die Cola, so schreibt der Historiker RainerGries in „Produkte und Medien“, der erstenKulturgeschichte der Produktkommunikationin beiden deutschen Gesellschaften, „mach-te hier ein existentielles Angebot. Sie kanntedie Geschichte ihrer Klienten, die BerlinerCola solidarisierte sich; auch sie musstedurchmachen und miterleben, was die Bür-gerinnen und Bürger der DDR nach derWende erfahren hatten: Abwertung undAbwicklung, Deklassierung und Deindustria-lisierung. Aber auch soziale Aufspaltungund Entsolidarisierung. In dieser extremengesellschaftlichen Umbruchssituation unter-nahm es die Produktkommunikation, dendenkbar elementarsten Satz einer kollekti-ven Selbstvergewisserung zu formulieren.Dieser Überlebenssatz hieß: Noch lebenwir. Trotzig beharrte die ehemalige DDR-Cola auf ihrem Existenzrecht – und damitzugleich auf ihrem Konkurrenz- und Wettbe-werbsrecht. Mehr noch: Wie Hunderttau-sende ehemalige DDR-Bürger hatte sie dasnötige Quantum Hoffnung und Optimismusüber die ersten Jahre der Wende rettenkönnen, allen Anfeindungen zum Trotz: Voneinigen belächelt, ist sie nicht totzukrie-gen.“47 Hierzu produzierte man einen Wer-befilm. Auf einem roten Fond präsentierteman die Schwarz-Weiß-Filmaufnahmen ausDDR-Wochenschauen: Den Aktivisten AdolfHennecke, den Stapellauf eines Schiffs,Stahlarbeiter beim Abstich. Es waren die in

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der DDR immer wieder propagierten und insostdeutsche Kollektivgedächtnis eingegan-genen Darstellungen, die nun schon seitJahren nur noch in der Kritik standen. Diedamalige propagandistische Inszenierungder „Helden des Neuanfangs“ wurde in die1990er Jahre projiziert.

Im Handel Ostdeutschlands waren seit1991 auch allmählich wieder Produkte imAngebot, die in Ostdeutschland produziertwurden. Eine sich als erfolgreich erweisen-de Vermarktungsstrategie war die der „be-kennenden Ostmarken“. Die einstigen DDR-Marken wurden in ihrer Verpackung, beiBedarf auch in Rezeptur und Qualität, mo-dernisiert. Der Markenname, seine Symbolewie auch die Geschmacksrichtung bliebendie alten. Die Produkte sollten als „unsereProdukte von früher“ wiedererkannt werden

und wurden dementsprechend beworben.Denn seit 1991 stellte sich bei den Ostdeut-schen nicht nur über die deutsche Vereini-gung, sondern auch über die heiß ersehntenWestprodukte eine gewisse Ernüchterungein. Die hoch aufgeladenen und oft weitüberzogenen Erwartungen an die Westpro-dukte scheiterten zwangsläufig an der Rea-lität. Zudem war die Phase des neugierigenAusprobierens beendet. Eine Studie überdie Marktpräsenz einheimischer Frischwa-ren im Sortiment des Lebensmittelhandels imJahr 1993 stellte fest, dass in jedem zwei-ten Geschäft Sachsens der Anteil sächsi-scher Frischwaren um die vierzig Prozentlag. Schon Ende 1992 hatten die „beken-nenden Ostmarken“ beispielsweise bei denDrogerie-Artikeln aufgeholt: Auf die Frage,welche Marken in ostdeutschen Haushalten„hauptsächlich“ verwendet würden, erfuhr

(Foto: Archiv Rainer Gries, Weimar)

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47man, dass das Spülmittel Fit mit 41 Prozentder Nennungen vor Pril und Palmoliv ran-gierte, die im Osten bei jeweils 26 Prozentlagen. Die 1968 in der DDR eingeführteWaschmittelmarke Spee vereinte 62 Pro-zent der Nennungen auf sich, das ebenfallsaus dem Hause Henkel stammende Persiloder dessen Konkurrenz Ariel lagen beietwa 20 Prozent. Produkte der Ost-MarkeFlorena konnten sich ebenso behaupten wieNordhäuser Doppelkorn oder Rotkäppchen-Sekt. Bei langlebigen Konsumgütern domi-nierten hingegen die Westmarken den Ost-markt, und völlig ruiniert schien Anfang der1990er Jahre das Vertrauen in Schokola-den und Kaffee aus ostdeutscher Produk-tion.48

Die Produktwerbung versuchte sowohl diepositiven Erinnerungen an die DDR wieauch die aktuellen Verlustgefühle und Aner-kennungsprobleme ihrer ostdeutschen Ziel-gruppe anzusprechen. Die filterlose Ziga-rette Karo galt in der DDR als die Zigaretteder Unangepassten, der Intellektuellen undKünstler. Dieses Image wurde nun in dasvereinigte Deutschland hinein verlängert. ImJahr 1991 versprach ein Werbe-Slogan fürdie Karo, dass man mit Karo-Rauchen einen„Anschlag auf den Einheitsgeschmack“ ver-üben könne.

So hatte sich also die Kommunikation überdie Waren aus dem Westen und dem Os-ten gewendet: Die einst so ersehnte undin ihrem Geschmack als raffiniert undvariantenreich bewunderte Produktvielfaltdes Westens wurde nun als „Einheitsge-schmack“ abgetan, während einem Ab-kömmling der einst als eintönig und minder-wertig kritisierten Produktlandschaft der DDRetwas Besonderes und Bemerkenswertes zu-geschrieben wurde. Die Anerkennungsprob-leme vieler Ostdeutschen, aber auch die Er-

nüchterung, die sich breit machte, nachdemdie West-Produkte nun zum Alltag gehörten,versuchte man zum Beispiel auch bei derWerbung für die Produkte des einstigen Mo-nopolisten für DDR-Unterhaltungselektronik –RFT – auszubeuten. In Verkehrung mancher(Vor)Urteile warb man im Herbst 1992 mitdem Slogan: „Aus dem Osten, daher gut“.Auch hier wurde übrigens, wie im Wer-befilm der Club Cola, die Botschaft aufeinem roten Fond platziert.

Die Werbung für die Zigarette Club deutetedie Vergangenheit anders. Vor einem ro-mantischen Bild der Basteibrücke in derSächsischen Schweiz, einem Bild, das imBilderkanon zum Thema „unsere schöneHeimat DDR“ ganz oben rangiert hatte, riefsie den Ostdeutschen zu: „Gutes neu erle-ben!“49 – Die Produktwerbung des Jahres1993 schloss damit an die Gespräche an,die an ostdeutschen Kantinen- und Wohn-zimmertischen geführt wurden und in denenman zu dem Ergebnis kam: „Es war nichtalles schlecht!“ In die gleiche Kerbe hiebendie Werber, die die Zigarette Juwel be-warben. Sie reagierten damit im Übrigenauch auf die schrille Test-The-West-Kam-pagne von WEST, indem sie Juwel-Raucherin biederem Tone mitteilen ließen: „Ich rau-che Juwel, weil ich den Westen schon ge-testet habe. Juwel eine für uns.“50 Die Ziga-rette Cabinet stellte sich als „unverfälschtund unparfümiert“ dar.51 Hier nahm manantiwestliche Stereotype aus Ostdeutsch-land auf und setzte sich gegen den angeb-lich unechten, blenderischen und parfümier-ten Westen ab.

Es zeigte sich noch eine andere interessanteWende. Zu DDR-Zeiten galten viele Erzeug-nisse einheimischer Produktion als schlechteKopien, Surrogate der westdeutschen Ori-ginale. Die weiß-blaue Florena galt halt nur

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48als die Ost-Nivea. ,Richtiger‘ Kaffee kamaus dem Westen, ebenso wie die ,richtige‘Schokolade oder Zigaretten. Nun wird dieSache ins Gegenteil verkehrt: Die Ostpro-dukte sind die echten, unverfälschten. Die

Zigaretten sind nicht parfümiert, die Bröt-chen nicht ,aufgeblasen‘, das Bier kräftig-herb und die Wurst ist nicht ,light‘, sondern,knackig‘.

(Foto: Bundesbildstelle)

DDR-Lebensmittel-Marken und ihre Nachfolger 1995.

Inwieweit die Bedeutung der Ostproduktedarüber hinausging, dass sie den vertrautenGeschmack oder etwas seit Jahren Ge-wohntes darstellten, illustriert das BeispielRondo. Rondo war eine DDR-Kaffee-Markeim mittleren Preissegment. Im Jahr 1997glaubte man selbst mit einer Marke des dis-kreditierten DDR-Kaffees einen Neustart wa-

gen zu können. Als die Marke Rondo aufdem Markt wiedereingeführt wurde, ließendie Marketing-Manager keinen Zweifel anihrer Identität aufkommen: Sie statteten dasneue Produkt mit der Blau-Silber-Verpackungdes DDR-Rondo aus und positionierten eswiederum in der mittleren Preislage. VomErfolg der Wiedereinführung war man bei

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(Foto: Archiv Thomas Ahbe)

Rondo-Werbematerial.

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50der Magdeburger Röstfein Kaffee GmbHselbst überrascht. Für das erste Jahr wurdemit 100 bis 200 Tonnen Absatz gerechnet.Am Jahresende war der Absatz auf 5000Tonnen und die Belegschaft von 40 auf 96Beschäftigte angewachsen. 1998 war Ron-do drittstärkste Einzelmarke im ostdeutschenKaffeemarkt und setzte 6500 Tonnen ab.Dabei ist zu bedenken, dass zu DDR-Zeitenetwa ein Drittel des konsumierten Kaffeesaus dem Intershop und aus den West-Pake-ten stammte. Kein einheimischer Kaffee kamgegen das Image der ,West-Kaffees‘ an.Doch nun, anlässlich der Markteinführungdes Rondo sieben Jahre nach der Wäh-rungsunion, erhielt Röstfein begeisterte Zu-schriften: „Ich bin in Freudentränen ausge-brochen, der gute alte Rondo“ heißt es dort,oder: „Ja, genauso will es das Ossi-Herz!“52

Der Ost-Kaffee war plötzlich zu einer Her-zensangelegenheit geworden. Mit demeigentlichen Gebrauchswert von Kaffee –seinem Geschmack, seiner Haltbarkeit undseiner Bekömmlichkeit – hat das nichts zutun. Die Rede vom „guten alten Rondo“ istüberraschend, denn der alte Rondo war oftnicht gut. Als sich im Jahr 1977 und 1978der Geschmack von Rondo durch den Ein-satz minderwertiger Bohnen deutlich ver-schlechtert hatte, gingen allein im viertenQuartal des Jahres 1977 14.000 Reklama-tionen zum neuen Geschmack des Rondoein.53 Im Jahr 1991 meinten 90 Prozent derin einer Ifo-Umfrage interviewten Ostdeut-schen, dass der West-Kaffee besser schme-cke, 75 Prozent gingen von einer länge-ren Haltbarkeit der Westprodukte aus. Aufdie Frage, ob sie Kaffee aus ostdeut-scher Produktion kaufen würden, antworte-ten dann auch folgerichtig rund 70 Prozentmit „nie“.54 Doch nachdem einige Jahre insLand gegangen waren, hatte sich die Sichtauf den Rondo verändert. Es gibt also gute

Gründe, die Rede vom „guten alten Rondo“als eine Konstruktion anzusehen. Sie ist eineAntwort auf die bis dahin in den Medienvorgenommene Abwertung des in der DDRgeführten Lebens. Die Verbraucher beken-nen sich zum eigenen, in der DDR geführ-ten Leben, indem sie sich zu den Produktenund Marken, die dieses Leben in der DDRbegleitet hatten, bekennen und ihnen be-sondere Wertschätzung zukommen lassen.Manchmal scheinen die Produkte als Bot-schafter überfordert, etwa wenn der Trabi,ein seit den späten siebziger Jahren auch füreingemauerte Ostdeutsche als völlig veral-tetes Automobil erkennbar, nun plötzlich als„Legende auf Rädern“ gilt.

In der zweiten Hälfte der 1990er konnteselbst eine so schlecht beleumundete Pro-duktgruppe, wie die DDR-Schokoladen-Mar-ken fröhliche Urstände feiern. Im Jahr 1995kam die Knusperflocke wieder auf denMarkt und wandte sich – wie die Club Colaund andere Marken – mit einer Wieder-Da-Rhetorik an das Publikum. 1998 folgte dieBambina, im Jahr darauf die Schlager-Süß-tafel. Die aus der DDR-Zeit stammendenMarken werden nun in einem 1999 in Zeitzneu errichteten Werk produziert. Allein mitder Knusperflocke und der Bambina ist imJahr 1999 ein Umsatz von 31 Millionen DMerzielt worden.55

Auch das Gaststätten- und Hotel-Gewerbeversuchte in der zweiten Hälfte der 1990erJahre seine Kundschaft mit dem Verweis aufdie gemeinsame ostdeutsche Vergangen-heit anzulocken. Im Herbst 1997 stellte einLeipziger Kneipenwirt ein Schild auf denGehweg, auf dem er verkündete: „4.10. bis12.10. – Woche der Ostalgie – Speisenund Getränke wie zu Erichs Zeiten, alleszu kleinen Preisen, fast wie damals!!“. Die„Woche der Ostalgie“ lag etwa in dem

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(Foto: Archiv Thomas Ahbe)

Zeitraum, in dem auch immer die staatsof-fizielle Festwoche der DDR um den Na-tionalfeiertag, dem 7.Oktober, positioniertwurde und in der sich Veranstaltungen undkulturelle Höhepunkt konzentrierten.

Anfang 1998 berichtete die Presse davon,dass in Almsfeld bei Wernigerode ein ehe-maliges FDGB-Heim, das nun zu einer Stutt-garter Firmen-Gruppe gehört, in ein „Ostal-gie-Hotel“ umgewandelt werden sollte. Zwarfand einmal in den Räumen des AlmsfelderHotels eine große Ostalgie-Party statt, alsMarketinginstrument setzte man „Ostalgie“später jedoch nicht ein – anders als inZittau. Am 7. Oktober 1999, zum „50 Jah-restag der DDR“, eröffnete in Zittau auf demGelände der ehemaligen Offiziershoch-

schule „Ernst Thälmann“, ein Hotel, das sich„Haus des Ostens“ nannte. Hier muss derGast neben Geldumtausch allerlei Einrei-seformalitäten wie sie in der DDR „für Bür-ger mit ständigem Wohnsitz in der BRD“ üb-lich waren, über sich ergehen lassen. Dereinstige DDR-Dissident Lutz Rathenow hattedas inzwischen in „Hotel Sittavia“ (Sittaviaist eine alte Namensform von Zittau) umbe-nannte Etablissement besucht. Er notierte:„Der Chef führt den Besucher stolz herumund erklärt. Auf dem Flur stehen Erinnerungs-schränke, vom Ost-Verbandskasten bis zuden Waschmittelverpackungen. Natürlichfehlt ein Honecker-Bild mit Trauerflor nicht.Obenauf eine Krone aus Stacheldraht, diesoll symbolisch die kritische Reflexion erset-zen. Die Zimmer wirken immer noch unter-

Werbematerial der Firma „Zetti“.

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schiedlich – irgendwo zwischen interessantund lächerlich. So entsteht dann der musea-le Bildungseffekt, wenn das „Putzi“-Zimmermit dem über die Lastkraftwagen („VEB Ro-bur“) verglichen wird. Dederon-Beutel, Pü-ree und Möhren, neben Mitgliedsausweisenund Propaganda der Pionierorganisation.... Hinter Glas finden sich Dokumente, Fotosund Gegenstände aus der DDR-Zeit. ... DasTelefon funktioniert. Der Fernseher zeigt perKabel soviel Westfernsehen wie überall.Und früher nie in Zittau.“56

Offensichtlich scheint also nicht nur derVerweis auf die DDR-Wurzeln der Produkte,sondern auch die Bezugnahme auf das so-zialistische Geschichtsbild und dessen Sym-

bole zu einem Marketinginstrument gewor-den zu sein. Im Jahr 1999 warb eine Ros-tocker Brauerei für eine neue Biersorte. Siehieß „Roter Oktober“. Das Flaschenetikettwar ganz in Rot gehalten. Im oberen Teilprangte eine Art sozialistisches Wappen:Aus einem roten Band erwuchs ein kreisför-miger Ährenkranz. In dem derart umschlos-senen Kreis strahlte ein goldener reliefartigausgearbeiteter Sowjetstern. Alle Worte aufdem Etikett und den Werbematerialien (T-Shirts, Fahnen, Plakate) waren in Großbuch-staben geschrieben wobei das „R“ spiegel-verkehrt abgebildet und zum kyrillischen „ “wurde, um auch auf diese Weise den Be-zug herzustellen zum Land der „Großen So-zialistischen Oktoberrevolution“, dem Land,

(Foto: Thomas Ahbe)

R

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53langatmige und durstig machende Parolengalt. Auf dem Werbeplakat wurde in An-spielung auf die SED-Genossen gefragt:„Heute schon Genossen?“ und ansonstenein EVOLUTIONÄ E BIE GENUSS“ ver-sprochen.

aus dem der „Befreier, Freund, Genosse“kam, dem Land, das in der offiziellenSprache der DDR als die „Führungsmachtdes Weltsozialismus und aller gegen Aus-beutung und Unterdrückung kämpfendenVölker der Erde“ und als Anlass für andere

(Foto: Archiv Thomas Ahbe)

R RRR

Werbeplakat zur Biersorte „Roter Oktober“.

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54Die Ampelmännchen-Industrie: Das Geschäft mit derErinnerung

Mitte der 1990er Jahre wurde deutlich,dass man mit Produkten, deren Ge-brauchswert lediglich darin besteht, auf ost-deutsche Alltagskultur zu verweisen bzw.Erinnerungen an die DDR-Zeit zu stimulie-ren, gute Gewinne machen kann. All-mählich entwickelte sich eine Art „Ampel-männchen-Industrie“. Ihre Kunden konntensich mit Hilfe dieser Produkte einerseits mitder ostdeutschen Vergangenheit beschäfti-gen, andererseits aber auch spezielle Unter-scheidungsbedürfnisse befriedigen. Die hierals „Ampelmännchen-Industrie“ bezeichneteBranche nutzte die Chance des schlagar-tigen Verschwindens großer Teile der All-tagsoberfläche der DDR und deren Er-setzung durch die bundesdeutsche – ebenbeispielsweise durch den Austausch derspezifischen DDR-Piktogramme in den Fuß-gänger-Ampeln durch die bundesdeutschenPiktogramme – in dem sie diese verschwun-denen Dinge bewahrte, „rettet“ und schließ-lich vermarktete.

In der Selbstdarstellung der MAKE-DesignGmbH, die die Rechte am Ampelmännchenbesitzt, wird erläutert, dass es 1995 zu-nächst um die Idee ging, „das durch dieAuswechselung in den Ampeln in Verges-senheit geratene Ampelmännchen mit ver-schiedenen Aktionen zu retten. ... Als dasInteresse für eine kommerzielle Nutzung derbekannt gewordenen Marke stieg“, habeder aus dem Westen kommende Industrie-

designer Markus Heckhausen das „Am-pelmännchen“ schließlich als Schutzmarkeangemeldet und die MAKE-Design GmbHgegründet.57 In dem von der Firma ver-öffentlichten „Lebenslauf des Ampelmänn-chen“ findet sich die erzählerische Figurdes „Helden im ostdeutschen Umbruch“ dersich, schon ausrangiert, seine Existenz er-kämpft, ähnlich der Markenbotschaft derClub Cola und anderer Produkte. Die Ge-schichte der Ampelmännchen liest sich so:„Trotz hervorragender Funktion und großerBeliebtheit in Ost und West und im Auslandfielen auch sie der Abwicklung zum Op-fer und wurden seit der Wende nach undnach gegen die DIN-genormten West-Am-pelmännchen ausgetauscht. Nach immerstärkeren Protesten schlugen sich einige Po-litiker der neuen Länder auf die lukrativereSeite und beschlossen den Fortbestand deralten Ampelmännchen in den Ampeln die-ser Länder. Somit dürfen wir Fußgänger unsauch weiterhin dem aufheiternden Anblickder forschen Männchen erfreuen. Nur nichtan den Bundesstraßen, wo der Bund dasletzte Wort hat. Der hält nämlich nach wievor am steifen Westmännchen fest.“58

Neben Dutzenden Produkten der Am-pelmännchen-Familie gibt es ein fast un-überschaubares Sortiment an (N)Ostalgie-Waren. Außer diesen Kult- und Designpro-dukten fanden und finden vor allem auchGesellschaftsspiele ihren Absatz. Zu nen-nen wäre hier etwa das Quartettspiel „KostThe Ost“, das die Marken-Etiketten vonDDR-Lebensmittel-Produkten präsentiert, einDDR-Monopoly oder Ratespiele. In einemWürfel- und Wissensspiel wird das Voran-kommen der Spieler befördert, wenn sie aufmöglichst viele der insgesamt 6000 Fragenzu „Politik, Kunst, Sport sowie allen mög-lichen Details von Ata bis Zetti“ die richtigeAntwort finden. Hinzu kommen Hunderte –

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(Foto: LZT)

Ampelmännchen in Erfurt.

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56neue oder neuaufgelegte – Buchtitel, Ton-träger, Videos und DVDs deren Inhalte ausder DDR stammen oder die DDR-Zeit thema-tisieren. Wie alle Märkte reagiert auch derOstalgie-Markt auf eine Nachfrage und hältdiese Nachfrage durch immer neue An-gebote aufrecht. In dieser Hinsicht ist Os-talgie eine marktbestätigte Realität. Es gibtsozusagen ein anhaltendes und stabiles„Käufer-Votum“ für Produkte, deren einzigerGebrauchswert in der Erinnerung und in derKommunikation eines positiven oder einesindifferenten Verhältnisses zur DDR besteht.

Eine marktlogische Konsequenz ist, dass dieherrenlosen Symbole bald als Marken pri-vatisiert werden sollten. Im April 2004brach ein Rechtsstreit um die Vermarktungs-rechte des DDR-Staatswappens und der Em-bleme der FDJ, der Pionierorganisation, desDDR-Fußballverbandes, des MfS, der NVA-

Sportvereinigung Vorwärts und einiger DDR-Fußballvereine auf, nachdem ein KarlsruherGeschäftsmann die vorgenannten Signetsfür sich sichern wollte.59 Im Oktober 2004wies das Landgericht Hamburg die ent-sprechend beantragten Unterlassungsverfü-gungen zurück. Das Wappen der DDR-Pio-nierorganisation auf einem T-Shirt, so dieUrteilsbegründung, fungiere nicht als Marke,also als Erkennungszeichen eines Herstel-lers, sondern als „spaßiges oder politischesStatement“, also als ein gestalterisches Ele-ment, das nicht mit einem Hersteller, son-dern mit dem Träger des T-Shirts in Verbin-dung gebracht werde. „Der Träger einessolchen T-Shirts mag sich als ,Junger Pionier‘im Sinne einer unangepassten Lebenshal-tung fühlen, er mag damit provozieren oderdie DDR-Vergangenheit nostalgisch verklä-ren wollen.“60

(Foto: © ZB - Special)

2003: Ostalgie pur bei „Mondos Arts“ in Berlin.

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57Die mediale Kom-merzialisierung: Vonder Ostalgie-Partyzur Ostalgie-Show

In dem sich seit über einer Dekade vollzie-henden Prozess des Verschwindens und Auf-tauchens von Symbolen der DDR-Vergan-genheit entstand im Sommer des Jahres2003 eine neue Konstellation. Nahezu si-multan bemächtige sich das Fernsehen mitseinen DDR-Shows der Erinnerung an dendurchschnittlichen DDR-Alltag. Das ZDF star-tete mit der „Ostalgie-Show“ am Samstag,dem 17. August 2003. Am 22. August be-gann der MDR mit der wöchentlichen Aus-strahlung seines freitäglichen „Ein KesselDDR“ (sechs Folgen). Am Tag darauf folgteder Sender SAT-1, der jeweils samstags am23. und 30. August „Meyer und Schulz –die ultimative Ost-Show“ ausstrahlte. Am 3.September startete wöchentlich „Die DDR-Show“ auf RTL, sie lief mittwochs in vierFolgen. Die Vermarktung der Ostalgie-Welle endete dann am 6. und 13. Oktoberauf Pro 7 mit zwei „DDR-Spezials“ in derReihe „Kalkofes Mattscheibe“. Die ersteFolge der MDR-Show erreichte im MDR-Sendegebiet einen Zuschaueranteil von22,8 Prozent. Die Ostalgie-Show des ZDFhatte in Ostdeutschland eine Sehbeteiligungvon 33,9 Prozent. Deutschlandweit lagendie Quoten geringer: Die ZDF-Show er-reichte 18,4 Prozent und die SAT.1-Showerreichte bundesweit 14,6 Prozent.61

Den Gegebenheiten des Mediums folgendwurde der DDR-Alltag für die Show-Bühnezugerichtet und zur Sensation gemacht. Die

offensichtlich unvermeidbaren Trabis knat-terten über die Bühne, die mit typischenDDR-Produkten dekoriert waren und auf derman Anekdoten um diese Produkte und denMangel an ihnen zum Besten gab. DiePublikumslieblinge der DDR – Sportler, Fern-sehleute, Künstler – erzählten aus der DDR-Zeit und wie es ihnen nach dem Beitritt er-gangen war. Es gab die in einer Showüblichen Ratespiele, hier bezogen sich dieFragen auf den Alltag in der DDR. Musi-kalisch umrahmt wurden die Shows von eins-tigen DDR-Pop-Musik-Stars und ihren Hitsvon damals.

Für das Fernsehen war diese Art der Be-schäftigung mit der DDR relativ neu. In dennach 1990 produzierten Fernsehsendun-gen wurden bis dahin fast nur die Verbre-chen und Defizite der DDR rekonstruiert.Nun wurde die DDR auch unterhaltend dar-gestellt, beispielsweise indem die Leistun-gen der Sportler oder die Popkultur derDDR, die für einen Teil der Ostdeutschenheute noch immer Identifikationsobjektedarstellen, ins Rampenlicht gerückt wurden.Hier gab es dann auch noch eine interes-sante Verschiebung der Präsentation vonLeistungen in der DDR hin zu Leistungen vonPersonen aus der DDR: Bei der Unterhal-tungs-Show des ZDF bezog man sich, demAlter der Zielgruppe entsprechend, auf Welt-spitzensportler, auf Schauspieler und Schla-gersänger der DDR, die ihre große Zeit vor1990 hatten. In der Show von SAT-1 stellteeine andere Personengruppe die DDR dar.Hier standen Schauspieler, Entertainer undMedienleute auf der Bühne, die Erfolg undPrestige nach 1990 erringen bzw. aufrechterhalten konnten und ihre DDR-Herkunftganz selbstverständlich als Ausgangspunkteiner noch anhaltenden Karriere thematisier-ten. Auf der individuellen Ebene wurdenhier die Jahre der DDR als normale Vor-

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(Foto: © dpa – Sportreport)

Die beiden Moderatoren der MDR-Show „Ein Kessel DDR“ am 20. August 2003 bei der Generalprobe inLeipzig.

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59aussetzung und Vorgeschichte der erfolgrei-chen Gegenwart inszeniert.

Anders als bei den Ostalgie-Partys sind beiden Ostalgie-Shows die Ostdeutschen nurnoch Zuschauer. Und ähnlich wie bei derAmpelmännchen-Industrie profitiert das Fern-sehen davon, dass man der Erinnerung andie zurückliegenden Jahre in der DDR einenAnlass und einen Rahmen bereitstellte. Al-lerdings nutzte das Fernsehen diese Chan-ce erst, als das Risiko gering schien. Dennder Tabu- oder Eisbrecher für eine andereSicht auf die DDR, die auch eine weitereIdentifikation mit der DDR darstellte, war be-reits ein Kino-Film. Im Februar 2003 hatte„Good Bye, Lenin“ Premiere, ein Film überdie DDR und ihr Ende. Regisseur, Autor undCo-Autor des Erfolgsstreifens waren West-deutsche. Der Film brachte den Durchbruchbei der DDR-Darstellung.

Der Erfolg des Films beim Publikum wieauch die Kritik zeigt, dass inzwischen eineneue Art des öffentlichen Redens über dieDDR legitim scheint. Das versuchte dannauch das Fernsehen mit seinen Shows zunutzen. Die Moderatorin der zuerst ausge-strahlten Ostalgie-Show (ZDF) erläuterte ineinem Interview: „Ich glaube, dass dieRedaktion das schon sehr lange auf demTisch hatte, aber unsicher war, wann derrichtige Zeitpunkt ist.“ So schien es sichauch bei anderen Sendern verhalten zuhaben. Denn die Shows sind sehr zügig indas Programm aufgenommen worden. Dieerste Folge der MDR-Reihe „Ein Kessel DDR“war vier Wochen vor ihrer Erstausstrahlungam 22. August in den Programmzeitschrif-ten mit Monatsüberblick noch nicht aufge-führt.

Fernseh-Shows als Politikum

Die Qualität der DDR-Shows soll hier nichtdiskutiert werden. Vielmehr ist in dem hierbehandelten Zusammenhang interessant,dass die DDR-Shows sofort zu einem Poli-tikum wurden. Die Anteilnahme und dieKontroversen bestätigen, dass hier etwas fürdas vereinigte Deutschland außergewöhn-liches stattgefunden hat. Ungeteilt war le-diglich die Missbilligung der ästhetischenQualität der Shows, vor allem durch dieZeitungen. Kontrovers hingegen wurde dieFrage diskutiert, ob diese Fernsehsendun-gen über die DDR politisch korrekt seien.Die Kritiker monierten vor allem, dass dieKonzentration der Shows auf das DDR-Alltagsleben die diktatorische Verfasstheitdes Landes ausblenden würde. „Natürlichsind wir auch mit dem Fahrrad durch denSpreewald gefahren und haben ein paarFlaschen Bier getrunken,“ schickt der ehe-malige DDR-Bürgerrechtler Günter Nookeseinen Protesten voraus, um dann festzustel-len: So ein Alltagsleben „gab es aber auchin der braunen Diktatur.“62 Tobias Hollitzerbeginnt so: „Weihnachten in der DDR warschön, meine erste Liebe wunderbar, ichhatte viel Spaß und war oft glücklich. Sol-che persönlichen Erfahrungen stellt niemandin Frage. Und dennoch war die DDR eineDiktatur.“ Seine abschließende Bewertungder Ostalgie-Shows lautet: „Sie verharmlo-sen die Gefahren, die der Demokratiedurch totalitäre Ideologien droht und sindeine Verhöhnung der Opfer.“63 Die Präsen-tation von Normalität, die Darstellung vonArrangement oder Identifikation mit der DDRwird hier offensichtlich als Verharmlosungverstanden. Bekannte Bürgerrechtler wieMarkus Meckel und Rainer Eppelmannschrieben: „Wer eine DDR-Show über dasAlltagsleben zeigt, müsste auch eine Show

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60über das Alltagsleben im Dritten Reichakzeptieren.“64 – „Nazi-Diktatur und DDRwaren beide unmenschliche Diktaturen.Dass man überhaupt auf den Gedankenkommt, derartige Shows zu produzieren, istunanständig und verstößt gegen alle politi-sche Hygiene.“65

Diese Betonung der Terrorqualität des DDR-Systems ist bei westdeutschen Kritikern derOstalgie-Shows kaum anzutreffen. Sie spre-chen stattdessen von einer „miesen kleinenDiktatur“ deren „bunte Seiten“ nun „entdecktund hervorgekramt werden.“66 – „Um Stasi,Mauertote und Reiseverbote geht es nur amRande“67, bemerken die Kommentatorenunaufgeregt in westdeutschen Regionalzei-tungen68 oder bewerten die Shows als„Gratwanderung“.69

In den Leserbriefspalten70 der ostdeutschenRegionalzeitungen finden sich sowohl Zu-stimmung wie auch Ablehnung zu den DDR-Shows. Ein Leser aus einem thüringischenDorf rief sogar nach einem Verbot derOstalgie-Shows: „Meine Frage an den Mi-nisterpräsidenten: ... warum kann ein solchprovokantes Handeln der TV-Einrichtungennicht verhindert werden?“71 Viele Leserbrief-schreiber verwahrten sich auch gegen dieKritiken der Politiker an den Shows. „Nichtsgegen Nachdenken über die untergegan-gene DDR – aber das soll bitte schön jederselber tun! Da braucht‘s nicht ständig derVorgaben von Politikern und Medien, wieman zu denken hat. Wir waren eigentlichfroh, dass die Zeit der Denkvorgaben vor-bei ist.“ Dann geht die Schreiberin zum,Gegenangriff‘ über: „Wann nehmen Politi-ker und Medien zur Kenntnis, dass es in derDDR nicht nur Bürgerrechtler und Wider-standskämpfer gab? Jeder hat die DDRanders erfahren und gelebt. Die einen ha-ben sich gewehrt und die überwiegende

Masse ist mit gelaufen oder hat sich ein-gerichtet.“72 Eine andere Art, die Skanda-lisierung der Shows abzuwehren, ist derVerweis auf die aktuelle Arbeitslosigkeit,Kinder- und Altersarmut, und die Behand-lung der Ostdeutschen „als Menschen II.Klasse.“73 – „Es gibt wichtigeres, über dasman sich aufregen könnte“, so eine weitereStimme.74

Die redaktionellen Pressebeiträge beschäf-tigten sich vor allem mit der Machart derShows. Sie tun das zumeist ziemlich harsch.Die Kritiken beziehen sich nicht nur darauf,wie mit den ostdeutschen Gästen umgegan-gen wurde. An die Shows wird auch dieErwartung herangetragen, über den norma-len DDR-Alltag zu informieren. Nach derZDF-Show fragt man verärgert: „War dieDDR wirklich so elendig zusammengestüm-pert wie diese 90 Minuten?“75 – Der Re-zensent eines anderen Blattes wird „denEindruck nicht los, die DDR war bloß einschlechter Witz“.76 Ein anderes Resümeeder DDR-Thematisierung lautet: „Nach dervereinfachenden Verdummung als freudlos-dumpfer Stasistaat folgt damit die ver-klemmt-spießige Abstempelung als saukomi-sche Lachnummer ... Trabi, FKK, Soljankaund sofort. Nur Folie, kein Innenleben.“77

Bilanz eines Diskursereignisses

Die „Ostalgie-Shows“ vom Spätsommer desJahres 2003 machten erstens deutlich, dassdie Deutung der DDR-Vergangenheit durchdie ostdeutsche Bevölkerung anders aus-gerichtet ist, als durch die politische Elite.Nahezu alle Beiträge von Angehörigender politischen Klasse stellten den diktatori-schen Charakter der DDR in den Vorder-

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61grund. Vom größten Teil der Bevölkerungwird die DDR jedoch sehr pragmatisch da-nach bewertet, welches Muster an Mög-lichkeiten und Grenzen die DDR auf derAlltagsebene bot. Diese Struktur von Chan-cen und Risiken wird mit der des heutigenAlltags in Bezug gesetzt. Der diktatorischeCharakter des DDR-Systems bleibt unbestrit-ten, scheint aber aus dieser Perspektive fürdie Bilanzen vieler Bürger geringe Bedeu-tung zu haben. Zweitens haben die Ostal-gie-Shows die Momente der Normalität desAlltags wie auch verschiedene Lebensmo-delle in der DDR-Gesellschaft vorgestellt.Das lieferte auch den westdeutschen Be-obachtern einige Einblicke in die Normali-tät und Durchschnittlichkeit des Alltags derDDR-Bürger. Die Ostdeutschen erschienennun weniger als Diktatur-Exoten und mehrals Verwandte mit einer eigenen Alltagskul-tur. Drittens ist anzumerken, dass das Fern-sehen mit den Ostalgie-Shows lediglich dastat, was die Buchbranche und die Ampel-männchen-Industrie schon seit Jahren tut.Dass man dem Fernsehen diese ,nachho-lende Ostalgisierung‘ nicht ohne Weiteresdurchgehen ließ, verweist auf den offiziel-len Charakter, der dem Fernsehen zuerkanntwird. Zugleich haben die letztgenannten

Kritiken oder Verrisse der Ostalgie-Showsdurch ostdeutsche Regionalzeitungen aberauch die gewachsenen Ansprüche ange-deutet, an denen die Beschäftigung mit derDDR in den Medien gemessen werdenwird.

Ein Relikt der Ostalgie-Show-Welle ist dieRate-Show „delikat“, die freitags vom MDRausgestrahlt wird.78 Sie unterscheidet sichvon anderen Quizshows darin, dass sichdie Fragen nur auf die DDR beziehen unddie Teilnehmer aus den alten Bundesländernstammen müssen. Spielerisch wird in dieserShow gewissermaßen der Spieß umge-dreht: Westdeutsche müssen sich in einerihnen fremden Alltagskultur auskennen. Da-bei führt die Sendung vor, wie die west-deutschen Gäste bei banal wirkenden Fra-gen – bei denen der Einheimische den Kopfschüttelt und behauptet: „Das weiß mandoch“ – verunsichert sind, genau so, wie esden Ostdeutschen in den 1990er Jahren er-ging, als sie sich die Traditionen und Regelnder westdeutschen Kultur anzueignen hat-ten. Man kann diese Sendung als ein Zei-chen für eine Normalisierung in der Aneig-nung der DDR-Vergangenheit ansehen.

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Zusammenfassung:Die Ostdeutschen und

das Bild vom Ostennach 1990

(Foto: Bundesbildstelle)

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64Mit dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublikim Jahr 1990 begann für die ostdeutscheBevölkerung eine Zeit großer Anstrengun-gen beim Neustart in einem anderen wirt-schaftlichen, politischen und kulturellen Sys-tem. Durch alle Altersgruppen hinweg undin allen sozialen Rollen – als Schüler, Ju-gendliche, junge Erwachsene, als Eltern,als Berufstätige, die oft schon in der zweitenHälfte ihres Arbeitslebens standen oder alsneue Selbstständige – lernten sie um.

Die Integration der Ostdeutschen in dasneue System geschah nicht in einer Art ,his-torischer Schonzeit‘, denn auch die altenBundesländer waren von den sich überstür-zenden Ereignissen betroffen. Das vereinig-te Deutschland suchte nach einer neuenRolle als souveräner Staat in der Weltpolitik.Noch größer waren die Probleme derWestdeutschen bei der Übernahme derehemaligen DDR. Viele Entscheidungenwurden – in historischen Dimensionen ge-dacht – geradezu ,übers Knie gebrochen‘.Zudem gab es bei der Einführung der wirt-schaftlichen, politischen und kulturellen Stan-dards der alten Bundesländer in Ostdeutsch-land große Reibungen. Das hatte man sonicht erwartet. Denn schließlich waren es jadie Ostdeutschen gewesen, die 1989 zuTausenden in den Westen geflohen warenund die in den beiden Parlamentswahlenvon 1990 die Option für einen schnellenBeitritt gewählt hatten. Der Alternativvor-schlag für eine autonome Demokratisierungund wirtschaftliche Umstrukturierung derDDR im Rahmen einer Konföderation wurdein der DDR nie mehrheitsfähig. Die Erwar-tung der Westdeutschen, dass die von dergroßen Mehrheit der Ostdeutschen gewähl-te Übernahme des westdeutschen Modellsim Osten mit Dankbarkeit und ohne Kritikakzeptiert werden würde, war also nichtaus der Luft gegriffen.

Einer der Gründe dafür, dass es bei der In-tegration der ehemaligen DDR in die Bun-desrepublik zu erheblichen Spannungenzwischen Westdeutschen und Ostdeutschenkam, war sicherlich, dass die Kenntnisseüber die einst eingemauerte DDR im Wes-ten gering waren. Doch auch die Bereit-schaft der Westdeutschen, die für sie unbe-kannten Erfahrungen und Sichtweisen derOstdeutschen kennen zu lernen, sie zu ver-stehen oder zumindest zu akzeptieren, ent-wickelte sich nicht so, wie es von vielen Ost-deutschen erhofft wurde.79

Der Diskurs zu den Ostdeutschen und zurDDR wurde in den 1990er Jahren im We-sentlichen von zwei Gruppen von Akteurengeführt: Zum einen von den Intellektuellen,Politikern und Journalisten aus den alten Bun-desländern, und zum anderen von Ostdeut-schen, die durch das DDR-System behindertoder Opfer staatlicher Gewalt gewordenwaren und nun zu den neuen politischen Eli-ten gehörten. Diese Konstellation wirkte sichauf das Bild von der DDR und von denOstdeutschen aus. Die westdeutschen Dis-kursteilnehmer reduzierten die DDR im We-sentlichen auf eine „verbrecherische Dik-tatur“ und eine „marode Wirtschaft“. Auchviele ehemalige Systemkritiker des Westensidentifizierten sich mit Blick auf die Zustän-de in der ehemaligen DDR nun rückwirkendmit ihrer alten Bundesrepublik. Gerade ehe-malige Sympathisanten antikapitalistischeroder alternativer Gesellschaftsprojekte be-zeichneten die Ostdeutschen nun mit vonZorn und Enttäuschung getrübtem Blick alsdurch die Diktatur „deformierte, autoritäreund demokratieunfähige“ Untertanen, die inihren Wertvorstellungen den Westdeutschenin den 1950er Jahren glichen.

Die Gruppe der ostdeutschen Diskursteil-nehmer betonte bei ihrer DDR-Darstellung

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65das, worunter sie selbst gelitten hatte undwas sie zu Gegnern der DDR-Verhältnissewerden ließ: Erstens die staatlichen Gewalt-maßnahmen, zweitens die politische undgeistige Bevormundung, die sich von derZensur inländischer und ausländischerDruckerzeugnisse bis zu Reiseverboten er-streckte; drittens die Ineffizienz der soziali-stischen Planwirtschaft mit ihrem paradoxenNebeneinander von subventionierter Ver-schwendung und Mangel an Konsumgüternund viertens schließlich das als opportunis-tisch gegeißelte Arrangement vieler Ost-deutscher mit den bestehenden Verhält-nissen.

Dieser Diskurs zu den Ostdeutschen und derDDR fand nicht nur in den Qualitätsme-dien statt. In seiner Substanz war er auch injenen Medien präsent, die breite Kreise derBevölkerung tagtäglich wahrnehmen. Auchauf dieser Ebene waren die ,weißen Fle-cken‘ bei der Beschreibung der ostdeut-schen Bevölkerung und der DDR deutlich.Der Alltag, die Erfahrungen und die Sinnvor-stellungen jenes Teils der Ostdeutschen, dienicht zu Opponenten oder Opfern des DDR-Regimes geworden waren, kamen kaumoder nur in sehr verzerrter Form vor.

Zu dieser kommunikativen Gesamtsituationgab es natürlich auch ein Echo. Es gab un-sichtbar gebliebene und eher stillere Reak-tionen – und deutliche expressivere. Zu letz-terem ist ein Laien-Diskurs zu rechnen, fürden sich der Name Ostalgie eingebürgerthat. Mittels Ostalgie kommentierte und kom-pensierte ein Teil der Ostdeutschen die Ein-seitigkeiten und Lücken des damaligen pro-fessionellen Diskurses zur DDR. Der Ostalgieder 1990er Jahre kann man drei Funktionenzuschreiben. Zum einen diente Ostalgie alseine Art Relativierung, die unangenehmeWahrheiten über die Eigengruppe oder das

eigene Leben zurückweisen will. Zum ande-ren stellt Ostalgie eine Art Selbstthera-pie dar, die die Auswirkungen der in den1990er Jahren erfolgten geschichtspoliti-schen Kolonisierung der Ostdeutschen aus-gleicht. Und schließlich ist Ostalgie einkommerzielles Konzept, das einen Marktgeschaffen hat und Bedürfnisse weckenwill, die auf diesem Markt befriedigt wer-den sollen.

In seiner Eigenschaft als Laien-Diskurs ist Os-talgie nicht nur für die Zeitgeschichte der1990er Jahre, sondern auch allgemein inte-ressant. Das gewissermaßen ,von unten‘ er-folgende und ungesteuerte Zustandekom-men eines Laien-Diskurses illustriert nämlich,wie wichtig Diskurse zu Geschichte, Tradi-tionen und Kultur einer Bevölkerung für dieIdentität einzelner Menschen sind. DieIdentität von Menschen ist in ihrem Ergeb-nis zwar ein individuelles und einmaligesKonstrukt – ihre Entstehung, Anpassung undFortschreibung vollzieht sich aber stets inengem Zusammenhang mit den großen ge-sellschaftlichen Erzählungen oder Diskursen.Zu diesem universellen Zusammenhang zwi-schen individueller Identität einerseits undandererseits den großen gesellschaftlichenErzählungen merkt der amerikanische Psy-chologe Kenneth J. Gergen pointiert an: „Je-der von uns lebt innerhalb bestimmter histo-rischer Erzählungen, ja, er ist ein Konstruktderselben – Erzählungen über unser Volk,unsere Kultur, Region, Familie und derglei-chen mehr. Mein Vermögen, in der Gegen-wart eine moralische Identität zu erlan-gen, ist aufs Engste mit meiner Beziehungzu den Erzählungen der Vergangenheit ver-knüpft.“80 Ostalgie kann also als eine Me-thode betrachtet werden, jene als zurück-setzend oder problematisch empfundeneUrteile und Lücken in der gesellschaftlichgültigen Erzählung über „die Vergangen-

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66heit“ oder über „unser Volk, unsere Kultur,Region“ – also in diesem Falle über „dieOstdeutschen“ – zu modifizieren.81 Den-noch wurde und wird Ostalgie oft als De-monstration missverstanden, dass man dieDDR „wieder haben“, die Vereinigung„rückgängig machen“ oder dass man sichnicht integrieren wolle. Vielmehr als das ist

Ostalgie jedoch eine Integrationsstrategie.Ostalgie weist – mehr oder weniger demon-strativ – darauf hin, dass ein Teil der Ost-deutschen bei ihrer Integration in das verei-nigte Deutschland, auf ihre eigenen, vondenen der westdeutschen Mehrheit abwei-chenden Erfahrungen, Erinnerungen undWerte nicht verzichten wollen.

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67Erläuterungen

1 Datenreport 1994. Hrsg. v. Statistischen Bun-desamt. Bonn, 1994, S. 310f., zit. nach:Hübner, Peter: „Revolution in der Schrank-wand“? Die Objektkultur des DDR-Alltags undihre Musealisierung in der Perspektive dersozialhistorischen Forschung. In: Kuhn, Gerd;Ludwig, Andreas (Hrsg.), Alltag und SozialesGedächtnis. Die DDR-Objektkultur und ihreMusealisierung. Hamburg: Ergebnisse Verlag,1997, S. 152–169, S. 153.

2 Vgl. zusammenfassend Thumfart, Alexander:Die politische Integration Ostdeutschlands.Frankfurt/M: Suhrkamp, 2002, S. 17, S.20–43.

3 Gibas, Monika; Gries, Rainer: „Vorschlag fürden Ersten Mai: Die Führung zieht am Volkvorbei!“ Überlegungen zur Geschichte derTribüne in der DDR. In: Deutschland Archiv5/1995 S.481–494.

4 Vertrag über die Schaffung einer Währungs-,Wirtschafts- und Sozialunion zwischen derBundesrepublik Deutschland und der Deut-schen Demokratischen Republik vom 18. Mai1990. Zit. nach: Dokumente der Wieder-vereinigung Deutschlands. Hrsg. v. Ingo vonMünch. Stuttgart: Alfred Kröner-Verlag, 1991,S. 213–276, hier S. 237.

5 Sinn, Gerlinde; Sinn, Hans-Werner: Kaltstart.Volkswirtschaftliche Aspekte der deutschen Ver-einigung. München: C.H. Beck/dtv, 1993,S. 67.

6 In der im Jahr 2003 ins Kino gebrachten Tra-gikomödie „Good Bye, Lenin“ eine Szene mitauf dem Gehweg stehenden, entsorgten Mö-beln zu sehen.

7 Leipziger Tageblatt, 23. April 1991.8 Mittenzwei, Werner: Die Intellektuellen. Litera-

tur und Politik in Ostdeutschland 1945–2000.Leipzig: Faber & Faber, 2001, S. 473.

9 Vgl.dengleichlautendenVolkskammerbeschlussvom 23. August 1990. Zit. nach Dokumenteder Wiedervereinigung (wie Anm. 4), S. 326.

10 In den Jahren zwischen Mai 1945 und biseinschließlich 1949 wurde am meisten um-benannt. Allein im Jahr 1945 gab es 90 Um-benennungen, in den Jahren 1946 bis 194974 Umbenennungen. Die restlichen 236 Um-und Neubenennungen verteilten sich auf dievierzig Jahre DDR.

11 Stadtverordnetenversammlung Leipzig, Druck-sache Nr. 289, S. 19 und Beschluß der Leip-ziger Ratsversammlung vom 12. 07. 2000.

12 Leipziger Volkszeitung, 3. Oktober 1990.13 Die Bewertung von Marx ändert sich. Als

Ende 2003 das ZDF die Zuschauer in einerüber mehrere Wochen dauernden Umfragedanach fragte, wer ihrer Meinung nach der„größte Deutsche“ sei, kam bei den Bewoh-nern der neuen Bundesländer und bei denenBerlins, Hamburgs und Bremens Marx aufPlatz eins.

14 Das zeigte sich auch in der Umbenennungdes einstigen Georgi-Dimitroff-Platzes vor demGebäude des ehemaligen Reichsgerichtes, indem 1933 der von den Nazis als Schaupro-zess aufgezogene Reichstagsbrandprozessgegen Marinus van der Lubbe und weiteremögliche Mittäter geführt wurde. In diesemZusammenhang wurden auch die Kommu-nisten und als einer der Hauptangeklagtender bulgarische Kommunist, Georgi Dimitroff,der Verantwortlichkeit für den Reichstagsbrandbezichtigt. Dimitroff verteidigte sich selbst undkonnte öffentlichkeitswirksam die Haltlosigkeitder Anklage sowie seine Unschuld beweisen.Die Anklage Dimitroffs und sein Freispruchhatte für die kommunistische Tradition seit je-her eine große symbolische Bedeutung. Siefungierte zum einen als Verweis auf den enor-men Verfolgungsdruck und Terror der Nazisgegen die Kommunisten und zugleich alsSymbol für Rechtfertigung der kommunisti-schen Sache. Der Platz vor dem in der DDR

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68später als Museum für Bildende Künste und alsGeorgi-Dimitroff-Museum genutzten Gebäudewurde 1949 in Georgi-Dimitroff-Platz umbe-nannt. Im Jahr 1997 beschloss die LeipzigerRatsversammlung die Entfernung des Namensund entschied sich mehrheitlich für den natio-nalliberalen Abgeordneten und Präsidentendes Deutschen Reichstags Eduard von Simsonals Namensgeber, der 1879 bis 1891 dererste Präsident des Reichsgerichts war.

15 Stadtverordnetenversammlung Leipzig, Druck-sache Nr. 289, S. 5.

16 Die genannten Straßen wurden umbenannt in„Ulmer Straße“, „Breisgauer Straße“, „Mann-heimer Straße“, „Ludwigsburger Straße“ und„Offenburger Straße“.

17 Aufgrund Stadtratsbeschluss 690/96 gebildet.18 Stadt Leipzig, Amt für Statistik und Wahlen,

Arbeitsgruppe „Straßen- Um- Neubenennun-gen“: Protokoll zur Beratung der Arbeitsgrup-pe vom 01.12.1998.

19 Mit Ausnahme des Bronzereliefs am Hauptge-bäude der ehemaligen Karl-Marx-Universität,dessen Entfernung aus baustatischen Gründenerst mit dem anstehenden Campus-Neubau zubewältigen ist.

20 Herz, Rudolf: Lenins Lager. Berlin: Karin Kra-mer Verlag, 1992, S. 5. siehe auch: http://www.rudolfherz.de/LENINS_LAGER.HTML.

21 Zit. nach Herz, Lenins Lager, S. 30. 22 Im Juli 1990 lag die Arbeitslosenquote in der

DDR bei 7,2 %. Vgl. Sinn/Sinn, Kaltstart (wieAnm. 5), S. 34.

23 Ahbe, Thomas; Hofmann, Michael; Stiehler,Volker (Hrsg.), Wir bleiben hier! Erinnerungenan den Leipziger Herbst ’89. Leipzig: Gustav-Kiepenheuer-Verlag 1999, S. 15f.

24 Sinn/Sinn, Kaltstart (wie Anm. 5), S. 46.25 Sinn/Sinn, Kaltstart (wie Anm. 5), S. 35.26 Sinn/Sinn, Kaltstart (wie Anm. 5), S. 34.27 Sinn/Sinn, Kaltstart (wie Anm. 5), S. 34f.28 „Aus volkswirtschaftlicher Sicht ist die Bilanz

der schnellen Privatisierung katastrophal. Über

70 Prozent der Arbeitsplätze wurden verloren,die Noch-Treuhand-Betriebe arbeiten immernoch defizitär. Die fiskalischen Lasten sindextrem.“ Hickel, Rudolf; Priewe, Jan: Nachdem Fehlstart. Ökonomische Perspektiven derdeutschen Einigung. Frankfurt/M.: S. Fischer,1994, S. 57, 55.

29 Kohli, Martin: Die DDR als Arbeitsgesell-schaft? Arbeit, Lebenslauf und soziale Dif-ferenzierung. In: Kaelble, Hartmut; Kocka,Jürgen; Zwahr, Hartmut (Hrsg.), Sozialge-schichte der DDR. Stuttgart: Klett-Cotta, 1994,S. 31–61.

30 Schmidt, Werner: Metamorphosen des Be-triebskollektivs. Zur Transformation der Sozial-ordnung in ostdeutschen Betrieben. In: So-ziale Welt, 46 (1995) H. 3, S. 305–325,S. 309.

31 Schmidt, Metamorphosen des Betriebskollek-tivs, S. 319.

32 Schmidt, Metamorphosen des Betriebskollek-tivs, S. 319.

33 Offe, Claus: Die deutsche Vereinigung als„natürliches Experiment“. In: Bernd Giesenund Claus Leggewie (Hrsg.), Experiment Ver-einigung. Ein sozialer Großversuch. Berlin:Rotbuch, 1991; S. 77–86, 78f.

34 Dreke, Claudia: Der fremde Osten. Formender Verarbeitung von Fremdheit in der West-Ost-Migration nach 1990 am Beispiel vonVerwaltungsangestellten. Berlin: Logos Verlag,2003, S. 144.

35 Dreke, Der fremde Osten, hier besonders S.104–112.

36 Die GENEX Geschenkdienst GmbH liefertean in der DDR lebende Empfänger Waren,die von in der BRD oder im westlichen Aus-land wohnenden Auftraggebern in Devisen zubezahlen waren. Über GENEX konnten DDR-Bürger nicht nur in Besitz von Westproduktenkommen, sondern auch aus der ,sozialisti-schen Wartegemeinschaft’ ausscheren, in derDDR-Bürger auf die Chance warteten, be-stimmte rare DDR-Produkte erwerben zu kön-

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69nen – Autos, Fertighäuser, bestimmte Modelleaus dem Bereich Unterhaltungselektronik,Haushaltsgroßgeräte, Möbel etc. GENEX botfür die DDR-Wirtschaft zusätzliche Möglich-keit, einen Teil der Produkte zu einem devi-senbringenden Westexport zu machen unddabei gleichzeitig den inländischen Bedarfzu decken. Schon die Existenz der 1957angeblich von der DDR-Regierung gegründe-ten GENEX Geschenkdienst GmbH war fürdie meisten DDR-Bürger, da sie von GENEXnicht profitieren konnten und da diese Insti-tution den beständig propagierten Gleich-heitsgrundsatz verletzte, ein Ärgernis. Die Em-pörung erreichte ihren Höhepunkt, als imWinter 1989/90 bekannt wurde, dassGENEX in Wahrheit ein organisationseigenerBetrieb der SED war.

37 Im Jahr 1991 stimmten 87 Prozent der Ost-deutschen der Aussage zu: „In der DDR warnicht alles so schlecht, wie es jetzt darge-stellt wird.“ Becker, Ulrich; Becker, Horst;Ruhland, Walter: Zwischen Angst und Auf-bruch. Das Lebensgefühl der Deutschen in Ostund West nach der Wiedervereinigung.Düsseldorf, Wien, New York, Moskau: EconVerlag, 1992, S. 166ff.

38 Geißler, Rainer: Neue Strukturen der sozialenUngleichheit im vereinten Deutschland. In:Hettlage, Robert; Lenz, Karl (Hrsg.), Deutsch-land nach der Wende. München: C.H. Beck,1995. S. 119–141, S. 129f; Zapf, Wolf-gang; Habich, Roland: Die sich stabilisieren-de Transformation – ein deutscher Sonder-weg? In: Rudolph, Hedwig (Hrsg.), GeplanterWandel, ungeplante Wirkungen: Handlungs-logiken und -ressourcen im Prozeß der Trans-formation. Berlin: Edition Sigma, 1995, S.137–159, S. 142f.

39 Institut für Wirtschaftsforschung Halle: Eigen-tums- und Vermögensstrukturen in den neuenBundesländern. In: Deutscher Bundestag(Hrsg.), Materialien der Enquete-Kommission„Überwindung der Folgen der SED-Diktatur

im Prozeß der deutschen Einheit“. Vol. III/2.Baden-Baden: Nomos, 1999. S. 1792–1923, S.1795f. Tabelle 2.1.

40 Im Jahr 1993 besaß die Hälfte aller Haus-halte der alten Bundesländern Grundver-mögen. In den neuen Bundesländern verfügennur ein Viertel der Haushalte über Grund-besitz, dreiviertel sind grundbesitzlos. Institutfür Wirtschaftsforschung Halle: Eigentums- undVermögensstrukturen (wie Anm. 39), S. 1823.Man geht davon aus, dass 90 Prozent des inden neuen Bundesländern von natürlichen Per-sonen vermieteten Wohnraums im Besitz vonPrivatpersonen sind, die ihren Wohnsitz au-ßerhalb der neuen Bundesländern haben.Institut für Wirtschaftsforschung Halle: Eigen-tums- und Vermögensstrukturen (wie Anm. 39),S. 1817. Vgl. auch Busch, Ulrich: Vermö-gensdifferenzierung und Disparität der Le-bensverhältnisse im vereinigten Deutschland.In: Berliner Debatte INITIAL, H. 5, 1996,S. 103–119.

41 Sozialreport 1997. Daten und Fakten zur so-zialen Lage in den neuen Bundesländern.Hrsg. v. Sozialwissenschaftlichen Forschungs-zentrum Berlin-Brandenburg e.V. durch GunnarWinkler, Berlin: Verlag am Turm,1998,S.32ff.

42 DER SPIEGEL: „Das Ostgefühl. Heimweh nachder alten Ordnung“, Nr. 27, 3. Juli 1995, S.49.

43 Lindenberger, Thomas: In den Grenzen derDiktatur. Die DDR als Gegenstand von „Ge-sellschaftsgeschichte.“ In: Eppelmann, Rainer;Faulenbach, Bernd; Mählert, Ulrich (Hrsg.):Bilanzen und Perspektiven der DDR-For-schung Paderborn. Verlag Ferdinand Schö-ningh, 2003, S.239–245, S. 240.

44 Berliner-Zeitung, online, 03. Oktober 1999.45 Einen Einblick liefert Zonentalk. DDR-Alltags-

geschichten aus dem Internet. Hrsg. v. Mühl-ber, Felix; Schmidt, Annegret. Wien, Köln,Weimar: Böhlau Verlag, 2001.

46 Gries, Rainer: Der Geschmack der Heimat.Bausteine zu einer Mentalitätsgeschichte der

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70Ostprodukte nach der Wende. In: Deutsch-land Archiv, H. 10, 1994, S. 1041–1058,S.1056.

47 Gries, Rainer: Produkte als Medien. Kulturge-schichte der Produktkommunikation in der Bun-desrepublik und der DDR. Leipzig: LeipzigerUniversitätsverlag, 2003, S. 33f.

48 Gries: Produkte als Medien, (wie Anm. 47),S. 20f.

49 Gries: Produkte als Medien, (wie Anm. 47),S. 31.

50 Gries, Der Geschmack der Heimat, (wieAnm. 46), S. 1049.

51 Gries, Der Geschmack der Heimat, (wieAnm. 46), S. 1051.

52 Leipziger Volkszeitung, 22/23. November1997, Journal S. 1.

53 Gries: Produkte als Medien, (wie Anm. 47),S. 47f.

54 Gries: Produkte als Medien, (wie Anm. 47),S. 47f.

55 Leipziger Volkszeitung, 23. Juli 1999, S. 7;28. Januar 2000, S. 6.

56 Rathenow, Lutz: Die DDR hinterlässt ihreKinder. Zu Besuch im Hotel Sittavia in Zittau.In: Berliner Republik, online, 2/2001.

57 http://www.ampelmann.de/html/copy-right.html.

58 http://www.ampelmann.de/leben.59 Vgl. „Markennummer 303 34 503. Ein Karls-

ruher Geschäftsmann hat sich die DDR lizen-zieren lassen – und will jetzt abkassieren.“ In:Neues Deutschland, 20. April 2004, S. 3.

60 Zit. nach Neues Deutschland, 7. Oktober2004, S. 3. Am 18. November 2004 teiltedas Münchner Patentamt mit, dass die ent-sprechenden Markeneinträge gelöscht wur-den. Am 10. Dezember 2004 wies aller-dings das Hamburger Landgericht die Klagedes Eulenspiegel-Verlags zurück, der dieErben des Urhebers des DDR-Staatswappensvertrat und gegen Manfred Jansen wegenVerstoß gegen das Urheberrecht geklagt hat-te. Mit dieser Gerichtsentscheidung hat Man-

fred Jansen nun das Staatswappen und an-dere ostdeutsche Symbole für 300 Euro alsgeschütztes Markenzeichen erworben undbeim Deutschen Marken- und Patentamt inMünchen wieder eintragen lassen. Sein An-walt kündigte auch gegen den Löschungs-antrag beim Patentamt Beschwerde an. Dannmuß das Bundespatentgericht über den Fallentscheiden (dpa/ND 11./12. Dezember2004, S. 6).

61 www.grimme-institut.de/scripts/archiv/pres-seschau/prschau10_03.

62 Neue Osnabrücker Zeitung, online, 18. Au-gust 2003.

63 Tobias Hollitzer in einem Statement für dieLeipziger Volkszeitung, 18. August 2003.

64 Markus Meckel in BZ-Berlin, 17. August2003, S. 23. Hier findet sich auch ein Über-blick zu kritischen und zustimmenden Äußerun-gen prominenter Ostdeutscher zu den Shows.

65 Rainer Eppelmann in BZ-Berlin, 17. August2003, S. 23.

66 Bernhardt Honnigfort in „Seitenblick“, einemkurzen Einwurf der Frankfurter Rundschau vom18. August 2003. Der Autor verweist nüch-tern auf die Einsichten der empirischen Me-diennutzungsforschung zu den Fernsehge-wohnheiten des Ost-Publikums und auf dasKalkül der Sender.

67 Badische Zeitung, online, 16. August 2003.68 „Auferstanden aus den Quoten“. In: Neue

Rhein/Ruhr-Zeitung, rz-online, 18. August2003, „Das große Ostalgie-Rauschen“. In:Stuttgarter Nachrichten, online, 18. August2003.

69 Michael Krechting in Neue Osnabrücker Zei-tung, online, 18. August 2003.

70 Leserbriefseiten, insbesondere von Regional-Zeitungen, widerspiegeln stets ein ausgewo-genes, plurales Meinungsbild zu einem Ge-genstand und lassen keine Rückschlüsse aufdas quantitative Verhältnis der Meinungen,wohl aber über die verschiedenen Wertposi-tionen und Argumentationsmuster zu.

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7171 „DDR-Verklärung im großen Stil“. In: Thüringer

Landeszeitung, Politik, online, 09. August2003 ist der Befund eines anderen Leser-briefschreibers.

72 Thüringer Landeszeitung, Politik, online, 21.August 2003.

73 Thüringer Landeszeitung, Politik, online, 21.August 2003.

74 Thüringer Landeszeitung, Politik, online, 21.August 2003.

75 Mielke, André: „Das putzige Land vor unsererZeit.“ In: Berliner Morgenpost, 19. August2003, online.

76 Schultheis, Christoph: „Das Kuriositätenkabi-nett.“ In: Berliner Zeitung, 19. August 2003.

77 Klaus Baschleben in einem Kommentar derLeipziger Volkszeitung vom 25. August 2003.

78 Der MDR kündigte für den 24. Oktober 2004den Beginn einer weiteren Staffel der Quiz-

sendung, nun mit der Moderatorin AndreaBallschuh an.

79 Vgl. Ahbe, Thomas: Der Osten aus der Sichtdes Westens. Die Bilder zu den Ostdeutschenund ihre Konstrukteure. In: Bahrmann, Han-nes; Links, Christoph (Hrsg.), Am Ziel vorbei.Die deutsche Einheit – Eine Zwischenbilanz.Berlin: Ch. Links Verlag (ersch. 2005).

80 Gergen, Kenneth J.: Erzählung, moralischeIdentität und historisches Bewußtsein. In:Straub, Jürgen (Hrsg.), Erzählung, Identitätund historisches Bewußtsein. Die psycholo-gische Konstruktion von Zeit und Ge-schichte. Frankfurt/M: Suhrkamp, 1998,S. 170–202, hier S. 199f.

81 Taylor, Charles: Multikulturalismus und diePolitik der Anerkennung. Frankfurt/M: FischerTaschenbuch Verlag, 1997, S. 13f.

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