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1 Verfolgte Christen aktuell 1 - 2017 „Denkt an die Gefangenen, als wäret ihr mitgefangen!“ Informationen des IGFM-Referats Religionsfreiheit Hebr. 13,3 Internationale Gesellschaft für Menschenrechte • IGFM - Deutsche Sektion e.V. • Borsigallee 9 • 60388 Frankfurt / Main Liebe Freunde der IGFM, es ist eine Begegnung gewesen, die die 66-jährige Haushälterin des katholi- schen Bischofs von Faisalabad, Joseph Arshad, zu Tränen gerührt hat: Rasheeda Bibi, Witwe von Ranjha Masih, hat das nicht erwartet, sich nicht einmal denken können, dass jemand von der IGFM nach Pakistan reist und sie besuchen wird: Es ist schwierig, sie zu finden, denn in der Nachbarschaft weiß niemand, wer sie wirklich ist. Durch ihren verstorbenen Mann steht sie für viele Pakistaner im- mer noch am Pranger: Unter falschem Blasphemieverdacht saß Ranjha vom 8. Mai 1998 bis zum 14. November 2006 in Einzelhaft, zeitweise in der Erwartung seiner Hinrichtung. Die IGFM setzte sich für ihn ein, und er war im Jahr 2006 erster Träger des Stephanus-Preises für verfolg- te Christen. Vor einigen Jahren erreichte die IGFM die traurige Nachricht, dass der tiefgläubige Christ seine Freilassung nicht lange überlebt hatte. Ein Kontakt direkt zur Familie bestand danach nicht mehr, Nachfragen bei örtlichen Organisationen verliefen im Sande. Um mir ein Bild von den Lebensverhältnissen eines unserer Schwerpunktländer zu machen, besuch- te ich neulich Pakistan. Die christliche Menschenrechtsanwältin und IGFM- Projektpartnerin Aneeqa Anthony und ihr Team von „The Voice Society“ halfen mir, ließen bei der Suche nach Rasheeda nicht locker, fanden sie und luden sie ein. Die Geschichte des Falls geht zurück in die Zeit um den Selbstmord von Bischof John Joseph. Der erste einheimische Punjabi unter den Oberhirten hatte sich am 6. Mai 1998 aus Protest gegen die Hinrichtung eines Christen wegen der angeblichen Beleidigung Mohammeds vor dem Gerichtsgebäude erschossen. Um ihre Trauer und Erschütterung öf- fentlich zu zeigen, gingen viele Christen am folgenden Tag auf die Straße. Einige übermütige junge Leute mischten sich darunter, ein Stein flog, prallte gegen das Schild über einem Geschäft. Darauf stand ein Zitat aus dem Koran. Ranjha Masih, damals ein kleiner Angestellter und flie- gender Händler und 51 Jahre alt, geriet ins Visier der Polizei, nachdem der Sohn des Bezirksbürgermeisters ihn dieses Gewaltakts bezichtigt hatte. Weil er sich damit eines todeswürdigen Verbrechens schuldig gemacht habe, verhafteten sie ihn am Tag der Beisetzung von Bischof John Joseph, am 8. Mai 1998. „Wegen dieses zeitlichen Zusammenhangs ist dieser Fall immer noch sehr prominent“, erklärt Aneeqa Anthony. Am 26. April 2003 kam ein Bezirks- gericht zu der Überzeugung, dass er sich gegen den Koran gerichtet habe, Verstoß gegen Paragraph 295 B, und verurteilte ihn zu einer lebenslangen Gefängnisstra- fe: Fanatikern, die hofften, ihn am Galgen hängen zu sehen, protestierten auch noch dagegen. Schließlich konnte Ranjhas Ma- sihs Anwalt die Berufungsinstanz von der Unschuld seines Mandanten überzeugen: Am 10. November 2006 wurde er freige- sprochen. „Masihs starker Glaube hat ihm eine Anerkennung durch die Stephanus- Stiftung der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte eingebracht, die ihm im Mai wegen der Unerschütterlichkeit, mit der er zu seinem Glauben stand, einen Preis verlieh“, heißt es in einer Meldung von Asia News über die Freilassung. Der am 2. März 2011 ermordete paki- stanische Minderheitenminister Shahbaz Bhatti hatte Masih im Dezember 2002 im Zentralgefängnis von Faisalabad besucht und bezeugt, dass der fälschlich der Blasphemie Angeklagte folgende Worte sprach: „Ich wäre glücklich, wenn das Op- fer meines Lebens dazu beitragen könnte, dieses schwarze Blasphemiegesetz ab- zuschaffen, obwohl ich fälschlicherweise da hineingezogen und für ein Verbrechen bestraft wurde, das ich nicht begangen habe. Die Gebete meiner Brüder und Schwestern in Christus stärken mich.“ Mit Spannung habe ich auf die Begegnung mit seiner Witwe gewartet. Rasheeda Bibi ist eine kleine dunkel- häutige Frau, die den Dupatta (Schleier) über dem Haar tragend, zunächst viel lächelt, als wir sie treffen. Einer ihrer drei Söhne, Mubarik Masih, begleitet sie und antwortet als Erster auf meine Frage, wann genau sein Vater gestorben sei. „Nach seiner Freilassung erhielten wir Morddrohungen und wurden wiederholt angegriffen, geschlagen, beschimpft“, berichtet er. Die Ausgrenzung, der Rück- zug, all das habe dazu beigetragen, dass die Familieneinkünfte knapp blieben. Auf dem Rückweg vom Büro einer Hilfsorga- nisation, die er um Unterstützung ersucht habe, sei Ranjha Mitte Juni 2009 auf einem Markt zusammengeschlagen und gefährlich verletzt worden. „Ich bin drei Stunden zu Fuß gelaufen, um Geld für die Behandlung zu besorgen“, erinnert sich Mubarik. Vergeblich. Sie mussten den Familienvater aus der Klinik abholen, nach Hause bringen, wo er am 14. Juni 2009 seinen Verletzungen erlag. Mubarik schlage sich mit Gelegenheitsjobs durch, Arbeitgeber und Kollegen wüßten nicht, wer sein Vater war. „Können Sie sich denn an eine Auszeichnung aus Deutschland erinnern“, frage ich später. Rasheeda lächelt, schließlich wischt sie Tränen von ihren Wangen: „Ja, sehr genau, wir sind froh, dass Sie hier sind.“ Diese Familie und ihre Situation behält Aneeqa Anthony künftig im Auge, wie sie mir entschlossen zusichert. Herzlichst Michaela Koller Referentin für Religionsfreiheit Rasheeda Bibi und Mubarik Masih Copyright: Michaela Koller

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Verfolgte Christen aktuell1 - 2017„Denkt an die Gefangenen, als wäret ihr mitgefangen!“

Informationen des IGFM-Referats Religionsfreiheit

Hebr. 13,3

Internationale Gesellschaft für Menschenrechte • IGFM - Deutsche Sektion e.V. • Borsigallee 9 • 60388 Frankfurt / Main

Liebe Freunde der IGFM,

es ist eine Begegnung gewesen, diedie 66-jährige Haushälterin des katholi-schen Bischofs von Faisalabad, JosephArshad, zu Tränen gerührt hat: RasheedaBibi, Witwe von Ranjha Masih, hat dasnicht erwartet, sich nicht einmal denkenkönnen, dass jemand von der IGFMnachPakistan reist und sie besuchen wird: Esist schwierig, sie zu finden, denn in derNachbarschaft weiß niemand, wer siewirklich ist. Durch ihren verstorbenenMann steht sie für viele Pakistaner im-mer noch am Pranger: Unter falschemBlasphemieverdacht saß Ranjha vom 8.Mai 1998 bis zum 14. November 2006in Einzelhaft, zeitweise in der Erwartungseiner Hinrichtung. Die IGFM setzte sichfür ihnein, underwar im Jahr2006ersterTräger des Stephanus-Preises für verfolg-te Christen. Vor einigen Jahren erreichtedie IGFM die traurige Nachricht, dass dertiefgläubigeChrist seineFreilassungnichtlange überlebt hatte. Ein Kontakt direktzur Familie bestand danach nicht mehr,Nachfragen bei örtlichen Organisationenverliefen im Sande. Um mir ein Bild vonden Lebensverhältnissen eines unsererSchwerpunktländer zu machen, besuch-te ich neulich Pakistan. Die christlicheMenschenrechtsanwältin und IGFM-Projektpartnerin Aneeqa Anthony und ihrTeam von „The Voice Society“ halfen mir,ließenbeiderSuchenachRasheedanichtlocker, fanden sie und luden sie ein.

Die Geschichte des Falls geht zurückindieZeit umdenSelbstmord vonBischofJohn Joseph. Der erste einheimischePunjabi unter den Oberhirten hatte sicham 6. Mai 1998 aus Protest gegen dieHinrichtung eines Christen wegen derangeblichen Beleidigung Mohammedsvor dem Gerichtsgebäude erschossen.Um ihre Trauer und Erschütterung öf-fentlich zu zeigen, gingen viele Christenam folgenden Tag auf die Straße. Einigeübermütige junge Leute mischten sichdarunter, ein Stein flog, prallte gegen dasSchildübereinemGeschäft.Darauf standein Zitat aus dem Koran. Ranjha Masih,damals ein kleiner Angestellter und flie-gender Händler und 51 Jahre alt, gerietins Visier der Polizei, nachdem der Sohndes Bezirksbürgermeisters ihn diesesGewaltakts bezichtigt hatte. Weil er sich

damit eines todeswürdigen Verbrechensschuldig gemacht habe, verhafteten sieihn am Tag der Beisetzung von BischofJohn Joseph, am 8. Mai 1998. „Wegendieses zeitlichen Zusammenhangs istdieser Fall immer noch sehr prominent“,erklärt Aneeqa Anthony.

Am 26. April 2003 kam ein Bezirks-gericht zu der Überzeugung, dass er sichgegen den Koran gerichtet habe, Verstoßgegen Paragraph 295 B, und verurteilteihn zu einer lebenslangenGefängnisstra-fe: Fanatikern, die hofften, ihn amGalgenhängenzusehen,protestiertenauchnochdagegen. Schließlich konnteRanjhasMa-sihs Anwalt die Berufungsinstanz von derUnschuld seinesMandantenüberzeugen:Am 10. November 2006 wurde er freige-sprochen. „MasihsstarkerGlaubehat ihmeine Anerkennung durch die Stephanus-Stiftung der Internationalen GesellschaftfürMenschenrechte eingebracht, die ihmim Mai wegen der Unerschütterlichkeit,mit derer zuseinemGlaubenstand,einenPreis verlieh“, heißt es in einer Meldungvon Asia News über die Freilassung.

Deram2.März2011ermordetepaki-stanischeMinderheitenminister Shahbaz

Bhatti hatteMasih imDezember2002 imZentralgefängnis vonFaisalabadbesuchtund bezeugt, dass der fälschlich derBlasphemie Angeklagte folgende Wortesprach: „Ichwäre glücklich, wenndasOp-fermeinesLebensdazubeitragenkönnte,dieses schwarze Blasphemiegesetz ab-zuschaffen, obwohl ich fälschlicherweiseda hineingezogenund für ein Verbrechenbestraft wurde, das ich nicht begangenhabe. Die Gebete meiner Brüder undSchwestern in Christus stärken mich.“

Mit Spannung habe ich auf dieBegegnung mit seiner Witwe gewartet.Rasheeda Bibi ist eine kleine dunkel-häutige Frau, die den Dupatta (Schleier)über dem Haar tragend, zunächst viellächelt, als wir sie treffen. Einer ihrer dreiSöhne, Mubarik Masih, begleitet sie undantwortet als Erster auf meine Frage,wann genau sein Vater gestorben sei.„Nach seiner Freilassung erhielten wirMorddrohungen und wurden wiederholtangegriffen, geschlagen, beschimpft“,berichtet er. Die Ausgrenzung, der Rück-zug, all das habe dazu beigetragen, dassdie Familieneinkünfte knapp blieben. Aufdem Rückweg vom Büro einer Hilfsorga-nisation, die er umUnterstützungersuchthabe, sei Ranjha Mitte Juni 2009 aufeinem Markt zusammengeschlagen undgefährlich verletzt worden. „Ich bin dreiStunden zu Fuß gelaufen, um Geld fürdie Behandlung zu besorgen“, erinnertsich Mubarik. Vergeblich. Sie musstendenFamilienvater ausderKlinik abholen,nach Hause bringen, wo er am 14. Juni2009seinenVerletzungenerlag.Mubarikschlage sichmit Gelegenheitsjobs durch,Arbeitgeber und Kollegen wüßten nicht,wer seinVaterwar. „KönnenSie sichdennan eine Auszeichnung aus Deutschlanderinnern“, frage ich später. Rasheedalächelt, schließlich wischt sie Tränen vonihren Wangen: „Ja, sehr genau, wir sindfroh, dass Sie hier sind.“ Diese Familieund ihreSituationbehält AneeqaAnthonykünftig imAuge, wie siemir entschlossenzusichert.

Herzlichst

Michaela KollerReferentin für Religionsfreiheit

Rasheeda Bibi und Mubarik MasihCopyright: Michaela Koller

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Internationale Gesellschaft für Menschenrechte • IGFM - Deutsche Sektion e.V. • Borsigallee 9 • 60388 Frankfurt / Main

Eine Chronologie der Schande

Seit Jahren ist die Lebenswirk-lichkeit in Pakistan zunehmend vonBombenattentaten gezeichnet und vonder Gefahr, persönlich ins Fadenkreuzvon Islamisten zu geraten, wie der vorsechs Jahren ermordeteMinderheiten-minister Shahbaz Bhatti, den Kardinal-staatssekretär Pietro Parolin kürzlichin einem Buch als Mann mit einemGlauben aus Granit würdigte.

Über diese Lebenswirklichkeit kannman als Besucher raschmehr erfahrenals gewünscht: Während wir – mit unssindBischofThomasSchirrmacher vonder Weltweiten Evangelischen Allianzals Präsident des Rates der Internatio-nalenGesellschaft fürMenschen-rechte (IGFM) und seine Frau, dieIslamwissenschaftlerin ChristineSchirrmacher – in einem Hotelin Lahore zu einem informellenAustausch über die Zukunft derMenschenrechte in der Regionzusammensitzen, drängt sich einUnbekannter in den Kreis, greiftungefragt nach Visitenkarten. Diepakistanischen Gastgeber sindverunsichert: Zivile Sicherheits-kräfte hätten die Namen der Ver-sammelten vom Hotel erfahrenkönnen.Aus Vorsicht bleiben allenoch länger als geplant sitzen.Beim Verlassen des Hotels ach-ten sie verschreckt darauf, dass ihnenniemand von dort folgt.

Auf dem Weg in die Stadt geratenwir in einen Verkehrsstau, verursachtdurch die Sperrung unmittelbar nacheinem Bombenattentat vor dem Pro-vinzparlament. Inmitten einer Men-schenmenge Protestierender starbenbei dem Selbstmordangriff 13 Men-schen, 83 weitere wurden verwundet.In derselben Woche sollten noch dreiExplosionen Pakistan aufschreckenlassen, darunter eine in der südlichenProvinz Sindh, bei der 88 Menschengrausam zu Tode kamen. Währendin Lahore pakistanische Taliban derGruppe Jamaat-ul-Ahrar sich zur Tatbekennen, zeichnet in Sindh die Ter-rororganisation „Islamischer Staat“ (IS)für den Akt verantwortlich. Zweimalflammt die Gewalt in diesen Tagen inLahore, der Hauptstadt der an Indienangrenzenden Provinz Punjab, auf,das zweite Mal auf einem Marktplatzin unmittelbarer Nachbarschaft unsererGastgeber.

Unwürdige Arbeitsverhältnisse, verleumderische Diffamierungen undgewaltbereite Fanatiker setzen den Christen Pakistans zu.

Von Michaela Koller

Dort, bei der pakistanischen Men-schenrechtsanwältinAneeqaAnthony,treffen wir Überlebende und Angehö-rige von Opfern des Bombenattentatsim Gulshan-e-Iqbal-Park von Osternvorigen Jahres mit einer Bilanz von 72Toten. Jamaat-ul-Ahrar hatte damalserklärt, gezielt Christen ins Visier ge-nommen zu haben, die den Feiertagdort fröhlich verbringen wollten.

Ein kleiner kräftiger Mannmit brei-ten Schultern berichtet, wie sein 16-jähriger Sohn bei demAttentat schwerverletzt wurde und nur langsam aufdie Beine kommt. Auf die Frage, wiees ihm dabei gehe, wenn er so eine

Woche wie diese, in der der Terrorerneut aufflammt, erlebt, sagt er leise,fast flüsternd: „Wir wissen morgensnie, ob wir abends wieder nach Hausekommen.“

Der Eindruck, der sich bei Beob-achtern festsetzt, ist, dass die Re-gierung die Gewalt nicht in den Griffbekommt. Keinerlei Gewalt, weder dieimportierte des IS, noch die einheimi-sche der pakistanischen Taliban, aberauch nicht die ganz alltägliche Gewaltvon Hasspredigern aufgehetzter Mas-sen, des mächtigen Landeigentümersgegenüber seinenArbeitern – oder diegegenüber Frauen und Kindern.

Dazu bedarf es eines Heeres anPredigern, die zu Rechtschaffenheitund Verständigung anleiten. Als soeiner gilt Maulana Abdul Khabir Azad,Großimamder BadshahiMoschee, derkaiserlichen Moschee in Lahore, woeinst einer der vier HerrschaftspalästederMogulkaiser stand. SeineMoscheeist eine der größten weltweit.

„Zuweilen sind es rund 100.000

Menschen, die sich hier zum Gebetversammeln“, sagt Maulana AbdulKhabirAzad, dabei in die tief stehendeSonne blinzelnd. Im Gegenlicht wirktder Innenhof des prächtigen rotenSandsteinbaus aus dem 17. Jahrhun-dert unwirklich schön.

Im anschließenden Gespräch beiMangosaft und Samosas (Blätterteig-pasteten) kritisiert derGroßimam, dassGewalt und Terrorismus auch in sei-nemHeimatland Spaltungen vertiefen.Sein Vater, Muhammad Abdul QadirAzad, begründete vor 40 Jahren deninterreligiösen Dialog in Pakistan, „zueiner Zeit, in der es noch nicht möglich

war, zusammenzusitzen“, wieer betont. Der vormalige Imamder zweitgrößten Moschee desLandes verstarb 2003 und wardafür bekannt, dass er auch maleine Kirche wiederaufbauenhalf, die Extremisten zerstörthatten. Wenn die Situation zueskalieren drohe, greife er schonmal selbst ein. Als im März 2013ein Mob brandschatzend durchLahore zog, nachdem ein Streitzwischen zwei Weggefährtenzu einem Blasphemie-Vorwurfgegen den Christen SawanMasih ausgeartet war, habe ersich vor Ort begeben, mit den

Leuten geredet, mit ihnen gebetet unddanach seien sie schließlich friedlichabgezogen.

Durch die Gewaltwelle, die als „Jo-seph Colony-Vorfall“ in die Geschichteeingegangen war, waren zu diesemZeitpunkt bereits rund 100 Häuservon Christen dem Erdboden gleichgemacht worden. Der Christ wurdeschließlich zum Tode verurteilt, wäh-rend 115 Verdächtige vom VerdachtderMitwirkung an der Brandschatzungin diesemFebruar freigesprochenwur-den. Eine „Chronologie der Schande“nannte dies ein christlich-pakistani-scher Kommentator.

In der Geschichte der umstritte-nen Blasphemie-Gesetze, die mehrGewalt entfachen, als ihre Urheber zuverhindern vorgeben, hat es bislangerst einmal ein prominentes Urteilgegen die Lynchjustiz gegeben: ImNovember wurden fünf Todesurteilegegen Rädelsführer verhängt, dieim November 2014 zur Jagd auf einchristliches Ehepaar angestachelt

Viele Christen arbeiten schon als Kind in der ZiegeleiCopyright: Michaela Koller

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Ihre Spende überweisen Sie bitte unter dem Kennwort„Religionsfreiheit“ auf folgendes Konto:

IBAN: DE31 5502 0500 0001 4036 00 • Swift-BIC: BFSWDE33MNZIGFM • Bank für Sozialwirtschaft • Kto. Nr. 1403600 • BLZ 550 205 00

hatten. Die Opfer, ShamaBibi (26) undShahzadMasih (28), hatten angeblichSeiten aus dem Koran verbrannt. Einfanatisierter Mob verprügelte sie, zerr-te sie um die Felder der Ziegelei, in dersie schufteten, und stieß sie lebendigin einen Ziegelofen.

Der Eigentümer hatte laut Poli-zeierkenntnissen einen islamischenPrediger dazu angestiftet, das Ehe-paar öffentlich der Blasphemie zubeschuldigen. Als „barbarischen Akt“bezeichnete seinerzeit Kardinal Jean-Louis Tauran die Tat und forderte dieislamischenAutoritäten auf, die Tat zubrandmarken.

Gastgeberin Aneeqa An-thony vertritt die Interessen derüberlebenden Kinder Poonum,Sonia und Salman vor Gericht,die in diesem Jahr vier, sechsund neun Jahre alt werden. An-thonys Organisation, „The VoiceSociety“, leistet dazu nicht nurRechtshilfe, sondern auch huma-nitäre Unterstützung.

Den kleinen Salman besuchtdie Autorin dieses Berichts imKrankenhaus: Beim Spielen hater sich verletzt, in seine tiefe,mehrereZentimeter langeWundewaren Keime eingedrungen. Starr undängstlich blickt er auf demBett sitzendauf sein Bein, das mit roten Fleckenübersät ist. Den Besuch nimmt er garnicht wahr, nicht einmal, als er sich ne-ben ihn setzt und ihn anblickt. Nebenihm im selben Bett liegt noch ein Baby.Alle Betten in diesem öffentlichenKrankenhaus in Lahore-Ferozepursind mit zwei Kindern belegt. Nacheinigen Tagen erst kann er wieder zuseinem Großvater und seinen kleinenSchwestern zurückkehren.Wenn nichtein grausames Verbrechen ihn seinerEltern beraubt hätte, wäre Salmanjetzt eines der Kinder, die schon vonklein auf ihre versklavten Eltern in derZiegelei unterstützen müssen.

Bei einem Besuch einer solchenZiegelei treffen wir ein Mädchen imAl-ter von Salman, das auf Ziegelklötzenherumrobbt, diesemit ihrer 40-jährigenMutter in der Sonne von einer Seiteauf die nächste dreht. Diese sollen janur gut durchtrocknen, bevor sie imZiegelofen gebrannt werden können.

In einer Form aus Holz und Eisensind die Klötze zuvor aus dem Lehmdes Feldes geformt worden. EinArbei-ter sitzt dazu den ganzenTag barfuß ineinem staubigen Kittel auf dem blan-ken Boden. Rund tausend Mal muss

er den Vorgang am Tag wiederholen,tausendfach den Lehm glattpressenund stürzen, bis er seine drei Euro proTag zugestanden bekommt. Erreichter das Quantum nicht, erhält er auchseinen Lohn nicht.

Sein Part ist noch leicht im Ver-gleich zumnächstenArbeitsschritt:Wiekleine Vulkane wirken die rauchendenLuftschächte zum nach oben offenenOfen, der selbst ganz aus Ziegelstei-nen gebaut ist und wohl eine Hitzevon 1.000 Grad erreicht. Vorsichtigbewegen wir uns hinter den Gastge-bern über den Ofen hinweg, unter

den Sohlen wird es bereits gefährlichheiß. DieArbeiter, die frisch gebrannteSteine auf Schubkarren davonfahren,sind schweißgebadet, dabei ist geradenoch Winter.

Unter diesen Bedingungen hatsich derArbeiter Keramat Masih seineohnehin angeschlagene Gesundheitendgültig ruiniert. Er kommt am folgen-den Tag zu Aneeqa Anthony nach La-hore-Cantt, wo die obere Mittelklassein engen Straßen hinter hohenMauernlebt. Seine dicke schwarzeWollmützeist weit nach oben gerutscht, als ervon dem Unrecht berichtet, das ihnhier Hilfe suchen lässt: „Mir gehörteein Haus, Ponys und Karren, als ichbegann, als Arbeiter in einer Ziegeleizu arbeiten.“

Der Landeigentümer, der die Zie-gelei betreibt, versucht ihm bald einenKredit aufzudrängen, sieht aber, dassder Christ in seinem bescheidenenLebensstil durchaus unabhängig ist.Der mächtige Besitzer wird wütend,lässt auf den armen Keramat einprü-geln und erpresst so, ihm alles, waser noch besitzt, zu überschreiben. DerArbeiter ist schwer nierenkrank und dieLeber ist ebenfalls angegriffen. Fastkraftlos erzählt er seineGeschichte undberichtet von seiner Hoffnung, auf dem

Rechtsweg doch noch sein Eigentumzurückzuerhalten.

Ein Tag nach dem Gespräch klin-gelt das Telefon bei Aneeqa Anthony.Keramat sei zusammengebrochen,benötige Unterstützung für einenKrankenhausaufenthalt. Wieder einenTag später ereilt sie einAnruf: KeramatMasih ist tot, Gerechtigkeit hat er zuLebzeiten nicht mehr erfahren dürfen.

Christen sind von der Sklavereiähnlichen Arbeitsverhältnissen in Pa-kistan deshalb besonders betroffen,weil viele Hindus der unteren Kastenoder Kastenlose zum Christentum

konvertierten. Sie versprachensich davon Freiheit. Sie werdennicht nur wegen ihrer christlichenÜberzeugung diskriminiert, son-dern zudem auch wegen ihrerHerkunft.

Im Fall des wegen Blasphe-mie beschuldigten pakistani-schen Christen Pervaiz Masih,ebenfalls ein Ziegelei-Arbeiter,hatte Anthony bislang als An-wältin mehr Glück. Er verdientesich als Arbeiter noch nebenbeietwas dazu und kam bald einemKonkurrenten ins Gehege, derihn fälschlich der BeleidigungMo-

hammeds bezichtigte. Der vierfacheFamilienvater aus der Nähe der StadtKasur (Provinz Punjab) wurde bereitseinen Monat nach der FestnahmegegenKaution aus demGefängnis ent-lassen. Es handelt sich um einen derseltenen Fälle in der pakistanischenGeschichte, in dem bereits die ersteGerichtsinstanz einem Kautionsan-trag der Verteidigung zustimmte. DerBezirk Kasur gilt sogar als Gegend,in dem sich die Menschen in denDörfern leicht von Hasspredigern auf-hetzen lassen. Pervaiz musste sogarbefürchten, gelyncht zu werden undwar daher zeitweise untergetaucht.Auf der Suche nach ihmmisshandeltedie Polizei seine Familie und bedrohtespäter seine Anwältin. Lächelnd, ineinem pastellgelben Shalwar Kameez(der Landestracht), kommt er seineAnwältin aufsuchen. Er und seineFamilie leben inzwischen in einemanderen Dorf. Kürzlich kam sein Fallnochmal vor Gericht, die Anhörungwurde jedoch vertagt. Er ist guter Din-ge, von den Vorwürfen freigesprochenzu werden. „Wir haben die stärkereMacht auf unserer Seite. Das ist Gott“,sagt seine Anwältin.

(Erstveröffentlichung: Die Tages-post, 4. März 2017)

Michaela Koller besucht Salman Shahzad im KrankenhausCopyright: The Voice Society

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Die IGFM hatte im ver-gangenenJahr immerwiederaufBenachtei-

ligungen, jasogarauf tätlicheAngriffeaufchristlicheund jesidischeFlüchtlinge in den Erstaufnahmeeinrichtungen aufmerksamgemacht und einen Katalog an Maßnahmen vorgeschlagen, wiedem begegnet werden könne. Es ist zwar zu einer Sensibilierunggekommen, aber welche Maßnahmen die Länderinnenminister

empfohlen und angeordnet haben, ist der Gesellschaft weitge-hendunbekannt, unddarumhabenwir alle Innenministerdanachgefragt. Warum jetzt noch einmal ein Nachkarten notwendig ist,wird aus der Schilderung eines Konvertiten aus dem Iran, dessenNameundAufenthaltsortwirausSicherheitsgründennichtnennenkönnen, deutlich. Die Schilderung wurde am 14. Februar aufge-nommen und wird hier in Auszügen zitiert:

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Bundesrepublik

Deutschland

Impressum

Herausgeber: Internationale Gesellschaft für Men-schenrechte - Deutsche Sektion e.V. (IGFM)Borsigallee 9, D-60388 FrankfurtTel.: +49 (0) 69 - 42 01 08 - 0Fax: +49 (0) 69 - 42 01 08 - 33e-mail: [email protected] Internet: www.igfm.deUSt ID Nr. DE 1142 35 684Redaktion: Michaela Koller (Leitung), Karl HafenDruck: johnen-druck, Bernkastel-KuesSatz und Layout: Pixelvektor Stefan EschenbachSektion Österreich:Hackerhofergasse 1, A-1190 WienTel.: +43 - 991 9 43 99 20Fax: +43 - 1 - 2 36 92 31Sektion Schweiz:Birkenweg 1, CH-2560 NidauTel.: +41 - 32 - 3 31 75 67Fax: +41 - 32 - 3 31 57 81Herausgabe bezuschusst aus Mitteln derStephanus-Stiftung für verfolgte Christen.Dieses Mitteilungsblatt wird an Mitglieder undFörderer der IGFM kostenlos verschickt. Hiergeäußerte Meinungen stimmen nicht unbedingtmit der Meinung des Herausgebers überein.

Konvertit in Not„Der nächste Ramadan beginnt am 27. Mai und endet am

24. Juni. Ich habe Angst vor diesen Wochen!“

„Ich komme aus dem Iran, habe mei-nen Glauben gewechselt undmich hier inderKirchengemeindeS. taufen lassen. Ichbin imSeptember2015nachDeutschlandin die LEA Karlsruhe gekommen. Im Okto-ber2015bin ich ineinesehr großeHallen-Unterkunft inXgekommen, ineinGebäudenur für Männer, mit etwa 300 Plätzen.Da ich Kurdisch, Türkisch und Arabischspreche, hatte ich in dieser Asylunterkunftzunächst viele Freunde gefunden, so z.B.Syrer, Afghanen und Iraker.

Alsdiese jedochmerkten–daswar imMärz 2016 -, dass ich in die Kirche gehe,haben sie langsam Abstand genommen.In derHallen-UnterkunftwarendieWändesehr dünn, und so musste ich mithören,was in den anderen „Zimmern“ übermichgesprochenwurde.…Inmeinem„Zimmer“war ich anfangs mit zwei Männern ausdem Irak gut ausgekommen, doch dannbegannen sie zu verbreiten, ichwürde nurzur Kirche gehen, um ein Bleibepapierzu bekommen. … Ich war aus dem Irangeflüchtet, weil ich viele politische Prob-leme gehabt habe, so auch Probleme mitMuslimen.

ImJuni/Juli2016wardannRamadan.In dieser Zeit fand dasGebet derMuslimein dem Teil der Halle statt, der als Kantinegedacht war. Der erste Gebetsruf begannda schon um vier Uhr nachts. Dann liefKoranmusikbissechsUhr. Ichbinzueinemtürkisch sprechenden Sicherheitsmanngegangen und habe ihm gesagt, dass

Glaube ist von den Muslimen akzeptiertworden,siehatten janichtgewechselt vomIslam zum Christentum.

Im November 2016 wurde es in derAsyl-Halle unerträglich für mich, und sowurde ich verlegt in die Asylunterkunft inder Stadt B. Dort leben etwa 150 Män-ner in dem Asylhaus. Ein paar Mal habeich darum gebeten, ein Einzelzimmer zubekommen oder ein Zimmer zusammenmit anderen Christen. Ich meine, dieHauptamtlichenhörendannnichtzu.Es istschwer fürmich, indiesemAsylhaus lebenzumüssen. IchhabeMagenproblemeundhabe wegen des Stresses sehr abgenom-men.StändigplagenmichKopfschmerzenund Albträume.“

Die IGFM hat an alle Innenminister geschrieben.Noch werden Christen in deutschen Flüchtlingsunterkünften bedrängt.

das nicht ginge. Dieser ging dann zu denMuslimen, sprach mit ihnen, kam zurückund frug mich, wieso ich Christ sei. Ichhabe ihm gesagt, dass es nicht darumginge, ob ich Christ sei, sondern um denLärm.DerSicherheitsmannzucktemitdenSchultern, er könne daran nichts ändern,bis der Ramadan zu Ende sei. Ich habedarüber auch mit dem Hausmeister undder AWO gesprochen. Deren Antwort: Dasist normal.

Um mich sicher zu fühlen, habe ichmich fast nur in meinem „Zimmer“ aufge-halten. Zur Toilette bin ich über die Feuer-treppe ins untere Stockwerk geschlichen,auf die Toilette auf meinem Stockwerkhabe ichmich nicht getraut.Während desRamadan bin ich nur selten in die Küchegegangen. Ichsolle tagsübernichtkochen,das wäre schwer für sie, wenn sie Essenriechenmüssten, sagten dieMuslime. Ichsoll nachts kochen. Vier Wochen kam ichmir vor wie im Gefängnis.

Ich schätze, dass sechs Flüchtlinge inder Halle gewesen sind, die wie ich Christgewordensind.Auchsiehabensich taufenlassen.VonanderenFlüchtlingenweiß ich,dasssie ineineweiterweggelegeneKirchegefahren waren, damit nicht auffiel, dasssie sich für Christen interessieren bzw.Christen werden wollten. Oder sie erweck-ten inderAsyl-HalledenEindruck,sieseienMuslime,nurumnichtaufzufallen.AndereFlüchtlinge, z.B. ausEritreakamenbereitsalsChristen indieseAsyl-Halle. Aberderen

Das BAMF lehnt viele christliche Konvertiten ab.Sind sich die Mitarbeiter über die Tragweite der Ablehnung im Klaren?

Die IGFM meint, dass dem nicht so ist.

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Am 18. April liegt der Mord an dreiChristen in der osttürkischen Stadt Ma-latya genau zehn Jahre zurück. Alle Opferarbeiteten im christlichen Zirve-Verlag.Die fünf Hauptangeklagten wurdenerst im vorigen September zu jeweilsdreimal lebenslanger Haft verurteilt. Diemuslimischen Extremisten hatten 2007den deutschen evangelikalen TheologenTilmann Geske sowie die einheimischenChristen Ugur Yüksel und Necati Aydingrausam zugerichtet, gefesselt, gefoltertund ihnen die Kehlen durchgeschnitten.Die Polizei nahm die damals 19- und20-jährigenMänner noch am Tatort fest.Sie gaben religiös-nationalistischeMotivefür ihre Bluttat an. Insgesamt waren 21Verdächtige imZusammenhangmit demVerbrechen angeklagt worden.

Zehnter Jahrestag der Malatya-Morde:Bedrängte Christen in der Türkei mit ungewisser Zukunft

Von Walter Flickund erfreut, dass dieMörder jetzt doch inHaft kommen. Sie verstehe jedoch nicht,warum nicht die beiden zu je knapp 15Jahren Haft verurteilten Armeeangehöri-gen auch gleich hinter Gitter kamen.

Am 7. Oktober wurde der amerika-nische Pastor Andrew Brunson in Izmir,wo er eine kleine Gemeinde betreut,verhaftet und kambis jetzt nicht frei. Ihmwirdwohl eineNähezurGülen-Bewegung,die nach Regierungsauffassung hinterdem Putsch von Juli stehen soll, vorge-worfen.

Die Witwe von Tilmann Geske –Susanne Geske – und die VereinigungProtestantischer Kirchen in der Türkei– ein Zusammenschluss von rund 100Gemeinden, der der EvangelischenAllianz entspricht – reagierten auf dasUrteil zumeinenerleichtert, zumanderenenttäuscht: Die „anstiftendenkriminellenKräfte“ – die Hintermänner – hatte dasGericht nicht ans Tageslicht bringenkönnen. Nachdem die fünf Haupttäterim Malatya-Mordprozess trotz des Straf-maßes von je drei Mal lebenslänglichnicht inHaft genommenwurden, sondernweiterhin nur mit elektronischen Fußfes-seln im sogenanntenHausarrest bleibensollten, erhob die Generalstaatsanwalt-schaft Einspruch, unter anderem wegenFluchtgefahr. Daraufhin wurden die fünfHaupttäter umgehend inhaftiert.

In ihren Reaktionen zeigten sichVertreter der evangelischen Gemeindenin der Türkei undSusanneGeske, dieWit-we eines der Mordopfer, sehr erleichtert

Die Christen der EvangelischenAllianz haben den 18. April, den Tag derMorde von Malatya, zu einem besonde-ren Gedenktag erklärt. Der Tag liegt zweiTage nach dem Referendum über dieVerfassungsreform am Ostersonntag,den 16. April, dem die IGFM mit Sorgeentgegenblickt.

Die IGFM regt an,gerade Minderheiten wiedie Christen nicht zu ver-gessen und ihrer etwa inFürbitten und Infos, dievon der IGFM auch perMail zugeschickt werdenkönnen, zu gedenken.

Am 24. April ist derweltweite Gedenktagdes Völkermordes im Os-manischen Reich 1915.Diesem sind mehr alseine Million christlicheArmenier und Angehöri-ge anderer christlicherKonfessionen zum Opfergefallen. Die IGFM fordertfreie Gedenkveranstal-tungen und Mahnmale

in der Türkei, wozu es erste Ansätze gibt.Auch zum 24. April können IGFM-Infosangefordert werden. Ein Historiker wur-de für Aufarbeitungen zum Völkermorddurch die IGFM beauftragt.

Präsident Erdogan strebtmit dem für16. April geplanten Referendum eine ArtPräsidialmonarchie mit diktatorischenElementen oder eine Art Kalifat an. DiesundeineweiterwachsendeBetonungdessunnitischen Islamunddermit religiösenElementen versehene Nationalismusschaffen das Klima, das nicht nur Oppo-sitionelle, sondern gerade Minderheitenins Fadenkreuz geraten lässt. Infolgedes Putschversuches im Juli vorigenJahres kam es zu zahlreichen Verhaf-tungen, tausenden Entlassungen vonStaatsbedienstetenundeinermarkantenUnterdrückung der Pressefreiheit. Ange-hörige einer Minderheit geraten zudemschneller unter Verdacht.

Gedenktage 18. und 24. April –IGFM-Unterstützung möglich

Christen werden bedroht

Herausragende Vertreter der christ-lichenMinderheit sind in der Vergangen-heitmehrfach zur Zielscheibe geworden:Im Februar 2006 brachte ein Jugendli-cher in Trabzonden italienischenPriesterAndrea Santoro beim Gebet in seinerKirche um, im Januar 2007 wurde derarmenische Zeitungsherausgeber HrantDink in Istanbul erschossen und am 3.Juni 2010 der katholische Bischof LuigiPadovese in Iskenderun von seinemmus-limischen Fahrer regelrecht enthauptet.Die Hintergründe dieser Mordtaten wur-dennicht gründlich beleuchtet. So gabesim Mordfall Dink, für den ein 17-jährigerzu 23 Jahren Haft verurteilt wurde, nochin diesem Jahr zwei neue Festnahmen,nachdem das Verfassungsgericht im Juli2014 offiziell ineffektive Ermittlungenfestgestellt hatte.

Man kann von einer gegen ChristengerichtetenStrategie in TeilendesMilitärsund Staatsapparates, dem sogenannten„tiefenStaat“, sprechen.Die „VereinigungProtestantischer Kirchen in der Türkei“hat seit den Christenmorden von 2007Jahresberichte überMenschenrechtsver-letzungen verfasst. In dem Bericht vomJanuar dieses Jahreswerden Angriffe aufChristen, evangelische Kirchen, Drohun-gen und Falschdarstellungen in sozialenMedien beklagt.

Weihnachten 2016 wurden Hass-broschüren in Straßen verteilt, Plakatemit einem Weihnachtsmann mit einemGewehr gezeigt. Zur Stimmungsmachekamen konkrete Terrordrohungen hin-zu: Zu ihren Weihnachtsgottesdienstenmussten die Christen große Sicherheits-vorkehrungen treffen.

In der Türkei schrumpft der christli-che Bevölkerungsanteil seit Beginn des20. Jahrhunderts, als er noch rund 20Prozent ausmachte, unaufhörlich. IhrAnteil beträgt aktuell nur mehr rund 0,2Prozent von etwa79MillionenStaatsbür-gern. Ihre Lage ist häufig schwierig. Im21.

Keine Rechtsansprüche

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Internationale Gesellschaft für Menschenrechte • IGFM - Deutsche Sektion e.V. • Borsigallee 9 • 60388 Frankfurt / Main

Jahrhundert sind kleine christliche Kon-vertiten-Gemeinden entstanden. UnterdenFlüchtlingenundArbeitsmigranten inder Türkei gibt es neue christliche Grup-pen. Alle christlichen Gemeinschaftenleiden unter einem ungeklärten Rechts-status: Es gibt keine öffentlich-rechtlicheAnerkennung und Rechtssicherheit fürEigentum,weil keineKircheals juristischePerson anerkannt ist.

WoRechtsansprüchenichtbestehen,sind die Christen auf Gnadenakte ange-wiesen: Das griechisch-orthodoxe Pries-terseminar auf der Insel Chalki (Heybeli)imMarmarameer ist seit 1971 geschlos-sen. Die Ausbildungsstätte der Armenier,dasHeilig-Kreuz-Seminar inÜsküdar, darfbereits seit 1969 nicht mehr genutztwerden. Allerdings gibt es in Istanbulein Martin Bucer Seminar evangelisch-reformierter Prägung als Alternative zueiner theologischen Fakultät. Staatsprä-sident Recep Tayyip Erdogan versprach,enteignete Immobilien zurückzugeben.Nur zögerlich hält er es ein. Ende 2013waren von1.560Anträgen auf Rückgabenur260 tatsächlich umgesetzt, in einigenFällen Entschädigungen gezahlt worden.Seitdem stockt der Prozess erneut. DerNeubau von Kirchen ist aufgrund vonGesetzesänderungen zwar mittlerweileebenso möglich wie Renovierungen –stößt aber generell auf bürokratischeSchikanen. Die Vereinigung Protestan-tischer Kirchen spricht deswegen voneinem „Recht, das nur auf dem Papierexistiert“.

Ausländische Kirchenleiter wurdenausgewiesen, Aufenthaltsgenehmigun-gen nicht erteilt. Religionszugehörigkeitwird weiterhin in Ausweisdokumentenvermerkt, was zu Diskriminierungenführt.

Syrisch-orthodoxe Christenbenachteiligt und bedroht

In Verbindung mit dem erneutenVorgehen des türkischen Militärs gegenKurden im Südosten der Türkei ist auchdie dortige christliche Minderheit starkbedroht. So wurden Umgebungsmauernder ins 4. Jahrhundert zurückgehendensyrisch-orthodoxen St. Marienkirche inDiyarbakir unter ihrem Priester YusufAkbulut bei Angriffen im Januar vorigenJahres mit Panzerfäusten zerstört. Dieseund weitere Kirchen der Stadt, darunterdie große armenische St. Giragos-Kirche,wurdenzweiMonate später enteignetunddem Staat unterstellt. Die junge christli-cheBürgermeisterin inderGroßstadtMar-din wurde im vorigen Herbst entlassen,was allerdings nicht mit ihrer christlichenReligion zusammenhängen soll.

Auch in der südost-türkischen Region, die TurAbdin – Berg der Gottes-knechte – genannt wird,ist der christliche Anteilstark zurückgegangen. Diemeisten Aramäer (auchAssyro-Aramäer) habenihre historische Heimatam Tigris im Verlaufe des20. Jahrhunderts verlas-sen: Etwa 100.000 lebenin Deutschland, 80.000in Schweden und 20.00in der Schweiz. Geblie-ben sind nur noch rund3.000. Das Kloster MorGabriel (Heiliger Gabriel)gilt als das wichtigste dernoch sechs bewohntensyrisch-orthodoxen Klös-ter. Es wurde im Jahr 397gegründet und ist eines derältesten der Christenheit.Im Jahr 2011 übertrug einGerichtshof in Ankara demStaat große Teile des klös-terlichen Grundbesitzes.Präsident Erdogan hatte ineinem Reformpaket zwarangekündigt, dass es einevollständige Rücknahmeder gerichtlich verfügten Landenteignun-gendesHauptklosters gebensoll. Dies istaber bislang nur zum Teil geschehen.

Bischof Timotheos ist imKlosterMorGabriel geblieben. Es gibt einige wenigeRückkehrer aus Europa. Der syrisch-orthodoxeHirtewünscht sich, dass seineHerde bleibt. In anderen Ländern, so sag-te der Bischof unlängst gegenüber deut-schenMedien,werde sienicht überleben:„Zuerst wird sich die Sprache verlieren,dann unser Glaube, unsere Geschichtewird vergessen und unsere Familienban-

dewerden aufgelöst. Dann ist es vorbei.“Zwarwirdder Aramäisch-Unterricht indenKlöstern geduldet, aber 1997 erließ derGouverneur von Mardin wegen angeb-licher Gesetzeswidrigkeit ein offiziellesmuttersprachliches Lehrverbot.

EU-Beitrittsverhandlungenabbrechen

Die Internationale Gesellschaft fürMenschenrechte tritt angesichts derallgemeinen Menschenrechtslage dafürein, die EU-Beitrittsverhandlungen mitder Türkei abzubrechen. Sie fordert dietürkischeRegierung auf, ihren vielfachenAnkündigungen echte Taten folgen zulassen und Minderheitenrechte zu ge-währleisten.

Durch öffentlichen Druck lässt sichzumindest punktuell etwas erreichen:Im Februar vorigen Jahres konnte nachMedienberichten, Protesten, daruntereiner Online-Petition, die Schließungder einzigen verbliebenen Kirche für dieinsgesamt rund 100 letzten Christen inBursa (Westtürkei) verhindert werden.Das Amt für Stiftungswesen hatte denPastor der evangelischen Gemeinde,Ismail Kulakcioglu aufgefordert, dasHaus sofort zu räumen und die Schlüs-sel abzugeben. Der Pfarrer schaltete dieÖffentlichkeit ein.

Das Kloster Mar Gabriel im Tur Abdin; Copyright: Walter Flick.

Vom 31. 1. bis 2. 2. 2017wurden die Bücher der IGFMfür das Wirtschaftsjahr 2016von der Wirtschaftsprüfungs-gesellschaft W+St in Frankfurtdurch zwei Prüfer geprüft.

Abschließende Beurteilungvom 8. Februar 2017:

„Nach unserer Beurteilungaufgrund der bei der Prüfunggewonnenen Erkenntnisseentspricht die Rechnungsle-gung den gesetzlichen Vor-schriften und ihrer Auslegungdurch die IDW RS HFA 14(Stellungnahme zur Rech-nungslegung von Vereinen)“