Urban Citizenship in Hamburg€¦ · Urban Citizenship in Hamburg Seminararbeit: Leena Mara Hügel...
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Urban Citizenship in HamburgSeminararbeit: Leena Mara Hügel
Betreuerin: Helene Heuser, MARefugee Law Clinic Hamburg
Hamburg den 30.09.2018
II
Thema
Momentan werden auf zivilgesellschaftlicher Ebene Stimmen laut, die neben der Staatsbürgerschaft eine „Stadtbürgerschaft“ fordern, die allen Menschen, die vor Ort leben, unabhängig von ihrer Staatsbürgerschaft, zusteht. Solche Konzepte werden in Kanada und den USA sowie nun in Europa und Deutschland diskutiert.
In einzelnen Städten zum Beispiel in New York City haben sie bereits erste Formen angenommen. Die „NY-ID-card“ wurde im Januar 2015 eingeführt und hat insbesondere Menschen ohne einen Aufenthaltsstatus (sog. „Undokumentierte“, „Illegalisierte“ oder „Sans Papiers“) Teilhabemöglichkeiten in der Stadt eröffnet. Wer seinen Wohnsitz und seine Identität nachweisen kann, bekommt den offiziellen Stadtaus- weis. Damit erhalten die Urban Citizens Zugang zu öffentlichen Infrastrukturen und Dienstleistungen, können leichter Miet-, Handy und andere Verträge abschließen, unkomplizierter Bankgeschäfte erledigen und vieles mehr. Zudem ist bei einfachen Polizeikontrollen ist nicht mehr erkennbar, dass sie nicht über gültige Aufenthaltspapiere verfügen. Auch bei Kontakt mit anderen Behörden der Stadt wie Schulen oder Steuer- behördenwird nicht mehr nach dem Migrationsstatus gefragt. Viele öffentliche Institutionen wie Museen, Theater oder Bibliotheken gewähren beim Vorweisen der NY- ID-card Vergünstigungen oder Gratis-Eintritt. Damit ist die Karte auch attraktiv für Stadtbürger mit legalem Status, so dass Undokumentierte sich nicht selbst als solche ausweisen, wenn sie die NY-ID zeigen. In Hamburg denken lokale Initiativen der Zivilgesellschaft darüber nach, ob auch hier eine „City-ID-Card“ nach dem New Yorker Modell eingeführt werden könnte. Dies wirft zahlreiche rechtliche Fragen auf. Da dazu bisher keine rechtswissenschaftlichen Ausarbeitungen oder Gutachten existieren, soll die Seminararbeit einen ersten Ein- blick in die deutsche Rechtslage vermitteln.
Skizzieren Sie die deutsche Rechtslage für Menschen ohne Aufenthaltsstatus. Von welchen sozialen Rechten sind sie im täglichen Leben faktisch ausgeschlossen (bspw. Gesundheitsversorgung, Abschließen eines Mietvertrags, Arbeitsrechte, Eröffnung eines Bankkontos, Bildung, Polizeischutz, Führerschein)?
Stellen Sie anschließend Idee der „urban citizenschip card“ anhand der US-Modelle und der Vorschläge in Zürich knapp und überblicksartig als Lösungsansatz vor.
Beschreiben Sie in einem dritten Schritt die Rechtslage für ein entsprechendes Vorhaben in Deutschland. Welche Gesetze sind betroffen, wenn über die Einführung eines Personaldokuments in der Stadt nachgedacht wird? Inwiefern könnte dem Vorhaben das Bundesmeldegesetz, die Übermittlungspflicht von Behörden an Ausländerbehörden nach § 87 AufenthG oder die Strafvorschriften bzgl. des illegalen Aufenthalts gemäß § 95 AufenthG entgegenstehen? Ist in Deutschland die kommunale, Länder- oder Bundeseben für polizeiliche Ausweiskontrollen in der Stadt zuständig? Falls Sie anschließend noch zeitliche und platztechnische Kapazitäten haben, schauen Sie außerdem in das Hamburgische Kommunal- bzw. Landesrecht. Finden sich hier Vorschriften, die die Inklusion aller Stadtbürger (unabhängig vom Aufenthaltsstatus) fördern sollen? Verbleiben weitere Kapazitäten, gehen Sie bitte noch knapp auf die Gesetzgebungskompetenzen zum Ausweisrecht in Art 72 ff. GG ein.Geben Sie abschließend eine kurze zusammenfassende Einschätzung dazu ab, inwiefern im Stadtstaat Hamburg eine „urban citizenschip card“ eingeführt werden könnte.
III
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VI
Gliederung
I Einleitung --------------------------------------------------------------------------------1
II Hauptteil --------------------------------------------------------------------------------2
1. Rechtslage in Deutschland------------------------------------------------------2
für Menschen ohne Aufenthaltsstatus
a) Grundgesetz---------------------------------------------------------------2
aa) Gesundheitsversorgung -------------------------------------------3
(1) Recht auf grundlegende--------------------------------------3
Gesundheitsversorgung
(2) Meldepflicht der Krankenhäuser---------------------------4
(3) Ausnahme von der Strafbarkeit----------------------------4
nach dem AufenthG
(4) Zusammenfassung---------------------------------------------5
bb) Schulbildung-------------------------------------------------------6
cc) Justizgrundrechte am Beispiel von Arbeit--------------------7
dd) Polizeischutz--------------------------------------------------------8
ee) Unterkunft----------------------------------------------------------9
(1) Strafbarkeit des Vermieters: ---------------------------------9
Strafrechtliche Problematik:
Strafbarkeit nach § 96 I Nr. 2 AufenthG/
Beihilfe zum unerlaubtem Aufenthalt
§ 95 I Nr. 2 AufenthG iVm § 27 StGB
(2) Meldegesetz ------------------------------------------------------11
(3) Zusammenfassung Unterkunft ------------------------------11
b) Alltagsgeschäfte ----------------------------------------------------------12
c) Ergebnis Rechtslage für Menschen -----------------------------------12
ohne legalen Aufenthaltstitel.
2. Urban citizenship card als Lösungsansatz in den --------------------13
USA und in Zürich
VII
3. Rechtslage für das Einführen einer Stadtbürgerschaft------------14
in Deutschland
a) Spannungsverhältnis zu anderen Gesetzen-------------------------14
aa) Zuständigkeit für Ausweiskontrolle in der Stadt--------------15
bb) Bundesmeldegesetz (BMG)------------------------------------------16
cc) Meldepflicht an die Ausländerbehörde-----------------------------17
dd) Strafvorschriften bzgl. des illegalen Aufenthalts----------------17
ee) Gesetzgebungskompetenzen ----------------------------------------18
III Fazit und Stellungnahme-------------------------------------------------------- 19
1. Zusammenfassende Problembeschreibung-----------------------------------19
2. Stadtbürgerschaft als Lösung? -------------------------------------------------20
3. Stellungnahme ---------------------------------------------------------------------22
1
1. Einleitung
Einige Städte in der USA haben eine sog. „Urban Citizenship Card“
eingeführt. Diese soll es Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus
erleichtern, soziale Rechte wahrzunehmen, von denen sie vorher
faktisch ausgeschlossen waren. Diese „Stadtbürgerschaft“ kann von
jedem beantragt werden, der seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der
Stadt hat.1 Auch viele Amerikaner und Ausländer mit legalem
Aufenthaltsstatus haben diesen „Stadtbürgerschaftsausweis“
beantragt, da man mit diesem Ausweis in vielen öffentlichen
Institutionen, wie beispielsweise Museen, günstigeren Eintritt erhält.
Aufgrund der Beliebtheit dieses Ausweises in der
Gesamtbevölkerung, geben sich Menschen ohne legalem
Aufenthaltsstatus durch das Zeigen eines
„Stadtbürgerschaftsausweis“ nicht als ohne legalen
Aufenthaltsstatus zu erkennen.2 In Zürich wird dies derzeit als
Lösungsansatz diskutiert. In dieser Arbeit werde ich mich mit der
Frage beschäftigen, ob eine solche „Stadtbürgerschaft“ in Hamburg
eingeführt werden sollte und ob sie eingeführt werden könnte.
Dafür werde ich als erstes die deutsche Rechtslage für Menschen
ohne Aufenthaltsstatus darstellen. Dabei werde ich auf die
Grundrechte von Menschen ohne Aufenthaltsstatus eingehen und
mich mit den praktischen Problemen, die bei der Wahrnehmung
dieser Grundrechte entstehen können, beschäftigen. Außerdem
werde ich kurz alltägliche Rechte, von denen Menschen ohne
Aufenthaltstitel praktisch ausgeschlossen sind, skizzieren.
Als nächstes werde ich die „Urban Citizenschip Card“ als
Lösungsansatz in den USA und die Vorschläge in Zürich kurz
darstellen.
Anschließend werde ich mich mit der Rechtslage in Deutschland und
der Frage, welche Gesetze von der „Stadtbürgerschaft“ betroffen
1 The center for popular democracy: Who we are, municipal ID cards as a local strategie to promote belonging and shared community identity S.9. 2 Schillinger Urban Citizenship Rn. 25.
2
wären, beschäftigen. Hierbei werde ich mich mit dem Meldegesetz,
den Strafvorschriften bzgl. des illegalen Aufenthaltes, der
Meldepflicht öffentlicher Stellen an die Ausländerbehörde und der
Gesetzgebungskompetenz bzgl. des Ausweisrechts auseinander-
setzen.
Abschließend werde ich ein Fazit ziehen und zu der Frage Stellung
nehmen, ob Hamburg eine „Stadtbürgerschaft“ einführen sollte und
ob Hamburg dies auch rechtlich umsetzen könnte.
I Hauptteil
Im Hauptteil werde ich auf die Rechtslage in Deutschland für
Menschen ohne Aufenthaltsstatus eingehen. Anschließend stelle ich
die Urban citizenship card als Lösungsansatz in den USA und in
Zürich vor. Abschließend prüfe ich die rechtliche Möglichkeit einer
Einführung eines solchen Systems in Hamburg.
1. Rechtslage in Deutschland für Menschen ohne
Aufenthaltsstatus
a) Grundgesetz
Auch Menschen ohne Aufenthaltstitel haben verfassungsmäßige
Rechte. Alle Grundrechte, die nicht sog. „Deutschengrundrechte“ 3
sind, gelten auch für Menschen ohne legalem Aufenthaltsstatus.
Beispielsweise folgt aus dem Schutz der Menschenwürde in Art 1 I
GG und dem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit in Art
2 II GG ein Recht auf eine menschenwürdige Gesundheits-
versorgung4 und auf eine menschenwürdige Unterkunft5. Aus dem
Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit in Art 2 II GG folgt
ein Schutzanspruch des Menschen ohne Aufenthaltstitel. So muss es
3 Münch/Kunig GG Kommentar Band 1 Vorb. Rn. 9; Sodan Grundgesetz Vorb. Rn.35. 4 BVerwGE 1, 159 (162); ErfK/Schmidt, 18. Aufl. 2018, GG Art. 2 Rn. 101-103. 5 ErfK/Schmidt, 18. Aufl. 2018, GG Art. 2 Rn. 104-107; Spickhoff/Müller-Terpitz, 3. Aufl. 2018, GG Art. 1 Rn. 2.
3
einem Menschen ohne Aufenthaltstitel z.B. möglich sein, in einer
Gefahrensituation die Polizei zu rufen.
Aus Art 103 GG folgt das Recht auf rechtliches Gehör und die
Möglichkeit seine Rechte einzuklagen.
Auch nach der europäischen Menschenrechtskonvention haben
Menschen ohne legalem Aufenthaltsstatus in Deutschland Rechte.
Beispielsweise folgt aus dem Artikel 2 des Zusatzprotokolls
Konvention zum Schutze der Rechte und Grundfreiheiten, das Recht
auf Bildung.6 Im Folgenden werde ich auf die praktischen
Schwierigkeiten für Menschen ohne Aufenthaltstitel, diese Rechte
wahrzunehmen, genauer eingehen.
aa) Gesundheitsversorgung
(1) Recht auf grundlegende Gesundheitsversorgung
Gem. § 1 Abs. 1 Nr. 5 AsylbLG fallen auch „vollziehbare
ausreisepflichtige“ Ausländer unter das Asylbewerberleistungs-
gesetz. Dies bedeutet, dass auch Menschen ohne Aufenthaltsstatus
ein Recht auf eine grundlegende Gesundheitsversorgung gem. § 4
AsylbLG haben. Dadurch ist es grundsätzlich möglich, medizinische
Leistungen, die an Menschen ohne Aufenthaltsstatus geleistet
worden sind, über die zuständige Behörde abzurechnen.7 Faktisch
aber ergeben sich für die behandelnden Ärzte und die Patienten
einige Unsicherheiten.8
Der § 4 I AsylbLG schränkt die Behandlungsmöglichkeiten stark
ein. Es werden neben der Schwangerschaftsbehandlung in § 4 II
AsylbLG nur Behandlungen akuter Schmerzzustände, Notfälle,
sowie Behandlungen die zur Aufrechterhaltung der Gesundheit
unerlässlich sind, gewährt.
6VglArt.21.EMRK-ZProt7 Cytrus, Aufenthaltsrechtliche Illegalität S.47ff. Bundesverband der Krankenhäuser, Hinweise zur medizinischen Versorgung von Flüchtlingen und Asylsuchenden in Krankenhäusern. S. 10. 8 Arbeitspapier der Bundesarbeitsgruppe Gesundheit/Illegalität S.5.
4
(2) Meldepflicht der Krankenhäuser
In der Regel erheben alle Krankenhäuser zur Sicherung der
Behandlungskosten Daten zur Identitätsfeststellung der Person. 9
Diese Informationen beinhalten auch die Anschrift sowie die
Staatsbürgerschaft des Patienten. Der § 87 AufenthG verpflichtet
öffentliche Stellen, unverzüglich die zuständige Ausländerbehörde
zu verständigen, wenn sie Kenntnis vom illegalen Aufenthalt eines
Ausländers erhalten. Krankenhäuser in öffentlicher Trägerschaft
sind öffentliche Stellen i.S.d. § 87 AufenthG.10 Diese Meldepflicht
wird jedoch eingeschränkt durch den § 88 II AufenthG i.V. § 203
StGB. Mit dieser Einschränkung muss der behandelnde Arzt den
Patienten nur dann melden, wenn der Patient die öffentliche
Gesundheit gefährdet. Dies ist in der Regel der Fall, wenn der Patient
an einer ansteckenden Krankheit leidet und sich aus dem Verhalten
des Patienten ergibt, dass dieser die Krankheit weitertragen könnte.11
Auch das Sozialamt sowie die Verwaltung in Krankenhäusern
müssen bei medizinischen Eilfällen die Patienten nicht melden. 12
Eine ambulante Behandlung ist in der Regel kein medizinischer
Notfall und in diesem Fall muss das Sozialamt die Ausländerbehörde
gem. § 87 AufenthG informieren.13
(3) Ausnahme von der Strafbarkeit nach dem AufenthG
Menschen, die Ausländern ohne Aufenthaltstitel helfen, können sich
grundsätzlich nach § 96 I AufenthG und nach § 95 I AufenthG iVm.
§ 27 I StGB strafbar machen. Eine Strafbarkeit von Ärzten und
Krankenhäusern ist jedoch nicht gegeben, wenn sich die
Hilfeleistung auf die Erfüllung der medizinischen Pflichten
9 Bundesverband der Krankenhäuser, Hinweise zur medizinischen Versorgung von Flüchtlingen und Asylsuchenden in Krankenhäusern. S. 10ff.
10 Bundesverband der Krankenhäuser, Hinweise zur medizinischen Versorgung von Flüchtlingen und Asylsuchenden in Krankenhäusern. S. 10. 11 Bundesverband der Krankenhäuser, Hinweise zur medizinischen Versorgung von Flüchtlingen und Asylsuchenden in Krankenhäusern. S. 10. 12 Bericht vom Februar 2007 „Illegal aufhältige Migranten in Deutschland – Datenlage, Rechtslage, Handlungsoptionen“ s.4. 13 Cytrus Nobert, Aufenthaltsrechtliche Illegalität S.47ff.
5
beschränkt.14 Die Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zum
Aufenthaltsgesetz stellen klar, dass eine medizinische Handlung von
Ärzten keine Strafbarkeit nach dem AufenthG begründen kann.15
Außerdem hat das Bundesministerium des Inneren in einem Bericht
von 2007 festgestellt, dass keine Strafbarkeit nach § 96 I AufenthG
oder nach § 95 I AufenthG ivm. § 27 StGB gegeben ist, wenn die
ärztliche Hilfeleistung unter ethischen und berufsrechtlichen
Aspekten geboten ist.16
(4) Zusammenfassung
Da Krankheiten nur unter den Einschränkungen des § 4 I AsylbLG
behandelt werden können und der Patient eine Aufdeckung seines
fehlenden Aufenthaltsstatus und eine Meldung an die
Ausländerbehörde befürchten muss, werden notwendige
medizinische Behandlungen oft so lange es möglich ist,
hinausgezögert.17 Dadurch kann sich ein chronisches
Krankheitsbild, das mit rechtzeitiger Behandlung hätte vermieden
werden können entwickeln. Die Unsicherheit der Ärzte, ob die
Behandlungskosten übernommen werden, erschwert die Situation
zusätzlich.
Dadurch bleibt eine medizinisch notwendige Versorgung von
Menschen ohne Aufenthaltstitel häufig ganz aus. 18
14 Cytrus Nobert, Aufenthaltsrechtliche Illegalität S.48; Bericht vom Februar 2007 „Illegal aufhältige Migranten in Deutschland – Datenlage, Rechtslage, Handlungsoptionen“ s.4. 15 Allgemeinene Verwaltungsvorschriften (AVV) zum Aufenthaltsgesetz Rn. 88.2.3ff. 16 Bericht vom Februar 2007 „Illegal aufhältige Migranten in Deutschland – Datenlage, Rechtslage, Handlungsoptionen“ S.4ff; ebenso Allgemeine Verwaltungsvorschriften (AVV) zum Aufenthaltsgesetz Rn. 96.1.3.
17 Bundesministerium des Inneren, Illegal aufhältige Menschen in Deutschland S. 11. 18Bundesministerium des Inneren, Illegal aufhältige Migranten in Deutschland S. 11.
6
bb) Schulbildung
In Hamburg haben alle Kinder ein Recht auf Bildung. Dieses Recht
ergibt sich aus § 1 HmbSG: „Jeder junge Mensch hat das Recht auf
eine seinen Fähigkeiten und Neigungen entsprechende Bildung und
Erziehung und ist gehalten, sich nach seinen Möglichkeiten zu
bilden. (...)Aus dem Recht auf schulische Bildung ergeben sich
individuelle Ansprüche, wenn sie nach Voraussetzungen und Inhalt
in diesem Gesetz oder aufgrund dieses Gesetzes bestimmt sind.“ Die
Schulpflicht in Hamburg knüpft mit § 37 HmbSG an den Wohnsitz
und den gewöhnlichen Aufenthalt an. Der Senat der Hansestadt
Hamburg geht daher davon aus, dass Kinder ohne Aufenthaltstitel
ebenfalls ein Schulrecht und eine Schulpflicht haben.19 Die
Meldebestätigung darf nicht als einzige Wohnortbescheinigung
verlangt werden.20 Durch die Wahl des Wortes „Jeder“ wird klar,
dass auch Kinder ohne Aufenthaltstitel ein Recht auf Bildung haben.
Trotzdem werden viele Kinder ohne Aufenthaltstitel, aus Angst ihrer
Eltern vor Abschiebung, nicht beschult. 21 Fraglich ist, ob diese
Befürchtung berechtigt ist. Schulen sowie Bildungs- und
Erziehungseinrichtungen sind ausdrücklich von der
Übermittlungspflicht an die Ausländerbehörden ausgeschlossen
(vgl. § 87 I Aufenthaltsgesetz). Somit besteht eigentlich keine
Gefahr, dass Kinder ohne Aufenthaltstitel von den Schulen an die
Ausländerbehörde gemeldet werden. Jedoch hat Hamburg im Jahr
2006 ein zentrales Schülerregister eingeführt. Dieses kann zur
Aufdeckung einer fehlenden Aufenthalts-genehmigung führen.22
Das zentrale Schulregister dient der Durchsetzung der Schulpflicht
durch einen Abgleich des Melderegisters mit den Schulen.23 Bei
Bedarf kann die Polizei auf das Zentralregister zugreifen (bspw.
wenn ein Kind während der Schulzeit draußen von der Polizei
19Vogel/AßerinStudiefürdenSachverständigenratdeutscherStiftungfürIntegrationundMigration,KinderohneAufenthalsstauts3.2.3.20SchulsenatorinChristaGötschBriefandieSchulleitungenvom17.6.200921 Ludwig, Angstfrei in die Schule gehen, Zeile 7ff. 22 Vogel/AßerinStudiefürdenSachverständigenratdeutscherStiftungfürIntegrationundMigration,KinderohneAufenthalsstautsS.11. 23 Ludwig, Angstfrei in die Schule gehen, Abs. 13.
7
angetroffen wird), so können Kinder die zwar in Hamburg zur
Schule gehen, aber nicht gemeldet sind, auffallen.24 Das
zentrale Schulregister dient nicht dem aufspüren von Kindern
ohne Aufenthaltstitel, jedoch besteht durchaus die Gefahr
eines Missbrauches. So hat im August 2008 ein Abgleich mit
dem Zentralregister dazu geführt, dass eine 15 Jährige und ihre
Mutter, die sich „illegal“ in Deutschland aufhielten, von
Abschiebung bedroht waren.25 Durch Fälle wie diesen zögern
viele Eltern, ihre Kinder zur Schule zu schicken.26
cc) Justizgrundrechte am Beispiel von Arbeit
Auch die Wahrnehmung von den Justizgrundrechten (Art. 101,
103 GG) kann sich für Menschen ohne legalem
Aufenthaltsstatus als schwierig sein. Dies soll an dem Beispiel
Arbeit erklärt werden. Eine legale Tätigkeit kann in
Deutschland nur mit einer Arbeitserlaubnis aufgenommen
werden.27 Eine Arbeitserlaubnis ist aber grundsätzlich an einen
legalen Aufenthalt gebunden.28 Ein Arbeitsvertrag eines
Menschen ohne Aufenthaltstitel ist daher regelmäßig gem. §
134 BGB iVm. § 1 Abs. 2 Nr. 1 SchwarzArbG nichtig. Häufig
weigern sich Arbeitgeber, die Arbeiter schwarz beschäftigt
haben, diese zu bezahlen. Menschen ohne Aufenthaltstitel
sind in diesem Bereich besonders gefährdet, da sie aus Angst
vor Abschiebung den Kontakt zu Behörden scheuen und die
ihnen zustehenden Rechte nicht erstreiten wollen.29 Denn
obwohl ein Schwarzarbeitsvertrag nichtig ist, könnte der
Arbeiter trotzdem Ansprüche auf Bezahlung haben. Der BGH
bejaht regelmäßig einen Anspruch des Werkunternehmers auf
Zahlung aus
§ 817 S. 1 BGB.30 Dieser Anspruch kann eingeklagt werden. Das
24 Ludwig, Angstfrei in die Schule gehen, Abs. 13. 25 Haude in Bildung für alle Kinder?. Rn. 264. 26 Ludwig, Angstfrei in die Schule gehen, Zeile 8ff. 27 MüKoBGB/Henssler, 7. Aufl. 2016, BGB § 626 Rn. 197-198. 28 APS/Backhaus, 5. Aufl. 2017, TzBfG § 14 Rn. 136-137. 29 Internationale Gesellschaft für Menschenrechte, Habe ich auch als Schwarzarbeiter Rechte? Zeile 14ff. 30 h.M in der Rechtsprechung BGH NJW 1990,2542. a.A siehe: MüKoBGB/Schwab, § 817 Rn. 24.
8
Gericht prüft in der Regel keine aufenthaltsrechtlichen Fragen.31 Der
Umstand, dass Gerichte in der Regel aufenthaltsrechtliche Fragen
nicht prüft, ist vielen betroffenen Menschen nicht bekannt. 32 Hinzu
kommt die generelle Angst vor Behörden, die Menschen dazu
bringen kann, auf das Durchsetzen ihrer Rechte zu verzichten.
dd) Polizeischutz
Zur Gefahrenabwehr dürfen die Verwaltungsbehörden eine Person
anhalten und ihre Personalien feststellen (vgl § 12 hmbSOG). Eine
Person, die über keine Papiere verfügt, kann zur Feststellung ihrer
Personalien zur Dienststelle verbracht werden. §12 II hmbSOG.
Kann jemand seine Personalien nicht mit Papieren belegen, so liegt
der Verdacht zunächst nahe, dass die Person über keinen legalen
Aufenthaltstitel verfügt. Dies würde die Polizei dann an die
Ausländerbehörde melden. Viele Menschen ohne legalem
Aufenthaltsstatus fürchten sich daher vor einfachen
Polizeikontrollen und meiden Plätze, an denen solche Kontrollen
gehäuft durchgeführt werden (zB. bei Demonstrationen, bei
Fußballspielen und an Bahnhöfen,...).33 Dadurch werden Menschen
ohne legalem Aufenthaltsstatus häufig von sozialen, alltäglichen
Situationen ausgeschlossen. Wie oben bereits beschrieben, gestaltet
sich der Rechtsweg für Personen ohne legalen Aufenthaltsstatus oft
als schwierig. Sollte jemand ohne legalem Aufenthaltsstatus von der
Polizei rechtswidrig behandelt worden sein, könnte diese Person
daher den Kontakt mit den Verwaltungsgerichten scheuen. 34 Eine
Kontrolle der Polizei durch Gerichte ist in einem Rechtsstaat jedoch
durchaus sehr wichtig.
31 Internationale Gesellschaft für Menschenrechte, Habe ich auch als Schwarzarbeiter Rechte? Zeile 14ff. 32 Internationale Gesellschaft für Menschenrechte; Habe ich auch als Schwarzarbeiter Rechte? Zeile 14ff.33Who we are, municipal ID cards as a local strategie to promote belonging and shared community identity S.8ff34SchillingerUrbanCitizenshipRn.25.
9
Erstattet jemand Anzeige, da er Opfer einer Straftat geworden ist,
oder ruft jemand die Polizei aufgrund einer konkreten Gefahr, wird
die Polizei aus Beweissicherungsgründen ebenfalls die Identität des
Anzeigestellers überprüfen. Auch in dieser Situation läuft ein
Mensch ohne Aufenthaltstitel Gefahr, dass dies zu einer
Abschiebung führen könnte.
Aus diesen Gründen vermeiden Menschen ohne Aufenthaltstitel
häufig den Kontakt zu der Polizei, selbst wenn sie Opfer einer
Straftat geworden sind.35 Abzuwägen, ob man bei einer konkreten
Gefahr (z.B. bei häuslicher Gewalt) die Polizei einschalten sollte,
kann zu Schäden an Personen führen. Da sich Menschen ohne
Aufenthaltstitel nicht im selben Maße an die Gerichte wenden, wie
Menschen mit legalem Aufenthaltstitel, findet eine Kontrolle der
Polizei durch die Gerichte nicht im selben Maße statt, wie wenn
Menschen mit legalem Aufenthaltstitel betroffen sind.
ee) Unterkunft
Das Recht auf Unterkunft folgt aus Art. 1 iVm. Art 2 II GG.
Obdachlosigkeit oder gesundheitsgefährdende Wohnzustände
können einen Verstoß gegen Art. 1 iVm. Art 2 II GG darstellen.36
(1) Strafbarkeit des Vermieters: Strafrechtliche Problematik:
Strafbarkeit nach § 96 I Nr. 2 AufenthG/ Beihilfe zum
unerlaubten Aufenthalt § 95 I Nr. 2 AufenthG iVm § 27 StGB
Der § 96 I Nr.2 AufenthG macht eine Hilfeleistung eines unerlaubten
Aufenthaltes gem. § 95 Abs. 1 Nr 1 oder Nr 2 AufenthG strafbar.
Das Vermieten einer Wohnung an einen Menschen ohne
Aufenthaltsstatus könnte den Tatbestand des § 96 I Nr. 2 AufenthG
erfüllen. Dafür müsste das Vermieten einer Wohnung eine
Hilfeleistung sein. In den Allgemeinen Verwaltungsvorschriften
35 Internationale Gesellschaft für Menschenrechte, Illegal in Deutschland-Hilfestellungen und Antworten. 36 ErfK/Schmidt, 18. Aufl. 2018, GG Art. 2 Rn. 104-107; Spickhoff/Müller-Terpitz, 3. Aufl. 2018, GG Art. 1 Rn. 2.
10
zum Aufenthaltsgesetz werden in Betracht kommenden
Hilfeleitungen exemplarisch aufgelistet. Dort wird als Beispiel das
Beschaffen einer Unterkunft sowie das Verstecken eines unerlaubt
eingereisten Ausländers als eine strafbare Tathandlung aufgelistet
(siehe Verwaltungsvorschrift zu dem AufenthG 96.1.0.2.1.). Ist ein
Ausländer nicht in der Lage, dem Vermieter einen Ausweis
vorzulegen, so käme zumindest ein Eventualvorsatz in Betracht.
Fraglich ist jedoch, ob das Vermieten einer Wohnung auch dann
noch als Hilfeleistung interpretiert werden kann, wenn der
Ausländer ohnehin schon zum „illegalen“ Aufenthalt entschlossen
war. Auch zu diesem Problem nimmt die Verwaltungsvorschrift
Stellung: Die Hilfeleistung sei nicht ausgeschlossen, wenn der
Ausländer zum Aufenthalt entschlossen sei, es reiche, wenn der
Aufenthalt objektiv leichter gestaltet werde (siehe
Verwaltungsvorschrift zu dem AufenthG 96.1.0.2.2.). Für die
Strafbarkeit nach § 96 I Nr. 2 AufenthG müsste der Vermieter
außerdem einen Vermögensvorteil erhalten oder versprechen lassen.
Ein Vermögensvorteil ist jede günstigere Gestaltung der
Vermögenslage.37 Das Verlangen einer Miete gestaltet die
Vermögenslage eines Vermieters positiv.
Sollte der Vermieter keine Miete verlangen, würde er sich trotzdem
wegen Beihilfe gem § 27 StGB iVm. 95 I Nr. 2 AufenthG strafbar
machen.
Ein Vermieter würde sich nur dann nicht nach dem AufenthG
strafbar machen, wenn er von dem „illegalen“ Ausländer gefälschte
Dokumente vorgelegt bekommt. Dies würde den Vorsatz
ausschließen. Der Vorsatz wäre außerdem ausgeschlossen, wenn der
Vermieter von seinen Mietern nie einen Identitätsnachweis verlangt,
dies wird aber kaum realitätsnah sein. Eine Möglichkeit für
Menschen ohne Aufenthaltstitel eine Wohnung anzumieten, wäre
die Wohnung über einen „Strohmann“ anzumieten, der sich als
Mieter ausgibt. Jedoch macht sich der Strohmann nach § § 96 I Nr.
2 AufenthG oder wegen Beihilfe zum unerlaubtem Aufenthalt § 95
37 Wessels/Hillenkamp Strafrecht BT 2 Rn. 584.
11
I Nr. 2 AufenthG iVm § 27 StGB strafbar. Menschen ohne
Aufenthaltstitel leben daher häufig ohne Mietvertrag bei Freunden
oder Verwandten. Diese Wohnsituation ist problematisch, denn ein
Kündigungsschutz ohne dass ein gültiger Mietvertrag zustande
gekommen ist, existiert nicht und damit sind die Menschen ohne
Aufenthaltstitel auf ihre Freunde und Verwandten angewiesen. Auch
kann die Chancenlosigkeit auf dem freien Mietmarkt dazu führen,
dass die Betroffenen jedes Wohnangebot annehmen müssen, selbst
wenn die Wohnung nicht den geltenden Vorschriften entspricht oder
der Vermieter eine zu hohe Miete verlangt.
(2) Meldegesetz
Sollte ein Mensch ohne Aufenthaltstitel es trotz der oben
beschriebenen Schwierigkeiten geschafft haben, eine Wohnung zu
beziehen, muss er sich gem. § 17 BMG innerhalb von zwei Wochen
bei der Meldebehörde anmelden.
Die Meldebehörde speichert unter anderem gem. § 3 I Nr. 10 BMG
die Staatsbürgerschaft, sowie den Namen der Person38 und die
Nummer des Personalausweises39. Eine Person, die über keine
Papiere verfügt, kann diese Dinge jedoch nicht belegen. Ein Verstoß
gegen das Meldegesetz ist daher für Personen ohne Aufenthaltstitel
und ohne Papiere daher praktisch unvermeidbar.
(3) Zusammenfassung Unterkunft
Derzeit können Menschen ohne Aufenthaltstitel auf dem legalen
Weg praktisch keine Wohnungen mieten. Der Vermieter macht sich
strafbar, wenn er an sie eine Wohnung vermietet. Es wird nicht viele
seriöse Vermieter geben, die dieses Risiko eingehen wollen würden.
Die Menschen ohne Papiere laufen folglich Gefahr, an Vermieter zu
geraten, die wucherische Miete verlangen und sich nicht an die
geltenden Wohn- und Gesundheitsstandarts halten. Die
Schwierigkeiten eine Unterkunft zu finden und fehlender
38§3INr.1BMG39§3INr.17BMG
12
Kündigungsschutz können zur Obdachlosigkeit führen. Das Recht
auf menschenwürdige Unterkunft aus Art. 1 GG iVm Art 2 II GG ist
daher häufig nicht gewährleistet.
b) Alltagsgeschäfte
Auch im Alltag bereitet das Fehlen von Ausweispapieren große
Probleme. Um ein Bankkonto zu eröffnen, wird ein Ausweis oder
Reisepass benötigt.40 Dies gilt ebenfalls für das Abschließen von
Versicherungen .41 Das Gleiche gilt für einen Vertragsschluss mit
Telekommunikationsanbietern. 42
c) Ergebnis Rechtslage für Menschen ohne legalen
Aufenthaltstitel.
Menschen ohne legalem Aufenthaltsstatus können viele
Alltagsgeschäfte nicht abschließen. Darüber hinaus sind Menschen,
die über keinen legalen Aufenthaltstitel verfügen, in der Praxis oft
von der Wahrnehmung ihrer verfassungsmäßigen Rechte
ausgeschlossen. So ist eine menschenwürdige Gesundheitsver-
sorgung nicht sichergestellt. Aus Angst vor Abschiebung werden
Arztbesuche so lange wie möglich hinausgezögert. Dies führt oft zu
einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes und zu
vermeidbar chronischen Krankheitsverläufen.
Manche Kinder werden nicht zur Schule geschickt und können ihr
Recht auf Bildung nicht ausüben.
Gefahren werden häufig lieber hingenommen, als die Polizei
einzuschalten. Der Rechtsweg wird oft vermieden, wodurch die
Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus häufig ihre Rechte nicht
durchsetzen können.
Wohnungen können auf legalem Weg nicht angemietet werden und
auch wer eine Wohnung an Menschen ohne legalen
Aufenthaltsstatus vermittelt, kann sich strafbar machen. Dadurch
40SparkassenFinanzportalGmBH,Kontoeröffnen.41z.B.beiHaftpflichtversicherungHuk-Coburg;AllianzRechtsschutzversicherung.42z.B.beiderTelekom.
13
geraten Menschen ohne Aufenthaltstitel oft in Obdachlosigkeit oder
Wohnungssituationen, die gesundheitsschädlich sind.
Insgesamt ist es daher für Menschen ohne legalem Aufenthaltstitel
sehr schwer, ihre verfassungsmäßigen Rechte auch praktisch
wahrzunehmen, da die Wahrnehmung der Rechte oft mit dem Risiko
der Verhaftung und Abschiebung verbunden ist.
2. Urban citizenship card als Lösungsansatz in den USA und in
Zürich
In den USA ist es für viele Geschäfte des täglichen Lebens ebenfalls
nötig, sich auszuweisen. Beispielsweise benötigt man einen
Identitätsnachweis zum Eröffnen eines Bankkontos43, zum
Anmelden eines Kindes in der Schule und selbst zum Abholen eines
Paketes bei der Post wird meist ein Identitätsnachweis gefordert44.
Auch wer Opfer einer Straftat geworden ist, muss sich bei der Polizei
ausweisen.45 Menschen ohne Aufenthaltsstatus waren damit häufig
vom alltäglichen Leben in den amerikanischen Städten
ausgeschlossen.46 Sie waren nicht in der Lage, alltägliche Geschäfte
abzuschließen und scheuten den Kontakt mit der Polizei aus Angst
abgeschoben zu werden. 47
Obwohl Städte von diesen Problemen am meisten betroffen sind, ist
für die Migrationsgesetzgebung in den USA in erster Linie der Bund
zuständig.48 Trotzdem haben lokale Regierungen Gesetze
verabschiedet, um diese Probleme zu lösen.49 So haben einige Städte
wie bsp. New York, New Harven und Los Angeles die sog. City
Residence Card eingeführt. Diese Karte dient als Ausweis und kann
von jedem beantragt werden, der seine Identität nachweisen kann
und außerdem beweisen kann, dass er in der Stadt lebt. Somit können
43Cities of Migration, New Haven Mayors Office 2008, Urban Citizens. 44 Schillinger Urban Citizenship Rn. 25. 45 Who we are, municipal ID cards as a local strategie to promote belonging and shared community identity S.8. 46 Cities of Migration, New Haven Mayors Office 2008, Urban Citizens. 47 Cities of Migration, New Haven Mayors Office 2008, Urban Citizens. 48 Who we are, municipal ID cards as a local strategie to promote belonging and shared community identity S.3ff. 49 Who we are, municipal ID cards as a local strategie to promote belonging and shared community identity S.3ff.
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alle Stadteinwohner unabhängig vom Aufenthaltsstatus diese Karte
beantragen. Sie beinhaltet häufig noch andere Funktionen. So ist sie
bspw. in New Harven als Büchereikarte nutzbar.50 Für Besitzer
dieser Karten gibt es in vielen öffentlichen Einrichtungen (z.B.
öffentliche Museen) Ermäßigungen. Dies macht die City Card auch
für Amerikaner attraktiv.51 Somit ist der Aufenthaltsstatus eines
Menschen nicht durch die Vorlage einer solchen Karte erkennbar.
Diese Karten haben es den undokumentierten Menschen leichter
gemacht, am täglichen Leben teilzunehmen. Die meisten Banken
akzeptieren City Card als Identitätsnachweis.52 Auch um ein Kind in
der Schule anzumelden genügt die Vorlage einer City Card 53 und
auch bei Kontakt mit der Polizei genügt in der Regel die Vorlage
einer City Card.54 Diese Entwicklung in den USA haben auch in
Europa Diskussionen über City Cards ausgelöst. So gibt es eine
Petition in Zürich, eine sog. „Zür. City Card“ nach amerikanischem
Vorbild einzuführen.55
3. Rechtslage für das Einführen einer Stadtbürgerschaft
Im Folgenden werde ich mich mit der Rechtslage für das Einführen
einer Stadtbürgerschaft auseinandersetzten. Dazu werde ich
darstellen, welche Gesetze möglicherweise von der Stadt-
bürgerschaft betroffen wären.
a) Spannungsverhältnis zu anderen Gesetzen
Fraglich ist, ob eine Stadtbürgerschaft nach amerikanischem Vorbild
in Hamburg überhaupt rechtlich möglich wäre oder ob sie gegen
andere Gesetze verstoßen könnte.
50 Cities of Migration, New Haven Mayors Office 2008, Urban Citizens. 51 Schillinger Urban Citizenship Rn. 25.52 Who we are, municipal ID cards as a local strategie to promote belonging and shared community identity S.11ff. 53 Who we are, municipal ID cards as a local strategie to promote belonging and shared community identity S.14ff 54 Cities of Migration, New Haven Mayors Office 2008, Urban Citizens. 55 Züri city Card.
15
aa) Zuständigkeit für Ausweiskontrolle in der Stadt
Fraglich ist, wer für Ausweiskontrollen in der Stadt zuständig ist.
Gem. §12 I HmbSOG sind die Verwaltungsbehörden berechtigt zur
Gefahrenabwehr eine Person anzuhalten und die Personalien
festzustellen. Rechtsgrundlage kann aber auch der § 163b Abs.1 S.1
StPO sein. Dies berechtigt zu einer Identitätsfeststellung, wenn die
kontrollierte Person einer Straftat verdächtigt wird. Der § 12
HmbSOG ist bei präventiven Maßnahmen einschlägig, während der
§163b Abs. 1 S.1 StPO repressiv wirkt.56 Kontrolliert die Polizei
jemanden gezielt, da die Person des illegalen Aufenthaltes nach § 95
AufenthG verdächtigt wird, so würde dies repressiven Zwecken
dienen und der § 163b Abs. 1 S.1 StPO wäre anwendbar. Werden
zufällige Kontrollen zur Gefahrenabwehr (z.B. an einem Bahnsteig
oder bei einem Fußballspiel) durchgeführt, so ist § 12 HmbSOG
anzuwenden. In beiden Fällen wäre grundsätzlich die Polizei die
zuständige Behörde. Das Polizeiwesen obliegt gem. Art. 70 GG dem
Bundesland. Ein Bundesland könnte also grundsätzlich selbst
entscheiden, wie eine Identitätsfeststellung ablaufen solle. Das
HmbSOG ist ein Landesgesetz. Dieses könnte Hamburg daher
selbstständig ändern, wenn es in einen Konflikt mit der
„Stadtbürgerschaft“ geraten sollte. Jedoch ist der § 12 HmbSOG
bereits sehr offen formuliert: „die Verwaltungsbehörden sind
berechtigt (...) die Personalien festzustellen“. Mit welchen
Dokumenten die Personalien festzustellen sind, ist dort nicht
geregelt und obliegt daher dem Ermessen der Behörde. Der § 12
HmbSOG würde daher einer „Stadtbürgerschaft“ nicht im Weg
stehen. Die StPO ist hingegen Bundesgesetz, die StPO kann von
Hamburg nicht geändert werden. Jedoch ist auch der § 163b StPO
sehr offen formuliert. Auch dort steht nicht, welche Dokumente zur
Identitätsfeststellung genommen werden müssen. Somit könnte die
Polizei auch den § 163b StPO so auslegen, das eine
„Stadtbürgerschaft“ zunächst als Identitätsnachweis genügt. So
müssten Menschen ohne legalen Aufenthaltstitel nicht länger
56 Merten/Merten Hamburgisches Polizei und Ordnungsrecht § 12.
16
festgehalten werden. Verdächtigt die Polizei jemanden des illegalen
Aufenthaltes gem. § 95 AufenthG könnte eine Identitätsfeststellung
über die „Stadtbürgerschaft“ ausreichen und weitere Ermittlungen
zum Aufenthaltstitel der betroffenen Person ohne die betroffene
Person durchgeführt werden.
Die Zuständigkeiten der Ausweiskontrollen in der Stadt stehen einer
„Stadtbürgerschaft“ nicht entgegen. Bei einfachen Kontrollen nach
§ 12 HmbSOG wäre der Aufenthaltsstatus der Person nicht erkenn-
bar.
bb) Bundesmeldegesetz (BMG)
Um sich mit einem Stadtbürgerschaftsausweis bei der Meldebehörde
zu melden, müsste der Stadtbürgerschaftsausweis als Personal-
ausweis, vorläufiger Personalausweis oder als Personalaus-
weisersatz gem. § 17 BMG i.v.m. § 3 Nr. 17 BMG anerkannt sein.
Gem. § 5 I des Gesetzes über Personalausweise und den
elektronischen Identitätsnachweis (PAuswG) müssen Ausweise
nach einheitlichem Muster ausgegeben werden und gem. § 5 II
PAuswG unter anderem Information zu der Staatsbürgerschaft
enthalten. Hamburg kann daher keine eigenen anerkannten
Ausweise entwickeln. Sowohl das PAuswG als auch das BMG sind
Bundesgesetze und würden damit eine landesrechtliche Regelung zu
Ausweisen oder Meldevorschriften brechen.57 Die Meldebehörden
könnten einen „Stadtbürgerausweis“ nicht als Ausweispapier
anerkennen. Um sich mit einer Stadtbürgerschaft bei der zuständigen
Behörde melden zu können, müsste daher entweder das BMG oder
das PAuswG geändert werden. Eine nur von Hamburg eingeführte
Stadtbürgerschaft würde es Menschen ohne Papiere daher nicht
möglich machen, sich pflichtgemäß bei der Meldebehörde zu
melden.
57Art31GG
17
cc) Meldepflicht an die Ausländerbehörde
Fraglich ist, wie eine „Stadtbürgerschaft“ die Meldepflicht des §87
AufenthG beeinflussen würde. Wie oben bereits dargestellt, müssen
öffentliche Stellen, die davon erfahren, dass jemand keinen gültigen
Aufenthaltsstatus hat, die Ausländerbehörde über diesen Umstand
informieren. Aus einer „Stadtbürgerschaft“ würde die
Staatsbürgerschaft und insbesondere der Aufenthaltsstatus nicht
hervor gehen. Dies würde Menschen ohne Aufenthaltsstatus die
Möglichkeit eröffnen, Kontakt zu öffentlichen Stellen aufzunehmen,
ohne eine Abschiebung fürchten zu müssen. Dies könnte
beispielsweise die Bereitschaft, Straftaten anzuzeigen steigern, da
der Mensch ohne Aufenthaltsstatus sich bei der Polizei ausweisen
kann, ohne fürchten zu müssen, dass dadurch der fehlende
Aufenthaltsstatus aufgedeckt wird. Auch könnte so vielen Menschen
die Angst genommen werden, ein Krankenhaus aufzusuchen. Zwar
müssen Krankenhäuser ihre Patienten grundsätzlich nicht melden
(s.o.), trotzdem besteht die Angst bei vielen Menschen, gemeldet zu
werden und Unsicherheit bei den Krankenhäusern, ob jemand
gemeldet werden muss (s.o). Jedoch bestehen für das Krankenhaus
Abrechnungsprobleme der erbrachten Leistungen mit der
zuständigen Behörde. Wie oben bereits dargestellt, können
Krankenhäuser nur eingeschränkt Leistungen, die an Menschen
ohne Aufenthaltsstatus erbracht wurden, abrechnen. Krankenhäuser
haben daher ein finanzielles Interesse, den Aufenthaltsstatus ihrer
Patienten zu ermitteln. Es wäre daher unwahrscheinlich, dass
Krankenhäuser eine „Stadtbürgerschaft“ allein akzeptieren würden.
In diesem Bereich würde die Gefahr an die Ausländerbehörde
gemeldet zu werden, nicht durch die „Stadtbürgerschaft“ gelöst
werden.
dd) Strafvorschriften bzgl. des illegalen Aufenthalts
Eine „Stadtbürgerschaft“ könnte auch die Strafbarkeit bzgl. des
illegalen Aufenthalts beeinflussen. Die Strafvorschriften bzgl. des
illegalen Aufenthalts sind in den § 95-98 AufenthG geregelt. Danach
18
macht sich ein Ausländer, der sich ohne Aufenthaltstitel in
Deutschland aufhält nach § 95 I AufenthG strafbar. Wer einem
Ausländer dazu Hilfe leistet und daraus einen finanziellen Vorteil
zieht, macht sich nach § 96 I Nr. 1 AufenthG strafbar. Wer Hilfe
leistet ohne einen finanziellen Vorteil zu ziehen, kann sich der
Beihilfe gem. § 95 I AufenthG i.V.m § 27 StGB strafbar machen.
Wie oben bereits ausgeführt, führen diese Strafvorschriften zu
einigen Problemen. So kann man sich strafbar machen, wenn man
an Menschen ohne Aufenthaltstitel Unterkünfte oder Arbeitsplätze
vzur Verfügung stellt (s.o). Dieser Umstand führt häufig zu prekären
Wohn- und Arbeitssituationen (s.o). Sollte es jedoch zur Normalität
werden bei der Vermietung und Vermittlung von Wohnungen nur
den Nachweis über die Stadtbürgerschaft und keinen
Personalausweis zu fordern, würden sich Vermieter nicht mehr nach
dem AufenthG strafbar machen können, da der Vorsatz wegfallen
würde. Dies könnte Menschen ohne Aufenthaltstitel bessere
Wohnmöglichkeiten eröffnen. Das Beschäftigen eines Menschen
ohne Aufenthaltstitel würde jedoch weiterhin gegen das
Schwarzarbeitsgesetz verstoßen. Das Einstellen von Menschen ohne
Aufenthaltstitel würde zwar weiterhin verboten bleiben, aber eine
Stadtbürgerschaft könnte die Betroffenen vor Ausbeutung vom
Arbeitgeber schützen. Wie oben bereits dargestellt, ist der Gang zu
Gericht ohne Papiere häufig erschwert. Würden Gerichte die
Stadtbürgerschaft als Identitätsnachweis akzeptieren, würde dies
den Menschen ohne Aufenthaltstitel den Rechtsweg erleichtern und
es ihnen eher möglich machen, ihre Justizgrundrechte
wahrzunehmen.
ee) Gesetzgebungskompetenzen
Fraglich erscheint, ob Hamburg überhaupt berechtigt wäre, eigene
Ausweise auszugeben.
Der Bund hat die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz über das
Passwesen und das Melde-und Ausweiswesen (vgl. Art 73 I Nr. 3
GG). Hamburg kann daher keine eigenen Ausweise ausgeben.
19
Möglicherweise könnte Hamburg aber Identitätsnachweise
entwickeln, die keine Ausweise im Sinne des Art. 73 I Nr. 3 GG sind
und nur von Hamburger Behörden anerkannt werden. So könnte
beispielsweise die Polizei und die Schulen die „Stadtbürgerschaft“
als ausreichenden Identitätsnachweis anerkennen. Es erscheint
trotzdem problematisch, ob dies nicht doch eine rechtswidrige
Umgehung des Art. 73 I Nr. 3 GG wäre. Das Ausweiswesen betrifft
nach h. M. die Ausstellung und den Gebrauch von Ausweisen über
die Identität natürlicher Personen.58 Daher kann eine
„Stadtbürgerschaft“ nicht als vollständiger Beweis der Identität einer
Person dienen. Sie könnte jedoch als Anhaltspunkt ausreichen. Wie
auf Seite 4 bereits beschrieben, verlangen Schulen keine
Meldebestätigung und keinen Personalausweis für die Anmeldung
von Kindern an den Schulen. In diesem Fall wäre die Identität einer
Person zwar nicht vollständig bewiesen, aber für die Anmeldung an
Schulen dürfen auch andere Unterlagen als Identitätsnachweis
vorgelegt werden. Eine „Stadtbürgerschaft“ könnte solche
Behördenpraktiken in Hamburg vereinheitlichen. In den Bereichen,
in denen ein Personalausweis oder Reisepass vorgelegt werden
muss, (z.B. bei einer Flugreise oder bei der Meldebehörde) würde
eine solche „Stadtbürgerschaft“ nicht ausreichen.
III Fazit Stellungnahme
1. Zusammenfassende Problembeschreibung
In Deutschland haben Menschen ohne Aufenthaltstitel
Schwierigkeiten, die ihnen zustehenden Rechte wahrzunehmen.
Dieser Umstand wird häufig ausgenutzt und Menschen ohne
Aufenthaltstitel ausgebeutet. Außerdem sind Menschen ohne
Aufenthaltsstatus von vielen Geschäften des täglichen Lebens
ausgeschlossen. Die Gründe hierfür sind vielfältig.
58 BeckOK GG/Seiler, 27. ED. 1.9.2015. R. 11-12.2.
20
Menschen ohne Aufenthaltsstatus können sich davor fürchten, dass
ihr fehlender Aufenthaltsstatus entdeckt wird und sie abgeschoben
werden. Denn die meisten öffentlichen Stellen müssen Menschen
ohne Aufenthaltsstatus an die Ausländerbehörde melden. Von dieser
Meldepflicht sind zwar Schulen und Krankenhäuser ausgenommen
und Gerichte prüfen den Aufenthaltsstatus in der Regel nicht. Dieser
Umstand ist aber nicht allen bekannt und Negativbeispiele, bei
denen doch jemand gemeldet wurde, verunsichern die betroffenen
Personen. Diese allgemeine Angst führt zur Vermeidung von
Kontakt zu öffentlichen Institutionen, die eigentlich die
Wahrnehmung der Rechte unterstützen sollten.
Die Strafbarkeit von Helfern erschwert die Situation zusätzlich.
Allein die kostenlose Vermittlung von Unterkünften oder
Arbeitsplätzen kann zu einer Strafbarkeit führen. Dadurch werden
die Menschen ohne Aufenthaltstitel häufig abhängig von der
Hilfsbereitschaft ihrer Freunde und Verwandte oder sie geraten an
unseriöse Vermieter, die Wohnungen überbelegen und zu hohe
Mieten verlangen.
Außerdem verlangen auch viele nicht staatliche Institutionen einen
offiziellen Identitätsnachweis zum Abschließen von Geschäften.
Dies macht es Menschen ohne Aufenthaltstitel schwer, eigenständig
Geschäfte abschließen zu können. Auch hier sind sie von der
Hilfsbereitschaft ihrer Freunde und Verwandten abhängig und
müssen viele alltägliche Geschäfte über andere Personen laufen
lassen.
2. Stadtbürgerschaft als Lösung?
Eine Stadtbürgerschaft könnte für diese Probleme eine Lösung sein.
Wenn der fehlende Aufenthaltstitel und die Nationalität für
Vermieter nicht mehr erkennbar wären, würden Vermieter, die
Menschen ohne Aufenthaltstitel Wohnungen vermieten, sich nicht
mehr strafbar machen und die betroffenen Personen könnten leichter
21
Wohnungen mieten. Die Chancen auf dem freien Wohnungsmarkt
wären für Menschen ohne Aufenthaltstitel vermutlich trotzdem
gering. Es ist in Hamburg durchaus üblich, dass Vermieter eine
Meldebestätigung der früheren Wohnung und eine Schufa Auskunft
verlanden. Die Schufa verlangt bei nicht deutschen Staatsbürgern
eine Kopie des Reisepasses sowie eine Meldebestätigung.59 Genau
diese Meldebestätigung könnten Menschen ohne Aufenthaltsstatus
aber auch mit „Stadtbürgerschaft“ nicht erhalten. Die Situation auf
dem Wohnungsmarkt würde sich meiner Ansicht nach daher nur
wenig verbessern.
Die Angst, von öffentlichen Stellen an die Ausländerbehörde
gemeldet zu werden, könnte jedoch verringert werden. So würde bei
normalen Polizeikontrollen der fehlende Aufenthaltsstatus nicht
mehr auffallen und Menschen ohne Aufenthaltsstatus könnten
besser vor Gericht klagen, wenn sie ihre Identität mit einer
Stadtbürgerschaft belegen könnten. Dies würde zu einem höheren
Schutz von Menschen ohne Aufenthaltstitel führen. Die
Anzeigebereitschaft von Straftaten könnte sich verbessern und die
Ausbeutung auf dem Schwarzmarkt könnte durch eine höhere
Klagebereitschaft verringert werden. Insgesamt könnte eine
Stadtbürgerschaft das Vertrauen in öffentliche Institutionen stärken
und für Menschen ohne Aufenthaltstitel als positives Signal der
Wertschätzung wirken. Die Anmeldung der Kinder in Schulen wäre
weniger angstbesetzt. Weiterhin problematisch würden aber
Arztbesuche bleiben, da diese die Behandlung bei der zuständigen
Stelle abrechnen müssen und daher die Information zum
Aufenthaltsstatus benötigen. Bei ambulanten Behandlungen muss
das Sozialamt dann die Ausländerbehörde gem. § 87 AufenthG
informieren.
Für die alltäglichen Geschäfte für die man einen Identitätsnachweis
benötigt, könnte die „Stadtbürgerschaft“ eine gute Lösung sein. Der
59 Schufa Bestellformular Schufa Bonitätsauskunft S.2.
22
„Stadtbürgerschaftsausweis“ wäre ein offizielles und verlässliches
Dokument und könnte vielen privaten Unternehmen als
Identitätsnachweis genügen.
Problematisch könnte meiner Ansicht nach beim Einführen eines
„Stadtbürgerschaftsausweises“ aber der Art. 72 GG sein. Die
Stadtbürgerschaft könnte nur unter den oben genannten
Einschränkungen eingeführt werden und selbst mit diesen
Einschränkungen wäre die Ansicht, dass dies eine rechtswidrige
Umgehung des Art. 72 GG darstellt, vertretbar. Diese Frage ist von
der Rechtsprechung noch nicht behandelt worden. Dadurch würde
Hamburg sich bei Einführung des „Stadtbürgerschaftsausweis“ in
eine rechtlich problematische und riskante Situation bringen.
Außerdem wäre eine „Stadtbürgerschaft“ bloß eine lokale Lösung
und würde die Situation in anderen Bundesländern nicht verbessern.
Darüber hinaus würden viele Behördengänge weiterhin nicht
möglich sein (z.B. Meldebehörde).
3. Stellungnahme
Ich denke eine „Stadtbürgerschaft“ wäre nicht die ideale Lösung für
die Probleme, die Menschen ohne Aufenthaltstitel haben. Jedoch ist
die jetzige Situation, in der Menschen ihre durch die Verfassung
garantierten Rechte nicht vollständig wahrnehmen können, so
schlecht, dass eine Verbesserung dringend nötig ist. Eine
„Stadtbürgerschaft“ könnte zumindest in Hamburg eine
Verbesserung der Situation herbeiführen.
Bundesweit denke ich, dass es eine bessere Lösung wäre, weitere
Ausnahmen von der Meldepflicht öffentlicher Stellen einzuführen.
Ich halte es beispielsweise für sinnvoll, die Meldepflicht auf solche
Stellen zu beschränken, die mit Gefahrenabwehr betraut sind. Auch
denke ich, dass die Beihilfe zum illegalen Aufenthalt zu viele Fälle
strafbar macht, da dort regelmäßig anders als bei § 96 AufenthG
auch Fälle bestraft werden, bei denen sich der Helfer nicht
23
bereichern wollte. Insgesamt sehe ich bundesweit aber keinen
politischen Willen zur Verbesserung der Situation für Menschen
ohne Aufenthaltstitel. Die Politik hat insgesamt die Abschiebepraxis
eher verschärft.
Auch in Hamburg gab es in den letzten Jahren keine aktiven
Bestrebungen der Politik, die Situation in Hamburg zu verbessern.
Außerdem könnte Hamburg evtl. gegen Art. 72 GG verstoßen, wenn
Hamburg eine solche Stadtbürgerschaft einführe. Daher denke ich,
fehlt es in Hamburg derzeit an politischem Willen eine solche
„Stadtbürgerschaft“ einzuführen. Außerdem könnte die Angst vor
Behörden die Menschen ohne Aufenthaltstitel von der Beantragung
einer Stadtbürgerschaft abschrecken. So wird geschätzt, dass in New
Harven nur jeder 5. undokumentierte Bewohner über eine solche
City Card verfügt. 60
Zusammenfassend halte ich eine Stadtbürgerschaft nach
amerikanischem Vorbild durchaus für eine sinnvolle Idee, denke
aber nicht, dass sie in naher Zukunft in Hamburg eingeführt werden
könnte.
60Cities of Migration, New Haven Mayors Office 2008, Urban Citizens.