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Verstehender Umgang mit dementen alten Menschen Semesterarbeit im Rahmen der Interdisziplinären Weiterbildung für Führungsaufgaben der mittleren Führungsebene vorgelegt von DGKS Gudrun Brauneis [email protected] Graz, Juni 2004

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Verstehender Umgang mit

dementen alten Menschen

Semesterarbeit im Rahmen der

Interdisziplinären Weiterbildung

für Führungsaufgaben der mittleren Führungsebene

vorgelegt von

DGKS Gudrun Brauneis [email protected]

Graz, Juni 2004

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Ich sehe in Dein Gesicht

Ich sehe in Dein Gesicht – sehe die Starre

und Ausdruckslosigkeit Deines Blickes, die zur Maske

verzerrten Gesichtszüge,

die Hände, die mich abwehren oder sich schutzbedürftig mir entgegenstrecken.

Ich höre Deine unartikulierten Worte

und Dein unmotiviertes Lachen oder Greinen.

Ich denke –

was war es und was ist es für eine Mensch?

Du warst einmal schön, durch Deine fratzenhafte Grimasse

kann ich Dein schönes Gesicht sehen.

Du hast Hände, die verraten, dass du zupacken und streicheln kannst.

Du willst Dich mit mir unterhalten,

ich verstehe Deine Worte nicht, aber ich verstehe Dich.

Du bist ein Mensch,

der meine Achtung verdient, denn Du hast viel

in Deinem Leben geleistet.

Du bist ein Mensch, der meine Aufmerksamkeit und Zuwendung verdient,

denn Du bist hilflos und schwach.

Du bist ein Mensch, der mich lehrt, wie wandelbar

ein Lebensweg sein kann.

Auch morgen schon kann ich so abhängig von der Fürsorge anderer Menschen

und hilflos sein wie Du.

(Ingrid Popp, 1998)

DGKS Gudrun Brauneis 2

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Vorwort

Bei der Ausübung meines Berufes als Diplomkrankenschwester in einem Altenpflegeheim ist

mir aufgefallen, dass nicht nur die Angehörigen, sondern auch das Pflegepersonal besonders

im Umgang mit dementen hochbetagten Menschen ständig an ihre Grenzen stoßen. Dabei ist

es oft vor allem die schwindende Sprachfähigkeit der alten Menschen, die auch bei den

Gesunden große Betroffenheit und Verunsicherung auslöst. Daher habe ich mich im Rahmen

meiner Semesterarbeit mit der Frage auseinandergesetzt, wie man Pflegepersonal und Ange-

hörigen die Ursachen von Verständigungsproblemen erklären und alternative Umgangs-

formen anbieten könnte.

Auf Ursachen und Verlauf von seniler Demenz in ihren verschiedenen Ausprägungen

wird hier nur sehr allgemein eingegangen. Im Zentrum meiner Arbeit stehen vielmehr die

Grundlagen der Kommunikation bzw. Voraussetzungen und Möglichkeiten der Kommuni-

kation mit dementen Personen, die zum Glück nicht allein auf die sprachliche Dimension

angewiesen ist. Zunehmende Defizite im verbalen Bereich können nämlich durch verstärkten

Rückgriff auf die nonverbale Ebene zumindest teilweise ausgeglichen werden. Anhand

verschiedener Modelle des wertschätzenden Umgangs mit dementen Personen sollen schließ-

lich Verhaltensregeln aufgezeigt werden, die den beteiligten Pflege- und Bezugspersonen die

Tore zu einem konfliktärmeren Zusammenleben mit den Klienten eröffnen. Damit wäre vor

allem auch den an Demenz erkrankten Menschen geholfen, die durch ihre entsprechend

geschulten Bezugspersonen mehr Wertschätzung und damit Lebensqualität erfahren dürften.

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Inhaltsverzeichnis

1 EINLEITUNG 5

2 DIAGNOSE DEMENZ

2.1 Definition und Diagnose

2.2 Formen und Ursachen demenzieller Erkrankungen

2.3 Symptome der Demenz

2.4 Stadien im Krankheitsverlauf

2.5 Therapiemöglichkeiten

6

6

6

7

7

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3 PFLEGE DEMENTER PERSONEN

3.1 Grundbedürfnisse

3.2 Befindlichkeiten der Patienten

3.3 Psychische Bedürfnisse von Menschen mit Demenz

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10

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4 KOMMUNIKATION

4.1 Methoden der Kommunikation mit dementen Personen

4.1.1 Klientenzentrierte Gesprächsführung 4.1.2 Validation 4.1.3 Integrative Validation 4.1.4 Emotionale Kommunikation

4.2 Allgemeine Grundsätze im Umgang mit dementen Personen

4.3 Grundregeln der Emotionalen Kommunikation

4.4 Grundregeln der verbalen Kommunikation mit dementen Personen

4.5 Praktische Fallbeispiele

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16

16171818

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19

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21

5 ZUSAMMENFASSUNG 23

6 LITERATURVERZEICHNIS

6.1 Gedruckte Publikationen

6.2 Vorträge

6.3 Dokumente aus dem Internet

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24

24

24

7 ABBILDUNGSVERZEICHNIS 25

8 ERKLÄRUNG 26

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1 Einleitung

Etwa 5 % der Bevölkerung sind von einer Demenz betroffen. Sieht man sich die statistische

Verteilung an, stellt man fest, dass die Erkrankung erst ab der zweiten Lebenshälfte ins Ge-

wicht fällt, dann aber mit steigendem Alter an Häufigkeit drastisch zunimmt. Beträgt die Rate

der Demenz-Erkrankungen in der Altersgruppe der 65- bis 69-jährigen 2,4 bis 5,1 %, so liegt

sie bei den um zehn Jahre Älteren bereits bei 10 bis 12 % und bei den über 80-jährigen ist

etwa jeder Vierte betroffen. Schließt man hier leichtere Demenzen mit ein, müssten diese

Zahlen ungefähr doppelt so hoch veranschlagt werden.

Dass Frauen mit 70 % deutlich überrepräsentiert sind, geht vor allem auf ihre höhere

Lebenserwartung zurück. Bis zu einem Alter von 75 Jahren erkranken nämlich Männer

häufiger. Beim weiblichen Geschlecht überwiegt die Demenz vom Alzheimer-Typ, beim

männlichen werden mehr vaskuläre Demenzen (Gefäßkrankheiten) und Mischformen be-

obachtet (vgl. Faust 2000, S. 57). (Faust bezieht sich auf eine statistische Untersuchung in

Deutschland aus dem Jahr 1996, die aber auch auf österreichische Verhältnisse übertragbar

sein dürfte.)

Die gesellschaftspolitischen Auswirkungen sind enorm, wie eine Betrachtung der kon-

kreten Zahlen zeigt: Laut besagter Studie sollen 1996 in Deutschland etwa 850 000 Menschen

von einer Demenz betroffen gewesen sein, wobei wie gesagt nur die mittelschweren und

schweren Erkrankungsfälle in die Statistik eingegangen sind. Unter Einbeziehung auch der

leichteren Stadien schätzte man damals eine Zahl von 1,2 bis 1,5 Millionen, wobei die Kosten

für Behandlung und Pflege gigantische Ausmaße anzunehmen begannen.

Die Tendenz ist steigend: Nicht nur aufgrund der höheren Lebenserwartung, sondern

auch aufgrund der sinkenden Geburtenraten wird sich laut Meinung mancher Experten in den

nächsten Jahrzehnten der statistische Anteil der Demenz-Kranken an der Gesamtbevölkerung

fast verdoppeln. Es liegt auf der Hand, dass dieser Umstand im Bereich der Betreuung und

Pflege alter Menschen zunehmend an Gewicht gewinnen wird. Daher ist es an der Zeit, sich

mit diesem gesundheits- und gesellschaftspolitischen Thema gründlich auseinanderzusetzen

und geeignete Maßnahmen zu dessen Bewältigung zu entwickeln.

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2 Diagnose Demenz

Ehe wir zum eigentlichen Thema dieser Arbeit kommen, dem Umgang mit betagten dementen

Personen, soll ein knapper Überblick über die schulmedizinische Sicht auf diese Krankheit

(Diagnose, Ursachen, Symptome, Krankheitsverlauf und Behandlungsmöglichkeiten) gegeben

werden.

2.1 Definition und Diagnose

Der Begriff Demenz leitet sich aus lat. de- 'ab, weg' und mens 'Geist, Verstand' ab. Als

Demenz bezeichnet man

"das Nachlassen des Gedächtnisses und anderer kognitiver Funktionen im Vergleich zu früheren Funktionsniveaus des Patienten, bestimmt durch eine Anamnese nachlassender Leistung und durch Anomalien, die anhand klinischer Untersuchung und neuropsycho-logischer Tests festgestellt werden." (Kitwood 2004, S. 42)

Ähnlich beschreibt die WHO die Demenz als

"eine erworbene globale Beeinträchtigung der höheren Hirnfunktion einschließlich des Gedächtnisses, der Fähigkeit, Alltagsprobleme zu lösen, sensomotorischer und sozialer Fertigkeiten der Sprache und Kommunikation, sowie der Kontrolle emotionaler Reak-tionen, ohne Bewusstseinsstörung. Meist ist der Verlauf progredient (fortschreitend), nicht notwendigerweise irreversibel." (Popp 2003, S. 13)

Aus diesem Grund ist es wichtig, bei Verdachtsfällen eine gründliche Anamnese zu ver-

anlassen: Die Diagnose 'Demenz' selbst beruht auf der Beurteilung des Verhaltens der er-

krankten Person – dies geschieht z.B. mittels der standardisierten Befragung der Angehörigen

(Fragebogen Nurses Observation Scale for Geriatric Patients = NOSGER) oder des Minimal-

Mental-Status-Tests (MMST). Um jedoch die Demenzform zu bestimmen, müssen alle zur

Verfügung stehenden apparativen diagnostischen Verfahren wie Gehirn-Scan, EEG, Labor-

untersuchungen etc. eingesetzt werden. Nur so lassen sich die entsprechenden Grunderkran-

kungen feststellen, durch deren Behandlung die Demenz positiv beeinflusst werden kann,

bzw. demenzähnliche Zustände, wie sie im Fall von Depressionen auftreten, ausschließen

(vgl. Popp 2003, S. 15-21).

2.2 Formen und Ursachen demenzieller Erkrankungen

Man unterscheidet primäre bzw. primär degenerative Demenzen, in erster Linie vertreten

durch Demenz vom Alzheimer-Typ (DAT) und Multi-Infarkt-Demenzen (MID), und sekun-

däre Demenzen, die als Folgeerscheinung anderer Grundkrankheiten auftreten, wie z.B. Par-

kinson-Krankheit, Tumoren und andere raumfordernde Prozesse (Hirntumoren, Metastasen),

Kopfverletzungen, Autoimmunkrankheiten (z.B. Multiple Sklerose oder systemischer Lupus

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erythematodes), Entzündliche Krankheiten (AIDS mit Befall des Nervensystems, Tbc, Toxo-

plasmose u.a.) sowie weitere Krankheitsursachen (Erkrankungen von Blutbild, Leber, Nieren,

Schilddrüse, Nebenschilddrüsen, ferner Vitamin- und Folsäuremangel, chronische Vergif-

tungen durch Alkohol, Drogen, Medikamente, Metalle, Lösungsmittel u.a. Nur die zuletzt

genannten Demenzformen sind teilweise rückbildungsfähig, wenn die auslösende Krankheit

erfolgreich behandelt werden konnte (vgl. Popp 2003, S. 21-27).

2.3 Symptome der Demenz

Die wichtigsten Hinweise auf das Vorliegen einer demenziellen Erkrankung sind der

Nachweis einer Abnahme des Gedächtnisses und des Denkvermögens sowie Störungen im

emotionalen Bereich.

• Die Beeinträchtigung des Gedächtnisses zeigt sich besonders im Bereich der Auf-nahme und Wiedergabe von neuen Informationen. Die in vergangenen Jahren er-lernten bzw. seit langem vertrauten Inhalte sind zunächst noch verfügbar.

• Die Störungen des Denkvermögens zeigen sich in der Einschränkung der Fähigkeit zum vernünftigen Urteilen, in der Störung der Orientierung, der Auffassungsgabe, der Verminderung des Ideenreichtums und der Beeinträchtigung der Informationsver-arbeitung. Dies zeigt sich u.a. auch in Sprachstörungen.

• Die Störungen im emotionalen Bereich äußern sich vorwiegend im Sozialverhalten und in einer Störung der Motivation. Auch Wesensveränderungen sind in fortge-schrittenen Stadien nicht selten. (Vgl. Popp 2003, S. 13f.)

2.4 Stadien im Krankheitsverlauf

Im Verlauf der Erkrankung unterscheidet man mehrere Stadien, die durch zunehmende

Probleme und Schwierigkeiten gekennzeichnet sind:

• Erstes Stadium: leichtgradige, meist kaum bemerkte Symptome, die 'lediglich' zu einer Beeinträchtigung komplexer Tätigkeiten im täglichen Leben führen können. Beispiele: Kurzzeitgedächtnis beeinträchtigt (der Betroffene wiederholt Sätze oder Tätigkeiten, die er gerade zuvor gesagt oder getan hat). Wortfindungs-Störungen und mangelhafte Präzision des Ausdrucks. Nachlassen des Denkvermögens, vor allem beim Schlussfolgern und Urteilen. Erste örtliche Orientierungsstörungen, z.B. Zu-rechtfinden in nichtvertrauter Umgebung. Zunehmende Passivität, wenn nicht gar Un-tätigkeit. Beginnende Störungen der zeitlichen Orientierung (Datum und Uhrzeit). – In diesem frühen Demenzstadium fehlt es dem Patienten an Krankheitseinsicht, obwohl er seine Leistungsdefizite durchaus bewusst wahrnimmt. Aber aufgrund der Irritation, Beschämung, Angst, Wut oder Niedergeschlagenheit konsultiert er vorerst nicht den

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Arzt. Daher erfolgt eine diagnostische Abklärung bzw. die Einleitung therapeutischer Maßnahmen in der Regel erst, wenn sich ernstere Einbußen häufen.

• Zweites Stadium: Beschwerdebild so ausgeprägt, dass eine selbstständige Lebens-führung nur noch mit erheblichen Einschränkungen möglich ist, in der Regel mit Unterstützung durch andere. Beispiele: wachsende Gedächtnisstörungen, z.B. Ver-gessen der Namen selbst vertrauter Personen. Schwierigkeiten beim Ankleiden, im Bad, bei Mahlzeiten, auf der Toilette etc. Örtliche Orientierung deutlich beeinträchtigt, sogar in der eigenen Wohnung. Außerhalb des Hauses Gefahr des Verirrens und Um-herirrens. Erstmals Sinnestäuschungen (Sehen, Hören, Riechen, Schmecken) oder illusionäre Verkennungen realer Objekte. Zunehmende Unruhe, zielloses Umher-wandern, Aus-der-Wohnung-Drängen. Neben der rastlosen Umtriebigkeit aber auch gelegentlich völlige Untätigkeit. Verlorenes Zeitgefühl (Vergangenheit und Gegenwart sind nicht mehr unterscheidbar). – In diesem Stadium beginnt das Krankheits-Be-wusstsein zu verblassen. Vielleicht als Schutz vor der ernüchternden bis deprimie-renden Selbsterkenntnis wachsender psychosozialer Defizite orientiert sich das Selbst-wertgefühl des Demenzkranken an zurückliegenden, besseren Zeiten. Dadurch kann sich der Patient sogar als besonders gesund, vital, dynamisch und erfolgreich ein-schätzen.

• Drittes Stadium: selbstständige Lebensfähigkeit aufgehoben, vollständige Abhängig-keit von Angehörigen oder anderen Bezugspersonen. Die Sprache reduziert sich auf wenige Wörter, das Gedächtnis kann keine neuen Informationen mehr speichern. Selbst nahe Angehörige werden immer öfter nicht mehr erkannt oder verkannt. Beispiele: Probleme beim Essen, selbst mit Hilfe. Unfähigkeit, Familienmitglieder zu erkennen. Vornübergebeugte Haltung, Gang kleinschrittig und schleppend. Sturzge-fahr. Kontrollverlust über Blase und Darm. Gefahr von Krampfanfällen, Schluckstö-rungen etc. Verfall der körperlichen Kräfte, bettlägerig, Infektionsgefahr (häufige Todesursache: Lungenentzündung). – Auch wenn im Endstadium die Sprache ihre verbindende Kraft verliert, bleibt der Patient nach wie vor für Gefühlsäußerungen empfänglich. Da er aber sprachlich von der Umwelt abgeschnitten ist, verstummt er aus Scham und Resignation. (Vgl. Faust, 2000, S. 78f. und Faust, Alzheimer-Pflege, www.psychosoziale-gesundheit.net/pdf/faust1_alzheimerpflege.pdf)

2.5 Therapiemöglichkeiten

Da Demenzerkrankungen im Grunde progrediente und z.T. irreversible Verläufe zeigen, kann

das Therapieziel nicht in der Heilung bestehen. Eine Beseitigung der Ursachen ist bei der

Demenz vom Alzheimer-Typ bisher überhaupt nicht und bei der vaskulären Demenz nur

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begrenzt möglich. Was aber erreichbar ist und unbedingt versucht werden muss, ist eine Ver-

besserung der Symptomatik durch verschiedene Maßnahmen.

An Therapiemöglichkeiten stehen zur Verfügung:

1) Medikamentöse Behandlung bestehender Grunderkrankungen einschließlich der Verbes-

serung der Gehirndurchblutung durch Nootropika und Psychopharmaka.

2) Nichtmedikamentöse Behandlung: Hierunter fallen sämtliche Maßnahmen für ein um-

fangreiches "kognitives und Alltagskompetenztraining" (Rainer/Krüger-Rainer 2003, S. 227).

Diese bestehen insbesondere in

• Maßnahmen zur klaren Strukturierung des Tagesablaufs

• Milieutherapie

• Förderung des Wahrnehmungsvermögens (z.B. durch Basale Stimulation)

• Realitätsorientierungstraining (ROT)

• Gedächtnistraining

• Biografiearbeit (Stärkung des Erinnerungsvermögens)

• Psychosozialem Training (integrative Betreuung)

• Physiotherapie

• Ergotherapie

• Klientenzentrierter Gesprächsführung

• Validation

Im Pflegealltag kommt einer demenz-gerechten Gestaltung des Kommunikations- und Betreu-

ungsprozesses besonderer Stellenwert zu: Da es laut Paul Watzlawik unmöglich ist, im Um-

gang miteinander 'nicht zu kommunizieren', liegt in jeder noch so geringen pflegerischen

Handlung ein enormes Potenzial verborgen, sei es im verbalen oder im nonverbalen Bereich.

Noch dazu handelt es sich um Maßnahmen, die ohne zusätzlichen Aufwand an Zeit und

Ressourcen von den Pflege- resp. Bezugspersonen durchgeführt werden können. Allerdings

ist es nötig, Pflegepersonal wie auch Angehörige mit gewissem Basiswissen über die

Kommunikation mit dementen Personen zu versorgen. (Vgl. Popp 2003, S. 27-29.)

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3 Pflege dementer Personen

Die Notwendigkeit zur Aufnahme in ein Pflegeheim ergibt sich zu dem Zeitpunkt, wo der

Patient in seiner vertrauten Umgebung nicht mehr allein zurecht kommt. Das ist im mittleren

bis Endstadium einer Demenzerkrankung der Fall. Da Demenzkranke bekanntermaßen mit

der Verarbeitung neuer Informationen Schwierigkeiten haben, ergeben sich aus diesem Um-

gebungswechsel zwangsläufig Probleme:

Ein Mensch, der ohnehin Orientierungsprobleme hat, wird plötzlich aus der vertrauten

Umgebung gerissen und in ein Umfeld gezwungen, das für seine besonderen Bedürfnissen

nicht maßgeschneidert ist, sondern umgekehrt von ihm Anpassung verlangt. Die fehlende

Einsicht für die Notwendigkeit dieser Maßnahme führt zu ablehnender Haltung gegenüber

seiner neuen Umgebung und den neuen Bezugspersonen. Die Ohnmacht, sich dagegen zu

wehren, ruft verschiedene Reaktionen hervor, die von Resignation bis hin zu Aggression

reichen. Die Eingewöhnungsphase erfordert daher einen besonders behutsamen und einfühl-

samen Umgang, um das Vertrauen des Klienten zu gewinnen. Dabei gilt es auf die indivi-

duellen Wünsche und Bedürfnisse des neuen Heimbewohners einzugehen.

3.1 Grundbedürfnisse

Die Bedürfnisse von Menschen lassen sich nach Abraham Maslow generell in einer 5-stufigen

Pyramide anschaulich in Form einer Hierarchie darstellen. Er geht davon aus, dass die Be-

friedigung der Bedürfnisse der jeweils tieferen Ebene erfolgt sein muss, bevor die Motivation

zur Befriedigung von Bedürfnissen der nächsthöheren Ebene verspürt wird. Diese hierar-

chische Reihung der Bedürfnisse gilt für Demenzkranke nur mit Einschränkungen (s. unten

3.3).

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Physio

Sich

Soz

BeW

w

Ebene V

Abb. 1: Maslowsche Bedürfn

3.2 Befindlichkeiten der Pa

Das Beschwerdebild Demenzkrank

Störungen, die hinsichtlich Ausma

rungen im Gehirn, sondern auch

bildungsniveau, von den Lebensum

zungsmöglichkeiten der Umgebung

Kognitive Störungen:

• Die Abnahme der Gedäcknüpfung neuer Informationerung an lange zuvor Erfa

• Zu einem Verlust der OrPersonen nicht mehr erkankönnen. Damit geht auch ei

• Abnahme der Urteilsfähigmehr zwischen verschiedennen und lösen. Logische Üb

• Störung des Wahrnehmestark abgeschwächt und löund Gegenstände werden n

DGKS Gudrun Brauneis

Selbstver-irklichungs-bedürfnisse

logische Bedürfnisse

erheitsbedürfnisse

iale Bedürfnisse

dürfnisse nach ertschätzung

Ebene IV

Ebene III

Ebene II

Ebene I

ispyramide (Quelle: Gordon 1998, S. 35)

tienten

er umfasst eine Reihe von kognitiven und nicht kognitiven

ß und Häufigkeit nicht nur von der Schwere der Verände-

von der individuellen Persönlichkeitsstruktur, vom Aus-

ständen, der körperlichen Verfassung und den Unterstüt-

abhängen.

htnisleistung betrifft vor allem die Speicherung und Ver-nen: Das Kurzzeitgedächtnis versagt, während die Erin-

hrenes und Gelerntes weniger deutlich beeinträchtigt ist.

ientierung kommt es, wenn Orte nicht mehr identifiziert, nt und Situationen nicht mehr richtig eingeschätzt werden n Verlust des Zeitgefühls einher.

keit und des Denkvermögens: Der Betroffene kann nicht en Entscheidungsmöglichkeiten abwägen, Probleme erken-erlegungen können nicht mehr angestellt werden.

ns und Erkennens: Die normalen Sinnesreize erscheinen sen keine adäquate Reaktion mehr aus; vertraute Personen icht mehr erkannt.

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• Störungen der Bewegung, Handhabung und der Routine rufen Handlungsstöru-ngen hervor, d.h., der Betroffene kann Aktivitäten des täglichen Lebens (Ankleiden, Essen, Körperpflege etc.) nicht mehr ohne fremde Hilfe ausführen.

• Störung der Konzentrationsfähigkeit: Durch rasche Ermüdbarkeit bis hin zur völ-ligen Kraftlosigkeit ist der Patient nicht mehr in der Lage, Ziele zu realisieren. Im Bereich der Sprache äußert sich das besonders krass durch einen zunehmenden Verfall der verbalen Kommunikationsfähigkeit.

• Störung der räumlichen Leistung äußert sich in abnehmender Fähigkeit der Be-wegungskoordination.

Nicht kognitive Störungen:

• Verminderung der Affektkontrolle: Der Patient ist nicht mehr in der Lage, seine Gefühle zu beherrschen. Daraus resultieren rasche Schwankungen der Stimmungslage und vormals persönlichkeitsuntypische Eigenschaften wie Reizbarkeit, Rührseligkeit etc.

• Verminderung des Antriebs äußert sich als 'Aspontaneität' und kann bis zur Teil-nahmslosigkeit gehen.

• Störungen des Sozialverhaltens zeigen sich insbesondere in persönlichkeitsfremder Taktlosigkeit, Verletzung sittlicher Normen, mangelnder Rücksichtnahme, aber auch durch vermehrte Anhänglichkeit ('Klammern').

Da der Erkrankte zumindest in den Anfangsstadien die schleichenden Veränderungen an sich

sehr wohl wahrnimmt, ist es begreiflich, dass er darüber in zunehmendem Maß negative Ge-

fühle wie Beunruhigung, Scham, Zorn bis hin zu Verzweiflung empfindet. Dies führt zu

Reaktionen des Nicht-wahrhaben-Wollens (Verleugnens, Projektion der Fehlleistungen auf

andere Personen oder äußere Umstände), Rückzug und Selbstisolation, Miss-Stimmung,

Reizbarkeit, Aggressivität etc. Die meisten dieser unangenehmen Emotionen oder überschie-

ßenden Affekthandlungen resultieren aus einem Konflikt zwischen dem, was der Patient

überblicken kann, und den realen Verhältnissen, die er einfach nicht mehr zu erfassen vermag.

Er ist also dauernd überfordert, irritiert und fürchtet um seine Würde oder er fühlt sich durch

irgendeine Bemerkung, Handlung oder Situation bevormundet, gedemütigt, beeinträchtigt –

und setzt sich zur Wehr. Besonders schmerzlich erfährt er den "Verlust des Wissens um das

eigene Selbst, wenn Fakten der Biographie, das Bewusstsein von Fähigkeiten, Schwächen und

Empfindsamkeiten der eigenen Person immer unzuverlässiger zur Verfügung stehen und die

Umrisse der Identität sich allmählich auflösen." (Weidenfelder 2004, S. 55). Da jedoch die

Fähigkeit des Denkens untrennbar mit der Sprache verknüpft ist, stellt der schrittweise Ver-

lust der Sprachfähigkeit für den Betroffenen selbst wie für seine Umwelt den markantesten

Gradmesser für den Verlust seiner geistigen Fähigkeiten dar. Während es sich anfangs nur um

Wortfindungsstörungen handelt, steigert sich der Mangel im späteren Verlauf bis zum Verlust

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des sprachlichen Ausdrucksvermögens und droht den Erkrankten in die Resignation und

schließlich in die völlige Isolation zu treiben.

Abb

Wie der Betrof

Persönlichkeits

unterscheidet 6

• Der Abnen Bei

• der Un'alles im

• ein Klidazu, se

• der ZwVerlust

• der Hys

• der (ehbezogen

DGKS Gudrun

. 2: Gefühlslandschaft eines Demenzkranken (Quelle: Weidenfelder 2004, S. 121)

fene auf seine Befindlichkeitsstörungen reagiert, hängt unmittelbar mit seinem

typ zusammen, den er in seinem früheren Leben entwickelt hat. Kitwood

Haupttypen der Persönlichkeit:

hängige akzeptiert Hilfe bereitwillig, steht mitunter nur widerwillig auf eige-nen und ergreift kaum von sich aus die Initiative,

abhängige weigert sich, seine Einschränkungen anzuerkennen und glaubt, Griff' zu haben,

ent mit paranoiden Tendenzen zeichnet sich durch Misstrauen aus und neigt ine Bezugspersonen ständig anzuklagen,

anghafte ist von Selbstzweifeln besessen und fürchtet nichts mehr als den der Ordnung und Kontrolle,

terische kann sehr fordernd und aufmerksamkeitheischend sein,

er selten vertretene) psychopathische Typ neigt zu Impulsivität und Ich-heit (Egozentrismus). (Vgl. Kitwood 2004, S. 109.)

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3.3 Psychische Bedürfnisse von Menschen mit Demenz

Die Befriedigung der physiologischen Bedürfnisse (Nahrung, Kleidung, Körperpflege) der

untersten Ebene steht in jeder Form von Pflege außer Frage. Nach deren Befriedigung spielt

bei Demenzkranken das Bedürfnis nach Sicherheit eine enorm wichtige Rolle, gerade weil

diese durch den zunehmenden Verlust ihrer geistigen und körperlichen Fähigkeiten ohnehin

stark verunsichert sind. Besonders auffällig ist jedoch das außerordentlich große Bedürfnis

nach Zuwendung und Wertschätzung, das bei Dementen zu beobachten ist. Man kann also

festhalten, dass bei Demenzkranken die hierarchischen Ebenen der Maslowschen Bedürf-

nispyramide verschwimmen.

Kitwood weist darauf hin, dass "Menschen mit Demenz oft ein unverhülltes und

beinahe kindliches Verlangen nach Liebe zeigen" ('Liebe' nach Gray-Davidson verstanden als

'eine großzügige, verzeihende und bedingungslose Annahme, ein emotionales Geben von

ganzem Herzen, ohne die Erwartung einer direkten Belohnung'; vgl. Kitwood 2004, S. 121).

Er stellt die Gesamtheit der psychischen Bedürfnisse von Menschen mit Demenz als fünf

große, einander überschneidende Bedürfnisse dar, die sich im zentralen Bedürfnis nach Liebe

vereinen.

Abb. 3: Die wi

DGKS Gudru

chtigsten psychischen Bedürfnisse von Menschen mit Demenz (Quelle: Kitwood 2004, S. 122)

n Brauneis 14

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• Das Bedürfnis nach Trost spielt bei Dementen eine große Rolle, da diese ja den Ver-lust von Fähigkeiten bewältigen müssen.

• Soziale Bindung ist eng verknüpft mit dem Urbedürfnis nach Sicherheit, dies umso mehr, als sich der Betroffene durch das von ihm nicht beeinflussbare Geschehen verunsichert und bedroht fühlt.

• Einbeziehung: Für demente Menschen ist es ein besonderes Bedürfnis, als jemand anerkannt zu werden, der einen bestimmten Platz im gemeinsamen Leben einer Gruppe hat.

• Beschäftigung bedeutet für den Dementen, in den Lebensprozess eingebunden zu sein. Die aktive Beteiligung am Leben der Gruppe hilft ihm, dass seine Selbstachtung aufrechterhalten wird.

• Seine Identität zu bewahren, ist gerade angesichts der schwindenden kognitiven Fähigkeiten besonders wichtig für den Betroffenen. Sie zu erhalten, stellt eine zentrale Aufgabe der Demenzpflege dar.

Die Erfüllung eines dieser Bedürfnisse wird stets bis zu einem gewissen Grad auch die

Erfüllung der anderen Bedürfnisse beinhalten. Daher sollte in der Pflege und Begleitung

dementer Personen besonderes Augenmerk auf die psychischen Bedürfnisse gerichtet werden.

(Vgl. Kitwood 2004, S. 123-125.)

4 Kommunikation

Im Umgang mit dementen Personen stellen Defizite im kommunikativen Bereich das zentrale

Problem dar. Verständigungsschwierigkeiten resultieren nicht nur aus der abnehmenden Fä-

higkeit sich zu artikulieren (Ausdrucksvermögen), sondern auch aus mangelndem Sprach-

verständnis des Patienten.

Kommunikation ereignet sich jedoch nicht nur auf der rein verbalen Ebene, sondern

findet auch auf einer paraverbalen (sprachbegleitenden) Ebene (Tonfall, Lautstärke, Sprech-

geschwindigkeit etc.) statt, und nicht zuletzt funktioniert menschliche Verständigung auch auf

einer nonverbalen Ebene durch Mimik (Gesichtsausdruck) und Gesten (Körpersprache,

Umarmung, Drohgebärde etc.). Im direkten Kontakt findet Kommunikation auf allen drei

Ebenen gleichzeitig statt – in diesem Umstand liegt ein wichtiges Potenzial, das zur Ver-

besserung der Gesprächsführung zwischen Betreuungsperson und Klienten herangezogen

werden kann! Das bedeutet nämlich, dass menschliche Kommunikation nicht allein auf den

Gehörsinn angewiesen ist, sondern auch die anderen Sinne einbezieht und entsprechend

nützen sollte: den Sehsinn (Ablesen der Worte von den Lippen, Wahrnehmung der Gestik und

Mimik), Tastsinn (Wahrnehmung von Berührung), im weiteren Sinn sogar Geruchssinn und

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Geschmackssinn (zur Wahrnehmung von Geruch und Geschmack dargebotener Speisen,

Kosmetika etc.).

"Kommunikation ist die Brücke vom Ich zum Du" (Marina Kojer in einem Vortrag über

Palliative Geriatrie in Graz am 10.3.2004). Für den Erkrankten ist sie die Verbindung zur

Außenwelt – wenn sie abreißt, fällt er in die völlige Isolation.

4.1 Methoden der Kommunikation mit dementen Personen

Für den Kontakt mit Demenzkranken stehen mehrere Methoden zur Verfügung, welche die

genannten Kommunikationsebenen in unterschiedlich hohem Maß einbeziehen:

4.1.1 Klientenzentrierte Gesprächsführung

Die Klientenzentrierte Gesprächspsychotherapie, von Carl R. Rogers 1940 in Amerika als

'Hilfe zur Selbsthilfe' entwickelt, ist im strengen Sinn keine Methode, sondern eine 'Welt-

anschauung', auf deren Basis menschliche Kommunikation gelingen kann. Sie baut auf der

Grundlage folgender Einstellungen und Verhaltensweisen auf (vgl. Popp 2003, S. 100ff.):

• Empathie (einfühlendes Verstehen) meint das Bemühen, eine andere Person von deren Standpunkt aus zu verstehen und dabei die soziale, psychische und emotionale Situation zu beachten, und zwar unabhängig von unserer eigenen Bewertung (vgl. Popp 2003, S. 100).

Fallbeispiel 1: Ein Bewohner eines Altenheimes beschwert sich bei der Pflegeperson darüber, dass er durch den dementen Mitbewohner ständig in seinem Ruhebedürfnis gestört wird. Für die Pflegeperson ist wichtig zu verstehen, wie der Bewohner fühlt, welche Bedeutung der Ärger über die ständige Ruhestörung durch den dementen Bewohner für ihn hat. Dabei ist es unwesentlich, wie die Pflegeperson die Situation bewertet und welche Lösungen sie eventuell für die Beseitigung des Problems anzubieten hat. Es wird auch kaum sinnvoll sein, flachen Trost zu spenden oder von dem Problem abzulenken in der Art: "Das kriegen wir schon hin", "Das verstehe ich, den müssen wir ruhigstellen" oder "Ihre Aufregung ist unangemessen, damit müssen Sie leben".

Wesentlich in dieser Situation ist nur, dass die Pflegeperson die Verärgerung des Heimbewohners versteht, die Einschränkung seiner Lebensqualität begreift und dass dies eine große Bedeutung für ihn hat. (Popp 2003, S. 101.)

• Akzeptanz (positive Wertschätzung) liegt vor, wenn man den Kommunikations-partner "mit allen Fehlern, Besonderheiten und Eigenarten so annimmt, wie er ist" (Popp 2003, S. 102), unabhängig von Normen und Maßstäben, die wir an unser eigenes Handeln anlegen.

Fallbeispiel 2: Ein dementer Heimbewohner packt ständig seine Bekleidungsgegenstände aus dem Schrank in seinem Zimmer aus und sucht nach einem roten Pullover mit Zopfmuster, den er immer als Kind getragen hat.

Positive Wertschätzung und Akzeptanz wird dann diesem Heimbewohner entgegengebracht, wenn man ihn einfach gewähren lässt, wenn man begreift, dass er augenblicklich erregt ist, wenn man versucht, die Beweggründe seiner Unruhe und Suche zu verstehen. (Popp 2003, S. 102.)

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• Kongruenz (Echtheit, Fassadenfreiheit): Von der Bezugsperson gemachte Äuße-rungen sollen ehrlich, glaubwürdig und durchschaubar sein und müssen mit der tatsächlichen Befindlichkeit übereinstimmen.

Fallbeispiel 3: Eine Heimbewohnerin weiget sich, die Medikamente, welche der Arzt verschrieben hat, einzunehmen mit der Begründung "Ich sehe es nicht ein, warum ich die Tabletten nehmen muss. Außerdem helfen die sowieso nicht. Im Gegenteil, ich kann seitdem wesentlich schlechter einschlafen."

Die Reaktion einer Pflegekraft, die sich echt und fassadenfrei verhält, könnte zum Beispiel so aussehen: "Frau X., Sie bringen mich in eine schwierige Situation. Einerseits verstehe ich, dass Sie die Tabletten nicht mehr nehmen möchten, wenn sie Ihnen nicht helfen, andererseits kann ich mich über die Anweisung des Arztes nicht einfach hinwegsetzen. Wir werden morgen das Problem klären, wenn der Arzt wieder im Heim ist. Heute bitte ich Sie, die Tabletten zu nehmen." (Popp 2003, S. 103.) Die positiven Auswirkungen auf Erleben und Verhalten des Patienten durch eine klien-

tenzentrierte Gesprächsführung sind bedeutend: Weniger Ängste, intensivere Selbstaus-

einandersetzung, Gefühl des Akzeptiert- und Ernstgenommenseins, des Vertrauens und der

Gleichberechtigung. Dadurch wird in vielen Fällen eine bessere Konfliktlösung möglich.

4.1.2 Validation

Validieren (von lat. validus 'stark, robust') heißt 'für gültig erklären' und meint das

wertschätzende und einfühlsame Akzeptieren der Verhaltensweisen und Äußerungen von

verwirrten und dementen alten Menschen. Diese auf den Grundeinstellungen nach Rogers

(s.o.) und den Grundprinzipien der klientenzentrierten Gesprächsführung basierende psycho-

therapeutische Methode (die ebenfalls ursprünglich nicht in erster Linie für die Kom-

munikation mit Demenzkranken gedacht war) wurde von Naomi Feil zwischen 1963 und

1980 entwickelt (ausführlich dargestellt in Feil 1992). Sie besteht im Kern im Anerkennen der

Emotionen einer Person und im Antworten auf der Gefühlsebene. Validieren umfasst ein

hohes Maß an Empathie insofern, als versucht wird, den gesamten Bezugsrahmen einer

Person zu verstehen, selbst wenn er chaotisch, paranoid oder halluzinär ist.

Damit zielt die Validation gerade auf die menschlichen Bedürfnisse der oberen Ebenen

der Maslowschen Bedürfnispyramide ab, die in der institutionellen Pflege zu kurz zu kommen

drohen. Die Einbeziehung der Persönlichkeit des Klienten und die Berücksichtigung seines

geistigen Zustandes erlaubt eine optimale individuelle Anpassung der Kommunikation. Für

den Pflegebereich bietet die Validation die Chance, den Kommunikationsprozess mit

Pflegebedürftigen, die sich aufgrund nachlassender oder auch verloren gegangener sprach-

licher und kognitiver Fähigkeiten oftmals verbal nicht mehr artikulieren können, bis zuletzt

aufrechtzuerhalten, selbst wenn schließlich nur mehr die Gefühlsebene den Zugang zur

inneren Erlebniswelt ermöglicht. Die Ziele der Validation sind:

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Page 18: Verstehender Umgang - oegkv.at · Bei der Ausübung meines Berufes als Diplomkrankenschwester in einem Altenpflegeheim ist mir aufgefallen, dass nicht nur die Angehörigen, sondern

• Wiederherstellen des Selbstwertgefühls

• Reduktion von Stress

• Rechtfertigung des gelebten Lebens

• Lösen der unausgetragenen Konflikte aus der Vergangenheit

• Reduktion chemischer und physikalischer Zwangsmittel

• Verbesserung der verbalen und nonverbalen Kommunikation

• Verbesserung des körperlichen Wohlbefindens. (Vgl. Popp 2003, S. 105-107.)

4.1.3 Integrative Validation

Die Methode der Integrativen Validation (IVA) nach Nicole Richard erweitert die

Validationsmethode durch Kombination mit anderen bewährten Methoden wie z.B. Milieu-

therapie, Beziehungspflege, Biografiearbeit, Realitätsorientierungstraining, Gedächtnistrai-

ning, Kinästhetik, Basale Stimulation.

Die Integrative Validation gibt konkrete Anweisungen für den Umgang mit demenziell

erkrankten Menschen, speziell im Bereich von Kommunikation und Pflege. Diese bestehen im

Akzeptieren und direkten Benennen der Gefühls- und Antriebsäußerungen des Dementen, die

in erster Linie das Verhalten von demenziell erkrankten Menschen steuern. Ferner bemüht

sich die IVA um knappe, klare und personenbezogene Formulierungen im sprachlichen

Ausdruck, die Kontinuität und Sicherheit vermitteln. (Vgl. Popp 2003, S. 111; weitere Regeln

für die sprachliche Kommunikation mit Dementen s. unten Kap. 4.4.)

4.1.4 Emotionale Kommunikation

Während die Methoden der Validation sehr komplex sind und vor allem für den Einsatz im

Bereich der Pflege hochbetagter Menschen eine spezielle Ausbildung erfordern, war es dem

Seesorger und Kommunikationstrainer Martin Weidenfelder ein Anliegen, eine Methode zu

entwickeln, die speziell für die Begleitung dementer alter Menschen geeignet ist und aufgrund

ihrer Einfachheit sogar von pflegenden Laien angewandt werden kann. Er setzt Elemente der

Emotionalen Kommunikation ein, um Zugänge zu Menschen mit Demenz zu eröffnen und zu

einem verständnisvollen Umgang mit den Erkrankten hinzuführen. Dabei stellen

Wertschätzen und Begleiten die Grundpfeiler dar. (Vgl. Weidenfelder 2004.)

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4.2 Allgemeine Grundsätze im Umgang mit dementen Personen

Ethische Einstellungen der Betreuungspersonen lassen sich natürlich nicht verordnen, be-

sonders wenn es sich z.B. im Fall der Angehörigen um Personen handelt, deren Verhältnis

zum Erkrankten womöglich durch Konflikte der Vergangenheit belastet ist. Aber profes-

sionelles Pflegepersonal sollte jedenfalls durch entsprechende Schulungen in Emotionaler

Kommunikation zu einer verständnisvollen Haltung gegenüber ihren Schützlingen geführt

werden (vgl. Weidenfelder, Emotionale Validation: http://home.t-online.de/home/079142612-

0001/presse.htm)

Darüber hinaus gibt es einige wichtige Grundregeln, die im Umgang mit dementen

Personen generell zu beherzigen sind (vgl. Weidenfelder 2004, S. 125):

• Wie jeder Mensch eine einzigartige Ganzheit aus Geist, Seele und Körper darstellt, bleibt jeder Demenzkranke durch seine individuelle Biografie trotz seiner Einschränkungen eine einzigartige Persönlichkeit und hat als solche respektiert zu werden.

• Der Fokus soll nicht auf die Defizite gerichtet werden, sondern auf die noch verbliebenen und verdeckt schlummernden Kenntnisse und Fähigkeiten, Gefühle und Grundbedürfnisse.

• Durch demenz-gerechte Kommunikation soll versucht werden, den Kontakt des Erkrankten mit seiner Umwelt aufrechtzuerhalten.

Wo die überwiegend verbale Kommunikation zunehmend versagt, tritt nach Weidenfelder die

Emotionale Kommunikation stellvertretend ein und hilft Defizite auszugleichen (vgl. Weiden-

felder 2004, S. 66ff.):

Für die Begleitung von Menschen mit Demenz empfiehlt er dieselben Grundhaltungen,

wie wir sie bereits oben in Zusammenhang mit der Klientenzentrierten Gesprächsführung

(vgl. 4.1.1) kennen gelernt haben: Empathie, Akzeptanz und Kongruenz stellen sozusagen das

'Handwerkszeug' dar, mit dem einfache Formen der Kommunikation auch dann noch möglich

sind, wenn die sprachlichen Fähigkeiten des Betroffenen versagen.

4.3 Grundregeln der Emotionalen Kommunikation

Folgende Grundregeln gelten in der Emotionalen Kommunikation mit demenzkranken alten

Menschen:

• Allgemeine Information über Krankheitsbild und Verlauf von Demenzformen ein-holen. Wissen um Ursachen und Zusammenhänge der Krankheit gibt den Pflegenden Sicherheit und Stärke.

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• Gefühls- und Antriebsäußerungen des Demenzkranken als Ausdruck seines Lebens-gefühls und seines gelebten Lebens akzeptieren und nicht versuchen, seine Ein-stellungen zu ändern. Demenzkranke folgen einer anderen Logik als Gesunde.

• Wahrnehmungen von Emotionen und Gewohnheiten des Patienten direkt benennen; nicht vertrösten, ablenken oder Notlügen einsetzen.

• Mimik und Gestik zur Verstärkung sprachlicher Kommunikation einsetzen. Insbe-sondere Berührung hilft Mängel in der verbalen Kommunikation auszugleichen.

• Verständnisfragen vermeiden, da diese logisches Denkvermögen voraussetzen.

• Vorsicht mit Deutungsversuchen. Viel wichtiger als die Erklärung von Handlungs-weisen des Dementen sind die dahinter liegenden Emotionen, denen Wertschätzung und Akzeptanz entgegengebracht werden soll.

• Nutzlose Wortgefechte und argumentative Überzeugungsversuche sind zu vermeiden.

• Kleine verbale Rituale (z.B. stets gleichbleibende Anrede, Grußformeln etc.) ermög-lichen dem Patienten Orientierung im Tagesablauf. (Vgl. Weidenfelder 2004, S. 84-86.)

4.4 Grundregeln der verbalen Kommunikation mit dementen Personen

Für die Eröffnung eines Gesprächs schlägt Weidenfelder folgende Rituale vor:

• den Klienten immer von vorne ansprechen, damit er gleichzeitig sieht, wer mit ihm spricht, und sich auf den Gesprächspartner und die -situation einstellen kann,

• den Klienten stets mit vollem Namen (oder Berufsbezeichnung) ansprechen,

• Blickkontakt aufnehmen und sich nach Möglichkeit auf dieselbe Augenhöhe begeben, um Verunsicherung zu vermeiden,

• Angst auslösendes Verhalten (Schimpfen, Zurechtweisen, Ironie) ist unangebracht; es ist nicht nur zwecklos, sondern führt zu einer Verschlechterung der ohnehin gestörten psychischen Befindlichkeit des Klienten,

• Sicherheit vermitteln, vor allem über den Tastsinn, indem man beim Sprechen den Arm des Klienten berührt. (Vgl. Weidenfelder 2004, S. 86f.)

Für den sprachlichen Ausdruck gelten im Gespäch mit dementen Personen folgende Regeln:

• kurze und einfache Sätze: Da der verwirrte Mensch komplizierten Satzgefügen nicht zu folgen vermag, sind knappe Aussage- und Befehlssätze zu bevorzugen, klare Entscheidungsfragen sind für den Patienten leichter zu verstehen als Inhaltsfragen (wer, was, warum ...), die logisches Denkvermögen voraussetzen.

• einfache, eindeutige Wörter: Auch hier gilt es auf Varianz des Ausdrucks zu ver-zichten und dafür lieber das gemeinte Wort bildlich zu unterstützen, indem man gleichzeitig auf den Gegenstand zeigt oder diesen gestisch darstellt.

• Negativformulierungen vermeiden, weil diese zu Missverständnissen Anlass geben können. Zu leicht passiert es nämlich, dass der Kranke nur die Negation auffasst und dadurch irritiert wird.

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• deutlich artikulieren: Wenn nötig, ist selbstverständlich auch die Lautstärke an das Hörvermögen des Kranken anzupassen. Umgekehrt ist nicht jeder Demenzkranke hörgeschädigt!

• langsam sprechen: Für den Patienten ist es leichter, wenn er gleichzeitig die Lippenbewegungen des Sprechenden beobachten kann, daher während des Sprechens nach Möglichkeit immer Blickkontakt halten!

• Äußerungen wiederholen statt variieren: Es ist besser, einen Satz im selben Wortlaut ein- oder mehrmals zu wiederholen, als dieselbe Botschaft jedesmal in neue For-mulierungen zu kleiden.

• mehrere Sinneskanäle glz. ansprechen: z.B. auf Gegenstände zeigen, diese zur Hand nehmen, befühlen lassen etc., wie dies bei der Basalen Stimulation gemacht wird.

• Ich-Aussagen statt Verallgemeinerungen ('ich' statt 'man')

• Die sog. 'Babysprache' im Umgang mit dementen und hochbetagten Klienten zu ver-wenden, ist herabwürdigend und daher strikt zu unterlassen! (Vgl. Allgemeiner Demenz-Ratgeber: www.demenz-ratgeber.de/dr_Rubriken/dr_Demenz-gerechte_Kom-munikation.htm)

Formeln wie Redensarten und Sprichwörter geben Halt und finden sich oft im Altgedächtnis

verankert. Bemerkenswerterweise sind Verwirrte nicht selten in der Lage, ganze Gedichte

oder Liedtexte auswenig herzusagen oder zu ergänzen. Diese Fähigkeit sollte genützt werden,

um den betagten Klienten im Gespräch zu Erfolgserlebnissen zu verhelfen.

4.5 Praktische Fallbeispiele

Abschließend soll an zwei Fallbeispielen gezeigt werden, wie die Gesprächsführung nach den

vorgenannten Regeln der Emotionalen Kommunikation ablaufen kann bzw. welche Fehler

vermieden werden sollten. Beispiel 1 stammt von Weidenfelder (vgl. Weidenfelder 2004, S.

71), bei Beispiel 2 handelt es sich um eine Situation, die mir unlängst selbst mit einer

Heimbewohnerin widerfahren ist.

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Gesprächssituation Reaktion der Betreuungsperson: richtig Reaktion der Betreuungsperson: falsch

Beispiel 1:

Der Heimbewohner will mit dem Zug wegfahren, kommt die ganze Nacht nicht zur Ruhe aus Angst zu verschlafen. Er weckt immer wieder seine Frau (die aber nicht da ist!): "Ich darf doch meinen Zug nicht verpassen."

A: Unruhe, Angst, Pflichtbewusstsein, Pünktlichkeit, Verlässlich-keit, Ungeduld

B: "Sie sind in großer Unruhe." "Man darf auch nicht zu spät kommen." "Es macht Ihnen Angst, etwas zu verpassen." "Sie sind gern pünktlich." "Ganz pflichtbewusst, auf Sie ist Verlass." "Sie können es nicht erwarten, bis es losgeht."

C: "Pünktlichkeit ist eine Zier." "Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben."

A: Dem Klienten eine störende Absicht vorzuwerfen, wäre eine wertende Interpretation und eine Unterstellung.

B: Keinesfalls sollte man versuchen, den alten Herrn zu belehren ("Ihre Frau ist ja gar nicht da." oder "Sie können ja gar nicht mehr mit dem Zug wegfahren.") oder ihn mit Argumenten überzeugen zu wollen ("Es ist ja mitten in der Nacht."). Auch Tadel ("Sie stören die übrigen Heimbewohner!") oder autoritäre Befehle ("Legen Sie sich wieder ins Bett!") oder gar Drohungen würden nichts helfen, sondern die Emotionen noch weiter eskalieren lassen bis hin zu Aggressionen.

Beispiel 2:

Eine Bewohnerin, die nicht mehr alleine aufste-hen kann, sagt immer wieder in sichtlicher Er-regung: "Ich muss einkau-fen gehen! Mein Sohn hat heute Geburtstag und ich muss ihm etwas Gutes kochen!"

A: Fürsorglichkeit, Pflichtbewusstsein, Traditionsverbundenheit, Angst, ein Versprechen nicht einhalten zu können

B: "Sie haben Ihren Sohn wohl sehr gern!" "Sie wollen Ihrem Sohn eine Freude machen!" "Ihr Sohn hat Geburtstag? Das ist ja ein freudiger Anlass!" "Sie sind aber eine tüchtige Köchin!" "Erzählen Sie mir von Ihrem Sohn! Was ist denn seine Lieblings-speise?" Beim gemeinsamen Betrachten von Fotos und beim Erzählen be-ruhigt sich die alte Dame wieder.

C: "Eier und Schmalz, Butter und Salz ..." – Das Kinderlied regt die alte Dame an, über das Rezept zu plaudern und Küchen-geheimnisse preiszugeben.

A: will Aufmerksamkeit erregen, ist hysterisch B: Verkehrt wäre es, die Klientin auf die Unmöglichkeit der prak-tischen Umsetzung ihrer Absicht hinzuweisen. Falsch wäre es aber auch, ihr das Vorhaben ausreden zu wollen [Argumentation oder Ablenkung/Vertröstung]. Auch auf ihre Idee einzusteigen und quasi 'mitzuspielen' [Notlüge: z.B. Zutaten telefonisch bestellen lassen o.ä.] hätte fatale Auswirkungen.

A: Emotionen und Gewohnheiten, die im Gespräch intuitiv wahrgenommen werden

B: direkt wertschätzende Benennung der Emotionen und Gewohnheiten

C: allgemein bestätigen und gelten lassen (ev. mit Allgemeinem, z.B. einem Sprichwort oder einer Redensart bestätigen)

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5 Zusammenfassung

'Warm – satt – sauber' – diese elementaren Bedürfnisse zu befriedigen, ist zwar wichtig, deckt

aber nur einen kleinen Teil der Bedürfnisse eines dementen alten Menschen ab, der in höchs-

tem Maße auf die Betreuung durch seine Mitmenschen angewiesen ist. Marina Kojer fasst es

so zusammen:

"Das wesentlichste Bedürfnis aller Menschen ist es, andere zu verstehen und von ihnen verstanden zu werden. Hochbetagte sind durch physiologische Verlangsamung, durch Behinderungen und chronische Krankheiten oft weitgehend von der Kommunikation mit der Umwelt ausgeschlossen. Erst wenn es gelingt, eine gemeinsame Sprache zu finden und so ihr Vertrauen zu erwerben, öffnen sich auch die medizinischen, pfle-gerischen und therapeutischen Wege zur Verbesserung ihrer Lebensqualität." (Marina Kojer in einem Vortrag über Palliative Geriatrie in Graz am 10.3.2004)

Die in der modernen Psychotherapie wurzelnden Konzepte und Methoden eines validierenden

Umgangs mit dementen Personen eröffnen uns neue Zugänge zu deren Gefühlsleben und

können uns helfen, sie vor der Isolation zu bewahren. Unter diesem Blickwinkel erfährt

Pflege auch eine neue Definition: Sie will dem Hilfsbedürftigen nicht länger ihren (rational

begründeten) Willen aufzwingen, sondern ihn einfühlsam begleiten und ihm zur Erlangung

seiner Lebensziele verhelfen.

Die steigende Lebenserwartung wird in Zukunft auch den Bedarf an kompetenter Betreuung

dementer alter Menschen erhöhen. Dabei sollte besonderes Augenmerk auf eine gute

Ausbildung bzw. ein ausreichendes Angebot an berufsbegleitenden Schulungsmaßnahmen

gelegt werden, wofür von der Sozialpolitik entsprechende Lösungen und finanzielle Mittel zu

fordern sind. Darauf zu vertrauen, dass Menschen, die sich für den Pflegeberuf entscheiden,

die Techniken eines personenzentrierten, validierenden Umgangs mit Demenzkranken intuitiv

beherrschen, ist zu wenig. Der Pflegeberuf ist nicht zuletzt emotional sehr belastend und

erfordert daher jede Unterstützung für die Ausführenden. Dadurch kann eine bessere Lebens-

qualität und Lebenszufriedenheit der Klienten erreicht werden, was sich schließlich auch auf

die Pflegekräfte positiv auswirkt, indem die eine größere Arbeitszufriedenheit erlangen.

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6 Literaturverzeichnis

6.1 Gedruckte Publikationen

Faust, Volker: Seelische Störungen heute. Wie sie sich zeigen und was man tun kann. 2. Aufl. München: Beck 2000. (= Beck'sche Reihe. 1287.)

Feil, Naomi: Validation. Einer neuer Weg zum Verständnis alter Menschen. 4., verbesserte Aufl. Wien: Altern & Kultur – Validation Österreich 1992.

Gordon, Thomas: Managerkonferenz. Effektives Führungstraining. Aus dem Amerikanischen von Hainer Kober. 4. Aufl. München: Heyne 1998. (= Heyne Business. 22/1014.)

Kitwood, Tom: Demenz. Der person-zentrierte Ansatz im Umgang mit verwirrten Menschen. 3., erweiterte Aufl. Aus dem Englischen von Michael Herrmann. Deutschsprachige Ausgabe hrsg. v. Christian Müller-Hergl. Bern u.a.: Huber 2004.

Kojer, Marina [Hrsg.]: Alt, krank und verwirrt. Einführung in die Praxis der Palliativen Geri-atrie. 2. Aufl. Freiburg i.Br.: Lambertus 2003. (= Palliative Care und OrganisationsEthik. 5.)

Popp, Ingrid: Pflege dementer Menschen. 2., überarb. Aufl. Stuttgart: Kohlhammer 2003. (= Pflege kompakt.)

Rainer, Michael/Krüger-Rainer, Christine: Multiprofessionelles Demenzmanagement – All-gemeine Aspekte. In: Gerald Gatterer [Hrsg.] Multiprofessionelle Altenbetreuung. Ein praxis-bezogenes Handbuch. Wien: Springer 2003, S. 205-227.

Weidenfelder, Martin: Mit dem Vergessen leben: Demenz. Verwirrte alte Menschen verstehen und einfühlsam begleiten. Stuttgart: Kreuz 2004.

6.2 Vorträge

Kojer, Marina: Palliative Geriatrie, Vortrag in Graz am 10.3.2004 (handschriftliche Mitschrift)

6.3 Dokumente aus dem Internet

Allgemeiner Demenz-Ratgeber, Website von Herbert Mück, FA für Psychotherapeutische Medizin: www.demenz-ratgeber.de/dr_Rubriken/dr_Demenz-gerechte_Kommunikation.htm (20.3.2004)

Alzheimer-Pflege, Website der Arbeitsgemeinschaft Psychosoziale Gesundheit: www.psychosoziale-gesundheit.net/pdf/faust1_alzheimerpflege.pdf (17.6.2004)

Emotionale Kommunikation (Pressetext), Internet-Homepage von Martin Weidenfelder: http://home.t-online.de/home/079142612-0001/presse.htm (14.3.2004)

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7 Abbildungsverzeichnis

Seite

Abb. 1: Maslowsche Bedürfnispyramide 11

Abb. 2: Gefühlslandschaft eines Demenzkranken 13

Abb. 3: Die wichtigsten psychischen Bedürfnisse von Menschen mit Demenz 14

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8 Erklärung

Ich erkläre an Eides statt, dass ich die vorgelegte Semesterarbeit selbstständig und ohne

fremde Hilfe verfasst, andere als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel nicht benutzt und

die den benutzten Quellen entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe.

Graz, 25.6.2004

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