Über Die Auswirkungen Des Internets Auf Unsere Sprache

6
Preprint. Erschienen in: Hubert Burda, Mathias Döpfner, Bodo Hombach & Jürgen Rüttgers (Hrsg.): 2020 – Gedanken zur Zukunft des Internets. Essen: Klartext Verlag, S. 219-224. Angelika Storrer Über die Auswirkungen des Internets auf unsere Sprache „Die meisten Menschen bei uns in Deutschland legen nur noch wenig Wert auf eine gute Ausdrucksweise. Die deutsche Sprache droht immer mehr zu verkom- men.“ Dieser Einschätzung stimmten 65 Prozent der Befragten einer repräsenta- tiven Umfrage zu, die 2008 vom Institut für Demoskopie Allensbach im Auftrag der Gesellschaft für deutsche Sprache (DGfS) und des deutschen Sprachrats durchgeführt wurde 1 . 43 Prozent der Befragten nannten als eine der Ursachen für den Sprachverfall, dass „beim Austausch von SMS und E-Mails wenig auf eine gute Ausdrucksweise geachtet wird“. Auch in Presse und Öffentlichkeit über- wiegt die Sorge, dass sich Sprache und Schreibfähigkeiten durch neue Medien und das Internet verschlechtern. Um es vorwegzunehmen: Die sprachwissenschaftliche Forschung zur Netz- kommunikation beurteilt die Entwicklung einhellig optimistischer. Natürlich ver- ändert das Internet unsere Sprache, die Veränderungen beschränken sich aber auf die geschriebene Sprache und lassen sich als Ausdifferenzierung schriftlicher Textsorten mit charakteristischen Formulierungsmustern einordnen. Viele schriftliche Produkte der Netzkommunikation weichen zwar von den normativen Erwartungen ab, die man gemeinhin professionell redigierten Texten entgegen- bringt. Die Abweichungen lassen sich aber durch die veränderten Rahmenbedin- gungen erklären, unter denen das Lesen und Schreiben im Netz erfolgt. Es gibt keine Indizien dafür, dass Textsortenbereiche, für die sprachliche Elaboriertheit wichtig ist, von den informellen Schreibmustern im Netz beeinflusst werden. Auch gibt es bislang keine Hinweise darauf, dass sich schulische Schreibfähig- keiten durch das Schreiben im Netz verschlechtern; empirische Untersuchungen legen im Gegenteil nahe, dass Jugendliche in der Regel durchaus zwischen ver- schiedenen Sprachstilen und Registern unterscheiden können. 1 http://www.gfds.de/presse/pressemitteilungen/130608-einstellung-der-deutschen-zur- sprache/einstellung-der-deutschen-zu-den-deutschen-dialekten/

description

Über die Auswirkungen des Internets auf unsere Sprache

Transcript of Über Die Auswirkungen Des Internets Auf Unsere Sprache

Preprint. Erschienen in: Hubert Burda, Mathias Dpfner, Bodo Hombach & Jrgen Rttgers (Hrsg.): 2020 Gedanken zur Zukunft des Internets. Essen: Klartext Verlag, S. 219-224. Angelika Storrer ber die Auswirkungen des Internets auf unsere Sprache Die meisten Menschen bei uns in Deutschland legen nur noch wenig Wert auf eine gute Ausdrucksweise. Die deutsche Sprache droht immer mehr zu verkom-men. Dieser Einschtzung stimmten 65 Prozent der Befragten einer reprsenta-tiven Umfrage zu, die 2008 vom Institut fr Demoskopie Allensbach im Auftrag derGesellschaftfrdeutscheSprache(DGfS)unddesdeutschenSprachrats durchgefhrt wurde1. 43 Prozent der Befragten nannten als eine der Ursachen fr denSprachverfall,dassbeimAustauschvonSMSundE-Mailswenigaufeine guteAusdrucksweisegeachtetwird.AuchinPresseundffentlichkeitber-wiegtdieSorge,dasssichSpracheundSchreibfhigkeitendurchneueMedien und das Internet verschlechtern.Um es vorwegzunehmen: Die sprachwissenschaftliche Forschung zur Netz-kommunikation beurteilt die Entwicklung einhellig optimistischer. Natrlich ver-ndert das Internet unsere Sprache, die Vernderungen beschrnken sich aber auf diegeschriebeneSpracheundlassensichalsAusdifferenzierungschriftlicher TextsortenmitcharakteristischenFormulierungsmusterneinordnen.Viele schriftliche Produkte der Netzkommunikation weichen zwar von den normativen Erwartungenab,diemangemeinhinprofessionellredigiertenTextenentgegen-bringt. Die Abweichungen lassen sich aber durch die vernderten Rahmenbedin-gungenerklren,unterdenendasLesenundSchreibenimNetzerfolgt.Esgibt keineIndiziendafr,dassTextsortenbereiche,frdiesprachlicheElaboriertheit wichtigist,vondeninformellenSchreibmusternimNetzbeeinflusstwerden. AuchgibtesbislangkeineHinweisedarauf,dasssichschulischeSchreibfhig-keitendurchdasSchreibenimNetzverschlechtern;empirischeUntersuchungen legenimGegenteilnahe,dassJugendlicheinderRegeldurchauszwischenver-schiedenen Sprachstilen und Registern unterscheiden knnen. 1 http://www.gfds.de/presse/pressemitteilungen/130608-einstellung-der-deutschen-zur-sprache/einstellung-der-deutschen-zu-den-deutschen-dialekten/ 2Schreiben unter vernderten Bedingungen Aus medienlinguistischer Perspektive ist das Internet ein Medium, das die Funk-tionsbereicheschriftsprachlichenHandelnsdeutlicherweiterthat.Weilmanmit E-Mails vielfach nicht nur die gelbe Post und Fax, sondern auch das Telefonat ersetzt,verlagertsicheinTeilderbislangmndlichgefhrtenGesprcheindie Schriftlichkeit.DasInternetbietetzudemberuflichundprivatvieleneue Schreibanlsse: Soziale Netzwerke, Mailinglisten, Foren, Blogs und Chatrooms indiesenDienstenwirdberwiegendschriftsprachlichkommuniziert.Jugendli-che und Studierende halten ber Plattformen wie SchlerVZ oder StudiVZ auch schriftlichKontaktmitihrerPeergroup.GetippteBotschaftenlassensichper SMS, Instant Messaging oder Twitter verschicken. Insgesamt wird durch das In-ternet mehr geschrieben als je zuvor. Hierdurch hat sich fr viele Menschen das Aufkommen schriftbasierter Kommunikation deutlich erhht. Dies wird kompen-siert durch beschleunigtes Schreiben, das seine Spuren in den dabei entstehenden Produktenhinterlsst:GehuftfindetmanVerdreherundTippfehler,aberauch Orthografie-undSatzbaufehler,dienichtmangelhafterRechtschreib-und Grammatikkompetenz,sonderndereiligenTextproduktiongeschuldetsind.Ge-schrieben wird nicht nur am Schreibtisch, sondern auch unterwegs, teilweise un-terMultitasking-Bedingungen;diesziehtAufmerksamkeitabundbegnstigt Flchtigkeitsfehler.DieRezipientensindallerdingsmeistgeneigt,berFehler hinwegzusehen und Mngel zu tolerieren. Viele Angebote im sozialen Netz funk-tionierenschlielichnur,weilvieleNutzerInformationenbeisteuernknnen, ohne groen Aufwand in die Textbearbeitung stecken zu mssen bei einer On-line-Hotelbewertung beispielsweise sind inhaltliche Verlsslichkeit und Relevanz wichtigeralsdiegeschliffeneFormulierung.InvielenBereichenffentlicher NetzkommunikationwerdendeshalbinhaltlicheRelevanz,AktualittundEnga-gementfrdasAnliegenderCommunityhherbewertetalssprachlicheund formale Korrektheit. Getippte Gesprche DasSchreibengewinntdurchdasInternetnichtnuranBedeutung,eserfolgt auchunterverndertenRandbedingungen:DigitalschriftlsstsichinSekunden-schnelleberweiteEntfernungentransportierenundermglichtdamitdensehr raschen,schriftbasiertenAustauschvonBotschaftenzwischenweitentfernten Kommunikationspartnern.SchriftlichkeitkanndadurchneueFunktioneninei-nemBereichbernehmen,derbislangderMndlichkeitvorbehaltenwar,nm-lichinderinformellen,dialogischenKommunikation.DiesekanninChatoder Instant Messaging sogar in Echtzeit erfolgen, wobei sich die Beteiligten weniger alsAutorenvonTextbeitrgen,sondernvielmehralsTeilnehmervongetippten 3Unterhaltungen verstehen. Die handlungsleitende Metapher ist also das informel-leGesprch(tochat=plaudern,sichunterhalten)ineinemvirtuellen Chatraum;entsprechendorientiertsichauchdersprachlicheDuktusander Mndlichkeit. Dabei entwickeln sich neue Konventionen zur schriftlichen Nach-bildung von Lautstrke, Betonung und Pausen. Weil beim getippten Gesprch im virtuellen Chatraum die ber Mimik und Gestik bermittelten Informationen feh-len, bilden sich Verfahren heraus, mit denen schriftliche Beitrge um emotionale Einstellungenangereichertwerden.Hierzugehrendasinzwischenauchinder mndlichen Jugendsprache verwendete Akronym lol (laughing out loud) sowie diesog.Smileys,dieinzwischenaufvielenPlattformenauchalsvorgefertigte Icons zur Verfgung stehen. Hierzu zhlen auch die aus der Comicsprache be-kannten Bildungen wie seufz, knuddel und wink, die wegen der fehlenden FlexionsendungalsInflektivebezeichnetwerden.MitInflektivkonstruktionen wieaugenverdreh,unschuldigguckodernaseschneuzlsstsichder ChatrauminderspielerischenInteraktionweiterausgestalten.DiesealsNetz-jargonoderNetzsprachebezeichnetenSprachmittelwerdenallerdingsvor-nehmlich in informellen Kontexten benutzt. In einer an der TU Dortmund aufge-bautenSammlungvonChatmitschnittenausverschiedenenFunktionsbereichen2 kannmannachweisen,dassSmileys,InflektiveundAkronymewielolhaupt-schlich in Freizeitchats genutzt werden, whrend sie im E-Learning, in der On-line-BeratungoderinExperten-ChatsimAnschlussanFernsehsendungendeut-lichseltenerzufindensind.DerVergleichderMitschnitteausverschiedenen EinsatzbereichenzeigtauchinBezugaufandereParameterBeitragslnge, Tippfehler,syntaktischeElaborierheitdeutlicheUnterschiedezwischenden verschiedenen Handlungsbereichen. Die Nutzerinnen und Nutzer passen also ih-renSchreibstilauchinderNetzkommunikation bewusst oder unbewusst an Ad-ressatenundKontextan,sowiemanumeinenanderenBereichdesStilszu whlen fr die Hochzeitfeier der Schwester ja normalerweise auch eine andere Kleidung whlt als fr die Grillparty bei Freunden.Verschiedene Schreibstile AuchmedienlinguistischeStudienzurSprachvariationinE-Mails,Forenund Blogsdokumentieren,dassdiekommunikativeFunktiondiesprachlicheForm dominiert. Vor diesem Hintergrund gibt es also keinen Grund zur Annahme, dass dermndlichgeprgteUmgangmitSchriftlichkeitinChatsundForennegative Auswirkungen auf Textsorten hat, bei denen die Einhaltung orthographischer und grammatischerNormenwichtigist.IndervielgenutztenOnline-Enzyklopdie 2 http://www.chatkorpus.tu-dortmund.de 4Wikipedia lsst sich sogar sehr schn beobachten, wie sich mndlich und schrift-sprachlichorientierteSchreibstileergnzen.WhrenddieArtikeltexteinelabo-rierterSchriftlichkeitundberwiegendnormkonformverfasstsind,findetman aufdenDiskussionsseiten,aufdenensichAutorenundNutzerberInhalteund redaktionelleProzesseaustauschen,vielfacheinenmndlichgeprgtenSprach-duktusundSpureneiligerundflchtigerTextproduktion.IneineranderTU Dortmund entstandenen studentischen Abschlussarbeit, in der die gesamten Arti-kel- und Diskussionsseiten der deutschen Wikipedia computergesttzt ausgewer-tet wurden, lieen sich diese Unterscheide auch quantitativ belegen. Auf den Ar-tikelseiten fanden sich beispielsweise nur vier echte Treffer fr Smileys und kein einziger echter Treffer fr lol, freu oder lach, sondern lediglich metakom-munikativenBeschreibungendieserElementeindenArtikelnzurSpracheim Internet. Auf den Diskussionsseiten hingegen gab es 605 echte Belege fr lol, 193frfreuund171frlach.DieAutorenderWikipediasindalsooffen-sichtlichdurchausinderLage,zwischenverschiedenenSchreibstilenzudiffe-renzieren. Dass auch die Textsorten der journalistischen Prosa bislang noch we-nigvomNetzjagoninfiziertsind,kannmaninZeitendesInternetsrechtein-fachdemonstrieren.IndenZeitungskorpora,dieanderBerlin-BrandenburgischenAkademiederWissenschaftenonlineverfgbarsind3,findet manebenfallskeineneinzigenechtenBelegfrlolunddiechattypischenIn-flektive lach, freu und wink, sondern lediglich wenige metakommunikati-veVerwendungeninBeitrgenzumThemaNetzsprache.Dieseundandere Datensprechenalsodafr,dieVernderungenderSchriftlichkeitinderNetz-kommunikationalsProzessedesAusbausderSchriftsprachefrneue,ander MndlichkeitorientierteHandlungsbereichezudeutenunddavonauszugehen, dass im erweiterten Spektrum schriftlicher Textsorten die elaborierte Schriftlich-keit ihren Stellenwert beibehlt.Einfluss auf Schreibkompetenzen? TextsortenvielfaltundfunktionalerAusbauderSchriftstattVerluderungund VerarmungmitdieserSichtaufdieVernderungenderSprachedurchdasIn-ternet erntet man gegenber Journalisten oder auch im Freundeskreis oft unglu-bigesStaunenundkaumverhohleneSkepsis.Unstrittigbleibtja,dassviele SchriftproduktederNetzkommunikationerheblichvondenAnforderungenab-weichen,dieangrammatischundorthographischnormkonformeTextegestellt werden. Wird sich der neue Schreibstil denn nicht negativ auf die Schreibkompe-tenzen der Jugendlichen auswirken, speziell die der digital natives, die Schrift-sprache berwiegend in digitaler Form wahrnehmen? 3 http://www.dwds.de 5Diese Befrchtungen sind verstndlich, es gibt allerdings bislang keine em-pirischen Indizien dafr, dass sie begrndet sind. In der Stanford Study of Wri-ting" untersuchte Prof. Andrea Lunsford und ihr Team von 2001 bis 2006 ca. ca. 15.000 englische Schrifttexte von Studierenden; die Ergebnisse liefern keine An-haltspunktefreineVerschlechterungderSchreibfhigkeiten4.Interessantsind dieErgebnissedesvonProf.HorstSittaundMitarbeiteranderUniversittZ-rich durchgefhrten Sprachqualittenprojekts. Die vergleichende Analyse einer SammlungvonMaturaarbeiten(dieschweizerischeEntsprechungderdeutschen Abiturarbeiten)ausdemZeitraumzwischen1881und1991ergabzwarkeine Hinweisedarauf,dasssichdieQualittderuntersuchtenArbeitenimLaufedes Untersuchungszeitraumsgenerellverschlechterthtte.MitdemzumimProjekt entwickelten Raster von Textbewertungsdimensionen lie sich aber nachweisen, dass die neueren Arbeiten in Wortwahl und Satzbau hufiger Merkmale aufwei-sen,diefrdenDuktusdergesprochenenSprachetypischsind,alsdielteren Arbeiten5.DieserBefundistimKontextderNetzkommunikationdeshalbinte-ressant,weilerdokumentiert,dassesschonvorderVerbreitungdesInternets einenTrendzueinemstrkermndlichgeprgtenSchreibstilgab.Imnochlau-fenden Projekt Schreibkompetenz und neue Medien6 entwickelten Prof. Christa DrscheidundihreMitarbeiteranderUniversittZrichdasimSprachqualit-tenprojektgenutzteTextbewertungsrasterweiter,umAufstzeausdemschuli-schenDeutschunterrichtmitderperSMS,E-MailundChatgefhrtenschriftli-chenFreizeitkommunikationderselbenJugendlichenzuvergleichen.Dieersten ErgebnissediesesProjektsbesttigenzwardenbereitsimSprachqualittenpro-jekt diagnostizierten Trend zu einem strker mndlich orientierten Schreibstil; sie zeigenaberauch,dassdieJugendlichensehrwohlzwischendemprivatenund demschulischenSchreibenunterscheidenundhierfrunterschiedlicheRegister nutzen. Die Zwischenbilanz der Projektleiterin lautet: Weder das Sprechen noch dasSchreibenderJugendlichenwirddurchdenumgangssprachlichenTonin SMSundChatbeeinflusst.AbundzuseiinAufstzeneinSmileygefunden worden, das sei alles7.Sicherlichisteswnschenswert,dieVernderungenderSchreibkompeten-zen weiter empirisch zu erforschen. Gerade wenn Kinder und Jugendliche schon frhmitdenneuenSchreibformenimNetzumgehen,isteswichtig,dieBeson-derheiten der netzbasierten Schreibformen im Unterricht bewusst zu machen und 4 http://ssw.stanford.edu/resaerch/research.php5 Sieber, Peter (1998): Parlando in Texten. Zur Vernderung kommunikativer Grundmuster in der Schriftlichkeit. Tbingen. 6 http://www.schreibkompetenz.uzh.ch/ 7 http://www.thurgauerzeitung.ch/thurgau/dossier/mostindia/ii-gshloofe-werdm-TV-luege/ story/23672816/print.html 6dieKompetenzzursituationsadquatenWahlschriftsprachlicherMittelbeiBe-darf gezielt zu frdern. Hierzu gibt es bereits Unterrichtsvorschlge fr verschie-deneSchulformenundKlassenstufen.DieReflexionberdieneuenSchreibfor-menlsstsichsehrgutintegrierenindasgenerelleLeitzielderSchreibdidaktik, die Textsortenkompetenz von Jugendlichen zu entwickeln, die bentigt wird, um inverschiedenenSituationenundinBezugaufunterschiedlicheAdressatenaus den verschiedenen Registern eine sinnvolle und angemessene Wahl zu treffen.