UNO-Bericht: Schluss mit Pestiziden! · wird ein Produkt zurückgezogen. Die Welt ökologisch...

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UNO-Bericht: Schluss mit Pestiziden! 18 Natur & Umwelt | BNN Nachrichten 2/2017 Agrarökologie als bessere Alternative „Es ist an der Zeit, mit dem Mythos aufzuräu- men, dass Pestizide notwendig sind, um die Weltbevölkerung zu ernähren.“ Diese Forde- rung stammt aus der Feder von zwei UNO- Sonderberichterstattern, die im Frühjahr gemeinsam einen Bericht für den Rat für Menschenrechte der Vereinten Nationen ver- öffentlicht haben. Tenor: weg von der Pesti- zid-Abhängigkeit, hin zu agrarökologischen Methoden wie vielfältige Fruchtwechsel, För- derung der Bodenfruchtbarkeit und Verwen- dung lokal angepasster Sorten. Mit diesem Report kommen zentrale Forderun- gen, die die Biobranche seit Jahrzehnten stellt, nun endlich auch von „ganz oben“ – gut re- cherchiert und auf internationaler Ebene. Der Einsatz von Pestiziden verletze die Menschen- rechte, insbesondere das Recht auf gute („angemessene“) Ernährung und Gesundheit, schreiben die Autoren und stellen klar: „Das Recht auf Nahrung verpflichtet die Staaten zu Schutzmaßnahmen, damit Lebensmittel sicher, frei von Pestiziden und von guter Qualität sind.“ Darüber hinaus müssten insbesondere schutzbedürftige Gruppen wie Landarbeiter, Kinder und schwangere Frauen vor den Aus- wirkungen von Pestiziden geschützt werden. Genau dieser Schutz sei aber nicht gewährlei- stet. Die beiden Autoren, die UNO-Sonderbe- auftragte für das Recht auf Nahrung, Hilal Elver, sowie der Sonderbeauftragte für Men- schenrechte, gefährliche Chemikalien und Ab- fälle, Baskut Tuncak, listen Punkt für Punkt auf, welche Gefahren von Pestiziden ausgehen. Für Verbraucher besonders kritisch sei, dass Nah- rungsmittel oft Rückstände verschiedener Wirkstoffe enthalten, wobei kaum bekannt sei, wie sich solche Mixturen auf den Menschen auswirken. Einige Studien würden jedoch auf erhöhte Toxizität hinweisen. Bauern, ihre Fami- lien und die Menschen insgesamt in ländlichen Regionen seien bedroht durch die chronische Belastung mit Pestiziden. Verschiedene Stu- dien zeigten, dass dadurch Krebs, Alzheimer Die Behauptung der agrochemischen Industrie, dass Pestizide notwendig seien, um weltweite Ernährungssicherheit zu erreichen, ist nicht nur falsch, sondern führt gefährlich in die Irre.“

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Page 1: UNO-Bericht: Schluss mit Pestiziden! · wird ein Produkt zurückgezogen. Die Welt ökologisch ernähren Trotz des weit verbreiteten Pestizideinsatzes gab es in den letzten 40 Jahren

UNO-Bericht: Schluss mit Pestiziden!

18 Natur & Umwelt | BNN Nachrichten 2/2017

Agrarökologie als bessere Alternative

„Es ist an der Zeit, mit dem Mythos aufzuräu-men, dass Pestizide notwendig sind, um dieWeltbevölkerung zu ernähren.“ Diese Forde-rung stammt aus der Feder von zwei UNO-Sonderberichterstattern, die im Frühjahrgemeinsam einen Bericht für den Rat fürMenschenrechte der Vereinten Nationen ver-öffentlicht haben. Tenor: weg von der Pesti-zid-Abhängigkeit, hin zu agrarökologischenMethoden wie vielfältige Fruchtwechsel, För-derung der Bodenfruchtbarkeit und Verwen-dung lokal angepasster Sorten.

Mit diesem Report kommen zentrale Forderun-gen, die die Biobranche seit Jahrzehnten stellt,

nun endlich auch von „ganz oben“ – gut re-cherchiert und auf internationaler Ebene. DerEinsatz von Pestiziden verletze die Menschen-rechte, insbesondere das Recht auf gute („angemessene“) Ernährung und Gesundheit,schreiben die Autoren und stellen klar: „DasRecht auf Nahrung verpflichtet die Staaten zuSchutzmaßnahmen, damit Lebensmittel sicher,frei von Pestiziden und von guter Qualitätsind.“ Darüber hinaus müssten insbesondereschutzbedürftige Gruppen wie Landarbeiter,Kinder und schwangere Frauen vor den Aus-wirkungen von Pestiziden geschützt werden. Genau dieser Schutz sei aber nicht gewährlei-stet. Die beiden Autoren, die UNO-Sonderbe-

auftragte für das Recht auf Nahrung, HilalElver, sowie der Sonderbeauftragte für Men-schenrechte, gefährliche Chemikalien und Ab-fälle, Baskut Tuncak, listen Punkt für Punkt auf,welche Gefahren von Pestiziden ausgehen. FürVerbraucher besonders kritisch sei, dass Nah-rungsmittel oft Rückstände verschiedenerWirkstoffe enthalten, wobei kaum bekannt sei,wie sich solche Mixturen auf den Menschenauswirken. Einige Studien würden jedoch auferhöhte Toxizität hinweisen. Bauern, ihre Fami-lien und die Menschen insgesamt in ländlichenRegionen seien bedroht durch die chronischeBelastung mit Pestiziden. Verschiedene Stu-dien zeigten, dass dadurch Krebs, Alzheimer

Die Behauptung der agrochemischen Industrie, dass Pestizide notwendig seien, um weltweite Ernährungssicherheit zu erreichen, ist nicht nurfalsch, sondern führt gefährlich in die Irre.“

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und Parkinson, aber auch Bewegungsstörun-gen und Entwicklungsstörungen bei Ungebore-nen und Kindern sowie Unfruchtbarkeitverursacht werden können. Der übermäßigeGebrauch und Missbrauch von Pestiziden kon-taminiere überdies das Grundwasser und zer-störe die Artenvielfalt einschließlich wichtigerNützlinge. Viele Rückstände blieben über Jahr-zehnte in Wasser und Boden und bedrohten sodas natürliche System, auf dem unsere Le-bensmittelproduktion basiert – und somit auchdie Gesundheit und die Ernährungssicherheitkommender Generationen.

Agrochemie „aggressiv und unethisch“

Die Autoren kritisieren die Agrarkonzerne fürihre „skrupellosen, unmoralischen Marketing-Taktiken“ und ihre systematische Verleugnungvon Schäden durch den Einsatz von Pestiziden.In vielen Fällen würden hochgefährliche Pro-dukte, die in den Industrieländern nicht odernicht mehr erlaubt sind, sogar weiterhin expor-tiert. Zum Teil sei der Export nach einem Ver-bot sogar gesteigert worden - in vollemBewusstsein der Bedrohung. Auch dies sei einklarer Verstoß gegen die Menschenrechte. DieVerantwortung über den gesamten „Lebenszy-klus“ eines Pestizids liege klar beim Hersteller.Die massive Lobbyarbeit blockiert laut Berichtpolitische Reformen und ein Zurückfahren desPestizideinsatzes weltweit. Notwendig seidaher der politische Wille, Interessensverflech-tungen und Machtbeziehungen neu zu bewer-ten und anzufechten.

Die je nach Land extrem unterschiedlichen Si-cherheitsstandards bei der Produktion und derAnwendung von Pestiziden zeugen laut Elverund Tuncak zudem von einer „Doppelmoral“ mitschwerwiegenden Auswirkungen auf die Men-schenrechte. So endeten jährlich 200.000akute Pestizidvergiftungen tödlich, zu 99 Pro-zent in Entwicklungsländern, weil dort die Si-cherheits- und Umweltstandards deutlichniedriger sind. In 65 Prozent der Entwicklungs-länder gebe es keinerlei Regulierung für denEinsatz von Pestiziden, und wenn, dann man-gele es oft an der Umsetzung. In vielen Län-dern, darunter die USA, gelte auch nicht dasVorsorgeprinzip wie in der EU. In der Praxisheißt das häufig: Erst wenn etwas passiert ist,wird ein Produkt zurückgezogen.

Die Welt ökologisch ernähren

Trotz des weit verbreiteten Pestizideinsatzesgab es in den letzten 40 Jahren nicht wenigerErnteverluste, heißt es im Bericht. Das wird

unter anderem darauf zurückgeführt, dass dieMittel auch natürliche Schädlingsfeinde sowiebestäubende Insekten töten, und dass Schäd-linge und Unkräuter zudem Resistenzen entwik-keln, vor allem in Monokulturen mit genetischveränderten Sorten. „Es ist möglich, ohne odermit minimalem Gebrauch von toxischen Chemi-kalien gesündere und nährstoffreiche Lebens-mittel zu produzieren, auf längere Sicht auchmit höheren Erträgen, ohne die natürlichen Res-sourcen zu verschmutzen oder zu erschöpfen“,schreiben Elver und Tuncak. Erforderlich sei einÜbergang zu nachhaltigen landwirtschaftli-chen Praktiken, die Ressourcenknappheit undKlimawandel berücksichtigen. Laut UN-Welt-ernährungsorganisation (FAO) könnten wirschon heute die für 2050 prognostizierte Zahlvon neun Milliarden Menschen ernähren. DasProblem, betont der Bericht, seien Armut, Un-gleichheit und Defizite in der Verteilung. Agrar-ökologie hat sämtliche ökologischen Prozesse inder Agrarlandschaft und das Ernährungssystemmit allen ökologischen, ökonomischen und so-zialen Dimensionen im Blick. Die Techniken sindlokal angepasst, vielfältig bei den Fruchtfolgenund zielen auf langfristige Bodenfruchtbarkeit -ideal für Kleinbauern, weil die Abhängigkeit vonteuren Pestiziden und Düngemitteln entfällt.

Für entscheidend halten die Autoren robusteSorten. In den vergangenen Jahrzehnten wurdedie Vielfalt der Nutzpflanzen und Sorten jedochstark reduziert. Die Züchtung konzentriert sichauf Hochleistungssorten, die anfälliger fürSchädlinge und Krankheiten sind und nur unteroptimalen Bedingungen funktionieren (auchDüngung). Da fast alle Saatgutfirmen heute Teilvon Agrochemie-Unternehmen sind, hätten sieallerdings nur begrenztes Interesse an robustenSorten. Die drei marktbeherrschenden Konzern-gruppen Monsanto/Bayer, Dow/Dupont undSyngenta/ChemChina kontrollieren mehr als 60Prozent der Saatgutverkäufe. „Deswegen ist dieökologische Züchtung als konzernunabhängigeAlternative so wichtig.“, betont Kirsten Arp, diebeim BNN zuständig ist für die gemeinsameFörderung der Gemüsezüchtung der BNN-Moni-toring-Teilnehmer. Sie fördern 35 Einzelprojektedes Kultursaat und des saat:gut e.V., die ökologi-sche, samenfeste und robuste Sorten entwickeln.

Bio fördern, Forschung finanzieren

Statt ihre Energie zu nutzen, um die Ursachender Pestizidbelastung zu beseitigen und neueKonzepte zu entwickeln, gönnt sich die EU-Kommission ein jahrelanges Gerangel um dieForm der Landwirtschaft, die Pestizide garnicht erst einsetzt. Die geplante Revision der

weitgehend gut funktionierenden EU-Öko-Ver-ordnung lenkt ab von Problemen einer verfehl-ten Agrarpolitik wie dem Bienensterben, fürdas auch Insektizide aus der Gruppe der Neo-nikotinoide verantwortlich sind, und von regel-mäßigen Höchstmengenüberschreitungen undMehrfachbelastungen bei konventionellemObst und Gemüse in Europa. Stattdessen wirdin Brüssel diskutiert, wie Rückstände bei dennachweislich sehr selten – und wenn dann inder Regel gering - belasteten Bio-Produktenauf dem Rücken der Betroffenen weiter ge-senkt werden könnten. Immerhin: „Ein eigenerGrenzwert für Bio-Produkte ist wohl vomTisch“, so Kirsten Arp vom BNN-Monitoring fürObst und Gemüse. „Aber alle aktuellen Kom-promissvorschläge gehen noch immer in dieRichtung, Biobetriebe stärker in die Verantwor-tung zu nehmen bei der Vermeidung von Pesti-zideinträgen, die sie selbst gar nichtverursachen.“ Das solle zum Beispiel gesche-hen durch aufwändige Ursachenrecherchen beijedem Spurennachweis und durch Hinweise ankonventionell wirtschaftende Nachbarn. „Aberder Bio-Landwirt hat ja keine Handhabe“, kriti-siert Kisten Arp. „Was soll er tun, wenn derNachbar an den Grundstücksgrenzen keine be-sondere Vorsicht walten lässt - soll er dendann verklagen?“ Bisher muss bei Pestizidfun-den nachweisbar sein, dass sie auf eine ab-sichtliche und verbotene Anwendungzurückgeht. Künftig könnte es sein, dass einBiolandwirt aufwändig beweisen muss, dassein Rückstand unvermeidbar war, zum Beispielwegen eines sprühfreudigen Nachbarn. Damitwäre die Beweislast umgekehrt und das Verur-sacherprinzip auf den Kopf gestellt. Das Ab-wehren des Grenzwerts könnte so am Ende fürdie Katz sein, da die neuen Vorschläge für dieBiolandwirtschaft und den Biohandel nicht we-niger schädlich sind.

Die beiden UNO-Sonderberichterstatter packendas Pestizidproblem von der Verursacherseitean: Jegliche finanzielle Unterstützung für Pe-stizide müsse gestrichen werden, stattdessensollten Steuern und Importzölle für Pestizideeingeführt werden. Notwendig sei außerdemdie Förderung von umfassenden Studien zuGesundheitsgefahren von Pestiziden, speziellauch bei Mehrfachbelastungen. Die einzelnenStaaten sollten Aktionspläne verabschieden, indenen bindende Pestizid-Reduktionsziele undFristen festgeschrieben sind. Für Bio-Lebens-mittel schlagen sie Unterstützungsmaßnah-men vor wie Subventionen und verstärkteBerücksichtigung bei Beschaffungsmaßnah-men der öffentlichen Hand.

Katja Niedzwezky