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Veränderte Lehr- und Lernformen an Schule und Universität

Beobachtungen aus dem Projekt ZIM@School

Sandra Ostermann, Hendrik Bunke, Heidi Schelhowe

Erschienen in: merz. Zeitschrift für Medienpädagogik. Nr.2 April 2005, S.28-33.

Kontaktperson:

Prof. Dr. Heidi Schelhowe

Digitale Medien in der Bildung (DiMeB)

Universität Bremen

FB 3 Mathematik / Informatik

Bibliothekstraße 1

28 359 Bremen

Te.: +49-(0)421-218-2920 (Sekr.)

Fax: +49-(0)421-218-4269

Email: [email protected]

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Abstract

In dem vorliegenden Beitrag werden Ergebnisse aus dem ersten Jahr des Lehr- und For-

schungsprojekts ZIM@School vorgestellt, das von der Cornelsen-Stiftung „Lehren und Ler-

nen“ gefördert und in der Arbeitsgruppe „Digitale Medien in der Bildung“ (DiMeB) an der Uni-

versität Bremen in Kooperation mit Bremer Schulen durchgeführt wird. Neben Ausgangssitu-

ation und Beschreibung des Projekts werden die zentralen Aspekte der wissenschaftlichen

Begleitforschung auf der Grundlage von teilnehmenden Beobachtungen und qualitativ erho-

benen Daten genannt.

Einleitung

In der Diskussion um schulische Bildung wird immer häufiger in Frage gestellt, ob sich die

hohen Ausgaben für Hardware und Software an Schulen „gelohnt“ haben im Sinne einer Re-

form von Schule und einer besseren Qualität von Bildung. In verschiedenen Zusammen-

hängen wird der Frage nachgegangen, ob und wie durch den Einsatz von Digitalen Medien

im Unterricht andere und innovative Lehr- und Lernformen entstehen (vgl. beispielsweise

Seber 2002, S. 33 ff. / Schulz-Zander 2003 S. 4 ff. / Wagner 2004, S. 6 ff.). So gibt es einer-

seits Hinweise, dass eine solche Veränderung zu beobachten sei, solche Ergebnisse liefert

z.B. eine in den Jahren 2000-2002 durchgeführte internationale Studie »Second Information

Technology in Education Study (SITES-M2)«. Demnach bewirken »neue Medien eine Ver-

änderung und Erweiterung der Lehr-Lernprozessse […] und fördern das Lernen in problemo-

rientierten, offenen und projektorientierten Lernkontexten« (Büchter, Dalmer, Schulz-Zander

2002, S. 169). Den Digitalen Medien wird eine tragende Rolle bei der Schaffung neuer und

vernetzter Lernkulturen zugeschrieben (vgl. Vollstädt 2002, S. 13 ff.). Andererseits aber zei-

gen Untersuchungen auch, dass es keinen solchen Effekt gibt: „ICT can be seen as yet a-

nother example of an innovation which has failed to penetrate the forces of sociocultural re-

production built into the institutional structures of schools“, schreibt Bridget Somekh in einer

soziologischen Analyse der Wirkungen Digitaler Medien auf das (amerikanische) Schulsys-

tem (Skomekh 2004, S.168).

So teilen wir die sich ausbreitende Überzeugung, dass Digitale Medien nicht „per se“ Moto-

ren der Veränderung sind, sondern dass es bewusster Anstrengung und Veränderung von

Lernkulturen braucht, um im Kontext ihrer Einführung und Nutzung Veränderungen zu bewir-

ken. Die Nutzung Digitaler Medien allein garantiert noch keinen guten Unterricht, da ihnen

»das Potenzial zu Innovationen im Bildungsbereich nicht ›innewohnt‹ und Innovationen nicht

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durch Medien ›bewirkt‹ werden können. Sie sind vielmehr Resultat bestimmter didaktischer

Konzepte und ihrer Umsetzung in der Bildungspraxis« (Kerres 2000, S. 19).

Dass Veränderungen der Bildungslandschaft notwendig sind, zeigt nicht zuletzt die PISA-

Studie, die Defizite hiesiger Lernkulturen im Vergleich zu »erfolgreichen« Ländern wie Finn-

land deutlich gemacht hat: Unterricht ist hierzulande überwiegend lehrer- und nicht lerner-

zentriert, integriert nur ungenügend »lernschwache« SchülerInnen, bietet wenig Raum für

individuelle Lernwege und Differenzierung und fördert nicht kooperative und soziale Lernpro-

zesse. Als Paradigma zur Entwicklung von Lehre und Lernen mit Digitalen Medien haben

sich inzwischen konstruktivistische Ansätze durchgesetzt. Man ist sich weitgehend einig,

dass Lernprozesse selbstgesteuert, offen, konstruktiv, situiert, kooperativ und sozial einge-

bettet gestaltet werden müssen, um effektiv zu sein. Nur die Formulierung eigener Fragen,

aktive Konstruktion und selbstbestimmtes Lernen werden die Erweiterung und Veränderung

von Lernkulturen in der angestrebten Weise einleiten können.

Auch in der LehrerInnenausbildung, die für die Schaffung neuer Lernkulturen eine zentrale

Rolle als »Schnittstelle« zwischen Schule und Universität spielen muss, besteht ein deutli-

cher Widerspruch zwischen theoretischer Vermittlung innovativer Lehr-/Lernkonzepte und

praktischer Tätigkeit (vgl. Bolland 2002, S. 10), insbesondere für den Einsatz Digitaler Me-

dien im Unterricht. Weder sind Lehramtsstudierende im Sinne des konstruktivistischen Para-

digmas beteiligt an der Entwicklung neuer Lernszenarien und -kulturen, noch existieren Kon-

zepte der integrierten Praxisveränderung durch Digitale Medien in Schule und Hochschule.

Dem im Wege steht auch eine derzeit vorwiegend praktizierte Vermittlung von Digitalen Me-

dien, die primär auf die reine Nutzung, nicht aber auf Verständnis und Gestaltung von Tech-

nologie zielt.

Diese Defizite didaktischer Konzepte und Widersprüche von Theorie und Praxis sind Aus-

gangspunkt für Forschung und Lehre der Arbeitsgruppe „Digitale Medien in der Bildung“

(DiMeB) am Fachbereich Informatik/Mathematik an der Universität Bremen und insbesonde-

re auch für unser Projekt ZIM@School. Basis dafür ist die Schaffung einer lebendigen, alle

Akteure (SchülerInnen, LehrerInnen und Studierende) integrierenden Schnittstelle zwischen

Universität und Schule. Die Originalität des Ansatzes besteht in dem an der Praxis orientier-

ten Versuch, Lernkulturen in Schule und Universität integriert, kooperativ und interdisziplinär

zu erweitern und die dafür notwendigen Voraussetzungen zu erarbeiten.

Das Projekt ZIM@School im Überblick

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Das Projekt ZIM@School will helfen, neue und offene Lehr- und Lernformen mit Digitalen

Medien zu erproben und zu etablieren und soll dafür eine Schnittstelle zwischen Universität

und Schule schaffen. Dabei sind wir davon ausgegangen, dass die Schaffung neuer Lernkul-

turen durch die Nutzung Digitaler Medien ein Bewusstsein der Gestaltbarkeit von Technolo-

gie sowie deren kooperative und interdisziplinäre Gestaltung – inklusive Lernszenarien und

Lernorte – durch alle gegenwärtigen und zukünftigen Akteure (oder „Gestalter“) in Lernpro-

zessen (LehrerInnen, Studierende, SchülerInnen) voraussetzt.

Eine Kooperation zwischen Universität und Schule läuft seit dem ersten Projektjahr modell-

haft mit dem von mehreren LehrerInnen initiierten Projekt »Kreative Lernwerkstatt mit Digita-

len Medien« im Schulverbund Bremen-Lesum und dem „Zentrum für Interaktion mit Digitalen

Medien“ (ZIM).

Das ZIM ist ein Lehr- und Forschungsprojekt der AG DiMeB (Leitung: Prof. Dr. Heidi Schel-

howe). Lehramtsstudierenden, Studierenden der Medieninformatik und der Informatik wird

hier ein gemeinsamer und für eigene Projekte offener und interdisziplinärer Arbeitsraum ge-

boten. »Interaktion« wird als Prinzip der sozialen Organisation und des Umgangs mit dem

Medium verstanden. Mit ZIM@School finden die Studierenden eine lebendige Verknüpfung

mit dem Praxisfeld Schule und haben Gelegenheit, dieses mitzugestalten.

Am Schulverbund Lesum soll in der »kreativen Lernwerkstatt mit Digitalen Medien«, die zu-

nächst modellhaft in zwei 5. Klassen realisiert wurde, den Schülerinnen und Schülern ermög-

licht werden, im Rahmen aller Fächer eigene Kompositionen aus Text, Bild, Ton, Animation

und Video herzustellen, zu präsentieren, zu diskutieren und in partnerschaftlichen Prozessen

zu bearbeiten. Die einzelnen Projektarbeiten sollen zu abgeschlossenen Produkten führen.

Der Einsatz Digitaler Medien ist für dieses Schulprojekt auch ein Mittel zur Erprobung von

Konzepten »Offenen Unterrichts« und zur Entwicklung neuer Lernkulturen. Ziel ist nicht die

Integration von PC und Internet in die bisherigen Unterrichtsformen. Die beteiligten Lehrkräf-

te wollen aus Unzufriedenheit über ihren bisherigen Unterrichtsalltag einerseits und über die

mangelhafte Konzeptionierung des Einsatzes von Digitalen Medien andererseits beide Re-

formschritte zusammen denken und umsetzen.

Zur Realisierung des Projekts am Schulverbund Lesum, wurde zu Beginn des Schuljahres

dafür gesorgt, für die beiden fünften Klassen Räume zu finden, zwischen denen ein kleiner

Zwischenraum ist, der als Lernwerkstatt genutzt werden kann. Ausgestattet ist dieser mit

funkvernetzten Laptops, Drucker, Laminiergerät, Scanner und unterschiedlicher Lernsoft-

ware und für die SchülerInnen während des Unterrichts frei nutzbar. Die Stundenpläne der

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beteiligten Klassen wurden so aufeinander abgestimmt, dass die Klassenlehrer so oft wie

möglich parallel unterrichten und ein Tag in der Woche als Projekttag genutzt werden kann.

Insgesamt ist ein Team von fünf LehrerInnen daran beteiligt, gemeinsam ihren Unterricht

neu, offen und interdisziplinär zusammen mit ihren SchülerInnen und Studierenden zu ges-

talten. Durch regelmäßige Absprachen im LehrerInnen-Team wird nach Überschneidungen

von Unterrichtsinhalten geschaut, um gemeinsam fächerübergreifend Projekte durchzufüh-

ren. Beide Klassen sind also nicht nur räumlich durch die Lernwerkstatt mit einander verbun-

den, sondern auch durch die Auflösung eines strikten Fachunterrichts im 45-Minuten-Takt an

offene Unterrichtsformen gewöhnt.

Innerhalb der einzelnen Unterrichtsfächer sind am Schulverbund Lesum mit der Einführung

offener Unterrichtsformen mit Digitalen Medien unterschiedliche Produkte entstanden. Be-

sonders erwähnenswert ist ein langfristiges, fächerübergreifendes Projekt zum Thema Mär-

chen. Im Rahmen der Fächer Deutsch, Kunst, Musik und Werken wurden Bildergeschichten

zu einzelnen Märchenszenen, Märchen-Raps, Rätsel zum Thema Märchen sowie nacher-

zählte Märchen zum Lesen oder Hören erstellt. Gemeinsames Ziel war die Herstellung einer

audiovisuellen CD, die an Grundschulen zur Erarbeitung des Themas verwendet werden

kann. An einem gemeinsamen Projekttag wurden die unterschiedlichen Produkte an ver-

schiedenen Arbeitsstationen fertig gestellt und zu einem multimedialen Hörbuch zusammen-

geführt. Über 50 Exemplare wurden bereits an Grundschulen verteilt oder zu einem Selbst-

kostenpreis von 2 Euro pro CD verkauft.

Studentische Projekte werden entweder in solche Unterrichtsszenarien integriert und ge-

meinsam mit den LehrerInnen geplant (wie bspw. die Erprobung der von Lehramts- und In-

formatik-Studierenden erarbeiteten Software »KIMI und die Freiarbeit« zur Unterstützung

offener Lernumgebungen durch den Einsatz einer Computersoftware in alltägliche Unter-

richtssituationen) oder aber in eigenständigen Projekten, Unterrichtsstunden, Arbeitsgruppen

etc. umgesetzt. Ein Beispiel hierfür ist das in einer Projektwoche durchgeführte Vorhaben

»Kinder und Roboter schreiben Geschichte(n)«. Hierfür wählten die SchülerInnen - anknüp-

fend an das zuvor abgeschlossene Projekt „Märchen CD“ - das Märchen Rapunzel aus, das

sie in einer von ihnen gestalteten Umwelt mit Hilfe von Lego-Robotern erzählten.

Die Ergebnisse

Grundlage für die vorgestellten qualitativen Ergebnisse des ersten Projektjahres sind Grup-

pendiskussionen mit SchülerInnen zu unterschiedlichen Unterrichtsprojekten, die Diskussion

mit einem LehrerInnen-Team zu einem kooperativen fächerübergreifenden Projekt sowie die

Gruppendiskussion mit einem Team von Studierenden und einer Lehrerin zum beschriebe-

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nen Roboterprojekt. Zudem wurden leitfadengestützte Interviews mit einzelnen Lehrkräften

und dem Schulleiter des Schulverbund Lesum geführt. Ergänzt werden die Ergebnisse durch

teilnehmende Beobachtungen von Unterrichtsprojekten.

Im Laufe des ersten Projektjahres von ZIM@School konnte ein Kompetenzzuwachs bei den

beteiligten SchülerInnen hinsichtlich ihres Sozialverhaltens, ihrer Selbstständigkeit sowie

ihrer Team- und Kommunikationsfähigkeit beobachtet werden. Die Kinder haben gelernt, bei

gemeinsamer Projektarbeit miteinander zu kooperieren, sich abzusprechen und sich bei

Problemen gegenseitig zu unterstützen. Auch leistungsschwächere SchülerInnen profitieren

von dem Einsatz neuer Technologien im Unterricht. Zum einen können sie beispielsweise

durch das selbstständige Lernen mit einer Bildungssoftware, ihrem individuellen Lerntempo

entsprechend und differenziert nach ihren jeweiligen Fähigkeiten, lernen. Zum anderen bie-

ten ihnen die Digitale Medien ein Aktionspotenzial und Gestaltungsmöglichkeiten, die einen

großen Motivationsschub beim Interesse für schulische Inhalte bewirkt. Wichtig ist dabei,

dass die Kinder eine Sinnhaftigkeit bei der Bearbeitung einer Aufgabe sehen. Die Themen

und Inhalte, gerade bei projekt- und produktorientiertem Lernen, sollten von den Kindern

selber kommen und Bezüge zu ihrer Lebenswelt bieten. Die Medien sollten dabei nicht bloß

als zusätzliches Werkzeug in Lernprozessen betrachtet, sondern stärker als sozialisationsre-

levanter Teil der Lebenswelt der SchülerInnen anerkannt werden. Dass das Internet und der

Computer zunehmend von Kindern genutzt werden und in den Haushalten vorhanden sind,

zeigen Ergebnisse wie die der KIM-Studie 2003 des Medienpädagogischen Forschungsver-

bands Südwest. So ist die Zahl der 6-13 jährigen InternetnutzerInnen vom Jahr 1999 mit 13

% auf 60 % im Jahr 2003 angestiegen (vgl. KIM 2003, S. 39 ff.). Im Gegensatz zu der eher

älteren LehrerInnengeneration wachsen die Kinder heute mit Digitalen Medien auf und erler-

nen früh Fähigkeiten wie das Verstehen von komplexen, vernetzten Strukturen, wie sie bei

Computerspielen, Edutainmentprogrammen oder im Internet erforderlich sind (vgl. Aufenan-

ger 2004, S. 8). Dieses Potenzial kann und sollte von LehrerInnen genutzt werden, um die

SchülerInnen in ihren Fähigkeiten zu bestärken, von diesen zu lernen und sich selbst zu ent-

lasten. Die mit den Digitalen Medien einhergehenden gesellschaftlichen Veränderungen

müssen mitreflektiert (vgl. Berndt / Schelhowe 2004, S. 60) und im Kontext Schule aufgegrif-

fen werden.

Am Schulverbund Lesum bestehen mit einem Schulleiter, dem es wichtig ist, Entwicklungen

der Gesellschaft in die schulische Arbeit zu integrieren, gute Voraussetzungendafür. Von

Anfang an zeigte er sich gegenüber dem Projekt ZIM@School offen und unterstützt die I-

deen und das Engagement der beteiligten LeherInnen. Diese haben die mit dem Einsatz

Digitaler Medien möglichen Veränderungen für den eigenen sowie gemeinsamen Unterricht

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erkannt und wünschen sich zukünftig ein verstärktes Arbeiten im Team. Feste Strukturen

und regelmäßige Absprachen sind erforderlich, um besser fächerübergreifend arbeiten zu

können und die eigene Arbeit für die KollegInnen transparent zu machen. Innerhalb des ei-

genen Fächerkanons haben die LehrerInnen bei thematischen Überschneidungen, die der

Lehrplan nicht berücksichtigt, den eigenen Unterricht bereits mehrfach geöffnet und fächerü-

bergreifend gearbeitet. ZIM@School hat die Teambildung unter den LehrerInnen gefördert,

was auch der Schulleiter bestätigte.

Auch wenn bei den LehrerInnen Ängste hinsichtlich des Einsatzes Digitaler Medien bestan-

den, haben sie sich auf neue und offene Unterrichtsformen eingelassen. Einige SchülerInnen

haben Probleme mit offenen Unterrichtsmethoden und sind auf eine intensive Unterstützung

der Lehrperson angewiesen (vgl. hierzu auch die Ergebnisse der SITES-M2-Studie).

Das Rollenverständnis der LehrerInnen hat sich positiv in Richtung eines Lernberaters/einer

Lernberaterin für einzelne SchülerInnen geändert. Es bleibt mehr Zeit, sich um einzelne

SchülerInnen zu kümmern und gezielt bei individuellen Problemen zu helfen. Vor allem bei

gemeinsamen Projekten mit Studierenden verhalten sich die LehrerInnen im Unterricht eher

zurückhaltend und nehmen eine Beobachtungsrolle ein. Veränderungen bei einzelnen Lehr-

personen konnten dahingehend festgestellt werden, dass sie durch die Kooperation mit der

Universität Interessen für neue Unterrichtsinhalte und Methoden gewonnen haben. Nach

einem gemeinsamen Roboterprojekt mit Studierenden hat eine Lehrerin beispielsweise an

einer Fortbildung für die Programmierung von Lego-Robotern teilgenommen. Die Lehrperso-

nen haben Anregungen für den Einsatz und die Öffnung des Unterrichts durch neue Techno-

logien erhalten und neue Lernkulturen zum Teil alleine, zum Teil gemeinsam mit Studieren-

den erprobt. Eine Kompetenzentwicklung im Hinblick auf Methoden und Umgang mit den

Medien hat stattgefunden.

Auch die beteiligten Studierenden konnten sehr davon profitieren, Unterrichtsideen und

Softwareprodukte direkt im Praxisfeld Schule zu erproben. Eine Lehramtsstudentin schreibt

in ihrem Abschlussbericht zu einem durchgeführten Internetprojekt am Schulverbund Lesum:

„Für mich war es wichtig zu erfahren, auf welchem Lernstand die SchülerInnen in einer fünf-

ten Klasse im Bereich technische Medien sind und technische Ausstattung in diesem Bereich

an einer Schule kennen zu lernen. Beim Beobachten der Arbeitshaltung der SchülerInnen

und ihrer Reaktionen auf komplizierte Aufgaben, konnte ich herausfinden, wie ich selbst auf

einige Fragen der SchülerInnen reagiere und ob evtl. Fragen gestellt wurden, auf die ich kei-

ne Antwort weiß.“ Besonders profitiert hat diese Studentin von einem gemeinsamen Reflexi-

onsgespräch mit dem begleitenden Lehrer. Sie empfindet „eine solche Form von Studieren

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als sehr lehrreich für SchülerIinnen und Studentinnen“ und findet es gut, „wenn solche Pro-

jekte weitergeführt und evtl. weiter ausgebaut würden.“ Auch für eine Gruppe von Medienin-

formatikstudierenden war es vorteilhaft, eine selbstprogrammierte Software gemeinsam mit

der Zielgruppe zu erproben und praxisnah Einblicke in die Umgangsweisen von Kindern mit

Digitalen Medien zu bekommen. Ebenso hat eine interdisziplinäre Studierendengruppe von

Lehramts- und Informatikstudierenden gemeinsam mit LehrerInnen und SchülerInnen eine

Software zur Unterstützung offener Unterrichtsmethoden konzeptioniert und eine Demover-

sion mit einigen SchülerInnen erprobt.

Hervorzuheben sind dabei auch die interdisziplinären Erfahrungen sowohl für InformatikerIn-

nen als auch Lehramtsstudierende, die eines der Grundelemente für das Lernen im ZIM dar-

stellen und hier noch erweitert werden um den direkten Kontakt mit SchülerInnen und Lehre-

rInnen.

Für die Kinder war es von großer Bedeutung, mit in die Prozesse einer Softwareentwicklung

einbezogen zu werden und zu erfahren, dass und wie Software „gemacht“ wird. Dies dient

dem Ziel von ZIM@School , ein Bewusstsein für die Gestaltbarkeit von Technologie in Lern-

prozessen zu schaffen und Neugier auf die Entwicklungsprozesse zu fördern.

Insbesondere die Durchführung eines einwöchigen Roboterprojekts mit einer fünften Klasse

bot den Kindern einen Rahmen für einen selbstbestimmten Zugang zu Technologie. Gerade

weil Kinder umgeben von Digitalen Medien aufwachsen, ist es wichtig, früh einen selbstbe-

wussten und kompetenten Umgang mit diesen zu fördern. Damit ein chancengleicher Zu-

gang zu neuer Technologie gesichert ist und keine digitale Kluft zwischen Kindern und Ju-

gendlichen entsteht, sind gerade Bildungsinstitutionen gefordert, Kindern einen unabhängi-

gem Zugang zu Technologie zu vermitteln (vgl. Aufenanger 2004, S. 9). Während des Robo-

terprojekts haben die SchülerInnen gelernt, Roboter zu programmieren und dadurch in der

Lage zu sein, Technik zu verstehen, zu beherrschen und für ihre Zwecke zu nutzen. Einge-

bettet in eine Geschichte wurden einzelne Programmierschritte überprüft. Das Programmie-

ren im Rahmen einer Geschichte zu erlernen, war für die Kinder vor allem wichtig, um einen

Zugang zur (Roboter) Technologie zu bekommen.

Die zunächst abstrakten Vorstellungen von Robotern und deren Programmierung können die

Kinder Schritt für Schritt erforschen und konkretisieren. Sie können erkennen, dass Maschi-

nen präzise Befehle benötigen, um korrekt zu arbeiten. Durch den Einsatz der Roboter wird

den Kindern ein plausibler Grund gezeigt, sich eingehend mit den Verwendungsmöglichkei-

ten von Computern zu befassen. Ihnen wird bewusst, dass Digitale Medien die Steuerung

durch Menschen benötigen und sie selbst Einfluss auf die Medien haben können. Ein tiefe-

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res Verständnis entsteht zunehmend dann, wenn die Kinder bereits mit der Programmierung

der Roboter begonnen haben und sich mit ersten Problemen konfrontiert sehen. Das eigen-

ständige Lösen von Problemen, gegebenenfalls angeregt durch Hinterfragen seitens der

BetreuerInnen, eignet sich sehr gut, den Kindern nahe zu bringen, welche Möglichkeiten ih-

nen die Digitalen Medien einerseits eröffnen und welche neuen Probleme sie auch mit sich

bringen. Anhand von immer konkreteren Ideen der Kinder wurde der Lernprozess sichtbar.

Anfängliche Schwierigkeiten beim Zerlegen von komplexen Aufgaben in Einzelbefehle, die

der Roboter versteht, waren bald überwunden und die Konzentration der Kinder galt dem

Finden der richtigen Befehle für die individuelle Programmierung und Gestaltung der Robo-

ter.

Ausblick

ZIM@School hat mit dem kombinierten Ansatz der Öffnung der Lernorte und der Erweiterung

des Technologiebegriffs und -kontexts einige Potenziale zur Veränderung von Lernkulturen

mittels Digitaler Medien aufgezeigt. Als vielversprechender Ansatz hat sich das Lernen mit

einfacher Robotertechnik erwiesen. Das Bauen, Gestalten und Programmieren von Robotern

als »Things to think« (Seymour Papert) in eigentlich technologiefernen Kontexten bietet den

Lernenden ein hohes Aktionspotenzial und den Lehrenden vielfältige Einsatz- und Nut-

zungsmöglichkeiten (in unserem Fall das Märchenerzählen). Robotertechnologie bot in die-

sem Projekt die Chance, die Trennung von Nutzung und Gestaltung digitaler Technologie in

Lernprozessen und die dieser Technologie nicht mehr angemessene Trennung von Inhalt

und Technik, wie sie in der Medienpädagogik häufig noch zu finden ist, zu überwinden. Die

frei gestaltbaren und einfach zu programmierenden Roboter eignen sich aufgrund ihres evo-

kativen Charakters offenbar besser als der in Schulen immer noch vorherrschende, primär

nutzungsorientierte Zugang zu Digitalen Medien mittels vorgefertigter (Lern-)Software.

Aus den Erfahrungen unseres Projektes liegt nahe, dass dieser Technologie neue, offene,

kooperative Lernkulturen eher entsprechen, insofern sie nicht nur als zu beherrschende

Werkzeuge zur Erfüllung vorbestimmter Aufgaben begriffen werden. ZIM@School hat im

zweiten Projektjahr gute Voraussetzungen, das Lernen mit Robotics weiter zu erproben und

den pädagogischen Nutzen zu erforschen. Die Schnittstellenkonzeption ermöglicht, wie be-

reits im ersten Projektjahr geschehen, Robotertechnik und die zugrunde liegende konstrukti-

onistische Idee (Papert..) in die Schulen zu bringen. Die materielle, konzeptionelle Unterstüt-

zung oder gar Durchführung durch die Universität und vor allem die Studierenden erleichter-

te den LehrerInnen die Öffnung für dieses experimentelle Konzept. Die Durchführung von

Workshops auch mit internationalen ExpertInnen vermittelte und ermöglichte LehrerInnen

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und Studierenden nicht nur praktische Erfahrung und didaktische Ideen, sondern auch und

vor allem die Erweiterung ihres Bildes von den Digitalen Medien.

Die Veränderung solcher mentaler Bilder von Technologie und Lernen, die veränderten Er-

fahrungen mit Lernen und Digitalen Medien, sind grundlegende Voraussetzungen für die

Etablierung von neuen Lernkulturen. Wir halten diese veränderten Lernerfahrungen beson-

ders für LehrerInnen sowie Lehramtsstudierende für bedeutsam.

Das zweite Projektjahr wird einen Schwerpunkt auf die Veränderung von Lern- und Lehrer-

fahrungen setzen, vor allem mittels des Einsatzes von Robotertechnik. Dafür werden Inten-

siv-Workshops sowie spezielle Unterstützung organisiert. Neben diesen Fortbildungsangebo-

ten wird ein weiterer Fokus vor allem die Bildung von »Lehr-Lern-Teams« von Studierenden,

SchülerInnen und LehrerInnen sein. Die bisher auf eine Schule und ein Team beschränkte

Kooperations- und Schnittstellenstruktur soll dabei auf weitere Schulen und langfristig auch

auf eine virtuelle Ebene ausgedehnt werden.

Literatur: Aufenanger, S. (2004). Mediensozialisation. Aufwachsen in einer Medienwelt: Ergebnisse und Ausbli-cke. Computer und Unterricht, 53, 6-9 Berndt, B. E./ Schelhowe, H. (2004). Lernen in multimedialen Netzen. Einsichten aus dem Projekt »Mobile Campus« in der Lehrerbildung. Computer und Unterricht, 54, 60-61 Bolland, A. (2002). Forschendes und biografisches Lernen in der LehrerInnenbildung. Lernweganaly-sen forschender Studentinnen im Modellprojekt Forschungswerkstatt an der Universität Bremen. Diss. Universität Bremen Butler, Deirdre (2004). Selfdetermined Teacher Learning in a Digital Context: Fundamental Change in Thinking and Practice. Diss. Dublin City University Büchter, A./ Dalmer, R./ Schulz-Zander, R. (2002). Innovative schulische Unterrichtspraxis mit neuen Medien. In Schulz-Zander, R. (Hg.), Jahrbuch der Schulentwicklung, Band 12 Kerres, M. (2000). Medienentscheidungen in der Unterrichtsplanung. Zu Wirkungsargumenten und Begründungen des didaktischen Einsatzes digitaler Medien. Bildung und Erziehung, 53, 19-39 Medienpädagogischer Forschungsverband Südwest (2003). KIM-Studie 2003. Kinder und Medien, Computer und Internet. Baden-Baden: Medienpädagogischer Forschungsverband Südwest Schulz-Zander, R. (2003). Unterricht verändern. Innovative Lehr- und Lernformen mit digitalen Me-dien. Computer und Unterricht, 49, 6-11 Seber, F. (2002). Chancen und Möglichkeiten Neuer Medien in der der Schule. Medienpraktisch, H. 2, 33-37

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