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Prof. Dr. P. Rademacher Organische Chemie IV OCIV-SS2005-Teil11 Carbanionen Übersicht 1. Darstellung von Carbanionen 2. Stabilität von Carbanionen 3. Struktur und Stereochemie von Carbanionen und metallorganischen Verbindungen 4. Keto-Enol-Tautomerie von Carbonyl-Verbindungen 5. Reaktionen von Carbanionen 1. Darstellung von Carbanionen Carbanionen und C-H-acide Verbindungen Im Prinzip kann jede organische Verbindung mit einer C-H-Bindung als Brönsted-Säure fungieren: R 3 C H + :B R 3 C: (-) + HB (+) (1) Die entstandene konjugierte Base R 3 C: (-) nennt man ein Carbanion. Gleichgewichtskonstante der Reaktion: K s pK s -Wert: pK s = 10 log K s Die Acidität ist eine thermodynamische Größe. Relative Säurestärke BH (+) /R 3 C-H K s = [R 3 C: (-) ] [BH (+) ] [R 3 CH] [B:] Die Dissoziation der C-H-Bindung kann wesentlich langsamer erfolgen als bei O-H- und N-H-Bindungen. Die Protonenabspaltung kann dann ein begrenzender Faktor für die Acidität sein: kinetische Acidität. Carbanionen treten in zahlreichen präparativ wichtigen Reaktionen als Zwischenstufen auf, besonders bei C-C- Verknüpfungen, also bei den wichtigsten Reaktionen der organischen Synthese.

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OCIV-SS2005-Teil11 Carbanionen Übersicht

1. Darstellung von Carbanionen 2. Stabilität von Carbanionen 3. Struktur und Stereochemie von Carbanionen und metallorganischen Verbindungen 4. Keto-Enol-Tautomerie von Carbonyl-Verbindungen 5. Reaktionen von Carbanionen 1. Darstellung von Carbanionen

Carbanionen und C-H-acide Verbindungen Im Prinzip kann jede organische Verbindung mit einer C-H-Bindung als Brönsted-Säure fungieren: R3C H + :B R3C:(-) + HB(+)

(1) Die entstandene konjugierte Base R3C:(-) nennt man ein Carbanion. Gleichgewichtskonstante der Reaktion: Ks

pKs-Wert: pKs = − 10log Ks

Die Acidität ist eine thermodynamische Größe. Relative Säurestärke BH(+)/R3C-H

Ks = [R3C:(-)] [BH(+)]

[R3CH] [B:]

Die Dissoziation der C-H-Bindung kann wesentlich langsamer erfolgen als bei O-H- und N-H-Bindungen. Die Protonenabspaltung kann dann ein begrenzender Faktor für die Acidität sein: kinetische Acidität. Carbanionen treten in zahlreichen präparativ wichtigen Reaktionen als Zwischenstufen auf, besonders bei C-C-Verknüpfungen, also bei den wichtigsten Reaktionen der organischen Synthese.

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Bildung von Carbanionen a) Dissoziation in der Gasphase R3C H R3C:(-)

gas + H(+)gasgas (2)

Gleichgewichtskonstante Ks, pKs-Wert, ∆G = -RT ln Ks = -2.3 RT 10logKs = 2.3 RT pks Daraus ergibt sich für 25 °C = 298 K: ∆G ≈ 5.7 pKs [kJ mol-1] Bei Raumtemperatur entspricht die Differenz von 5.7 kJ mol-1 einer pK-Einheit: pKs = ∆G/5.7. Tab. 1. Gasphasen-Acidität ∆G [kJ mol-1] einiger schwacher Säuren. Säure ∆G Säure ∆G CH4 1715 H2 1649 CH3CH2CH2CH2-H 1703 NH3 1657 (CH3)3C-H 1697 (iPr)2NH 1602Cyclohexan 1690 H2O 1607H2C=CH2 1678 CH3O-H 1565Benzen 1644 Phenol 1433HC≡CH 1550 CH3CO2H 1429H3C-CO-CH3 1514 H3C-NO2 1467 H3C-CN 1528 Die ∆G-Werte liegen für die meisten organischen Verbindungen zwischen 1430 und 1720 kJ mol-1. Das Ausmaß der Dissoziation ist ein Maß für die Acidität von R3C-H. Es ist im Wesentlichen abhängig vom Stabilitätsunterschied zwischen R3C-H und R3C(-).

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Die Dissoziationsreaktion lässt sich nicht direkt durchführen. Abschätzungen: Gasphase: ∆Hf(R(-)) = DE(R−H) + EA(R•) + IP(H•) R H R(-) + H(+)

DEEA IP

R. + H.

- e(-)e(-)

R-Hgas → R• + H• Dissoziationsenergie DE(R-H) R• + e(-) → R (-) Elektronenaffinität EA(R•) H• - e(-) → H(+) Ionisationspotential IP(H•) = 1311 kJ/mol Problem: DE(R-H) und insbesondere EA(R•) sind nicht hinreichend genau bekannt bzw. messbar, daher ist die Abschätzung der Gasphasenacidität schwierig. ICR-Spektroskopie Methode der Massenspektrometrie, hauptsächlich zum Studium von Ion-Molekül-Reaktionen in der Gasphase. A. G. Marshall, Acc. Chem. Res. 1985, 18, 316-322. Ionisation in der Gasphase durch Elektronenstoß. Bestimmung der Gasphasenacidität. Frei von Solvatations- und Gegenion-Effekten. Die Daten quantifizieren die intrinsischen Basizitäten von Carbanionen. Die Ergebnisse unterscheiden sich z. T. stark von denen in Lösungen.

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Tab. 2. Einfluss von Elektronenakzeptor-Substituenten auf die Gasphasen-Acidität ∆G [kJ mol-1]. Säure ∆G pKs

CH4 1715 + 15 ≈ 43 CH3F 1676 + 17 ≈ 36 CH2F2 1595 + 15 ≈ 29.5 CHF3 1573 + 19 25.5 CHCl3 1464 + 8 15 CHBr3 (1512 + 26) 9 CH(CF3)3 133 + 8 7 CHX3 mit X = Cl, Br sind acider als CHF3, obwohl F elektronegativer ist. Beteiligung von d-Orbitalen bei Cl und Br. Weitere Daten: NIST-Datenbank im Internet: http://webbook.nist.gov

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Bildung von Carbanionen b) Deprotonierung Erfolgt in Lösung, z. B. in Wasser oder anderen Lösungsmitteln, je nach Acidität von R3C-H. Ein Teil der ionischen Dissoziationsenergie wird durch die Bindung des Protons an die Base :B zurückgewonnen. Verglichen mit der Gasphase ergibt sich eine günstigere Lage des Gleichgewichts. Auch in anderen Lösungsmitteln als Wasser, z.B. flüss. Ammoniak:

HPh3C + Na(+)NH2(-) Ph3C:(-) + Na(+) + NH3

fl. NH3 Das Lösungsmittel beeinflusst durch die Solvatisierung der einzelnen Teilchen die Gleichgewichtslage! 9-Phenylfluoren dient als Bezugspunkt für pK-Skalen in verschiedenen Lösungsmitteln.

HPh

pks = 18.49

Bei stark delokalisierten Ionen findet man einen geringen Solvenseffekt auf die Dissoziation.

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Tab. 3: pKs-Werte von einfachen Kohlenwasserstoffen. pKs pKs

C6H12 45-48 (52) C6H6 37 (43) CH4, C2H6 40-44 (52-62) HC≡CH 25H2C=CH2 37 (44) Tab. 4: Substituenteneffekte auf pKs-Werte bei Methan-Derivaten.

H3C-X pKs H2CX2 pKs HCX3 pKs H3C-CN 25-29 H2C(CN)2 11.2 HC(CN)3 -5.13 H3C-NO2 10.2

H2C(NO2)2 3.63 HC(NO2)3 0.14 H3C-CO-Me 20 H2C(CO-Me)2 8.84 H(CO-Me)3 6. H3C-CO2Et 23 (?) H2C(CO2Et)2 13.3 HC(CO2Et)3 9. (?) H3C-Ph 41 H2CPh2 33. HCPh3

31.5 H3C-SO2Me 28.5 H2C(SO2Me)2 12.5

Für die Acidität von Methan-Derivaten H3C-X gilt: X: NO2 > CHO > CRO > CN > CO2R > SO2R > SOR > Ph ≈ SR > H > R Tab. 5: Substituenteneffekte auf pKs-Werte bei R-CH(NO2)2.

R pKs R pKs H 3.63 F 8.0(?)Me

5.30 Cl 3.5 Et 5.61 Br 3.58iPr 6.77 I 3.19

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Wegen der Eigendissoziation des Wassers ist der pKs-Bereich in diesem Lösungsmittel auf ca. -2 bis 16 beschränkt. Wesentlich stärkere Basen als OH(-) können in Wasser nicht erzeugt werden. pKs-Werte > 16 werden indirekt bestimmt oder müssen abgeschätzt werden. Die Werte können stark differieren. Dimethylsufoxid (DMSO) als polar-aprotisches Lösungsmittel hat mehrere Vorzüge vor anderen organischen Lösungsmitteln. DMSO ist kein Wasserstoffbrücken-Donor, sondern nur ein guter Akzeptor. Leitfähigkeitsmessungen zeigen, dass Alkalisalze von CH-Säuren in DMSO völlig dissoziiert vorliegen, also keine Aggregate bilden. DMSO stabilisiert Anionen mit einer lokalisierten, harten Ladung schlecht. Daher sind die entsprechenden Säuren in DMSO schwächer als in Wasser. Die Aciditäten für Phenole, Carbonsäuren, Ketone und Nitroalkane sinken in DMSO um 5-10 pK-Einheiten gegenüber den Werten in Wasser. Tab. 6: pK-Werte in DMSO und Wasser. pKs

DMSO

pKs Wasser

pKs DMSO

pKs Wasser

H3C-NO2 17.2 10.2 H3C-CO-Ph 24.7 19.5H3C-CO-Me 26.5 20.H3C-CN 31.3 25-29 H2C(CN)2 11.1 11.2H3C-CO2Et 27.4 (30.5) 23. H2C(CO2Et)2 16.4 13.3Cyclopentadien 18.1 16.0 9-Phenylfluoren 17.9 18.49

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In Lösungsmitteln mit hohem pK-Wert wie Ether oder Benzen sind Organometall-Verbindungen nicht dissoziiert, sondern liegen als Ionenpaare oder sogar als Aggregate vor. Die gemessenen Gleichgewichtskonstanten liefern also Ionenpaar-Aciditäten! Daher geht auch die Stabilität der metallorganischen Base als Funktion des Gegenions und des Solvens in die Aciditätsbestimmungen mit ein: R-H + R'-M R-M + R'-H Diese Resultate wurden von Cram zur sogenannten MSAD-Skala (McEwen-Streitwieser-Applequist-Dessy) von CH-Aciditäten zusammengefasst, die eine Mischung aus Ionen- und Ionenpaar-Aciditäten darstellt. Diese Skala reicht etwa 15 pK-Einheiten in den stärker basischen Bereich als die in Wasser gemessenen Werte. Tab. 7: MSAD-Skala nach Cram.

Verbindung pKs Verbindung pKs Cyclopentadien 15 Ethen 36.59-Phenylfluoren 18.5 Benzen 37Inden 18.5 Triptycen 38Phenylacetylen 18.5 Cyclopropan 39Fluoren 22.9 Methan 40Ethin 25 Ethan 42Triphenylmethan 32.5 Propan 44Toluen 35 Cyclopentan 44Propen 35.5 Cyclohexan 45Cycloheptatrien 36

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Die Aciditäten von CH-Säuren lassen sich wie folgt gruppieren: CH-Säuren pK-Wert CH-Säuren pK-Wert

Superstarke < 1 Schwache 16 – 30

Starke 1 – 16 Extrem schwache > 30

Tab. 8: Brönsted-Acidität in wässriger Lösung Säure pKs Säure pKs H2O 15.74 H3O(+) -1.74NH3

23 NH4(+)

9.25 CH3CO2H

4.75

C2H5OH 17C6H5OH 10

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2. Stabilität von Carbanionen

Bei einfachen Carbanionen wird die negative Ladung nur ganz schwach gebunden (CH3(-): 7.5 kJ mol-1). Alkyl-

Anionen wie Et(-) und iPr(-) würden in der Gasphase spontan ein Elektron abspalten (→ Radikal). Sie werden in kondensierter Phase insbesondere durch das Gegenion stabilisiert. Bislang gelang es nicht, einfache freie Carbanionen wie Et(-) oder iPr(-) in Lösung oder in der Gasphase zu erzeugen. (Unterschied zu Carbenium-Ionen). Carbanionen, bei denen die Ladung in einem sp2- oder sp-Hybridorbital lokalisiert ist, binden die negative Ladung relativ fest: Elektronen-Bindungsenergie [kJ mol-1] von Carbanionen

C

(-)

(-)

(-)

≈ 0 64 290 Relative Stabilitäten von Carbanionen lassen sich mit Hilfe von Gleichgewichtsreaktionen bestimmen. RLi + R' R + R'Li in Ether oder Ether/PentanI I Wenn R:(-) stabiler ist als R':(-), liegt das Gleichgewicht auf der linken Seite, da die Bindung von R:(-) an Li(+)

gende Stabilitätsreihe von Carbanionengünstiger wäre als diejenige von R':(-). Auf diesem Wege ergab sich fol : Vinyl > Phenyl > Cyclopropyl > Methylt-Butyl konnte nicht ermittelt werden.)

> Ethyl > Propyl > Isopropyl ( Gesättigte Kohlenwasserstoffe besitzen die niedrigste C-H-Acidität und damit deren Carbanionen die geringste

z anionen. Keine Stabilisierung des Carbanions möglich. Stabilität. Sie eigen keine Neigung zur Bildung von CarbAlkane: pK ≈ 40 – 50 <Bedeutung der Zahlenwerte!> sAlkene: sind acider als Alkane, jedoch ebenfalls seh r schwache Säuren, pK ≈ 37 (43) s

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Alkine: sind wiederum acider als Alkene, pKs ≈ 25

Charakter: Die Acidität der C-H-Bindung steigt mit ihrem s-C(sp ): 25 % s; C(sp2): 33 % s; C(sp): 50 % s 3

ität des CarbanionsDie C-H-Acidität ist von der Stabil abhängig.

Stabilisierende Strukturmerkmale: ) aar befindet). a hoher s-Charakter des carbanionischen C-Atoms (Hybrid, in dem sich das freie Elektronenp

gebunden. s-Orbitale besitzen niedrigere Energie als p-Orbitale: Elektronen werden stärker ) b Elektronenakzeptor-Substituenten (-I-Effekt) erhöhen die Acidität (vgl. Tab. 2).

o s + fekt) ilität von Carbanionen. Elektronend nor-Sub tituenten ( I-Ef verringern die Stab H3C:(-) > RH2C:(-) > R2HC:(-) > R3C:(-) prim > sek. > tert. Die Stabilitätsfolge ist umgekehrt wie bei den Carbenium-Ionen. c) Konjugation der negativen Ladungen mit Mehrfachbi dungen (-M-Effekt

Tab. 4 und 5). Z.B. bei -CN-, -NO -, -COR-Gruppen. n ) kann die Acidität außerordentlich

stark erhöhen (vgl. 2d) Aromatisierung Cyclopentadienyl-Anion, 6π-Elektronen-System, aromatisch

H HH

CN

CNNC

NCNC

- H(+)

(-) pKs < -11.0

pKs = 14.5

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Säure Base (Carbanion) pKs CH3-CN

H2C C N| CH2 C N(-) (-)__

25-29

CH3-NO2

H2C NO

OCH2 N

O

O

(-)(+)

(-)(+)

(-)

(-)

10.2

CH3-CO-CH3

O

H2C CH3

O

CH2 CH3(-)

(-)

20

CH3-CO-OC2H5

O

H2C OC2H5

O

CH2 OC2H5(-)

(-)

23

Vergleich: H-C(CN)3: pKs = -5.13 H-C(NO2)3: pKs = 0.14 (sollte eigentlich acider sein.) Propeller-Struktur des Carbanions. Sterische Mesomeriebehinderung

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3. Struktur und Stereochemie von Carbanionen

C C

sp3-Hybridisierungplanarstabiler

sp2-Hybridisierungpyramidalweniger stabil

(-) (-)(-)

Die Carbanionen entsprechen in ihrer Struktur den isoelektronischen Aminen. R3C(-) sp3-hybridisiert Für CH3

(-) wurde eine Inversionsbarriere von 8.8 kJ mol-1 berechnet. Diese ist bedeutend niedriger als im NH3 (24 kJ mol-1). A. Rauk, L.C. Allen, K. Mislow, Angew. Chem. 1970, 82, 453-468. Die negative Ladung wird nur ganz schwach gebunden (s.o.). Sie werden in kondensierter Phase insbesondere durch das Gegenion stabilisiert. Brückenkopf-Carbanion bilden sich relativ leicht (≠ Carbenium-Ionen). Inversion wie bei Aminen, Racemisierung optisch aktiver Carbanionen

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Bei Konjugation mit π-Elektronen: sp2-Struktur, z. B. C(CN)3

(-): ganz leicht pyramidal, ∠C-C-C = 119.5°. Das Tricyanomethan, CH(CN)3, ist eine sehr starke Säure: pKs = -5.1 (s. o.). CH5

(-): Modell für SN2-Übergangszustand

H C H

H

HH

(-)

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Organometallische Verbindungen Charakter der C-Metall-Bindung abnehmender ionischer Charakter, Konfigurationsstabilität der Metallorganischen Verbindung: Cs > K > Na > Li > Ca > Mg > Zn > Cd > Sn > Pb > Hg Reine ionische Bindung (Carbanion, z.B. in Cs-Verbindungen, harte Kationen) bis (polare) kovalente Bindung (Carbanionoid), z. B. in Hg-Verbindungen, weiche Kationen. Methylkalium, -rubidium und -caesium haben reine ionische Bindungen; sie bilden Kristallgitter mit isolierten Ionen. Die meisten einfachen metallorganischen Verbindungen sind oligomer. Phenyllithium ist dimer. Der Aggregations-Zustand bleibt zumeist in Lösung erhalten, jedoch kann er auch vom Solvens beeinflusst werden. Häufig beobachtet man mit der Temperatur wechselnde Aggregate. Beispiele: Methyllithium ist tetramer: (MeLi)4

Die Li-Atome besetzen die Ecken eines Tetraeders. Die Me-Gruppen besetzen die Flächen des Tetraeders.

Auch in Lösung sind die meisten Alkyllithium-Verbindungen nicht monomer, z. B. in Benzen oder Cyclohexan: hexamer. MeLi ist in Ether tetramer.

Isopropyllithium: (iPrLi)6 ist im Kristall hexamer.

tert-Butyllithium: Aggregation in verschiedenen Lösungsmitteln:

THF Ether Cyclohexan

monomer dimer tetramer

Me

Me

Me

Me

Li

Li

Li

Li

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Von zahlreichen präparativ wichtigen Organolithium-Verbindungen wurden Röntgenstrukturanalysen durchgeführt. Häufig wurden Komplexe mit N,N,N',N'-Tetramethylethylendiamin (TMEDA), THF oder Dimethoxyethan (DME) untersucht. Dabei wurden zumeist Dimere oder Tetramere gefunden, z. B.: (BuLi*DME)4. Beispiel: monomere Organolithium-Verbindung mit pyramidalem Carbanion F. Breher, J. Grunenberg, S. C. Lawrence, P. Mountford, H. Rüegger, Angew. Chem. 2004, 116, 2575-2578.

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4. Keto-Enol-Tautomerie von Carbonyl-Verbindungen

O

CR C

R

HR

OH

CR C

R

R

Säure- oder Basen-Katalyse Das α-H-Atom ist relativ sauer, kann mit einer Base abgespalten werden. Tautomere: Isomere, die sich leicht ineinander umwandeln lassen und sich nur durch Elektronenverteilung (= Valenztautomerie) und/oder Stellung einer relativ leicht beweglichen Gruppe (Atoms) voneinander unterschieden. Die beiden Tautomere kann man in geeigneten Fällen isolieren. Beispiele (die Zahlenangaben differieren z.T. stark): Aceton: Aceton: 6 10-7 % Enol-Form

O

CCH3 CH3

OH

CCH3 C

H

H 6 x 10-7 %

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18 Prof. Dr. P. Rademacher Organische Chemie IV

Acetylaceton: 86 % Enol-Form

O

CCH2 CH3

C

O

CH3

O

CCH3 C

H

CCH3

OH O

CCH3 C

H

CCH3

OH

86 % Stabilisierung der Enol-Form durch intramolekulare H-Brücke Acetessigester: 8 % Enol-Form

O

CCH2

C

O

CH3 OEt

O

CCH3 C

H

C

OH

OEt

O

CCH3 C

H

C

OH

OEt

8 % Diphenylacetaldehyd: 9 % Enol-Form

CHC

O

H

CC

OH

H

9 %

Stabilisierung der Enol-Form durch Mesomerie

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Enol-Gehalt [%] einiger Carbonyl-Verbindungen CH3−CH=O 6 x 10-5 CH3−CO−CH3 6 x 10-7

CH3−(CH2)3−CH=O 5.5 x 10-4 Ph−CO−CH3 1.1 x 10-6

(CH3)2CH−CH=O 1.4 x 10-2 Cyclopentanon 1 x 10-6

Ph2CH−CH=O 9.1 Cyclohexanon 4 x 10-5

Anologe Tautomerien gibt es auch bei anderen Verbindungen, Beispiele:

OHO

RCH2 NO2 RCH NO

OH

RC

NH2

O

RC

NH

OHN

N NH

N

NH2

NH

N NH

N

NH2

RC

NH

O

OH RC

N

OH

OH RC

CH2

NR

RC

CH

NHR

RC

CH2

S

RC

CH

SH

(+)

(-)

Amide undLactame

Amid/Lactam-Form Azaenol-FormLactim-Form

Guanin

Hydroxamsäuren

Hydroxamsäure-Form Oxim-Form

Enamine

Imin-Form Enamin-Form

Thioenol-Form

Thioketone Nitroalkane

Thioketo-Form aci-FormNitro-Form

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Bestimmung des Enolisierungsgrades: a) Schnelle Titration mit Br2

O

CR C

R

H

R

OH

CR C

R

R

O

CR C

R

Br

Rlangsam schnell

Br2+ HBr

Bestimmung der Enolisierungsgeschwindigkeit durch H/D-Austausch b) Spektroskopisch: IR, NMR Beispiel: 1H-NMR-Spektrum von Acetylaceton in CCl4

H. Günther, NMR-Spektroskopie, 3. Aufl., Georg-Thieme Verlag, Stuttgart 1992, S. 346. Ketoform: δ [ppm] = 2.2 (CH3), 3.7 (CH2) Enol-Form: δ [ppm] = 2.0 (CH3), 5.7 (CH) Aus den relativen Signalintensitäten ergibt sich das Keto/Enol-Verhältnis zu 14 : 86. Die Geschwindigkeit der Gleichgewichtsreaktion ist auf der NMR-Zeitskala langsam (k < 10-1 s-1). Durch Zusatz von Base oder Temperaturerhöung wird die Reaktion soweit beschleunigt, dass

Linienverbreiterungen und schließlich nach erfolgter Koaleszenz ein Mittelwertspektrum beobachtet werden.