Triangulation in der empirischen Sozialforschung am ... · den Methode auch die Integration...

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Das Verhältnis von qualitativen und quan- titativen Methoden ist im deutschsprachi- gen Raum vor allem dadurch gekenn- zeichnet, dass die beiden methodischen Strömungen lange Zeit mehr oder minder strikt getrennt nebeneinander existierten. Statt gegenseitiger Akzeptanz standen vielmehr die Diskussion über ,Für und Wi- der’ der methodischen Paradigmen und die deutliche Abgrenzung voneinander im Vordergrund. Als Grund für die Unver- einbarkeit werden häufig die unterschied- 96 T. Bernasconi Triangulation in der empirischen Sozialforschung am Beispiel einer Studie zu Auswirkungen und Voraussetzungen des barrierefreien Internets für Menschen mit geistiger Behinderung Tobias Bernasconi Köln Im folgenden Beitrag wird das Konzept der Triangulation als Forschungsstrategie in der em- pirischen Sozialforschung vorgestellt. Zunächst erfolgt die Beschreibung der Entwicklung und Inhalte des Konzepts sowie Kritikpunkte und entstehende Vor- bzw. Nachteile für die Forschungspraxis. Zur Verdeutlichung wird anschließend die Anwendung einer Methoden- Triangulation im Rahmen der sonderpädagogischen Forschung exemplarisch beschrieben. Durch die Darstellung des methodischen Designs einer durchgeführten Studie zu Auswir- kungen und Voraussetzungen des barrierefreien Internets für Menschen mit geistiger Behin- derung werden Besonderheiten, Wirkungsweise und Effizienz der Methoden-Triangulation für die sonderpädagogische Forschung aufgezeigt. Schlüsselwörter: Triangulation, Methoden-Triangulation, Barrierefreies Internet, Menschen mit geistiger Behinderung Triangulation in empirical social research using the example of a study about the effects of barrier-free internet on people with intellectual disabilities The article describes the concept of triangulation as a strategy of empirical social research. First there is a description of the development and the content of the concept, followed by critics and emerging advantages and disadvantages for practical research. Afterwards the application of a methodical triangulation is exemplified by an already accom- plished study. Special features, effectiveness and efficiency of the methodical triangulation are described by the representation of a study which deals with effects and preconditions of accessible web content for people with cognitive disabilities. Key words: triangulation, methodical triangulation, people with cognitive disabilities, acces- sibility

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Das Verhältnis von qualitativen und quan-titativen Methoden ist im deutschsprachi-gen Raum vor allem dadurch gekenn-zeichnet, dass die beiden methodischenStrömungen lange Zeit mehr oder minderstrikt getrennt nebeneinander existierten.

Statt gegenseitiger Akzeptanz standenvielmehr die Diskussion über ,Für und Wi-der’ der methodischen Paradigmen unddie deutliche Abgrenzung voneinanderim Vordergrund. Als Grund für die Unver-einbarkeit werden häufig die unterschied-

96 T. Bernasconi

Triangulation in der empirischen Sozialforschungam Beispiel einer Studie zu Auswirkungen und Voraussetzungen des barrierefreien Internets für Menschen mit geistiger BehinderungTobias Bernasconi

Köln

Im folgenden Beitrag wird das Konzept der Triangulation als Forschungsstrategie in der em-pirischen Sozialforschung vorgestellt. Zunächst erfolgt die Beschreibung der Entwicklungund Inhalte des Konzepts sowie Kritikpunkte und entstehende Vor- bzw. Nachteile für dieForschungspraxis. Zur Verdeutlichung wird anschließend die Anwendung einer Methoden-Triangulation im Rahmen der sonderpädagogischen Forschung exemplarisch beschrieben.Durch die Darstellung des methodischen Designs einer durchgeführten Studie zu Auswir-kungen und Voraussetzungen des barrierefreien Internets für Menschen mit geistiger Behin-derung werden Besonderheiten, Wirkungsweise und Effizienz der Methoden-Triangulationfür die sonderpädagogische Forschung aufgezeigt.

Schlüsselwörter: Triangulation, Methoden-Triangulation, Barrierefreies Internet, Menschenmit geistiger Behinderung

Triangulation in empirical social research using the example of a study about the effectsof barrier-free internet on people with intellectual disabilities

The article describes the concept of triangulation as a strategy of empirical social research.First there is a description of the development and the content of the concept, followed bycritics and emerging advantages and disadvantages for practical research.Afterwards the application of a methodical triangulation is exemplified by an already accom-plished study. Special features, effectiveness and efficiency of the methodical triangulationare described by the representation of a study which deals with effects and preconditions ofaccessible web content for people with cognitive disabilities.

Key words: triangulation, methodical triangulation, people with cognitive disabilities, acces-sibility

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lichen philosophischen Wurzeln herange-zogen. „Quantitative Studien unterschei-den sich von qualitativen in erster Liniedurch die wissenschaftstheoretischeGrundposition, den Status von Hypothe-sen und Theorien sowie das Methoden-verständnis“ (Atteslander, 1995, S. 90).Auch Witt (2001) betont, dass sich diebeiden großen Forschungsrichtungennicht nur in der Art der Methoden zur Da-tengewinnung, sondern auch in einemgrundsätzlicheren Aspekt der Forschungs-durchführung unterscheiden. Grundlageder quantitativen Sozialforschung ist der‚Kritische Rationalismus’ Poppers, ausdem das Gebot der Werturteilsfreiheitwissenschaftlicher Aussagen, die klare Se-paration von Entdeckungs- und Begrün-dungszusammenhang sowie die Theorie-prüfung folgen (vgl. Atteslander, 1995).Wichtigstes Merkmal für die Qualitätquantitativer Untersuchungen ist dabeidie „hochstrukturierte theoriegeleiteteund kontrollierte Wahrnehmung, Auf-zeichnung und Auswertung“ (Atteslander,1995, S. 91).

Die qualitative Forschung stellt demein Forschungsverständnis gegenüber,welches sich auf das interpretative Para-digma nach Wilson, die Hermeneutik unddie Phänomenologie beruft (vgl. dazu bei-spielsweise Flick, v. Kardoff & Steinke,2003, S. 105-250; Bohnsack, Marotzki &Meuser, 2003). Als besondere Kennzei-chen der qualitativen Forschung könnendie „Gegenstandsangemessenheit vonMethoden und Theorien, die Berücksich-tigung und Analyse unterschiedlicher Per-spektiven sowie die Reflexion des For-schers über die Forschung“ (Flick, 2007,S. 26) formuliert werden. Ohne explizit indie Grundlagen beider Strömungen empi-rischer Sozialforschung einzusteigen,kann allgemein gesagt werden, dass For-schung nach dem quantitativen Paradig-

ma auf repräsentative Ergebnisse der so-zialen Realität setzt, welche sich mathe-matisieren lassen und eine Reproduzier-barkeit garantieren. Das qualitative Para-digma hingegen ist eher ‚tief’ angelegt,um den Gegenstand und so die sozialeRealität in allen Ausprägungen und Be-sonderheiten zu verstehen. Der Begriff,Paradigma’ suggeriert dabei, dass es sichbei den beiden Forschungsrichtungen um„grundlegend inkompatible Denkweisenhandelt“ (Kelle & Erzberger, 2003, S. 299).Häufig besteht die geäußerte wechselsei-tige Kritik der Forschungsmethoden zu-dem aus Überpointierungen und über-sieht dabei die durchaus positiven Seitender jeweils anderen Forschungsrichtung.

In jüngerer Vergangenheit mehrensich allerdings Versuche, diese strikteTrennung zu überwinden und bei der Su-che nach der zur Forschungsfrage passen-den Methode auch die Integration unter-schiedlicher Methoden in Kauf zu neh-men bzw. bewusst einzusetzen. Dabeiwird die Frage gestellt, bei welchen For-schungsvorhaben sich qualitative Verfah-ren anbieten und wann quantitative Me-thoden sinnvoll sein können (vgl. Flick, v.Kardoff & Steinke, 2003). Von quantitati-ver Seite wird hier vor allem das soge-nannte Phasenmodell genannt, welchesqualitative Vorstudien zur explorativenUntersuchung eines unbekannten For-schungsgegenstandes anführt. Eine an-schließende quantitative Hauptstudie ver-folgt dann den Zweck, die Ergebnisse zuverifizieren. Qualitative Ansätze verwei-sen hingegen eher auf eine gleichberech-tigte Integration unterschiedlicher Metho-den. Mayring (2001) betont, dass es inder Praxis empirischer Sozialforschungzudem schwerfällt, die unterschiedlichenMethoden trennscharf und exakt vonei-nander abzugrenzen. An diese Erkenntnisschließt sich die Forderung an, „dem Ge-

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genstand und der Fragestellung ein Primatgegenüber der Methode zuzubilligen“(Mayring, 2001). Das sich in einigen Be-reichen der empirischen Sozialforschungentwickelte methodische ,Schulenden-ken’ und die damit verbundene Festle-gung auf eine bestimmte Methode odermethodische Disziplin bei der Bearbei-tung einer Fragestellung birgt unter Um-ständen die Gefahr, einen zu bearbeiten-den Forschungsgegenstand nicht adäquatzu erfassen. Dies zeigt ein generelles Pro-blem empirischer Untersuchungen, wel-ches im begründeten Beantworten derFrage liegt, wie das eigene Forschungsin-teresse sinnvoll operationalisiert werdenkann (vgl. Jakob, 2001). Im Regelfall solltedabei nicht die Methode die Problemstel-lung bestimmen, sondern über die Analy-se des Problems die Auswahl der Metho-den vorgenommen werden (vgl. Diek-mann, 2002). Jedes spezifische For-schungsvorhaben erfordert sozusagen ei-nen „maßgeschneiderten“ (Kromrey,2002, S. 82) Forschungsplan. Dieser An-spruch und dieses Vorgehen sollten auchfür die sonderpädagogische Forschunggelten. Eine derartige Annäherung an eineProblemstellung verdeutlicht, dass im me-thodischen Design einer Studie verschie-dene methodische Verfahren und Techni-ken in einer Art und Weise miteinanderkombiniert werden können, wie es letzt-endlich der empirische Untersuchungsge-genstand und die spezifische Fragestel-lung inhärent vorgeben (vgl. Kromrey,2002).

Wird die verwendete Methode beider Untersuchung einer Fragestellung nurmit dem Hinweis auf die Zugehörigkeitdes Forschers zu einem methodischen Pa-radigma begründet, besteht immer dieGefahr, dass die Studie so unter dem prä-genden Einfluss dieses Instrumentes undder damit einhergehenden möglichen „in-

strumentspezifischen Verzerrungen“(Kromrey, 2002, S. 524) steht. Entspre-chend sollte bei der Bearbeitung einerFragestellung zuerst geklärt werden, wasuntersucht werden soll, um darauf aufbau-end die ‚passenden’ Forschungsmetho-den auszuwählen. Auch in aktueller Lite-ratur scheint sich immer mehr die Erkennt-nis durchzusetzen, dass bessere For-schungsergebnisse nicht durch das Behar-ren auf einer methodischen Position oderdas überkorrekte Ausführen einer speziel-len Methode erzielt werden, sondern em-pirische Forschung in erster Linie gegen-standsadäquat sein sollte (vgl. Kelle & Erz-berger, 2003; Treumann, 1998). Hinterdiesem Gedanken steht die Erkenntnis,„dass qualitative und quantitative Metho-den eher komplementär denn als rivalisie-rende Lager gesehen werden sollten“(Jick, 1983, S. 135 zit. nach Flick, 2007, S.44). Auch für die sonderpädagogischeForschung liegt dabei der Vorteil in derVerbindung unterschiedlicher Perspekti-ven mit dem Ziel, durch eine wechselsei-tige Ergänzung die verschiedenen Aspek-te eines Forschungsgegenstandes zu bear-beiten. Im besten Fall werden dabei die je-weiligen Schwächen und blinden Fleckeder einzelnen Methoden gegensätzlichkompensiert bzw. ergänzt’ (vgl. Flick,2007).

Das Konzept der TriangulationDie bewusste Kombination unterschiedli-cher Methoden bei der Bearbeitung undUntersuchung eines Phänomens mit demZiel, „breitere, vielfältigere und tiefere Er-kenntnisse über die sozialen Phänomene“(Treumann, 1998, S. 162) zu erhalten,wird als Triangulation bezeichnet. Als For-schungsstrategie findet sich Triangulation

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heute sowohl in der quantitativen als auchin der qualitativen Forschung. Zusätzlichbietet das Konzept die Möglichkeit, dieGrenzen der methodischen Forschungsla-ger zu überschreiten.

Der Begriff, der ursprünglich in derLandvermessung die Bestimmung einesOrtes von mindestens zwei Punkten ausbezeichnet, wird erstmals 1970 im Rah-men der empirischen Sozialforschung ver-wendet. Mit der Übernahme des Begriffessoll die Idee zum Ausdruck kommen, dassqualitative und quantitative Verfahrenzwar unterschiedlich, aber gleichwertigsind. Denzin (1978, S. 304) formuliert alsTriangulation den „komplexen Prozessdes Gegeneinander-Ausspielens von Me-thoden, um die Validität von Feldkontak-ten zu erhöhen“.

Zum Zeitpunkt der ersten Veröffentli-chung war das Ziel des Konzepts, durchden Einsatz unterschiedlicher Messwerk-zeuge die interne Validität empirischerStudien zu erhöhen, was schnell zu Kritikführte. Diese merkte vor allem die Ver-nachlässigung der Tatsache an, dass jedeMethode den Gegenstand, der durch siebearbeitet wird, auf spezifische Weisekonstituiert. Der Gegenstand nimmt dem-nach je nach eingesetzter Methode unter-schiedliche Gestalt an, „was darauf hin-deutet, dass eine durchgängige Gegen-standskonstruktion durch die jeweiligeSpezifik der Methode entsteht“ (Helsper,Herwartz-Emden & Terhart, 2001, S. 257).

Triangulation als ForschungsstrategieAufgrund der Kritik und einer daran an-schließenden Überarbeitung verschobensich die Schwerpunkte des Triangulations-konzeptes. So werden heute mit Triangu-lation nicht länger die vollständige Er-

schließung eines Forschungsgegenstan-des und die Verabsolutierung der internenValidität angestrebt und gefordert, son-dern versucht, Erkenntnisse zu gewinnen,die sich durch eine größere Nähe und An-gepasstheit im Bezug auf die Forschungs-frage auszeichnen. Auch Denzin und Lin-coln (2000) sehen Triangulation heute we-niger als ein Konzept, welches der Validi-tät und Objektivität in der Interpretationdient, sondern als Strategie, die zu einemtieferen Verständnis des Forschungsge-genstandes führt. Flick (2007) bezeichnetTriangulation als eine Strategie, Erkennt-nisse durch die Gewinnung weiterer Er-kenntnisse zu begründen und abzusi-chern. Dies bezieht sich jedoch nicht nurauf die Bestätigung bereits vermuteter Er-kenntnisse, sondern kann auch zu gänz-lich neuen Ergebnissen führen. Lamnek(1993) gibt den Hinweis, dass durch einebewusst geplante und durchgeführte Me-thodenintegration mitunter Ergebnisse er-zielt werden, die der sozialen Realitätdeutlicher entsprechen. Zusätzlich entste-hen in der Kombination unterschiedlicherMethoden letztendlich für beide For-schungsrichtungen Vorteile. So kann diequalitative Forschung an methodischerStringenz gewinnen und verallgemeiner-bare Ergebnisse erzeugen, die quantitati-ve Forschung erhält durch die Kopplungmit qualitativen Anteilen mitunter die viel-fach geforderte Alltagsnähe und Offen-heit für den Forschungsgegenstand (vgl.Mayring, 2001).

Bei der Kombination unterschiedlicherMethoden kann jedoch nicht auf eine Artalgorithmischen Weg zurückgegriffenwerden, sondern die Auswahl erfolgt übereine „substanzwissenschaftliche Einbet-tung“ (Treumann, 1998, S. 166). Das be-deutet, dass die konkrete Fragestellungund der zu untersuchende Forschungsge-genstand theoriegeleitet die Methoden-

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wahl steuern und nicht eine festgelegteRegel zur Methodenkombination (vgl.Kern & Schmidt, 2001). Anders gesagt be-stimmen der Untersuchungsgegenstandund die verwendeten theoretischen Kon-zepte im aufeinander bezogenen Wech-selspiel letztendlich das Verhältnis derMethoden zueinander (vgl. Kelle & Erz-berger, 2003). Flick (2007) betont, dassdie verschiedenen Methoden nebenei-nander stehen bleiben und als Schnitt-punkt lediglich der Forschungsgegen-stand fungiert. Daraus ergibt sich, dassnicht die Reihenfolge der eingesetztenMethoden relevant ist, sondern derengleichberechtigter Einsatz im Zuge einesForschungsprojektes.

Bei einer mittels Methoden-Triangula-tion durchgeführten Untersuchung kannes mitunter auch zu Problemen kommen,die aufgrund der Methodenkombinationentstehen. Beispielsweise kann die Belas-tung für Untersuchungsteilnehmer starkansteigen, wenn mit diesen verschiedeneFormen von Interviews durchgeführt wer-den. Außerdem kann sich aus der Reihen-folge der eingesetzten Methoden eine Be-einflussung und Veränderung des For-schungsgegenstandes ergeben, sodassdie zweite eingesetzte Methode u.U. ei-nen bereits beeinflussten oder veränder-ten Forschungsgegenstand untersucht.Manche Autoren sehen Triangulation des-halb nur innerhalb eines Forschungspara-digmas als zulässig an, da durch die Un-terschiedlichkeit der Grundlagen der For-schungsrichtungen eine problemloseKombination ausgeschlossen würde. Ge-nerell gilt es zu bedenken, dass Untersu-chungen durch Triangulation nichtzwangsläufig die besseren, alltagsnäherenoder ‚richtigeren’ Ergebnisse hervorbrin-gen. Bei Forschungsfragen, bei denen sicheine spezifische Methode nicht bereitsdurch die Ausgestaltung der Frage förm-

lich ‚aufdrängt’, kann sich die Prüfung aufeine mögliche Triangulation hin jedoch alslohnenswert herausstellen.

Anwendung einer Methoden-Triangulation innerhalb der sonderpädagogischen Forschung

In einer von Bernasconi (2007) durchge-führten Studie wurden Auswirkungen undVoraussetzungen des barrierefreien Inter-nets für Menschen mit geistiger Behinde-rung untersucht. Ausgangspunkt der Un-tersuchung stellt dabei die als Anlage zumGesetz zur Gleichstellung behinderterMenschen (Bundesgleichstellungsgesetz– BGG) erlassene ,Barrierefreie Informati-onstechnik Verordnung’ (BITV) dar. DieBITV basiert auf den ,Web Content Ac-cessibility Guidelines’ (WCAG 1.0), wel-che als internationale Richtlinie Hinweisefür das Erstellen von barrierefreien Inter-netseiten gibt. Die WCAG 1.0 sind vomW3-Kosortium, dem höchsten Gremiumfür neue Entwicklungen und Standardisie-rungen im Internet, 1999 erstellt und ver-öffentlicht worden. Die BITV richtet sichebenso wie die WCAG 1.0 in erster Liniean Entwickler und Gestalter von Internet-seiten. Bezüglich des Geltungsbereicheswird auf das Gleichstellungsgesetz ver-wiesen, welches als Zielgruppe Men-schen mit Behinderung angibt und somitkeinerlei Einschränkungen hinsichtlich ei-ner bestimmten Behinderungsform oder -ausprägung macht (vgl. BGBl, 2002).Durch die BITV soll demnach die Erstel-lung von Internetseiten unterstützt wer-den, welche barrierefrei und somit zu-gänglich für alle Menschen mit Behinde-rung sind. Barrierefreiheit herrscht laut derDefinition des Gleichstellungsgesetzes

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dann, wenn Menschen mit BehinderungInternetseiten „in der allgemein üblichenWeise, ohne besondere Erschwernis undgrundsätzlich ohne fremde Hilfe“ (BGBl,2002, 1468) nutzen können. Hinsichtlichder Voraussetzungen und möglichenSchwierigkeiten speziell von Menschenmit geistiger Behinderung im Bezug aufdie Internetnutzung existiert allerdingskeinerlei empirische und nur äußerst spär-liche theoretische Forschung. Daraus ent-steht die Situation, dass die BITV barriere-freie Internetseiten für Menschen mit geis-tiger Behinderung ermöglichen soll, dieWirkung der Verordnung jedoch in keinerWeise für diese Personengruppe über-prüft worden ist. Der Mangel an empiri-schen Studien und daraus hervorgehen-den und für die Praxis weiterverwertbarenErgebnissen wird auch in den wenigenVeröffentlichungen zum Thema betont(vgl. Nielsen, 2000; Bohman, 2004; See-man, 2002). Im Rahmen der sonderpäda-gogischen Forschung ist das Thema ‚Bar-rierefreies Internet für Menschen mit geis-tiger Behinderung’ bisher in keiner Weisehinreichend diskutiert worden. Neben derÜberprüfung der BITV rückt aus diesemGrund ein zweites Untersuchungsziel inden Fokus: das Ermöglichen neuer Er-kenntnisse über den Forschungsgegen-stand und die Absicherung bzw. Falsifizie-rung von bisher lediglich theoretisch for-mulierten Annahmen.

Um existierende Richtlinien im Be-reich der Internetseitengestaltung zuüberprüfen, bieten sich Nutzertests an,die im Bereich der Web-Usability-For-schung gängiger Standard sind. Dabei un-tersuchen nicht an der Entwicklung betei-ligte Nutzer ein Seitenprojekt mit demZiel, die Gebrauchstauglichkeit zu bewer-ten bzw. mögliche Hindernisse aufzude-cken (vgl. Schweibenz & Thissen, 2003).Bei Einsatz der Methode des ,szenarioba-

sierten Testens’ werden die Untersu-chungsteilnehmer konkret zum Vollzugvon zuvor definierten Prozessen moti-viert, z.B. sollen sie eine bestimme Infor-mation auf einer Seite suchen oder einFormular ausfüllen und abschicken. Sokann gewährleistet werden, dass alle zuüberprüfenden Aspekte abgedeckt sindund Aussagen darüber getroffen werdenkönnen, inwieweit eine Internetseite inder Praxis zugänglich ist (vgl. Bundesan-stalt für Sicherheit in der Informations-technik, 2006). Die Besonderheit liegt da-bei darin, dass „Rückmeldungen und Ein-schätzungen direkt von tatsächlichen Be-nutzern eingeholt“ (Schweibenz & This-sen, 2003, S. 118) werden. Hellbusch undBühler (2005) betonen, dass Nutzertestsdie Möglichkeit bieten, Probleme in Richt-linien und Abweichungen der Praxis vonder Theorie zu verdeutlichen.

Zur Prüfung der BITV und der darinenthaltenen Richtlinien zur Gestaltungvon Webinhalten bietet sich für die Unter-suchung ein Nutzertest mit Menschen mitgeistiger Behinderung an. Dadurchkommt jedoch als weiterer das methodi-sche Design beeinflussender Faktor dieZielgruppe der Studie hinzu. Für dieDurchführung von Interviews oder Testsmit Menschen mit geistiger Behinderunggibt vor allem Hagen (2002) Hinweise.Sie empfiehlt eine Interview-Methodik,welche dem Erzählenden größtmöglicheOffenheit für die eigene Sicht der Dingegibt, gleichzeitig aber so strukturiert ist,dass alle für den Forscher relevanten Fra-gen oder Problemfelder angesprochenwerden (vgl. ebd.). Die Erkenntnisse hin-sichtlich der Durchführung von Interviewslassen sich auch auf eine Testsituationübertragen. So ist die Offenheit der Situa-tion von entscheidender Bedeutung, inder der Befragte, bzw. die am Test teilneh-mende Person, frei antworten kann. Auch

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der Ort der Interview- bzw. Testdurchfüh-rung sollte mit Bedacht gewählt werden,sodass nicht durch die RäumlichkeitenUnsicherheiten bei den Teilnehmern undsomit fehlerhafte Ergebnisse entstehen.An dieser Stelle wird deutlich, dass dieDurchführung eines Internetseitentests ineinem Usabilitylabor für Menschen mitgeistiger Behinderung als ungeeignet be-wertet werden kann. Vielmehr muss dieUntersuchung in das alltägliche Umfeldder Teilnehmer verlagert und an Zielgrup-pe und Forschungsfrage angepasst wer-den.

Zur Überprüfung der in der BITV fest-gelegten Gestaltungshinweise hinsichtlichihrer Wirksamkeit für Menschen mit geis-tiger Behinderung wurden folgende For-schungshypothesen aufgestellt:

– Die BITV ermöglicht grundsätzlich einebarrierefreie und für Menschen mit geis-tiger Behinderung zugängliche Gestal-tung von Internetseiten.

– Die Zugänglichkeit wird durch spezielleHilfen, die auf mögliche Probleme vonMenschen mit geistiger Behinderungeingehen, maßgeblich gesteigert bzw.erst ermöglicht.

Die operationalen Hypothesen dazu lau-ten:– Testaufgaben können auf speziell für

die Zielgruppe gestalteten Seiten häufi-ger positiv abgeschlossen werden

– Es besteht ein Zusammenhang zwi-schen positiv abgeschlossenen Aufga-ben und der Benutzung der Hilfen

Zur Überprüfung wurde ein Internet-seitentest (Untersuchungs- und Kontroll-gruppe) durch eigens erstellte Testseitenrealisiert. Die Testseiten sind vom Inhaltexakt übereinstimmend aufgebaut, unter-scheiden sich jedoch in der Gestaltung

hinsichtlich des Merkmals ,mit Hilfsange-boten/barrierefrei’ (Untersuchungsgrup-pe) und ,ohne Hilfsangebote’ (Kontroll-gruppe). Die Seite für die Untersuchungs-gruppe ist dazu mit speziellen Hilfsange-boten (die sich aus der BITV ableiten las-sen) ausgestattet und in einem auf eventu-elle Schwierigkeiten von Menschen mitgeistiger Behinderung eingehenden De-sign gestaltet. Die möglichen Schwierig-keiten bei der Benutzung und darauf ab-zielende Lösungsvorschläge konnten ausder bestehenden Literatur zum Thema ge-wonnen werden. Neben den eingebunde-nen Hilfen (Vorlesefunktion, leichterSprachmodus, Direkthilfe, Schriftvergrö-ßerung, Sitemap) sind bei der Testseiteder Untersuchungsgruppe deshalb bei-spielsweise die Menüleisten farblich vomHintergrund abgesetzt, mit augenfälligenMouse-Over-Effekten belegt und durchPiktogramme erläutert. Die Seite für dieKontrollgruppe enthält identische Infor-mationen, es fehlen jedoch die Hilfen unddie Menüleisten sind in einem ähnlichenFarbton wie der Hintergrund, mit Mouse-Over-Effekten lediglich über dem ge-schriebenen Text und ohne Piktogrammegestaltet (vgl. Abb. 1).

Die Teilnehmer bearbeiten im Rah-men der Studie randomisiert mit den un-terschiedlichen Seitenversionen die glei-chen Aufgabenstellungen. Durch diesesexperimentelle Design können verschie-dene Faktoren gemessen und miteinanderin Verbindung gebracht werden (Anzahlder Benutzung der Hilfen, Anzahl der be-antworteten Fragen). Das Design ermög-licht jedoch nur eingeschränkt das zweiteZiel der Studie: das Erreichen neuer Er-kenntnisse und das Überprüfen von wei-teren theoretischen Annahmen. AusGründen der Praxistauglichkeit sollen zu-dem nicht nur die Hypothesen überprüft,sondern auch tatsächliche Gründe für ei-

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ne eventuelle bessere Nutzung der Seiteder Untersuchungsgruppe gefunden wer-den.

Dabei entsteht jedoch ein Zielkonflikt:Das experimentelle Design ermöglicht dieUntersuchung von aus der Theorie undder BITV ableitbaren zählbaren Faktoren.Das Ergebnis der Studie soll jedoch nichtnur die Einschätzung der BITV, sondern

vielmehr eine qualitative Beurteilung ein-zelner im Experiment überprüfter Maß-nahmen sein und so die Weiterentwick-lung der Verordnung durch praxisnahe Er-gebnisse beeinflussen. Demnach sollenzusätzlich neue Erkenntnisse über denForschungsgegenstand ,Barrierefreies In-ternet für Menschen mit geistiger Behin-derung’ ermöglicht werden und nicht zu-

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Abb. 1: Unterschiedliche formale Gestaltung der Testseiten für Untersuchungsgruppe

(oben) und Kontrollgruppe (unten)

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letzt muss auch das Setting der Untersu-chung an die Zielgruppe angepasst sein.Anders ausgedrückt ergibt sich das me-thodische Problem aus der parallelen Exis-tenz der Ziele, – verallgemeinerungsfähige Aussagen

über die Wirksamkeit der BITV zu erhal-ten,

– gleichzeitig praxistaugliche Hinweisefür künftige Richtlinien zu ermöglichenund

– forschungsethisch korrekt im Sinne derZielgruppe zu handeln und den Kontextso realistisch wie möglich zu erfassen.

Eine einzelne methodische Ausrich-tung (wie beispielsweise am Experiment)wird dabei nicht alle Ziele gleichberech-tigt erfüllen können. Vielmehr bietet sichder Einsatz mehrerer Methoden an, derenSchnittpunkt in den unterschiedlichenAusprägungen der Forschungsfrage liegt.Interessanterweise werden auch in derpraktischen Usabilityforschung häufigmultimethodische Verfahren angewendet(vgl. Yom & Wilhelm, 2004). Außerdemfindet sich der Hinweis, dass gerade bei„auf Reformen zielende[n] Forschungs-vorhaben im Bereich der Lebenssituationvon behinderten Menschen [...] ein Me-thodenpluralismus zu akzeptieren ist, derdie traditionelle Auseinandersetzung zwi-schen quantitativen und qualitativen Me-thoden aufhebt“ (Schönwiese, 1998, S.5).

Um den entstehenden Zielkonflikt zulösen, wird bei der durchgeführten Unter-suchung zur Prüfung der Hypothesen miteinem experimentellen Design gearbeitet.Eine gleichzeitig durchgeführte Beobach-tung dient dem Ermöglichen von Erkennt-nissen hinsichtlich der Wirksamkeit derHilfen in der realen Untersuchungssituati-on. So können Hinweise bezüglich derGestaltung und der konkreten Momente,

in denen Schwierigkeiten beim Benutzender Seite herrschen, gewonnen werden.Des Weiteren bietet die BeobachtungRaum für neue, nicht zu erwartende Er-kenntnisse im Bezug auf das Forschungs-feld. Beispielsweise wird angenommen,dass Icons im Menü Menschen mit geisti-ger Behinderung bei der Steuerung unter-stützen. Diese Annahme lässt sich jedochnicht in experimenteller Weise mittels dererstellten Testseiten überprüfen ohne da-bei die Hinweise bezüglich der Interview-oder Testgestaltung mit Menschen mitgeistiger Behinderung zu übergehen. Hierwäre das Abfilmen der Augenbewegun-gen während des Tests notwendig. Da dieDurchführung im Usabilitylabor jedochausgeschlossen wird, muss mit einer struk-turierten Beobachtung der Untersu-chungssituation gearbeitet werden. Dieformale und praktische Gestaltung derUntersuchungssituation, in der eine mög-lichst ,testuntypische’ Atmosphäre ge-schaffen wird, muss ebenfalls als Teil desmethodischen Designs bedacht werden.Entscheidend ist dabei, dass sich die Aus-wahl der miteinander kombinierten Me-thoden aus der Beschäftigung mit demund der Analyse des Forschungsgegen-standes ergibt. Außerdem werden die un-terschiedlichen Methoden (quantitativesExperiment/qualitative Beobachtung)nicht willkürlich, sondern durch die unter-suchungsimmanente Form des szenario-basierten Testens schlüssig und aufeinan-der bezogen eingesetzt. Demnach findeteine Triangulation in der Erhebung derDaten statt. Die Triangulation bietet hierdie Möglichkeit, den miteinander konfli-gierenden Zielen Generalisierbarkeit, Prä-zision und Wirkungskontrolle sowie Kon-texterfassung und Beachtung der beson-deren Zielgruppe gerecht zu werden.

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Auswirkungen der eingesetzten Methoden-TriangulationNach Abschluss der Datenerhebung wirdbei der Auswertung der Untersuchungebenso mit Rückbezug auf die beiden ein-gesetzten Methoden verfahren. Zunächsterfolgt eine statistische Auswertung derim experimentellen Teil der Studie erho-benen Daten. Anhand dieser Ergebnissekann eine allgemeine Einschätzung be-züglich der Wirksamkeit der BITV fürMenschen mit geistiger Behinderung unddie Prüfung der Hypothesen vorgenom-men werden. Eine tiefergehende und rea-litätsnähere Einordnung der Daten wirdjedoch erst durch den Bezug zu den Er-gebnissen der qualitativen Beobachtungermöglicht. Die abschließende Bewer-tung der Forschungsfrage und die darananschließende Interpretation der Ergeb-nisse erfolgt gleichsam mit Rückbezug aufbeide Datenerhebungs- und Auswer-tungsverfahren. Dadurch kann beispiels-weise der errechneten Prozentzahl einerbenutzen Hilfe durch die erhobenen Da-ten der Beobachtung ein nachvollziehba-rer Grund für die Anzahl der Benutzun-gen zugeordnet werden. Erst die Einbezie-hung dieses untersuchungs- und alltagsbe-zogenen Kontextes ermöglicht dann eineweitergehende Interpretation und die ge-wünschte Praxistauglichkeit.

Ein weiteres Beispiel verdeutlicht denVorteil der eingesetzten Triangulation imRahmen der sonderpädagogischen Stu-die. Bei der Bearbeitung der einzelnenAufgabenstellungen wurde neben weite-ren Daten auch der Moment des Ab-bruchs einer Fragestellung erfasst und sta-tistisch ausgewertet. Die Daten zeigen fol-gendes Bild für den Abbruch der Untersu-chungsfragen in der Kontrollgruppe (s. Ta-belle 1):

Tabelle 1 zeigt, dass das zweite Menüdie Hauptursache für den Abbruch beider Bearbeitung der Szenarien darstellt.Lediglich bei Frage 8 sind Schwierigkeitenbeim Auffinden der geforderten Informati-on im Text ausschlaggebender. Die Zah-len verdeutlichen somit das zweite Menüals Stolperstein, geben jedoch keinerleiHinweise auf die Ursache für die offen-sichtlichen generellen Schwierigkeiten derTeilnehmer der Kontrollgruppe mit ebendiesem Menü sowie die Unregelmäßig-keit bei Frage 8. Im Rahmen einer labor-ähnlichen, streng experimentellen Testsei-tenuntersuchung hätte an diesem Punkteine Interpretation des Ergebnisses auf hy-pothetischer Basis durchgeführt werdenmüssen. Durch die vorgenommene Me-thoden-Triangulation kann im Rahmender dargestellten Studie jedoch durch dieErgebnisse und Daten der Beobachtungdie formale Gestaltung der zweiten Me-nüleiste sicher als Ursache für den Ab-bruch der Untersuchungsfragen identifi-ziert werden. Die Interpretation stütztsich dabei auf Beobachtungen, dass Teil-nehmer der Kontrollgruppe mit demMauszeiger direkt über die Menüschalt-fläche fuhren, jedoch nicht darauf klick-ten. Ein vermuteter Grund kann in der feh-lenden optischen Veränderung der Schalt-fläche beim Überfahren mit der Maus ver-mutet werden. Diese Schlussfolgerungwird durch die Beobachtung bestätigt,dass einige Teilnehmer beim Überfahrendes Menüs halblaut murmelten, „da ver-

ändert sich nichts, da kann ich wohl nicht

klicken“. Das Ergebnis bestätigt somit ei-nerseits die bisher lediglich theoretischformulierte Annahme, dass deutliche farb-liche Abhebungen von Menüleisten zumHintergrund sowie das Kenntlichmachenvon Menüs als ,klickbares Element’ dieOrientierung für Menschen mit geistigerBehinderung auf einer Internetseite posi-

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tiv beeinflussen. Zum anderen dient es alswichtiger Hinweis für eine Überarbeitungder BITV. Entscheidender im Bezug aufdas methodische Verfahren ist jedoch,dass den durch die experimentellen Antei-le der Studie gewonnenen Daten durchdie Beobachtung eine begründete Bedeu-tung zugemessen werden kann. Auch dieUnregelmäßigkeit bei Frage 8 kann durchdie Ergebnisse der Beobachtung aufge-klärt werden. Eine im Rahmen dieses Sze-narios zu besuchende Seite bot als einzi-ge die Möglichkeit, die Benutzung deszweiten Menüs durch einen zusätzlichen,im Inhaltsbereich der Seite angeordnetenBildlink zu umgehen. Die Beobachtungbestätigt eindeutig die bei dieser Fragedeutlich höhere Anzahl an Klicks auf ebendiesen Link als auf die entsprechende Me-nüschaltfläche und gibt so den, im Ge-gensatz zu den anderen Fragen deutlich

abweichenden Zahlen einen abgesicher-ten und begründeten Sinn.

Das eingesetzte multimethodischeVerfahren filtert im Rahmen der Studienoch viele weitere Aspekte und Erkennt-nisse heraus, die einer einzelnen Metho-de bei strenger Anwendung unter Um-ständen verborgen geblieben wären (vgl.dazu Bernasconi, 2007). Die Ergebnisseder Beobachtung stützen auf der einenSeite die Daten des experimentellen Teilsder Testseitenuntersuchung, verhelfen zuweitergehenden und begründeten Er-kenntnissen und zeigen an einigen StellenUnregelmäßigkeiten und Widersprücheauf. Auf der anderen Seite können Beob-achtungen durch die errechneten Zahlenbegründet und erhärtet werden. Rückbli-ckend konnten durch die Verknüpfungder Daten auf Erhebungs- und Auswer-tungsebene vollständigere und deutlicher

106 T. Bernasconi

Tab. 1: Gründe für den Abbruch der Untersuchungsfragen in der Kontrollgruppe

na Menü 1 Menü 2 Textb Fehlerseite

Frage 1 18 0 18 0

Frage 2 24 0 22 2

Frage 3 15 1 14 0

Frage 4 23 0 11 0 12

Frage 5 20 7 12 1

Frage 6 32 1 24 7

Frage 7 23 0 10 13

Frage 8 22 1 1 20

Frage 9 28 3 13 12

Frage 10 27 2 12 13

Summe 232 15 137 68 12

% 6.5 59.1 29.3 5.2

Anmerkungen. a Anzahl der Teilnehmer, die die Frage nicht beantworten konnten (Gesamt-N= 33 bei je-der Frage). b Kein Auffinden der benötigten, durch das entsprechende Szenario geforderten Informationim Text.

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der sozialen Realität entsprechende Er-gebnisse gewonnen werden, denen zu-dem ein praktikabler Wert bezüglich ei-ner Überarbeitung der BITV innewohnt.

Schlussbemerkung

An der Gestaltung der beschriebenen Un-tersuchungssituation zeigt sich deutlich,dass qualitative und quantitative Verfah-ren je nach Art der Forschungsfrage unddes Forschungsprozesses nur schwer von-einander getrennt werden können (vgl.Mayring, 2001). Außerdem wird offen-sichtlich, dass bei einer methodischen Tri-angulation die Art, in der die unterschied-lichen anfallenden Daten miteinander ver-knüpft werden, von zentraler Bedeutungist, was eine ständige, auch theoretischeReflexion zu jedem Zeitpunkt des For-schungsvorhabens erfordert. Eine metho-dische Triangulation muss jedoch nichtimmer gelingen und wird auch nichtzwangsläufig zu fruchtbareren oder ,bes-seren’ Ergebnissen führen. Der Einsatzverschiedener Methoden sollte demnachimmer genauestens auf das konkrete For-schungsinteresse und den zu untersu-chenden Forschungsgegenstand in seinerspeziellen Ausprägung hin untersucht unddaran der Einsatz einer möglichen metho-dischen Triangulation geprüft und reflek-tiert werden. Der Stellenwert einzelnerMethoden, die einem Forschungsparadig-ma zugeordnet sind, wird so keinesfallsgemindert. Vielmehr ergibt sich für be-stimmte sonderpädagogische Forschungs-fragen bei theoretischer Fundierung undkritischer methodischer Auseinanderset-zung durch Triangulation die Möglichkeiteiner Alternative, welche die „Breite, Tie-fe und Konsequenz im methodischen Vor-gehen erhöht“ (Flick, 2007, S. 520). Vo-raussetzung dafür ist jedoch ein metho-

disch offener Blick, der auch die Möglich-keiten, Chancen und Vorteile der jeweils,anderen Seite’ in die Überlegungen beider Bearbeitung einer Fragestellung miteinbezieht.

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107Triangulation in der empirischen Sozialforschung

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108 T. Bernasconi

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Anschrift des Autors:

TOBIAS BERNASCONI

Senefelderstr. 82

50825 Köln

[email protected]

109Triangulation in der empirischen Sozialforschung

Florian Löbermann

„Mit der Tür durch die Wand“Ein praxisbezogenes Training zur bewussten und aktiven Gestaltung des eigenen Lebens

(nicht nur) für gering qualifizierte arbeitslose Jugendliche

Gering qualifizierte arbeitlose Jugendliche stehen durch ihre schwierigen sozialen, wirtschaftlichen,bildungsmäßigen und z.T. auch familiären Voraussetzungen häufig vor diffizilen Aufgaben mit ver-gleichsweise größeren Ängsten und Spannungen als andere Jugendliche. Neben der beginnendenSelbstreflexion, der erhöhten Selbstaufmerksamkeit und der hohen Sensibilität für Defizite im Ju-gendalter führt für sie der Mangel an Lehrstellen und Arbeitsplätzen in der aktuellen wirtschaftlichenSituation zu weiteren - arbeitsmarktbezogenen - Erschwernissen: Gering qualifizierte arbeitslose Ju-gendliche haben - wenn überhaupt - nur geringe Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Es fehlen ihnenneben bescheinigten Qualifikationen auch Fähigkeiten und eigene Erfahrungen für eine selbst be-stimmte, aktive und erfolgreiche Planung und Gestaltung des eigenen Lebens. Ihre Erfahrungen desScheiterns wirken sich negativ auf ihr Selbstvertrauen und ihr Selbstwertgefühl aus.Vor diesem Hintergrund wird im Rahmen dieser Arbeit ein adressatenbezogenes Lern- und Entwick-lungsarrangement gestaltet, um eine förderliche kontextuelle Selbstentwicklung der Teilnehmer zurealisieren und somit den Teilnehmern die Möglichkeit zu geben, eine aktivere und bewusstere Ge-staltung des eigenen Lebens zu erlernen. Neben der Entwicklung des Trainings auf der Grundlage verschiedener theoretischer Konzepte undunter Einbeziehung erlebnispädagogischer Elemente bietet die Evaluation des Pilotversuchs in Formvon offenen, teilstrukturierten und qualitativen Interviews einen weit reichenden Einblick in die Er-fahrungswelt der Trainingsteilnehmer und einen Eindruck über die durch das Training bewirkten Ver-änderungen. Als Anregung und Praxishilfe für die Durchführung eines solchen Trainings enthält der Anhang die-ses Buches einen Leitfaden unter Bereitstellung entsprechender Materialien, wobei neben der Ar-beit mit gering qualifizierten arbeitslosen Jugendlichen auch die Integration des Trainings in Erstaus-bildungen, arbeitsmarktpolitische Projekte für Jugendliche aber auch in Schulen und Schulsozialar-beit sinnvoll erscheint. Sind sich die Teilnehmer ihrer Ziele und Möglichkeiten bewusst, können sie die Chancen und Qua-lifizierungsmöglichkeiten, die sich ihnen bieten, vor diesem Hintergrund bewerten und ggf. die in-dividuellen Chancen für ihre eigene persönliche Weiterentwicklung erkennen und nutzen.

316 Seiten, ISBN 3-89967-328-X, Preis: 20,- Euro

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