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V. Differentielle Konditionierungen von Honigbienen auf Bienenwachse mittels des Rüsselstreckreflexes V.1. Einleitung Die chemische Zusammensetzung von Waben- und Kutikulawachsen der Honigbiene Apis mellifera carnica Pollm. ist sehr komplex und variabel (Hepburn 1986), jedoch besitzen beide Wachsarten die gleiche qualitative Zusammensetzung, Unterschiede gibt es nur in den relativen Anteilen der jeweiligen Substanzen: Wabenwachse unterschiedlicher Altersklassen haben verschiedene chemische Zusammensetzungen (Kapitel II.3.1., Fröhlich et al. 2000a), Wabenwachse unterschiedlicher Kolonien variieren beträchtlich (Breed et al. 1995a), die chemische Zusammensetzung von Kutikulawachsen der Honigbienen variiert bei unterschiedlichen Kasten und Geschlechtern (Kapitel II. 3.3., Fröhlich et al. 2000a) und Berufsgruppen (Kapitel II.3.4.). Daß in den Waben- und Kutikulawachsen der Honigbienen Schlüssel für die Verwandten- und Nestgenossenerkennung vorhanden sind, wurde im Kapitel I.5. ausführlich dargestellt. Ebenso könnte das Erkennen von Kasten, Geschlechtern, Berufsgruppen und Alter des Wabenwachses in den Unterschieden der chemischen Zusammensetzung der Wachse verschlüsselt sein. Eventuell sind die Bienen auch in der Lage, aus der chemischen Zusammensetzung der Wachse auf deren physikalische Eigenschaften zu schließen bzw. anhand einer Veränderung der chemischen Zusammensetzung der Wachse die physikalischen Eigenschaften der Wachse zu beeinflussen. Dies würde jedoch ein Erkennen der Wachszusammensetzung voraussetzen (Kapitel IV.4.). Die Perzeption von Wachs scheint sowohl auf einer Kontaktchemoperzeption als auch auf olfaktorischer Perzeption zu beruhen. Über die Sinnesphysiologie bei der Erkennung von Wachsen über Kontaktchemorezeptoren ist kaum etwas bekannt. Lediglich Martin und Lindauer beschrieben 1966 eine „Terminalborste“ an den Antennen als kombinierten Mechano-Chemorezeptor. Die Sinnesphysiologie der Duftperzeption bei Honigbienen wurde schon in einigen Studien untersucht (Esslen und Kaissling 1976, Vareschi 1971, Joerges et al. 1997). Honigbienen lernen bestimmte Düfte von verschiedenen Substanzklassen (Säuren, Alkohole, Oxo-Säuren, Ketone, Terpenole und Blumendüfte) sehr gut zu unterscheiden (Vareschi 1971). Weniger flüchtige Substanzen, z.B. Kutikulabestandteile des Thorax, können genauso gut unterschieden werden (Getz et al. 1986). Da das Wachs bis zu 70 % aus aliphatischen Komponenten besteht (Kapitel II.1., Fröhlich et al. 2000a, Hepburn 1986), und die Profile dieser Aliphaten stark variieren, konzentrierte man sich bei der Suche nach

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V. Differentielle Konditionierungen von Honigbienen auf Bienenwachse

mittels des Rüsselstreckreflexes

V.1. Einleitung

Die chemische Zusammensetzung von Waben- und Kutikulawachsen der Honigbiene Apis

mellifera carnica Pollm. ist sehr komplex und variabel (Hepburn 1986), jedoch besitzen beide

Wachsarten die gleiche qualitative Zusammensetzung, Unterschiede gibt es nur in den

relativen Anteilen der jeweiligen Substanzen: Wabenwachse unterschiedlicher Altersklassen

haben verschiedene chemische Zusammensetzungen (Kapitel II.3.1., Fröhlich et al. 2000a),

Wabenwachse unterschiedlicher Kolonien variieren beträchtlich (Breed et al. 1995a), die

chemische Zusammensetzung von Kutikulawachsen der Honigbienen variiert bei

unterschiedlichen Kasten und Geschlechtern (Kapitel II. 3.3., Fröhlich et al. 2000a) und

Berufsgruppen (Kapitel II.3.4.). Daß in den Waben- und Kutikulawachsen der Honigbienen

Schlüssel für die Verwandten- und Nestgenossenerkennung vorhanden sind, wurde im Kapitel

I.5. ausführlich dargestellt. Ebenso könnte das Erkennen von Kasten, Geschlechtern,

Berufsgruppen und Alter des Wabenwachses in den Unterschieden der chemischen

Zusammensetzung der Wachse verschlüsselt sein.

Eventuell sind die Bienen auch in der Lage, aus der chemischen Zusammensetzung der

Wachse auf deren physikalische Eigenschaften zu schließen bzw. anhand einer Veränderung

der chemischen Zusammensetzung der Wachse die physikalischen Eigenschaften der Wachse

zu beeinflussen. Dies würde jedoch ein Erkennen der Wachszusammensetzung voraussetzen

(Kapitel IV.4.).

Die Perzeption von Wachs scheint sowohl auf einer Kontaktchemoperzeption als auch auf

olfaktorischer Perzeption zu beruhen. Über die Sinnesphysiologie bei der Erkennung von

Wachsen über Kontaktchemorezeptoren ist kaum etwas bekannt. Lediglich Martin und

Lindauer beschrieben 1966 eine „Terminalborste“ an den Antennen als kombinierten

Mechano-Chemorezeptor. Die Sinnesphysiologie der Duftperzeption bei Honigbienen wurde

schon in einigen Studien untersucht (Esslen und Kaissling 1976, Vareschi 1971, Joerges et al.

1997). Honigbienen lernen bestimmte Düfte von verschiedenen Substanzklassen (Säuren,

Alkohole, Oxo-Säuren, Ketone, Terpenole und Blumendüfte) sehr gut zu unterscheiden

(Vareschi 1971). Weniger flüchtige Substanzen, z.B. Kutikulabestandteile des Thorax,

können genauso gut unterschieden werden (Getz et al. 1986). Da das Wachs bis zu 70 % aus

aliphatischen Komponenten besteht (Kapitel II.1., Fröhlich et al. 2000a, Hepburn 1986), und

die Profile dieser Aliphaten stark variieren, konzentrierte man sich bei der Suche nach

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aliphatischen Kohlenwasserstoffe (Reviews: Howard 1993, Smith and Breed 1995). Bis jetzt

ist immer noch unklar, welche Substanzen denn tatsächlich von den Honigbienen zur

Erkennung genutzt werden (Breed et al. 1995, Breed et al. 1998).

In diesem Kapitel wird der Frage nachgegangen, ob die signifikanten chemischen

Unterschiede, die mit der Analytik gefunden wurden, auch für die Bienen relevant sind.

Nutzen die Bienen eben diese Unterschiede als Schlüssel bei der Wachserkennung, oder sind

die Unterschiede für die Bienen nicht von Bedeutung? Und in welchen Substanzklassen

liegen die Erkennungsschlüssel für die Bienen? Anhand der differentiellen Konditionierung

des Rüsselstreckreflexes (Bitterman et al. 1983, Getz et al. 1988, Menzel et al. 1993) mit

verschiedenen Wachsen und Wachsfraktionen wurden Honigbienen auf ihre Fähigkeit,

zwischen den Wachsen zu unterscheiden, getestet.

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V.2. Material und Methoden

V.2.1. Wabenwachse unterschiedlicher Altersklassen. Für die Rüsselstreckreflexversuche mit

Wabenwachsen unterschiedlicher Altersstufen wurden dieselben Wachse verwandt, die auch

für die chemischen Analyse herangezogen wurden (Kapitel II.2.1.). Die Wachsschuppen und

Wabenwachse wurden in Chloroform mit einer Konzentration von 1 mg/ml gelöst. Im

Sommer 1998 wurden mittels Festphasenextraktion zwei Fraktionen der Wachse durch

Elution mit Hexan (Fraktion A) und anschließend mit Diethylether (Fraktion B) gewonnen.

Im Sommer 1999 wurden drei Fraktionen durch Elution mit Hexan (Fraktion A),

Isopropylchlorid (Fraktion C) und Diethylether (Fraktion D) erhalten, wobei die Fraktion B

des Vorjahres den Fraktionen C+D entspricht (Abb. V.1). Die vorangegangenen chemischen

Analysen haben gezeigt, daß eine dritte bzw. vierte Fraktion (Fraktion E) mit einer Mischung

aus Chloroform, Methanol und dest. Wasser (13:5:1) eluiert werden kann. Diese Fraktion war

aber aufgrund ihrer polaren Bestandteile nicht direkt für eine GC-MS-Analyse geeignet

(Kapitel II.3.1.).

V.2.2. Kutikulawachse unterschiedlicher Geschlechter. Für die Gewinnung der

Kutikulawachse unterschiedlicher Geschlechter wurden Innendienstbienen und Drohnen

unterschiedlichen Alters im Sommer 1999 aus einem 2-rahmigen Beobachtungsstock

abgefangen. Die Bienen wurden sofort nach dem Abfangen in flüssigem Stickstoff (N2)

getötet und bis zur weiteren Verarbeitung bei – 18 °C aufbewahrt. Es wurden Wachsextrakte

mit Chloroform gemäß den Angaben in Kapitel II.2.3. hergestellt. Einziger Unterschied

bestand darin, daß für die Lösungen bei den Rüsselstreckreflexversuchen Gruppen von je 6

bzw. je 20 Arbeiterinnen oder Drohnen bei der Extraktion gepoolt wurden. Die Wachse

wurden in einer Konzentration von 1 mg/ml Chloroform aufgenommen und mittels einer

Festphase in drei Fraktionen getrennt. Fraktion A wurde mit Hexan, Fraktion C mit

Isopropylchlorid und Fraktion D mit Diethylether eluiert (Fraktion B = Fraktion C+D).

V.2.3. Kutikulawachse unterschiedlicher Berufsgruppen. Für die Gewinnung von

Kutikulawachsen unterschiedlicher Berufsgruppen wurden Bienen aus dem

Beobachtungsstock abgefangen, der auch für die Gewinnung der Kutikulaextrakte für die

chemische Analyse verwendet wurde (Kapitel II.2.4.). Die Bienen wurden im Alter von 11-14

Tagen abgefangen, in flüssigem Stickstoff (N2) getötet und bis zur weiteren Verarbeitung bei

– 18 °C aufbewahrt. Gruppen von je 20 Sammlerinnen, Innendienstbienen und Hofstaatbienen

wurden mit Chloroform extrahiert (Kapitel II.2.4.) und die Gesamtextrakte in Chloroform in

einer Konzentration von 1 mg/ml gelöst.

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Kettenlängen

20 25 30 35 40 45 50 55

Ant

eil i

n %

0

2

4

6

8

10

12

14

16AlkaneAlkeneAlkadiene2-Methylalkane

Fraktion A

Kettenlängen

20 25 30 35 40 45 50 55

Ant

eil i

n %

0

2

4

6

8

10

12

14

16Esterunges. EsterHydroxyesterSäurenAlkohole

Fraktion B

Kettenlängen

20 25 30 35 40 45 50 55

Ant

eil i

n %

0

2

4

6

8

10

12

14

16Esterunges. Ester

Fraktion C

Kettenlängen

20 25 30 35 40 45 50 55

Ant

eil i

n %

0

2

4

6

8

10

12

14

16HydroxyesterSäurenAlkohole

Fraktion D

Abbildung V.1: Relative chemische Zusammensetzungen und Kettenlängenverteilungen der

Fraktionen A bis D eines mittelalten Wabenwachses von Apis mellifera carnica Pollm.

V.2.4. Auftragung der Wachse. Um die Wachse den Bienen bei der Rüsselstreckreflexdressur

anbieten zu können, wurden sie auf Glasstäbchen aufgetragen. Dabei wurden sowohl von den

Gesamtextrakten, als auch von den einzelnen Fraktionen ca. 100-200 µl Wachslösung auf die

Stäbchen appliziert und das Lösungsmittel bei Raumtemperatur verdampft. Die Wabenwachse

wurden zusätzlich bei 90 °C für 3 min im Heizschrank eingeschmolzen. Bei den

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eliminieren. Die vorbereiteten Wachsstäbchen wurden im Gefrierschrank bei – 18 °C

aufbewahrt. Um die Oberflächen der Wachse auf den Stäbchen mit denen unter natürlichen

Bedingungen vergleichen zu können, wurden rasterelektronische Aufnahmen von den nativen

Wachsoberflächen und von den künstlichen Wachsoberflächen auf den Stäbchen angefertigt.

V.2.5. Konditionierungen. Honigbienen reagieren auf eine Reizung der Antennen mit einem

starken Stimulus, wie zum Beispiel Zuckerwasser mit einem bedingten Reflex, nämlich mit

einem Ausstülpen des Rüssels (Proboscis). Dieser bedingte Rüsselstreckreflex wird bei

Verhaltensversuchen zum Lernvermögen von Honigbienen genutzt. (Vareschi 1971,

Bitterman 1983, Menzel et al. 1993). Dabei wird z.B. die Berührung der Antennen mit einer

Wachsoberfläche als relativ neutraler Stimulus, auf den die Bienen nicht mit einem bedingten

Reflex reagieren, mit einer Reizung der Antennen mit Zuckerwasser gepaart und damit der

Rüsselstreckreflex ausgelöst. Anschließend wird die Biene mit Zuckerwasser belohnt, indem

sie an dem Zuckerwasser saugen kann. Diese Abfolge von Wachsstimulus, Zuckerstimulus

und Zuckergabe wird als ein Lernakt definiert. Durch diese Abfolge von Wachs und

Zuckerwasser lernen die Bienen nach wenigen Lernakten, das Wachs mit der Zuckergabe zu

assozieren und es erfolgt eine Rüsselstreckung schon auf die Reizung der Antennen mit

Wachs. Allgemein ausgedrückt wird ein für naive Testbienen relativ neutraler Stimulus

(konditionierender Stimulus, CS) mit einem sehr starken Stimulus wie z.B. Zuckerwasser

gepaart und darauf belohnt (unkonditionierender Stimulus, US). Nach erfolgreichem Lernen

kann allein der relativ neutrale CS (z.B. Wachs auf einem Glasstab) den Rüsselstreckreflex

auslösen. Es wird dann von einer klassischen Konditionierung gesprochen.

Eine weitere Methode ist die differentielle klassische Konditionierung des

Rüsselstreckreflexes. Mit dieser kann geprüft werden, ob Bienen zwischen zwei Stimuli (mit

bzw. ohne Zuckergabe) diskriminieren können (Menzel et al. 1993). Dazu werden zwei

verschiedene CS verwendet. In dieser Studie waren dies verschiedene Wabenwachse oder

Kutikulawachse unterschiedlicher Kasten, Geschlechter oder Berufsgruppen der Bienen auf

Glasstäbchen. Bei der differentiellen Konditionierung wird ein Wachs als positiv

konditionierender Stimulus (CS+, erregende Eigenschaften) mit dem Zuckerstimulus und

anschließender Belohnung (US+) gepaart, beim anderen Wachs als negativ konditionierender

Stimulus (CS-, inhibitorische Eigenschaften) wird weder mit Zuckerwasser die Antennen

gereizt, noch erhält die Biene eine Belohnung (US-). Somit ist zu erwarten, daß nach wenigen

Lernakten die getesteten Bienen auf den CS+ mit einem Rüsselstreckreflex reagieren, wie

auch bei der oben beschriebenen klassischen Konditionierung. Auf den CS-, bei dem die

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Konditionierung zu überprüfen, werden nach einer gewissen Anzahl an Lernakten Testakte

durchgeführt, bei denen die Bienen nur noch die beiden verschiedenen CS angeboten

bekommen und der US weggelassen wird. Eine Diskrimination der beiden Stimuli erfolgt

dann, wenn die Reaktion der Bienen (Rüsselstreckung) in den Testakten auf den CS+ höher

ist als auf den CS-. Diese Diskrimination kann jedoch nur stattfinden, wenn die Unterschiede

zwischen den Wachsen von den Bienen erlernt werden können. Für die differentielle

Konditionierung muß der unkonditionierende Stimulus sehr rasch auf den konditionierenden

Stimulus folgen (in einem Abstand von 2-3 Sekunden). Zwischen den einzelnen Lernakten

sollten mindestens 30 Sekunden liegen (Menzel et al. 1993). In dieser Studie lagen zwischen

den einzelnen Lernakten mehrere Minuten.

Abbildung V.2: Rüsselstreckreflex der Honigbiene Apis mellifera carnica Pollm. auf den

unkonditionierenden Stimulus US+ (Zuckerwasser, links) und den konditionierenden

Stimulus CS+ (Wachs, rechts).

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Die differentielle klassische Konditionierung des Rüsselstreckreflexes erfolgte nach einer bei

Menzel et al. (1993) ausführlich beschriebenen Methode, die leicht verändert wurde. Am

Stockeingang wurden abfliegende Sammlerinnen als Testbienen abgefangen. Die Testbienen

für die Wabenwachse stammten aus einem anderen Stock als die Wachse selbst, bei den

Kutikulawachsen stammten die Wachse und die Testbienen aus demselben Stock. Die

Testbienen wurden in Röhrchen eingespannt, so daß sie nur die Mundwerkzeuge und die

Antennen frei bewegen konnten (Abbildung V.2). Als unkonditionierender Stimulus wurde

1-molare Glucoselösung verwendet.

Die differentiellen Konditionierungen wurden nach folgendem Schema durchgeführt:

Lernakte: 1 2 3 4 5 6

CS: + - - + - +

US: + - - + - +

Testakte: 7 8 9 10 11 12

CS: + - - + - +

Das Schema ist folgendermaßen zu verstehen: Beim ersten Lernakt erfolgte eine Reizung mit

CS+ und eine darauffolgende Präsentation von US+, d.h. Zuckerstimulus und Belohnung

(Lernakt 1: CS+, US+). Beim zweiten Lernakt wurden die Antennen nur mit CS- stimuliert

und es erfolgte keine Zuckergabe (Lernakt 2: CS-, US-) usw. Bei den Testakten wurde, wie

oben schon erwähnt, nicht mehr mit Zuckerwasser belohnt. Die Abfolge der Lernakte und

Testakte mit CS+ bzw. CS- war pseudozufallsverteilt.

Für jedes Experiment wurden zwei Wiederholungen mit je 20 Bienen durchgeführt. Als nicht

zu erlernende Kontrolle wurden Wachse aus derselben Lösung auf zwei verschiedene

Glasstäbchen aufgetragen und als CS+ und CS- konditioniert. Die Kontrolle im Jahr 1998

bestand aus 3 Wiederholungen, die Kontrolle im Jahr 1999 bestand aus sieben

Wiederholungen. Bienen, die im ersten Lernakt spontan mit einem Rüsselstreckreflex auf den

CS+ Stimulus reagierten (Spontanreaktionen), wurden aus dem Versuch genommen.

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V.2.6. Auswertung der Daten. Die Fehler pro Biene in der Testphase wurden gemäß Getz et

al. (1986) ermittelt. Es wurden Fehlerhäufigkeitsverteilungen mit der Anzahl der Individuen,

die 0 bis 6 Fehler machten, für jede Gruppe von ca. 40 Bienen aufgestellt. Zusätzlich wurden

die Mediane dieser Fehlerverteilungen berechnet. Mit Hilfe von Chi2-Anpassungstests wurden

die Fehlerverteilungen der Versuche mit denen der Kontrollexperimente verglichen. Bei

signifikanten Unterschieden zwischen Versuch und Kontrolle kann davon ausgegangen

werden, daß die Bienen die Wachse des Versuches unterscheiden können. Um den Fehler 1.

Art bei der statistischen Auswertung zu verringern, wurden folgende Signifikanzniveaus

definiert: signifikant bei p ≤ 0,0001, nicht signifikant bei p > 0,0001.

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V.3. Ergebnisse

V.3.1. Wachsoberflächen. Anhand von REM-Aufnahmen konnten die Oberflächen der

Wachse verglichen werden. Die Oberflächen der Wabenwachse auf den Glasstäbchen waren

der nativen Oberfläche des Wabenwachses (Zellenwand innen) sehr ähnlich. Die Oberflächen

waren glatt und wiesen keine Kristallbildung auf (Abb. V.3: A+B).

A B

C D

Abbildung V.3: Rasterelektronische Aufnahmen von A: Zellwand von mittelaltem

Wabenwachs, B: mittelaltes Wabenwachs eingeschmolzen auf Glasstab, C: Thorax einer

Arbeiterin mit Kutikulawachs, D: Kutikulawachs einer Arbeiterin aufgetragen auf Glasstab

10µm 20µm

10µm 100µm

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Bei den Kutikulawachsen ergab sich durch das Fehlen des Schmelzvorgangs eine etwas

andere Oberfläche auf dem Glasstab als im nativen Zustand des Kutikulawachses. Die

artifiziellen Oberflächen der Kutikulawachse wiesen eine geringe Kristallbildung auf (Abb.

V.3: C+D).

V.3.2. Vorversuche für die Kutikulawachse. Um Angaben darüber zu bekommen, wieviel

Individuen gepoolt werden müssen, um eine Diskriminierung der Wachse aufgrund von

Individualerkennung ausschließen zu können, wurden Wachsextrakte von zwei Gruppen mit

je 6 (ID6/1 und ID6/2) bzw. je 20 (ID20/1 und ID20/2) Innendienstbienen auf Glasstäbchen

aufgetragen und Testbienen aus demselben Stock differentiell auf diese Wachse konditioniert.

Tabelle V.1: Lernexperimente mit Kutikulawachsextrakten von Innendienstbienen mit

unterschiedlicher Gruppengröße: Anzahl der getesteten Bienen (n) und Median der Fehler

(Ze) für jede Kombination der Wachse (Kontrolle 1998: n=50, Ze=2,99).

ID6/1 ID20/1Innendienst

6 Indiv. +

Innendienst

20 Indiv. +

ID6/2 - 38 (n)

1,40 (Ze)

sign

ID20/2 - 36

2,96

ns

sign = signifikanter Unterschied, ns = nicht signifikant

Dabei konnten die Bienen signifikant zwischen Kutikulawachsen von Gruppen mit je 6

Individuen unterscheiden (Ze = 1,40). Die Diskriminierung bei Gruppen von 20 Individuen

(Ze = 2,96) gelang nicht mehr (Tab. V.1).

V.3.3. Auftragung der Wachse. Um flüchtige Substanzen nicht auszuschließen, wurden die

Kutikulawachse auf den Glasstäbchen nicht eingeschmolzen. Mit einem Vorversuch sollte

überprüft werden, welche Rolle das Einschmelzen der Wachse bei der Diskriminierung spielt.

Dabei konnte gezeigt werden, daß der Vorgang des Einschmelzens auf die Diskriminierung

der Wachse durch die Bienen keinen Einfluß hat. Lediglich bei der Konditionierung von

Arbeiterinnen- (CS+) und Drohnenwachs (CS-) konnten die Bienen das nicht

eingeschmolzenen Wachs besser unterscheiden, allerdings ist der Unterschied zwischen den

Fehlerverteilungen der beiden Versuche nicht signifikant (Chi² = 2,29, FG = 1) (Tab. V.2).

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Tabelle V.2: Lernexperimente mit Kutikulawachsextrakten bei unterschiedlicher Wachs-

auftragung auf die Glasstäbchen: Anzahl der getesteten Bienen (n) und Median der Fehler

(Ze) für jede Kombination der Wachse (Kontrolle 1999: n=125, Ze=2,96).

ID6/1 ID6/1nicht

eingeschmolzen +

eingeschmolzen

+

ID6/2 - 38 (n)

1,40 (Ze)

ID6/2 - 37 (n)

0,58 (Ze)

alle Ergebnisse sind signifikant

Drohne Drohnenicht

eingeschmolzen + -

eingeschmolzen

+ -

Arbeiterin + 38 (n)

2,64 (Ze)

+ 39 (n)

2,78 (Ze)

ns

- 34

2,17

Arbeiterin

- 39

1,22

ns = nicht signifikant

V.3.4. Konditionierungen auf Wabenwachse. Honigbienen können verschiedene Altersklassen

von Wabenwachsen bei differentieller Konditionierung mit den Gesamtextrakten signifikant

(p < 0,0001) unterscheiden. Die mittleren Fehler (Mediane) von 0,6 bis 2,17 lagen deutlich

unter dem mittleren Fehler der Kontrolle mit 2,99. Bei den Konditionierungen von

Wachsschuppen gegen verarbeitete Wabenwachse waren die Mediane bei Wabenwachs als

positiv konditionierender Stimulus (CS+) geringer als bei Wachsschuppen als CS+. Dieser

Unterschied zwischen den Medianen war jedoch nicht signifikant, es lag keine asymmetrische

Konditionierung vor. (Tab. V.3)

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Tabelle V.3: Lernexperimente von 1998 mit den Gesamtextrakten der Wabenwachse:

verschiedene Kombinationen von CS+ und CS- Wachsen, Anzahl der getesteten Bienen (n)

und Median der Fehler (Ze) für jede Kombination der Wachse (Kontrolle 1998: n=50,

Ze=2,99, siehe Abb. V.4: B).

alt mittelalt jungGesamtextrakte

+ - + - + -

Schuppen + 34 (n)

2,17 (Ze)

38

2,10

37

1,86

- 28

1,33

38

1,88

37

0,60

jung + 34

1,25

36

1,32

- 34

1,00

36

2,25

mittelalt + 33

1,92

- 31

2,33

Box bezieht sich auf Abb.V.4: A, alle Paare ergeben signifikante Unterschiede.

Nach einer Fraktionierung der Wabenwachse wurde auf die einzelnen Fraktionen differentiell

konditioniert. Bei der Auftrennung in die Fraktionen A und B (Sommer 1998) konnten die

Bienen anhand der Fraktion A (Alkane, Alkene, Alkadiene, 2-Methylalkane) die

Altersklassen der Wachse nicht unterscheiden. Die Unterscheidung der Altersstufen durch die

Bienen aufgrund der Fraktion B (Alkylester, ungesättigte Alkylester, Hydroxyalkylester,

Säuren und Alkohole) war genauso gut wie die Unterscheidung anhand der Gesamtextrakte

(Tab. V.4).

In den Lernexperimenten im Sommer 1999 mit den Fraktionen A, C und D konnten die

Bienen wiederum die Altersklassen der Wabenwachse aufgrund der Fraktion A nicht

unterscheiden. Die Diskriminierung war auch bei der Konditionierung mit der Fraktion C

(Alkylester, ungesättigte Alkylester) nicht möglich. Bei einer Konditionierung mit der

Fraktion D unterschieden die Bienen die Altersklassen der Wachse signifikant (p < 0,0001)

(Tab. V.5). In allen Kontrollversuchen gelang es den Bienen nicht, zwischen denselben

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Tabelle V.4: Lernexperimente von 1998 mit den Fraktionen A und B von Wabenwachsen:

verschiedene Kombinationen von CS+ und CS- Wachsen, Anzahl der getesteten Bienen (n)

und Median der Fehler (Ze) für jede Kombination der Wachse (Kontrolle 1998: n=50,

Ze=2,99).

alt mittelalt SchuppenFraktion A

+ - + - + -

jung + 36 (n)

2,80 (Ze)

ns

39

2,73

ns

40

2,68

ns

- 37

2,60

ns

35

2,77

ns

37

2,84

ns

ns: nicht signifikant

alt mittelalt SchuppenFraktion B

+ - + - + -

jung + 39 (n)

0,75 (Ze)

36

1,30

37

1,25

- 38

1,00

37

1,31

38

1,92

Box bezieht sich auf Abb. V.4: D, alle Paare ergeben signifikante Unterschiede

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Tabelle V.5: Lernexperimente von 1999 mit den Fraktionen A, C und D von altem und

jungem Wabenwachs: verschiedene Kombinationen von CS+ und CS- Wachsen, Anzahl der

getesteten Bienen (n) und Median der Fehler (Ze) für jede Kombination der Wachse

(Kontrolle 1999: n=125, Ze=2,96).

alt altFraktion A

+ -

Fraktion C

+ -

jung + 38 (n)

2,90 (Ze)

ns

+ 57 (n)

2,99 (Ze)

ns

- 38

2,96

ns

jung

- 57

2,83

ns

Box bezieht sich auf Abb. V.4: C, Box bezieht sich auf Abb. V.4: E,

ns: nicht signifikant ns: nicht signifikant

altFraktion D

+ -

jung + 39 (n)

2,69 (Ze)

- 39

1,58

Box bezieht sich auf Abb. V.4: F, alle

Paare ergeben signifikante Unterschiede

Diese Diskriminierungsunterschiede bei den Konditionierungen auf verschiedene Fraktionen

der Wachse wurden auch in den Diskriminierungskurven deutlich. Je höher die CS+ - Kurve

anstieg und je größer der Unterschied zwischen CS+ und CS- war, desto besser konnten die

Bienen die angebotenen Wachse und Fraktionen von Wachsen unterscheiden. War eine

Unterscheidung nicht möglich, z.B. in der Kontrolle, dann lagen die beiden Kurven für CS+

und CS- aufeinander und der Anteil des Rüsselstreckreflexes lag bei beiden Stimuli bei

annähernd 50 %.

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A: Gesamtextrakt

Lern- (1-6) und Testphase (7-12)2 4 6 8 10 12

Pro

bosc

isre

flex

[%]

0

20

40

60

80

100CS+: altCS-: jung

B: nicht erlernbare Kontrolle

Lern- (1-6) und Testphase (7-12)2 4 6 8 10 12

Pro

bosc

isre

flex

[%]

0

20

40

60

80

100CS+CS-

C: Fraktion A

Lern- (1-6) und Testphase (7-12)2 4 6 8 10 12

Pro

bosc

isre

flex

[%]

0

20

40

60

80

100CS+: altCS-: jung

D: Fraktion B

Lern- (1-6) und Testphase (7-12)

2 4 6 8 10 12

Pro

bosc

isre

flex

[%]

0

20

40

60

80

100CS+: altCS-: jung

E: Fraktion C

Lern- (1-6) und Testphase (7-12)2 4 6 8 10 12

Pro

bosc

isre

flex

[%]

0

20

40

60

80

100CS+: altCS-: jung

F: Fraktion D

Lern- (1-6) und Testphase (7-12)2 4 6 8 10 12

Pro

bosc

isre

flex

[%]

0

20

40

60

80

100CS+: altCS-: jung

Abbildung V.4: Diskriminierungskurven (n = 20 + 20 Bienen für jeden Plot) als Ergebnis der

differentiellen Konditionierung des Rüsselstreckreflexes bei Apis mellifera carnica Pollm. Es

wurden zwei Wabenwachse (alt und jung) als Gesamtextrakte und als einzelne Fraktionen A

bis D getestet.

A, D und F: Bienen unterscheiden die Wachse

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V.3.5. Konditionierungen auf Kutikulawachse unterschiedlicher Geschlechter.

Tabelle V.6: Lernexperimente von 1999 mit den Gesamtextrakten und den Fraktionen A - D

von Arbeiterinnen- und Drohnen- Kutikulawachs: verschiedene Kombinationen von CS+ und

CS- Wachsen, Anzahl der getesteten Bienen (n) und Median der Fehler (Ze) für jede

Kombination der Wachse (Kontrolle 1999: n=125, Ze=2,96).

DrohneGesamtextrakt

+ -

Arbeiterin + 38 (n)

2,64 (Ze)

- 34

2,17

Drohne DrohneFraktion A

+ -

Fraktion B

+ -

Arbeiterin + 40 (n)

2,95 (Ze)

ns

+ 37 (n)

2,42 (Ze)

- 36

2,79

ns

Arbeiterin

- 34

2,00

Drohne DrohneFraktion C

+ -

Fraktion D

+ -

Arbeiterin + 40 (n)

2,05 (Ze)

+ 39 (n)

1,78 (Ze)

- 38

2,50

Arbeiterin

- 37

1,45

ns = nicht signifikant, alle anderen Paare sind signifikant unterschiedlich.

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A: Gesamtextrakt

Lern- (1-6) und Testphase (7-12)2 4 6 8 10 12

Pro

bosc

isre

flex

[%]

0

20

40

60

80

100CS+: ARCS-: DR

B: nicht erlernbare Kontrolle

Lern- (1-6) und Testphase (7-12)2 4 6 8 10 12

Pro

bosc

isre

flex

[%]

0

20

40

60

80

100CS+CS-

C: Fraktion A

Lern- (1-6) und Testphase (7-12)2 4 6 8 10 12

Pro

bosc

isre

flex

[%]

0

20

40

60

80

100CS+: ARCS-: DR

D: Fraktion B

Lern- (1-6) und Testphase (7-12)

2 4 6 8 10 12

Pro

bosc

isre

flex

[%]

0

20

40

60

80

100CS+: ARCS-: DR

E: Fraktion C

Lern- (1-6) und Testphase (7-12)2 4 6 8 10 12

Pro

bosc

isre

flex

[%]

0

20

40

60

80

100CS+: ARCS-: DR

F: Fraktion D

Lern- (1-6) und Testphase (7-12)2 4 6 8 10 12

Pro

bosc

isre

flex

[%]

0

20

40

60

80

100CS+: ARCS-: DR

Abbildung V.5: Diskriminierungskurven (n = 20 + 20 Bienen für jeden Plot) als Ergebnis der

differentiellen Konditionierung des Rüsselstreckreflexes bei Apis mellifera carnica Pollm. Es

wurden zwei Kutikulawachse (Arbeiterinnen AR und Drohnen DR) als Gesamtextrakte und

als einzelne Fraktionen A bis D getestet.

A, D, E und F: Bienen unterscheiden die Wachse

B und C: Bienen unterscheiden die Wachse nicht

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Bei der differentiellen Konditionierung auf Kutikulawachse unterschiedlicher Geschlechter

(Arbeiterinnen AR und Drohnen DR) konnten die Bienen die Kutikulawachse anhand der

Gesamtextrakte und anhand der Fraktionen B, C und D signifikant unterscheiden. Anhand der

Alkane, Alkene, Alkadiene und 2-Methylalkane der Fraktion A war eine Unterscheidung der

Geschlechter nicht möglich (Tab. V.6). Die beste Unterscheidung erfolgte bei

Konditionierung auf Fraktion D (Hydroxyalkylester, Säuren und primäre Alkohole) mit

Fehlermedianen von 1,78 und 1,45.

In den Diskriminierungskurven wurde ebenfalls deutlich, daß die Bienen anhand der Fraktion

A die Wachse nicht unterscheiden konnten. In der Kontrolle bei Konditionierung auf dasselbe

Wachs auf unterschiedlichen Glasstäbchen trat ebenfalls keine Unterscheidung auf. Insgesamt

lagen die Werte des Rüsselstreckreflexes bei Konditionierung auf Kutikulawachse um ca. 20

% niedriger als bei den Diskriminierungskurven, die aus den Konditionierungen auf

Wabenwachse hervorgingen. (Abb. V.5)

V.3.6. Konditionierungen auf Kutikulawachse unterschiedlicher Berufsgruppen. Bei den

Kutikulawachsen unterschiedlicher Berufsgruppen wurde nur auf die Gesamtextrakte der

Wachse konditioniert. Dabei konnte gezeigt werden, daß Honigbienen in der Lage sind,

Sammlerinnen, Innendienstbienen und Hofstaatbienen anhand der Kutikulawachse zu

unterscheiden. Dabei war die Diskriminierung am besten, wenn auf das Wachs von

Hofstaatbienen als positiv konditionierender Stimulus trainiert wurde (Mediane der Fehler:

1,04 und 1.39). Diese Asymmetrie in der Konditionierung war signifikant mit Chi² = 50,38

(FG = 3). (Tab. V.7)

Tabelle V.7: Lernexperimente von 1998 mit Kutikulawachsen unterschiedlicher

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getesteten Bienen (n) und Median der Fehler (Ze) für jede Kombination der Wachse

(Kontrolle 1998: n=50, Ze=2,99).

Sammlerin HofstaatGesamtextrakte

+ - + -

Innendienst + 74 (n)

2,70 (Ze)

72

2,58

- 75

2,51

76

1,04

Hofstaat + 38

1,39

- 38

1,93

alle Paare ergeben signifikante Unterschiede

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V.4. Diskussion

V.4.1. Wachsoberflächen. Aus den rasterelektronischen Bildern der Wachsoberflächen ist

ersichtlich, daß die nativen und artifiziellen Oberflächen teilweise unterschiedlich beschaffen

sind. Bei den Wabenwachsen erhält man durch den Vorgang des Aufschmelzens auf das Glas

Oberflächen, die mit den nativen Oberflächen vergleichbar sind. Da durch das Einschmelzen

flüchtige Substanzen, die bei der Wachsdiskriminierung eine Rolle spielen könnten,

abdampfen könnten, wurden die Unterschiede zwischen den artifiziellen Oberflächen und den

nativen Oberflächen bei den Kutikulawachsen in Kauf genommen.

Die Diskriminierung der Wachse durch die Bienen anhand der artifiziellen Oberflächen ist

nicht auf deren unterschiedliche Beschaffenheit zurückzuführen, denn in den

Kontrollversuchen mit demselben Wachs auf unterschiedlichen Glasstäbchen und damit mit

unterschiedlichen Oberflächen konnten die Bienen die Stäbchen nicht unterscheiden. Ebenso

wurden bei differentieller Konditionierung auf Glasstäbchen mit demselben einmal

eingeschmolzenen und einmal nicht eingeschmolzenen Wachs diese Stäbchen nicht

unterschieden.

Die differentiellen Konditionierungen wurden mit einer pseudozufallsverteilten Abfolge von

CS+ und CS- Stimuli durchgeführt, um zu verhindern, daß die Bienen durch eine

regelmäßigen Abfolge von CS+ und CS- aufgrund dieser Abfolge positiv auf das CS+ Wachs

reagieren.

V.4.2. Vorversuche für die Kutikulawachse. Wenn Gruppen von 20 Bienen und mehr für die

Kutikulawachsextrakte gepoolt werden, dann kann davon ausgegangen werden, daß die

Diskriminierung der Wachse nicht auf den individuellen Unterschieden in den

Kutikulawachsen der Bienen beruht. Untersuchungen von Getz et al. (1986) zur

Unterscheidung zwischen Gruppen von Arbeiterinnen innerhalb eines Stockes ergaben

gleiche Ergebnisse. So konnten 2 Gruppen von je 2 Arbeiterinnen unterschiedlicher

Patrilinien von Bienen signifikant unterschieden werden, bei 2 Gruppen von je 20

Arbeiterinnen unterschiedlicher Patrilinien war die Unterscheidung nicht signifikant.

V.4.3. Konditionierungen auf Wachse. Bei Konditionierungen des Rüsselstreckreflexes

lernten die Bienen auf sämtliche Wachse und Wachsfraktionen zu reagieren, denn es wurde

jedes Wachs und jede Fraktion sowohl als positiver als auch als negativer konditionierender

Stimulus getestet. Somit kann ausgeschlossen werden, daß die Bienen deshalb bestimmte

Wachse nicht unterscheiden können, weil sie auf diese Wachse überhaupt nicht reagieren. Es

konnte bei jedem Wachs als CS+ - Stimulus ein Rüsselstreckreflex als konditionierte Antwort

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Eine Diskriminierung der Wachse durch die Honigbienen ist auf der Basis der aliphatischen

Kohlenwasserstoffe (Fraktion A: Alkane, Alkene, Alkadiene, 2-Methylalkane) nicht möglich.

Anhand der Fraktion A konnten die Bienen weder die verschiedenen Altersklassen von

Wabenwachsen noch die Kutikulawachse von verschiedenen Geschlechtern unterscheiden.

Die Altersklassen der Wabenwachse konnten anhand der Fraktion D, die Kutikulawachse

unterschiedlicher Geschlechter anhand der Fraktionen C und D unterschieden werden. Somit

benutzen die Bienen zur Unterscheidung bevorzugt die Alkylester und ungesättigten

Alkylester (Kutikulawachse) und die Hydroxyalkylester, Säuren und primären Alkohole

(Waben- und Kutikulawachse) (Abbildungen V.6 und V.7). Vareschi konnte schon 1971

zeigen, daß Bienen Düfte verschiedener polarer Substanzen (z.B. C4-C14 Säuren und C5-C10

Alkohole) sehr gut lernen können. Eine weitere Auftrennung der beiden Fraktionen C und D

mittels Dünnschichtchromatographie und Konditionierungen von Bienen mit den dann

erhaltenen Fraktionen könnte Aufschluß darüber geben, in welchen Substanzklassen

tatsächlich die Erkennungsschlüssel für die Bienen liegen.

Abbildung V.6: Illustration zur Unterscheidung der Wabenwachse durch Honigbienen mit

Hilfe des Gesamtextrakts und verschiedenen Fraktionen mit unterschiedlichen chemischen

Zusammensetzungen (sign. = signifikant, n.s. = nicht signifikant).

GesamtextraktUnterscheidung sign.

Fraktion AUnterscheidung n.s.

Alkane, Alkene, Alkadiene,2-Methylalkane

Fraktion BUnterscheidung sign.

Alkylester, unges. Alkylester,Hydroxyalkylester, Säuren,

primäre Alkohole

Fraktion CUnterscheidung n.s.

Alkylester, unges. Alkylester

Fraktion DUnterscheidung sign.

Hydroxyalkylester, Säuren,primäre Alkohole

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Abbildung V.7: Illustration zur Unterscheidung der Kutikulawachse durch Honigbienen mit

Hilfe des Gesamtextrakts und verschiedenen Fraktionen mit unterschiedlichen chemischen

Zusammensetzungen (sign. = signifikant, n.s. = nicht signifikant).

Bei Konditionierungen mit Kutikulawachsen unterschiedlicher Berufsgruppen trat eine

Asymmetrie der Konditionierung auf. Bei Kutikulawachsen von Hofstaatbienen als positiv

konditionierender Stimulus war die Diskriminierung der Wachse besser, d.h. die

Kutikulawachsextrakte von Hofstaatbienen, die kurz vor dem Abfangen direkten Kontakt zur

Königin hatten, sind für die Bienen recht leicht von den anderen Kutikulawachsen zu

unterscheiden. Hier scheint nicht nur das Wachs selbst, sondern auch das Pheromon der

Königin (Königinsubstanz) einen Einfluß auf die Konditionierungen zu haben. Durch

„Verunreinigungen“ mit dem Pheromon sind die Kutikulawachse von Hofstaatbienen

eventuell wesentlich attraktiver bzw. besser zu lernen. Solche Anteile von Pheromon am

Wachs sind aufgrund der Auftragungsmethode der Kutikulawachse auf die Glasstäbchen

durchaus denkbar, da diese Wachse nicht wie die Wabenwachse eingeschmolzen wurden. In

diesem Zusammenhang erscheint es sehr wichtig, die flüchtigen Komponenten der Wachse in

die chemischen Analysen mit einzubeziehen (siehe auch Kapitel VI.1.).

Die Bienen reagierten im allgemeinen auf die Konditionierungen der Kutikulawachse mit

einem Rüsselstreckreflex von maximal 70 % (Abb. V.5), bei den Wabenwachsen lagen die

Werte durchweg höher (max. 83 %, Abb. V.6). Das heißt, die Bienen waren auf die

GesamtextraktUnterscheidung sign.

Fraktion AUnterscheidung n.s.

Alkane, Alkene, Alkadiene,2-Methylalkane

Fraktion BUnterscheidung sign.

Alkylester, unges. Alkylester,Hydroxyalkylester, Säuren,

primäre Alkohole

Fraktion CUnterscheidung sign.

Alkylester, unges. Alkylester

Fraktion DUnterscheidung sign.

Hydroxyalkylester, Säuren,primäre Alkohole

Page 23: V. Differentielle Konditionierungen von Honigbienen auf ... · Alkadiene 2-Methylalkane Fraktion A Kettenlängen 20 25 30 35 40 45 50 55 Anteil in % 0 2 4 10 12 14 16 Ester unges.

Hinweis darauf sein, daß das Erkennen der Wabenwachse für die Bienen von größerer

Bedeutung für die chemische Orientierung im Stock ist als das Erkennen von

Kutikulawachsen. Dies würde für die Theorie von Breed und Stiller (1992) sprechen, die in

der Erkennung von Wabenwachs die evolutive Basis für die Verwandtenerkennung sehen.

Für Hexan- und Pentan-extrahierbare Kohlenwasserstoffe des Kutikulawachses von Bienen

wird weithin angenommen, daß sie als Erkennungsschlüssel für die Verwandten- und

Nestgenossenerkennung dienen und so eine wichtige Rolle bei der intrakolonialen

Kommunikation zwischen Individuen spielen (Mc Daniel et al. 1984, Francis et al. 1985, Page

et al. 1991, Getz und Page 1991, Breed et al. 1995b, Arnold et al. 1996). Diese Hypothese

beruht oft nur auf einer korrelativen Argumentation. Es gibt nur sehr wenige Studien, welche

die direkte Erkennung von Kohlenwasserstoffen bei sozialen Insekten nachweisen (review bei

Breed et al. 1998). Einem direkten Beweis am nächsten kommt eine Arbeit von Lahav et al.

1999, die bei der Ameise Cataglyphis niger gezeigt haben, daß die Ameisen anhand von

Kohlenwasserstoffen (Hexan-Extrakt) aus der Postpharyngealdrüse Nestgenossinnen von

fremden Ameisen unterscheiden. Die Autoren schließen daraus, daß die Erkennung auch über

die Kohlenwasserstoffe der Kutikulawachse funktioniert, da die Kohlenwasserstoffe des

Kutikulawachses der Ameisen eine ähnliche Zusammensetzung wie die des

Postpharyngealdrüsenextraktes besitzen. Eine weitere Studie zeigt bei sozialen Wespen

(Polistes biglumis bimaculatus) chemische Variationen in den Kohlenwasserstoffen der

Kutikulawachse zwischen Kolonien und diese Wespen unterscheiden Nestgenossen von

fremden Wespen anhand von Pentanextrakten der Kutikula (Lorenzi et al. 1997).

Die Fähigkeit von Honigbienen, zwischen Düften oder Komponenten zu unterscheiden, die

sich chemisch sehr ähneln, ist sehr gut ausgeprägt (Getz and Smith 1987). Sie können

zwischen verschiedenen Mischungen von Tricosan und Pentacosan genauso wie zwischen

Mischungen von Undecan- und Dodecansäure unterscheiden, solange die

Mischungsverhältnisse sehr unterschiedlich sind (z.B. 1:10 und 10:1). Aber die

offensichtlichen Unterschiede in den Alkadienen und Alkenen der Kohlenwasserstoff-

Fraktion (Fraktion A), die mit der chemischen Analytik gefunden wurden, scheinen für die

Bienen bei der Unterscheidung der Wachse nicht relevant zu sein. In dieser Fraktion liegen

die Kohlenwasserstoffe in den Qualitäten und Verteilungen vor, wie sie natürlicherweise auch

in den Kutikulawachsen vorkommen und nicht, wie in den vorher erwähnten Versuchen, als

Einzelsubstanzen oder Mischungen weniger Substanzen. Dieses „Bouquet“ von

Kohlenwasserstoffen könnte für die Bienen zu komplex sein, um die Unterschiede in den

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Mischungen von Düften bei Honigbienen auf der sinnesphysiologischen Ebene dieselben

Erregungsmuster in den Glomeruli der Antennalloben wie Einzelsubstanzen. Zu komplexe

Mischungen führten sogar zu einem inhibitorischen Effekt bei der Erregung.

Zusätzlich zu den Fraktionen C und D, für die gezeigt wurde, daß die Bienen sie zur

Unterscheidung nutzen, könnten Unterscheidungsmerkmale auch noch in den Substanzklassen

der Fraktion E (25-43 % der Gesamtmasse der Wachse, Kapitel II.3.1. und II.3.3.) liegen.

Diese Fraktion könnte noch weitere Säuren, Alkohole, Hydroxysäuren, Diole und sogar

Mono- und Diglyceride enthalten (Davidson and Hepburn 1986). Aber das Auslassen dieser

Fraktion, die nur sehr schwer analytisch zugänglich ist, hat keinen Einfluß auf die Tatsache,

daß Bienen die aliphatischen Kohlenwasserstoffe der Wachse nicht zur Unterscheidung

nutzen.

Bei Absenken des Signifikanzniveaus (p<0,05) war bei 4 von 9 Fällen die Unterscheidung der

Wachse anhand der Fraktion A signifikant mit Medianen von 2,68 bis 2,80 Fehlern pro Biene.

Verglichen mit den Medianen der Kontrollversuche (2,96 und 2,99) ist die Unterscheidung

anhand der Fraktion A jedoch sehr schwach.

Die Hypothese, daß Honigbienen die physikalischen Eigenschaften der Wachse durch eine

Veränderung der chemischen Zusammensetzung der Wachse beeinflussen könnten (Kapitel

IV.4. und V.1.), setzt ein Erkennen der chemischen Zusammensetzung durch die Bienen

voraus. In dieser Arbeit wurden zum ersten Mal reine Wachse und Fraktionen von Wachsen

mit einer natürlichen Verteilung der Substanzen in den Fraktionen mit Hilfe des

Rüsselstreckreflex-Paradigmas getestet. Honigbienen sind in der Lage, chemisch

unterschiedliche Wachse zu diskriminieren. Es konnte gezeigt werden, daß Honigbienen die

polareren und längerkettigen Bestandteile der Wachse (Alkylester, ungesättigten Alkylester,

Hydroxyalkylester, Säuren und primäre Alkohole) anstatt der aliphatischen

Kohlenwasserstoffe nutzen, um zwischen Wachsen zu unterscheiden (Fröhlich et al. 2000b)

Dies ergab einen neuen und sehr interessanten Einblick in die chemische Kommunikation der

Honigbienen.