Verfolgung von ußerungsdelikten im ffentlichen Raum – zu …...begrndet, rational oder emotional,...

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StV 7 . 2018 I Verfolgung von Ȗußerungsdelikten im Ȱffentlichen Raum – zu oft contra Grundgesetz Seit dem Lȱth-Urteil hatte das BVerfG immer wieder Anlass, die Grenzen aufzuzeigen, die Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG der Unterbindung und Bestrafung von Ȗußerungen setzt. Dabei hat es ein so konsistentes Konzept des Schutzes der Meinungsfreiheit entwickelt, dass es doch verwundert, dass auch Oberlandesgerichte immer wieder neu darauf hingewiesen werden mȱssen. Der Schutzbereich von Art. 5 Abs. 1 GG ist danach erȰffnet bei Ȗußerung von Meinungen und Werturteilen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Ȗußerung begrȱndet oder un- begrȱndet, rational oder emotional, wertvoll oder nutzlos, harmlos oder gefȩhrlich ist. Auch polemische oder verletzende Formulierungen sowie ȱberspitzte Kritik unterfallen dem Schutzbereich des Grundrechts. Nicht geschȱtzt sind lediglich Formalbeleidigungen oder Schmȩhkritik, bei der erkennbar nicht die Auseinandersetzung um ein sachliches An- liegen, sondern die Diffamierung und Krȩnkung des oder der Angesprochenen im Vorder- grund steht. Weil sie die Meinungsfreiheit schon grundsȩtzlich verdrȩngt, ist der Anwen- dungsbereich der Schmȩhkritik eng begrenzt. So wird sie bei Ȗußerungen in der Șffent- lichkeit, in einer die Șffentlichkeit berȱhrenden Frage oder im Rahmen des »Kampfs ums Recht« nur ausnahmsweise vorliegen. Nicht geschȱtzt sind bewusst oder erwiesen unwahre Tatsachenbehauptungen, denn »fake news« sind kein Gut. Gemischte Ȗußerungen, d.h. Verknȱpfungen von Tatsachen und Werturteilen, sind zum Zwecke wirksamen Schutzes der Meinungsfreiheit im Zweifel ebenfalls geschȱtzt. Fȩllt eine Ȗußerung in diesem Sinne unter den weiten Schutzbereich des Grundrechts, ist sie damit noch nicht per se erlaubt, denn die Meinungsfreiheit ist u.a. durch die allgemeinen Gesetze, etwa die §§ 185 ff., 130 StGB eingeschrȩnkt. Bei der Prȱfung der Strafbarkeit ist eine Abwȩgung zwischen der Meinungsfreiheit und den Belangen des Betroffenen vorzunehmen, insbesondere dessen allgemeinem PersȰnlich- keitsrecht. Diese Abwȩgung ist zwar grundsȩtzlich ergebnisoffen, muss aber die wert- setzende Grundentscheidung zugunsten der Meinungsfreiheit berȱcksichtigen, welche die Auslegung der allgemeinen Gesetze im Lichte des Grundrechts einschrȩnkend zu be- einflussen hat. So ist der Sinngehalt der Ȗußerung sorgfȩltig zu ermitteln; alle Umstȩnde des Falles sind in die Abwȩgung einzubeziehen. Eine Interpretation von §§ 185 ff. StGB, welche die Erfordernisse des Ehren- oder Institutionenschutzes ȱberschreitet oder von der eine abschreckende Wirkung auf den Gebrauch des Grundrechts ausgeht, ist mit dem Grundgesetz nicht vereinbar.Vor diesem Hintergrund versteht sich auch der in der Recht- sprechung zur sogenannten »Kollektivbeleidigung« entwickelte Grundsatz, dass herabset- zende Ȗußerungen in Bezug auf unȱberschaubar große Gruppen nicht auf die einzelnen Gruppenmitglieder durchschlagen, wenn nicht besondere Umstȩnde vorliegen. Aufgrund der Fassung von Art. 10 Abs. 2 EMRK ist die Rechtsprechung des EGMR etwas restriktiver. Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit ist schlechthin konstitutiv fȱr den Ȱffentlichen Mei- nungsstreit und fȱr die Wȱrde des Menschen wie die des Citoyen, mithin die liberale Demokratie. Es zu schȱtzen ist ein grundlegendes Anliegen der res publica im freiheitlichen Rechtsstaat und Aufgabe aller staatlichen Gewalt. Die bekannten Maßstȩbe des BVerfG sollten bei den Instanzgerichten breiter rezipiert werden. Rechtsanwalt und Notar Axel Nagler, Essen Editorial

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  • WKD/StV, 07/2018 #9303 11.06.2018, 09:05 Uhr – hzo/st –S:/3D/wkd/Zeitschriften/StV/2018_07/wkd_stv_2018_07_Roemer.3d [S. 1/8] 3

    StV 7 . 2018 I

    Verfolgung von �ußerungsdeliktenim �ffentlichen Raum – zu oft contraGrundgesetz

    Seit dem L�th-Urteil hatte das BVerfG immer wieder Anlass, die Grenzen aufzuzeigen, dieArt. 5 Abs. 1 S. 1 GG der Unterbindung und Bestrafung von �ußerungen setzt. Dabei hates ein so konsistentes Konzept des Schutzes der Meinungsfreiheit entwickelt, dass es dochverwundert, dass auch Oberlandesgerichte immer wieder neu darauf hingewiesen werdenm�ssen.

    Der Schutzbereich von Art. 5 Abs. 1 GG ist danach er�ffnet bei �ußerung von Meinungenund Werturteilen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die �ußerung begr�ndet oder un-begr�ndet, rational oder emotional, wertvoll oder nutzlos, harmlos oder gef�hrlich ist.Auch polemische oder verletzende Formulierungen sowie �berspitzte Kritik unterfallendem Schutzbereich des Grundrechts. Nicht gesch�tzt sind lediglich Formalbeleidigungenoder Schm�hkritik, bei der erkennbar nicht die Auseinandersetzung um ein sachliches An-liegen, sondern die Diffamierung und Kr�nkung des oder der Angesprochenen im Vorder-grund steht. Weil sie die Meinungsfreiheit schon grunds�tzlich verdr�ngt, ist der Anwen-dungsbereich der Schm�hkritik eng begrenzt. So wird sie bei �ußerungen in der �ffent-lichkeit, in einer die �ffentlichkeit ber�hrenden Frage oder im Rahmen des »Kampfs umsRecht« nur ausnahmsweise vorliegen.

    Nicht gesch�tzt sind bewusst oder erwiesen unwahre Tatsachenbehauptungen, denn»fake news« sind kein Gut. Gemischte �ußerungen, d.h. Verkn�pfungen von Tatsachenund Werturteilen, sind zum Zwecke wirksamen Schutzes der Meinungsfreiheit im Zweifelebenfalls gesch�tzt. F�llt eine �ußerung in diesem Sinne unter den weiten Schutzbereichdes Grundrechts, ist sie damit noch nicht per se erlaubt, denn die Meinungsfreiheit ist u.a.durch die allgemeinen Gesetze, etwa die §§ 185 ff., 130 StGB eingeschr�nkt.

    Bei der Pr�fung der Strafbarkeit ist eine Abw�gung zwischen der Meinungsfreiheit und denBelangen des Betroffenen vorzunehmen, insbesondere dessen allgemeinem Pers�nlich-keitsrecht. Diese Abw�gung ist zwar grunds�tzlich ergebnisoffen, muss aber die wert-setzende Grundentscheidung zugunsten der Meinungsfreiheit ber�cksichtigen, welchedie Auslegung der allgemeinen Gesetze im Lichte des Grundrechts einschr�nkend zu be-einflussen hat. So ist der Sinngehalt der �ußerung sorgf�ltig zu ermitteln; alle Umst�ndedes Falles sind in die Abw�gung einzubeziehen. Eine Interpretation von §§ 185 ff. StGB,welche die Erfordernisse des Ehren- oder Institutionenschutzes �berschreitet oder von dereine abschreckende Wirkung auf den Gebrauch des Grundrechts ausgeht, ist mit demGrundgesetz nicht vereinbar. Vor diesem Hintergrund versteht sich auch der in der Recht-sprechung zur sogenannten »Kollektivbeleidigung« entwickelte Grundsatz, dass herabset-zende �ußerungen in Bezug auf un�berschaubar große Gruppen nicht auf die einzelnenGruppenmitglieder durchschlagen, wenn nicht besondere Umst�nde vorliegen. Aufgrundder Fassung von Art. 10 Abs. 2 EMRK ist die Rechtsprechung des EGMR etwas restriktiver.

    Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit ist schlechthin konstitutiv f�r den �ffentlichen Mei-nungsstreit und f�r die W�rde des Menschen wie die des Citoyen, mithin die liberaleDemokratie. Es zu sch�tzen ist ein grundlegendes Anliegen der res publica im freiheitlichenRechtsstaat und Aufgabe aller staatlichen Gewalt. Die bekannten Maßst�be des BVerfGsollten bei den Instanzgerichten breiter rezipiert werden.

    Rechtsanwalt und Notar Axel Nagler, Essen

    Editorial