Urban Living / Karl-Marx-Allee...Urban Living Wie wollen wir wohnen? Ein Haustypus, den es in...

3
Eckert Negwer Suselbeek Architekten BDA Urban Living / Karl-Marx-Allee „Historisches ist nicht, das alte allein festzuhalten oder zu wiederholen, dadurch würde die Historie zu Grunde gehen, historisch handeln ist das, welches das Neue herbeiführt und wodurch die Geschichte fortgesetzt wird.“ (Schinkel, Architektonisches Lehrbuch. S.232) Drei Straßen Die Jakobstraße in Magdeburg, der Goetheplatz in Chem- nitz (oder Karl-Marx-Stadt!, wie es zu DDR-Zeiten genannt wurde) und die Karl-Marx-Allee in Berlin. Drei unterschied- liche Straßen in drei unterschiedlichen Städten, gemein- sam teilen sie die Häuser, die entlang ihrer Ränder stehen. Wir reden hier nicht von Häusern, die Straßenräume erst herstellen, sondern wir reden von Objekten, die im „Raum der Straße“ angeordnet wurden. Diese „Häuser“ sind Plat- tenbauten, im Volksmund „Kaninchenställe“ genannt, weil das Schottenprinzip der Montagebauten die Wiederholung zum Prinzip machte. Dieses Wiederholungsprinzip machte keinen Halt vor dem Erdgeschoss, weil da die Schotten runterkamen, und auch nicht vor dem Dach, weil es für nicht notwendig erachtet wurde und die Montagemetho- den keine abweichenden Formen vorsahen. QP 61 Diese Häuser wurden bezeichnet als „QP61“. 61 für das Jahr, in dem die Häuser entwickelt wurden. Die QP-Häuser waren eine Berliner Entwicklung: „Ihre hochgeschossigen Scheiben waren ursprünglich nur für die Karl-Marx-Allee- Bebauung bestimmt und sollten diesem Wohnstandort im Zentrum der Hauptstadt seine unverwechselbare Eigen- art geben. Dennoch wurden sie später auch in weiteren DDR-Stadtzentren, wie in Magdeburg, Karl-Marx-Stadt, Schwedt, Dresden und Hoyerswerda eingesetzt.“ Case Studies Die Aufgabenstellung des Verfahrens „Urban Living“ fordert „Case Studies“, „die über die konkrete grundstücksbezoge- ne Aufgabenstellung hinaus dem Wohnungsbau und der Innenentwicklung neue Impulse geben“. Die Büros wer- den aufgefordert, „über die Grundstücksgrenzen hinaus zu denken und Lösungsansätze im Kontext der Verflech- tungen im Quartier darzustellen.“. Wenn man sich diese in der Ausschreibung formulierten Ziele durchliest und einem die Geschichte der Plattenbauten einigermaßen geläufig ist, muss man feststellen, dass die Plattenbauten genau das untersucht haben, was wir heute unter „Case Studies“ verstehen. Mit den damals vorhandenen Mitteln: Knappheit der Ressourcen, Geldmangel und dem Druck, innerhalb kürzester Zeit Wohnungen zu erstellen, wurden Haustypen entwickelt, die in unterschiedlichen Städten und an unter- schiedlichen Orten der Wohnungsnot Abhilfe leisteten. Die Häuser an der ehemaligen Stalinallee gehören zweifelsoh- ne zu den besten Bauten, die in der genannten Montage technik gebaut wurden. Auch war der technische Standard und die Ausrüstung der Wohnungsgrundrisse ein großer Fortschritt im Vergleich zu den technischen Gebäudezu- ständen der Hinterhofwohnungen ihrer Vorgänger. Und dennoch können diese technischen Errungenschaf- ten nicht über die leider vertanen Chancen der Platten hinwegtäuschen, dem „Zentrum der Hauptstadt seine un- verwechselbare Eigenart“ gegeben zu haben. Umso mehr fällt dieses Versagen in Augenschein, wenn wir den Verlauf und die Bedeutung der ehemaligen Stalinallee betrachten. Da brauchen wir uns nur an die Worte des Aldo Rossi zu erinnern, der – allerdings bezogen auf den ersten Bauab- schnitt der Straße – folgendes zu Ehren ihres Architekten H. Henselmanns gesprochen hat: „Herrmann Henselmanns Name wird für immer mit einem der größten städtebaulichen Projekte Berlins, der Stalinallee (heute Karl-Marx-Allee), verbun- den sein. Während die Projekte der Inter- bau, darunter die „Unité d’Habitation“ von Le Corbusier, das Unvermögen der Moderne aufzeigten, eine wirk- liche Stadt zu bauen oder wieder- aufzubauen, bewies Henselmanns Engagement, dass Architektur immer nur die Architektur der Stadt war und dass das Wesen dieser Stadt dem Projekt seinen In- halt gab. Die Interbau, um in Berlin zu bleiben, ist das erste, scheinbar kultivierte Beispiel der öden Peripherien, die den Wie- deraufbau in Europa kennzeich- nen.“ Aus: Ich habe Vorschläge gemacht. A. Rossi über H.H./S.59 „Das Unvermögen eine wirkliche Stadt zu bauen“ Weil das Unverwechselbare doch nirgends in Berlin so groß geschrieben wird, wie eben an dieser Stelle in der (Haupt!) Stadt, scheint die Absicht, die Stadt an dieser Stel- le mit Typenbauten zu gestalten, zum scheitern verurteilt zu sein. Unser Schwarzplan zeigt noch die Einzigartigkeit der Straße: Als „einziger Boulevard, der nach dem Zwei- ten Weltkrieg in Europa entstand“ verläuft die Straße von den Außenbezirken Berlins zu ihrem Zentrum, dem Alex- anderplatz. Die Straße gliedert sich in drei Abschnitte, die sowohl in ihren Abmessungen (Straßenprofil) als auch in ihrer Dichte (allerdings gegenläufig im Bezug zum Zentrum) eine Steigerung erfahren. Immer breiter und immer leerer wird die Allee, wenn wir uns dem Alexanderplatz nähern. Aber die Leere können wir auch als „Großzügigkeit und Weiträumigkeit“ lesen, wie Henselmann die Wesenszüge der sozialistischen Städte beschrieben hat, wenn – ja wenn die Häuser, ohne die es den Straßenraum doch gar nicht gäbe, nicht gänzlich fehlten! Und nicht nur, dass die Häuser der Einmaligkeit des Ortes nicht gerecht werden, es sind eben keine städtischen Häu- ser. In Chemnitz auf der Wiese mögen sie ihre Daseinsbe- rechtigung haben, aber in Berlin ist es eine vertane Chance, die „letzte Lücke“ entlang der Karl-Marx-Allee nicht dem vorgegebenen Städtebau und der Stadt angemessen zu gestalten. Deshalb ist die vorliegende „Case Study“ eine Antwort auf die Frage: Wie muss das Haus aussehen, das diesen Straßenraum fassen kann und wie stellen wir uns Wohnen an diesem unverwechselbaren Ort vor? Metamorphose Metamorphose, bildungssprachlich bezeichnet als „Um- gestaltung“ oder „Verwandlung“, bezieht sich auf die Um- wandlung der Platte QP-61 zu einem großen städtischen Apartment-Haus. Die Umwandlung bezieht sich ei- nerseits auf die Anforderungen, die an ein Haus an einer (großen) Straße gestellt werden und andererseits an die Wohnungen, die an einem Ort, fußläufig erreichbar vom Alexanderplatz, eine ange- messene Wohnqualität bie- ten können. Das städtische Haus Schauen wir nochmals auf den Schwarzplan: Die Schot- tenbauten an der Karl-Marx- Allee unterscheiden sich nicht von den dahinter liegenden Zeilenbauten, die im Grünen nach der Sonne ausgerichtet sind. An der Allee jedoch wird der fehlende Sockel des Gebäudes, der mit seiner architekto- nischen Geste und mit einem Angebot an öffentlichen Nut- zungen unerlässlich für das städtische Haus ist, besonders deutlich. Im Hochparterre eines 10-geschossigen Hauses an einer 8-spurigen Straße zu wohnen, sagt genug über die Wohnqualität. Aber nicht nur der Nutzen für die Be- wohner, vielmehr der Mehrwert für die Stadt ist es, was wir vermissen: Also einen angemessenen Sockel! Auch wenn die alte Werbung (inzwischen wahrscheinlich unter Denkmalschutz) einige Bauten ziert, stellen wir uns unter einem „baulichen Abschluss“ etwas anderes vor. Das Stapeln von Platten hielt nur beschränkte Möglichkeiten vor, einen Abschluss zu bilden. Balkone wurden wegge- lassen und farbige Fliesen markierten das Ende. Wollen wir ein Gebäude als Baukörper und damit erst als Haus wahr- nehmen, verlangen wir einen baulichen Abschluss. Außer- dem erschien uns die Straße zu groß für das Haus, bzw. das Haus zu klein für die Straße. Dass so ein Abschluss auch noch die schönsten Wohnungen liefert, ist ein Grund. mehr die 10-geschossigen Plattenbauten nach oben zu erweitern. Häuser, keine Zeilen, ist die Forderung an der Stelle. Die dünnen potemkinschen Plattenbauten sind nicht in der Lage dem Raum Halt zu geben. Sie erscheinen als Re- gal ohne Mitte, eine Schotte eben, ohne Fleisch, das notwendig wäre, um die Leere – oder Großzügigkeit und Weiträumigkeit, wie Henselmann sich ausdrück- te – zu gestalten. Diese Großzügigkeit erwarten wir auch von den Bauten entlang der Straße. Auch Sie sollen groß sein und groß wirken, nicht zuletzt, um viele Men- schen an dieser großen und großartigen Straße wohnen zu lassen und auch die Straße bewohnbar zu machen. Urban Living Wie wollen wir wohnen? Ein Haustypus, den es in Ber- lin (fast) nicht gibt: Das Apartmenthaus. Hilberseimer be- schreibt es in seinem Buch „Großstadtarchitektur“ als eine Errungenschaft des modernen Amerikas. Aber wir kennen es bereits aus anderen Großstädten in Europa. Beispiel- charakter hatte für uns das Haus Rue Franklin von Auguste Perret. Ein Foto des Hauses zeigt den Architekten Perret auf dem Dach seiner Terrassenwohnung, im Hintergrund der Eiffelturm. So wollen wir wohnen unter dem „Rauch“ des Fernsehturmes. Mit allem Komfort, zusammenschalt- baren Zimmerfluchten, alle mit Ausblick auf die Stadt zu ihren Füßen. Doppelte Raumhöhen, um das alte Maß der Schotte von 2,80 m in bestimmten, dafür ausgewählten Bereichen der Wohnung innerhalb der alten Konstruktion zu überspringen. Die alte Schotte im Inneren des Bauches des Apartmenthauses nimmt die Nutz- und Nebenräume der Wohnungen auf, die davor angeordnete freiere Zone die Haupträume der Wohnungen. Weitere Wohnungsty- pen befinden sich in der zweiten Wohnschicht, angeordnet oberhalb des Rückgrates des Schottensystems. Abgetra- gen auf die neuen „Backen“ darunter, ist eine Überbauung von mehreren Geschossen möglich. Die Türme am Straus- berger Platz sind maßgebend für die Metamorphose der Platten in städtische Häuser. Die hier praktizierte Staffelung findet ihren Widerhall in den Alt-Neuen Häusern entlang der weiteren Straße. Und über dieser zweiten Wohnebene fin- det das Haus seinen Abschluss in zwei Wohnebenen mit kleinen Apartments, die durch die wunderbare Aussicht und die großzügigen Terrassen geprägt sind. „Historisch handeln ist das, welches das Neue herbei- führt und wodurch die Geschichte fortgesetzt wird.“. Die Geschichte an dieser Stelle ist für uns die Geschichte der Platte, die Geschichte der DDR und damit auch die Ge- schichte Deutschlands und die Geschichte der Stalin- bzw. Karl-Marx-Allee. Fortsetzen statt beerdigen – weiterbauen statt konservieren. In diesen Denkmälern lässt es sich nur mehr schlecht als recht wohnen. BGF (a) = 24.435 m 2 BRI = 93.465 m 3 NF = 16.635 m 2

Transcript of Urban Living / Karl-Marx-Allee...Urban Living Wie wollen wir wohnen? Ein Haustypus, den es in...

Page 1: Urban Living / Karl-Marx-Allee...Urban Living Wie wollen wir wohnen? Ein Haustypus, den es in Ber-lin (fast) nicht gibt: Das Apartmenthaus. Hilberseimer be-schreibt es in seinem Buch

Eckert Negwer Suselbeek Architekten BDA

Urban Living / Karl-Marx-Allee

„Historisches ist nicht, das alte allein festzuhalten oder zu wiederholen, dadurch würde die Historie zu Grunde gehen, historisch handeln ist das, welches das Neue herbeiführt und wodurch die Geschichte fortgesetzt wird.“ (Schinkel, Architektonisches Lehrbuch. S.232)

Drei StraßenDie Jakobstraße in Magdeburg, der Goetheplatz in Chem-nitz (oder Karl-Marx-Stadt!, wie es zu DDR-Zeiten genannt wurde) und die Karl-Marx-Allee in Berlin. Drei unterschied-liche Straßen in drei unterschiedlichen Städten, gemein-sam teilen sie die Häuser, die entlang ihrer Ränder stehen. Wir reden hier nicht von Häusern, die Straßenräume erst herstellen, sondern wir reden von Objekten, die im „Raum der Straße“ angeordnet wurden. Diese „Häuser“ sind Plat-tenbauten, im Volksmund „Kaninchenställe“ genannt, weil das Schottenprinzip der Montagebauten die Wiederholung zum Prinzip machte. Dieses Wiederholungsprinzip machte keinen Halt vor dem Erdgeschoss, weil da die Schotten runterkamen, und auch nicht vor dem Dach, weil es für nicht notwendig erachtet wurde und die Montagemetho-den keine abweichenden Formen vorsahen.

QP 61Diese Häuser wurden bezeichnet als „QP61“. 61 für das Jahr, in dem die Häuser entwickelt wurden. Die QP-Häuser waren eine Berliner Entwicklung: „Ihre hochgeschossigen Scheiben waren ursprünglich nur für die Karl-Marx-Allee-Bebauung bestimmt und sollten diesem Wohnstandort im Zentrum der Hauptstadt seine unverwechselbare Eigen-art geben. Dennoch wurden sie später auch in weiteren DDR-Stadtzentren, wie in Magdeburg, Karl-Marx-Stadt, Schwedt, Dresden und Hoyerswerda eingesetzt.“

Case StudiesDie Aufgabenstellung des Verfahrens „Urban Living“ fordert „Case Studies“, „die über die konkrete grundstücksbezoge-ne Aufgabenstellung hinaus dem Wohnungsbau und der Innenentwicklung neue Impulse geben“. Die Büros wer-den aufgefordert, „über die Grundstücksgrenzen hinaus zu denken und Lösungsansätze im Kontext der Verflech-tungen im Quartier darzustellen.“. Wenn man sich diese in der Ausschreibung formulierten Ziele durchliest und einem die Geschichte der Plattenbauten einigermaßen geläufig ist, muss man feststellen, dass die Plattenbauten genau das untersucht haben, was wir heute unter „Case Studies“ verstehen. Mit den damals vorhandenen Mitteln: Knappheit der Ressourcen, Geldmangel und dem Druck, innerhalb kürzester Zeit Wohnungen zu erstellen, wurden Haustypen entwickelt, die in unterschiedlichen Städten und an unter-schiedlichen Orten der Wohnungsnot Abhilfe leisteten. Die Häuser an der ehemaligen Stalinallee gehören zweifelsoh-ne zu den besten Bauten, die in der genannten Montage technik gebaut wurden. Auch war der technische Standard

und die Ausrüstung der Wohnungsgrundrisse ein großer Fortschritt im Vergleich zu den technischen Gebäudezu-ständen der Hinterhofwohnungen ihrer Vorgänger.

Und dennoch können diese technischen Errungenschaf-ten nicht über die leider vertanen Chancen der Platten hinwegtäuschen, dem „Zentrum der Hauptstadt seine un-verwechselbare Eigenart“ gegeben zu haben. Umso mehr fällt dieses Versagen in Augenschein, wenn wir den Verlauf und die Bedeutung der ehemaligen Stalinallee betrachten. Da brauchen wir uns nur an die Worte des Aldo Rossi zu erinnern, der – allerdings bezogen auf den ersten Bauab-schnitt der Straße – folgendes zu Ehren ihres Architekten H. Henselmanns gesprochen hat:

„Herrmann Henselmanns Name wird für immer mit einem der größten städtebaulichen Projekte Berlins, der Stalinallee (heute Karl-Marx-Allee), verbun-den sein. Während die Projekte der Inter-bau, darunter die „Unité d’Habitation“ von Le Corbusier, das Unvermögen der Moderne aufzeigten, eine wirk-liche Stadt zu bauen oder wieder-aufzubauen, bewies Henselmanns Engagement, dass Architektur immer nur die Architektur der Stadt war und dass das Wesen dieser Stadt dem Projekt seinen In-halt gab. Die Interbau, um in Berlin zu bleiben, ist das erste, scheinbar kultivierte Beispiel der öden Peripherien, die den Wie-deraufbau in Europa kennzeich-nen.“ Aus: Ich habe Vorschläge gemacht. A. Rossi über H.H./S.59

„Das Unvermögen eine wirkliche Stadt zu bauen“Weil das Unverwechselbare doch nirgends in Berlin so groß geschrieben wird, wie eben an dieser Stelle in der (Haupt!) Stadt, scheint die Absicht, die Stadt an dieser Stel-le mit Typenbauten zu gestalten, zum scheitern verurteilt zu sein. Unser Schwarzplan zeigt noch die Einzigartigkeit der Straße: Als „einziger Boulevard, der nach dem Zwei-ten Weltkrieg in Europa entstand“ verläuft die Straße von den Außenbezirken Berlins zu ihrem Zentrum, dem Alex-anderplatz. Die Straße gliedert sich in drei Abschnitte, die sowohl in ihren Abmessungen (Straßenprofil) als auch in ihrer Dichte (allerdings gegenläufig im Bezug zum Zentrum) eine Steigerung erfahren. Immer breiter und immer leerer wird die Allee, wenn wir uns dem Alexanderplatz nähern. Aber die Leere können wir auch als „Großzügigkeit und Weiträumigkeit“ lesen, wie Henselmann die Wesenszüge der sozialistischen Städte beschrieben hat, wenn – ja wenn die Häuser, ohne die es den Straßenraum doch gar nicht

gäbe, nicht gänzlich fehlten!

Und nicht nur, dass die Häuser der Einmaligkeit des Ortes nicht gerecht werden, es sind eben keine städtischen Häu-ser. In Chemnitz auf der Wiese mögen sie ihre Daseinsbe-rechtigung haben, aber in Berlin ist es eine vertane Chance, die „letzte Lücke“ entlang der Karl-Marx-Allee nicht dem vorgegebenen Städtebau und der Stadt angemessen zu gestalten. Deshalb ist die vorliegende „Case Study“ eine Antwort auf die Frage: Wie muss das Haus aussehen, das diesen Straßenraum fassen kann und wie stellen wir uns Wohnen an diesem unverwechselbaren Ort vor?

MetamorphoseMetamorphose, bildungssprachlich bezeichnet als „Um-gestaltung“ oder „Verwandlung“, bezieht sich auf die Um-wandlung der Platte QP-61 zu einem großen städtischen

Apartment-Haus. Die Umwandlung bezieht sich ei-nerseits auf die Anforderungen, die an ein

Haus an einer (großen) Straße gestellt werden und andererseits an die

Wohnungen, die an einem Ort, fußläufig erreichbar vom Alexanderplatz, eine ange-messene Wohnqualität bie-ten können.

Das städtische HausSchauen wir nochmals auf den Schwarzplan: Die Schot-tenbauten an der Karl-Marx-

Allee unterscheiden sich nicht von den dahinter liegenden Zeilenbauten, die im Grünen nach der Sonne ausgerichtet sind. An der Allee jedoch wird der fehlende Sockel des Gebäudes, der mit seiner architekto-nischen Geste und mit einem Angebot an öffentlichen Nut-zungen unerlässlich für das städtische Haus ist, besonders deutlich. Im Hochparterre eines 10-geschossigen Hauses an einer 8-spurigen Straße zu wohnen, sagt genug über die Wohnqualität. Aber nicht nur der Nutzen für die Be-wohner, vielmehr der Mehrwert für die Stadt ist es, was wir vermissen: Also einen angemessenen Sockel!

Auch wenn die alte Werbung (inzwischen wahrscheinlich unter Denkmalschutz) einige Bauten ziert, stellen wir uns unter einem „baulichen Abschluss“ etwas anderes vor. Das Stapeln von Platten hielt nur beschränkte Möglichkeiten vor, einen Abschluss zu bilden. Balkone wurden wegge-lassen und farbige Fliesen markierten das Ende. Wollen wir ein Gebäude als Baukörper und damit erst als Haus wahr-nehmen, verlangen wir einen baulichen Abschluss. Außer-dem erschien uns die Straße zu groß für das Haus, bzw. das Haus zu klein für die Straße. Dass so ein Abschluss auch noch die schönsten Wohnungen liefert, ist ein Grund.

mehr die 10-geschossigen Plattenbauten nach oben zu erweitern.

Häuser, keine Zeilen, ist die Forderung an der Stelle. Die dünnen potemkinschen Plattenbauten sind nicht in der Lage dem Raum Halt zu geben. Sie erscheinen als Re-gal ohne Mitte, eine Schotte eben, ohne Fleisch, das notwendig wäre, um die Leere – oder Großzügigkeit und Weiträumigkeit, wie Henselmann sich ausdrück-te – zu gestalten. Diese Großzügigkeit erwarten wir auch von den Bauten entlang der Straße. Auch Sie sollen groß sein und groß wirken, nicht zuletzt, um viele Men-schen an dieser großen und großartigen Straße wohnen zu lassen und auch die Straße bewohnbar zu machen.

Urban LivingWie wollen wir wohnen? Ein Haustypus, den es in Ber-lin (fast) nicht gibt: Das Apartmenthaus. Hilberseimer be-schreibt es in seinem Buch „Großstadtarchitektur“ als eine Errungenschaft des modernen Amerikas. Aber wir kennen es bereits aus anderen Großstädten in Europa. Beispiel-charakter hatte für uns das Haus Rue Franklin von Auguste Perret. Ein Foto des Hauses zeigt den Architekten Perret auf dem Dach seiner Terrassenwohnung, im Hintergrund der Eiffelturm. So wollen wir wohnen unter dem „Rauch“ des Fernsehturmes. Mit allem Komfort, zusammenschalt-baren Zimmerfluchten, alle mit Ausblick auf die Stadt zu ihren Füßen. Doppelte Raumhöhen, um das alte Maß der Schotte von 2,80 m in bestimmten, dafür ausgewählten Bereichen der Wohnung innerhalb der alten Konstruktion zu überspringen. Die alte Schotte im Inneren des Bauches des Apartmenthauses nimmt die Nutz- und Nebenräume der Wohnungen auf, die davor angeordnete freiere Zone die Haupträume der Wohnungen. Weitere Wohnungsty-pen befinden sich in der zweiten Wohnschicht, angeordnet oberhalb des Rückgrates des Schottensystems. Abgetra-gen auf die neuen „Backen“ darunter, ist eine Überbauung von mehreren Geschossen möglich. Die Türme am Straus-berger Platz sind maßgebend für die Metamorphose der Platten in städtische Häuser. Die hier praktizierte Staffelung findet ihren Widerhall in den Alt-Neuen Häusern entlang der weiteren Straße. Und über dieser zweiten Wohnebene fin-det das Haus seinen Abschluss in zwei Wohnebenen mit kleinen Apartments, die durch die wunderbare Aussicht und die großzügigen Terrassen geprägt sind.

„Historisch handeln ist das, welches das Neue herbei-führt und wodurch die Geschichte fortgesetzt wird.“. Die Geschichte an dieser Stelle ist für uns die Geschichte der Platte, die Geschichte der DDR und damit auch die Ge-schichte Deutschlands und die Geschichte der Stalin- bzw. Karl-Marx-Allee. Fortsetzen statt beerdigen – weiterbauen statt konservieren. In diesen Denkmälern lässt es sich nur mehr schlecht als recht wohnen.

BGF (a) = 24.435 m2

BRI = 93.465 m3

NF = 16.635 m2

Page 2: Urban Living / Karl-Marx-Allee...Urban Living Wie wollen wir wohnen? Ein Haustypus, den es in Ber-lin (fast) nicht gibt: Das Apartmenthaus. Hilberseimer be-schreibt es in seinem Buch

Grundriss Obergeschosse 13-14 – Apartments / M 1:200

Grundriss Obergeschosse 9-12 – Etagenwohnung / M 1:200

Grundriss Obergeschosse 1-8 – untere Ebene Maisonette / M 1:200

Ansicht Stirnseite / M 1:200 Ansicht Karl-Marx-Allee / M 1:200 Schnitt / M 1:200

Grundriss Erdgeschoss – Gewerbe / M 1:200

Grundriss Obergeschosse 1-8 – obere Ebene Maisonette / M 1:200

Page 3: Urban Living / Karl-Marx-Allee...Urban Living Wie wollen wir wohnen? Ein Haustypus, den es in Ber-lin (fast) nicht gibt: Das Apartmenthaus. Hilberseimer be-schreibt es in seinem Buch

Hochhaus Strausberger Platz / M 1:500 Bestand QP61 / M 1:500Entwurf Apartmenthaus / M 1:500

Metamorphosen

Lageplan / M 1:5000 Schwarzplan / o.M.