Turbocharging CH deut · Der weltweit erste Turbolader für einen grossen Dieselmotor wird 1924...

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Turbo Magazine Herausgeber: ABB Turbo Systems AG SONDERNUMMER 100 Jahre Turbolader

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TurboM a g a z i n e

Herausgeber: ABB Turbo Systems AG

S O N D E R N U M M E R

100 Jahre Turbolader

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2 ❯ Turboaufladung in der Schweiz – Geschichte mit Zukunft

3 Die Pionierzeit

8 Der Durchbruch der Turboaufladung

16 Der Beginn des modernen Zeitalters

23 Ein Jahrhundert des Fortschritts

Sonderdruck: Auszug aus dem Turbo Magazine 2 /2005

❯ I N H A L T

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Seit 100 Jahren faszinierendDas Jahr 2005 wird als besonderes Jahr in unsere Firmengeschichte eingehen.

Einerseits, weil es zu den erfolgreichsten gehört, die wir bis zu diesem Zeitpunkt erleben

durften. Anderseits, weil es uns daran erinnert hat, dass vor 100 Jahren ein

wichtiger Grundstein für unseren Erfolg gelegt wurde. Denn 1905 hat ein überaus

talentierter Winterthurer Ingenieur namens Alfred Büchi ein Patent hinterlegt,

das ihn – zusammen mit weiteren – zum Vater der Turboaufladung macht.

Alfred Büchi suchte schon bald den Kontakt zu BBC, um seine «hochaufgeladene

Verbundmaschine» Realität werden zu lassen. Nach anfänglichem Zögern seitens der

BBC-Verantwortlichen ist dann glücklicherweise eine Zusammenarbeit zustande

gekommen. Denn daraus entwickelte sich schliesslich eine der ganz grossen Erfolgs-

geschichten des Industriestandortes Schweiz.

In den vergangenen 100 Jahren hat sich natürlich in jeder Hinsicht viel geändert.

Geblieben ist, dass die Aufladung von Motoren unseren Alltag bestimmt. Geblieben ist

unsere Faszination an unserem Fachgebiet. Und geblieben ist auch, dass es nach wie

vor viel Wissen, Talent und Hartnäckigkeit braucht, um erahnte Fortschritte für unsere

Kunden und für uns selbst zu nutzen.

Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen bei der Lektüre dieses Artikels zur Geschichte der

Aufladung und zu unseren Turboladern. Ich bin überzeugt, dass es Ihnen dabei so

gehen wird wie mir: So einiges kommt einem bekannt vor, vieles aber ist immer wieder

neu und faszinierend.

Ihr

Daniel Arnet

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Turboaufladung in der Schweiz– Geschichte mit Zukunft

Dieser Sonderdruck des Turbo Magazine folgt den Spuren des ABB-Turboladers:

von seinen Wurzeln im Büchi-Patent (1905), über die ausserordentlich erfolgreichen Jahre der

VTR- und RR-Serien bis hin zu den heute aktuellen TPS- und TPL-Generationen.

D er Hightech-Abgasturbolader,den wir heute kennen, hat mit

der ersten «hochaufgeladenen Ver-bundmaschine mit angeschlossenerAbgasturbine», die Brown Boveri 1924

versuchsweise für einen 2-Takt-Motorbaute, nicht mehr viel zu tun. Undtrotzdem bestehen Gemeinsamkeiten.Bereits diese Maschine war ihrer Zeitvoraus und ein Produkt früherer

Erfindungen. Sie war inspiriert voneiner Idee, die ein Schweizer Inge-nieur im Jahre 1905 patentieren liess,und welche heute als Ausgangspunktfür Abgasturboaufladung gilt.

Baden – die Heimat des Turboladers.

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DIE PIONIERZEIT

Diesel bringt den Stein

ins Rollen

Die Geschichte des ABB-Abgasturbo-laders beginnt in einer Periode vonphänomenalem technischem Fort-schritt. In den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts werden bemerkens-werte technische Durchbrüche er-reicht. Ingenieure und Unternehmersind überaus aktiv im Erfolg ver-sprechenden Gebiet der thermischenMaschinen. 1892 lässt Rudolf Dieseleinen nach ihm benannten Motorpatentieren, dessen Wirkungsgradbereits über 30% liegt. Diesel erwähntin einem frühen Patentanspruch auchdie Möglichkeit der Turboaufladung.Da aber spätere Experimente nichtdie erwartete Wirksamkeit zeigen,lässt er die Idee wiederfallen.

Die ersten Diesel-Motorenvon MAN (Maschinenfab-rik Augsburg-Nürnberg)in Deutschland und B&W(Burmeister & Wain) inDänemark sowie weitererFirmen können auf dieseZeit zurückverfolgt wer-den. Auch die SchweizerMaschinenfabrik Sulzerproduziert seit der Jahrhundert-wende in ihrer Fabrik in WinterthurMotoren. Und in Baden, weniger als 50 Kilometer entfernt, feiert einegewisse elektrische Maschinenbau-Fabrik mit dem Namen Brown, Boveriund Cie ihr erstes Geschäftsjahr-zehnt. Dabei lanciert sie eine hoch-interessante neue Entwicklung: dieerste Dampfturbine Kontinentaleuro-pas. Aus diesem Bereich der Technikwird später der Abgasturbolader ent-stehen.

Büchis Patent von 1905

Der Schweizer Ingenieur, dem wirdas Patent von 1905 verdanken,

heisst Alfred Büchi und arbeitet zujener Zeit bei Sulzer. In seinemPatent beschreibt er eine «hoch-aufgeladene Verbundmaschine» miteinem 4-Takt-Dieselmotor, mehrstu-figem Axial-Kompressor und mehr-stufiger Axial-Turbine, montiert aufeiner gemeinsamen Welle. In einemspäteren US-Patent geht Büchi dannnoch weiter. In einem Unteranspruchbeschreibt er ganz allgemein dieSerienschaltung der beteiligten Ma-schinen.

Weitere Arbeiten von Alfred Büchibei Sulzer führen 1909 zur Veröffent-lichung seiner Idee für einen frei-laufenden Turbolader und später,1915, zu seinem wichtigen «Spül-patent». Im selben Jahr nimmt Büchi,auf der Suche nach einem Partner,mit Brown Boveri in Baden Kontaktauf, denn das Unternehmen verfügt

zu dieser Zeit bereitsüber grosse Erfah-rung in Design undBau von Strömungs-maschinen. Die Ver-antwortlichen prüfenBüchis Vorschlag zurZusammenarbeit, se-hen aber, wie auch1919 nochmals, da-von ab. Man ist überzeugt, dass dasProjekt als Ganzes

unerwünscht und unwirtschaftlichist. Unabhängig von dieser Entschei-dung gibt es bei BBC Verfechter derIdee der Aufladung. Und es solltenicht lange dauern, bis sie überzeu-gende Argumente zu ihren Gunstenfinden.

Parallele Entwicklungen

Um dieselbe Zeit werden in Frank-reich unter der Leitung von AugusteRateau und bei General Electric inden Vereinigten Staaten unter der Lei-tung von Sanford Moss die Arbeitenan turboaufgeladenen Flugzeugmoto-ren vorangetrieben.

Erste BBC-Dampf-turbine. Dieser Be-reich des Maschinen-baus sollte später denBBC-Abgasturbo-lader hervorbringen.

Der Verbundmotordes Büchi-Patentesist der Ausgangs-punkt der Abgas-turboaufladung.

Alfred Büchi

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In einem 1916 angemeldeten Patent,das jedoch erst 1921 publiziert wird,beschreibt Rateau, der seit Anfang1900 mit Brown Boveri in der Ent-wicklung von Gasturbinen zusam-menarbeitet, Möglichkeiten zur Re-gulierung eines durch eine Abgas-turbine angetriebenen Verdichters.Die Realisierung und die Erprobungeiner solchen Einrichtung folgen1917. Erst einige Zeit später anerken-nen Alfred Büchi und andere Ent-wicklungsingenieure und Erfinder,dass Rateau die Ehre zukommt, denersten Turbolader realisiert zu haben.

Moss ist der erste, der serienreifeTurbolader gebaut hat. Interessanter-weise hatte der GE-Moss-Turboladereine handgesteuerte Bypass-Klappe,die es bei gewissen Flugbedingun-gen möglich machte, die Abgase

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unter Umgehung der Gasturbineabzublasen. Solche Klappen bezeich-nen wir heute als Wastegate.

Flugzeuge mit turboaufgeladenenMotoren sind gegen Ende des ErstenWeltkrieges und bis kurz danach imEinsatz. Dann werden die Entwick-lungsarbeiten eingestellt.

Das Potenzial der

Turboaufladung wird erkannt

1923 ändert BBC ihre Strategie. Dennin Deutschland wird ein Bericht veröffentlicht, der die Niederdruck-Aufladungs-Versuche von MAN aneinem 160-rpm-4-Takt-Motor be-schreibt. Die Versuche zeigten, dassmit nur 1,35 bar Ladedruck die Moto-renleistung um 33% steigt, und diesnach Abzug der Leistung des elek-trisch angetriebenen Gebläses. DieNutzung der Abgasenergie zumAntrieb des Verdichters verspracheine weitere Leistungssteigerung von6 bis 8% sowie eine Einsparungbeim Verbrauch. Ausserdem bliebenZünddruck, Verbrennungstemperatu-ren und Wandwärmebelastung inner-halb der zulässigen Grenzen. BBCentscheidet sich deshalb dafür, ihrKnow-how aus dem Turbinen- und

Verdichter-Bau für die Entwicklungvon Turboladern zu nutzen.

Die ersten Schiffe mit

aufgeladenen Motoren

1923 ist auch das Jahr, in welchemdie Vulkan-Werft in Stettin den Auf-trag erhält, für die Ost-Preussische-Linie zwei grosse Passagierschiffe zu bauen (die Preussen und dieHansestadt Danzig). Jedes Schiffwird von zwei von MAN in Lizenzgebauten 10-Zylinder-4-Takt-Motorenangetrieben, die von 1750 auf 2500PS aufgeladen werden. Die Motorenhaben eine Abgas-Sammelleitung(oder: Abgas-Receiver) für alle Zylin-der, was bedeutet, dass sie unterkonstantem Druck arbeiten. Die Turbolader, konstruiert und gebautunter Aufsicht von Alfred Büchi, werden in den Vulkan-Werken inHannover hergestellt. BBC Mann-heim liefert die entsprechendenVerdichterräder. Nach einer Testphaseim Mai 1926 werden sie im darauffolgenden September in den Schiffeninstalliert. Der Preussen und derHansestadt Danzig kommt damit dieEhre zu, die ersten Schiffe in derMarinegeschichte mit turboaufgela-denen Motoren zu sein.

Wie Turboaufladung funktioniert

Die Leistung eines Verbrennungs-motors hängt einerseits von derMenge Luft und Brennstoffgemischab, die in die Zylinder gepresstwerden kann ➊, und anderseitsvon der Drehzahl der Kurbelwelle.Turbolader führen Luft mit hohemDruck zum Motor. Dadurch wirdmehr Luft in die Zylinder gepresstund somit für die Verbrennung ver-fügbar.

Ein Abgasturbolader wird, wie derName schon sagt, von den Abga-sen eines Motors angetrieben ➋.Diese bis gegen 600°C warmenGase werden mit hoher Geschwin-digkeit auf Turbinenschaufeln ge-leitet ➌, welche wiederum das aufderselben Welle montierte Verdich-terrad ➍ antreiben. Während derRotation saugt das Verdichterraddurch einen Filter-SchalldämpferUmgebungsluft an. Die Luft wirdkomprimiert und durch einen Küh-ler ➎ dem Luftbehälter des Motors➏ zugeführt und von dort weiterzu den Zylindern geleitet.

Turboaufladung steigert die Moto-renleistung um bis das Vierfache.Daher sind 75% der Motorenleistungauf den Turbolader angewiesen.

Der weltweit erste Turbolader für einen grossen Dieselmotor wird 1924 ausgeliefert. Er verfügteüber aussenliegende Gleitlager und einen zweistufigen Verdichter für ein Druckverhältnis von 1,35.

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So wichtig dieses Ereignis aber auchist: Wollen wir den ersten industriellgefertigten Abgasturbolader finden,müssen wir drei Jahre zurückblenden.

Der weltweit erste

Hochleistungs-Abgasturbolader

1923 untersucht die wie Sulzer inWinterthur beheimatete SchweizerLokomotiven und Maschinen Fabrik(SLM) den möglichen Nutzen derMotorenaufladung. SLM hat in die-sem Jahr einen 2-Takt-Versuchsmotorauf dem Prüfstand, der bei wenigerTreibstoffverbrauch mehr Leistungproduzieren soll. Brown Boveri empfiehlt den Einsatz eines Ab-gasturboladers, der in das Spülge-bläse fördert. SLM bestellt die ent-sprechende Maschine und im Juni1924 verlässt der erste Hochleis-tungs-Abgasturbolader, ein VT4021,die Werkstätten in Baden.

Zu dieser Zeit beginnen zudem dieGespräche von BBC mit Büchi übereine Zusammenarbeit.

Das Büchi-Hauptpatent

Ein so genanntes «Stosssystem»führt die Abgase eines Motorsdurch enge Leitungen zu der Turbine des Turboladers und treibtsomit den Verdichter an. DieDruckunterschiede in den engenLeitungen ermöglichen ein Über-lappen des Einlasses und des Aus-lasses, was eine Spülung des Komprimierungsbereiches in denZylindern mit sauberer Luft zulässt.Die Zylinder, welche das gegen-seitige Spülverfahren nicht beein-trächtigen, sind mit einer Abgas-leitung gemäss der Zündfolge desMotors verbunden. Dieses Büchi-Patent aus dem Jahr 1925 ist dieBasis für den zukünftigen Erfolgder Turboaufladung.

Das «Büchi Syndikat»

Dann geht alles ganz schnell. EinJahr später, 1925, bringt Büchi jenesPatent heraus, das ihn weltberühmtmacht. Dieses so genannte «Haupt-patent» zeigt die Vorteile der Pul-sation für Niederdruck-Aufladung (siehe Kastentext). Das ist der Durch-bruch, auf den alle gewartet haben.

Im folgenden Jahr wird unter demNamen «Büchi Syndikat» eine neueGesellschaft gegründet mit demZweck der Weiterentwicklung der«Verbund-Verbrennungskraftmaschinemit Abgasturbine und Auflade-pumpe». Alfred Büchi ist dabei fürKonstruktion und Kundenbeziehun-gen zuständig, BBC kümmert sichum die Produktion und SLM stellt dieDiesel-Versuchsmotoren.

Partnerschaft mit

Motorenbauern

1927 wird ein grösserer und ver-besserter Turbolader, der VT592, als zweiter Versuchslader an SLM geliefert. Die Ergebnisse sind be-eindruckend. Das Syndikat trifft Vereinbarungen mit zahlreichen füh-renden Motorenbauern. Andere An-

1 V steht für Verdichter, T für Turbine; 400 be-zeichnet den ungefähren Durchmesser desVerdichterrades in mm; 2 steht für zweistufig.

VT 592-Turbolader für den zweiten SLM-Versuchsmotor, 1927 geliefert.

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wendungsgebiete für Turboaufladungwerden evaluiert, so beispielsweisefür dieselelektrische Lokomotiven.Und auch für den Einsatz in Diesel-kraftwerken drängen sich die Turbo-lader nachgerade auf.

Von 1928 an ist das Handelsmagazin«The Motorship» gefüllt mit Berichtenüber neue Schiffe mit aufgeladenenMotoren. Fotos aus dieser Zeit zei-gen, dass der Turbolader an derLängsseite des Motors stand undüber lange, unterteilte Abgasleitun-gen mit dem 4-Takt-Motor verbun-den war. Dies erlaubte natürlich nureinen schwachen Stossbetrieb, wasaber für die damaligen langsamlau-fenden Motoren ausreichte.

Mit der anhaltenden Entwicklungs-tätigkeit treten neue Lösungen zuTage. So werden nach 1930 kompak-tere Installationen Wirklichkeit dank Turboladern mit vertikaler Achse,welche direkt auf dem Motor mon-tiert werden können. Und obwohldie Turbolader immer noch horizon-tal getrennt sind, werden sie mit derEinführung eines einstufigen Ver-dichters sowie verbesserter Turbinen-schaufeln einfacher. Brown Boveriarbeitet nun mit den grossen deutschen Motorenbauern, darunter

Daimler Benz, KHD (Kloeckner-Humboldt-Deutz) und MAN. Heraus-ragende Resultate sind die Folge.

Brown Boveris wachsende Bedeu-tung manifestiert sich auf besondereArt: Die Gesellschaft berät ihre Kun-den bezüglich der Installation vonTurboladern, Luft- und Gasleitungenund bei den Steuerzeiten der Ventile.Das Wissen um die Interaktion vonMotor und Turbolader wird zumKernstück des BBC-Erfolges.

Die ersten standardisierten

Modelle

1932 fallen bei BBC einige wichtigeKonstruktions-Entscheide, die zutechnisch optimalen Lösungen füh-ren. Auf dieser Grundlage formulie-ren die Konstruktionsingenieure dieSpezifikationen für eine standardi-sierte Laderreihe mit neun Grössenvon 110 bis 750 (Verdichterdurch-messer). Einheiten mit horizontalerAchse werden VTx genannt. VTy

Die MS Don Isidro war in den späten 1920er Jahren unter der Flagge der «de la Rama S.S. Co.», Manila, unterwegs. Bestückt mit zwei turboaufgeladenen 9-Zylinder-Krupp-Dieselmotoren, mit einerLeistung von je 3500 PS.

Ansicht des Maschinenraums der MS Don Isidro. Die VTx590-Turboladersind auf einer Plattform hinter den Motoren montiert.

BBC-Turbolader mit einstufigem Verdichter und fliegend angeordnetem Gasturbinenrad (ca. 1930).

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VTy410-Turbolader mit Vertikalachse, montiertauf einem Maybach 12-Zylinder-Viertakt-Bahn-motor.

steht für Einheiten mit vertikaler Achse. Viele ihrer Eigenschaften undFähigkeiten wie zum Beispiel (selbstschmierende) externe Kugellager,Wasser-Kühlung und die weit ge-hende Verwendung von Standard-Teilen, sind entstanden, um die Ser-vice-Arbeiten einfacher zu machen.Die modulare Bauweise schliesslichbewirkt, dass die Turbolader auf eineenorme Bandbreite von Motoren an-gepasst werden können.

In der zweiten Hälfte der 1930er-Jahre nehmen die Lieferungen vonTurboladern stark zu. Die Zahl derLizenznehmer steigt und das Ge-schäft mit Zugwagen boomt. (1938machten die VTy 410-Turbolader, einVertikal-Achsen-Modell für Zugwa-gen, fast ein Drittel aller Verkäufeaus.) Der US-Markt interessiert sich,der Bestellungseingang aus diesemRaum zieht an. Einer der ersten US-Kunden ist der amerikanischeLokomotivenbauer ALCO (AmericanLocomotive Company).

Herausforderung 2-Takt-Motor

Die sprunghafte Leistungsverbesse-rung bei den Dieselmotoren in den1920ern liegt an der direkten Brenn-

Der ALCO-8-Zylinder-Motor mit 900 PS ist ein typisches Beispiel für den Einsatz von BBC-Turboladern in den späten 1930er-Jahren (in diesem Fall ein VTx 350).

stoffeinspritzung und an der Aufla-dung. Vor allem dank der Aufladungkönnen die 4-Takt-Motoren ihrePosition gegenüber den 2-Takternstärken. Aber auch das 2-Takt-Moto-rengeschäft steht nicht still. MAN undSulzer beispielsweise kommen An-fang 1930 bei ihren Experimenten an2-Takt-Motoren zu interessanten Er-gebnissen, wenn auch keiner der bei-den Motoren annähernd die Resul-tate der 4-Takter erreicht.

Entwicklungen in der

2-Takt-Aufladung

Brown Boveri meldet ihr Interesse ander 2-Takt-Turboaufladung mit demKauf des «Curtis»-Patents bereits imJahr 1925 an. Dieses Patent hat die so genannte «Serienanordnung» zumInhalt. Dabei führt der TurboladerLuft in ein mechanisches Spülgebläseeines 2-Takt-Motors und garantiertsomit Start und Betrieb bei niedrigerLast. Sobald die Motorenleistung an-steigt, wird das Gebläse automatischweniger beansprucht.

Eine interne Studie von BBC aus demJahr 1934 behandelt die Aufladungeines 5000-PS-Sulzer-2-Takt-Motors.Sie zeigt, dass der Lader fähig seinsollte, mit Ladeluftkühlung undStossbetrieb unter Volllast genügendLuft anzusaugen. Auch Teillast-Lösungen wie Hilfsgebläse und Zu-satzantriebe werden in der Studieerwähnt. Später dann, im Jahr 1940,wird die Aufladung eines 7500-PS-2-Takt-Motors von Sulzer mit einemPrototypen, dem VTx750 (Radialrad),getestet. Die Resultate sind enttäu-schend, weitere Tests werden ausge-setzt.

Somit bleibt die Aufladung mittelsAbgasturboladern bis nach demZweiten Weltkrieg den 4-Takt-Moto-ren vorbehalten. Die Aufladung von2-Taktern mit ihren tiefen Abgas-Temperaturen und ihrer Abhängig-keit von einem Gebläse zum Gas-austausch ist aufgrund der geringen

Diese Lokomotive der Schweizerischen Bundesbahnen war über 50 Jahre im Einsatz. Sie wurde 1939 an der Landesausstellung vorgestellt und in den 1990ern ausser Betrieb gesetzt. Die SBB-Lok war ausgestattet mit einem VTx 350-Turbolader und brachte eine Leistung von 1200 PS bei 750 Umdrehungen pro Minute.

Turbinen- und Verdichter-Effizienzschwierig. Erst als Verdichter undTurbinen mit besseren Wirkungs-graden entwickelt sind, wird die Auf-ladung auch für die langsamlaufen-den 2-Takt-Motoren interessant. DieVerwendung von Abgasturboladernnimmt schnell zu und trägt wesent-lich dazu bei, dass sich in der Schiff-fahrt die 2-Takter schon bald alsHauptantrieb durchsetzen.

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VTF201 BBC-Flug-motoren-Turboladermit einem Gewicht

von 32 kg.

6-Tonnen-Lastwagenmit 100-PS-Diesel-motor, umgerüstet zu einem Holzgas-Generator (rechts,

hinter der Türe). DerEintritt für den

VTx 110-Turboladerist oberhalb des

rechten Kotflügels.

DER DURCHBRUCH DER

TURBOAUFLADUNG

Der VTR. .0 wird lanciert

Ab 1940 hat Brown Boveri einenneuen Turbolader in der Entwick-lung, den so genannten VTR. Er ver-fügt über einen offenen Radialver-dichter (daher das R) und leichteRotoren, elastische, flexibel montier-bare externe Rollenlager sowie einEigenschmier-System. Die Standardi-sierung seiner Komponenten machtdie Massenproduktion möglich, wel-che wiederum wettbewerbsfähigePreise erlaubt. Die Einführung derVTR..0-Baureihe nach dem ZweitenWeltkrieg ist denn auch ein wichtigerMeilenstein in der Geschichte derBBC-Turbolader. Mit einem Verdich-ter-Wirkungsgrad von 75% bei einemDruckverhältnis von 2 markiert derVTR..0 den Beginn einer neuen Ära.

Es ist nun möglich 2-Takt-Motoren mitmaschinell angetriebenen Spülpum-pen zu laden. Um die Spülpumpen zu umgehen und gleichzeitig denBrennstoffverbrauch zu reduzieren,ist jedoch eine stossartige Turboauf-ladung gefragt. Es sollten aber nocheinige Jahre vergehen, bis diesesSystem 1951 auf einem B&W Marine-motor erfolgreich eingesetzt wird.

Das Büchi-Syndikat hat sich in derZwischenzeit aufgelöst. Brown Boverihat ihre eigene Turbolader-Entwick-lungs-Abteilung etabliert und verfügtüber ein eigenes Test-Center undeigene Werkstätten. Der entschei-dende Schritt weg von der individuel-len hin zur industriellen Turbolader-Fertigung ist gemacht und bereits sind erste Anzeichen des weltweitenService-Netzwerkes zu erkennen.

Der Nach-Kriegs-Boom …

In den Nachkriegsjahren besteht eineungeheure Nachfrage nach Turbo-

ladern. Und eine Entwicklung ver-leiht ihr besonderen Schub: Öl setztsich als wichtigste und bevorzugteEnergiequelle durch. Während dernächsten Dekade verdoppelt sich dieweltweite Handelsflotte, die Tanker-Kapazität legt sogar noch stärker zu.Die bevorzugte Antriebskraft dieserSchiffe ist: der Dieselmotor.

… und der definitive Durchbruch

Zwischen 1945 und 1960 setzt sich die Motorenaufladung definitivdurch, zuerst für die 4-Takt-, dann ab1951 auch für die 2-Takt-Motoren.Der Absatzschwerpunkt liegt vorerstganz in der Niederdruck-Aufladung

1000

1930 1940 1950 [Jahr]

2000

3000

4000

Die Nachfrage nach BBC-Turboladern war in der Nachkriegszeit sehr gross. Anzahl jährlichgelieferter BBC-Turbolader (ohne Lizenznehmer).

Ein kurzer Ausflug in andere

Gebiete

Auf der Suche nach neuen Absatz-märkten arbeitet Brown Boveri in den Jahren vor und während des Zweiten Weltkrieges an Turbo-ladern für die Flugzeugindustrie.Dies bringt interessante Herausfor-derungen mit sich, wie zum Bei-spiel die Probleme, welche der bei zunehmender Höhe sinkendeLuftdruck verursacht. Rückblickendist dieser Ausflug ins Fluggeschäftindes nicht mehr als eine kurzeEpisode in der Firmengeschichte.

1940 wendet das Unternehmen seine Aufmerksamkeit auf das be-sondere Gebiet der Holz-Gas-Auf-ladung. Flüssige Brennstoffe sindknapp während des Krieges unddie Umwandlung von Diesel- inHolz-Verbrennungsmotoren scheintein gangbarer Weg zu sein, um dieVerfügbarkeit von Strassenfahrzeu-gen zu sichern. Die umgebautenMotoren aber sind sehr schwachund Turboaufladung wird alsLösung des Problems gehandelt.Doch auch dieses Projekt ist vonkurzer Dauer. Das Experiment wirdfallen gelassen, sobald nach demKrieg der günstige flüssige Brenn-stoff wieder ausreichend zur Ver-fügung steht.

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Der Fortschritt des Turboladerbaus von 1924bis 1945: Der kompaktere, für die gleicheMotorengrösse konstruierte VTR 320 (links)erzielt einen viel höheren Ladedruck als derältere VT 402.

(Druckverhältnis bis 1,5). Die Lade-drücke nehmen langsam und stetigzu. Der ursprüngliche VTR-Turbo-lader kann entweder mit einemNiederdruck- oder einem Hoch-druck-Verdichter ausgerüstet wer-den, wobei Letzterer beeinträchtigtwird von einer eingeschränktenvolumetrischen Durchflussrate. DieVerdichter-Entwicklung der folgendenJahre merzt dieses Manko aus, dasDruckverhältnis bei Volllast kanndann auf bis zu 3 gesteigert werden.

In dieser Periode bestehen verschie-dene wichtige Zusammenarbeitsver-einbarungen mit Motorenbauern,von denen einige mit hohen Lade-drücken experimentieren. MAN, zumBeispiel, entwickelt in dieser Zeiteinen hochaufgeladenen 4-Takt-Motormit einem effektiven Gesamtwir-kungsgrad von 45% – ein Wert, derfür einige Zeit unerreicht bleibt.

Einmal mehr wird klar, wie wichtigdie Beziehung von Motorenbauernund Turbolader-Lieferanten ist. Denndie neue Technik will den Verbren-nungsmotor-Konstrukteuren zuerst er-klärt sein. Sie müssen wissen, wie siedie Auspuffenergie mit Stossbetriebam besten nutzen können. In vielenFällen geht es auch darum zu zeigen,wie die Abgasleitungen am bestenkonstruiert werden.

In den Nachkriegsjahren kam es zu verschiedenen wichtigen Zusammen-arbeiten mit Motorenbauern, unter anderem mit «English Electric», derenbeliebter V16 4-Takt-Motor mit vier VTR 200-Turboladern bestückt war.

Produktion in der neuen Turboladerfabrik (nach 1949).

10-Zylinder-Erdgasmotor in den USA, mit zwei VTR 400-Einheiten.

Die von ABB auch heute noch durchgeführte Shipowners Conference und der ABB Evening amCIMAC-Kongress sind Kundenveranstaltungen, die inden 1950er-Jahren entstanden sind. Es sind exzellenteGelegenheiten, der Schiff- und Motorenbau-Gemein-schaft die neusten Entwicklungen bei der Aufladungvon Motoren näher zu bringen.

Strategische Entscheidungen

In die Nachkriegszeit fallen einigeEntscheidungen, welche die Leit-planken für die kommenden Jahr-zehnte setzen und letztendlich einewichtige Rolle bei der weltweitenMarktakzeptanz der BBC-Turboladerspielen.

Um bereit zu sein und Marktanteiledazuzugewinnen, sobald 1950 derPatentschutz für Alfred BüchisHauptpatent in den USA auslaufenwürde, unternimmt BBC grosse An-strengungen zur Etablierung derKontakte mit amerikanischen Moto-renbauern. Aber es ist schwierig, mit den in den USA gebautenNiederdruck-Ladern zu konkurrieren.Schnell wird klar, dass sich BrownBoveri auf Hochdruck-Aufladungkonzentrieren muss. Dort kann siemit ihrem technischen Verständnisund ihrer Beratungsleistung denKaufentscheid zu ihren Gunsten be-einflussen. Als Teil der Langzeit-Strategie für den US-Markt entsteht zu-dem eine eigene Service-Organisation.

Die Präsenz in den USA hat einenweiteren Vorteil: BBC kann sich dankBestellungen für stationäre Gasmoto-ren schon sehr früh Fachkenntnisseund Erfahrungen mit dieser wichti-gen Anwendung aneignen.

1958 wird eine weitere wichtige strategische Entscheidung gefällt: dieVergabe der Produktionslizenz anIshikawajima-Harima Heavy Indu-stries (IHI) in Japan. IHI, zu dieserZeit auch Lizenznehmerin von Sulzer,setzt sich im gesamten asiatischenRaum durch und verschafft so denBBC-Ladern eine dominante Stellungin diesen Märkten. (Die Zusammen-arbeit führt 1998 zu Turbo SystemsUnited (TSU), ein Joint Venture vonABB Turbo Systems und IHI.)

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Dorthe Maersk

Konstante Verbesserungen bei derTurbolader-Technik bereiten in denfrühen 1950er-Jahren den Boden fürdie nächste Pioniertat. Im Oktober1952 läuft der 18’000-Tonnen-Tanker Dorthe Maersk vom Stapel. Ge-baut von der Dänischen Werft A.P.Møller, ist sie das erste Schiff miteinem aufgeladenen 2-Takt-Diesel-Motor (B&W, 6 Zylinder) als Haupt-antrieb. Zwei seitlich montierteVTR630-Turbolader sorgen für eineLeistungssteigerung von 5530 PS auf8000 PS. Dorthe Maersk steht für denDurchbruch der 2-Takt-Aufladung imMarine-Segment.

Asien im Fokus

Die Jahre zwischen 1955 und 1975sind eine Zeit des Umbruchs für dieSchiffbauindustrie. In dieser Zeit ver-schieben sich die weltweiten Schiff-bauaktivitäten um mehr als die Hälftenach Japan. Westeuropa verliert imGegenzug 40% an Welt-Tonnage.

Und es gibt auch noch andere Zei-chen der Veränderung. Mitte der 50erist es für japanische Lizenz nehmendeFirmen nicht unüblich, neue Ent-wicklungen zuerst auf den Prüfstandzu stellen. Das ist beispielsweise derFall bei Mitsubishi Heavy Industries(MHI) in Kobe, als das Unternehmen1955/56 den ersten grossen 2-Takt-

Sulzer-Schiffsmotor, einen 7-Zylinder-RSA 76 (706 mm Durchmesser), mitzwei VTR630-Einheiten testet.

Der Schiffbau boomt

IHI ist natürlich nicht die einzige Firma, die BBC-Turbolader fertigt.Zwischen Mitte 1950er- und Mitte1970er-Jahre be- und entstehendiverse wichtige Lizenzvereinbarun-gen, so unter anderen mit Firmen in China, Indien und Südkorea. DieStrategie wird bis in die späten1970er- und 1980er-Jahre weiterver-folgt. Der Schiffbau ist auf Rekord-höhe, die Schiffe werden grösser und

schneller. Die Rohöl-Preise sind tief,die Brennstoff-Kosten vernachlässig-bar – die Dieselmotoren-Industriefloriert.

Der VTR..0 ist mit Wirkungsgradenum die 56% auf seinem Höhepunkt;mit BBC-Turboladern aufgeladeneMotoren brechen bezüglich Leistungund Wirkungsgrad einen Rekordnach dem anderen.

2-Takt-Markt-Entwicklungen

An diesem Punkt lohnt es sich, kurzden Hintergrund für die anstehendengrossen Entwicklungen im Bereich

Der 18’000-Tonnen-Tanker Dorthe

Maersk war das erste Schiff mit turbo-

aufgeladenem 2-Takt-Dieselmotor.

Eriksberg B&W-Motor Typ 10K98FF mit 38’000 PS (27’950 kW), bei 103 Umdrehungen pro Minute, ausgerüstet mit vier VTR 750-Einheiten.

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Sulzer 7 RND 90 2-Takt-Dieselmotormit zwei VTR 631-Turboladernauf dem Prüfstand(1971).

Drei VTR 630-Turbolader installiert auf einem Götaverken-Motor des Typs VGS11U mit 26’400 PS (19’000 kW) bei 119 Umdrehungen pro Minute.

Aufladung von 2-Takt-Motoren aus-zuleuchten: Das Stosssystem, welches1951 von B&W eingeführt wird, hatden Vorteil, dass kein mechanischesSystem benötigt wird, um über dengesamten Lastbereich genügend Luftzuzuführen. Dies ist zum Teil mög-lich durch die dank der Wälzlagerhohe mechanische Effizienz derVTR-Turbolader. Die benötigte Ab-gasenergie wird mit dem frühen Öff-nen der Auslassventile erreicht, ob-wohl dies den effektiven Expan-sionshub reduziert.

Ein Motor mit Spülpumpen undgleichmässiger Druckaufladung er-laubt eine viel spätere Öffnung desAuslassventils, was allerdings einenEnergieverlust bei der Luftzufuhr vonder Kurbelwelle bewirkt. Somit treibtder Motor die eigenen Spülpumpenan, was in etwa dem Brennstoffver-brauch beim B&W-Stosssystem ent-spricht.

Um den Brennstoffverbrauch zuoptimieren, sind eine gleichmässigeTurboaufladung und die Eliminationder Spülpumpen die offensichtlicheLösung. Dies aber erfordert Turbo-lader mit höheren Wirkungsgraden,die zu diesem Zeitpunkt noch nichtverfügbar sind.

Der VTR. .1 tritt auf

Neue Verdichter mit höheren Wir-kungsgraden, Druckverhältnissen undgrösseren Durchflüssen werden inden 1950er- und 1960er-Jahren ent-wickelt. Höhere Druckverhältnissebedeuten mehr Geschwindigkeit, diesich auf die Axiallast und die Lager-spannung auswirkt. Auch die Auf-hängungen müssen verstärkt wer-den. 1970 werden Verdichter miteinem noch grösseren Durchflusseingeführt und das Gasaustrittsge-häuse wird vergrössert. Auch derTurbineneintrittstutzen wird überar-beitet.

All diese Verbesserungen werden1971 in einer neuen Reihe sichtbar:der VTR..1. Brown Boveri kann nunTurbolader mit einem Wirkungsgradvon bis zu 60% anbieten, die einenweiten Bereich von Anwendungenmöglich machen. Wenn in der Ver-gangenheit eine lineare Steigerungder Effizienz vorherrscht, so wirdhier nun der erste wirkliche Sprungnach vorne verwirklicht.

RR stützt das untere Ende

1968, drei Jahre bevor der VTR..1eingeführt wird, bringt Brown Boveriunter dem Namen RR – er verweistauf die radiale Turbine und den radialen Verdichter – eine Baureihekleiner Turbolader auf den Markt. Sie sind für Anwendungen am unteren Ende des VTR-Leistungsbe-reiches gedacht.

Der RR erfüllt ein Marktbedürfnis,das seit geraumer Zeit zunimmt. BisMitte der 1960er-Jahre bauen vieleFirmen Turbolader, die die VTR-Lader im untersten Leistungsbereichkonkurrenzieren. Kleinere, leichtereTurbolader sind gefragt für die zujener Zeit modernen, schnelllaufen-den Dieselmotoren im unteren Leis-tungsbereich. Konstruiert mit Gleit-lagern für hohe Beanspruchungenerreicht der RR150 Verdichterver-hältnisse von bis zu 3,0 bei Volllast.

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RR-Turbolader

Die RR-Turbolader sind vor allem für den Einsatz auf schnelllaufenden4-Takt-Motoren vorgesehen. Währendder 1970er-Jahre machen diese Moto-ren gewaltige Fortschritte, was eine

Weiterentwicklung der Turboladerverlangt. Entsprechend führt BrownBoveri 1981 den RR153 ein. Er be-steht aus weniger Bauteilen als derRR150, ist 20% leichter, hat einen25% grösseren Volumenbereich undeinen höheren Wirkungsgrad. DieTurbine ist neu mit einem profilier-ten Düsenring ausgestattet, ansons-ten bleibt sie unverändert. Neu amRR153 ist auch das rückwärts ge-krümmte Verdichterrad. Es bedeuteteinen enormen Fortschritt.

Die Einführung der RR. .1-Generation1985 markiert einen weiteren Durch-bruch. Diese Generation ist komplett

neu. Sie setzt, hauptsächlich dankeiner innovativen Mixed-Flow-Tur-bine, neue Richtwerte für den Wir-kungsgrad solch kleiner Einheiten.In den kommenden Jahren trägt

1,5 2,0 2,5

Verdichter-Druckverhältnis

Turb

olad

er-W

irkun

gsgr

ad

3,0 3,5 �C [-]

�TC [%]

65

60

55

50

RR 151

RR 153

RR 150

Der RR. .1-Turbolader

Verdichterrad des RR 153-Turboladers mit rückwärts gekrümmten Schaufeln.

Steigerung des RR-Turbolader-Wirkungsgrades.

Krise im Schiffbau

Der Boom im Turbolader-Geschäfthält an bis in die frühen 1970er-Jahre,hauptsächlich dank einem starkenMarkt für Haupt- und Hilfsmotorenim Schiffbau. Dann, 1973, kommt dieÖlkrise. Der Preis je Barrel vervier-facht sich. Der Schiffbau kollabiert.Innerhalb kürzester Zeit werden ganze Flotten eingemottet.

Die wirtschaftlichen Prognosen Mitteder 1970er-Jahre sind – gelinde gesagt– spekulativ. Die Ölpreise steigenweiter und die Schwankungen in deninternationalen Währungen fordernihren Tribut. Nichtsdestotrotz scheintsich die Wirtschaft in der westlichenHemisphäre ab 1980 zu erholen. Dakaum neue Schiffe gebaut wordensind, werden die alten wieder inBetrieb genommen. Die Erholung istindes nur ein Strohfeuer. Mit demwirtschaftlichen Abschwung zu Be-ginn der 1980er-Jahre muss ein «3-Jahres-Wert» an Schiffskapazität ausdem Verkehr gezogen werden.

Japan und verschiedene andere neue Industrienationen wie Süd-korea, Singapur und Taiwan schaffenes, den Konjunktureinbruch zu ver-meiden, mehr noch, ihre Wirtschaftboomt zu dieser Zeit. Der Anteil vonWesteuropa an der weltweiten Schiff-bauindustrie geht erneut zurück,während Asien und insbesondereSüdkorea gewinnen. Ein kleinesTrostpflaster für die europäischenSchiffbauer ist die Tatsache, dass sieals Partner für hochwertige, speziali-sierte Schiffe mit stärkeren Motorengesucht bleiben.

der RR. .1 zur grossen Beliebtheitder schnelllaufenden Motoren bei.Ihre Einsatzgebiete reichen vonNotstromaggregaten über Schiffs-antrieb bis hin zu schweren Bau-maschinen. Konstruiert für Moto-ren mit 500 bis 1800 kW Leistung,ist es unter anderem auch das Ver-dienst desRR. .1, dassin Europaund in denUSA so vieleTurboladerauf Gasmoto-ren zum Ein-satz kamen.

Caterpillar 16-Zylinder-V-Motor

des Typs 3500 mit zwei RR 151-

Turboladern.

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Das Fährschiff der Silja-Line ist typisch für nach Mitte der 1970er-Jahre in Europa gebaute Spezialschiffe. Sie hat vier Wärtsilä-Pielstick 12 PC- und drei Wärtsilä Vasa 6R32-Dieselmotoren mit VTR 321- beziehungsweise VTR 251-Turboladern.

Die Auswirkungen auf

den 2-Takt-Markt …

Die Ölkrise bewirkt eine komplettneue Situation im 2-Takt-Markt. DerAnteil der Treibstoffkosten an denGesamtbetriebskosten steigt auf 30%(vorher 10%). Der Gesamtantriebs-wirkungsgrad wird so wichtig wieder Motorwirkungsgrad. Hochauf-geladene, langsamlaufende 2-Takt-Motoren gelten als die Lösung. DerMarkt entscheidet sich gegen um-kehrgespülte Motoren und wendetsich längsgespülten zu. Die 2-Takt-Motoren-Leistung steigt dramatisch.

… und auf den 4-Takt-Sektor

Ähnliche Entwicklungen gibt es auchim 4-Takt-Bereich, bei den mittel-schnelllaufenden Motoren. Obwohldiese nicht so sehr von einer hohenTurbolader-Effizienz abhängen, brin-gen hochaufgeladene 4-Takter einigeentscheidende wirtschaftliche Vorteile.

Ein wichtiger Punkt ist, dass sie nunneu mit Schweröl betrieben werdenkönnen. Die Bedeutung der Techno-logie in diesem Geschäft steigt undbedeutet für Brown Boveri, dassauch die enge Zusammenarbeit mitden 4-Takt-Motorenbauern weiterge-führt wird.

Der VTR/VTC. .4

Mitte der 1970er hat der VTR..1 dasOriginalkonzept des VTR bis an seine Grenzen ausgereizt. Deswegenliegt eine neue Turbolader-Baureihemit vollständig neu gestalteten Kom-ponenten auf dem Zeichnungstisch.Ohne die Einschränkungen des ers-ten VTR-Typs steigert der VTR..4den Wirkungsgrad um 5% und mehrund vermag das Druckverhältnis aufüber 4 zu steigern. Im Anschluss anPrototypen-Tests auf einem Sulzer-4-Takter wird der Lader im November1978 der Presse vorgestellt und imFolgejahr im Markt lanciert.

NTC-Nutzturbine

In den 1980ern entwickelt ABBdie NTC-Nutzturbine, um von denVorteilen des hohen Wirkungs-grades des VTR..4 zu profitieren.Dabei werden zusätzliche Abgase(ca. 10%) in die Turbine geleitet,welche wiederum via ein integra-les Reduktionsgetriebe mit derMotorenkurbelwelle gekoppelt ist.Sulzer übernimmt die Nutztur-bine für ihre RTA-Serien der 2-Takt-Motoren. Etwas später istSEMT die erste Firma, welche dieNutzturbine auf 4-Takt-Motoreneinsetzt (SEMT-Pielstick 4PC4.2).

Ab 1996 wird die Nutzturbinenicht mehr angeboten. Mittler-weile wird die Turboladerleis-tung innerhalb der Motoren bes-ser genutzt dank eines Anstiegesdes mittleren Arbeitsdruckes unddank maximalem Zylinderdruck.

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Sulzer-32’400-PS-2-Takt-Dieselmotor 9 RLA90 mit drei VTR 714-Turboladern,

gebaut von IHI, Japan.

4-Takt-Motoren mit VTC. .4-Turboladern in einem Kraftwerk.

Der VTR..4 ist Impulsgeber für neueEntwicklungen in der Dieselmoto-renkonstruktion. Durch die Erhöhungdes Gesamtwirkungsgrades der auf2-Takt-Motoren eingesetzten Turbo-lader von 60 – 62% auf 65 – 68%erreicht man einen spektakulärenAnstieg des thermischen Wirkungs-grades grosser Motoren von 38 – 40%bis zu Höchstwerten von 44 – 46%.

1980 kommt eine kompakte Versionmit vielen VTR..4-Komponenten,jedoch mit Innengleitlagern, auf denMarkt. Dieser neue VTC..4 machtden Weg frei für die Zusammenarbeitmit Caterpillar in den USA und lässtABB Ende 1980 zum Lieferanten fürBritish Rail werden.

1984 wird der Wirkungsgrad derVTR..4-Turbolader erneut gesteigert.Der VTR..4A erreicht Höchstwertevon 70%, hauptsächlich durch Ver-besserungen am Verdichter dank«dreidimensionaler» Konstruktion.

Ungekühlte VTR. .4-Turbolader

Der Original-VTR..4 wird mit einemtraditionellen wassergekühlten Gas-gehäuse konstruiert, denn alle altenProbleme mit der Gehäuse-Korro-sion sind in der Zwischenzeit eigent-lich gelöst – auch dank der Leis-

Schnittbild eines ungekühlten VTR. .4-Turboladers.

tungssteigerung der 2-Takt-Motoren,welche die Abgastemperatur erhöht.Mitte der 1970er-Jahre, während der Ölkrise, reduzieren die Schiffezwecks Brennstoffeinsparung aberihre Geschwindigkeit, womit die Ab-gastemperaturen wieder stark fallen.Damit wird Gehäusekorrosion erneutzum latenten Problem, auch deshalb,weil weniger reine, stark schwefel-

VTC..4-Turbolader

In den 1980er-Jahren werden die VTC..4-Turbolader erfolg-reich eingeführt. Der 1985 lan-cierte VTC254 wird bald zurStandardausrüstung für Caterpil-lars damals neue 3600 Diesel-und Gasmotoren.

In der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre, nach erfolgreichen Testsdes VTC304 auf einem ALCO 16-Zylinder-Motor, sind VTC-Turbolader auch auf indischenLokomotiven gefragt. Und noch2003 bestellt die chinesischeDalian Locomotive and RollingStock Works (DLRW) für ihreDF11G Hochgeschwindigkeits-Diesel-Lokomotiven VTC254-Turbolader.

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Verdichter-Druckverhältnis

Turb

olad

er-W

irkun

gsgr

ad

� tot [%]

70

65

60

1,5 2 2,5

VTR . .1VTR . .4VTR . .4DVTR . .4E

3,0 3,5 �c [-]

Anstieg des Wirkungsgrades der BBC-Turbolader (Spitzenwerte).

haltige Brennstoffe zum Einsatzkommen. Die Nachfrage nach «unge-kühlten» Turboladern steigt.

Brown Boveri nimmt ein ent-sprechendes Entwicklungsprojektin Angriff und entwickelt eine saubere Lösung für die Trennungder äusseren, tragenden (und kühl zu bleibenden) Gasgehäusevon den heissen Gaskanälen. DieseLösung wird auch für spätere Ver-sionen des VTR, zum Beispiel denVTR..4E beibehalten.

Turbolader VTR 304P, hier auf einem Ulstein-Bergen-Motor des Typs BR6.

VTR. .4E/4P/4D

Der VTR..4-Turbolader wird bis indie 1990er-Jahre mit Erfolg weiter-entwickelt. Der VTR..4E, lanciert1989, erreicht Wirkungsgrade bis zu75%, beim VTR..4P, der 1991 aufden Markt kommt, sind Druckver-hältnisse von mehr als 4 möglich.

In beiden Fällen spielt das Verdich-terrad eine Schlüsselrolle bei der verbesserten Leistungsfähigkeit. DasFünf-Achsen-Fräsen ermöglicht es,grosse Verdichterräder aus Alu-Legie-rungen in einem Stück zu fertigenund gleichzeitig die 3-D-Form zuverbessern. Die Belastungen im Ver-

dichterrad des VTR..4P werden starkreduziert, worauf Druckverhältnissevon bis zu 4,7 erreicht werden kön-nen. Dank des hohen Ladedrucks,den diese beiden Turbolader ermög-lichen (4,5 bei Volllast und 5 beiÜberlast), können mittelschnelllau-fende 4-Takt-Motoren ihr Potenzialfür einen höheren Mitteldruck miteinstufiger Turboaufladung bessernutzen.

Anfang 1990 wird klar, dass dieGrenzen erreicht sind. Die bestehendeBaureihe würde die Marktanforde-rungen früher oder später nicht mehrerfüllen können. Um der Nachfrage

Hochleistungs-VTR. .4E-Turbolader mit aussenliegenden Lagern.

Namensänderung

1988 fusionieren ASEA und BBC zuABB. In Übereinstimmung mit derneuen Firmenpolitik der Dezentra-lisierung wird im folgenden JahrABB Turbo Systems AG gegründet,die sich dem Turboladergeschäftannimmt. Der weltweit gute Rufder BBC-Turbolader wird nun aufden ABB-Turbolader übertragenund wird schon bald zusätzlichgestärkt. ABB bringt eine komplettneue Serie von Turboladern aufden Markt, zugeschnitten auf diefortgeschrittenen Motoren, die zu

dieser Zeit entwickelt werden. Sieverlangen anspruchsvollste Turbo-lader mit höheren Druckverhältnis-sen und Volumenbereichen sowiehöheren Wirkungsgrad. Zudemsteigen die Ansprüche der End-verbraucher im Zusammenhang mitVerlässlichkeit, Verlängerung derWartungsintervalle, Vereinfachungder Wartungsarbeiten sowie bezüg-lich Lebensdauer.

nach noch grösserer Turbo-laderleistung, beson-ders bei MAN B&W,gerecht zu werden,entscheidet sich ABB,

die Hochleis-tungsturbine

des VTR..4Emit dem Verdich-

ter des VTR..4P ineinem neuen Turbo-ladertyp, dem VTR..4D,zu verbinden. Da dazu

keine neuen Entwick-lungsarbeiten nötig sind, kommt

der VTR..4D bereits 1994/95 in dreiGrössen auf den Markt.

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DER BEGINN DES

MODERNEN ZEITALTERS

Der TPS/TPL-Generationen-

Sprung

In den frühen 1990er-Jahren ent-wickelt ABB eine komplett neueTurbolader-Generation. Sie müssenim Vergleich zu ihren VorgängernVTR, VTC und RR kompakter undleichter sein bei mindestens gleichhohen Wirkungsgraden. Zwei neueFamilien, der TPS für Motoren von500 bis 3000 KW Leistung, und derTPL für Motoren ab 2500 KW, wer-den von Grund auf neu konzipiert.

Bereits Mitte der 1980er-Jahre zei-gen ausführliche Marktstudien, dassin sämtlichen Marktsegmenten neueBenchmark-Turbolader notwendigwerden. Aber auch die Märkte selbstverändern sich. Die Konsolidierungin der Motorenbau-Industrie führtdazu, dass zunehmend weniger, da-für stärkere und innovativere Firmenden Markt bestimmen. Sie entwickelnneue Diesel- und Gas-Motoren, dievon den Turboladern neue Standardsbezüglich Leistung und Verlässlich-keit verlangen.

Die TPS-Lader

Seit der Markteinführung der erstenRR-Turbolader im Jahre 1968 hat sichder Markt für schnell- und mittel-schnelllaufende Diesel- und Gasmoto-

ren rapide verändert. ABB entwickeltdeshalb eine komplett neue Genera-tion kleiner Hochleistungsturbolader,welche die vorhersehbaren Bedürf-nisse jener Motoren abdecken, diezurzeit noch die kleinen VTR, VTCund RR-Lader nutzen: die TPS-Lader.

Neue Verdichter, neue Turbine

Mitte der 1990er-Jahre diktierenschnell ändernde Marktbedingungenund das Potenzial in der Verdichter-konstruktion ein schnelles Tempo inder Entwicklungsarbeit. ABB be-schliesst, zur Erfüllung der Anforde-rungen der Motoren zwei verschie-dene Verdichter zu entwickeln. DerTPS-Turbolader wird eingeführt mitdem neuen D-Verdichter für Druck-verhältnisse von bis zu 4,2 bei maxi-maler Dauerleistung und dem eben-falls neuen E-Verdichter für Druck-verhältnisse von bis zu 4,5. BeideVerdichter verfügen über Verdichter-schaufeln für hohe Luftstromratenund rückwärts gekrümmte Schaufelnam Austritt für ein weites Verdichter-kennfeld. Der Verdichterwirkungs-grad erreicht so einen Spitzenwertvon über 84%.

ABB entwickelt für die TPS-Baureiheeine neue Mixed-Flow-Turbine undDüsenringe mit der Möglichkeit fürTeil- und Volllast-Optimierung. DasTurbinenkonzept eignet sich für kons-tante Druckverhältnisse, aber auchfür Stossaufladung. Eine speziell be-

TPS. . -E-Verdichter und -Turbine

Qualifikationstest eines TPS 48-Turboladers auf einem Wärtsilä 4L20B-Motor.

schichtete Variante des Düsenringsist für Anwendungen erhältlich, beiwelchen minderwertiger Brennstoffgenutzt wird. Darüber hinaus ver-fügt er über ein neues, ölgekühltesLagergehäuse, welches Applikationenmit einer Turbinen-Eintrittstempera-tur von bis zu 680 °C bei konstanterLast ermöglicht.

Auf diversen Kunden-Motoren wer-den Test- und Prototyp-Versuche der TPS-Grössen 48, 52, 57 und 61durchgeführt. Die Tests des TPS 61Dbeispielsweise beinhalten im Jahr1997 Feldversuche auf einem LH41LA-Dieselmotor von Hanshin (3500 PS,235 Umdrehungen pro Minute).Hanshin konstruierte diesen 6-Zylin-der-4-Takt-Motor für den Einsatz auf Feeder-Schiffen der japanischenHandelsmarine. Dort würde er meistmit Schweröl laufen.

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5,5

5,0

4,5

4,0

3,5

3,0

2,5

2,0

1,5

0,5 1,0 1,5 2,0 2,5 3,0

Ver

dich

ter-

Dru

ckve

rhäl

tnis

Volumenstrom

Motorbetriebs-linie ohne Luft-rückführung

Motorbetriebsliniemit Luftrückführung

0,80

�C [-]

V298 [m3/s]

Verdichterrad des TPS. . -F33 mit Rezirkulationsschlitz in Einsatzwand.

Der TPS. . -F erhöht den Bench-

mark für Druckverhältnisse

Der in der Motorenentwicklung an-haltende Trend zu stets grössererspezifischer Leistung wird begleitet von einer ho-hen Dringlichkeit be-züglich Emissionsre-duktion. Dies hat zusehr modernen Moto-ren geführt, die auf ver-schiedene Versionen des Miller-Motors zurückgreifen(siehe Kastentext). Für dieseund für künftige fortschrittlicheMotoren hat ABB drei neue Bau-reihen entwickelt, welche den Be-reich von 500 bis 3300 kW abdecken.Die Erste, genannt TPS. . -F33, wirdAnfang 2000 im Markt lanciert. ZweiJahre später folgen die TPS. . -F32- undschliesslich im Jahre 2004 die TPS. .-F31-Baureihe. Basierend auf derTPS. . -D/E-Plattform erreichen diesemit einem Aluminium-Legierungs-Verdichter-Rad bei Volllast Druckver-hältnisse von bis zu 4,75, 5,0 und 5,2.

Der neue für die TPS. . -F-Reihe ent-wickelte Verdichter erlaubt eine15%-Vergrösserung des Volumen-stroms, der von der jeweiligenVerdichtergrösse abgedeckt werdenkann. Dies ist möglich, weil dieselbeVerdichterkonstruktion übernommenworden ist, wie beim TPL. Statt kon-ventionellem Trimmen, bei dem die

Schaufelhöhe auf den gewünschtenVolumenstrom angepasst wird, wirdhier der Volumenstrombereich beijedem Turbolader in drei so genannteDesign-Bereiche unterteilt. Dannwerden für jeden Bereich individuelleLeistungsziele formuliert, um an derGrenze des physikalisch Machbarendie jeweils optimale Verdichterkon-struktion zu ermöglichen.

Und: Der TPS. . -F war der erste ABB-Turbolader mit Rezirkulations-Technologie. Ein Schlitz rund um dieVerdichterschaufeln erhöht dank ver-bessertem Strömungsfeld den Pump-grenzabstand. Dieser Schlitz bewirkteine Vergrösserung der Kennfeld-breite ohne dabei die Leistung desVerdichters zu beeinträchtigen.

Verbessertes Ver-dichterkennfeld dank Luftrück-führung.

TPS. . -F-Turbolader

Die Emissionen und

der Miller-Zyklus

Während der ersten paar Jahredes neuen Jahrtausends habensich die Entwickler von Dieselmo-toren auf einen höheren effekti-ven Mitteldruck und niedrigerenBrennstoffverbrauch konzentriert.Darüber hinaus müssen Motoren-bauer und Endverbraucher auchdie Auswirkungen kommenderEmissionsgesetze in Betracht zie-hen. Um die strengeren Vorschrif-ten erfüllen zu können, braucht es Turbolader mit noch höherenVerdichter-Druckverhältnissen.

Eng verknüpft mit den Anstrengun-gen zur Verringerung der Abgas-emissionen ist der Miller-Zyklus,d.h. frühe (oder späte) Schlies-sung des Einlassventils. Voraus-gesetzt, Leistung und Ladedruckeines Motors sind konstant, wirddie Füllung reduziert und Druckund Temperatur in den Zylindernbleiben niedriger. Dies ist eine der wenigen Massnahmen, die bei einem Verbrennungsmotorgleichzeitig NOx-Emissionen undBrennstoffverbrauch reduziert. Da-bei braucht es aber einen be-trächtlich höheren Ladedruck, umdie Temperatur in den Zylindernniedrig zu halten.

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TPS mit variabler

Turbinengeometrie

Die Entwicklungen in den Diesel- undGas-Motoren-Märkten führen Mitteder 1990er-Jahre auch zu einer TPS-Version mit variabler Turbinengeome-trie (VTG). Einer der Gründe dafür

ist die zunehmende Beliebtheit vonDieselmotoren mit Ein-Rohr-Abgas-Systemen. Bei der Verwendung vonkonventionellen Turboladern tendie-ren diese Systeme dazu, den Teillast-Betrieb zu verschlechtern. LangsameBeschleunigung, hohe Rauchent-wicklung und Russpartikel-Emissionsind die Folge.

Die Gas-Motoren-Anforderungen sinddank erhöhter Leistung und effekti-vem Mitteldruck (bmep), der Fähig-keit auf grösseren Höhen zu funk-tionieren sowie kontrollierter Luft-Brennstoff-Verhältnisse beeindruckendgestiegen. Auch hier ist es nicht möglich, mit konventionellen Turbo-ladern zu arbeiten. VerschiedeneLösungen werden ausprobiert, unteranderem die Installation eines genauauf den Turbolader abgestimmtenLadedruckregelventils oder Drossel-mechanismus. Aber jede hat ihreMankos. Im 1000- bis 3000-kW-Segment ist die Nachfrage für einenTurbolader, der das Problem behe-ben würde, besonders hoch.

Ein «anpassbarer» Turbolader erscheintals ideale Lösung für beide Motor-typen. Abgesehen von der Eliminie-

TPS 57-Turbolader auf einem Wärtsilä W6L26-Dieselmotor.

Variabler Düsenringeines TPS 57-VTG-

Turboladers.

rung der Verluste am Ladedruck-regelventil ist ein Turbolader mitVTG flexibler in der Anwendung mitwechselnden Betriebs- oder Um-gebungs-Bedingungen. Die präziseKontrolle des Luft-Brennstoff-Ver-hältnisses, die so genannte «Lambda-Regulierung», wird mittels eines inno-vativen Düsenrings erreicht. Diesermacht es möglich, den effektivenTurbinenbereich zu variieren, ohnedie Wirkung der Turbine zu ver-schlechtern. Die Abstände zwischenden beweglichen Düsenschaufelnsind fast auf Null reduziert, dankFedern, die die Schaufeln gegen die gegenüberliegende Gehäuse-wand drücken.

Ein Turbolader mit VTG wird Ende1996 auf einem 3-Zylinder-Versuchs-Gas-Motor bei Ulstein Bergen in Nor-wegen erfolgreich getestet. Ein paarMonate später werden die erstenFeldversuche auf einem Gasmotor ineinem Kraftwerk durchgeführt. DieseFeldversuche zeigen einen signifi-kanten Gewinn bei der Motorenleis-tung. Als Resultat liefert ABB im Jahr1999 26 TPS57-VTG-Lader in zweiKraftwerke in Spanien, die mit 18-Zylinder-Ulstein-Bergen-Motoren be-stückt sind.

Das Debut des TPL

Das TPL-Konzept wird für grosse,moderne Diesel- und Gas-Motorenmit Motorenleistung ab 2500 kW undmehr entwickelt. Für diese konstruie-ren die ABB-Ingenieure eine neueaxiale Turbinen-Familie mit Schaufel-längen und Staffelungswinkeln, dieden gesamten Volumenstrom-Bereichabdecken. Auch die Lageranordnungist neu. Das Axialdrucklager verfügtüber eine schwimmende Lagerscheibemit beidseitigen Profilen, die sich mit ca. halber Rotorendrehzahl dreht.Dabei entsteht ein Ölfilm, der gleich-zeitig einen hohen Schutz gegen die Abnützung bildet. Die nicht rotierenden Lagerbuchsen befindensich in einem Quetsch-Öldämpfer.

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TPL 80-Turbolader

Quetsch-ÖldämpferLagerbuchse

AxiallagerSchwimmende Lagerscheibe

Anordnung der TPL-Lager.

Dank dieser neuen Technologie ver-doppelt sich die Lebensdauer derLager.

Um die ganze Bandbreite der Druckverhältnisse abzudecken, diees für moderne turboaufgeladeneMotoren braucht, werden zwei ver-schiedene Radialverdichterstufen ent-wickelt. Sowohl TPL- als auch TPS-Verdichterrad sind aerodynamischoptimiert. Zwischenschaufeln erlau-ben höhere Luftstromgeschwindig-keiten, rückwärts gekrümmte Schau-feln sorgen am Verdichteraustritt für ein breiteres Verdichterkennfeld.Neue F-Generationen-Verdichterstu-fen werden entwickelt, die eine be-achtliche Steigerung der Leistung,des maximalen Druckverhältnissessowie des spezifischen Schluckvolu-mens ermöglichen. Das letztere ver-zeichnet eine Zunahme von bis zu15% bei einem Druckverhältnis von4,5. Um für alle heute möglichen Einsatzgebiete gerüstet zu sein, wirddie Angebotspalette der Turbinen-gehäuse, inklusive optionaler Waste-gate-Verbindungen, erweitert.

Die ersten TPL-Prototypen und

Feldversuche

Ein sehr ausführliches Qualifikations-programm und thermodynamischeMessungen im Labor beweisen dieMöglichkeiten des TPL. Zwischen1996 und 1999 werden TPL-Lader auf verschiedenen Motoren getestet,darunter der Wärtsilä 12V38 und der Caterpillar MaK 16M32. Ein be-sonderes Highlight ist der Einsatz des ersten TPL80-A auf dem da-mals grössten mittelschnelllaufenden4-Takt-Motor der Welt, dem Wärtsilä6L64.

Zusätzlich zu den Motorentests wer-den gegen Ende 1996 Feldversuchemit dem TPL gestartet. Auf der FähreMS Polonia wird der Original-VTR354 auf dem Wärtsilä 6L38-Motor durch einen TPL69 ersetzt, umLangzeitergebnisse sowie statistischesBasismaterial bezüglich Lebensdauerder Komponenten zu erhalten. Wei-tere Feldversuche finden 1997 und1998 statt, so auch mit zwei TPL 73auf einem grossen 4-Takt-Schiffs-

motor. Zudem werden diverse Testsauf verschiedenen 2-Takt-Motorengrösserer Baureihen durchgeführt.

Der TPL. . -A wird lanciert

Als erster Lader der neuen TPL-Generation kommt der TPL. . -A aufden Markt. Diese Serie ist für moder-ne mittlere bis grosse 4-Takt-Diesel-und Gas-Motoren vorgesehen undwird schon bald nach ihrer Lancie-

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rung 1996 zum grossen Erfolg. ObHaupt- und Hilfsmotoren für kleineund grosse Schiffe oder stationäreDiesel- und Gaskraftwerke: DerTPL. . -A befriedigt alle Bedürfnisse.

Zwei Verdichter-Familien sind erhält-lich. Die eine bietet ein Druck-verhältnis von 4,2 mit hohen spezi-fischen Luftmengen und hohem Wirkungsgrad, die andere ist fürAnwendungen mit Druckverhältnis-

Die SchnellfähreCatalonia der

Buquebus-Linie, mitacht TPL 65-A-

Turboladern auf vierCaterpillar 3618-

Motoren, brach 1998den Rekord für dieschnellste Atlantik-

überquerung.

sen bis zu 4,5. Damit können Lader-Wirkungsgrade von 68% oder höhererreicht werden.

Die Schaufeln der TPL. . -A-Turbinensind mit einem Dämpferdraht ausge-stattet, um die Vibrationen zu dämp-fen, die heute bei der Stossaufladungvieler 4-Takt-Motoren auftreten. Fürdie kleineren TPL. . -A-Grössen ent-wickelt ABB eine einteilige, prä-zisionsgegossene Turbine.

1999 spielt der TPL. . -A eine Schlüs-selrolle bei der Entwicklung desAlstom-Motors Mirrlees Blackstone18-Zylinder MB430M, dem zu jenerZeit grössten je in Grossbritanniengebauten 4-Takt-Motor. Die beidenTPL77-A30-Einheiten für den Motorsind ebenfalls die grössten TPL-Baugrössen, welche bis dato zumEinsatz kommen. ABB liefert MirrleesBlackstone für diese ApplikationEngineering Support in Form vonSimulations-Berechnungen.

Fünf Baugrössen des TPL. . -A sind in Serienproduktion. Sie decken die Anforderungen von modernen 4-Takt-Diesel- und Gas-Motoren mit2500 bis 12’500 kW ab.

Der TPL..-B übernimmt

den 2-Takt-Markt

1999 werden die TPL. . -B-Turboladerlanciert. Sie sind in erster Linie fürgrosse, moderne 2-Takt-Schiffsdiesel-motoren mit 5000 bis 25’000 kW Leistung pro Turbolader gedacht.Der weltweite Bedarf nach immergrösseren seetauglichen Schiffen isthoch und neue, stärkere Motoren fürsolche Schiffe sind in Entwicklung.

Da die Gleichdruck-Aufladesysteme,die auf den 2-Takt-Motoren zurAnwendung kommen, nur schwacheAbgasstösse produzieren, sind dieEinlassbedingungen für die TPL. . -B-Turbine konstant. Entsprechend gibtes keinen Bedarf nach Dämpfer-draht. Dies bringt bis zu 3 zusätzlicheProzentpunkte an die bereits hoheTurbinenwirksamkeit. Robustheit istaber trotzdem gewährleistet durchdie Konstruktion der Turbine mitweniger, dafür stärkeren Schaufeln.

Zur weiteren Vergrösserung desVolumenstroms und um eine opti-mierte Anpassung an die Motoren-Applikationen zu gewährleisten, ver-grössern die ABB-Ingenieure denDurchmesser des TPL-B-Verdichters.Dank der Verdichterkonstruktion mit

Caterpillar MaK16M32-Dieselmotormit zwei TPL 65-D-

Turboladern.

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TPL. . -A-Turbinenschaufeln mit Dämpferdraht.

TPR – der neue Eisenbahn-Turbolader

2002 wird der TPR, ein neuerTurbolader für Diesellokomotiven,lanciert. Er erfüllt die Bedürfnissenach zusätzlicher Leistung undgrösserer Robustheit bei bessererUmweltverträglichkeit. Basierendauf dem TPL-Design, ist der TPRausgestattet mit einer integralenHochleistungsturbine ohne Dämp-

ferdraht, einem verbesserten Gas-eintrittsgehäuse mit einem Eintrittund einzigartiger Befestigung. DerFreigabe des Turboladers gehen50’000 Stunden Feldtests voran,ausgeführt mit zehn TPR61 bei denIndischen Eisenbahnen. Die er-folgreichen Tests lösen auch inChina grosses Interesse aus.

rückwärts gekrümmten Schaufeln mitZwischenschaufeln können maximaleWirkungsgrade von über 87% er-reicht werden.

Unterhalt- und Serviceüberlegungenfliessen ebenfalls bereits in die Ent-wicklungsphase des TPL. . -B ein.

Ein besonderes Augenmerk liegt da-bei auf der Demontage von Lagern,Rotor, Düsenring und Turbinen-Diffusor.

Anfangs sind vier Baugrössen geplant.Das scheint ausreichend zur Be-friedigung der mittelfristigen Marktbe-

TPL. . -B-Turbolader wurden hauptsächlich für moderne, starke 2-Takt-Motoren grosser Containerschiffe konstruiert.

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dürfnisse. Der Entscheid, einen fünf-ten, noch mächtigeren Turbolader,den TPL91, zu entwickeln, basiertauf den Plänen der Schiffbauer, gegenEnde des Milleniums Post-PanamaxContainer-Schiffe zu bauen. Die ABB-Ingenieure sollen also Turboladerkonstruieren, die auf Motoren miteiner Nutzleistung von über 100’000PS zum Einsatz kommen und trotz-dem noch kompakt sind. Dieses Zielwird erreicht mit der Konstruktioneines neuen, kürzeren Rotors sowieeiner neuen Gleichdruck-Turbineund Diffusor. Die Montage auf demMotor wird dank Integration vonÖltank und Entlüftung einfacher. ImNovember 2004 werden drei TPL 91-B12 auf dem weltgrössten elektro-nisch kontrollierten MAN B&W-Motor

12K98ME bei Hyundai Heavy Indu-stries in Korea für offizielles Testenauf Volllast (93’360 PS Motorenleis-tung) installiert.

TPL. . -C: Ausgerichtet auf

künftige 4-Takt-Anwendungen

Der 4-Takt-Markt drängt kontinuier-lich auf mehr Leistung und wenigerEmissionen. Deshalb wird auf Basisder modularen TPL-Plattform eineneue TPL. . -C-Serie entwickelt. Sieführt neue Komponenten und inno-vative Technologien ein, die speziellauf kommende Marktanforderungenausgerichtet sind. Neben wirtschaft-lichen und betriebsbedingten Über-legungen stehen die Anforderungen

TPL 91-B-Turbolader

Versuchsreihe miteinem TPL 85-B-

Turbolader auf einemvon HHM (Hudong

Heavy MachineryCo.), China, unter

Lizenz hergestelltenMAN B&W 6S70MC-

Motor.

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bezüglich der verlangten NOx-Reduk-tion im Vordergrund. Um die von derInternational Maritime Organization(IMO) und der Weltbank vorgegebe-nen Ziele in diesem Zusammenhangzu erreichen, ist eine Verbesserungdes Verbrennungsvorgangs und desAufladesystems entscheidend.

Die Eigenschaften des TPL. . -C-Turboladers sind abgestimmt auf die Anforderungen künftiger mittel-schnelllaufender 4-Takt-Diesel- undGasmotoren mit 3000 bis 10’000 kWLeistung pro Turbolader. Die Tur-bine der beiden kleineren Grössen(TPL67-C und TPL71-C) ist für Quasi-Gleichdruck sowie Stossauf-ladung konstruiert und entsprechendmit einem Dämpferdraht ausgestat-tet. Die Turbine des TPL76-C dage-gen ist nur für Quasi-Gleichdruck-Systeme vorgesehen und deshalb mit der ABB-«wide chord»-Konstruk-tion versehen. Die beiden für denTPL. . -C-Turbolader erhältlichen Ver-dichter haben die gleiche Basis-konstruktion wie diejenigen derTPS. . -F-Serie, berücksichtigen abervollumfänglich die Grenzbereicheder verschiedenen TPL-Serien.

Zudem haben TPL. . -C-Verdichter undTPS. .-F-Verdichter dieselbe Rezir-kulationstechnik. Durch Vermeidungvon Sekundärströmen wird auch derVerdichterlärm vermindert, besondersbei Teillast. Optionale Verdichter-kühlung ist eine weitere Besonder-heit. Sie erlaubt die Ausweitung derAnwendungsgebiete für Verdichter-räder aus Aluminium-Legierung undist, sofern höhere Druckverhältnissegefordert sind, eine wirtschaftlichereAlternative zu den Titanium-Verdich-tern.

Der TPL. . -C bucht bereits einenersten Erfolg mit dem Entscheid von Caterpillar im Jahr 2004, denTPL71-C auf der neuen C-Version des in Deutschland gebauten mittel-schnellaufenden MaK M43 6-Zylinder-Langhub-Motors anzubauen. Zudemnimmt Caterpillar den TPL. . -C-Turbo-lader in die Spezifikationen der 7-, 8- und 9-Zylinder-Modelle auf.

EIN JAHRHUNDERT

DES FORTSCHRITTS

Ein Blick zurück

In den 100 Jahren, die seit der An-meldung des berühmten Patentesvon Alfred Büchi vergangen sind,wird der Abgasturbolader zum uner-setzbaren Bestandteil der Diesel- undGas-Motoren-Industrie. Die über dieJahrzehnte gemachten hohen Investi-tionen in Forschung und Entwick-lung haben Quantensprünge ge-bracht bezüglich Technologie undKonstruktion. Ingenieure aus ver-schiedenen Fachgebieten haben ihrenerfinderischen Geist kombiniert, umauftretende Probleme anzugehen.Sie fanden immer wieder Lösungen,die die Motoren-Aufladung vorwärtsbrachten.

ABB Turbo Systems respektive BrownBoveri hatte als Teil des Büchi-Syndi-kats das Glück, schon früh mit Motorenbauern aus aller Welt in Kon-takt zu sein. Dies ermöglichte uns, die Industrie im Ingenieurwesen zuunterstützen und voranzubringen.Dabei war die Lernkurve gegenseitig.Oft brachten die Erfahrungen ausdem Feld unsere Entwicklungsinge-nieure auf die richtige Spur, wenn es darum ging, Schlüsselkomponen-ten und -prozesse zu verbessern.Dennoch: Hauptantrieb für uns warimmer der Markt. Nichts dokumen-tiert diese Tatsache besser als derFortschritt, der über die Jahre in der Turboladerleistung verlangt undauch erreicht wurde. Oder hätte sichAlfred Büchi je einen Wirkungsgradvon über 70% oder Druckverhält-nisse von über 5,2 vorstellen können?

Ein Blick nach vorne

Eine stolze Vergangenheit ist nichtswert, wenn sie nicht dazu anregt,noch besser zu werden. Es war dasBekenntnis zum Besser-Sein, das denTPL 76-C-Turbolader

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Hauptsitz der ABB Turbo Systems in Baden.

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Volumenstrom

6,00 7,00 V298 [m3/s]

2003 2004

2003

1996

1992

19781989

1970

1960

1996(2005)

Entwicklung der Verdichterkennzahlen

der ABB-Turboladerseit 1960 (bei Volllast,

mit Aluminium-Verdichter).

Bemerkung: Die ersten beiden Teile diesesArtikels – «Das Pionierzeitalter» und «DerDurchbruch der Turboaufladung» – basierenauf dem Buch «Der BBC-Turbolader – Ge-schichte eines Schweizer Erfolges» vonErnst Jenny. Weitere Quellen waren unteranderen Ausgaben des Turbo Magazine der Jahre 1990 bis 2005, die BBC/ABBReview sowie von CIMAC, ASME und ISMEpublizierte wissenschaftliche Berichte. Einbesonderer Dank des Autors geht an EskoLaustela, Hansruedi Born und Peter Spenglerfür die Überprüfung des Manuskriptes.

ersten VTR..0, dann den VTR..1,den VTR..4 und den RR möglich undletzlich erfolgreich machte. Und eshat die TPS- und TPL-Generationenzu deren würdigen Nachfolgern wer-den lassen. Seit der erste VT402 imJahr 1924 unsere Badener Fabrik ver-liess, gelten BBC/ABB-Lader alsMassstab für den neusten Stand derTechnik.

Die konstante Verbesserung derLeistung von Turboladern und Moto-ren basierte in all den Jahren auf derengen Zusammenarbeit von ABB mitden führenden Motorenbauern. Siebestimmt bis heute die Entwick-lungsziele und definiert, was dasAufladesystem erfüllen muss. Dieserintegrierte Ansatz sieht den Turbo-lader nicht einfach als Komponente,sondern als wichtigen Bestandteileines Ganzen. Anpassbare Turbo-lader-Komponenten oder mehrstu-fige Aufladung sind zwei der ver-schiedenen Möglichkeiten, die die-sen Anspruch erfüllen könnten.

Neue Produkte für einen

neuen Zeitabschnitt

ABB Turbo Systems setzt auf dieWeiterführung der engen Zusammen-arbeit mit den Motorenbauern unddarauf, Marktführer zu bleiben: Mit

Produkten für den kommendenMarkt – wie der TPL 65VA, der ersteTurbolader der Welt mit Axialturbineund variabler Turbinengeometrie –oder der nächsten Generation der er-folgreichen TPL. . -B-Baureihe. Eben-falls in Entwicklung sind neue Ladermit sehr hohen Verdichterverhält-nissen für die künftigen schnelllau-fenden Gasmotoren.

Zurzeit rückt auch der Erdöl-Preiswieder ins Zentrum der Aufmerk-samkeit – und damit die traditionelleRolle des Turboladers als Energie-Sparer. Die Nachfrage nach höherenLadedrücken und Wirkungsgraden,verbunden mit dem Zwang zurReduktion der schädlichen Emissio-nen im Schiffsverkehr, verlangt tech-nologisch fortschrittliche Turbolader.Mit ihren State-of-the-Art-Entwick-lungen, Test- und Produktions-An-lagen ist ABB Turbo Systems gutpositioniert, um hier Unterstützungbieten zu können. Alfred Büchis Erbeist in guten Händen.

❯ Malcolm Summers

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Herausgeber:ABB Turbo Systems AG

Redaktion:Malcolm Summers

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oyecomm, Zürich:Deutsche Bearbeitung

Domino Style & Type AG: Layout und Satz

Katharina Blarer, Zürich:Korrektorat

Michael Reinhard, Herrliberg, Schweiz:Titelbild

Nachdruck bei vollständiger Quellenangabe gestattet.

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