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Veränderungskommunikation im Corporate Change: Herausforderungen für die externe und interne Unternehmenskommunikation Jörg Pfannenberg Inhalt 1 Digitale Transformation als disruptive Veränderung ........................................ 2 2 Neue Inhalte der Veränderungskommunikation .............................................. 2 3 Die Reaktion der Stakeholder: Irritationen und Risiko-Wahrnehmung ..................... 5 4 Zielsetzungen: Readiness for Change stabilisieren und vergrößern ......................... 7 5 Botschaften: Massiver Anspruch auf Veränderung .......................................... 8 6 Strategie der Kommunikation im Veränderungsprozess ..................................... 11 7 Medienportfolio der Veränderungskommunikation .......................................... 13 8 Anforderungen an Kommunikatoren: Teil des agilen digitalen Prozesses werden ......... 14 Literatur ........................................................................................... 16 Zusammenfassung Durch die digitale Transformation hat das Veränderungstempo in Unternehmen deutlich angezogen, die Mitarbeitenden sehen sich mit der Volatilität, Unsicher- heit, Komplexität und Ambiguität der VUCA-Welt konfrontiert. Für die Verän- derungskommunikation sind neuartige Aufgaben entstanden: permanente Ver- änderung als Kultur-Merkmal und die Bewältigung der Disruption. Dem stehen Ängste und Widerstände der Stakeholder entgegen, denn zweifellos gibt es in den Unternehmen und in ihrem Umfeld Modernisierungsverlierer und Menschen, die Schwierigkeiten haben, sich an die neuen Anforderungen zu adaptieren. Die Kommunikation muss die digitale Wandlungsfähigkeit des Unternehmens er- möglichen und unterstützen. Schlüsselwörter Veränderungskommunikation · Digitale Transformation · Disruption · Risikowahrnehmung · Commitment J. Pfannenberg (*) JP KOM GmbH, Düsseldorf, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 A. Zerfaß et al. (Hrsg.), Handbuch Unternehmenskommunikation, https://doi.org/10.1007/978-3-658-03894-6_41-1 1

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Veränderungskommunikation imCorporate Change: Herausforderungen fürdie externe und interneUnternehmenskommunikation

Jörg Pfannenberg

Inhalt1 Digitale Transformation als disruptive Veränderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 Neue Inhalte der Veränderungskommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 Die Reaktion der Stakeholder: Irritationen und Risiko-Wahrnehmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 Zielsetzungen: Readiness for Change stabilisieren und vergrößern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 Botschaften: Massiver Anspruch auf Veränderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 Strategie der Kommunikation im Veränderungsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 Medienportfolio der Veränderungskommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 Anforderungen an Kommunikatoren: Teil des agilen digitalen Prozesses werden . . . . . . . . . 14Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16

ZusammenfassungDurch die digitale Transformation hat das Veränderungstempo in Unternehmendeutlich angezogen, die Mitarbeitenden sehen sich mit der Volatilität, Unsicher-heit, Komplexität und Ambiguität der VUCA-Welt konfrontiert. Für die Verän-derungskommunikation sind neuartige Aufgaben entstanden: permanente Ver-änderung als Kultur-Merkmal und die Bewältigung der Disruption. Dem stehenÄngste und Widerstände der Stakeholder entgegen, denn zweifellos gibt es in denUnternehmen und in ihrem Umfeld Modernisierungsverlierer und Menschen, dieSchwierigkeiten haben, sich an die neuen Anforderungen zu adaptieren. DieKommunikation muss die digitale Wandlungsfähigkeit des Unternehmens er-möglichen und unterstützen.

SchlüsselwörterVeränderungskommunikation · Digitale Transformation · Disruption ·Risikowahrnehmung · Commitment

J. Pfannenberg (*)JP KOM GmbH, Düsseldorf, DeutschlandE-Mail: [email protected]

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019A. Zerfaß et al. (Hrsg.), Handbuch Unternehmenskommunikation,https://doi.org/10.1007/978-3-658-03894-6_41-1

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" Veränderungskommunikation ist die Kommunikation in Change-Prozessen. AlsSchlüsselfunktion des Change-Managements räumt sie die kommunikativen Hin-dernisse für Veränderungen in Unternehmen aus dem Weg und ermöglicht denWandel. Veränderungskommunikation ist integrierte Kommunikation, sie beziehtalle Stakeholder des Unternehmens ein. Sie

• aktiviert Führungskräfte und Mitarbeitende für den Wandel.• hält auch im disruptiven Wandel die Loyalität von Kunden und Lieferanten

aufrecht.• gewinnt Investoren und Aktionäre auch für neue Geschäftsmodelle und riskante

Transformationen.• sichert die Unterstützung bei Politik, Behörden und der meinungsbildenden

Öffentlichkeit.

1 Digitale Transformation als disruptive Veränderung

Die digitale Transformation führt zur exponentiellen Veränderung von Gesellschaftund Unternehmen. Treiber dafür sind digitale Technologien, Realwelt und digitaleWelt wachsen zusammen. Dieser Prozess beschleunigt sich seit 2015 stark: Die ersteStufe der Digitalisierung bis 2000 beschäftigte sich mit der Vernetzung von Com-putern. In der zweiten Phase ging es primär um die Akzeptanz und Nutzung mobilerGeräte. In der aktuellen Stufe, die Experten von 2015 bis 2030 veranschlagen, stehendie Reife der Systeme und das Internet der Dinge (Internet of Things, IoT) imMittelpunkt. Ab 2030 soll es zur vollkommenen Verschmelzung von realer unddigital vernetzter Welt kommen (vgl. Lindner und Leyh 2018; Petry 2016).

Parallel zur Digitalisierung ist ein neues Organisations- und Kulturmuster zumParadigma in Unternehmen geworden: die exponentielle Organisation. ErfolgreicheUnternehmen müssen künftig die wesentlichen Assets und Ressourcen für ihrenInnovations- und Geschäftsprozess nicht mehr selbst besitzen (vgl. Ismail 2014,S. 18–19). Über Vernetzung und intelligente Algorithmen binden sie die Ressourcenanderer Unternehmen, aber auch die von Kunden und anderen Stakeholdern in ihreWertschöpfung ein. Muster für solche exponentiellen Geschäftsmodelle sind digitaleStart-ups wie AirBnB und Uber.

2 Neue Inhalte der Veränderungskommunikation

Die digitale Transformation hat in den letzten Jahren alle anderen Veränderungs-projekte in Unternehmen – wie z. B. Neue Strategie, Mergers & Acquisitions,Restrukturierung – an den Rand gedrängt bzw. für die eigenen Ziele funktionalisiert.Neue Inhalte, insbesondere der IT-Change, das Innovationsmanagement und dieagile Organisation, haben an Bedeutung gewonnen.

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Muster für die Arbeitsweisen – Strukturen und Prozesse – in Unternehmen ist dieSoftware-Entwicklung geworden, deren Prinzipien 17 Entwickler im Jahre 2001während eines Retreats im Manifest für Agile Softwareentwicklung niedergelegthaben. Sie stellen diesen Prinzipien vier Werte voran (Beck et al. 2001, eigeneÜbersetzung): „Individuen und Interaktionen haben Vorrang vor Prozessen undWerkzeugen. Funktionierende Software hat Vorrang vor ausgedehnter Dokumenta-tion. Die Zusammenarbeit mit dem Kunden hat Vorrang vor Vertragsverhandlungen.Die Reaktion auf Veränderungen hat Vorrang vor strikter Implementierung desPlans.“ Deutlich kritisiert das Manifest die Bürokratie in traditionellen Unterneh-men, und es markiert „die Grenzen der Planbarkeit in einer turbulenten, sich schnellverändernden Umwelt.“ (Highsmith 2001, eigene Übersetzung)

Wesentliche Merkmale der agilen Entwicklungsarbeit – und damit auch der vondigitalen Geschäftsmodellen und der agilen Organisation von Unternehmen – sind(vgl. Lindner 2019, S. 37f.; Zerfaß et al. 2018):

• Beschleunigung und Disruption. Solange Digitalität die Unternehmen nur äußer-lich – z. B. am Arbeitsplatz oder in der Steuerung der Produktion – erfasste,konnten die alten Geschäftsmodelle weitergefahren werden. Meist wurden sie inder Strategie nicht reflektiert. In einer hochvolatilen Umgebung müssen Geschäfts-modelle jedoch ständig überprüft und angepasst werden. Ganze Branchen sehensich nun mit neuen technologische Entwicklungen, neuen Kundenbedürfnissen undeiner veränderten Mediennutzung konfrontiert. Wenn sie überleben wollen, müssenauch traditionelle Unternehmen schnell auf denWandel reagieren und sich ändern –nicht einmal und stufenweise, sondern mehrfach und mit Paradigmenwechsel.

• Flexibilität. Während traditionelle Unternehmen eine detaillierte Mittelfrist-Planung aufbauen und Produktentwicklungszyklen in vielen Branchen – wiez. B. der Automobilindustrie – bisher in Vier- oder Fünfjahreszyklen erfolgten,müssen heute neue Angebote oftmals bereits in der Entwicklungsphase angepasstwerden. Im Design Thinking erfolgt die Entwicklung in Mikrozyklen – kurzenIterationen: Prototypen werden bereits in einer frühen Phase am Markt mit echtenKunden getestet. Die Erkenntnisse aus dem Testing erweitern oder überholen dieProblemdefinition und setzen in einer weiteren Iteration einen neuen Ideenfin-dungsprozess in Gang (vgl. Uebernickel et al. 2015, S. 31; vgl. Abb. 1).

• Kollaboration. Traditionelle Unternehmen sind durch hierarchische Strukturencharakterisiert, Entscheidungen fallen vom Vorstand ausgehend und top-downund werden über oftmals rigide, unflexible Strukturen und Prozesse implemen-tiert. Das Modell der agilen Organisation ist dagegen das Netzwerk: Kollabora-tion bricht die Silos auf, Teams werden cross-funktional und divers besetzt. Diesbezieht auch externe Stakeholder wie Kunden (beim Crowd-Sourcing) undandere Unternehmen ein. Das erfordert allerdings eine Kultur der Diversität imUnternehmen und Offenheit in den Beziehungen nach außen.

• Radikale Kundenorientierung. In traditionellen Unternehmen war das Innovati-onsmanagement oft durch eigene Vorlieben der Entwickler sowie die Eigendy-namik ritualisierter Prozesse bestimmt. Design Thinking stellt dagegen denNutzen für den Kunden – in dessen Wahrnehmung – radikal in den Mittelpunkt.Empathie ist entscheidend, um die eigenen Annahmen über das Problem und die

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Abb.1

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Lösung zurückzustellen und den Anwender mit seinen Bedürfnissen ins Zentrumzu rücken. Mithilfe von „Personas“ versetzen sich Entwicklungsteams kognitivund emotional in den Anwender. Der Umschlag des Buches „Value PropositionDesign“ (Osterwalder et al. 2015) drückt diesen Gegensatz – in der typischenPolemik der agilen Evangelisten – so aus: „Bad Value Proposition Design. Wieman Geld verbrennt, schlecht kommuniziert und sein kurzes Leben damit ver-schwendet, Zeug zu machen, das eh keiner will“ vs. „Entwickeln Sie Produkteund Services, die Ihre Kunden wirklich wollen“.

Den Verfassern des Agilen Manifests ist schon 2001 klar gewesen, dass ihreForderungen für die meisten Organisationen einen Paradigmenwechsel bedeutenund die bisherige Unternehmenswirklichkeit aus den Angeln heben würden(Highsmith 2001, eigene Übersetzung): „Um in der neuen Wirtschaftsordnungerfolgreich sein zu können und mit Hochdruck in die Ära des E-Business, desE-Commerce und der Digitalität einzutreten, müssen die Unternehmen Abschiednehmen von ihren Dilbertschen Ritualen der Arbeitsbeschaffung und Geheimnis-krämerei. Die Befreiung von den Unannehmlichkeiten des Unternehmensalltags(. . .) erschreckt Traditionalisten zu Tode. Offen gesagt, haben die Bürokraten inUnternehmen Angst vor agilen Methoden (. . .). Die agilen Methoden treiben dieTraditionalisten aus den Löchern, in denen sie sich bisher versteckt haben.“

3 Die Reaktion der Stakeholder: Irritationen und Risiko-Wahrnehmung

Die digitale Transformation erfordert tief greifende Änderungen im sozialen Verhal-ten der Menschen: Die neue Arbeitswelt und die Umgebung auch anderer Stakehol-der wird vielfach als VUCA-Welt bezeichnet. Das Akronym VUCA steht dabei fürVolatility (Unbeständigkeit), Uncertainty (Unsicherheit), Complexity (Komplexität)und Ambiguity (Mehrdeutigkeit).

„Second Order Changes“, Paradigmenwechsel in der Strategie mit dem Aufbauneuer Strukturen innerhalb kurzer Zeit (vgl. Levy und Merry 1986, S. 9), führen inder Erlebnisverarbeitung der Stakeholder zu einer intensivierten Wahrnehmung vonUmfeldturbulenzen und Risiken (vgl. Liebl 2000, S. 10). Bei der (intuitiven) Risi-koeinschätzung sind Wissen und Mutmaßungen über die Konditionen des Risikosentscheidend (vgl. Jungermann und Slovic 1993, S. 97–99):

• Freiwilligkeit. Risiken, die man freiwillig übernimmt, werden weniger kritischeingeschätzt als Risiken, denen man unfreiwillig ausgesetzt ist.

• Kontrollierbarkeit. Risiken, die kontrollierbar scheinen, werden als geringereingestuft als solche, auf die man selbst keinen Einfluss zu haben glaubt.

• Verantwortlichkeit. Als unvermeidlich betrachtete, „natürliche“ Risiken werdenweniger stark gewichtet als von Menschen verursachte Risiken.

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Die erhöhte Risikowahrnehmung in digitalen Transformationsprozessen führt beivielen Stakeholdern zu gewaltsamen Reduzierungen unbewältigter Komplexität. Sowerden der neue Nationalismus und die Zuwendung zu populistischen Politikmus-tern in den westlichen Industriestaaten als Reaktion von Modernisierungsverlierernauf die Internationalisierung und Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaftgedeutet. Immer mehr Menschen fühlen sich offensichtlich von den gesellschaftli-chen und technischen Entwicklungen abgekoppelt, sie sehen darin kaum Chancen,sondern Bedrohungen. Und sie fühlen sich durch die bisherigen Eliten in Wirtschaftund Politik – sei es nun an der Ostküste der USA, im politischen Berlin oder dieAbsolventen der École Normale Supérieure in Frankreich – nicht mehr repräsentiert.Viele Menschen glauben, dass die politischen und wirtschaftlichen Eliten die liberaleDemokratie „zu ihren Gunsten manipulieren,“ so der Politikberater Ian Bremmer(Handelsblatt 22.01.2019). Das betrifft dann offensichtlich auch Manager in Unter-nehmen, die dazugehörigen Berater und „Prediger“ der digitalen Transformation.

Doch auch von denjenigen, die dem gegenüber grundsätzlich aufgeschlossen sindund die z. B. als Kunden oder als Nutzer von Social Media Benefits der Digitalisie-rung gerne genießen, verlangen die damit verbundenen Paradigmenwechsel vielab. Sie sind irritiert von:

• der Heroisierung abweichenden Verhaltens. Während jahrzehntelang reibungs-loses Funktionieren und das Erreichen vorgegebener Ziele (Management byObjectives, Performance und Excellence-Ideologie der 1980er- und 1990er-Jahre) das Leitbild war, ist jetzt plötzlich „Querdenken“, „Kreativität“ und„Selbstoptimierung“ angesagt. Damit werden abweichende Verhaltensweisen,die über Jahrzehnte pathologisiert worden waren und von Psychologen undPsychiatern behandelt wurden, aus der Sphäre des romantischen Künstlertums(Reckwitz 2012, S. 90) in die Arbeits- und Berufswelt gehoben: Die Abweichungvom Üblichen – Kreativität – wird zum Leitbild für Unternehmen und für jedenMitarbeitenden. Damit einher geht die Ästhetisierung des Arbeitslebens ein-schließlich der Arbeitsräume (vormals Büro und Fabrik genannt) und die starkeaffektive Aufladung von permanenter Innovation, von Kreativindustrien wieMode, Architektur und Werbung und der Designökonomie (vgl. Reckwitz2012, S. 133).

• dem Anspruch an Flexibilität und Kooperationsbereitschaft, was jahrzehntelangeingeübte Gewissheiten in Frage stellt und die Orientierung erschwert. Teamswerden aufgebrochen und ständig neu zusammengestellt, die eingeforderte Di-versität führt zu zusätzlichen Verständigungsschwierigkeiten und persönlichenBelastungen. Flache oder ausgesetzte Hierarchien verlangen ein hohes Maß anSelbststeuerung, die über die vormals geforderte Rolle des Mitarbeitenden alsUnternehmer („Entrepreneurship“) weit hinausgeht. Die Wahrnehmung disrupti-ver Veränderungen führt zu schnell sich verändernden Agenden und immer neuenAnforderungen an das Wissen wie auch das Verhalten.

• dem Druck auf persönliche Selbstoptimierung. Innovation ist nicht mehr alleinder Abteilung „Forschung & Entwicklung“ zugewiesen, jetzt werden Kreativitätund neuartige Vorschläge von jedem Mitarbeitenden eingefordert. Für den Ein-

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zelnen ist im Privat- wie im Berufsleben die Selbstentgrenzung und Grenzüber-schreitungen in andere soziale Systeme hinein (Reckwitz 2012, S. 59) – vormalsein Privileg des Künstlers – zum permanenten Anspruch geworden. Was früherals „normal“ galt, wird heute als langweilig und minderwertig angesehen: „Krea-tivität in spätmodernen Zeiten umfasst beides: Kreativität und Kreativitätsimpe-rativ, subjektives Begehren und soziale Erwartung. Man will kreativ sein – undman soll es sein.“ (Reckwitz 2012, S. 10).

• dem rauen Ton, mit dem Manager und Prediger der digitalen Transformation denWandel einfordern, einschließlich der Beschimpfung der Traditionalisten, demAufbau von Bedrohungs- und Verlustszenarios bei Nicht-Befolgung und demaggressiven Setzen von neuen Verhaltensnormen bis hinein in die Sprachmusterund Bekleidungsnormen („Tragen Sie etwa noch Krawatte?!“) hinein. Das Digi-tale Manifest und andere programmatische Schriften und Websites haben hier dieTonlage vorgegeben, und viele Manager folgen dem im Überbietungsmodus – dieRegeln der Political Correctness gelten plötzlich nicht mehr, die Diskriminierungvon Akteuren der Old Economy ist sozial straffrei gestellt. Denn sie scheint durchdie Notwendigkeit legitimiert, Sense of Urgency und damit Veränderungsbereit-schaft (vgl. Kotter 1996, S. 36) zu schaffen.

4 Zielsetzungen: Readiness for Change stabilisieren undvergrößern

In angstbesetzten und konfliktbeladenen Situationen befähigt Kommunikation dieBeteiligten, Mehrdeutigkeiten und Unsicherheiten zu bewältigen (vgl. Conrad 1985,S. 8). Die Aufgabe der Veränderungskommunikation liegt darin, riskante Komple-xität für die internen wie externen Stakeholder zu reduzieren, sie auf die Ziele desWandels einzuschwören und zu Akteuren in der Transformation (Empowerment) zumachen. Dabei geht es um Veränderungsbereitschaft (Readiness for Change).

Es besteht eine starke positive Korrelation zwischen dem Commitment vonMitarbeitenden und ihrer Veränderungsbereitschaft. Ein starkes Leistungsmotivkann sich z. B. in Extrarollenverhalten äußern: Inwiefern sind die Mitarbeitendenbereit, zusätzlich zu den ihnen übertragenen Aufgaben die Initiative zu ergreifen?Studien belegen auch den positiven Zusammenhang zwischen Commitment undLeistung, Motivation und Anwesenheit am Arbeitsplatz. Negative Zusammenhängebestehen zwischen Commitment und Stress, der Absicht das Unternehmen zuverlassen sowie dem tatsächlichen Verlassen des Unternehmens (Fuhlrott und Durst2010, S. 171). Motivation und Vertrauen in die Unternehmensführung gelten als diebeiden Faktoren für organisatorisches Commitment: Wer motiviert ist, richtet seinVerhalten aktiv darauf aus, einen positiv bewerteten Zielzustand zu erreichen (Fuhl-rott und Durst 2010, S. 171).

Vertrauen drückt die Erwartung in das Verhalten anderer in der Zukunft aus.Vertrauen ist notwendig, wenn zwischen zwei Akteuren – so wie typischerweise inTransformationsprozessen – eine asymmetrische Informationsverteilung herrscht,und ist immer eine „riskante Vorleistung“ (Luhmann 2014, S. 23). Für den Vertrau-

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ensnehmer reduziert Vertrauen die Transaktionskosten (Hubig 2014, S. 355): Esstabilisiert Verhalten auch im Falle von Unstimmigkeiten im Verhalten oder in derKommunikation der Gegenseite, die ansonsten zu Zweifeln oder Enttäuschungenführen würden (vgl. Luhmann 2014, S. 96). Vertrauen „stabilisiert sich im Zugeerfolgreicher Vertrauenszuweisungen bis hin zu Reputation (. . .), die dann Vorent-scheidungen der Vertrauenszuweisung erübrigt bzw. durch kalkulierte Erwartungenersetzt“ (Hubig 2014, S. 355).

Vertrauen in die Unternehmensführung stärkt die Motivation der Mitarbeitendenund trägt zu ihrer Bindung und Veränderungsbereitschaft bei. Da das Vertrauen indie Unternehmensführung auch beinhaltet, dass die Mitarbeitenden ihrem Manage-ment „zutrauen“, das Unternehmen zum Erfolg zu führen, können die Einschätzun-gen der Mitarbeitenden zur Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens und ihreBewertung der Unternehmensstrategie, ggf. auch die Einschätzung der Manage-ment-Qualität, als Indikatoren (Key Performance Indicators, KPIs) zur Messungvon Vertrauen herangezogen werden.

Weitere Faktoren für Vertrauen und Motivation – und damit für das Commitment– sind das Wissen der Mitarbeitenden über die Strategie ihres Unternehmens sowieihre Ausrichtung auf die Unternehmensziele, -strategie und -werte. Denn nur, wenndie Mitarbeitenden die Unternehmensziele und -strategie kennen und für erfolgs-trächtig erachten, werden sie diese mit ihrem Engagement aktiv mittragen undbewirken.

Gegenüber Stakeholdern wie der allgemeinen Öffentlichkeit, Politik und Be-hörden sowie der Standortöffentlichkeit geht es dagegen vor allem um Legitimität.Dies ist die Voraussetzung dafür, dass das Unternehmen im Veränderungsprozessnicht durch NGOs, Politik und/oder Behörden angegriffen und die geplanten Ver-änderungsmaßnahmen nicht verlangsamt oder unterbunden werden, wie z. B. imFalle von AirBnB und Uber durch die Stadtverwaltungen von touristischen Metro-polen in Europa (Barcelona, Paris, Berlin). Um seine „Licence to operate“ auch inder Veränderung zu erhalten, muss das Unternehmen seine sozialen Wertbeiträgeverdeutlichen (siehe Abb. 2; vgl. Pfannenberg 2013, S. 14). Der Anspruch aufVeränderung muss gesellschaftlich legitim sein, das Unternehmen muss einen Nut-zen für die Gesellschaft erzeugen und über seine Mission Sinn stiften.

5 Botschaften: Massiver Anspruch auf Veränderung

„Exponential Organizations, almost by definition, think BIG“ (Ismail 2014, S. 53).Der Grund dafür liegt darin, dass sie schnell wachsen wollen. Der Veränderungsan-spruch von exponentiellen Unternehmen ist sehr hoch und geht über die Grenzen dereigenen Organisation hinaus. In diesem massiven Veränderungsanspruch (MassiveTransformative Purpose, MTP) formulieren solche Unternehmen eine Mission, dieauf die Veränderung der Gesellschaft, einer ganzen Industrie – womöglich derganzen Welt – hinausläuft.

Dabei steht der Nutzen für den Kunden imMittelpunkt, z. B. bei AirBnB: „Travellike a human“ (alter Slogan) bzw. „Belong anywhere“ (aktueller Slogan 2019). Die

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Unternehmenszwecke der von Elon Musk geschaffenen Unternehmen Tesla („Accel-erate the world’s transition to sustainable energy“), SpaceX („Revolutionize spacetechnology with the ulitmate goal of enabling people to live on other planets“) undHyperloop („Revolutionizing terrestrial transportation“) sind typische Beispiele einerdisruptiven und weitreichenden Vision und Mission.

Der massive, umfassende Veränderungsanspruch von exponentiellen Unterneh-men schafft eine Gemeinde von begeisterten Kunden und Unterstützern. Das ist dieGrundlage für das Empowerment der Stakeholder für eigene Aktivitäten, das Ent-stehen einer Community rund um die Marke und einer Unternehmenskultur, dienicht mehr durch Strukturen und Prozesse bestimmt wird, sondern von einem über-greifenden Zweck, einer starken Vision („Purpose“) gezogen wird. (Ismail 2014,S. 55). Eine solche übergeordnete Zielsetzung gibt den Stakeholdern Sinn, siebeantwortet die Frage nach den Gründen des Tuns („Why“).

Der massive Veränderungsanspruch unterscheidet das Botschaften-Set und dieStory von exponentiellen Organisationen grundlegend von der Vision/Mission vielertraditioneller Unternehmen. Hier finden sich eher aus der Strategie abgeleitete

Abb. 2 Werttreiber der internen Kommunikation in Veränderungsprozessen (Pfannenberg 2013,S. 14)

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Botschaften wie: „Wir wollen in jedem unserer Märkte zu den drei führendenAnbietern gehören.“ Oder „Wir wollen der zuverlässige Lösungsanbieter für XYsein.“ Solche Botschaften enthalten keine Anweisung zur Disruption, sie sind weniganschaulich und kaum attraktiv und haben deshalb kaum emotionale Kraft. Auchsind sie nicht aus der Perspektive des Nutzers/Kunden formuliert. Vor allem abersind sie wenig inspirierend. Darum geht es den Stakeholdern von Unternehmen aberzunehmend, wie Studien zu den sogenannten Millennials, der Generation der zwi-schen 1984 und 2002 Geborenen, nahelegen. Sie suchen wieder das Bedeutsame,wollen auch mit ihrer Arbeit einen übergeordneten Zweck/Wert verfolgen, der daseigene Ich transzendiert (vgl. Barton et al. 2012).

Beim Design der Botschaften ist darüber hinaus die Interaktion zwischen denStakeholdern einzubeziehen: Im Zeitalter der Social Media verlaufen StakeholderJourneys nicht mehr linear, sondern es finden im Loyalty Loop zahlreiche Interak-tionen der Stakeholder untereinander –mit oder ohne Beteiligung des Unternehmens– statt. Dementsprechend muss das Botschaften-Design die Koorientierung derStakeholder von vornherein stark einbeziehen. „Grundgedanke des Koorientierungist, dass sich Menschen in ihrem Denken und Handeln auch an den wahrgenomme-nen oder vermuteten Haltungen Anderer“ – des „Unsichtbaren Dritten“ – orientieren(Bürker 2013, S. 62), und nicht nur an den eigenen Wünschen, Bedürfnissen,Erfahrungen, Absichten und Erwartungen.

Dementsprechend muss die Story der Transformation darauf hinarbeiten, dass dieEinschätzung des eigenen Unternehmens bzgl. der Wahrnehmung der Beziehungdurch die Stakeholder-Gruppen und umgekehrt die Einschätzung der Stakeholderbzgl. der Wahrnehmung der Beziehung durch das eigene Unternehmen zur Deckunggebracht werden. Entsprechend wird im Botschaften-Design der Veränderungskom-munikation nach strategischen Botschaften und Stories gesucht, die die Kongruenz(die wahrgenommene Übereinstimmung) zwischen der eigenen Wahrnehmung derBeziehung und der Einschätzung der anderen Seite verbessern können (vgl. Bürker2013, S. 82). Dies kann z. B. durch explizites Framing der Wahrnehmungen des„unsichtbaren Dritten“ erfolgen (vgl. Abb. 3).

Der massiven Veränderungsbotschaften der digitalen Transformationen und derdamit verbundene Sense of Urgency ist auszubalancieren mit dem Streben derStakeholder nach Selbstbestimmtheit. Denn ob der Empfänger einer Botschaft dasGefühl behält, selbst entscheiden zu können, ist ausschlaggebend dafür, ob er den inder Botschaft mitgeteilten Intentionen folgt (Schulz von Thun 1981, S. 163). „Esscheint ein grundlegender Wunsch von Menschen zu sein, sich [. . .] als Urheber dereigenen Handlung zu fühlen, nicht weisungsgemäß, sondern selbstinitiiert zu han-deln.“ (Schulz von Thun 1981, S. 216–217). Direktive Kommunikation erstickt dieEigeninitiative und das Lernen der Mitarbeitenden – dabei ist es in der beschleunig-ten Transformation wichtiger denn je, ihre Kompetenzen und ihr Know-how zunutzen.

In diesem Zusammenhang muss die Frage gestellt werden, ob die von Managernund Predigern in der digitalen Transformation geübte Rhetorik des Bruchs ziel-führend ist. Anstatt Dringlichkeit und eigene Handlungsfähigkeit zum Ausdruck zubringen, führt diese Art von Botschaften eher zu Desorientierung und Verängsti-

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gung. Gerade in Zeiten schneller Veränderung muss Kommunikation die Kontinui-täten betonen. Nur so können die in der Vergangenheit aufgebauten ideellen Res-sourcen als Kraft für die Veränderung genutzt werden.

6 Strategie der Kommunikation im Veränderungsprozess

Die Inszenierung des CEO als „agiler“ Superstar. Als wesentliche Säule der ge-sellschaftlichen Ästhetisierung von Kreativität reproduzieren die Medien im Star-system unaufhörlich die „Konstruktion expressiver Individualität“. Sie feiern daskreative Subjekt: „Individuen, deren vermeintliche Einzigartigkeit und kulturelleProduktivität sich in ihren Werken und in ihrer öffentlich dargestellten Subjektivitätselbst ausdrückt und verwirklicht. Die modernen Stars erweisen sich in diesem Sinneals Nachfolger der Figur des Künstlers.“ Sie werden zu einem „sinnlich-affektivenGegenstand eigenen Rechts“ (Reckwitz 2012, S. 239–240). Das betrifft längst nichtmehr nur Sänger und Schauspieler, sondern auch Unternehmer und Unternehmens-führer. Dementsprechend hat sich der Fokus der Berichterstattung in meinungsbil-denden Medien vom Unternehmen und seiner Strategie auf den CEO als Urheber derDisruption und Treiber der digitalen Transformation verschoben – auf den „divina-torischen“ Unternehmer als Innovator (Reckwitz 2012, S. 149). Folgerichtig mussdie Kommunikation die Strategie der Transformation personalisieren, der CEO wirdzum Icon der neuen Unternehmenskultur. Einzelne symbolische Handlungen rei-chen nicht mehr aus, erwartet wird die authentische Verkörperung von Selbstver-wirklichung in Jugendlichkeit und Kreativität – im (scheinbar) hierarchiefreienDialog mit Mitarbeitenden, auf Konferenzen und selbst in der Freizeit: beim

Abb. 3 Koorientierung von Stakeholdern und Unternehmen in der Entwicklungspartnerschafteines traditionellen Unternehmens mit einem Start-up (nach Seltzer 2006; vgl. Bürker 2013)

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Extrem-Bergsteigen oder Marathon-Laufen. Selbstverständlich signalisiert auch dieKleidung die Nähe zur digitalen Welt, mit modischen Turnschuhen und offenemHemdkragen. Zur Agilität gehört auch die hohe Frequenz der Kommunikations-aktivitäten: lieber kürzer und dafür öfter. Lieber persönlich und mit Storytelling alsmit strategischen Ansagen.

Community Building. Wie erläutert, ist die Initiierung von selbstständigen Inter-aktionen der internen und externen Stakeholder untereinander eine zentrale Zielset-zung der agilen Kommunikation für die exponentielle Organisation. Dieses Com-munity Building braucht einen aktiven Moderator mit starkem Leadership undgeschieht in drei Phasen: (1) Durch die Veränderungsbotschaft werden Early Adop-ters angezogen, die Leidenschaft für den Change entwickeln. (2) Die entstandeneCommunity wird ausgebaut durch Aktionen, die Unternehmen und User zusammen-bringen und in denen sie das Angebot teilweise gemeinsam weiterentwickeln.(3) Das Unternehmen stellt Plattformen für das Peer-to-Peer Engagement zur Ver-fügung.

Bereitstellung und Moderation von Plattformen. Das Unternehmen stellt Kanälebereit, in denen jeder Mitarbeitende und auch die Kollaborationspartner ihr selbstproduziertes Material veröffentlichen können – vom Blogbeitrag über das Handy-foto mit Kurztext bis hin zum selbstgefilmten Statement im Photo/Video Booth.Allerdings kommt der Dialog auf den Plattformen nicht allein dadurch ins Rollen,dass sie bereitgestellt werden. In den ersten Monaten braucht es eine starke An-schubkommunikation und die persönliche Ansprache von potenziellen Autoren undMultiplikatoren sowie umfangreiche handwerkliche Hilfestellungen.

Kreativräume. Räume sind Medien – hier hat die Kommunikation ein neuesBetätigungsfeld. Das Umfeld ist bedeutsam für die Kreativität von Menschen.Dementsprechend entstehen im Zuge der digitalen Transformation in UnternehmenRäume, die kreative Prozesse fördern: „Orte der Begegnung, des zufälligen undinspirierenden Austauschs, aber auch Orte der Fokussierung und der Stimulation.“(Uebernickel et al. 2015, S. 219). Für die Arbeit mit externen Partnern werdenCo-Creation-Räume zur Verfügung gestellt. Beschreibbare Flächen ermöglichen esüberall, Ideen und Lösungen festzuhalten. Eine rigide Clean-Desk-Politik gehört derVergangenheit an. Die Möbel sind leicht und mit Rollen ausgestattet, so dass dieArbeitsräume flexibel gestaltet werden können. Es gibt überall große Räume fürKollaboration. Werkzeuge und Prototyping-Materialien, wie z. B. Pappe und Bau-steine, müssen schnell erreichbar sein. Dazu kommen Cafés und Pausenbereiche,Spielräume und möglichst auch Gyms.

Coaching von kommunikativen Design-Formaten: In den Phasen des Designpro-zesses werden Tools aus Meinungsforschung, Psychologie, Betriebswirtschaft, derIT-Programmentwicklung und anderen Bereichen eingesetzt. Viele der Tools kom-men aus Kommunikation und Marketing (vgl. Uebernickel et al. 2015, S. 96–191):In der Phase des Need-Finding z. B. die Definition von Zielgruppen und ihreBeschreibung als Personas, Fokusgruppen-Interviews und Beobachtung sowieMoodboards. Bei der Ideengenerierung neben den Kreativtechniken das Storytellingund Storywriting, das Bauen von Mock-ups, Skizzen und Scribbles, die Darstellungvon Konzepten als Comic und Video-Prototyping. In der Test-Phase das Usability

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Testing und Pecha Kucha-Präsentationen. Die Kommunikation ist hier in der Bereit-stellung und Implementierung gefragt, in kreativen Prozessen kann sie mit diesenTools auch die Moderation übernehmen. Und nicht zuletzt muss sie das neue Toolingmedial unterstützen und Foren des Austausches auch darüber zur Verfügung stellen.

Gamification.Mag das Thema auch noch so ernst sein: Der spielerische Umgangdamit und Wettkampf reduzieren die Risikowahrnehmung, stimulieren die Aneig-nung der Inhalte und steigern das Engagement. Ismail (2014, S. 79) markiert dreiErfolgsfaktoren für die Gamification. Dynamik: Neues Verhalten wird durch Szena-rien, das Regelwerk des Spiels und seine Levels stimuliert. Mechanik: Die Spielre-geln sorgen dafür, dass Ziele im Team leichter erreicht werden; es gibt Wettbewerbe,Preise und Feedback. Der Spielfortschritt wird über Herausforderungen (Quests), einPunktesystem, Spiellevels und Badges stimuliert – solche Elemente können zumSammelobjekt werden.

7 Medienportfolio der Veränderungskommunikation

Noch in den 1990er-Jahren war die Kommunikation durch analoge Medien wieBrief und Telefon dominiert, sie war orts- und zeitgebunden. Die Verfügbarkeitdigitaler Channels und Anwendungen hat die Kommunikation im Unternehmenund in seinem Umfeld stark ausgeweitet und beschleunigt: Multimedialität mit Chat,Videoübertragung und Screensharing ist heute Standard, ortsunabhängig und inEchtzeit. Die Zukunft der Kommunikation könnte durch VR/AR, Holografie undneuronalen Netze geprägt sein.

Das Internet und die Social Media haben die Erwartungen an die Schnelligkeitvon Kommunikation und Feedback erhöht. Wenn die Unternehmensleitung Be-schlüsse nicht kommuniziert oder an der Meinungsbildung nicht zeitnah teilnimmt,übernehmen dies andere per digitalem Flurfunk: in Blogs und Foren oder durchNachrichtenportale im Umfeld.

Mit der Erweiterung des verfügbaren Medienportfolios stellt sich die Frage, nachwelchen Kriterien die Auswahl und Zusammenstellung des Medienportfolios in derStakeholder Journey – der Abfolge der medialen Kontaktpunkte – erfolgen soll.Sicherlich spielen dabei Kriterien wie Verfügbarkeit für die Stakeholder und ihrePräferenzen, Frequenz und Aktualität sowie Kosten eine Rolle. EntscheidendesKriterium ist jedoch die Media Richness: Je vieldeutiger und damit unzuverlässigerübertragbar der zu übermittelnde Sachverhalt beziehungsweise die Kommunikati-onsaufgabe ist, desto reichhaltiger muss das gewählte Medium sein (vgl. Daft undLengel 1986, S. 560–562). Media Richness bezeichnet in diesem Zusammenhangdie Reichhaltigkeit eines Mediums in Bezug auf die Möglichkeit für unmittelbaresFeedback, Vielfalt der genutzten Kanäle (zum Beispiel Tonalität, Gestik, Mimik),Möglichkeit zur Personalisierung und sprachliche Varietät.

Medien von geringer Richness eignen sich für die Vermittlung von Sachinforma-tionen, Medien mit hoher Richness für mehrdeutige Interpretationsaufgaben, überdie sich die Beteiligten auf ein gemeinsames Verständnis der Situation einigen sollen– beispielsweise bei strategischen Entwicklungsaufgaben oder beim Abgleich von

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Interessen. Mit steigender Dialogintensität und Komplexität der Ziele steigen alsodie Anforderungen an die Media Richness der eingesetzten Medien – hier könnenWeb 2.0-Kanäle und -Instrumente ihre Stärken ausspielen (siehe Abb. 4, vgl. Li undBernoff 2008, S. 130–133; Tab. 1).

8 Anforderungen an Kommunikatoren: Teil des agilendigitalen Prozesses werden

In agilen Unternehmen wird die Kommunikation selbst zum Teil des Wertangebots.Ihre Funktion besteht nicht mehr nur darin, zu informieren und Akzeptanz zuschaffen. Kommunikatoren sind zunehmend in die agilen Prozesse eingebundenund erfüllen dort mit ihrer Spezialkompetenz Aufgaben im Entwicklungsprozess –im Projekt und aus dem Projekt heraus, nicht mehr nur als Berichterstatter über dieProjekte von anderen.

Dabei stellen Kommunikatoren nicht mehr nur Plattformen zur Verfügung, son-dern werden zum Tool-Master für die Formate des Design Thinkings und derkulturellen Transformation, wie z. B. Storytelling und Rollenspiele, Lego SeriousPlay und neue Kreativ-Räume.

Die agile Transformation lässt auch in der Kommunikation die großen Manage-mentsysteme und Prozesslösungen obsolet erscheinen. Planung und Kontrolle funk-tioniert nicht mehr, anti-operative Systeme ersetzen die traditionelle Organisation.Mitarbeitende, die zu autonomen Handeln ermutigt sind, machen, was sie wollen:Sie benutzen aufgabenbezogen kleinere Tools und Messenger und entziehen sich sodem integrierten digitalen Arbeitsplatz, wie ihn die IT für sie bereitstellen möchte.

Abb. 4 Media Richness, Dialogintensität und Funktion von Medien in der Kommunikation(Beispiel)

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Tab. 1 Kanäle und Instrumente der internen Kommunikation

Kanäle(Channels) Instrumente (Applications) Merkmale/Nutzen

Intranet; Portal/Hub

Zentrale News; Verlinkungen;Landingpages, Absprungpunkte

• Plattform bündelt Web 1.0-Channels• Zentrale Stelle für (projektbezogene)Information der Mitarbeitenden undFührungskräfte

Social Intranet;DigitalWorkplace

Individualisierte News;RSS-Feed; Social Bookmarking;Tags/Filter; Mashup

• Plattform bündelt Web 2.0-Channels• Zentrale Stelle für Zusammenarbeitder Mitarbeitenden undFührungskräfte

Social Network(intern)

Social News: Diskussion/Kommentar; persönlicheNachrichten; Verlinkungen; Tags

• Vernetzung unter Kollegen• Information/Austausch überpersönliche Profile und Nachrichten,Social News, Status-Updates

App (intern) News; Chat; M2M/MMI • Vernetzung unter Kollegen (Mensch-zu-Mensch)• Vernetzung mit Business-Anwendungen (Mensch-Maschine-Interaktion)• Information/Austausch überpersönliche Profile und Nachrichten,Social News, Status-Updates

Corporate/Executive Blog

News/Report; Trackback;RSS-Feed; Verlinkung;Diskussion/Kommentar

• Authentische, direkte undpersönliche Information•Herstellung von Nähe, Eröffnung vonDialogmöglichkeiten überKommentarfunktion

Microblog(„InternesTwitter“)

Tweets; Diskussion; Verlinkung;Bild; Video; Hashtag

• Schnelle, prägnante Kommunikationüber Kurznachrichten• Weiterführende Informationen überVerlinkungen

Media Center/Streaming-Portal

Video/Bild/Podcast/Vodcast;RSS-Feed; Tags/Filter; Mashup

• Plattform für die Bündelung und dasStreamen von Bewegtbild, Fotos,Podcasts und anderenHintergrundmaterialien• Downloadzahlen, Bewertungen alsErfolgskontrolle für die eingesetztenChannels und Multimediainhalte

Webkonferenzen Diskussion; Verlinkung; Bild;Video

• Kommunikation undZusammenarbeit in Echtzeit• Pragmatische Alternative zu E-Mailund Telefonkonferenzen mit höhererMedia Richness

Team-/Projektblog

Ablage Dokumente;Resourcenplanung; News/Report;Tag; RSS-Feed; Verlinkung

• Wissensmanagement undZusammenarbeit im Team;gemeinsame Bereitstellung vonInformationen und Materialien zumProjekt• Chronologische DokumentationProjektstand

(Fortsetzung)

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Im Kommunikationsmanagement bieten sich Support-Tools aus der Scrum- undKanban-Tradition an. Die Tools müssen digital, echtzeitig und von überall zugäng-lich sein – der Newsroom als Handlungsmodell einer journalistischen Tradition, diegerade untergeht, wird nicht der Raum sein, um die digitale Transformation in derKommunikation zu vollziehen.

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Tab. 1 (Fortsetzung)

Kanäle(Channels) Instrumente (Applications) Merkmale/Nutzen

Forum Diskussion/Kommentar/Bewertung; RSS-Feed

• Förderung von Austausch,Zusammenarbeit und Aufbau vonBeziehungen unter Mitarbeitenden• Identifikation von SMEs (SubjectMatter Experts)

Corporate Wiki Archiv; News/Report; Tags/Filter;Suche; Tag Cloud; Verlinkung

• Effiziente (Selbst-)Organisation vonWissen: Wissenspool zuUnternehmens- und Projektthemen,der von Mitarbeitenden bearbeitet undergänzt werden kann• Simultanes Editieren von Texten,Dokumenten und Präsentationen ohneVersionsabgleich

Q&A-Community

Kommentar; Bewertung; Tag;Archiv

• Interaktive, themenbezogene Q&A-Plattform: Mitarbeitende stellenFragen, (Top-)Management antwortet– Antworten sind für alleMitarbeitenden sichtbar

PredictionMarket

Diskussion/KommentarBewertung; Verlinkung

• Aggregiertes Meinungsbild durchOnline-Prognosebörse: Mitarbeitende„setzen“ auf Produkte, Trends,Entwicklungen im Markt• Incentivierung sichert Teilnahme/präzise Prognosen

Jam Diskussion/KommentarBewertung; Verlinkung

• Moderiertes, zeitlich begrenztesOnline-Event zur Entwicklung,Diskussion und Bewertung neuerIdeen• Gezielte, themenspezifische Nutzungvon kollektiver Intelligenz(Crowdsourcing)

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