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2000 Dr. Roger Harr, Hauptstrasse 49, CH-4435 Niederdorf, SWITZERLAND Tel. Praxis ++41 61 961 85 77, Fax Praxis ++41 61 961 85 03 http://www.zahnarztpraxis.ch [email protected] TQM in der Zahnarztpraxis 1. Einführung Ein Begriff, der erst vor kurzer Zeit in die Medizin eingeführt wurde, dokumentiert die wachsenden gesellschaftlichen Erwartungen, denen Ärzte und Zahnärzte ausgesetzt sind. Es ist der Begriff “Qualitätsmanagement” (QM). Dachten Ärzte und Zahnärzte bisher, dass allein ihre fachliche Leistung, sowie ethische und forensische Kriterien zur Bewertung ihrer Tätigkeit ausreichten, so wird nun mit den plötzlich von aussen eine neue gesellschaftliche Forderung sie herangetragen: Qualitätsmanagement. Ungewohnten Begriffen, insbesondere solchen ohne eindeutig definierten Inhalt, begegnen Ärzte und Zahnärzte seit jeher mit Argwohn. Dieser wird noch verstärkt, wenn die Begriffe nicht der gewohnten und erprobten Denkweise des Arztes entsprechen, sondern “von aussen” in die Heilkunde eingebracht werden. Der Argwohn kumuliert, wenn die Heilkundigen ausserdem das Empfinden haben, dass eine Begriffswelt eingeführt wird, die der Komplexität ärztlichen Handelns nicht gerecht wird und daher ihre Tätigkeit nicht beschreibt. Erste Versuche, Qualitätsnormen für medizinische Leistungen aufzustellen, reichen ins letzte Jahrhundert zurück. Die Weltgesundheitsorganisation ist seit 1990 daran, Qualitätsmanagementmassnahmen im Gesundheitswesen einzuführen. Diese Bestrebungen sind vor allem im Spitalwesen von hoher Aktualität, wo es verhältnismässig einfach ist, Normen aufzustellen, Vergleiche anzustellen und Kontrollen durchzuführen. Qualität muss an dieser Stelle zuerst definiert werden. Im Bereich des Qualitätsmanagements geht es nicht nur um die Art oder Güte eines Produktes oder einer Dienstleistung an und für sich, sondern vielmehr um dessen Übereinstimmung mit den Kundenanforderungen. Den Begriff Management möchte ich mit den Begriffen „Stossen“ und „Ziehen“ umschreiben, welche an jeder Türe stehen. Das von mir vorgestellte Qualitätsmanagementsystem für die Zahnarztpraxis ist sicher nicht ein System, welches in jeder Praxis uneingeschränkt Verwendung finden kann, sondern es ist auf die spezifischen Bedürfnisse der ZAHNARZTPRAXIS in CH-4435 Niederdorf ausgerichtet. Es enthält deswegen auch Elemente, welche für deren spezifische Probleme massgeschneidert sind. Ein eingeführtes Qualitätsmanagementsystem entbindet den Praxisinhaber nicht von der Führungsverantwortung. Es darf auch nicht ein simples Marketinginstrument oder nur eine Geschäftsstrategie sein. Es geht um viel mehr, es geht um eine kulturelle Neuausrichtung einer Organisation. Das heisst, die Einführung eines Qualitätsmanagementsystemes kann nur funktionieren, wenn es kompromisslos und konsequent Punkt für Punkt in die Praxis umgesetzt wird. Viele Ärzte und Zahnärzte meinen immer noch, dass sie allein durch den - schon finanziell - oft fragwürdigen Einsatz von High Tech Geräten Patienten binden können. Das dies nicht stimmt, zeigen verschiedene Untersuchungen. Danach wechseln nur je 15 Prozent der Patienten einen Arzt oder Zahnarzt wegen schlechter Arbeit bzw. zu hohen Kosten. Hingegen geben 20 Prozent Unhöflichkeit der Mitarbeiter und 50 Prozent schlechten Service als Grund für den Wechsel an. Es kann davon ausgegangen werden, dass die Produktqualität (die ärztliche Arbeit) für Patienten selbstverständlich ist. Wenn der Patient nicht vermuten würde, dass das eigentliche Produkt mit grosser Wahrscheinlichkeit seinen Anforderungen entsprechen wird, würde er einen Arzt schon gar nicht auswählen. Für die Patientenbindung wird jedoch in Zukunft die Bedeutung des Servicepaketes (Freundlichkeit der Mitarbeiter, Wartezeiten, Ambiente, etc.) eine immer grössere Bedeutung erlangen. Hier geht es darum, die Kunden/Patienten immer und immer wieder positiv zu überraschen. Im Stress des Praxis- oder Klinikalltags gehen diese Dinge leider unter, weil sie selbstverständlich sind. Dabei müssen wir das Rad nicht neu erfinden. Unzählige Erkenntnisse aus vorhandenen Veröffentlichungen aus der Wirtschaft, lassen sich einfach auf unsere tägliche Praxissituation übertragen. Patienten immer wieder positiv zu überraschen fällt vielen Zahnärzten und Mitarbeitern

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2000 Dr. Roger Harr, Hauptstrasse 49, CH-4435 Niederdorf, SWITZERLANDTel. Praxis ++41 61 961 85 77, Fax Praxis ++41 61 961 85 03

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TQM in der Zahnarztpraxis

1. Einführung

Ein Begriff, der erst vor kurzer Zeit in die Medizineingeführt wurde, dokumentiert die wachsendengesellschaftlichen Erwartungen, denen Ärzte undZahnärzte ausgesetzt sind. Es ist der Begriff“Qualitätsmanagement” (QM). Dachten Ärzte undZahnärzte bisher, dass allein ihre fachliche Leistung, sowieethische und forensische Kriterien zur Bewertung ihrerTätigkeit ausreichten, so wird nun mit den plötzlich vonaussen eine neue gesellschaftliche Forderung sieherangetragen: Qualitätsmanagement.

Ungewohnten Begriffen, insbesondere solchen ohne eindeutigdefinierten Inhalt, begegnen Ärzte und Zahnärzte seit jeher mitArgwohn. Dieser wird noch verstärkt, wenn die Begriffe nicht der gewohnten und erprobten Denkweisedes Arztes entsprechen, sondern “von aussen” in die Heilkunde eingebracht werden. Der Argwohnkumuliert, wenn die Heilkundigen ausserdem das Empfinden haben, dass eine Begriffswelt eingeführtwird, die der Komplexität ärztlichen Handelns nicht gerecht wird und daher ihre Tätigkeit nichtbeschreibt.

Erste Versuche, Qualitätsnormen für medizinische Leistungen aufzustellen, reichen ins letzteJahrhundert zurück. Die Weltgesundheitsorganisation ist seit 1990 daran,Qualitätsmanagementmassnahmen im Gesundheitswesen einzuführen. Diese Bestrebungen sind vorallem im Spitalwesen von hoher Aktualität, wo es verhältnismässig einfach ist, Normen aufzustellen,Vergleiche anzustellen und Kontrollen durchzuführen.

Qualität muss an dieser Stelle zuerst definiert werden. Im Bereich des Qualitätsmanagements geht esnicht nur um die Art oder Güte eines Produktes oder einer Dienstleistung an und für sich, sondernvielmehr um dessen Übereinstimmung mit den Kundenanforderungen. Den Begriff Managementmöchte ich mit den Begriffen „Stossen“ und „Ziehen“ umschreiben, welche an jeder Türe stehen.

Das von mir vorgestellte Qualitätsmanagementsystem für die Zahnarztpraxis ist sicher nicht einSystem, welches in jeder Praxis uneingeschränkt Verwendung finden kann, sondern es ist auf diespezifischen Bedürfnisse der ZAHNARZTPRAXIS in CH-4435 Niederdorf ausgerichtet. Es enthältdeswegen auch Elemente, welche für deren spezifische Probleme massgeschneidert sind.

Ein eingeführtes Qualitätsmanagementsystem entbindet den Praxisinhaber nicht von derFührungsverantwortung. Es darf auch nicht ein simples Marketinginstrument oder nur eineGeschäftsstrategie sein. Es geht um viel mehr, es geht um eine kulturelle Neuausrichtung einerOrganisation. Das heisst, die Einführung eines Qualitätsmanagementsystemes kann nur funktionieren,wenn es kompromisslos und konsequent Punkt für Punkt in die Praxis umgesetzt wird.

Viele Ärzte und Zahnärzte meinen immer noch, dass sie allein durch den - schon finanziell - oftfragwürdigen Einsatz von High Tech Geräten Patienten binden können. Das dies nicht stimmt, zeigenverschiedene Untersuchungen. Danach wechseln nur je 15 Prozent der Patienten einen Arzt oderZahnarzt wegen schlechter Arbeit bzw. zu hohen Kosten. Hingegen geben 20 Prozent Unhöflichkeitder Mitarbeiter und 50 Prozent schlechten Service als Grund für den Wechsel an. Es kann davonausgegangen werden, dass die Produktqualität (die ärztliche Arbeit) für Patienten selbstverständlichist. Wenn der Patient nicht vermuten würde, dass das eigentliche Produkt mit grosserWahrscheinlichkeit seinen Anforderungen entsprechen wird, würde er einen Arzt schon gar nichtauswählen. Für die Patientenbindung wird jedoch in Zukunft die Bedeutung des Servicepaketes(Freundlichkeit der Mitarbeiter, Wartezeiten, Ambiente, etc.) eine immer grössere Bedeutung erlangen.Hier geht es darum, die Kunden/Patienten immer und immer wieder positiv zu überraschen.

Im Stress des Praxis- oder Klinikalltags gehen diese Dinge leider unter, weil sie selbstverständlichsind. Dabei müssen wir das Rad nicht neu erfinden. Unzählige Erkenntnisse aus vorhandenenVeröffentlichungen aus der Wirtschaft, lassen sich einfach auf unsere tägliche Praxissituationübertragen. Patienten immer wieder positiv zu überraschen fällt vielen Zahnärzten und Mitarbeitern

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schwer. Der Patient will als Kunde behandelt werden. Deshalb müssen wir den Begriff Dienstleistungwörtlich nehmen: Dem Kunden dienen, heisst Leistung für ihn erbringen. Zugleich müssen wir aberdurch kundenorientierten Service den Patienten für uns und unsere Praxis begeistern. Wenn man dienotwendigen Schritt für eine zukunftsorientierte Praxis vollzieht, indem man sich als Dienstleistereinbringt, gilt im Wettbewerb um den Patienten/Kunden: Service entscheidet. Wir müssen Service alsGesamtheit aller Leistungen verstehen, die der Patient/Kunde über ein Produkt oder eine Leistunghinaus unter dem Aspekt Preis, Ästhetik, Komfort und Ruf der Praxis erwartet. In einer Gesellschaft, inder viele Dinge im Überfluss angeboten werden und die Mitbewerber ein hohes Mass an gleichenLeistungen erbringen, ist der Dienstleistungsbegleitende Service für die Erfahrungen und dieZufriedenheit des Kunden von ausschlaggebender Bedeutung

Die Existenzberechtigung eines Unternehmens liegt darin, dass es etwas, was für Kunden wichtig ist,besser als Konkurrenz tun kann. Im Vergleich von Unternehmen, hat das eine Chance, welches Dingebesser als Konkurrenz macht. Wo können die positiven Unterschiede nun liegen?

Bessere Produkte können kopiert werden. Bessere Maschinen bzw. Produktionsmethoden könneneinfach kopiert werden. Damit hat man nur einen zeitlichen Vorsprung. Je mehr Vorteile in derTechnologie liegen, desto leichter werden sie kopiert. Wenn es uns nicht gelingt, andere Vorteile zufinden - die von anderen weniger gut kopiert werden können - dann sind die Chancen schlecht.

Die Wirtschaft beginnt wieder zu boomen. Im laufenden Jahr können wir mit ungefähr 2,5% Wachstumrechnen. Trotzdem kommt ein erheblicher Restrukturierungsschub auf uns zu. Die Folgen davon sindfolgende:

• Die Anforderungen an den Arbeitsplatz werden weiter steigen.

• Die Öffnung der Grenzen im Rahmen der bilateralen Verträge der Schweiz mit der EU wird zueinem zusätzlichen Preis- und Lohndruck führen.

Ich sehe für uns Mediziner folgende Konsequenzen:

• Fehler und damit Fehlerkosten sind laufend zu reduzieren. Hier liegt noch ein grosses ungenutztesPotential, um Kosten zu senken.

• High Tech ist sinnvoll zu nutzen (d.h. ein vernünftiger Payback muss durch eineBeschaffungsanalyse sichergestellt sein).

2. Ausgangslage in unserer Praxis

Im Jahre 1995 hatten wir in unserer Praxis folgende Mitarbeiter angestellt:

• 3 Zahnärzte

• 1 Dentalhygienikerin (DH)

• 1 Prophylaxeassistentinnen (PA)

• 6 Dentalassistentinnen (DA)

Unsere Ausgangslage sah damals folgendermassen aus:

• Wir hatten ein gutes Fachwissen und arbeiteten in der Regel professionell.

• Wir hatten interne Spannungen, deswegen herrschte ein mässiges gegenseitiges Vertrauen, dieswurde in Stress-Situationen sichtbar.

• Wir hatten Kommunikations- und Zuverlässigkeitsprobleme.

• Wir hatten zu hohe Fehlerkosten durch allerlei Fehler im administrativen aber auch imzahnärztlichen Bereich. Diese reichten von falsch eingeordneten Patientenkarten, die stundenlanggesucht werden mussten, über vergessene Pendenzen, suboptimale Behandlungsplanung mitunnötigen Sitzungen bis zu Behandlungsfehlern.

• Wir machten damals schon viel im Bereich Patientenbetreuung, doch für unsere Mitarbeiter warendiese Massnahmen zu abstrakt.

• Die organisatorische Verantwortung lag ausschliesslich bei mir als Praxisinhaber, was sich inStress und Gereiztheit bemerkbar machte. Daraus resultierte eine permanente Unzufriedenheit mit

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mir und meiner Arbeit. Das dauernde schlechte Gewissen und Gedanken wie „ich sollte“ und „ichmüsste“ nahmen Überhand.

Weil der Kopf rund ist, damit das Denken seine Richtung ändern kann, wollte ich die bestehendeSituation so nicht akzeptieren und führte eine systematische Lagebeurteilung durch. Das Resultatdieser Lagebeurteilung liegt heute in Form des bei uns eingeführten Qualitätsmanagementsystemesvor.

Als weltweit erste Praxis haben wir heute ein TQM-System nach dem EFQM-Modell welches nach ISO9001, ISO 13485, sowie ISO 14001/EMAS zertifiziert ist.

3. Qualität in der Zahnarztpraxis

Eine von einem Journalisten durchgeführte Umfrage bei 15 Schweizer Zahnärzten ergab, dass keinerwusste was Qualität ist, und nur einer wusste, worum es bei einem Qualitätsmanagement geht. Es istauch nicht überraschend, dass die grössten Kritiker von TQM in der Medizin unter den Ärzten undZahnärzten zu finden sind, die keine näheren Kenntnisse darüber haben.

Unsere Arbeit wurde zum Teil als “Luftschlösser”, “verrückt” oder mit dem “mechanischem Denken”betitelt. Derartige Bemerkungen erinnern mich immer an die folgenden Aussagen von berühmtenLeuten aus der Geschichte:

• “Heavier-than-air flying machines are impossible” (Lord Kelvin, President Royal Society, 1885).

• “Who the hell wants to hear actors talk” (Harry M. Warner, Warner Bros., 1927).

• “I think there is a world market of maybe five computers” (Thomas Watson, Chairman of IBM,1944).

• "Die Mauer steht noch 100 Jahre” (DDR Präsident Honnecker, 1989).

Wir unterscheiden in unserer Praxis zwischen Strukturqualität (= Qualität der Leistungserstellung, z.B.Infrastruktur oder Ausbildung), Prozessqualität (= Qualität des Behandlungsprozesses) undErgebnisqualität (Qualität des Behandlungsergebnisses). Wir setzen hypothetisch voraus, dass einhoher Ausbildungsstand der Mitarbeiter, eine hohe Qualität der eingesetzten Mittel, eine optimaleAufbau- und Ablauforganisation sowie ein optimaler Behandlungsprozess ein "ideales"Behandlungsergebnis ermöglichen. Nur mit einer ausreichenden Infrastruktur ist es möglich, stabileund damit reproduzierbare Prozesse zu gestalten. Und nur mit stabile Prozessen, können brauchbareResultate erreicht werden. Es ist somit falsch, wenn vielerorts immer noch behauptet wird, dass nurdie Ergebnisqualität wichtig ist.

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Der „Qualitätspolizist“

Her-stellung

Kontrolle

i.O.

Aus-schuss

Der hier skizzierte Qualitätspolizist ist ein falscher und veralteter Ansatz um Qualität zu erreichen.Dieser Endprüfungsansatz verhindert Fehler nicht. Wenn der Fehler endlich entdeckt ist, sind dieFehlerkosten bereits angefallen. Es geht heute vielmehr darum, wie bereits erwähnt, stabile Prozessedurch ein geeignetes System sicherzustellen und damit das Entstehen von Fehlern zu verhindern. DasSystem muss auch sicherstellen, dass Lehren aus gemachten Fehlern automatisch zu einerkontinuierlichen Systemverbesserung führen.

3.1. Die ISO-Normen

Die Qualitätsmanagement-Normen der Reihe ISO 9000 sind 1987 eingeführt worden. Sie bildenweltweit für mehr als 500'000 Organisationen der verschiedensten Branchen die Basis fürQualitätssicherung und Qualitätsmanagement. In Europa sind über 25'000 Unternehmen nach ISO-Normen zertifiziert. In den nächsten drei bis fünf Jahren wird mit einer Verdoppelung dieser Zahlgerechnet. Neben den Normen der 9000er Reihe sind für uns Mediziner auch noch die ISO 13485(Medizinalprodukte) sowie ISO 14001 (Umweltschutz) interessant.

Die Normenreihen zeichnen sich dadurch aus, dass sie branchenunabhängig umgesetzt werdenkönnen. Sie "funktionieren" somit neben Produktions- und Dienstleistungsbetrieben auch in derMedizin. Weltweit ist eine Vergleichbarkeit gegeben und die Normen sind auch Grundlage für dieRegelung der Zusammenarbeit zwischen Vorgesetzen und Mitarbeitern, zwischen Zulieferern undVerbrauchern, sowie zwischen Anbietern und Kunden.

Die Norm bedeutet jedoch noch nicht, dass das Produkt oder die Dienstleistung qualitativ gut ist. DieNorm verlangt „was“ geregelt werden muss, nicht aber das "wie". Jede Organisation ist damit in der Artder Regelung frei und somit selbst schuld, wenn ein Papiertiger entwickelt wird.

Unter der Zertifizierung versteht man die „Abnahme“ eines Systems durch einen akkreditiertenZertifizierer. Vor Ort wird dabei durch Auditoren des Zertifizierers überprüft, ob einerseits das Systemdie Forderungen der Norm erfüllt und andererseits auch danach gearbeitet wird. Die Zertifizierung wirdanschliessend jährlich überprüft und ist nach drei Jahren zu wiederholen.

Eine ISO-zertifizierte Organisation kann somit "nur" für sich in Anspruch nehmen, dass sie ein voneiner externen Organisation geprüftes (zertifiziertes) System besitzt, welches mit grosserWahrscheinlichkeit auch hilft, gute Produkte oder eine gute Dienstleistung herzustellen.

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Ein System muss zwingend für die jeweilige Organisation zugeschnitten sein und sollte somit nichtvollständig "gekauft" das heisst durch eine externe Organisation erstellt werden.

3.2. Total Quality Management (TQM)

TQM ist der umfassendere Ansatz als ISO. Es ist ein Konzept, welches im wesentlichen darin besteht,interne und externe Kunden in den Mittelpunkt aller Unternehmensaktivitäten zu stellen mit dem Ziel,die Erwartung der Kunden an die Qualität zu erfüllen. Anders gesagt geht es auch darum, durch einehervorragende Organisation in den Bereichen

• Kundenzufriedenheit

• Mitarbeiterzufriedeheit

• Gesellschaftliche Verantwortung (Umwelt/Soziales)

• Medizinische und finanzielle Resultate

überdurchschnittliche Ergebnisse sowie eine dauernde Verbesserung nachweisen zu können.

Das TQM-Modell der European Foundation for Quality Management (EFQM) eignet sich hervorragendfür die Anwendung in der Zahnarztpraxis. Die EFQM ist eine Stiftung namhafter europäischerIndustrieunternehmen (aus der Schweiz waren CIBA, SULZER, NESTLE Gründungsmitglieder). Siehat ein Referenzmodell entwickelt, welches als ein nicht erreichbares Idealmodell zu betrachten, andem sich jede Organisation mit sogenannten Assessments messen kann.

Das Modell ist in einen Teil Befähiger und Ergebnisse gegliedert:

Befähiger: Hier ist die Qualität der ärztlichen Arbeit primär im Kapitel “Prozesse” verpackt:

• Wie das Unternehmen die Ergebnisse erzielen will

• Was macht das Unternehmen, um umfassende Qualität zu erreichen?

• Wie geht das Unternehmen dabei vor?

Ergebnisse: Was das Unternehmen mit diesem Vorgehen erreicht hat und heute erreicht!

• Welche Daten und Informationen werden zur Erfolgsbewertung herangezogen?

• Wie werden diese Daten ermittelt?

• Wie war die Entwicklung in den letzten Jahren?

• Wie sehen die Resultate im Vergleich mit den Mitbewerbern aus?

Es muss nun der Nachweis erbracht werden, dass hervorragende Resultate auf der rechten Seite desModells auf einer hervorragende Organisation auf der linken Seite basieren. Nun wird deutlich, dassdies nur mit laufendem „Benchmarking“ und einer kontinuierlichen Verbesserung funktioniert.

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An dieser Stelle muss auch der Begriff „Benchmarking“ eingeführt werden. Beim Benchmarking gehtes darum, die eigene Tätigkeit immer wieder an Vergleichswerten zu messen. Dieser Vergleich soll einkontinuierliches Hinterfragen der eigenen Tätigkeit initialisieren und den Verbesserungsprozess amLeben erhalten. Es ist selbstredend, dass diese Benchmarks nicht nur im Bereich der Ergebnisqualitätzu suchen sind, sondern auch innerhalb der Struktur- und der Prozessqualität. Der ideale Benchmarkist der Vergleichswert eines - nach klaren Kriterien definierten - "Klassenbesten". Hier tun wir unsjedoch in der Medizin noch schwer.

Seit 1992 gibt es im European Quality Award (EQA) einen europäischen Qualitätspreis, welcher diebesten Unternehmen oder Organisationen Europas auszeichnet. Der Schweizer QualitätspreisESPRIX wurde 1998 erstmals ausgeschrieben. Ein Finalistenrang im nationalen Wettbewerb istVoraussetzung zur Teilnahme am EQA. Excellence liegt ab zirka 600 bis 700 Punkten von maximal1000 möglichen Punkten vor. Zum Vergleich: ein neu ISO 9001-zertifiziertes Unternehmen dürfte imBereich von 200 bis 250 Punkten angesiedelt werden. Ein TQM nach dem EFQM-Modell befriedigt dieISO-Vorgaben vor allem im Bereich der Prozesse. Dies lässt den vereinfachten und provokativenSchluss zu, dass auf dem TQM-Weg ISO 9001 en passant „mitgenommen werden kann“. Mit demTQM-System muss laufend der Nachweis erbracht werden, dass alle Mitarbeiter engagiert sind, um:

• die Patienten zufriedener zu stellen als die Patienten der Mitbewerber;

• zufriedenere Mitarbeiter als die Mitbewerber zu haben;

• sozial und im Umweltbereich engagierter als vergleichbare Organisationen zu sein;

• und bessere Resultate (finanziell und im Bereich der ärztlichen Tätigkeit) zu erzielen als dieMitbewerber.

Wie man die nötigen Nachweise erbringen, besser als andere zu sein, ist freigestellt, doch der Beweismuss klar, eindeutig und von externen Stellen überprüfbar sein. Es ist nun einleuchtend, dass einderartiges TQM-System sehr viel weitergeht, als eine simple Zertifizierung. Es sichert damit aber auchdie laufende Verbesserung und ist weniger statisch.

Das Zertifikat der ISO 9000 bestätigt die Übereinstimmung von Abläufen – nicht Ergebnissen – mitexternen Vorgaben (ähnlich einem Führerschein, der die Fähigkeit zum Autofahren bestätigt, nichtaber die Güte des Fahrens). Beispiel: Die mit den Prozessvorgaben konforme Durchführung einerWurzelspitzenresektion wird bestätigt (Prozessbetrachtung) – ob für den Patienten eine orthogradeWurzelbehandlungsrevision nützlicher ist (Ergebnisbetrachtung) wird nicht hinterfragt. Das ISO-Zertifikat erbringt somit einen Nachweis der Konformität.

Die Anwendung des EFQM-Verfahrens endet mit einem Assessoren-Bericht der Prüfungskommission,d.h. mit einer detaillierten Bewertung (Punktzahl zwischen 0 und 1000 Punkten) der medizinischen undorganisatorischen Ergebnisqualität aus der Sicht der Leistungsempfänger, Leistungserbringer und derLeistungsfinanzierer.

4. Unser System

Unser System basiert papiermässig auf vier Säulen:

• Grunddokument ist die Bewerbung für den Schweizerischen Qualitätspreis ESPRIX bzw. deneuropäischen Qualitätspreis, den European Quality Award (EQA). Dieses Dokument wurde in einerersten Fassung von einem Betriebswirtschaftsstudenten als Diplomarbeit erstellt und wird seitherkontinuierlich optimiert. Auf maximal 35 Seiten muss in dieser Bewerbung das TQM-Systemvorstellen und den Beweis für hervorragende Leistungen antreten. Bei einer Bewerbung um einender Awards wird diese Darstellung von Assessoren vor Ort überprüft.

• Das Praxishandbuch ist der Beschrieb des Systems. Es umfasst ca. 400 Seiten und wird jährlichetwa zwei mal neu überarbeitet herausgegeben. Dieses Handbuch ist auch Grundlage für dieZertifizierung. Es erhält Flussdiagramme für alle Prozesse, Pflichtenhefte, Organigramme,Weisungen, Checklisten und Musterformulare. Mit diesem Handbuch wird in unserer Praxistagtäglich gearbeitet.

• Der Businessplan wird jährlich neu erstellt. Er beinhaltet einen Rückblick auf erreichte und nichterreichte Ziele des vergangenen Jahres, eine systematische Beurteilung der aktuellen Lage(bezüglich Ziele, Zeitverhältnisse, Umwelt, Mittel und Möglichkeiten der eigenen Mitbewerbern undeigenen Möglichkeiten), die strategischen und operativen Ziele, Investitionen, unsere Strategie,

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sowie verschiedene Konzepte (Mitarbeiter-, Finanzierungs-, Marketingkonzept, etc.), einePendenzenliste mit Aufträgen an alle Mitarbeiter für das kommende Jahr, sowie ein Verzeichnisunserer Verbesserungsvorschläge. Dieses Dokument erhalten im Sinne von vertrauensbildendenMassnahmen auch unsere Bank und unsere Geschäftspartner.

• Das Controlling besteht aus zur Zeit über 800 Grafiken zu allen Kriterien des EFQM-Modelles undwird monatlich aktualisiert. Uns interessieren Zahlenreihen nicht, da diese Trends schlechtdarstellen. Auf unseren Grafiken sind Zielniveaus und Benchmarks erhalten. Mit diesen Daten isteine Standortbestimmung in kürzester Zeit möglich. Das Controlling ist auch Analyseinstrumentund dient der Beurteilung von Handlungsalternativen. Es hilft auch beim überzeugen, motivierenund schockieren. Durch den zunehmenden Einsatz von integrierten EDV-Lösungen, verbessertsich die Ausgangssituation für Managementinformationssysteme, die uns diese Controlling-Datenliefern. Diese Grafiken sind eine wichtige Führungsgrundlage. Die Softwarehersteller vonZahnärztesoftware haben in diesem Bereich noch grossen Handlungsbedarf, damit die Erfassungvon wesentlichen Daten vereinfacht wird.

4.1. Kriterium 1: Führung

Ich muss in unserem System z.B. als Chef nachweisen, dass ich für meine Mitarbeiter klare Wertedefiniere, kommuniziere und auch vorlebe, die von meinem Team auch nachvollzogen werden. Damitsoll ein chaotischer Führungsstil verhindert werden. Dazu gehört auch, dass ich als Chef immeransprechbar sein muss. Wir haben in unserer Praxis eine Open Door Politik. Mit regelmässigen Staff-Meetings, Qualitätszirkeln, Informationen, Praxiszeitungen, Workshops und Reflektionen fördern wirdie Kommunikation sehr intensiv.

Es muss aber auch nachgewiesen werden, aufgrund welcher Prozesse ich meine Entscheide fälle, wieich mich wieso in welchen Bereichen wie lange weiterbilde und wie ich meine Mitarbeiter persönlichweiterbilde. Dazu gehört auch eine laufende und detaillierte Analyse unserer Mitbewerber. Hier ist eineJohn Wayne Mentalität mit Schüssen aus der Hüfte nach dem Motto "Ready, Shoot, Think" falsch amPlatz.

Mit dem Mystery Man haben wir ein interessantes Selbstkontrollinstrument geschaffen. Jeder unsererMitarbeiter kann das System oder mich anonym überprüfen oder überprüfen lassen. Dies kann fünfMinuten vor Ende der Arbeitszeit ein Anruf mit fremdländischem Akzent sein, um zu kontrollieren, obwir den Schmerzpatienten wie im Wartezimmer versprochen noch am gleichen Tag behandeln (wie wiruns dies auf unsere Fahne geschrieben haben), oder ob wir ihn abwimmeln. Der Mystery Man wirdeinmal monatlich eingesetzt.

4.2. Kriterium 2: Politik und Strategie

Die Strategie zur Einführung eines Systems muss in erster Linie einfach sein. Nur dann wird sienämlich von allen verstanden. Immer wieder erlebe ich es, dass mir irgend ein Manager von seinerneuen Strategie erzählt. Wenn ich dann frage, wie diese aussieht, dann bittet er seine Sekretärin ihmden Strategieordner zu bringen. Wenn diese Strategie einen Ordner braucht, dann wird sie sicher vonniemandem verstanden. In der Regel wird sie auch nicht gelebt. Vermutlich geht man dann davon aus,dass von diesem Ordner eine Strahlung ausgeht, welche etwas verändert. Wenn sich nichts verändertstellt man immer mehr Ordner in immer mehr Schränke und hofft, dass dadurch mehr Strahlungausgeht und die Veränderung doch noch kommt. Für die Planung eines Qualitätssystemes bedeutetdies, dass wir uns genug Zeit nehmen müssen, um überhaupt herauszufinden, was wir wollen. Dennnur wenn wir wissen was wir wollen erreichen wir unser Ziel. Wer nicht genau weiss, was er will, darfsich nicht wundern, wenn er am falschen Ort ankommt!

Messen ist einfach. Schwierig dagegen ist, das Richtige zu messen und auf andere interessante Datenzu verzichten, die nichts zu einer Erfolgssteigerung beitragen. Messen alleine reicht jedoch nicht, dasMessen muss auch immer Grundlage für Massnahmen sein. Wenn es anders wäre, dürfte es unterden Besitzern von Waagen keine Übergewichtigen geben.

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Stratregische Führung

Mission

ControllingLage-

beurteilung

BalancedScorecard

Vision

Strategie

LeitbildUnternehmens-

kulturInfoMit-

arbeiter

Mit der Formulierung von Mission, Vision und dem Leitbild wird bei uns festgelegt, was unsereOrganisation ist, was die zukünftigen Ziele sind und wofür wir einstehen. Damit wird eine allgemeineMarschrichtung definiert. Wir haben alles gemeinsam mit unseren Mitarbeitern entwickelt um einebreite Identifikation und auch Fehler eines möglicherweise betriebsblinden Chefs auszuschalten.

Mit unserer Strategie legen wir fest, worauf sich unsere Organisation konzentrieren muss um die Zielezu erreichen und um die Vision umzusetzen.

Ein ausgewogenes Kennzahlensystem - eine Balanced Scorecard (BSC) - definiert Ziele für allewesentlichen Bereiche (nicht nur für die Finanzen!). Die BSC ist ein Ansatz zur Verankerung vonVision und Strategie im operativen Tagesgeschäft. Häufig ist es so, dass Visionen und Strategien inWorkshops erarbeitet werden, doch die Kommunikation bzw. die Verbindung zu den Aktionen undZielen auf der operativen Ebene fehlt häufig. Immer wieder machen Unternehmen den Fehler, dassZielvorgaben vorwiegend finanzieller Natur sind, ohne die Verknüpfung mit der Kundenperspektive,den internen Prozessen und der Wissens- und Lernebene aufzuzeigen. Genau bei diesen beidenSchwachpunkten setzt die Idee der BSC ein. Mit einem umfassenden und ausgewogenen (balanced)System von Messgrössen über alle entscheidenden Bereiche wird die strategische Zielverfolgunggewährleistet. Im weiteren wird wird durch eine Ursache-Wirkungs-Verknüpfung analysiert, wie dieeinzelnen Teilziele zusammenhängen, um ein umfassendes und zielgerichtetes Gesamtsystem zugestalten. Zielkonflikte sollten so möglichst vermieden oder in Kenntnis davon optimale Wertevorgegeben werden.

Auch der Pilot eines Flugzeuges muss gewährleisten, dass alle wichtigen Flugdaten aufeinanderabgestimmt sind, um sicher ans Ziel zu kommen. Nur wenn Flughöhe, Geschwindigkeit, Tankfüllungund Flugrichtung gewisse Bedingungen erfüllen, erreicht man das Ziel. Während des Fluges müssenalle Werte laufend überprüft werden, damit eventuelle Probleme frühzeitig korrigiert werden können.Genau gleich verhält es sich bei der Zielerreichung von Unternehmen. Die Konzentration auf einzelneMessgrössen genügt nicht, um sicher ans Ziel zu kommen. Es ist ein Gesamtverständnis und ein breitabgestütztes Messsystem nötig.

Strategische Ziele stecken den Zeitraum der nächsten fünf Jahre ab, die operativen Ziele sindJahresziele.

Das Controlling ist Basis für die regelmässige systematische Lagebeurteilung und stellt sicher, dasman auf dem richtigen Kurs ist und das die gesetzten Ziele nach wie vor richtig sind.

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Im laufenden Jahr haben wir unsere letzte Vision erreicht. Zusammen mit dem Praxisteam wurden dieMission und das Praxisleitbild überarbeitet. Eine neue Vision und eine neue Strategie wurden definiert.Um Betriebsblindheit zu verhindern, liessen wir durch einen Betriebswirtschaftsstudenten im Rahmeneiner Diplomarbeit einen Iterationszyklus über unser strategisches Führungsmodell durchführen. Dieshat interessante neue Perspektiven eröffnet.

4.3. Kriterium 3: Mitarbeiterorientierung

Der Mitarbeiter ist die wichtigste "Software". Es gibt Ärzte, die wählen monatelang eine neuePraxissoftware aus. Sie definieren ein Anforderungsprofil, wollen alle wesentlichen Faktoren wissenund lassen sich mehrere Offerten machen. Eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter - die im übrigenteurer als ein Computersystem sind - werden häufig nur nach Gefühl ausgesucht. Damit könnenwiederum Fehlerkosten entstehen. 60 Prozent des Eindrucks, den ein Patient aus der Praxis mitnimmt,kommt nicht vom Arzt und der Behandlung, sondern vom Engagement der Mitarbeitenden.

Unsere Mitarbeiterorientierung basiert auf unzähligen Massnahmen. Hier nur einige davon:

• Ich als Praxisinhaber kann keine neuen Mitarbeiter einstellen. Ich habe nur ein Vetorecht. Wereingestellt oder entlassen wird, entscheidet das Team.

• Wir berücksichtigen die Faktoren der Mitarbeiterzufriedenheit sehr intensiv. Ehrliche Anerkennungfür gute Arbeit führt dazu, dass die Mitarbeiter die gute Arbeit wiederholen, um wieder gelobt zuwerden. Ein nicht zu unterschätzender Faktor ist die klare Zielausrichtung der Organisation. DieMitarbeiter wollen in Ihrer Arbeit ein Ziel sehen, mit dem sie sich identifizieren können. 90% derMotivation der Mitarbeiter kommt aus klaren Zielen. Dieses Ziel kann unmöglich nur in einerGewinnmaximierung für den Praxis- oder Kliniknhaber liegen. Mit "Managing by Walking around"wird das tägliche Gespräch mit allen Mitarbeitern auch über ausserberufliche Dinge gepflegt.

• Wir haben geregelt, wer bei uns wieviele Stunden pro Jahr externe Fortbildung zu besuchen hat.Die Mitarbeiter entscheiden frei, welche Fortbildungen sie besuchen. Der Besuch gilt alsArbeitszeit und die Fortbildungen werden bezahlt. Dies kann im Extremfall auch ein Kochkurs sein.Aus jedem Fortbildungstag müssen jedoch drei akzeptierte Verbesserungsvorschlägezurückgebracht werden. Andernfalls wird der Tag von den Ferien abgebucht.

• Alle unsere Mitarbeiter habe Einblick in sämtliche Controlling-Daten. Diese Open-Book-Politikbedeutet, dass sie auch wissen, was bei uns finanziell läuft. Ich habe keine Probleme damit undmeine Mitarbeiter auch nicht, weil sie genau wissen, dass niemand in unserer Praxis so hartarbeitet wie ich.

• Fehler zu machen ist bei uns erlaubt. Wenn jedoch ein Fehler passiert, so ist ein Vorschlageinzubringen, was wir zukünftig tun müssen um genau diesen Fehler zu verhindern. Damit werdenwir zu einer lernenden Organisation.

• Alle Mitarbeiter werden alle drei Monate schriftlich durch mich beurteilt. Jeder beurteilt sich selbstnach der gleichen Matrix. Wir kommen mittlerweile auf über 90 Prozent Übereinstimmung. DieseÜbereinstimmung ist wichtig, weil die Qualifikation über die Auszahlung eines Bonus für diekommenden drei Monate entscheidet. Ich selbst werde ebenfalls alle drei Monate von jedemMitarbeiter schriftlich beurteilt. Dies fördert ein offenes Klima und hat auch mein persönlichesVerhalten massiv verändert!

• Jeder Behandler ist ein Profitcenter mit eigenem Budget. Erfolg oder Unterschreiten des Budgetshaben finanzielle Konsequenzen.

4.4. Kriterium 4: Ressourcen

In diesem Kriterium geht es darum, wie Ressourcen (finanzielle Ressourcen, Informationsressourcen,Lieferanten, etc.) möglichst effizient gemanagt werden.

• Dass wir mit einem Budget arbeiten ist selbstverständlich. Die bereits erwähnte Profitcenterstrukturfür alle Behandler macht aus diesen kleine Unternehmer mit allen Vor- und Nachteilen die das fürsie mitbringt. Wesentliche Kennzahl in unserer Praxis ist auch der Payback. Damit wollen wirsicherstellen, dass nur Anschaffungen getätigt werden, die auch an der Bottom Line Sinn machen.

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• Wir investieren viel Zeit in die Ausbildung. Durch die laufende Aufdatierung unseres Handbucheswird erworbenes Wissen in der Organisation behalten. Bei einem Mitarbeiterwechsel ist dieEinarbeitung eines neuen Mitarbeiters problemlos und schnell möglich.

• Dentaldepots, Technischer Dienst und unser Labor werden für jede Lieferung schriftlich beurteilt.Ungenügende Leistungen führen zu Gesprächen. Wenn diese nicht den vereinbarten Erfolgbringen hat dies Konsequenzen.

• Wir haben uns das Ziel gesetzt, jährlich zwei neue Verfahren bzw. Technologien zum Wohlunserer Patienten einzuführen.

Besonders für qualitativ engagierte und auf ihre Leistungen zu recht stolze Zahnärzte wirkt zunächstdeprimierend, dass ihr Qualitätsstandard von den Kunden als selbstverständlich konsumiert wird. DerKunde/Patient setzt den Standard als selbstverständlich voraus und damit hat er recht. Wenn Sie alsoden Weg in Richtung Business Excellence gehen, müssen Sie damit leben, von Kunden undMitbewerbern noch kritischer beurteilt zu werden als zuvor.

4.5. Prozesse

Im fünften Kriterium ist zu belegen, wie durch das Management des Qualitätssystems und derProzesse Wertschöpfung für den Patienten erreicht wird.

Eine laufende Analyse der Patientenbedürfnisse durch Befragungen und Focusgruppen führt zu einemkritischen Hinterfragen sämtlicher Prozesse. Mit den ISO-Normen werden die Prozesse in unsererOrganisation primär geregelt. Unzählige Checklisten und Selbstkontrollinstrumente helfen uns dabei.Die speziellen Bedürfnisse der Zahnmedizin führten jedoch zu einigen Anpassungen der für dieIndustrie ausgelegten Standards.

Wie managen wir nun die Qualität unserer zahnärztlichen Arbeit?

• Normwerte für Lebensdauern von zahnärztlichen Arbeiten und Erfolgsprognosen aus der Literaturhelfen uns bei der Formulierung von Qualitätszielen. Wir haben unter anderem festgelegt, wiegross die Lebensdauer von den meisten zahnärztlichen Arbeiten sein muss. WerdenLebensdauern nicht erreicht, wird mittels einer Fehler- und Einflussanalyse beurteilt, wieso diestatistische Lebensdauer nicht erreicht wurde. Gründe können nun im Fehlverhalten des Patienten(z.B. mangelnde Hygiene) oder aber auch in zahnärztlichen Fehlern liegen. Alle zwei Monatewerden die statistischen Daten evaluiert und Massnahmen ergriffen (Schulungen,Prozessoptimierungen, neue Benchmarkingprojekte, etc.).

• Qualitätsregeln in Form von klaren Leitplanken (Regeln) stellen stabile Prozesse sicher. DieseRegeln sollen jedoch die Behandlungsfreiheit der Behandler nicht zu sehr einschränken.

• Unser Controlling mit Prozess- und Ergebnisdaten sichert ein ständiges Hinterfragen unseresSystems. So beurteilt unser Zahntechniker z.B. die Arbeitsunterlagen, die er von uns erhält.Gleichzeitig vergleicht er unsere Arbeiten mit denen seiner restlichen Kunden. Damit haben wireinen Benchmark. Dieser ist zwar nicht ideal, weil es nur ein Durchschnittsbenchmark ist, gibt unsjedoch einen Anhaltspunkt, wo wir stehen und wie wir uns verändern.

• Unsere Hygienestandards werden vier mal jährlich durch ein Hygienelabor überprüft. DieseÜberprüfungen finden unangemeldet statt und umfassen die ganze Praxis und sämtlicheMitarbeiter (inkl. Praxisinhaber). Dabei werden Abklatschtests der Hände und auch von kritischenStellen in der Praxis durchgeführt.

• Eine regelmässige (monatliche) Lagebeurteilung deckt Fehler systematisch auf. InterneÜberprüfungen unseres Systems (drei mal jährlich) sichern die Qualität und die Einhaltung desSystems. Selbstbeurteilungen messen unsere Leistungen zwei mal jährlich am Idealmodell derEFQM. Damit wir sicher nicht betriebsblind werden, werden diese regelmässig auch von externenStellen durchgeführt. Diese Auswertung führen sicher auch dazu, dass von meinen Mitarbeiternnicht auf Kosten der Qualität Umsatz "gebolzt" wird.

• Statt jeden Patienten der bei einer Hygienikerin war, zu kontrollieren, erfassen wir die Resultatedes BOP-Wertes (Bleeding on Probing). Die Patienten erhalten diesen Wert in einenZahnfleischpass eingetragen. Uns hilft die Auswertung bei der Analyse der manuellen undmotivierenden Fähigkeiten der Hygienikerinnen. Der Zahnfleischpass wird von unseren Patientengut aufgenommen. In einzelnen Familien gibt es regelrechte Wettbewerbe, wer in der Familie die

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besseren Werte erreicht. Selbstverständlich dürfen die erreichten Werte nicht blind verglichenwerden. Sie bilden Grundlage für die Lagebeurteilung und sollen das Nachdenken anregen. Es istz.B. klar, dass die Patienten der Dentalhygienikerin (DH) in der Regel höhere BOP-Werte haben,als die der Prophylaxeassistentin (PA). Wenn die DH, die Patienten dann so weit hat, dass diesezu PA-Fällen werden, verliert sie die Patienten an die PA. Der Erfahrungsaustausch - und damitder Lerneffekt - zwischen den Hygienikerinnen hat immerhin massiv zugenommen.

4.6. Kriterium 6: Patientenzufriedenheit

Dieses Kriterium ist mit einer Wertung von 20 Prozent das bedeutendste Kriterium des Modells undspiegelt damit auch die Bedeutung für den zahnärztlichen Alltag. Bei uns ist deshalb alles aufPatientenzufriedenheit ausgerichtet. Wir versuchen, das unmögliche für unsere Patienten möglich zumachen und arbeiten deshalb mit unseren Patienten zusammen, um das System zu verbessern. Wirtun dies mit Befragungen, Teilnahme an Audits und Assessments, sowie der Bildung von Focus-Gruppen. Durch die Zusammenarbeit mit dem Departement Wirtschaft der Fachhochschule beiderBasel (FHBB) konnten wir mittels Studentenarbeiten von Betriebswirtschaftsstudenten diePatientenzufriedenheit durch optimale Befragungen erfassen und auch Massnahmen zur Optimierungergreifen.

Einer der wesentlichsten Indikatoren ist die Erfassung der Neuzugänge in unserer Praxis. Dabeiwerden nur die Patienten erfasst, welche neu in unserem Recallsystem aufgenommen werden.Patienten, welche sich selbst melden wollen, erfassen wir nicht. Um zuverlässige Zahlen zu erhaltenmüssen auch die Abgänge erfasst werden. Wir haben deshalb unser System so eingerichtet, dass allePatienten mit dem Aufgebot für ihre Kontrolle einen konkreten Termin erhalten. Patienten, welche nichtmehr zu uns kommen wollen, werden nach dem Grund befragt. Auch diese Daten werden statistischerfasst.

4.7. Kriterium 7: Mitarbeiterzufriedenheit

In diesem Kriterium muss nachgewiesen werden, was die Praxis aus Sicht der Mitarbeiter im Hinblickauf deren Zufriedenheit leistet. Die Mitarbeiterzufriedenheit messen wir mit einer jährlichenausführlichen Mitarbeiterbefragung, mit der Mitarbeiterfluktuation, der Messung von Kranktagen undder Anzahl Verspätungen. Wesentlichster Indikator ist jedoch die Anzahl der akzeptiertenVerbesserungsvorschläge. Unser Jahresziel, die japanische Automobilindustrie als Weltmeister derVerbesserungsvorschläge zu übertrumpfen, haben wir 1998 bereits im September erreicht.

4.8. Kriterium 8: Einfluss auf die Gesellschaft

In diesem Kriterium geht es darum, was die Organisation im Hinblick auf die Erfüllung der Bedürfnisseund Erwartungen der Öffentlichkeit leistet. Dieses Kriterium hat eine wesentliche Bedeutung bezüglichder ethischen und sozialen Aspekte unserer Arbeit.

Wir erfassen für die Messung unserer Leistungen im Bereich Umwelt z.B.:

• Reduktion Stromverbrauch

• Reduktion Amalgamverbrauch

• umweltfreundliche Chemikalien

• fachgerechte Entsorgung aller Substanzen

• Vermeidung von Gesunheits- und Sicherheitsrisiken

• Notfallpläne

Unser soziales Engagement messen wir mit folgenden Indikatoren:

• Erfassung von Spenden und Gratisarbeiten

• Wir leisten Gratis-Sozialarbeit in Heimen. Damit lernen meine Mitarbeiter den Umgang mitpflegebedürftigen Patienten und lernen auch ihre tägliche Arbeit in der Praxis wieder vermehrtschätzen.

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• Engagement zur zahnmedizinischen Versorgung in Heimen. Wir bieten externe Behandlungen inAltersheimen ohne Aufpreis und einen Shuttle-Service für alte Patienten an.

• Ausbildung und Vorträge (an Schulen etc.).

4.9. Kriterium 9: Ergebnisse

In diesem Kriterium geht es darum, was die Praxis im Hinblick auf die geplanten Ziele und dieErfüllung der Bedürfnisse und Erwartungen leistet. Finanzielle Messgrössen sind z.B.: Umsatz,Gewinn, Cash-flow, Gesamtkapitalrendite und Bankrating.

Zusätzliche Messgrössen sind Marktanteile in unserem definierten Markt und die Entwicklung derFehlerkosten (Unkosten durch Fehler in der Praxis, z.B.: falsch verräumte Karten, vergesseneAufgebote, mehrfaches tippen von Briefen bis alle Fehler eliminiert sind, Kunstfehler, etc.).

Selbstverständlich sind auch die Erfolge unserer zahnärztlichen Tätigkeit zu belegen. Beispiele sindz.B.:

• Zufriedenheit der Patienten mit der Kommunikation;

• Unsere Hygienestandards;

• Füllungen die vor Ablauf einer statistisch zu erwartenden Lebensdauer ersetzt werden müssen;

• Erfolgsquoten von Wurzelbehandlungen;

• Komplikationen nach Weisheitszahnoperationen;

• Garantieleistungen;

• Erfolgsquoten beim Setzen von Implantaten, bei Wurzelspitzenresektion, bei der Behandlung vonMAP Patienten, bei Wurzelbehandlungen;

• etc..

Was nicht durch Messungen mit Benchmarks verglichen wird, ist mit klar definierten Prozessengeregelt. Klar kann jetzt jeder kommen und sagen, dass diese Werte zwischen zwei Praxen nichtvergleichbar sind. Vielleicht überweist der eine Kollege alle schwierigen Fälle und hat damit einehöhere Erfolgsquote. Bei einer systematischen Analyse werden verzerrende Faktorenselbstverständlich berücksichtigt. Hier habe ich kein Verständnis für Hinweise, wie z.B. dass diezahnärztliche Tätigkeit so komplex sei, dass ein Benchmarking nicht möglich ist.

5. Vorgehen

Den empfohlenen Unternehmensberater mussten wir nach einem Monat fristlos entlassen. Obwohlnach einer amerikanischen Untersuchung 50 Prozent der Unternehmen scheitern, wenn sie dieZertifizierung ohne Berater probieren haben wir es trotzdem gewagt. Zu diesem Zeitpunkt konnte unsniemand helfen, es war für mich eine neue Herausforderung, der ich mich stellen wollte und es zwangmich auch, mir endlich die fehlenden betriebswirtschaftlichen Kenntnisse anzueignen und auch mitneuen Führungsmodellen zu experimentieren. In diesem Zusammenhang darf sicher auch dieVorbereitung der Medizinstudenten auf ihre Funktion als Unternehmer an unseren Universitätenhinterfragt werden.

Da die meisten Führungskräfte keine Zeit” haben, sich mit den wahren Inhalten der ISO zu befassen,lassen sie das Qualitätsmanagement “machen”. Sie “beauftragen” ein Betriebsmitglied oder “kaufen”sich einen Berater am Markt. Sie merken nicht, dass es Ihre Aufgaben sind, von denen die Rede ist.Sie vergessen: Qualitätsmanagement ist nicht käuflich!

Ideal wäre sicher eine Begleitung, welche die Meilensteine definiert und hilft, wenn man vom geplantenKurs abkommt. Der Hauptteil der Arbeit muss meiner Ansicht nach selbst geleistet werden.

Bei einer Beurteilung der Schwachstellen muss auf die folgenden Punkte eingegangen werden:

• Vakuum bei Top Down-System: Da unser System nach dem Top-Down-Prinzip eingeführt wurde,besteht eine Gefahr, dass der Praxisinhaber mit einer enormen Dynamik vorangeht, und dieMitarbeiter nicht mehr folgen können. Hier gilt es, die Führungsverantwortung wahrzunehmen und

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den Mitarbeitern ab und zu einen Schemel hinzustellen, damit sie die gesetzten Messlattenerreichen können.

• Erhöhte Belastung der Mitarbeiter: Die Belastung hat klar zugenommen. Mit bewusstem Einsatzvon Lob und Kritik werden die Mitarbeiter individuell gefördert. Eine offene Informationspolitik undklare Zielsetzungen, lassen die Mitarbeiter die erhöhte Arbeitsbelastung in einem erweitertenZusammenhang erkennen. Die folgende Grafik zeigt, wie im Durchschnitt Mitarbeiter gegenübereiner strategischen Veränderung eingestellt sind.

Mitarbeiter und Wandel

10%

20%

45%

25%

Be g e is terung

Em otions los

M itm ache n w ohl ode r ü b e l

Boyk o tt

• Mögliche Betriebsblindheit: Es besteht eine Gefahr, dass man beim Aufbau eines derartkomplexen Systems plötzlich vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr sieht. Wir beugen demdurch eine regelmässige Überprüfung durch Externe vor.

• Wenig Benchmarking Werte: Dies ist ein grosses Problem. Wir Investieren enorm viel, um zuBenchmarks zu kommen. Die Suche beschränkt sich nicht auf die Schweiz, sie wird weltweitdurchgeführt. Bisher haben wir noch keine zahnärztliche Organisation gefunden, welche einSystem auf unserem Niveau hat. Wir müssen deshalb auf Benchmarks aus der Literaturausweichen. Diese haben den Nachteil, dass es in der Regel nicht Benchmarks der„Klassenbesten“ sind, sondern „nur“ Durchschnittswerte.

6. Zusammenfassung

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Heute besteht unser Team aus:

• 3 Zahnärzten

• 1 Dentalhygienikerin

• 3 Prophylaxeassistentinnen

• 6 Dentalassistentinnen.

Wir beschäftigen uns zur Zeit intensiv mit dem Weiterausbau unserer Praxis. Am 27. September 2000wurden wir am FORUM 2000 der EFQM als Preisträger ausgezeichnet.

Ein System zu haben bedeutet nicht, dass die Miss-World bei der Behandlung assistiert, dass Inlay-Sanierungen gratis sind oder auf der Toilette vergoldete Armaturen vorhanden sind. Es bedeutet auchnicht, dass keine Fehler mehr passieren. Es bedeutet „nur“, dass die ganze Organisation mit stabilenProzessen - auch bei Abwesenheit des Praxisinhabers - bessere Arbeit leistet und damit wenigerFehlerkosten produziert werden.

Wie könnte nun ein mögliches Vorgehen zum Aufbau eines TQM-Systemes aussehen?

1. Zuerst gilt es klar zu analysieren was man will und wieso man es will! Wer nicht weiss, was er will,darf sich nicht wundern, wenn er am falschen Ort ankommt! Mission, Vision und Strategie müssenschriftlich festgelegt werden, bevor allenfalls mit einem Berater Kontakt aufgenommen wird!

2. Die Befundaufnahme kann nun (muss aber nicht!) mit einem Berater stattfinden. Schnell stellt sichnun die Frage, wie man die Kosten im Griff behalten kann. Eine Abschätzung des Aufwandes fürden Aufbau eines Qualitätsmanagementsystemes ist schwierig. Um wenigstens die externenKosten im Griff zu haben, kann der Vertrag mit dem Berater auf einer Zeitaufwandbasisabgeschlossen werden. Eine klare Definition des Vorgehens mit Zwischenzielen und ein präzisesProjektcontrolling sind wesentlich, um die Kosten immer im Griff zu behalten. Je nach Situationmuss dann beschlossen werden, dass der interne Arbeitsanteil (der selbst zu bewältigen ist)vergrössert oder verkleinert wird. Ich empfehle beim Systemaufbau bereits die Struktur nach demEFQM-Modell zu wählen. Dies bedeutet nicht, dass alle neun Kriterien zu beschreiben und zuregeln sind! Spätere Erweiterungen sind später einfach möglich!

3. Dann können die in der Praxis vorhandenen Dokumente und Weisungen gesammelt und weiterebenötigte Prozesse beschrieben werden.

4. In einem nächsten Schritt wird definiert, was noch fehlt, um die Norm zu erfüllen. Mit diesenErgänzungen wird ein erstes Handbuch erstellt.

5. Wenn mit diesem etwa zwei Monate gearbeitet worden ist, kann durch einen Berater oder denspäteren Zertifizierer ein sogenanntes Voraudit durchgeführt werden.

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6. Mit den Lehren aus dem Voraudit wird eine zweite, verbesserte Version des Handbuches erstellt.Ist die Arbeit mit diesem allen Mitarbeitern klar, kann man die Zertifizierung wagen.

Eins ist sicher: Geschützte Märkte werden verschwinden. Die Wirtschaft funktioniert nach den gleichenGesetzmässigkeiten wie die Natur. Wer sich Entwicklungen entgegenstellt, oder krampfhaft versucht,zu Ende gehende Zyklen künstlich zu verlängern, verliert Zeit und verpasst Trends. Das Denken musssich heute an den Bedürfnissen der Zukunft orientieren, denn der Druck wird zunehmen. Schon derdeutsche Philosoph Hauschka hat erkannt: „Wer immer versucht sich der Zeit anzupassen, dem wirddie Zeit dauernd vorauseilen und er wird sie niemals einholen“.

Wir leben heute in einer herausfordernden Zeit. Das gute daran ist, dass wir in zehn Jahren von derheutigen Zeit sagen werden, es sei die gute alte Zeit gewesen. Folgende Personenkreise dürften einInteresse an einem Qualitätsmanagement in einer Zahnarztpraxis haben:

• Patienten: Die Patienten können tendenziell eine bessere zahnärztliche Arbeit mit einemgeringeren Fehlerrisiko erwarten, da die einzelnen Prozesse in der Praxis systematisch undkontinuierlich optimiert werden. Ein Dienstleistungspaket, welches über zahnärztliche Versorgunghinaus geht, wird den Aufenthalt in der Zahnarztpraxis zwar nicht gerade wünschenswert machen,aber immerhin angenehmer gestalten. Bessere und verständlichere Information überBehandlungsmöglichkeiten, integriert den Patienten aktiv in den Entscheidungsprozess über dieArt und die Kosten seiner zahnärztlichen Behandlung.

• Mitarbeiter: Die Mitarbeiter wünschen sich eine konsequente Zielausrichtung der Praxis. Durchein funktionierendes QM-System ist diese gegeben. Verbesserte Gruppenbeziehungen,standardisierte Schulungsinstrumente und anwenderfreundliche Pflichtenhefte, Leitfäden undHandbücher, erleichtern dem ganzen Praxisteam die tägliche Arbeit. Dazu kommt noch, dass eineerfolgreiche und wachsende Praxis sicherere Arbeitsplätze bietet.

• Praxisinhaber: Höhere Produktivität, Reduktion von Nachbehandlungen, Kontrollen undFehlerkosten sowie mehr Sicherheit im Haftpflichtfall sind für den Praxisinhaber von grossemInteresse. Das System führt zu einer Prägung der Unternehmenskultur, welche auch beiAbwesenheit des Praxisinhabers anhält. Der Erfolg durch zufriedenere Patienten ist etwas, das –wie es das Wort Erfolg bereits sagt – daraus folgt.

Daneben haben selbstverständlich auch Gesundheitspolitiker, Versicherungen (z.B. als Kostenträgervon Leistungen im Unfall- und Krankenversicherungsbereich) und Patientenorganisationen einInteresse an funktionierenden QM-Systemen in der Zahnarztpraxis.

Ich habe in vielen Vorträgen und Schulungen immer wieder die Erfahrung gemacht, dass es amSchluss doch einige gibt, die mit skeptischen Gesichtern dasitzen. Es wird einigen von Ihnen vielleichtnicht anders gehen. Sie zweifeln daran, ob sich diese Denkensart, von welcher die Ausführungen, dieIdeen geprägt sind, wirklich umsetzen lässt. Ich trage dem Rechnung und erlaube mir noch einigeallgemeine Bemerkungen.

Es gibt zwei Unternehmertypen. Den einen nenne ich Yes-butter und den anderen Why-notter. EinYes-butter ist nicht in der Lage, dieses Konzept umzusetzen, weil er sich zuviel überlegt, was allesnicht gehen könnte und was alles nicht erlaubt sein könnte. Nur der Why-notter wird es schaffen – ersagt sich einfach: Let‘s do it!

Wenn Sie öfter zu sich selber sagen, dass Sie etwas nicht können, dann heisst das nichts anderes, alsdass Sie im Kopf eine Einzimmerwohnung haben, die tapeziert ist mit der traurigen Tapete derErfahrung. Realisieren Sie, dass Sie sich damit selber Grenzen setzen. Ich lebe damit, dass es fürneue Denkansätze immer wieder heftige Kritik gibt. Hinter allen erfolgreichen Firmen muss einUnternehmer stehen, ein Pionier notabene, der Visionen hat, andere dafür begeistern kann, und bereitist, für die Realisierung zu kämpfen.

Von vielen Kollegen höre ich es immer wieder: AGABU: Das Zauberwort AGABU ist nicht japanisch,sondern die Abkürzung für ”Alles ganz anders bei uns”. Dabei haben sie es noch nie probiert. Odernach einem halbherzigen – und damit zum Scheitern verurteilten – Versuch schnell wiederaufgegeben. Meistens ist man dann erleichtert, dass die eigenen Vorurteile stimmen, man sich passivin der Opferrolle zurücklehnen kann und keinen Veränderungsaufwand betreiben muss. EinSchliessen der Augen bedeutet nicht, dass Veränderungen spurlos an unserem Berufsstand vorübergehen!

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Eines ist sicher, wir kennen unsere Zukunft nicht. Es gibt Trends, die wir extrapolieren können. Wirkönnen jedoch unseren Stand nicht ausschliessen und am Tag X sagen, jetzt machen wir es so undso. Kundenerwartungen ändern sich, es entstehen neue Kunden. Für diese gibt es kein Patentrezeptsondern nur eine auf alles vorbereitete flexible Organisation.

Literatur

• Brauer, Kühme: DIN EN ISO 9000 – 9004 umsetzen, Carl Hanser, München, Wien, 1996;

• Brown: Kennzahlen, Carl Hanser, München, Wien 1997;

• Friedag, Schmidt: Balanced Scorecard, Haufe Freiburg 1999;

• Hummel: Total Quality Management, Carl Hanser, München, Wien, 1996;

• Jaster: Qualitätssicherung im Gesundheitswesen, Thieme, Stuttgart, 1996;

• Kobjoll: Motivaction,Orell Füssli, Zürich, 1993;

• Krug, Thun: Der neue Weg zu Business Excellence, Thun Consult Vertriebs-GmbH, Frankfurt1999;

• Leebov, Scott, Olson: Achieving Impressive Customer Service, American Hospital Publishing,Chicago 1998;

• O’Malley: Ultimate Patient Satisfaction, McGraw-Hill, New York 1997;

• Patterson: ISO 9001, Ueberreuter Verlag, Wien, 1995;

• Pinter, Swart, Vitt: Praxis umfassendes Qualitätsmanagement, pmi Verlagsgruppe GmbHFrankfurt 1998;

• Walther, Heners: Qualitätssicherung in der Zahnheilkunde, Hüthig, Heidelberg, 1995;

• Zink: TQM als integratives Managementkonzept, Carl Hanser, München, Wien, 1995;

• Zimmerman, Lund: The Healthcare Customer Service Revolution, Irwin, Chicago 1996

• Zeitschriften ausserhalb der zahnärztlichen Fachliteratur: Qualität, Motivation, Harvard BusinessManager, Acquisa, IO Management, Bilanz, Manager Magazin, Dental Practice and Finance,Qualitätsmanagement in Klinik und Praxis, Boom.