Über ein Dorsalflexionsphänomen der großen Zehe

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(Aus der Deutschen psychiatrischen Universiti~tsklinik Prof. Dr. O. P6tzl in Prag.) ~ber ein Dorsalflexionsph~nomen der groBen Zehe. Von Dr. Robert Klein, Assistent der Klinik. (Eingegangen am 24. Mai 1928.) Bei einem Falle von unklarer Genese mit leichten meningealen Er- scheinungen -- der Fall wird spi~ter genauer angefiihrt -- konnte, wenn man bei der Priifung auf Kernig bei gebeugtem Htift- und Kniegelenk das letztere streckte, eine isolierte Dorsalflexion der groBen Zehe beob- achtet werden. Es lag bei diesem Falle nahe, das Auftreten dieses Sym- ptoms mit den meningealen Erscheinungen in Zusammenhang zu bringen, zumal der Kernig deutlich positiv war, Pat. bei der Priifung lebhafte Schmerz~ul~erungen yon sich gab. Eines war jedoch immerhin auffallend und liel~ an einem direkten Zusammenhang mit dem Meningismus Zweifel aufkommen, dab w~hrend bei der Priifung auf Kernig absolut keine Seitendifferenz festzustellen war, die isolierte Dorsalflexion der groBen Zehe bei der geschilderten passiven Bewegung auf dem einen Beine ganz ausgesprochen auftrat, am anderen Beine nur leicht angedeutet war. Dies veranlaf~te uns, dieses Symptom an den der Klinik zur Verfiigung stehenden Fi~llen anzusehen. Wenn auch die Zahl der daraufhin unter- suchten Falle relativ gering ist und noch kein abschlieBendes Urteil ge- stattet, so lassen die im folgenden wiedergegebenen Beobachtungen die Vermutung zu, dab dieses Symptom mit bestimmten organischen Er- krankungen in Parallele zu bringen ist. Bei F~llen, die einen vollkommen normalen neurologischen Befund zeigten und die in recht groSer Zahl daraufhin untersucht wurden, konnte tlieses Symptom niemals beob- achtet werden. Wenn die Krankengeschichte aller jener F/ille, an denen die positive Beobachtung gemacht werden konnte, ganz kurz wieder- gegeben wird, so geschieht dies, um die SchluBfolgerungen, die daraus gezogen werden, einer Kontrolle zugi~nglich zu machen. Fall 1. A.S., 30 Jahre, erkrankte plStzlich unter Fieber, Kopfschmerzen, Schwindel und Erbrechen, zeitweise Doppeltsehen, Doppelbilder im Sinne einer rechtsseitigen Abducensparese. Neurologisch: Steife Haltung des Kopfes, bei passiver Bewegung des Kopfes Widerstand und Schmerz/iuBerung. Rechter Mund- winkel bleibt bei Innervation etwas zuriick. Beim Strecken im Kniegelenk beider-

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(Aus der Deutschen psychiatrischen Universiti~tsklinik Prof. Dr. O. P6tzl in Prag.)

~ber ein Dorsalflexionsph~nomen der groBen Zehe. Von

Dr. Robert Klein, Assistent der Klinik.

(Eingegangen am 24. Mai 1928.)

Bei einem Falle von unklarer Genese mit leichten meningealen Er- scheinungen -- der Fall wird spi~ter genauer angefiihrt -- konnte, wenn man bei der Priifung auf Kernig bei gebeugtem Htift- und Kniegelenk das letztere streckte, eine isolierte Dorsalflexion der groBen Zehe beob- achtet werden. Es lag bei diesem Falle nahe, das Auftreten dieses Sym- ptoms mit den meningealen Erscheinungen in Zusammenhang zu bringen, zumal der Kernig deutlich positiv war, Pat. bei der Priifung lebhafte Schmerz~ul~erungen yon sich gab. Eines war jedoch immerhin auffallend und liel~ an einem direkten Zusammenhang mit dem Meningismus Zweifel aufkommen, dab w~hrend bei der Priifung auf Kernig absolut keine Seitendifferenz festzustellen war, die isolierte Dorsalflexion der groBen Zehe bei der geschilderten passiven Bewegung auf dem einen Beine ganz ausgesprochen auftrat, am anderen Beine nur leicht angedeutet war. Dies veranlaf~te uns, dieses Symptom an den der Klinik zur Verfiigung stehenden Fi~llen anzusehen. Wenn auch die Zahl der daraufhin unter- suchten Falle relativ gering ist und noch kein abschlieBendes Urteil ge- stattet, so lassen die im folgenden wiedergegebenen Beobachtungen die Vermutung zu, dab dieses Symptom mit bestimmten organischen Er- krankungen in Parallele zu bringen ist. Bei F~llen, die einen vollkommen normalen neurologischen Befund zeigten und die in recht groSer Zahl daraufhin untersucht wurden, konnte tlieses Symptom niemals beob- achtet werden. Wenn die Krankengeschichte aller jener F/ille, an denen die positive Beobachtung gemacht werden konnte, ganz kurz wieder- gegeben wird, so geschieht dies, um die SchluBfolgerungen, die daraus gezogen werden, einer Kontrolle zugi~nglich zu machen.

Fall 1. A.S., 30 Jahre, erkrankte plStzlich unter Fieber, Kopfschmerzen, Schwindel und Erbrechen, zeitweise Doppeltsehen, Doppelbilder im Sinne einer rechtsseitigen Abducensparese. Neurologisch: Steife Haltung des Kopfes, bei passiver Bewegung des Kopfes Widerstand und Schmerz/iuBerung. Rechter Mund- winkel bleibt bei Innervation etwas zuriick. Beim Strecken im Kniegelenk beider-

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seits lebhafte Schmerz~uBerung. Rechts Babinski angedeutet. Gang taumelnd, kleinhirnataktisch. Im Augenhintergrund: Beiderseits Neuritis nervi optici. Subjektiv: Beschwerden werden allm~hlich besser, im objektiven Befund, der h~ufig kontrolliert wird, bessert sich der Gang etwas, dcr Babinski kann nicht mehr beobachtet werden. I)agegen kommt es bei passiver Streckung im Knie- gelenk zu deutlicher, isolierter Dorsalflexion der Zehe rechts. Dieses Symptom bleibt auch bei weitgehender Besserung der fibrigen Symptome, auch nach Zurfiek- gehen der meningealen Reizerscheinungen. Bei einer Kontrolluntersuchung, die 3 Monate nach der Entlassung des Patienten durchgeffihrt wurde, war von den neurologischen Erscheinungen nur mehr eine ganz leichte Ataxie beim Gehen vorhanden, eine Neuritis nervi optici, ohne subjektive Sehbeschwerden. Die Dorsalflexion ist nur mehr angedeutet vorhanden.

Diagnose: Encephalitis epidemica. Fall 2. A.M., 56 Jahr alt, Landwirt. Vor 1 Jahre Schmerzen im Schulter-

gelenk, seit 3 Monaten Zittern in den linken Extremit/~ten. Keine grippSse Er- krankung in der Anamnese. Ob]ektiv: Tonus in allen Extremit/~ten erhSht, hoch- ~,~radiger, grobwelliger Tremor der linken Extremit/~ten, der sich in der Ruhe hochgradig versti~rkt. Beim Gehen wird der KSrper nach vorn gebeugt. Leichte Propulsionstendenz, sonst neurologisch o.B. Pat. klagt fiber ~ehr hochgradige Schmerzen, hauptsi~chlich in der linken oberen Extremit~t.

Links deutliche isolierte Dorsalflexion der groBen Zehe, manchmal auch aller iibrigen Zehen.

Die Leberfunktionspriifung ergibt bei allen Proben Zeichen einer Sch~digung (L~vulose, Dextrose, Chlorcholognostil). Kein Fleischerscher Ring. Diagnose: Wilsonsche Erkrankung.

Fall 3. A. Sch., 58 Jahre alt, verheiratet, von Beruf Staatsbeamter. Seit 2 Jahren best~ndig zunehmende Schw/~che in den Beinen und Steifheitsgeffihle.

Ob#ktiv: Tremor, haupts~tchlich in den oberen Extremit~ten, Rigor in den unteren Extremit/~ten, rechts sti~rker als links, Kraft rechts herabgesetzt. Keine Pyramidenzeichen. Steife KSrperhaltung, Propulsion. Rechts deutliche Dorsal- flexion best~ndig vorhanden. Diagnose: Parkinson.

Fall 4. A., Anna, Hirntumor nach Operation mit Prolaps (Tumor pariet..9). Die Symptome des Falles wurden durch den Prolaps stark verwischt, vor allem aber, da meningeale Symptome hinzutratcn. Es bestand Kernig. Links Babinski, beiderseits Patellarklonus.

Rechts bei wiederholter Priifung isolierte Dorsalflexion der grogen Zehe: Tumor pariet. ?

Fall 5. L., Josefa. Seit ungef/~hr 1 Jahre Zittern in den Fingern der linken Hand, dann auch ~bergreifen auf H~nde und Arme. Nach 2 Monaten Zittern im rechten Arm, auch wieder von den Fingern aufsteigend. Vor 5 Monaten vorfiber- gehendes Zittern im linken Ful3, kurze Zeit nachher auch im rechten Furl, das seither besti~ndig vorhanden ist. Vor 3 Monaten leichte Schluck- und Sprach- stSrungen.

Ob#ktiv: Hochgradiger grobschliigiger Tremor der beiden oberen Extremit/iten und des Kopfes, der sich bei Bewegung steigert und zum Schfitteltremor wird. Geringer Tremor der unteren Extremit~ten. Fleischerscher Ring. Leberfunktions- priifung negativ. Keine Pyramidenzeichcn.

Links deutliche Dorsalflexion, haupts/~chlich bei raschen passiven Streck- bewegungen. Diagnose: Pseudosklerose.

Fall 6. V.J., 45 Jahre alt. Vor 8 Jahren ein Insult, im Anschlul3 an einen Abortus, damals Verzogensein des Mundes nach rechts, sonst keine sicheren Halbseitenerscheinungen. Erholte sich nach 2--3 Monaten, die Beine und Arme

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waren etwas sehwaeher. Vor 1 Jahr ein ahnlicher Insult mit starker Schwaehe in beiden Beinen, die angeblich anfangs wie bei einem Krampf an den K6rper gezogen waren.

Objektiv: Sensorische Aphasie, apraktische StSrungen, hochgradige dys- arthrische StSrungen beim Sprechen, StSrungen des Schluekens. Zwangslachen und Zwangsweinen. Tonus beiderseits erh6ht, rechts starker als links. Keine Pyramidenzeichen.

Rechts Dorsalflexion der grol3en Zehe, zeitweise auch der fibrigen Zehen und des Ful~es. Diagnose: Multiple Erweichung (beiderseits Erweichung in den sub- corticalen Ganglien).

Fall 7. C.A., 48 Jahre alt. Vor 24 Jahren im AnsehluB an eine Endokarditis. und Chorea 2 Insulte mit Verlust der Spraehe und Lahmung des linken Armes.

Objektiv: Vollsti~ndige Anarthrie, Unm6glichkeit des Schluckaktes. Mono- parese des linken Armes, Zwangsweinen und Zwangslachen. Bei der Priifung auf Babinski kommt es zu einer Dorsalflexion des ganzen FuBes beiderseits.

Isolierte Dorsalflexion links. Diagnose : Pseudobulbarparalyse mit Beteiligung der Stammganglien.

Fall 8. Z.P., 72 Jahre alt. Seit 7 Jahren Zittern in den Handen und im Mund. Seit 5 Jahren senile Erscheinungen.

Objektiv: Psychisehe St6rungen des Gedachtnisses und der Merkfahigkeit, Korsakow.

1Veurologisch: Tremor des Unterkiefers, der Zunge, grobschlagiger Tremor der Finger, der auf den ganzen Arm iibergeht. Andeutung yon Pillendrehen, trippeln- der Gang. Hypertonie der unteren Extremitaten. Keine Pyramidenzeichen.

t~echts isolierte Dorsalflexion der groBen Zehe. Diagnose: Arteriosklerotische Demenz mit Erweichung in den Stammganglien.

Fall 9. J. Fr., 58 Jahre alt. Progressive Paralyse mit hochgradigen In- telligenzdefekten.

Tremor der oberen Extremit/~ten, vor allem der reehten oberen Extremit/it, der bei Bewegungen sehr intensiv und grobschlagig wird. Keine Pyramidenzeichen. Isolierte Dorsalflexion rcchts. Diagnose: Progressive Paralyse mit Herden in den Stammganglien.

Fall 10. V.R., 48 Jahre alt. Erkrankung vor 2 Jahren mit Schwache im ganzen K6rper.

Objekliv: Starrer Gesichtsausdruck, Salbengesieht, steife Haltung, Gehen nach vorniiber gebeugt. Bewegungen verlangsamt. Hypertonie an allen Extremitaten, an den rechten starker als links. Rechtsseitige Hypasthesie ffir alle Qualitaten distal zunehmend, Tiefenempfindung rechts aufgehoben. Keine Pyramiden- zeichen.

Rechts isolierte Dorsalflexion der grol~en Zehe, manchmal auch links an- gedeutet. Diagnose: Arteriosklerotische Muskelstarre.

Fall 11. V.F. , 17 Jahre alt. Vor 6 Jahren Grippe mit Schlafsucht. Sparer Blickkrampfe und StSrung des Gehens; Patient vermag sich nur welter zu bewegen, indem er sich herumdreht. Tremor rechts, psychisch erethisch, Moral insanity- artiger Zustand.

Objektiv: Grobsehlagiger Tremor der rechten Extremiti~ten, Hypertonie aller Extremitaten rechts grSBer als links.

Haufige Blickkrampfc. Keine Pyramidenzeichen. Rechts deutliche Dorsal- flexion. Diagnose: Zustand nach Encephalitis epidemica.

Fall 12. Seh. A., 28 Jahre alt, Lehrer. Vor 7 Jahren Grippe mit Kopf- schmerzen und Fieber. Zeitweise Doppeltsehen. Seit 2 Jahren haufiges, unwill- kiirliches Zusammenkneifen der Augen.

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Neurologisch: AuBer einem Tic im Corrug. superc, beiderseits und im Orbie. oeuli ein Strabismus div., der wahrscheinlich auf eine Abducensschw/~che zuriick- zuffihren ist (Augenklinik Prof. Elschnig) land einer geringen Hypertonie in den unteren Extremit/iten, vielleicht links starker als rechts, etwas differenten Bauch deckenreflexen (links schw/~cher als rechts) nichts Pathologisches. Keine Pyra- midenzeichen.

Links deutliche isolierte Dorsalflexion der groBen Zehe. Rechts gehen alle Zehen dorsalw/~rts. Diagnose: Zustand nach Encephalitis epidemica.

Fall 13. Diagnose: Brown-Sequard. Neurologische Zeichen: L/~hmung des reehten Beines von spastischem Charakter, Babinski, Oppenheim + , ausgesprochene St6rung der Tiefensensibilit/~t. Linkes Bein in den Bewegungen frei, kein Babinski. Auch sonstige Pyramidenzeichen fehlen.

StSrung der Schmerz- und Temperaturempfindung, die ungef/thr bis zur Inguinalgegend reieht, geringe St5rung dcr Tiefensensibilit/~t in der linken groflen Zehe.

Links isolierte Dorsalflexion der grol]en Zehe bei Streckung im Kniegelenk. Diagnose: Brown-Sequard. (Tumor spinalis ?)

Fall 14. R.W., 57 Jahre alt, Eisenbahnbeamter. Vor 2 Jahren einen Un- fall mit Luxation im rechten Schultergelenk. 2--3 Monate nachher Zittern im rechten Arm, das seither an Intcnsit/it zunahm.

Ob]ektiv: Reehts in der Ruhe Tremor in den Extensoren und Beugern der Finger, die rhythmisch ablaufen. HMt er die Hand liingere Zeit auf der Unterlage, so kommt es zu starken Schtittelbewegungen haupts/tchlieh in den Fingern, die sich aber auch dem tibrigen Arm mitteilcn. Tremor im rechten Bein im Sinne einer Dorsal- und Plantarflexion des FuBes. Tremor im rechten Quadriceps. Bei Bewegungen Sistieren des Tremors. Hypertonie rechts. Linke Extremit/~ten frei. Reflexe vorhanden. Keine Pyramidcnzeichen.

Rechts ausgesprochene Dorsalflexion. Diagnose: Arteriosklerose. Erweichung der Stammganglien ? (Beginnender Parkinson ?)

Fall 15. F. Ch., 86 Jahre alt, Witwer, Privatier. Seit einigen Woehen Angst- zustgnde und Selbstmordgedanken.

Ob]ekliv: Tremor der linken Hand, geringer Wackeltremor des Kopfes. Leiehte Hypertonie der linken unteren Extremitat. Kein Pyramidenzeiehen. Links iso- lierte Dorsalflexion. Diagnose: Arteriosklerose eerebri mit Herden in den Stamm- ganglien.

Fall 16. N. S., 18 Jahre alt. Vor 7 Jahren Grippe mit Sehlafsueht. Psychisch bietet Patient das Bild einer Moral insanity.

Neurologisch: Keine pathologischen Erscheinungen. Links zeitweise Dorsalflexion aller Zehen. Diagnose: Folgezustand naeh

Encephalitis epidemica. Fall 17. K.A. , 24 Jahre alt. Vor 5 Jahren Sehlafsueht. Scit 3 Jahren zu-

nehmendes Zittern und Starre in den Beinen. Ob#ktiv: Allgemeine Starre, hochgradiger Spasmus in den unteren Extremi-

t/tten, hauptsgehlich im Ful3gelenk, der zum Sehiitteltremor wird. Beiderseits Fullklonus ?

Beiderseits angedeutete Dorsalflexion der grogen Zehe. Diagnose: Folge- zustand nach Encephalitis epidemica.

Fall 18. U.M., 28 Jahre alt. ledig, Vor 3 Jahren Grippe mit Schlafsucht, nach einiger Zeit hartn/tckige Schlaflosigkeit. Seit 1/2 Jahr Zittern der linken unteren Extremiti~t.

Hypertonie und Tremor in beiden unteren Extremiti~ten, links st/trker als rechts. Keine Pyramidenzeichen.

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Links isolierte Dorsalflexion der groflen Zehe, manchmal auch der iibrigen. Diagnose: Folgezustand nach Encephalitis epidemica.

Fall 19. H. S., 54 Jahre alt, verheiratet, Arbeiter. Kam naeh einem apoplek- tischen Insult an die Klinik.

Neurologisch: Rechtsseitige Hemiplegie mit gesteigerten Reflexen rechts gegentiber links. Kein Babinski. Linke Extremitiiten frei. H~ufiges Zwangsweinen, Zwangslachen.

Leichte motorische Aphasie, mit starken dysarthrischen StSrungen. Leichte Schluckbeschwerden. Serologiseh p.-P.-Befund.

Psychisch: Erhebliche Intelligenzdefekte. Links isolierte Dorsalflexion der groBen Zehe. Diagnose: Progressive Paralyse

mit Beteiligung der subcorticalen Ganglien. Fall 20. M. S., 76 Jahre alt, Witwer. Einige Monate vor seiner Einlieferung

war Patient vergei31ich, mangelhaft orientiert. 3 Tage vor seiner Aufnahme bekam Patient einen Insult, von da ab sprach er ganz unverstimdlich und verstand nicht mehr, was man zu ihm sprach.

Ob]ektiv: Im psychischen Verhalten sind zeitweise auftretende Beeintr~ch- tigungsideen hervorzuheben. Es besteht eine sensorisehe Aphasie. Im neurologi- schen Befund ist ein trippelnder Gang auffallend. Rechtsseitige Hemianopsie, sonst keine sicheren pathologischen Zeichen. Zeitweise auftretendes zwangs- m~Biges Weinen.

Rechts angedeutete isolierte Dorsalflexion der Zehen wegen Widerstand des Patienten bei der Untersuchung nicht genauer zu prfifen.

Es sei noch erwKhnt, da[~ auch andere pathologische F~lle viel- fach untersucht wurden und nur jene besonders erw~hnt wurden, bei denen das Symptom positiv ausgefallen war. Bei alien fibrigen F~llen fehlte es. So wurde eine ganze Reihe yon Hemiplegien yon Pyramiden- typus, spinale Erkrankungen, Hirntumoren und Erweichungen ver- schiedenster Lokalisation daraufhin untersucht. ~Aus den mitgeteilten Krankengeschichten geht hervor, dab es sich in der ganz tiberwiegenden Mehrzahl der positiven F~ille um eine Erkrankung des extrapyramidalen Systems handelte. Nur in 2 F~llen konnte aus den klinischen Symptomen eine Sch~tdigung dieses Systems nicht erschlossen werden. Bei dem einen yon ihnen, bei dem es sich um einen Tumor cerebri handelte, konnte eine Lokaldiagnose nicht sicher gestellt werden; es wurde als Sitz des Tumors das Mark der Parietalgegend angenommen. Von hier aus sind Druckerscheinungen auf das extrapyramidale System nicht auszuschlieBen, so dab dieser Fall mit den iibrigen Befunden nicht ganz unvereinbar ist. Der 2. Fall l~ltt sich allerdings nicht gut unter die iibrigen einreihen. Es handelt sich um einen Brown-Sequard yon un- klarer Genese, das beschriebene Ph~nomen war auf der nicht hemi- plegischen Seite, auf der Pyramidenzeichen fehlten, positiv, auf der Seite der Hemiplegie, auf der ganz ausgesprochene Pyramidenzeichen vorhanden waren, fehlte es. Es w~re natiirlich denkbar, dab auf der nicht paretischen Seite das extrapyramidale System schon ergriffen, die Pyramidenbahn noch ungestSrt war. Diese Annahme ist aber so unsicher, dab wir diesen Befund als den fibrigen widersprechend auffassen mfissen.

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Es steht aber immerhin dieser eine Fall einer gr6Beren Reihe von Pyra- midenst6rungen gegenfiber, in denen das Symptom stets negativ ge- wesen ist und selbst in diesem Falle war auf der Seite des positiven Symptoms kein Pyramidenzeichen vorhandcn. So k6nnen wir doch mit groBer Wahrscheinlichkeit annehmen, dab es sich um cin extra- pyramidales Symptom handclt, zumal jenc Falle yon extrapyramidalen St6rungen, in denen das Phanomen nicht ausl6sbar war, gering waren zu solchen mit positivcm Ergebnis. Da wir aber doch auf eine Reihe negativer F~lle yon extrapyramidalen Erkrankungen stieBen, so kSnnen w i r e s auch nicht als ffir diese pathognomisch ansehen. Die Zahl der beobachteten Falle genfigt noch nicht, um ein bestimmtes System aus dem extrapyramidalen ffir das beschriebcnc Ph~nomen in Anspruch zu nehmen. Es ware aber nicht unm6glich, dab die negativcn Falle darauf zurfickzuffihren sind, dab ihre L~sion auBerhalb eines solchen gelegcn ist. Die von uns beobachteten negativen Fallc yon extrapyra- midalen St6rungen waren stets Folgezustande nach Encephalitis epi- demiea, unter ihnen vielfach schwerste Bewegungsst6rungen mit Hyper- tonic und Tremor. Allerdings war gerade das untcrsuchte encephalitische Material nicht sehr groG. Bei den extrapyramidalen Erkrankungen nicht encephalitischer Genese (Parkinson, Wilson, Hcrderkrankungen), die in verhaltnismaBig groBer Zahl zur Verffigung standen, fehlte dieses Symptom in keinem Fall; allerdings mug darauf hingewiesen werden, dab in manchen Fallen das Symptom zeitwcise nur angedeutet vor- handen, zweitweise nicht sicher ausl6sbar war, bei wiederholten Unter- suchungen konnte es jcdoch immer wieder gefunden werden. Es w~re verfrfiht, weitgehendere Schlfisse zu ziehen als die hier angedeuteten, die sich aus der Zusammenstellung des untersuchten Materials zwangslos ergaben.

Wenn erst vcrsucht worden ist, die klinischen Bilder nach dem ge- schilderten Symptom zu ordnen, so soil nun einiges fiber seine Bedeutung als Reflex hinzugesetzt werden. Es ist mir erst nach AbschluB der Unter- suchungen und ihrer Zusammenstellung bekannt geworden, dab Edel-

mann einen solchen Reflex bei Meningitis bei Prfifung auf Kernig beob- aehtet hat; ich hatte unter meincm Material nur 2 Falle yon ausge- sprochener Meningitis, an welchen das Symptom nicht gefunden werden konnte. Zu dicsen kommt noch dcr erste Fall, yon dem hier berichtet wurde, bei dem ein Meningismus bestand, das Symptom aber naeh Ab- lauf der meningitischen Erscheinungen noeh vorhandcn war. hn Ver- gleiehe zu dem hier angeffihrten Material haben die Edelmannschen

Beobachtungen an Meningitiden dadurch ein Interesse, dab auch in unscren Fallen sehr llaufig eine erh6hte Spannung besonders bei ex- trcmer Streckung im Knie bestand und die Ausl6sung des Reflexes mit den lokalen tonischcn Verhaltnissen in Zusammenhang zu stehen schien.

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Es besteht aber darin vielleicht ein recht wesentlicher Unterschied, dal~ bei der Meningitis die isolierte Dorsalflexion nach ~berwindung einer aktiven Spannung hervorgerufen wird, wahrend in unseren Fallen das dauernde Bestehen eines erhShten Tonus der betreffenden Muskulatur festgestellt werden konnte; dann gab es auch noch Falle, in denen jegliche groben Tonus-Anomalien vermil~t wurden. Es ist daraus ersichtlich, da[~ der Mechanismus des Symptoms in den yon uns beobachteten Fallen von denen Edelmanns recht verschieden zu sein scheint. Wir wollen deshalb sein Auftreten bei der Meningitis als einen Sonderfall betrachten, zumal ja auch seine hirnpathologische Verwertung bei dieser Erkrankung grol~en Schwierigkeiten begegnet. Von anderen ahnlichen I~eflexen sei auf die isolierte Dorsalflexion der groi~en Zehe bei Pyramidenlasionen hingewiesen (Babinski, Oppenheim, Klaus) auf die nicht naher ein- gegangen zu werden braucht; dasselbe gilt fiir die Dorsalflexion der groBen Zehe beim aktiven tteben des Beins, das als gelegentliches Symptom bei Pyr~midenschadigung beschrieben wird; auch dieses Symptom unterscheidet sich wesentlich von dem unseren.

Mit bestimmten Tonusverhaltnissen in Zusammenhang steht viel- leicht der yon Bechterew beschriebene Reflex, bei dem es in Fallen yon hochgradigen Flexionsspasmen ira Knie bei passiver Plantarflexion des FuBes zu einer Dorsalflexion des Ful~es und der Zehen kommt.

Zum Schlusse sei noch auf ein Symptom yon H. Bernhard 1 hinge- wiesen, das dieser an einer Anzahl yon extrapyramidalen St6rungen beob- achtet hat (Plantarflexion der Zehen beim Beklopfen des FuBes, bzw. des Beins). Dieses Phanomen wurde an einer l~eihe unserer positiven Falle gepriift, es konnte aber nicht ausgel6st werden.

1 Zeitsehr. f. d. ges. Neurol. u. Psychiatrie 80.