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VERKEHRSPLANUNG & ORGANISATION 59 DER NAHVERKEHR 10/2019 Grundlagen für den Nahverkehrsplan Berlin 2019 – 2023 Bewertung von Gestaltungsmöglichkeiten des Berliner ÖPNV mit dem Verkehrsmittelwahlmodell Dipl.-Geogr. Katja Bagge, Dipl.-Ing. André Darmochwal, Berlin; Dipl.-Psych. Dr. Adi Isfort, München M it dem neuen Nahverkehrsplan für die Jahre 2019 bis 2023 schafft das Land Berlin die Grundlage für die Weiterent- wicklung einer attraktiven, stadtverträgli- chen und dauerhaft nachhaltigen Mobi- lität im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV). In dem Planwerk formuliert das Land Berlin seine Vorstellungen zu Umfang und Qualität der öffentlichen Verkehre. Die Anforderungen der aktuellen und po- tenziellen Fahrgäste im Berliner ÖPNV, ihr Verkehrsverhalten, ihre Bedürfnisse und Wahrnehmungen sind dabei eine wichtige Grundlage für die Planungen. Diese wur- den mit Hilfe einer umfangreichen Markt- studie von Kantar in Zusammenarbeit mit dem Center Nahverkehr Berlin (CNB) und dem Berliner Senat ermittelt [1]. Im Fokus standen dabei die Fragen, wie attraktiv der ÖPNV im Vergleich zu anderen Verkehrs- mitteln ist, wo Verbesserungspotenziale zur Stärkung des Umweltverbunds in Ber- lin bestehen und mit welchen Maßnahmen die Verkehrsmittelwahl beeinflusst und neue Fahrgäste für den Berliner ÖPNV ge- wonnen werden können. Bedeutung des ÖPNV im Land Berlin In einer Großstadt wie Berlin, die ihren Bewohnerinnen und Bewohnern eine Fül- le von Möglichkeiten zur Lebensführung und Alltagsgestaltung bietet, spielt der öf- fentliche Personennahverkehr eine beson- dere Rolle. Berlin verfügt über ein dichtes ÖPNV-Netz, in dem Regionalbahn, S-Bahn, U-Bahn, Straßenbahn, Bus und Fähre rund um die Uhr ein nahezu flächendeckendes Angebot bieten und eine wichtige Mobili- tätsoption für die Bevölkerung und für Be- sucherinnen und Besucher der Stadt sind. Die verschiedenen ÖPNV-Angebote erfül- len lokale Erschließungsaufgaben sowie großräumige Verbindungsfunktionen in- nerhalb des Stadtgebiets und gewährleis- ten die enge Verflechtung der Metropole mit dem umgebenden Land Brandenburg. Der ÖPNV bietet eine umweltfreundliche und stadtverträgliche Alternative zum mo- torisierten Individualverkehr (MIV). Die Nachfrage im Berliner ÖPNV ist in den vergangenen Jahren kontinuierlich gewach- sen, von 2007 bis 2016 auf über 25 Prozent (Berlin AB). In Berlin wurden 2016 zirka 2,0 Mrd Fahrten mit dem ÖPNV zurückgelegt. Dies entspricht der jährlichen Nutzungs- häufigkeit von ungefähr 1,0 Mio Pkw [2]. Zwei Drittel aller Wege werden in Berlin mit dem ÖPNV, dem Fahrrad und zu Fuß zurückgelegt. Der ÖPNV bildet das Rückgrat des Umweltverbunds. Sein Modal-Split-An- teil beträgt 27 Prozent. Insgesamt lebt fast die Hälfte der Berliner Haushalte autofrei [3]. Vor allem Arbeits- und Ausbildungs- wege werden mit dem ÖPNV zurückgelegt, für das Wirtschafts- und Erwerbsleben der Stadt ist er ein zentraler Standortfaktor. Die Anforderungen, die die Fahrgäste an den ÖPNV stellen, sind so vielfältig, wie ihre Lebensweisen, Bedürfnisse und Mobilitäts- wünsche. Für die Planung des ÖPNV gilt es, die Be- dürfnisse der Nutzerinnen und Nutzer zu erkennen und sie in konkrete Planungsvor- gaben zu übersetzen, die dann auf Straße und Schiene umgesetzt werden können. Eben dies ist Aufgabe des Nahverkehrs- plans. Nahverkehrsplan/ Aufgabenträger Der Nahverkehrsplan (NVP) ist das ge- setzlich vorgeschriebene Instrument der ÖPNV-Planung, in dem die Senatsverwal- tung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz (SenUVK) für das Land Berlin ihre Anforde- rungen an Leistung und Qualität, die der ÖPNV erfüllen muss, so formuliert, dass sie durch die Verkehrsunternehmen umgesetzt werden können und die Daseinsvorsorge gesichert bleibt. Sie bildet so die Grundla- ge für die Haushaltsabstimmung im Land Berlin, über die sicher zu stellen ist, dass die im NVP als erforderlich definierten verkehrlichen Leistungen und Qualitäten möglichst auch langfristig finanziert wer- den können. Die Frage, welche Leistungen und welche Qualitäten im ÖPNV gebraucht werden, muss stets im Zusammenhang mit den Be- dürfnissen der Fahrgäste beantwortet wer- den. Lebenslagen, Möglichkeiten und indi- viduelle Voraussetzungen bestimmen die Zielgruppen, auf die der ÖPNV eingehen muss. Daher lag es nahe, die Planungen des NVP durch eine aktuelle Marktstudie zu untersetzen. Marktstudie Die Studie wurde in drei Abschnitten durch- geführt. In einem ersten Teil erfolgte die Identifikation der für die Fahrgäste bedeutsa- men Faktoren bei der Verkehrsmittelwahl mit Hilfe von Fokusgruppen. Ein zweiter Teil be- stand in der quantitativen Online-Befragung der Berliner Bevölkerung. Insgesamt wurden 2305 Personen zum Mobilitätsverhalten und Autorenbeleg Dipl.-Psych. Dr. Adi Isfort, nur für persönliche Nutzung. DVV Media 2019

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VERKEHRSPLANUNG & ORGANISATION

59DER NAHVERKEHR 10/2019

Grundlagen für den Nahverkehrsplan Berlin 2019 – 2023Bewertung von Gestaltungsmöglichkeiten des Berliner ÖPNV mit dem Verkehrsmittelwahlmodell

Dipl.-Geogr. Katja Bagge, Dipl.-Ing. André Darmochwal, Berlin; Dipl.-Psych. Dr. Adi Isfort, München

Mit dem neuen Nahverkehrsplan für die Jahre 2019 bis 2023 schafft das Land Berlin die Grundlage für die Weiterent-

wicklung einer attraktiven, stadtverträgli-chen und dauerhaft nachhaltigen Mobi-lität im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV). In dem Planwerk formuliert das Land Berlin seine Vorstellungen zu Umfang und Qualität der öffentlichen Verkehre. Die Anforderungen der aktuellen und po-tenziellen Fahrgäste im Berliner ÖPNV, ihr Verkehrsverhalten, ihre Bedürfnisse und Wahrnehmungen sind dabei eine wichtige Grundlage für die Planungen. Diese wur-den mit Hilfe einer umfangreichen Markt-studie von Kantar in Zusammenarbeit mit dem Center Nahverkehr Berlin (CNB) und dem Berliner Senat ermittelt [1]. Im Fokus standen dabei die Fragen, wie attraktiv der ÖPNV im Vergleich zu anderen Verkehrs-mitteln ist, wo Verbesserungspotenziale zur Stärkung des Umweltverbunds in Ber-lin bestehen und mit welchen Maßnahmen die Verkehrsmittelwahl beeinflusst und neue Fahrgäste für den Berliner ÖPNV ge-wonnen werden können.

Bedeutung des ÖPNV im Land Berlin

In einer Großstadt wie Berlin, die ihren Bewohnerinnen und Bewohnern eine Fül-le von Möglichkeiten zur Lebensführung und Alltagsgestaltung bietet, spielt der öf-fentliche Personennahverkehr eine beson-dere Rolle. Berlin verfügt über ein dichtes ÖPNV- Netz, in dem Regionalbahn, S-Bahn, U-Bahn, Straßenbahn, Bus und Fähre rund um die Uhr ein nahezu flächendeckendes Angebot bieten und eine wichtige Mobili-

tätsoption für die Bevölkerung und für Be-sucherinnen und Besucher der Stadt sind. Die verschiedenen ÖPNV-Angebote erfül-len lokale Erschließungsaufgaben sowie großräumige Verbindungsfunktionen in-nerhalb des Stadtgebiets und gewährleis-ten die enge Verflechtung der Metropole mit dem umgebenden Land Brandenburg. Der ÖPNV bietet eine umweltfreundliche und stadtverträgliche Alternative zum mo-torisierten Individualverkehr (MIV).

Die Nachfrage im Berliner ÖPNV ist in den vergangenen Jahren kontinuierlich gewach-sen, von 2007 bis 2016 auf über 25 Prozent (Berlin AB). In Berlin wurden 2016 zirka 2,0 Mrd Fahrten mit dem ÖPNV zurückgelegt. Dies entspricht der jährlichen Nutzungs-häufigkeit von ungefähr 1,0 Mio Pkw [2]. Zwei Drittel aller Wege werden in Berlin mit dem ÖPNV, dem Fahrrad und zu Fuß zurückgelegt. Der ÖPNV bildet das Rückgrat des Umweltverbunds. Sein Modal-Split-An-teil beträgt 27 Prozent. Insgesamt lebt fast die Hälfte der Berliner Haushalte autofrei [3]. Vor allem Arbeits- und Ausbildungs-wege werden mit dem ÖPNV zurückgelegt, für das Wirtschafts- und Erwerbsleben der Stadt ist er ein zentraler Standortfaktor. Die Anforderungen, die die Fahrgäste an den ÖPNV stellen, sind so vielfältig, wie ihre Lebensweisen, Bedürfnisse und Mobilitäts-wünsche.

Für die Planung des ÖPNV gilt es, die Be-dürfnisse der Nutzerinnen und Nutzer zu erkennen und sie in konkrete Planungsvor-gaben zu übersetzen, die dann auf Straße und Schiene umgesetzt werden können. Eben dies ist Aufgabe des Nahverkehrs-plans.

Nahverkehrsplan/ Aufgabenträger

Der Nahverkehrsplan (NVP) ist das ge-setzlich vorgeschriebene Instrument der ÖPNV-Planung, in dem die Senatsverwal-tung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz (SenUVK) für das Land Berlin ihre Anforde-rungen an Leistung und Qualität, die der ÖPNV erfüllen muss, so formuliert, dass sie durch die Verkehrsunternehmen umgesetzt werden können und die Daseinsvorsorge gesichert bleibt. Sie bildet so die Grundla-ge für die Haushaltsabstimmung im Land Berlin, über die sicher zu stellen ist, dass die im NVP als erforderlich definierten verkehrlichen Leistungen und Qualitäten möglichst auch langfristig finanziert wer-den können.

Die Frage, welche Leistungen und welche Qualitäten im ÖPNV gebraucht werden, muss stets im Zusammenhang mit den Be-dürfnissen der Fahrgäste beantwortet wer-den. Lebenslagen, Möglichkeiten und indi-viduelle Voraussetzungen bestimmen die Zielgruppen, auf die der ÖPNV eingehen muss. Daher lag es nahe, die Planungen des NVP durch eine aktuelle Marktstudie zu untersetzen.

Marktstudie

Die Studie wurde in drei Abschnitten durch-geführt. In einem ersten Teil erfolgte die Identifikation der für die Fahrgäste bedeutsa-men Faktoren bei der Verkehrsmittelwahl mit Hilfe von Fokusgruppen. Ein zweiter Teil be-stand in der quantitativen Online-Befragung der Berliner Bevölkerung. Insgesamt wurden 2305 Personen zum Mobilitätsverhalten und

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zur Verkehrsmittelwahl befragt. Ein dritter Teil bestand in der wiederholten Befragung dieser Personen zur Wirkung von Verbesse-rungsmaßnahmen im ÖPNV, hier konnten 1022 Antworten ausgewertet werden.

Die Ergebnisse der Befragung wurden mit dem Verkehrsmittelwahlmodell von Kan-tar ausgewertet. Mit ihm lassen sich nicht nur Aussagen zum ÖPNV treffen. Vielmehr werden prinzipiell alle Verkehrsmittel im Verhältnis zueinander betrachtet und an der spezifischen, insoweit relativen Wertschät-zung der befragten Person gemessen. Für den Berliner ÖPNV wurde dabei ein Abwan-derungsrisiko zu anderen Verkehrsmitteln ermittelt. Basis ist die Ermittlung von Al-leinstellungsmerkmalen des ÖPNV, die die Fahrgäste dem ÖPNV positiv zuordnen und die für die Verkehrsmittelwahl „pro ÖPNV“ maßgeblich sind. Bei deren Wegfall oder ei-nem Gleichziehen der anderen Verkehrsmit-tel würden die Fahrgäste abwandern. Dies könnte zu einem Verlust von bis zu einem Fünftel der Fahrgäste führen. Im Rahmen

Abb. 1: Tatsächlicher Modal Split und Präferenz aufgrund von Attraktivität

Wenn man das tatsächliche Verkehrsverhalten betrachtet, erhält man den Modal Split. Für Berlin zeigt sich, dass nach den Ergebnissen der Studie 25,2 Prozent aller Wege mit öffentli-chen Verkehrsmitteln [4] durchgeführt werden. Gefragt nach der Präferenz der Verkehrsmittel ergäbe sich ein anderes Bild: wenn die Verkehrsmittelwahl nur nach der Attraktivität erfolgte, würde der ÖPNV 5,8 Prozentpunkte der Wege verlieren. Das entspräche einem Minus von etwa 600.000 ÖPNV-Fahrten pro Tag.

Aber auch das Verkehrsmittel Pkw (als Selbstfahrer) verliert dabei von seinem Marktanteil 2,1 Prozentpunkte, also etwa 200.000 Fahrten. Die Gewinner bei der Verkehrsmittelwahl auf Basis von „Attraktivität“ wären das Fahrrad und die Mitfahrmöglichkeit (Pkw-Mitfahrer). Im Ver-hältnis zum Modal Split wachsen auch das Taxi und das Carsharing, deren Fahrten sich jeweils verdoppeln würden.

Erläuterung zu Abbildung 1

der Befragung wurden daher erfolgverspre-chende Maßnahmen evaluiert, ob sie in der Kundenresonanz geeignet sein könnten, die heutigen Fahrgäste zu halten und neue zu gewinnen.

Verkehrsmittelwahl

Die Entscheidung, mit welchen Verkehrs-mitteln eine Person ihre Wege zurücklegt, wird zunächst eingegrenzt durch die Über-legung, welche Verkehrsmittel grundsätz-lich für die alltägliche Mobilität in Frage kommen. Für jeden konkreten Weg wird aus dieser individuellen Auswahl dann die tatsächliche Entscheidung für ein be-stimmtes Verkehrsmittel getroffen. Dabei kommen individuell zwei hauptsächliche Faktoren zum Tragen: Attraktivität und Marktfaktoren.

Attraktivität

Wie attraktiv ist das Verkehrsmittel, wie sehr zieht das Verkehrsmittel an? Die-

se Attraktivität wird einerseits bestimmt durch eine Bewertung des Verkehrsmit-tels im Vergleich zu anderen, andererseits durch die Nähe zum eigenen Lebensstil, also wie gut das jeweilige Verkehrsmittel zum „Lifestyle“ passt? Diese beiden Fak-toren der Attraktivität erzeugen eine Prä-ferenz zum jeweiligen Verkehrsmittel, die wir „Power in the Mind“ nennen.

Vergleicht man den tatsächlichen Modal Split und die Präferenz „Attraktivität“ für jedes einzelne Verkehrsmittel, so lässt sich ein deutlicher Kern von Wegen er-kennen, bei denen die Verkehrsmittel-wahl stabil und relativ unbeeinflussbar ist. Diese Wege wurden mit dem Verkehrs-mittel mit der höchsten Anziehungskraft durchgeführt. Lediglich die Wege, die nicht mit den attraktivsten Verkehrsmit-teln durchgeführt werden, sind hinsicht-lich der Verkehrsmittelwahl veränderbar.

Bezogen auf den Berliner ÖPNV kann man erkennen, dass eine nicht unwe-sentliche Anzahl heutiger ÖPNV-Fahrten abwanderungsgefährdet sind. Dabei ist es nicht der individuelle Autoverkehr, der potenziell den hauptsächlichen Nutzen davon hätte. Wohin Fahrten vom ÖPNV abwandern könnten, und woher neues Potenzial zu erreichen ist, zeigt sich in Abbildung 2 deutlich.

Netto besteht beim ÖPNV ein höheres „Verteidigungspotenzial“, also Wege, die abwanderungsgefährdet sind. Hinsichtlich der Pkw-Selbstfahrer ist das Verteidigungs-potenzial nur geringfügig größer als das Zugewinn-Potenzial.

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Große Abwanderungstendenzen vom ÖPNV bestehen zum Fahrrad und zu den Mitfahrgelegenheiten. Die Einzelergebnis-se zeigen, dass die Zuwachschancen beim Fahrrad zu 44 Prozent aus dem ÖPNV stam-men und zu 32 Prozent vom Pkw. Die Zu-wachschancen von Mitfahrgelegenheiten stammen zu 37 Prozent aus dem ÖPNV und nur zu 20 Prozent vom Pkw.

Bei einer Abwanderung innerhalb des Um-weltverbundes vom ÖPNV zum Fahrrad ist verkehrspolitisch zu beachten, dass sich das bestellte ÖPNV-Angebot an den Zei-ten orientieren muss, in denen das Fahrrad (insbesondere witterungsbedingt) nicht genutzt werden kann und weiterhin die entsprechenden Kapazitäten vorgehalten werden müssen, obwohl gegebenenfalls die Nutzerfinanzierung ganzjährig sinkt.

Hinsichtlich des Wachstumspotenzials von Mitfahrgelegenheiten und den künftig zu erwartenden Möglichkeiten neuer „digitaler Bedarfsverkehre“ bestehen sowohl Chancen als auch Risiken für einen zukünftigen stadt-verträglichen Verkehr in Berlin. Chancen lassen sich realisieren, wenn die Angebote Fahrten mit dem eigenen Pkw ersetzen und durch Bündelung mehrerer Fahrgäste in ei-ner Fahrt einen höheren Besetzungsgrad als beim MIV erzielen. Chancen bestehen auch, wenn „digitale Bedarfsverkehre“ Mobilitäts-chancen für Personen ohne eigenes Auto er-öffnen, die andernfalls ihre Mobilitätswün-sche mit dem ÖPNV nicht realisiert hätten (Angebot zu unattraktiv, nicht erreichbar et cetera). Dies wären erwünschte induzierte Verkehre. Risiken werden sich hingegen rea-lisieren, wenn neue Beförderungsangebote in stärkerem Umfang Fahrten des Umwelt-verbundes substituieren als eine bisherige MIV-Nachfrage auf sich bündeln und so per Saldo den Pkw-Verkehr erhöhen.

Zur AutorinDipl.-Geogr. Katja Bagge (43) ist seit 2004 als Beraterin bei der KCW GmbH tätig in der Unterstützung der Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Kli-maschutz in ihrer Funktion als ÖPNV-Aufgabenträger und Besteller für den gesamten Berliner Nahverkehr. Seit 2008 erfolgt diese Tätigkeit im Rahmen des Center Nahverkehr Berlin (CNB), einer Arbeitsgemeinschaft der Unter-nehmen KCW GmbH und VBB Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg GmbH. Schwerpunkte sind die Fortschreibung und das Monitoring der Berliner Nah-verkehrspläne, Vertragsmanagement und Weiterentwicklung der Qualitäts-steuerung des BVG Verkehrsvertrags, Vergabebegleitung und Koordinierung von Verkehrserhebungen und Marktforschung zum Berliner ÖPNV.

Zum AutorDipl.-Ing. André Darmochwal (44) ist seit 2016 bei der Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz in Berlin als Referent beim ÖPNV-Auf gabenträger beschäftigt. Arbeitsschwerpunkte sind insbesondere Ver-kehrsverträge, Finanzierungs- und Haushaltsthemen sowie Tarif und Vertrieb im ÖPNV.

Zum AutorDipl.-Psych. Dr. Adi Isfort (64) ist seit 1992 als Marktforscher verantwortlich für den Bereich Verkehrsforschung. Er ist heute Associative Director bei der Kantar Deutschland GmbH (früher TNS Infratest) in München und verantwor-tet dort den Bereich der ÖPNV-Forschung. Schwerpunkte seiner Arbeit sind Kundenzufriedenheits- und Mobilitätsuntersuchungen. Seit einigen Jahren werden auch verstärkt Testkundenuntersuchungen (Mystery) durchgeführt.

Ausgehend vom ÖPNV werden die möglichen Veränderungen zugunsten der einzelnen Ver-kehrsmittel dargestellt. Für die Wege, die nicht durch Attraktivität beim ÖPNV gebunden sind, besteht die Abwanderungsgefahr zu den unterschiedlichen Verkehrsmitteln. Dazu gehören 1,3 Prozentpunkte der Wege zum Pkw-Verkehr: Bei freier Verkehrsmittelwahl würden diese Wege aufgrund der Anziehungskraft an den Pkw verloren gehen. Der Anteil dieser Wege wird im Verkehrsmittelwahlmodel als „Verteidigungspotenzial“ bezeichnet. Gleichzeitig sind es 0,9 Pro-zentpunkte der aktuellen Pkw-Fahrten, bei denen die Anziehungskraft des ÖPNV höher ist. Diese Wege stellen das Zugewinn-Potenzial dar.

Erläuterung zu Abbildung 2

Abb. 2: Abwanderungsrichtung vom und zum ÖPNV.

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Marktfaktoren

Die Ursache für die Differenz zwischen tat-sächlichem und potenziellem Modal Split liegt in den Marktfaktoren. „Power in the Mind“ und „Power in the Market“ wirken zu-sammen und bestimmen das tatsächliche Verkehrsverhalten. Die hemmenden und fördernden Eigenschaften der Marktfakto-ren sind die Ursache für den tatsächlichen Modal Split.

Die Marktfaktoren betreffen Aspekte, die sich auf die individuelle Einschätzung von Verfügbarkeit, Nutzen und Bedürfnisbe-friedigung der Verkehrsmittel beziehen. Es sind dies die Bewertungen, welches Ver-kehrsmittel für konkrete Wege (zum Bei-spiel Berufswege oder Versorgungswege) am besten geeignet sind, um den Zweck und die Reisebedürfnisse zu erfüllen.

Beim ÖPNV in Berlin sind die wichtigsten positiv wirkenden Marktfaktoren die „Nut-

zung der Unterwegszeit“, „Informationen über Strecke usw.“ und die „Sicherheit vor Unfällen“. Der Preis spielt für die meisten Nutzer nur eine untergeordnete Rolle. Im Vergleich dazu sind es beim Pkw der „Wet-terschutz“, die Möglichkeit der „Mitnahme von Personen“ und die „Transportmöglich-keiten“. Die beiden Marktfaktoren „Sicher-heit vor Übergriffen“ und „Privatsphäre“ wirken im Vergleich von ÖPNV und MIV

deutlich stärker auf die Wahl des Pkw als das am besten geeignete Verkehrsmittel.

Die Marktfaktoren werden aufgrund der individuellen Bewertungen allen Verkehrs-mitteln zugeordnet und werden somit zu deren „Eigenschaften“. Diese Eigenschaf-ten nennen wir „Power in the Market“. Da diese Eigenschaften der Marktfaktoren hemmend oder fördernd auf die Verkehrs-

Abb. 3: Wichtigste Marktfaktoren im Vergleich der Verkehrsmittel.

Abb. 4: Wirkung der Marktfaktoren.

Ab- und Zuwanderung zum Beispiel zwi-schen ÖPNV und Pkw lassen sich aufgrund der Marktfaktoren erklären, die mehr für das eine oder das andere Verkehrsmittel stehen. So ist der Marktfaktor „Nutzung der Unter-wegszeit“ ein starker Faktor, der Fahrten beim ÖPNV – gegenüber dem Pkw – hält, also sozusagen ein Verteidigungspotenzi-al bildet. Auch Sicherheit vor Unfällen und Preis sind deutliche Faktoren pro ÖPNV. Pro Pkw gibt es deutliche Vorteile des Pkw hin-sichtlich Komfort, Sicherheit vor Übergriffen, Privatsphäre und Transportmöglichkeiten.

Erläuterung zu Abbildung 4

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mittelwahl wirken, sind sie Ursache für den tatsächlichen Modal Split. Die Marktfak-toren sind also entscheidend dafür, wenn Wege bei einem Verkehrsmittel verbleiben, obwohl die Attraktivität dem entgegen-steht.

Maßnahmen zur Änderung der Verkehrsmittelwahl

Um die Verkehrsmittelwahl zu beeinflus-sen, ist also ein Einwirken auf die Marktfak-toren notwendig. Wenn beispielsweise die Fahrzeit Pkw-Nutzer vom Umstieg auf den ÖPNV abhält, muss die Fahrzeit im ÖPNV verkürzt werden, wenn es fehlende Infor-mationen oder Sicherheitsaspekte sind, wäre hier ein Ansatzpunkt. Welche Markt-faktoren aus Sicht der Berlinerinnen und Berliner von Bedeutung sind und mit Hilfe welcher verkehrsplanerischen und -politi-schen Maßnahmen diese am effektivsten beeinflusst werden können, wurde durch die zweite Befragung ermittelt.

Um Änderungen des Verkehrsmittelwahl-verhaltens in die eine oder andere Rich-

tung aufgrund von Veränderungen der Marktfaktoren (zum Beispiel Verbesserung der ÖPNV-Angebotes) vorherzusagen, können mögliche Maßnahmen dahinge-hend bewertet werden, inwieweit diese auf einzelne Marktfaktoren einen Einfluss haben.

Die Frage an die Verkehrsteilnehmenden ist also nicht „würden Sie den Bus nehmen, wenn zum Beispiel die Taktfrequenz erhöht wird?“, sondern „auf welche dieser Markt-faktoren hat die Erhöhung der Taktfrequenz einen positiven Einfluss?“. Auf diese Wei-se wird aus einer unbeantwortbaren Frage zur Verkehrsmittelwahl eine beantwortbare Einschätzung von konkreten Wirkungen einzelner Maßnahmen. Neben der Zuord-nung der Maßnahmen zu den Marktfakto-ren erfolgt zusätzlich eine Schätzung der Größe des Einflusses der Maßnahme auf den Marktfaktor. Dabei werden Marktfak-tor und Maßnahme methodisch so mitei-nander verrechnet, dass abgeschätzt wer-den kann, welche Maßnahme auf welchen Marktfaktor in welchem Umfang Einfluss nehmen wird.

Auf Basis dieser Ergebnisse kann model-liert werden, wie sich Marktfaktoren bei erfolgreicher Umsetzung einzelner Maß-nahmen verändern. Da Marktfaktoren Ur-sachen für Abwanderungsgefährdung und Potenzialgewinnung sind, kann gleichzei-tig die Summe der Wirkungen jeder ein-zelnen Maßnahme auf die Zunahme von ÖPNV-Verkehr (Gewinnpotenzial) und die Verhinderung der Abwanderung von ÖPNV- Verkehr zu anderen Verkehrsmitteln (Ver-teidigungspotenzial) berechnet werden. Anhand der Veränderung der Marktfaktoren infolge entsprechender Maßnahmen lässt sich dann ein verändertes Wahlverhalten und somit ein Einfluss auf den Modal Split vorhersagen.

Konkrete Maßnahmen

Die Befragungsergebnisse der Marktstudie sind eine wichtige Grundlage für den NVP 2019 – 2023, um erfolgversprechende Maß-nahmen für eine mögliche Veränderung der Verkehrsmittelwahl zu identifizieren und den ÖPNV aus Kundensicht zu stärken. Im Fokus steht dabei die Frage, wie der ÖPNV

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Fahrgäste vom MIV gewinnen und eine Verlagerung der Nachfrage erreicht werden kann.

Fahrgastinformationen in Echtzeit in allen Fahrzeugen sowie an allen Haltestellen/Stationen

Eine aktuelle und zuverlässige Fahrgastin-formation in Echtzeit ist sowohl für heutige als auch potenzielle künftige Fahrgäste ein ganz wesentliches Entscheidungskriteri-um. Sie ermöglicht es, bei Verspätungen und spontan auftretenden Störungen War-tezeiten zu vermeiden und mögliche Fahr-talternativen zu nutzen. Größte Relevanz hat dies für die täglichen ÖPNV-Nutzer.

Verbesserung der Sicherheit

Das persönliche Sicherheitsempfinden ist eines der wichtigsten Kriterien für die Ver-kehrsmittelwahl. Maßnahmen zur Verbes-serung der Sicherheit und des Sicherheits-empfindens sind für alle Nutzergruppen von großer Bedeutung, wobei dies häufiger von denjenigen benannt wird, die seltener den ÖPNV nutzen. So geben insbesondere Sel-ten- und Nichtnutzer mangelnde subjektive Sicherheit als Grund für die geringe ÖPNV- Nutzung und die alternative Wahl des Pkw an. Wirksame Maßnahmen zur Verbesse-rung der Sicherheit aus Sicht aller Nutzer-gruppen sind der Einsatz von mehr Service- und Sicherheitspersonal in Stationen und Fahrzeugen sowie die Videoüberwachung.

Ausweitung des flächendeckenden Zehn-Minuten-Taktes und bessere Anbindung wichtiger Ziele

Ein dichtes ÖPNV-Angebot soll Mobilität für alle Berlinerinnen und Berliner ermög-

lichen und ein hohes Maß an Flexibilität bei der Verknüpfung einzelner Wege bie-ten. Dies ist insbesondere für Menschen, die in ihrem Alltag mehrere Aufgaben und Wegezwecke miteinander verbinden, wie Begleit-, Versorgungs- und andere Wege, die zum Beispiel im Zusammenhang mit Familienarbeit entstehen, von Bedeutung – auch außerhalb der Hauptverkehrszeit.

Ein wohnortnahes ÖPNV-Angebot im Zehn-Minuten-Takt ist für alle Nutzergrup-pen ein wichtiges Entscheidungskriterium für oder gegen den ÖPNV. Im NVP wird ein neuer Attraktivitätsstandard eingeführt, der vorgibt, wie viele Einwohnerinnen und Einwohner im Schnitt alle zehn Minuten ein ÖPNV-Angebot erreichen können sollen. Bis zum Jahr 2023 sollen vier von fünf Einwohnerinnen und Ein-wohnern in der Hauptverkehrszeit (HVZ) und drei von vier in der Nebenverkehrszeit (NVZ) im Schnitt alle zehn Minuten ein ÖPNV-An-gebot erreichen können. In etwas längerer Entfernung soll dies für zwölf von dreizehn Einwohnerinnen und Einwohnern in der HVZ und neun von zehn in der NVZ gelten.

Durch Umsetzung der NVP-Angebotsstrate-gie wird das ÖPNV-Netz bis zum Jahr 2023 kontinuierlich erweitert und so auch Neubau-gebiete an den ÖPNV angebunden. Zudem werden flexible Bedarfsverkehre entwickelt und erprobt, um Angebotslücken zu schlie-ßen. Der weitere Ausbau des Stadt-Um-land-Verkehrs verbessert die Verbindungen zwischen Berlin und Brandenburg.

Attraktiv: pünktlicher, zuverlässiger und regelmäßiger Verkehr

Der ÖPNV wird insbesondere in seiner Zu-verlässigkeit im Vergleich zum Pkw, bei den wichtigen Imagefaktoren „unkompliziert“

und „zuverlässig“ als unterdurchschnittlich wahrgenommen. Um heutigen und potenti-ellen Fahrgästen dennoch ausreichend An-lass zur ÖPNV-Nutzung zu geben, besteht Handlungsbedarf. Störungen und Ausfälle sollen verringert und die Zuverlässigkeit und Regelmäßigkeit im ÖPNV erhöht wer-den. Dies hat insbesondere für die täglichen ÖPNV-Nutzer höchste Bedeutung.

Verbesserungsbedarf aus Fahrgastsicht be-steht weiterhin bei der Pünktlichkeit. Spe-ziell Berufspendler nehmen Verspätungen und Staus bei allen Verkehrsmitteln als re-levantes Problem wahr. Pünktliche Verkehrs-mittel sind für die Befragten wichtig, um An-schlussverbindungen zu erreichen und eine hohe Reisegeschwindigkeit zu sichern.

Im Straßenbahn- und Busverkehr sind für die Befragten Maßnahmen der ÖPNV-Priorisierung (zum Beispiel separa-te ÖPNV-Spuren, Bevorzugung an Ampeln für Busse und Straßenbahnen) wichtig für eine Erhöhung der Pünktlichkeit und die Attraktivitätssteigerung des ÖPNV. Von allen Nutzergruppen werden zudem Fahrzeuge, die zu früh von Haltestellen abfahren, als Problem benannt. Dies gilt überdurchschnittlich stark im Busverkehr. Verbesserungsbedarf besteht zudem bei der unternehmensübergreifenden An-schlussplanung, insbesondere abends und im Nachtverkehr.

Kapazität

Überfüllungen insbesondere im Berufsver-kehr werden von knapp einem Viertel der Befragten als Problem benannt. Insbeson-dere für Täglich- und Häufignutzer ist ein größeres Sitzplatzangebot eine wichtige Maßnahme zur Verbesserung der Attrakti-vität des ÖPNV. Speziell für Mobilitätsein-geschränkte ist eine hohe Sitzplatzverfüg-barkeit eine zentrale Voraussetzung für die ÖPNV-Nutzung.

Durch Taktverdichtungen und den Einsatz größerer Fahrzeuge und längerer Züge sol-len die Kapazität und Leistungsfähigkeit des ÖPNV deutlich erhöht werden. Länger-fristig sollen zudem ausgewählte überlas-tete Busstrecken auf schienengebundenen Betrieb umgestellt werden.

Ansprechende Fahrgasträume und Verfügbarkeit von WLAN

Bahnhöfe und Haltestellen sollen für alle Fahrgäste gut erreichbar sein und einen angenehmen, sicheren Aufenthalt bieten.

Abb. 5: Verknüpfung der geplanten Maßnahmen mit den Marktfaktoren.

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Zusammenfassung / Summary

Grundlagen für den Nahverkehrsplan Berlin 2019 – 2023Mit dem neuen Nahverkehrsplan für Berlin sollen die Vorausset-zung geschaffen werden, den ÖPNV zu stärken und eine attraktive, stadtverträgliche und nachhaltige Mobilität zu gewährleisten. In der beschriebenen Untersuchung wird das Fahrverhalten aller Mobili-tätsteilnehmer erhoben und deren zu Grunde liegenden Bedürfnisse aufgedeckt. Auf dieser Grundlage werden die Wirkungen von Verbes-serungsmaßnahmen auf die individuelle Verkehrsmittelwahl analysiert und Umsetzungsvorschläge entwickelt.

Basics of the mass transit plan for BerlinThe new mass transit plan (Nahverkehrsplan) for Berlin is performed to create the conditions for a strong public transport. The aim is to guar-antee an attractive, city-friendly and sustained mobility. The described survey collects data of travel behavior of all mobility participants und reveals the underlying needs. The impact of different measures for im-provement on the individual choice of mean of transport are analysed. Based on these insights, measures for improvement are prioritized and proposed for implementation.

Der ÖPNV kann auch durch Maßnahmen zur Ausstattung von Bahnhöfen und Hal-testellen aus Kundensicht attraktiver wer-den. Dazu zählen eine ausreichende Anzahl an Sitzplätzen, ein angemessener Wetter-schutz, die Ausweitung der dynamischen Echtzeitinformation sowie die bessere Verknüpfung mit dem Fahrrad durch den Ausbau von B+R-Möglichkeiten. Saubere, helle und einladende Fahrgasträume ha-ben für Selten- und Nie-Nutzerinnen und -nutzer des ÖPNV eine höhere Priorität als für die übrigen Nutzergruppen.

Weiterhin sind ansprechend und komfor-tabel gestaltete ÖPNV-Fahrzeuge wichtig im Wettbewerb mit dem Pkw. Die mögli-che Nutzung der Unterwegszeit und die Verfügbarkeit von WLAN haben sich als besonders positiver Marktfaktor heraus-gestellt. WLAN soll daher insbesondere dort, wo von längerer Verweildauer in den Fahrzeugen auszugehen ist, für die Fahr-gäste verfügbar gemacht werden, wenn es wirtschaftlich zu betreiben oder schon aus betriebsinternen Gründen installiert ist.

Barrierefreiheit

Die barrierefreie Zugänglichkeit und Nutz-barkeit von Bahnhöfen und Haltestellen ist ein zentrales Thema. Menschen, deren Mo-bilität durch körperliche oder sensorische Einschränkungen beeinflusst ist, muss der einfache Zugang zu ÖPNV-Anlagen, das Ein- und Aussteigen sowie der Aufenthalt im Fahrzeug ermöglicht werden. Hinzu kommen Menschen mit weiteren Formen der Mobilitätsbeeinträchtigung, beispiels-weise alters-, krankheits- oder verletzungs-bedingt, sowie Nutzergruppen mit tem-porären Einschränkungen, wie Schwangere oder Fahrgäste mit Kleinkindern, Kinder-wagen oder großem Gepäck.

In Summe schätzen sich laut Marktstudie gut 35 Prozent aller Berlinerinnen und Berliner als mobilitätseingeschränkt ein. Maßnahmen von besonderer Bedeutung

sind mehr Sitzplatzangebote in Fahrzeu-gen und an Haltestellen, mehr Service und Sicherheitspersonal sowie Informationen zu Aufzugstörungen. Der Nahverkehrs- plan formuliert entsprechende Standards beispielsweise für die kontinuierliche Ausstattung von Bahnhöfen mit Aufzü-gen und Rampen, für die Schaffung ebe-ner Einstiegsmöglichkeiten in Fahrzeuge (Minimierung von Restspalten zwischen Bahnsteig und Fahrzeug) sowie für die bar-rierefreie Fahrgastinformation über die ge-samte Wegekette.

Fazit

Der ÖPNV muss Angebote für die einzel-nen Nutzergruppen bieten und auf die unterschiedlichen Mobilitätsbedürfnisse eingehen – zum einen, um seinen gesetz-lichen Auftrag zu erfüllen, zum anderen, um attraktiv zu sein und zu bleiben: An-gebote, die nicht auf die Fahrgäste pas-sen, werden von denen, die nicht zwin-gend darauf angewiesen sind, auch nicht wahrgenommen, und das kann sich der ÖPNV im wahrsten Sinne des Wortes nicht leisten. Erforderlich ist daher eine kontinuierliche Anpassung der ÖPNV-An-

gebotsplanung an sich wandelnde Mobi-litätsbedürfnisse.

Mit dem neuen Nahverkehrsplan 2019-2023 schafft das Land Berlin die Grundlage für die Weiterentwicklung einer attraktiven, stadtverträglichen und dauerhaft nachhal-tigen Mobilität. Der ÖPNV wird gestärkt und seine Leistungsfähigkeit erhöht, da-mit Berlinerinnen und Berliner auch künf-tig mobil sind – und bei der Wahl des Verkehrsmittels möglichst viele Personen dazu bewegt werden, eine Fahrt zu einem bestimmten Anlass mit dem ÖPNV statt mit dem Auto durchzuführen.

Literatur / Anmerkungen

[1] Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz 2019: Nahver-kehrsplan Berlin 2019-2023 (Kap. l.1.7)

[2] Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz 2019: Nahver-kehrsplan Berlin 2019-2023 (Kap. l.1.4.1)

[3] Senatsverwaltung für Stadtentwicklung 2013: Mobilität in Berlin - Bilanz zum Personenverkehr in der Stadt (SrV 2013)

[4] Die leichte Abweichung des Wertes für den Modal Split des ÖPNV aus der Marktstudie 2017 (25,2 %) gegenüber dem der SrV 2013 (27 %) liegt in der unterschiedlichen Erhebungsmethodik begründet.

Abb. 6: Potenzial abgefragter Maßnahmen, Fahrgäste beim ÖPNV zu halten und neue Fahr-gäste vom MIV zu gewinnen (in Wegen pro Tag).

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