Vergangenheit & Bewältigung · April 1980 für das ORF-Radio nach Prag kam, um über die...

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net. Beim folgenden Verhör sei Kriegel „de- pressiv“ geworden, als er mit der Tatsache konfrontiert wurde, dass das Interview mitgehört worden war, heißt es im Akt. Als Barbara Coudenhove-Kalergi im April 1980 für das ORF-Radio nach Prag kam, um über die Breschnew-Rede am Parteitag der KPTsch zu berichten, setzte man sogleich sieben Agenten auf sie an, die sich ab sieben Uhr Früh vor ihrem Ho- tel postierten. Das Überwachungsprotokoll dieses Tages dokumentiert die Sinnlosig- keit eines kommunistischen Agentenle- bens trefflich. Um 9.20 Uhr zeigte sich die Zielperson „Cale“ (so nannte man Couden- hove-Kalergi) laut Protokoll im Früh- stücksraum des Hotel Flora und trank dort mit dem norwegischen Kollegen Dag Hal- vorsen Kaffee. Halvorsen sei offenbar ver- katert, rapportierten die Geheimdienstler aufgeregt. 9.40 Uhr: Sie versucht, nach Wien zu telefonieren, bekommt aber kei- ne Verbindung. 10.30 Uhr: Fahrt ins Pres- sezentrum, wo sie Breschnews Referat vor dem Parteitag verfolgt. Am frühen Nach- mittag fotografiert man sie mit einer Ge- heimkamera mit dem österreichischen Kulturattaché auf der Straße und mit ei- nem Journalisten in einem Kaffeehaus. Als Coudenhove-Kalergi um 16.40 Uhr das Hotel verlässt und in ein Taxi steigt, folgen diesem drei Autos mit sieben Agen- ten. Das Taxi fährt durch die Straßen Orlická, Velehradská und Premyslová – und ist plötzlich weg. Verzweifelt geben einander die Agenten die Schuld an die- sem Versagen (später werden die Insassen der Fahrzeuge Nummer zwei und drei als Schuldige verwarnt werden). Barbara Coudenhove-Kalergi erinnert sich dunkel an diesen Tag vor mehr als 30 Jahren: „Ich bin damals auf die Prager Kleinseite gefahren und spazieren gegan- gen. Dort haben wir früher gewohnt.“ Wusste sie, dass sie ständig überwacht wurde? „Ich bin schon davon ausgegan- gen, hab mich aber nicht darum geküm- mert. Es war mir einfach zu deppert.“ Vergangenheit & Bewältigung Eineinhalb Jahre lang wurden Doku- mente und Geheimakten zusammenge- tragen, übersetzt und analysiert. Am Don- nerstag und Freitag dieser Woche treffen sich tschechische und österreichische Historiker im grenznahen Raabs/Thaya, um die gemeinsam erarbeiteten Materi- alien zu präsentieren. Das Thema ist brisant: „Die Operationen der tschecho- slowakischen Geheimdienste in Öster- reich 1945–1989.“ Träger des Projekts sind auf österrei- chischer Seite das Boltzmann-Institut für Kriegsfolgenforschung, auf tschechischer das Institut zur Erforschung totalitärer Regime und das Archiv der Sicherheits- dienste. Die Veranstaltung ist frei zugänglich.

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Page 1: Vergangenheit & Bewältigung · April 1980 für das ORF-Radio nach Prag kam, um über die Breschnew-Rede am Parteitag der KPTsch zu berichten, setzte man sogleich sieben Agenten auf

net. Beim folgenden Verhör sei Kriegel „de-pressiv“ geworden, als er mit der Tatsache konfrontiert wurde, dass das Interview mitgehört worden war, heißt es im Akt.

Als Barbara Coudenhove-Kalergi im April 1980 für das ORF-Radio nach Prag kam, um über die Breschnew-Rede am Parteitag der KPTsch zu berichten, setzte man sogleich sieben Agenten auf sie an, die sich ab sieben Uhr Früh vor ihrem Ho-tel postierten. Das Überwachungsprotokoll dieses Tages dokumentiert die Sinnlosig-keit eines kommunistischen Agentenle-bens treSich. Um 9.20 Uhr zeigte sich die Zielperson „Cale“ (so nannte man Couden-hove-Kalergi) laut Protokoll im Früh-stücksraum des Hotel Flora und trank dort mit dem norwegischen Kollegen Dag Hal-vorsen KaXee. Halvorsen sei oXenbar ver-katert, rapportierten die Geheimdienstler aufgeregt. 9.40 Uhr: Sie versucht, nach Wien zu telefonieren, bekommt aber kei-ne Verbindung. 10.30 Uhr: Fahrt ins Pres-sezentrum, wo sie Breschnews Referat vor

dem Parteitag verfolgt. Am frühen Nach-mittag fotografiert man sie mit einer Ge-heimkamera mit dem österreichischen Kulturattaché auf der Straße und mit ei-nem Journalisten in einem KaXeehaus.

Als Coudenhove-Kalergi um 16.40 Uhr das Hotel verlässt und in ein Taxi steigt, folgen diesem drei Autos mit sieben Agen-ten. Das Taxi fährt durch die Straßen Orlická, Velehradská und Premyslová – und ist plötzlich weg. Verzweifelt geben einander die Agenten die Schuld an die-sem Versagen (später werden die Insassen der Fahrzeuge Nummer zwei und drei als Schuldige verwarnt werden).

Barbara Coudenhove-Kalergi erinnert sich dunkel an diesen Tag vor mehr als 30 Jahren: „Ich bin damals auf die Prager Kleinseite gefahren und spazieren gegan-gen. Dort haben wir früher gewohnt.“ Wusste sie, dass sie ständig überwacht wurde? „Ich bin schon davon ausgegan-gen, hab mich aber nicht darum geküm-mert. Es war mir einfach zu deppert.“

Vergangenheit & BewältigungEineinhalb Jahre lang wurden Doku-mente und Geheimakten zusammenge-tragen, übersetzt und analysiert. Am Don-nerstag und Freitag dieser Woche tre�en sich tschechische und österreichische Historiker im grenznahen Raabs/Thaya, um die gemeinsam erarbeiteten Materi-alien zu präsentieren. Das Thema ist brisant: „Die Operationen der tschecho-slowakischen Geheimdienste in Öster-reich 1945–1989.“Träger des Projekts sind auf österrei-chischer Seite das Boltzmann-Institut für Kriegsfolgenforschung, auf tschechischer das Institut zur Erforschung totalitärer Regime und das Archiv der Sicherheits-dienste. Die Veranstaltung ist frei zugänglich.